Auf der Flucht | Rutger (in der Rolle des 'Barbaren') und Arrecina (als 'geraubte Patrizierin')

  • Mitleid wollte Rutger keines. Er zuckte die Schultern, und antwortete in gleichmütigem Tonfall:
    "So haben nun mal die Nornen mein Schicksal gesponnen."
    Auf einmal streichelte Arrecina seine Hand. Da wurde es ihm ganz warm ums Herz, und sehr versonnen lächelte er sie an... - aber auch verwirrt. Das war alles so kompliziert. Und vielleicht wollte sie ihn ja bloß um den Finger wickeln, damit er aufgab und sie zurückbrachte... Sie sah so traurig aus. Sicher vermisste auch sie ihre Familie... ihren Vater... - Besser nicht über sowas nachdenken, dachte sich Rutger, drückte kurz ihre Hand und stand auf.
    Mit Hilfe des großen Dolches schlug er sich einen geradegewachsenen jungen Kastaniensproß, hackte die Zweige ab, und verkürzte ihn, bis er ihm bis zur Schulter reichte - den konnte er vielleicht später auch als Schaft für eine improvisierte Frame verwenden.


    "Mit deinem Fuß ist es besser du reitest." meinte Rutger, und beugte sich zu Arrecina hinunter.
    "Darf ich?" Er legte einen Arm um ihre Schultern, einen unter ihre Knie, und hob sie hoch, um sie dann mit unregelmäßigen Schritten zu Phaidra zu tragen, und hoch auf den Pferderücken zu heben.
    "Ähm, geht es so?" fragte er sie befangen, beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Stab, und packte noch die nassen Sachen zum Gepäck. Schließlich nahm er Phaidra wieder am Zügel, und führte sie weiter durch den Wald, schräg auf den Wasserlauf zu, und dann an dessen Rand entlang, immer bergab. Sein Bein schmerzte, aber er wollte die ermattete Stute in diesem unwegsamen Gelände nicht noch mit seinem Gewicht strapazieren. Nicht auszudenken, wenn sie schlappmachte. Und so hinkte er entschlossen, bei jedem Schritt auf den Stab gestützt, neben dem Bergfluß entlang. Von Zeit zu Zeit sah er zu Arrecina hoch, ob sie noch durchhielt. Tapfere kleine Römerin.


    Und tatsächlich. Es klarte immer weiter auf. Die Wolken verzogen sich zwar nur zögerlich, aber nach und nach kam die Sonne immer mehr zum Vorschein. Ihre Strahlen trockneten und wärmten, und ließen das klare Wasser des Flusses in einem seltsamen grünen Ton leuchten.
    Immer weiter folgte Rutger dem Wasserlauf. Es schien ihm zwar, das sie inzwischen viel zu weit nach Osten abgekommen waren, aber das Ufer war, im Gegensatz zum Bergwald, wenigstens einigermassen gangbar. Schritt für Schritt marschierte er, irgendwann wie in Trance. Erst als es schon Nachmittag war, machte er wieder halt. Sie alle brauchten jetzt dringend eine Pause.



    Ein wenig schwül war es in der Zwischenzeit geworden. Kleine Mückenschwärme tanzten über der Wasseroberfläche, und ein paar Schwalben machten in elegantem Tiefflug Jagd auf sie. Das Flußbett war hier noch breiter, und große rundgeschliffene Steine lagen darin. Kiefern säumten das Ufer, und an einer Stelle mit saftigem Gras senkte Phaidra gleich den Kopf, und rupfte gierig die Halme.

  • Es erstaunte sie immer wieder, wie er sein Schicksal einfach hinahm, vor allem weil es ja seine Schuld war wie es nun gekommen war.So vieles hätte nicht sein müssen und doch war es alles geschehen. Wenn er sich doch überreden lassen würde. Eigentlich hat er sein Herz am rechten Fleck und doch so viel Unheil bereitet, dachte sie sich. Was sie ihm nun letztendlich gegenüber fühlen sollte wusste sie nicht, aber sie wollte versuchen es rauszufinden und drückte ebenfalls seine hand ganz leicht, zog sie dann aber, als er sie los ließ dich an ihren Körper und legte die andere Hand drauf. Wenn sie ihn wenigstens verstehen würde, warum er sich nicht helfen lassen wollte. Ihre Gedanken würden eines Tages noch ihr Untergang sein, das wusste sie und wieder kamen ihr diese Worte bezüglich des Verbrennens in den Sinn, die Aquilius ihr gesagt hatte. Das hier alles war nicht nur kopliziert, sondern völlig daneben.


    Sie hatte ihm zugesehen wie er sich einen großen Stock als Gehilfe zurecht gemacht hatte und versuchte zu lächeln, als er wieder näher kam. "Aber du kannst doch nicht die ganze Zeit laufen, du bist schlimmer verletzt als ich", protestierte sie leise, aber da legte er ihr schon die arme um Oberkörper und Beine und sie ihre schnell um seinen Hals, wobei ihr Atem sanft seinen Hals streifte. Wieder war sie sich dieser Nähe ziemlich bewusst und hielt fast die Luft an, war sogar fast froh, dass sie bei Phaidra angekommen waren und er ihr auf den Rücken half. "Ufff.....Ja das geht so, aber ich mache mir eher Sorgen um dich, als um mich." Ein deutlich Seufzen war zu hören, als sie sich dann einen Halt suchte und er langsam neben ihr loshumpelte, Phaidra an den Zügeln haltend. Ihr erging es hier oben nicht besser als ihm, auch wenn sie sich nicht anstrengen musste, taten ihr das Bein und der Knöchel weh und dazu waren noch höllische Kopfschmerzen gekommen, von denen sie aber nichts sagte.


    Die Landschaft war so schön, noch nie hatte sie ein Auge dafür gehabt, nicht einmal da wo sie mit Onkels und Vater unterwegs gewesen war. Doch dieses sich ständige sich umhersehen wurde mit der Zeit ziemlich anstrengend und so fielen ihr immer wieder die Augen zu. Ihr war warm, dann wieder kalt, es schien immer ein Wechsel von beidem fast gleichzeitig zu sein, aber sie schwieg und dachte nach, zumindest versuchte sie etwas nachzudenken. Als sie an einer wirklich wundervolle Stelle kamen sah sie zu Rutger runter und fragte ihn mit ziemlich geröteten Wangen: "Können wir hier rasten? Ich kann nicht mehr." Ihre Stimme war heiser und jeder einzelne Knochen tat ihr, in ihrem Körper, unendlich weh.

  • Mit wippendem Schwanz trippelte eine kleine Bachstelze am Ufer umher. Ruckartig stieß der winzige Schnabel vor, und zog eine Wasserschnecke unter einem Stein hervor. Der Vogel verspeiste den Fund, legte dann den Kopf schräg, und wandte die kleinen Knopfaugen den beiden Menschen zu, die da so plötzlich erschienen waren. Ein Windhauch zauste das flaumige schwarze Gefieder an der Brust, der lange Schwanz wippte noch einmal auf, einmal ab, dann schwang sich das Vögelchen mit einem scharfen Zwitschern in die Luft, und flatterte davon.


    Rutger sah dem Vogel kurz nach, lehnte seinen Stab an eine Kiefer, und trat an das Pferd heran. Wie erschöpft die kleine Römerin aussah. Besorgt streckte die Arme aus, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein.
    "Ja, natürlich machen wir eine Rast."
    Kurzerhand hob er Arrecina einfach vom Pferd, und trug sie ein paar Schritte bis zu einem glatten Stein am Ufer, der angenehm die Sonnenwärme abstrahlte. Auf dem setzte er sie ab, stützte sich mit einem Knie auch darauf ab, und musterte sie besorgt. Neben den beiden strömte langsam das klare grüne Wasser vorbei, in dem es mal silbrig aufblitzte, als ein Fisch vorbeiglitt.
    "Dir geht es nicht gut, oder?"
    Dumme Frage eigentlich. Natürlich nicht. Er hob die Hand, und legte sie ihr auf die Stirn. Auch das noch.
    "Ruh dich ein bisschen aus, Arrecina. Am besten kühlst du deinen Fuß noch etwas, denke ich. Magst du etwas essen, oder trinken?"
    Rutger lächelte sie fürsorglich an, strich ihr sanft über die Schläfe hinweg, und richtete sich wieder auf.


    Er nahm Phaidra Sattel, Zaum und Gepäck ab, klopfte ihr dankbar auf den Hals, und ließ es zu, daß sie ihren Mähnenkamm fest an ihm rieb und sich so ausgiebig kratzte. An einer Stelle, wo es flach ins Wasser hineinging, ließ er sie trinken. Damit sie ungehindert grasen konnte, band er ihr die Vorderbeine so zusammen, daß sie nur kleine Schritte machen konnte, und ließ sie dann frei laufen.
    Das Gepäckbündel legte er neben Arrecina ins Gras, öffnete es, suchte ein bisschen Proviant hervor, und legte Käse, Trockenfleisch, und ein hartes Stück Brot neben ihr auf den Felsen. Mit dem Wasserschlauch in der Hand watete er in den Fluß hinein, bis zu den Knien, und kostete von dem Flußwasser. Es war kühl und schmeckte frisch, und so leerte er den Wasserschlauch, und füllte ihn neu, um ihn dann Arrecina anzubieten.


    Als nächstes breitete er ihre nasse Tunika, und auch die Decke über einen anderen Stein aus, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Seine Fibel löste er wieder von der Decke, und barg sie erneut unter seiner Tunika.
    "Ich mache ein kleines Feuer." teilte er Arrecina dann mit, während er sich schon bückte, und einige Zweige aufklaubte.
    "Du brauchst einen Weidenrindentee."
    Und ihm konnte das auch nicht schaden.
    Nachdem er noch etwas mehr trockenes Holz zusammengetragen hatte, schichte er es auf, schlug Funken, und entfachte direkt am Ufer ein kleines Feuer. Vorsichtig schob er ein paar Äste nach, und achtete gut darauf, daß so wenig Rauch wie möglich entstand.

  • Arrecina hatte gar keinen weiteren Blick mehr für diese wundervolle Umgebung. Sie war froh, dass sie endlich von Phaidra wieder runterkommen würde, denn sie hatte unterwegs schon dauernd das Gefühl gehabt gleich einzuschlafen und dann runterzufallen. Zum Glück war nichts in dieser Richtung passiert, schließlich hätte sie sich dann auch noch die Knochen brechen können. "Danke", kam es flüsternd von ihr und sie streckte ihm ihre Arme entgegen um sich runterhelfen zu lassen und war ein wenig überrascht darüber, dass er sie sogleich trug, aber hatte sicher nichts dagegen, weil sie spürte, wie schwach sie sich eigentlich fühlte. Es kam ihr fast so vor, als würden ihre Beine zittern, auch wenn sie ihre Füße nicht auf den Boden stellte.
    Der Stein strömte eine angenehme Wärme aus und sicher hätte sie sich darüber gefreut, leider war ihr auch so schon warm genug, aber sie wollte nicht all zu viel jammern. "Mir geht es gut, ich kann nur nicht mehr", lod sie ein klein wenig, damit er sich nicht so viele Sorgen um sie machte. Es langte schon, dass sie beide genügend Probleme hatten, da musste nicht auch noch sie dazukommen.


    "Trinken, ein wenig", sagte sie und rieb sich mit den Fingern über ihre Augen. Es schien wie einen Schleier vor ihren Augen zu liegen, der sich nicht so einfach wegwischen ließ. Sie konnte noch so viel reiben wie sie wollte, aber irgendwie blieb er, deswegen gab sie es nach mehrmaligen Versuchen einfach auf. Was Rutger alles machte oder nicht, konnte sie nicht sehen und auch ihren schmerzenden Fuß beachtete sie nicht weiter. Wie gerne hätte sie jetzt einfach in ihrem Bett gelegen und geschlafen. Sich mal richtig ausschlafen und ausruhen, dass das einmal so gewünscht wurde von ihr hätte sie sich niemals träumen lassen. Das Brot rührte sie nicht an, aber als er mit dem Wasser wieder kam setzte sie den Schlauch an ihre Lippen und trank gleich ein paar Schlucke. Wie seltsam es doch war, dass man auf Manieren und Sitten keinen Wert mehr legte wenn man sowas durchmachte wie sie, denn das Wasser lief an ihren Mundwinkeln entlang, über ihren Hals und nässte ein wenig ihre neue Tunika, die ihr etwas zu groß war.


    "Was für einen Tee?", fragte sie bei ihm nach und ließ sich langsam von dem Stein in das Gras sinken um sich anzulehnen. Die Sonne schien warm in ihr Gesicht und sie schloss ihre Augen. Wahrscheinlich war sie noch während er sprach einfach eingeschlafen, denn sie würde nicht antworten und saß angelehnt an diesem Stein und rührte sich nicht weiter. Ihre Stirn war ziemlich heiß und ihre Finger eiskalt.

  • "Ein Sud von der Rinde des Weidenbaumes. Das ist gut bei Fieber, weißt du."
    Rutger nahm den erbeuteten Kessel zur Hand, und überließ Phaidra die Reste des Körnerbreis. Sie machte sich begeistert darüber her, während er, am Rande des Fluß hockend, den Kessel mit einer Handvoll Sand ausscheuerte, und dann frisches Wasser schöpfte. Mit ein paar Steinen stützte er den Kessel ab, als er ihn dann ins Feuer setzte. Die Flammen züngelten um das Metall herum, und beleckten es mit Ruß.
    Rutger fütterte das Feuer vorsichtig, hielt es niedrig, und betrachtete nachdenklich die schlafende Arrecina.
    Sie erschien ihm, so tief schlummernd, auf einmal viel jünger, fast wie ein Kind. Unschuldig sah sie aus, krank, am Ende ihrer Kräfte. Er seufzte, und machte sich Vorwürfe, daß er sie überhaupt mitgenommen hatte, und wegen seiner ungezügelten Gier am Morgen. Er dachte auch über seinen Schwur nach - der war sehr spontan gewesen, und wahrscheinlich nicht gerade klug. Immerhin war sie doch seine Geisel, und was nützte schon eine Geisel, die genau wußte, daß er ihr nichts tun würde? Aber trotzdem erschien es ihm richtig, seltsamerweise.


    Das Wasser dampfte ein wenig, machte aber noch lange keine Anstalten zu kochen, und so stand er auf, griff nach seinem Stab und kletterte etwas ungelenk auf einen großen abgerundeten Stein hinauf. Oben angekommen, richtete er sich hoch auf, sah sich in alle Richtungen um, und wirbelte den Stab ein paarmal spielerisch um sich herum. Der lag gut in der Hand, fand Rutger.
    Dort, auf dem Stein stehend, sah er die Schwalben fliegen, die Sonne schien ihm warm ins Gesicht, und ihre inzwischen schon schrägen Strahlen legten einen goldenen Glanz um die sattgrünen Wipfel der Kiefern. Harz roch er, und frisches Wasser, Holzrauch mischte sich hinein und sommerwarme Erde. Schön. Rutger ließ diesen Moment tief auf sich einwirken. Er war froh, daß er geflohen war, und nun hier stehen konnte, frei, dem Tanz der Schwalben zusehen konnte, und einem bunten Herbstblatt, das gerade auf dem Fluß vorübertrieb, mit einem fein gekräuseltem Kielwasser hinter sich. Selbst wenn sie ihn fangen würden, und töten - und seine Chancen sahen gerade tatsächlich nicht so überwältigend aus - selbst wenn das geschehen würde, so hatte er doch wenigstens noch einmal die Freiheit spüren dürfen.
    Lächelnd ließ er sich auf der Spitze des Stein nieder, streckte die Beine lang aus, und begann, den Stab mit dem Dolch zu bearbeiten. Mit geübten Handbewegungen glättete er den Schaft, spaltete ihn am oberen Ende, und schuf eine Aussparung, in die er später den Griff des Hirschfängers einzufügen gedachte.


    Ganz versunken arbeitete er an seiner Waffe, bis ihn das Brodeln des Wassers aus der Konzentration herausriss. Ach ja, der Tee. Er kletterte wieder von seinem Aussichtspunkt hinunter, hockte sich neben das Feuer, und suchte die dicken Stücke der Weidenborke hervor. Mit dem Messer säuberte er sie ein wenig, klopfte eine dicke Käferlarve heraus, und brach die Rinde dann in viele kleine Stückchen. Die warf er in das kochende Wasser hinein, ließ es noch etwas brodeln, und nahm den Kessel dann vorsichtig vom Feuer. Ein paar Kleeblätter, die da wuchsen, warf er mit hinein, damit das Gebräu nicht ganz so bitter werden würde.
    Während der Sud vor sich hin zog, widmete er sich wieder seinem Waffenbau, nahm einen Lederriemen, und begann damit, den langen Dolch mit einer festen Umschnürung sorgfältig an der Spitze des Schaftes einzupassen. Das würde zwar eine sehr primitive Frame werden, aber immerhin! Nein, falls ihn die Häscher der Flavier wirklich erwischten, würde er sich ihnen ganz sicher nicht kampflos ergeben.

  • Den Namen des Tees hatte sie grade noch so mitbekommen, bevor sie eingeschlafen war. Nichts um sich rum bekam sie mehr mit und die Dunkelheit umschloss sie wie ein sanfter Schleier. Viele wirre Träume gingen ihr im Kopf rum. Caius war da, wie sie zusammen mit ihm im Bad war, wie er sie angesehen hatte, als er merkte, dass sie nicht die war, für die er sie gehalten hatte. Diese Erinnerung hatte etwas besonderes an sich. Dann war sie wieder zu Hause in Baiae und stritt sich mit ihren Bruder wegen diverser Kleinigkeiten. Er war einfach noch so jung und hatte nur Unsinn im Kopf. Sie liebte ihn, aber teilweise hasste sie ihn auch, denn als jüngster hatte er eine ganz andere Behandlung von der Großmutter bekommen als sie und ausserdem war er der Junge und wurde teilweise schon bevorzugt.
    Arrecina drehte ihren Kopf im Schlaf und seufzte leise. Ihre Gedanken wanderten nun zu Crassus, zu dem Mann, der ihr Herz im Sturm erobert hatte. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Gefühle die einfach da waren, wie als seien sie von den Göttern gesandt, denn so musste es sein und nicht anders. Sie hatte ihn nicht wieder sehen können, seit dem Treffen im Park und wer wusste schon was er von ihr dachte. Vielleicht dachte er, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte, weil sie sich nicht bei ihm meldete wie versprochen. Ihre Stirn legte sich bei diesem Traum, bei diesen Gedanken in Falten und sie wandte ihren Kopf auf die andere Seite.


    Wenn sie ihm doch sagen könnte, dass es ihr gut ginge und, dass sie ihn vermisste und sich nichts sehnlichster wünscht, als wieder bei ihm zu sein. Ein leises Seufzen drang aus ihrem Mund und kleine Schweißtröpfchen tanzten auf ihrer Stirn. Da war nun dieser Aurelier, der sie auf seltsame Weise anzog und dessen Worte immer wieder in ihren Ohren zu hören waren, doch das Bild verblasste schnell wieder und sie hatte Rutger vor Augen, wie er im Stall gewesen war. Sie hatte diese Idee gehabt mit ihm auszureiten, aber nur weil sie sich keine Gedanken gemacht hatte wer er eigentlich war. Wieder strich seine Hand über ihre Wange und legten sich seine Lippen auf ihre um sie zu küssen und sie erwiderte diesen Kuss und auch andere Zärtlichkeiten. Doch er hatte sie hintergangen und wieder seufzte sie im Schlaf auf und rutschte mit dem Kopf vom Felsen weg so, dass sie im Gras landete. Wenn du es doch nur nicht getan hättest, murmelte sie vor sich hin.


    Sie konnte Aquilius sehen und ihren Vater und dann noch andere Männer wie sie durch einen Wald gingen. Sie kamen ihnen immer näher und Hunde schnüffelten am Boden, an Büschen und Bäumen. Rutger war grade bei ihr und gab ihr etwas zu essen, als eine dieser Bestien aus dem Gebüsch sprang und ihn direkt anfiel. Er wurde rumgerissen und dann waren noch zwei andere über ihm. Immer wieder knurrten und bissen sie, dann plötzlich herrschte Stille, als die beiden Männer bei ihm standen. Voller Hass war der Blick und beide hoben sie je ein Gladius in die Höhe. Arrecina sah von dem Felsen aus zu und konnte weder etwas sagen oder machen, sie schien wie gelähmt da zu sitzen und dem Grauen zusehen zu müssen. Dann schlugen sie zu......


    " NEIN! NEIN! NEIIIIIIIIIIIIIIIN!", schrie sie plötzlich im Schlaf und schreckte nach oben. Als sie ihre Augen auftat wurde sie von der scheinenden Sonne so geblendet, dass sie einfach nur etwas grelles sah und die Augen zusammenkneifen musste. Ihr Kopf drohte zu explodieren so schmerzte er und alles begann um sie herum sich zu drehen.

  • Der Sud war jetzt dunkel genug. Rutger machte noch einen liebevollen Knoten in die Umschnürung an seiner Waffe, legte sie dann beiseite und kostete vorsichtig - bitter genug war er auch. Zeit, den Tee zu servieren.
    Er griff nach dem hölzernen Behältnis mit dem Schafskäse, steckte sich das letzte Stück mit etwas Brot in den Mund, und wusch die flache Schale im Fluß aus. Wieder nahm er eine Handvoll groben Sand vom Grunde des Gewässers auf, und scheuerte das Behältnis ganz sauber.
    Die Sonne stach auf ihn hinunter, die Schwalben flogen immer tiefer, und die Luft war ziemlich schwül geworden. Kaum ein Luftzug regte sich noch. Rutger sah skeptisch zum Himmel auf. Strahlende Bläue, nur im Südwesten zeigten sich ein paar dunkle Wolken.


    Arrecina schrie! Er fuhr zusammen, sah sich gehetzt um, trat dann rasch zu ihr, und kniete sich neben sie ins Gras.
    "Kleines, was ist?"
    Impulsiv legte er schnell die Arme um sie, hielt sie als ob er - er! - sie vor allem Bösen beschützen wollte. Wie heiß ihre Stirn war.
    "Hier ist nichts, keiner tut dir was, keine Angst, Kleines..." murmelte er, und wiegte sie ganz leicht in seinem Arm, strich ihr beruhigend und eher brüderlich übers Haar.
    "Beruhige dich, es ist alles in Ordnung, dir passiert nichts, ich pass auf dich auf..." flüsterte er, doch obwohl er das ernst meinte, klangen die Worte abgeschmackt in seinen Ohren.
    "Schau mal, es ist fertig."
    Er steckte die Hand aus, und schöpfte mit der Schale etwas Tee.
    "Aber Vorsicht, es ist noch heiß."
    Er bot ihr die Schale an. Feine Dampfschwaden stiegen davon auf, und erhoben sich kerzengerade in die stehende Luft.
    "Und bitter. Es muß bitter sein, weißt du, damit es auch hilft."


    Ein Rauschen erhob sich, und mit einem Mal fuhr eine Bö durch den Wald, zeriss den zarten Dampfschleier über dem Getränk, und erschuf kleine Schaumkronen auf der glatten Oberfläche des Flusses. Staub brachte sie mit sich, und ein Schwung rotgoldener Blätter wirbelte wild um Arrecina und Rutger herum. Phaidra, die den aufziehenden Sturm witterte, tänzelte aufgeregt, und ließ ein schmetterndes Wiehern ertönen.

  • Immer noch sah sie nicht richtig und erst als sie die Arme von Rutger spürte konnte sie wieder versuchen normal zu atmen. Ihre Hände griffen nach seinen Armen und hielten sich fest und ihren Kopf vergrub sie an seiner Brust umd Trost zu suchen. Er war am leben, aber keiner würde wissen wie lange es noch so sein würde und ihr Traum war so wirklich gewesen, oder war es gar kein Traum sondern eine Vorahnung gewesen? Sie wollte es nicht wissen und schon gar nicht wollte sie es rausfinden was nun wirklich war oder nicht. Er war hier, bei ihr und er war real.
    Mit geschlossenen Augen und immer noch leise schluchzend blieb sie auch so bei ihm sitzen. Ihre Kopfschmerzen waren immer weiter angestiegen und dazu hattte sich nun auch noch eine unheimlich große Übelkeit gesellt, aber sie sagte nichts darüber, sonern blieb einfach so in seinen Armen sitzen oder liegen, wie man es nahm.


    "Halt mich bitte fest", flehte sie ihn an und die Angst in ihr wollte einfach nicht abebben, als ob wirklich die Möglichkeit bestünde, dass jeden Moment die Männer aus den Gebüschen auf sie zustürmen würden. Sie wollte nicht, dass ihm etwas passierte und sie hatte dafür keine Erklärung. Es war alles so absurd, dass es nicht wahr sein konnte und doch war es so.
    Zögernd nahm sie die Schale mit dem Tee entgegen und hielt sie fest in ihren Händen, aber war bedacht darauf ihn, Rutger, nicht los zu lassen. Sie wollte so bei ihm bleiben wie sie grade war. Sie brauchte ihn, auf eine merkwürdige art und weise brauchte sie ihn. Sogleich wurden ihre Hände von der warmen Schale und dem heißen Inhalt gewärmt, denn sie waren eiskalt im Gegensatz zu ihrer Stirn die glühte. Langsam ging die Wärme in ihre Hände über und verteilte sich von dort in ihre Arme. Auch sie sah den kleinen dampfenden Wölkchen zu wie sie emporstiegen und sich mit ihrem Atem vermischten, der sie immer etwas aufwirbelte, doch recht schnell mischte sich noch etwas anderes mit dazwischen. Sie bermekte es erst nicht, denn sie nahm einen kleinen Schluck des heißen Trunks und verzog dabei das Gesicht. Es schmeckte wirklich sehr bitter, aber als es warm ihren Hals enlangfloss, spürte sie wie auch die Wärme von dort ihren Weg suchte.


    Als Phaidra zu wiehern begann drehte sie ihren Kopf in die Richtung und seltsamer weise schien sich hier alles verändert zu haben. Die Farben waren plötzlich anders, die Bäume bewegten sich auf eine ganz seltsame Art und Blätter tanzten in der Luft und wussten nicht welchen Weg sie gehen sollten. Kein Vogel war am Himmel zu sehen, der eine graue Farbe angenommen hatte. "Was hat Phaidra? Warum ist sie so aufgebracht?", fragte sie Rutger und drängte sich noch etwas mehr an ihn. Arrecina hatte von der Natur und ihren Macken ja keine Ahnung und wusste nicht was sich dort zusammenbraute.

  • "Ein Unwetter zieht auf."
    Fest hielt Rutger die Arme um Arrecina geschlungen, und wollte sie gewiss nicht so bald wieder loslassen.
    Und hätte sie es wirklich darauf angelegt, ihn um den Finger zu wickeln, so hätte sie keine bessere Methode finden können. Mit schon fast schmerzhafter Intensität wallte das Gefühl, das er nicht zu benennen wagte, in ihm auf, als sie sich so verzweifelt, so vertrauensvoll, an ihn drängte.
    Er schluckte trocken. Sie war krank, sie hatte Fieber, sie war ihm ausgeliefert, sie war ganz und gar nicht sie selbst. Dies alles war... einfach nur absurd. Er mußte einen kühlen Kopf bewahren. Aber wie von selbst zog er sie noch enger in seine Arme, streichelten seine Hände tröstend ihren Rücken, legte er seine Wange sacht auf ihren Scheitel.


    Und zum ersten Mal erwog er wirklich, umzukehren, um sie nach Hause zurückzubringen. Wenn sie richtig krank wurde, dann konnte das hier in den Bergen übel für sie ausgehen - sie war so zart, und keine Entbehrungen gewöhnt... aber nach Rom zurückzukehren wäre höchstwahrscheinlich sein Tod... das Kreuz... nein. Es mußte doch einen anderen Weg geben.
    Liebevoll legte Rutger seine rauhe Hand auf ihre glühende Stirn, um sie zu kühlen.
    "Ach Kleines..." flüsterte er zärtlich, "ich halte dich doch... solange du willst... nur zu gerne..."
    War das gerade wirklich er, der solche rührseeligen Dinge zu einer Römerin sagte? Er, Rutger Thidriksohn? Was war da bloß schiefgelaufen? Wahrscheinlich hatte er auch wieder Fieber... ja, das mußte es sein, sie waren alle beide im Fieberwahn...


    Wieder brauste ein Windstoß durch das Tal, ließ Arrecinas Haare wehen, und bog knarzend die Wipfel der Kiefern. Die bleierne Wolkenfront hatte eine schweflig gelbe Färbung angenommen, und näherte sich rasch.
    Rutger versuchte, zur Sachlichkeit zurückzukehren. Er räusperte sich, und sagte mit belegter Stimme:
    "Also, zwei Schalen von dem Zeug solltest du schon trinken. Damit es hilft. Und dann sollten wir uns nach einem Unterschlupf umsehen."

  • Ein Unwetter, und sie würden hier draussen sein? Wohler wurde ihr bei diesem Danken auf keinen Fall sondern eher wurde es ihr noch banger ums Herz als es schon war. Sie wollte nicht bei einem Unwetter draussen in der freien Natur sein, sie wollte gar nicht hier sein. Zu viele Gedanken begannen ihr durch den Kopf zu gehen, aber als sie wieder seine Arme um ihren Körper spürte ging es ihr gleich anders. Sie fühlte sich beschützt und geborgen, als wäre er ihr Bruder. Immer weiter kuschelte sie sich richtig an ihn und hatte nicht vor ihn los zu lassen, wahrscheinlich nicht einmal wenn er es jetzt von ihr verlangt hätte. Wieder schloss sie ihre Augen und hielt den warmen Trunk in den Händen.


    Ihr glühender Kopf lag an seiner Brust und spürte seinen Herzschlag unter der Kleidung. Es war ein beruhigendes Geräusch aber auch eines, was die Erinnerungen in ihr aufkommen ließ, was sie eben noch geträumt hatte. Sie konnte sich langsam erinnern und es schnürrte ihr einfach die Kehle zu. Ihm sollte nichts geschehen, strafen ja, aber nicht töten. Es musste einen Weg geben. Arrecina begann zu husten und verschüttete etwas von dem Tee, aber wenigsten nur auf den Boden, aber der Husten hielt einen Moment an und sie fühlte wie sie grade in diesem Moment nur schlecht Luft bekam und wie Tränen langsam in ihre Augen stiegen vor Anstrengung.


    Es dauerte bis sie sich wieder beruhigt hatte, aber dann trank sie noch etwas von dem warmen Tee, damit sie keinen so trockenen Hals mehr hatte. "Was wird passieren wenn wir hier draussen bei dem Unwetter keine Unterkunft finden?", fragte sie ängstlich, weil sie konnte sich einfach nicht vorstellen bei einem solchen Wetter hier draussen zu sein. Es machte ihr fürchterliche Angst und der Wind ging immer etwas mehr und wehte ihre Haarsträhnen in sein Gesicht. Immer wieder trank sie aus der Schale und beobachtete den Himmel, der aussah als würden die Götter persönlich auf die Erde kommen wollen. Einleichtes Zittern ging durch ihren Körper "Ich habe Angst", sagte sie schwach und auf ihrer Stirn glänzten ganz kleine und wenige Schweißtröpfchen.

  • "Du mußt keine Angst haben."
    Rutger wischte sich eine von Arrecinas kastanienbraunen Strähne aus dem Gesicht, und fuhr ihr beruhigend übers Haar.
    "Wenn es so schnell aufzieht, ist es sicher auch schnell wieder vorbei. Wir finden schon was, wo wir uns unterstellen können."
    Er spähte suchend durch das Tal.
    "Vielleicht da hinten bei der Felswand, irgendwo."
    Mit einem schiefen Lächeln drückte er Arrecina noch mal fest.
    "Jetzt muß ich dich aber doch mal loslassen...nur kurz." murmelte er, und löste sich von ihr, um mal wieder hastig alles zusammenzupacken.
    Das Feuer trat er flüchtig aus, den mühsam gekochten Tee füllte er in den Wasserschlauch, eine der inzwischen getrockneten Decken warf er Arrecina zu, und mit viel gutem Zureden gelang es ihm dann auch, die nervöse Phaidra wieder zu satteln, zu zäumen und zu bepacken. Der Wind heulte, und ließ ihre Mähne und ihren Schweif flattern. Die fransigen Ausläufer der Wolkenfront waren schon fast über dem Tal angekommen. Es wurde, dafür daß doch erst Nachmittag war, sehr düster, und eine seltsame Spannung schien jetzt in der Luft zu liegen, so ein Knistern, daß nur darauf wartete, sich zu entladen.



    Rutger führte die Stute zu Arrecina, half ihr hoch, nahm dann seine improvisierte Frame auf, und stieg nun doch wieder hinter ihr auf. Den Schaft der Waffe stützte er auf dem Steigbügel ab, legte einen Arm um Arrecina, um ihr Halt und Trost zu geben - wenn sie den wirklich von ihm wollte - und nahm auch die Zügel auf. Die Stute setzte sich ruckartig in Bewegung, und er lenkte sie ungefähr in Richtung der Felsen. Es war ein bisschen viel auf einmal, die Zügel waren mit der verletzten Hand schwer zu führen, noch dazu meldete sich sein Bein gerade wieder mit einem scharfen Schmerz.
    Am Horizont zuckten die ersten Blitze auf, zu hören war nur das Wüten des Sturmes, und dann ein lautes Bersten, als ein großer abgestorbener Ast dem Rütteln des Windes nicht mehr standhielt, brach, und krachend in den Fluß fiel.

  • Keine Angst haben? Er hatte gut reden, sicher war er aufgewachsen in den Wäldern von Germanien, da brauchte er auch keine Angst zu haben, aber sie war noch nie draussen gewesen wenn ein Unwetter genaht hatte. Niemals hätte sie sich das gewagt. Ihr Kopf tat immer noch so höllisch wh und hin und wieder war ihr kalt und im nächsten Moment glaubte sie in einer Sauna zu sitzen. Genauso wechselte ihre Stirn die Temperatur. Arrecina war einfach nichts gewohnt und so war es klar, dass ihr das kalte Wasser vom Vormittag ziemlich zugesetzt hatte, aber sie kam noch nicht einmal dazu sich zu wundern, dass er sie gar nicht dafür bestrafte, dass sie ihn verletzt hatte. Er schien es einfach so hinzunehmen, als wäre nichts gewesen, aber sie konnte darüber nicht weiter nachdenken, zumindest nicht jetzt. "Ich hoffe du hast wirklich recht und wir finden dort etwas" sagte sie ganz leise, weil sie ihm ja nicht widersprechen wollte, schließlich war er der Wilde und nicht sie.


    Als er sich nun von ihr löste stand sie auch langsam auf, auch wenn sie sich ziemlich wackelig auf den Beinen fühlte, aber sie hatte keine andere Wahl als es zu tun. Der Wind bließ nun viel schlimmer als noch eben und ließ ihre Haare in alle Richtungen flattern, in der Ferne konnte sie das helle Blitzen sehen und nach einer Weile auch das tiefe und gefährliche Grollen eines Donners. Etwas in ihrem Magen sagte ihr, dass es gar nicht gut war, was sich da über ihnen am Himmel zusammenbraute. Hatten die Götter ihre Hände im Spiel? Wollten sie Rutger abhalten sie weiter zu verschleppen? Es gab so viele Möglichkeiten und keine dieser gefiel ihr wirklich, denn sie machten ihr alle fürchterliche Angst. Kurz hielt sie sich an Rutger fest bevor er ihr auf Phaidra half und sie ihre Finger in die Mähne vergrub.Nachdem sein Arm um sie gelegt war, legte sie eine Hand auf seinem Arm um sich festzuhalten und im dadurch noch etwas näher sein zu können. Immer noch hatte sie Angst, auch wenn er bei ihr war, aber es schien alles noch etwas dunkler zu werden und es war einfach nur fürchterlich unheimlich.


    Mit einem Ruck drehte sie sich auf die Seite als der Ast krachend in das Wasser fiel und schaute dabei Rutger entgeistert an. "Bist du sicher, dass wir etwas finden? Und was ist nun wenn nicht? Und wir hier draussen ohne Dach oder Höhle über dem Kopf dem Sturm ausgesetzt sind?" Deutlich konnte man die aufkeimende Panik in ihrer Stimme hören, auch wenn diese ziemlich belegt klang.

  • Kapitel I : Das Unwetter


    Gewaltige Sturmböen jagten durch das Tal. Laut aufheulend bogen sie die Bäume, und wirbelten Laub und Kiefernnadeln hoch auf. Schwarze Gewitterwolken verdunkelten den Himmel, an dem noch vor kurzer Zeit hell die Sonne geschienen hatte. Jetzt war mit einem mal die Dämmerung hereingebrochen. Ein düsteres Zwielicht erfüllte das Tal, nur von Zeit zu Zeit zuckte, noch entfernt, ein Blitz auf, und beleuchtete mit seinem kalten Schein die bedrohlichen Wolkentürme am Himmel, die schroffen Felswände des Tals, und die angespannten Gesichter von Arrecina und Rutger. Unvermittelt waren sie in diesen Aufruhr der Elemente hineingeraten, und nun suchten sie dringend nach einem Unterschlupf....


    Phaidra wieherte aufgepeitscht, und riß den Kopf in die Höhe. Fest umklammerte Rutger die Zügel, doch sie rutschten ein Stück durch die steifen Finger seiner verletzten Hand, bevor er sie wieder im Griff hatte. Fast hätte er seinen Speer fallen lassen. Ein Hagel von losen Rindenstückchen, Erde und Kiefernzapfen flog ihnen um die Ohren, und als er Arrecina knapp antwortete "Wir finden schon was. Beruhige dich." klang das eher gereizt. Wieder legte er fest den Arm um ihre Taille. Die steile Wand des Tales kam nun vor ihnen in Sicht, Rutger ritt schnell darauf zu, dann daran entlang, und hielt im Halbdunkel angespannt Ausschau nach einer Stelle, wo die Felsen vielleicht Schutz bieten würden. Nichts dergleichen war da zu sehen, nur glatte Wände und Geröll.
    Wieder brach ein Ast, und prallte direkt hinter ihnen auf den Boden - die Stute tat einige nervöse Sprünge nach vorne, und schüttelte ihre Reiter dabei ordentlich durch.


    Der Sturm toste. Sie mußten unbedingt aus dem Wald heraus. Auch zu den Felswänden hinauf warf Rutger einen bedenklichen Blick. Wenn da jetzt nur nicht herunterpolterte. Entnervt trieb er die Stute weiter, da plötzlich wichen vor ihnen die schroffen Felsen zurück, und im Dämmerlicht zeigte sich statt dessen ein grasiger Hang, der, nicht allzu steil, da vor ihnen anstieg. Sofort trieb Rutger Phaidra dorthin, und mit großen Sprüngen galoppierte sie auf die Schräge zu. Schon war der Wald hinter ihnen nicht mehr sichtbar, sie flogen förmlich den Abhang hinauf, der Sturm brandete um sie herum, und dann klatschten ihnen die ersten Regentropfen ins Gesicht. Nur wenige Augenblicke später öffnete der Himmel vollends seine Schleusen, und ein Platzregen fiel, mit lautem Prasseln, ein Trommelfeuer dicker Tropfen, die hart auf die Reiter herunterpeitschten.
    Bis Phaidra den Hang überwunden hatte, und das Tal hinter ihnen lag, waren sie bis auf die Haut durchnässt. Rutger kniff die Augen zusammen, um überhaupt noch etwas zu erkennen. Bäche von Regenwasser liefen ihm übers Gesicht, und sein Haar klebte klatschnass in der Stirn. Immer noch hielt er Arrecina fest mit einem Arm umschlungen, und seine Sorge um sie wuchs.


    Was war das? Schemenhaft zeichneten sich vor ihnen, vom Regen ganz verwischt, Mauerreste ab. Als sie näher kamen, konnten sie eine Reihe verwitterter Ruinen erkennen - niedrige, gedrungene Bauten mit gerundeten Wänden, die Steine von Efeu überwuchert, und von der Zeit geschwärzt, die Dächer längst weggesackt. Vielleicht könnten sie da ein wenig Schutz finden? Rutger ritt auf das nächstliegende Gemäuer zu. Die niedrige Türöffnung war ganz schwarz, und erschien ihm wie das geöffnete Maul eines geduckt lauernden großen Tieres. Er schauderte unwillkürlich. Über der Türe sah er ein verwittertes Relief in den Stein gemeißelt, erkannte vage die verknäuelten Formen von Schlangen und von großen Greifvögeln mit spitzen Schnäbeln.
    Wieder brüllte der Sturm, und peitschte den Regen beinahe senkrecht gegen die beiden. Aber war da nicht noch etwas anderes?
    Da! Ein schrilles Wehklagen wehte mit dem Wind, ein dissonanter falscher Ton, bei dem es Rutger kalt den Rücken hinunterlief. Erschrocken sah er auf, faste Arrecina fester, und auch seinen Speer.


    In diesem Moment fuhr gleißend ein Blitz vom Himmel, und tauchte alles in sein kränklich bleiches Licht. Jenseits der Ruinen, auf einer nahen Hügelkuppe zeichnete sich, nur einen Wimpernschlag lang, ganz deutlich, scharf die Silhouette einer herrschaftlichen Villa ab... Fast im selben Moment grollte ohrenbetäubend der Donner.

  • Nie hätte sie das geträumt einmal bei einem solchen Unwetter hier draussen zu sein. Es war ein einziger Alptraum und sie wünschte sich, dass sie wenigstens hätte etwas dagegen machen können, vielleicht aufwachen, aber die ganzen letzten Tage waren ein Alptraum aus dem es kein Erwachen für sie zu geben schien. Ihre Schenkel pressten sich feste an den Körper des armes Pferdes und auch ihre Hände, die sie mittlerweile beide an seinen Armen liegen hatte und sich fast an ihm festkrallte. Ihr Fieber war immer noch nicht wirklich gesunken, aber der etwas kühle Wind brachte ihr zumindest gefühlsmäßig Linderung. Ob sie seinen Worten Glauben schenken sollte oder nicht, da war sie sich nicht sicher, aber beruhigen konnte sie sich nicht, denn dazu hatte sie viel zu große Angst. Auf seinen deutlich gereizten Ton ging sie nicht ein, denn ein Streit war das letzte was sie beide nun gebrauchen konnten, deswegen schwieg sie einfach. Wenn Phaidra wenigstens nicht immer so durchdrehen würde, denn ihre ruckartigen Bewegungen ließen sie schwindelig werden und sie hatte noch mehr Angst runterzufallen.


    Einige der Rindenstücke trafen sie in ihrem Gesicht und etwas auch im Auge. Sie versuchte zwar das kleine Stückchen rauszubekommen, aber es war ziemlich schwer bei dem Wind, der einem immer wieder die Haare ins Gesicht wehte das zu machen, aber letztendlich schaftte sie es dann doch. Leise betete sie vor sich hin und hoffte, dass die Götter Gnade zeigen würden, auch wenn ein Germane bei ihr auf dem Pferd saß und dieser etwas unrechtes getan hatte. Und wieder kam der Regen und wieder wurde sie nass bis auf die Knochen, was ihrem gesundheitlich angeschlagenen Körper sicher nicht zu Gute kommen würde. Wie gerne hätte sie etwas getan, das Wetter verscheucht, ihren Vater herbeigezaubert oder einfach nur etwas hier her beordert wo sie sich unterstellen konnten. Aber nichts von ihren Wünschen wurde Wirklichkeit.


    Endlich, dachte sie sich, als sie an diese Ruinen kamen, sicher gab es einen Platz wohin sie gehen konnten. Ihre Angst schwand nicht aber sie fühlte sich deutlich besser als vorher und versuchte selber etwas zu sehen, aber die Regentropfen peitschen ohne Unterlass in ihr Gesicht. "Was ist DAS?" fragte sie ihn mit schriler Stimme, als auch sie diesen seltsamen Ton hörte und ihre Finger begannen sich förmlich in seinen Arm zu bohren, als dann auch noch der Blitz bals neben ihnen runterging konnte sie nicht mehr und schrie laut auf in ihrer Panik. "Ich will hier weg", schrie sie auf und zappelte ziemlich auf dem Pferd rum, was einem Schlagen schon fast gleich kam. Der Donner hallte immer noch in ihren Ohren und das Herz schien für sie einen Moment aufgehört zu haben zu schlagen. Die Villa konnte sie nicht sehen, denn dazu zappelte sie einfach viel zu sehr, als wollte sie versuchen von dem Rücken des Pferdes zu springen um diesem Unwetter zu entkommen.

  • Das war zu viel für Phaidra. Panisch riss die Stute den Kopf hoch, Schaumfetzen flogen von ihren Lefzen, sie stieß ein schallendes Wiehern aus - und bäumte sich auf. Ihre Mähne flatterte, und ihre Hufe sausten durch die Luft, als sie stieg. Krampfhaft klammerte Rutger sich mit den Knien fest, versuchte die Zügel zu halten, die zappelnde Arrecina, seine Waffe... doch er verlor den Halt, rutschte rücklings über Phaidras Kruppe, und stürzte platschend in eine schlammige Lache.
    Da lag er nun, sah benommen den finsteren Himmel über sich, aus dem der Platzregen auf ihn hinunterprasselte, sah wirbelnde Hufe, Phaidras in Panik weitaufgerissene Augen, und dann entfernte sich das Geräusch ihrer Hufe sehr schnell. Benebelt, etwas ungläubig hob Rutger den Kopf, und sah das Pferd - seine Hoffnung auf Flucht - mit wehendem Schweif davonpreschen, und von der Finsternis verschluckt werden. Verdammt. Das konnte doch nicht wahr sein.


    Er lies den Kopf wieder sinken, und lag einen Moment lang so im Schlamm, die Augen geschlossen, ohne sich zu rühren. Der Regen rann über sein Gesicht. Die Seite, auf der aufgeprallt war, schmerzte. Seine Wunden sowieso. Das war wohl der Tiefpunkt - und einen Moment lang haderte Rutger erbittet mit seinem Schicksal, das ihm stets neue Widrigkeiten in den Weg legte, ach was, heimtückisch Knüppel zwischen die Beine warf! Welchen Gott hatte er verärgert, daß der solch einen Groll gegen ihn hegte? Warum nur knüpften die Nornen seinen Lebensfaden zu solch einem wirren Knoten? Und wie es aussah, würden sie ihn bald ganz abschneiden - war das etwa fair?!
    Nein. Aber, nachdem er sich einen Augenblick - wirklich nur einen ganz kurzen - des Selbstmitleides erlaubt hatte, gedachte Rutger wieder des kühnen Wahlspruches seiner Ahnen:
    "Wenn etwas ist, gewaltger als das Schicksal /
    So ists der Mut, ders unerschüttert trägt."


    Er erhob sich, ein Ächzen unterdrückend, aus dem Schlamm. Nicht viel konnte er um sich herum erkennen: düstere Ruinen, trübe Pfützen, dann war da noch eine Grube, auch schon mit Wasser vollgelaufen, an deren Rand Schaufel und Spitzhacke lagen - seltsam. Und von der Hügelkuppe, wo er eben, während des Blitzes, die Umrisse der Villa gesehen hatte, ging, vom Regen gedämpft, ein leichtes Schimmern aus, ein warmes Licht wie von hell erleuchteten Fenstern.
    "Arrecina?" Rutger wischte sich den Regen aus dem Gesicht, und sah sich suchend um. Da lag seine Waffe im Schlamm. Er bückte sich, hob sie auf, und lies seinen Blick weiter durch das Ruinenfeld schweifen.
    "Arrecina!" rief er gegen das Heulen des Windes. Wo war die kleine Römerin?

  • Die junge Römerin lag auf der anderen Seite der Ruinen im Schlamm und regte sich nicht mehr. Der Regen prasselte immer weiter auf ihr Gesicht und mischte sich mit der rötlichen Farbe die sich auf ihrem sonst hellen Gesicht verteilte. Eine große Platzwunde prangte an ihrer rechten Schläfe und das Blut lief in feinen, dünnen Rinnsalen über ihre Haut und wurde dann von dem Regen weggespült.


    Nachdem Phaidra durchgegangen war und Rutger runtergeschmissen hatte, hatte sich Arrecina noch mit aller Kraft die sie aufbringen konnte an der Mähne von Phaidra festgehalten, aber auch ihre Kräfte waren schon vollkommen am Ende gewesen, alleine durch das Fieber, dass sie sich nicht lange hatte halten können und kurz hinter den Ruienen abgeworfen wurde. Dummerweise war sie dabei genau auf die Kante eines der vielen Steine gestoßen und auf der Seite liegen geblieben. Als würde sie schlafen lag sie da auf der Seite, einen Arm oben liegend der ander ruhte auf ihrem Bauch, eigentlich schlief sie ja auch, denn sie war bewusstlos.


    Am dunklen Himmel zuckten weiter die Blitze, auch wenn der Donner nicht mehr ganz so laut dröhnte. Immer wieder wurde ihr leblos scheinender Körper von diesen grellen Blitzen erhellt. Von Phaidra war keine Spur, sie schien verschwunden, als hätte sich der Boden aufgetan und sie verschlungen. In Arrecinas Kopf blitzten viele Bilder auf und es schien eine Art Film abzulaufen, auch wenn sie das nicht kannten in der damaligen Zeit. So viele Bilder sah sie, so viele verschiedene Gesichter, zu denen keine Namen passten. Es waren einfach nur Bilder und noch mehr Bilder und wieder Bilder. Sie begannen sich zu drehen, aber Arrecina schaffte es nicht diese verschwinden zu lassen, es schien als war sie gefangen in ihren eigenen Gedanken. Gedanken in denen sie sich nicht wohlfühlte, denn sie kannte sie nicht.


    Der Regen wurde etwas weniger, aber es fiel noch genug um einen die Haut bald aufweichen zu lassen. Trotz des Regens hatte sich eine Ratte aus ihrem Unterschlupf gewagt und besah sich nun das große Wesen, welches fast vor ihrem Eingang lag etwas genauer. Schnüffelnd kam sie näher und lief die Seiten von Arrecina ab.

  • Auf seinen Speer gestützt, irrte Rutger, vom Sturm umtost, über das trostlose Ruinenfeld, und suchte nach Arrecina. Stockdunkel war es um ihn, nur die Blitze erleuchteten immer wieder den Himmel, und gaben ihm schnappschußartige Eindrücke der Umgebung: ein vom Regen glänzender Stein, in den riesig das Muster von Widderhörnern eingegraben war - eine von Dorngestrüpp überwucherte Mauer, auf der noch Bruchstücke eines bunten Freskos mit fliegenden Vögeln zu erkennen waren - immer wieder Stellen, an denen die Grasnarbe aufgerissen war - vergilbte Knochen, die verstreut in einer dieser Gruben aus dem Erdreich ragten... Plötzlich stand er einem greulichen Mischwesen gegenüber, halb Mensch, halb Vogel, das gierig die Krallen nach ihm reckte! Ziu hilf! Es war aber zum Glück nur aus Stein, und ein breiter Riss zog sich quer durch die schnabelbewehrte Fratze. Mit klopfendem Herzen schlug Rutger schnell das Zeichen von Donars Hammer. Und da, im Wind lag schon wieder dieser Ton - schrill, bösartig, unirdisch... es lief Rutger eisig über den Rücken, und seine Nackenhaare sträubten sich.


    Angespannt sah er um sich, und erblickte in diesem Moment Arrecina, regungslos auf dem Boden liegend. Schnell lief er zu ihr. Ein Blitz zuckte auf, zeigte ihm ihr bleiches Gesicht, durchzogen von blutigen Rinnsalen, die in diesem Licht ganz schwarz aussahen.
    "Arrecina!" Entsetzt beugte er sich über sie. Sie war doch nicht etwa... er kniete sich in den Schlamm, zog ihren Oberkörper auf seine Knie, und hielt sie vorsichtig. Frowe Hulda sei Dank! Sie atmete.
    "Arrecina! Kleines, hörst du mich? Wach auf!"
    Hastig riss er von seiner schon sehr ramponierten Tunika einen Streifen ab, wischte ihr das Blut aus dem Gesicht, und sah betroffen die große Platzwunde an ihrer Schläfe. Mehr schlecht als recht legte er den Stoff als Verband fest um ihren Kopf herum. Behutsam stützte er ihre Schultern, ihren Kopf, und hielt sie so, während er zögernd in Richtung des Lichtscheins sah. Vielleicht konnte er dort Hilfe für sie finden? Aber was wenn sie aufwachte, und ihn verriet? - Wie auch immer. Entschlossen hob er sie hoch, legte sie vorsichtig über seine Schultern, und erhob sich auf den Speer gestützt. Mühselig war der Weg, den er, im strömenden Regen durch den Schlamm hinkend, mit der Last auf den Schultern zurücklegte, doch Schritt für Schritt näherte er sich den Haus, das er, an diesem so unwahrscheinlichen Ort, vorhin erblickt hatte. Er hoffte nur, daß es nicht ein böser Streich der Geister dieser Berge war - wusste man doch, daß um diese Jahreszeit herum die Schleier zwischen den Reichen dünn waren, und ihre Macht zu schaden sehr groß.

  • Kapitel II - Die einsame Villa in den Bergen


    Verbissen kämpfte Rutger sich den Hügel hinauf, ganz plötzlich stand er dann auf einem befestigten Weg, der von hohen und spitzen Zypressen in regelmäßigen Abständen gesäumt wurde. Vor ihm lag die Villa, und sie sah recht 'wirklich' aus: ein herrschaftlicher Bau, die Fenster hell erleuchtet, umgeben von einer Mauer, die an einigen Stellen verfallen war. Er ging weiter, und kam zu einem hohen Torbogen, hölzerne Torflügel füllten ihn aus, sie hingen etwas schief in den Angeln, waren aber mit prachtvollen Metallbeschlägen verziert.
    Rutger trat unter den Bogen - man war da vor dem Regen geschützt - verlagerte vorsichtig Arrecinas Gewicht auf seinen Schultern, und griff beherzt nach dem Türklopfer. Schwer und eisig lag der in seiner Hand, als er fest an das Tor klopfte. Es dröhnte dumpf, dreimal, dann war wieder nur das Strömen des Regens zu hören.


    Und dann öffnete es sich einen Spalt, der Schein einer Laterne drang hindurch, und blendete Rutger. Vor sich sah er undeutlich einen dürren Mann, dessen raubvogelhaftes Gesicht von unten her seltsam angeleuchtet wurde. Er trug die Laterne in der einen Hand, in der anderen ein blankes Gladius. Seine Augen lagen in tiefen Schatten. Ausdruckslos sah er auf Rutger.



    "Ich... wir wurden überfallen..." setzte Rutger an. Er war kein guter Lügner. "Meine... Herrin ist verletzt, und..." -
    Der Wächter schnitt ihm das Wort ab: "Ja, wir haben früher mit euch gerechnet. Nichts ernstes, hoffe ich?"
    Er steckte das Gladius weg, und winkte Rutger hinein. Der folgte verblüfft der Aufforderung, und trat auf den weitläufigen Vorplatz des Haupthauses. Sie wurde beherrscht von der Statue eines athletischen Mannes, der soeben den Bogen spannte, und auf etwas zu zielen schien. Auf was, war schwer zu sagen, da ihm der Kopf fehlte. Da war nur eine scharfe Bruchstelle zwischen den Schultern geblieben.
    "Aber ihr kommt doch noch rechtzeitig. Manch anderer ist von dem Unwetter aufgehalten worden. Die Domina ist sehr ungehalten."
    Der Wächter hatte eine scharfe, metallisch schnarrende Stimme.
    "Ich bin Casca. Gib mir deine Waffe, und wir bringen die junge Antonia gleich hinein. Wie heißt du?"
    Nur zögernd gab Rutger seinen Speer aus der Hand. Es schien ihm doch, als würde hier eine Verwechslung vorliegen, aber er hatte nicht das Bedürfnis, diese aufzuklären. "Remus" log er, trug Arrecina, dem schwankenden Lichtschein folgend, über den Platz, und trat dann hinter Casca in das Hauptgebäude der Villa.


    Die Tür schloss sich hinter ihnen, sperrte Regen und Gewittersturm aus. Rutger hinterließ schlammige Fußabdrücke als sie in das Atrium gelangten, das von unzähligen kleinen Öllämpchen hell erleuchtet war. Sie flackerten, da es beständig zog. Verblichene Fresken zierten die Wände, und in einer silbernen, schon etwas angelaufenen Vase prangte ein riesiger Strauß weißer Asphodelen.
    Eine junge Frau in schlichter Tunika kam ihnen entgegen. Ihr welliges Haar hing unordentlich in ihr rundes Gesicht, und sie duckte sich ein wenig, als Casca ihr herrisch befahl: "Kümmere dich um die Antonia hier! Sie wurde überfallen und ist verletzt." Abschätzig wies er auf die Frau. "Das ist Olivia." Dann auf Rutger. "Und das ist Remus. Der... Sklave? Leibwächter? ... der Antonia."
    "Leibwächter." sagte Rutger hastig. Casca verzog kurz spöttisch das Gesicht, nickte, und verschwand - mit dem Speer.



    "Bitte, folge mir." Olivia führte Rutger in ein großes Gästezimmer hinein. Ein Feuer brannte knisternd in einem großen Kamin, schwere Vorhänge hingen vor den Fenstern, und auf einem breiten Bett mit kunstvoll verzierten Pfosten konnte Rutger Arrecina endlich ablegen. Verstohlen strich er ihr über die Wange, und bettete sie sorgsam, bevor er sich wieder aufrichtete. Angenehm warm war es in dem Zimmer, wenn auch etwas stickig. Die Bettvorhänge waren aus tiefgrünem, silbern durchwirktem Stoff, rochen jedoch staubig und waren an vielen Stellen mottenzerfressen. Doch all dies bemerkte Rutger nur nebenbei. Hilflos sah er auf Arrecina hinunter, bis Olivia ihn sanft am Arm fasste. "Was ist überhaupt passiert?"


    "Sie ist vom Pferd gefallen, und..." Rutger wies auf die Platzwunde, die deutlich sichtbar war, da sich der improvisierte Verband schon wieder gelöst hatte.
    "Ich kümmere mich um sie." Olivia verschwand kurz, kam dann mit einem Krug warmen Wassers und sauberen Leinentüchern zurück, und begann mit sicheren Handbewegungen die Wunde auszuwaschen. Sie strich auch ein Wundsalbe darauf, und legte einen frischen festen Kopfverband an. Anfangs sah Rutger ihr noch genau auf die Finger, aber schließlich setzte er sich müde vor den Kamin, und genoß die Wärme. Ganz träge wurde er davon. Überrascht sah er auf, als Olivia auf einmal wieder vor ihm stand.
    "Du bist auch verletzt? Ich kümmere mich später darum, erst mal braucht mich noch deine Herrin. Komm erst mal mit."
    Sie verfrachtete Rutger in ein kleines Nebenzimmer, wo er sich waschen und ausruhen konnte, und sie brachte ihm sogar eine frische Tunika, bevor sie sich wieder Arrecina widmete. Leise summte sie ein kleines Kinderlied vor sich hin, während sie ihr sanft die nassen Sachen auszog, und sie dafür, wie eine Puppe, in eine warme und trockene Schlaf-Tunika kleidete. Olivia klopfte die Kissen zurecht, stopfte die Decke fest um Arrecina, und wandte sich dann dem Kamin zu. Es knackte und prasselte, und der rote Schein beleuchtete hell ihr angespanntes Gesicht, als sie noch ein paar Scheite in die Glut legte, um einen Wärmstein für Arrecinas kalte Füße heiß zu machen.

  • Arrecina war im Park und stand einem Mann gegenüber. Sie wusste, dass sie ihn kennen sollte und spürte auch, dass sie beide etwas miteinander verband, aber sie konnte sich nicht an seinen Namen erinnern. Er schien ihr auf der Zunge zu liegen, doch es war fast als würde sie ihn einfach nicht aussprechen können. Ihre Augen waren die ganze Zeit auf ihn gerichtet und sie fühlte sich in seiner Gegenwart sehr wohl, vielleicht wohler als sie es durfte. Sein Lächeln und seine Präsenz waren so stark, dass sie das alles schon fast fühlen konnte, auch als er sie berührte. Doch gleichzeitig drang zu dieser Wärme noch eine unaussprechliche Kälte hinzu. Sie konnte es sich nicht erklären, auch wollte sie ihm gerne etwas sagen, aber die Worte schafften es nicht ihre Lippen zu verlassen und so öffnete sie nur ihren Mund und schloss ihn gleich wieder. Dann drehte er sich weg und ging einfach, er ließ sie einfach stehen und sagte kein Wort. Was hatte sie falsch gamcht? Sie wollte ihn aufhalten...


    ... doch es ging nicht, ihre Füße schienen festgewachsen zu sein, denn sie kam keinen Schritt vorwärst. Nein nicht festgewachsen sondern sie waren gefesselt und auch ihre Hände. So lag sie auf dem Boden und musste einen Mann beobachten, der sich an einem Feuer zu schaffen machte. Verwirrt sah sie ihn an, aber auch er schien sie nicht weiter zu bachten und machte sich weiter an seinem Feuer zu schaffen. Arrecina spürte wie sich langsam etwas in ihrem Hals immer enger zusammenzog und sie keine Luft mehr zu bekommen schien. Ein Schmerz durchzuckte sie, aber sie wusste nicht woher er kam. Im nächsten Moment sah sie ihm, dem Mann, in die Augen. Er hatte etwas getan, sie wusste nicht was, aber es war falsch.........


    Arrecina rührte sich auf dem Bett und ihre Stirn glühte vor Fieber. Sie merkte nicht, dass sie in einem warmen und weichen Bett lag und man sich um sie gekümmert hatte. Immer noch hielt das Fieber und die Kopfschmerzen sie gefangen und ließen sie einfach ihren Träumen nicht entkommen. Es waren verwirrende Bilder von Personen zu denen sie sich hingezogen fühlte, die sie kannte und gleichzeitig doch nicht kannte. Leise seufzte sie auf und drehte ihren Kopf auf die andere Seite.


    ....Diese Augen wollten ihr nicht aus den Kopf gehen und sie sah sie wieder an. Ihre Hand strich sachte über das Gesicht des Mannes, der sich über sie gebeugt hatte. Was hatte er mir ihr gemacht und warum war sie bei ihm? Warum fühlte sie sich bei ihm wohl und gleichzeitig wieder nicht? Dann wurde er von zwei anderen Männern von ihr gerissen und geschlagen, getreten und dann stand da das Kreuz. Verwirrt blickte sie hinüber und wusste nicht warum die beiden Männer das taten. Was war hier los? Sie wollte schreien und sagen sie sollen ihn los lassen, aber sie hörten sie nicht, egal wie laut sie rief, oder dachte sie nur, dass sie das tat? Im nächsten Moment blitzte es grell vor ihren Augen auf..........


    Mit einem Ruck saß sie aufrecht im Bett und keuchte. Kleine Punkte tanzten vor ihrem Auge und machten sie ganz wahnsinnig. Ihre Finger rieben über ihre Augen und sie spürte, dass sie einen Verband trug. Dann versuchte sie wen oder etwas in dem Zimmer, in dem sie lag auszumachen aber sah nur Schatten. Wo war sie hier? Was war geschehen und warum war sie hier?


    Aber die wichtigste Frage war wohl: Wer war sie?

  • "Feldeinwärts flog ein Vögelein
    Und sang im muntern Sonnenschein..."
    summte Olivia leise vor sich hin, und schob mit einem Schürhaken die Scheite im Kamin zurecht. Draußen rauschte der Regen, der Sturm heulte noch immer wild, und ließ die geschlossenen Fensterläden klappern.
    "...Mit süßem, wunderbarem Ton:
    Leb wohl, ich fliege nun davon..."
    Sie prüfte den Stein, befand ihn für warm genug, und schlug ihn in ein Leintuch ein.
    "...hm, hm, ...hm, hmm,
    weit, weit, reis ich noch heut. "
    Mit dem Wärmstein in den Händen, trat die junge Frau wieder an Arrecinas Bett heran. Ihre Augen weiteten sich schreckhaft, und einen Augenblick verharrte sie, ja, duckte sich sogar ein wenig, als diese sich so plötzlich aufsetzte. Das Kaminfeuer in ihrem Rücken umstrahlte sie, und legte einen roten Glanz auf ihr strähniges Haar, ihr Gesicht lag dagegen im Schatten, als sie dann schnell an das Bett herantrat.
    "Werte Antonia Lavinia."
    Sie schlug die Augen nieder, und verbeugte sich vor Arrecina.
    "Ich bin froh, daß Du erwacht bist. Wie geht es Dir? Oh, Vorsicht..."
    Sie legte den Stein beiseite, und umfasste leicht Arrecinas Hand, die soeben den Verband berührte.
    "Nicht. Rühre besser nicht dran. Du hast da eine kleine Verletzung, von deinem Sturz."
    Olivia lächelte, ein klein wenig starr.
    "Aber nun bist Du in Sicherheit. Dein Leibwächter brachte Dich her - ziemlich zerknirscht - er ist gleich nebenan. Es ist furchtbar, daß Du so überfallen wurdest. Meine Herrin ist sehr ungehalten. War es hier in der Nähe? Und wieviele waren es? Ach, willst du etwas trinken?"
    Sie griff nach einer Karaffe, füllte einen angeschlagenen Pokal aus feinem blauem Glas, und machte Anstalten, ihn Arrecina an die Lippen zu setzen.

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