Mitleid wollte Rutger keines. Er zuckte die Schultern, und antwortete in gleichmütigem Tonfall:
"So haben nun mal die Nornen mein Schicksal gesponnen."
Auf einmal streichelte Arrecina seine Hand. Da wurde es ihm ganz warm ums Herz, und sehr versonnen lächelte er sie an... - aber auch verwirrt. Das war alles so kompliziert. Und vielleicht wollte sie ihn ja bloß um den Finger wickeln, damit er aufgab und sie zurückbrachte... Sie sah so traurig aus. Sicher vermisste auch sie ihre Familie... ihren Vater... - Besser nicht über sowas nachdenken, dachte sich Rutger, drückte kurz ihre Hand und stand auf.
Mit Hilfe des großen Dolches schlug er sich einen geradegewachsenen jungen Kastaniensproß, hackte die Zweige ab, und verkürzte ihn, bis er ihm bis zur Schulter reichte - den konnte er vielleicht später auch als Schaft für eine improvisierte Frame verwenden.
"Mit deinem Fuß ist es besser du reitest." meinte Rutger, und beugte sich zu Arrecina hinunter.
"Darf ich?" Er legte einen Arm um ihre Schultern, einen unter ihre Knie, und hob sie hoch, um sie dann mit unregelmäßigen Schritten zu Phaidra zu tragen, und hoch auf den Pferderücken zu heben.
"Ähm, geht es so?" fragte er sie befangen, beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Stab, und packte noch die nassen Sachen zum Gepäck. Schließlich nahm er Phaidra wieder am Zügel, und führte sie weiter durch den Wald, schräg auf den Wasserlauf zu, und dann an dessen Rand entlang, immer bergab. Sein Bein schmerzte, aber er wollte die ermattete Stute in diesem unwegsamen Gelände nicht noch mit seinem Gewicht strapazieren. Nicht auszudenken, wenn sie schlappmachte. Und so hinkte er entschlossen, bei jedem Schritt auf den Stab gestützt, neben dem Bergfluß entlang. Von Zeit zu Zeit sah er zu Arrecina hoch, ob sie noch durchhielt. Tapfere kleine Römerin.
Und tatsächlich. Es klarte immer weiter auf. Die Wolken verzogen sich zwar nur zögerlich, aber nach und nach kam die Sonne immer mehr zum Vorschein. Ihre Strahlen trockneten und wärmten, und ließen das klare Wasser des Flusses in einem seltsamen grünen Ton leuchten.
Immer weiter folgte Rutger dem Wasserlauf. Es schien ihm zwar, das sie inzwischen viel zu weit nach Osten abgekommen waren, aber das Ufer war, im Gegensatz zum Bergwald, wenigstens einigermassen gangbar. Schritt für Schritt marschierte er, irgendwann wie in Trance. Erst als es schon Nachmittag war, machte er wieder halt. Sie alle brauchten jetzt dringend eine Pause.
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Ein wenig schwül war es in der Zwischenzeit geworden. Kleine Mückenschwärme tanzten über der Wasseroberfläche, und ein paar Schwalben machten in elegantem Tiefflug Jagd auf sie. Das Flußbett war hier noch breiter, und große rundgeschliffene Steine lagen darin. Kiefern säumten das Ufer, und an einer Stelle mit saftigem Gras senkte Phaidra gleich den Kopf, und rupfte gierig die Halme.