Auf der Flucht | Rutger (in der Rolle des 'Barbaren') und Arrecina (als 'geraubte Patrizierin')

  • Mit glasigen Augen sah Arrecina zu der Frau auf, die ihre Hand ergriffen hatte. Zuerst wollte sie sich wieder aus diesem Griff winden, aber unterließ es dann doch. Der Name der genannt wurde, wie sie heißen sollte, war ihr so unbekannt wie das Gesicht der jungen Frau vor ihr. Da waren so viele Dinge in ihrem Kopf, die sie nicht benennen konnte und Gesichter die weiß waren, weil einfach die Details fehlten und dann diesen Brummschädel, den sie gar nicht losbekommen wollte.
    "Was?", fragte sie verwirrt und es war ja eigentlich klar gewesen, dass sie vollkommen verwirrt sein würde. "Mein Leibwächter? Antonia Lavinia? Ist das mein Name?", fragte sie die Frau. Diese vielen Fragen machten sie noch mehr durcheinander und sie wusste gar nicht von was sie da sprach.


    "Was für ein Überfall? Von was sprichst di eigentlich und was mache ich hier? Wer bin ich? Ich kann mich an nichts erinnern." Durcheinander begann Arrecina ihren Kopf zu schütteln, als würde sie so ihre Gedanken sortieren können. Es machte ihr Angst hier zu sein, weil sie vor allem nicht wusste wer die Frau war, wessen Zimmer das war, und wo sie war und alles zusammen. Arrecina war kurz davor in Panik zu geraten, denn es war alles fremd, sogar ihr Körper erschien ihr fremder als fremd zu sein. Dies war wohl auch ein Grund warum sie sich aus den Griff wandt und nun versuchte aufzustehen. Dabei beachtete sie ihre Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl nicht weiter, aber wenn sie noch länger liegen blieb würde sie keine Luft mehr bekommen. "Ich will nichts trinken"
    sträubte sie sich gegen das Glas und hatte nun schon ihre Füße vom Bett gestellt. "Du hast gesagt ein Leibwächter war bei mir? Wo ist er?" Fragend sah sie Olivia an und versuchte zu ergründen ob sie die Frau schon einmal gesehen hatte, aber sie kam immer wieder zu dem Entschluß, dass sie diese Frau nicht kannte.

  • "Oh." Olivias Augen wurden groß. "An nichts? Nein Herrin, nicht aufstehen, vorsichtig, langsam, Du wirst fallen!"
    Aufgeregt mit den Händen wedelnd, versuchte sie, Arrecina zum Sitzenbleiben zu bewegen.
    "Warte, ich erkläre Dir alles, und bestimmt geht es Dir gleich wieder besser, ja? Also... Du bis Antonia Lavinia."
    Sie betonte den Namen, sah Arrecina dabei beschwörend ins Gesicht, und wartete wohl auf ein Zeichen des Wiedererkennens.
    "Und Du bist hier zu Gast in der Villa Aspera, bei meiner Herrin, ja? Mein Name ist Olivia. Ich und die anderen Sklaven haben Deine Ankunft erwartet, heute, zu dem... Fest... meiner Herrin. Nun, wir hatten eigentlich früher mit Dir gerechnet, und zuerst dachten wir, das Gewitter hätte Dich aufgehalten, aber dann brachte Dich Dein Leibwächter - Remus heißt er, nicht? - auf seinen Armen her, und ich habe mich wirklich erschreckt! Du bist nämlich überfallen worden, und noch dazu vom Pferd gestürzt, furchtbar, Du Arme! - Fällt es Dir jetzt wieder ein?"


    Mitleid lag in Olivias Blick, doch zugleich etwas unstetes, flackerndes.
    "Remus wäscht sich, glaube ich, gerade. Der sah vielleicht aus. Wenn Du gestattest, werde ich Dir auch ein Bad richten, und Dir frische Kleidung reichen, bevor die Herrin Dich empfängt. Sicher wird sie mit Dir speisen wollen. Und bestimmt kann sie Deine Fragen viel besser beantworten als ich, weißt Du, denn ich sehe Dich heute zu ersten Mal, werte Antonia Lavinia."
    Wieder schlug Olivia die Augen nieder. Dumpf heulte der Wind im Kamin, die Flammen duckten sich nieder, und es wurde einen Moment lang ganz dunkel. Ein kalter Luftzug ließ die zerschlissenen Bettvorhänge tanzen, und kurz streifte der staubige Stoff Arrecinas Arm.

  • Nur wirklich widerwillig ließ sie sich auf dem Bett festhalten, denn sie wollte aufstehen und warum sollte sie schon fallen, sie fühlte sich doch eigentlich ganz gut, wenn man von dem pochenden Kopf absah den sie hatte wegen dem Sturz. Eigentlich taten ihr aber die ganzen Knochen weh, auch ihr Bein, aber warum das wusste sie nicht "Ich bin wer?" Arrecina war heute sehr schwer von Begriff, denn dieser Name sagte ihr ja nichts weiter. Es waren leere Buchstaben und nichts anderes sonst. Buchstaben die sich zu einem ganz seltsamen Namen zusammensetzten, so fremd wie sie sich selber war. Diese ganzen Informationen aufzunehmen war schwer, sie hörte sie aber sie konnte sie einfach nicht verarbeiten. Sozusagen in das eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus.
    "Doch ja.....Nein." Enttäuscht sah sie auf das Bett, welches so seltsam wirkte und fremd."Doch ein Pferd, ein schönes Pferd, an das kann ich mich erinnern und an Dunkelheit und Blitze, aber das war es schon. Mir sagen die Namen die du mir nanntest nichts, sie sind fremd wie alles hier so fremd ist." Es war unheimlich und es machte ihr Angts. Mit großen Augen, in denen man ihre Angst lesen konnte sah sie sich um und suchte einen weiteren Anhaltspunkt aber sie fand keinen einen.


    "Ein Bad wäre schön", sagte sie völlig abwesend und ihr Blick wanderte immer noch. "Remus? Ich würde gerne mit ihm sprechen, wenn er doch bei mir war sollte er doch noch mehr wissen oder?" Nur warum war sie hier Gast? Das Zimmer sah so merkwürdig aus, so alt und wie aus einer anderen Zeit und es roch komisch. Arrecina zuckte als der Stoff ihren Arm streifte und das Feuer für einen Moment so aussah als würde es ausgehen. Das Gefühl von dem Stoff auf ihrer Haut hinterließ eine Gänsehaut und das Gefühl von Angst, von Beklommenheit und noch etwas unaussprechlichen. Ich sehe mich heute auch zum ersten mal, dachte sie sich. "Warum aber bin ich hier zu Besuch? Weißt du das?"

  • "Ein Bad. Natürlich. Ich richte es Dir - sofort." Olivia nickte hektisch.
    "Ja, Remus, er ist da," sie machte eine eher vage Geste, "da in dem Nebenzimmer, wenn Du rausgehst gleich rechts... ach, um ihn muß ich mich auch noch kümmern - die Banditen haben ihn auch verletzt, weißt Du."
    Die Sklavin schauderte als der kühle Hauch sie streifte, und legte den Kopf schief, als ob sie angestrengt auf etwas lauschen würde.
    "Nun..." sie warf einen Blick über ihre Schulter, und sprach sichtlich unbehaglich weiter, wobei sie die Stimme etwas dämpfte. "Wegen dem Fest bist Du hier, werte Antonia Lavinia, wegen dem Fest eben. Ich denke... also ich weiß da nichts genaues..."
    Sie drehte den Glaspokal in den Händen und heftete ihre etwas wässrigen Augen unverwandt auf Arrecina.


    "Meine Herrin, sie... sie weiht uns natürlich nicht ein. Sie bevorzugt die Zurückgezogenheit, und ist sehr... sehr schweigsam, seit..."
    Sie brach ab, und fuhr in einem gänzlich anderen, jetzt eher künstlich munteren Tonfall fort: "Bestimmt fällt Dir alles gleich wieder ein. Mach Dir keine Sorgen. Weißt Du, einmal, da hat mich Casca - der Wächter meiner Herrin -, also der hat mich auf den Kopf gehauen, und da ging es mir ganz ähnlich, wirklich, alles war schummrig, und ich war ganz verwirrt, eine Zeitlang, wußte kaum wer ich bin und wo oben und unten ist ..."
    Sie lächelte starr. Es sah ein wenig wie ein Zähnefletschen aus.
    "Aber das hat sich schnell wieder gegeben. Und... und nun geht es mir wieder gut, und - "


    Der helle Klang einer Glocke war, von irgendwoher aus den Tiefen der Villa Aspera, zu vernehmen, silbrig und durchdringend. Olivia zuckte zusammen.
    "Das ist meine Herrin. Sie ruft mich." Schritt für Schnitt zog sich die Sklavin zur Türe zurück, ließ Glaspokal, Wasch- und Verbandszeug zurück, und auch die Waschschüssel, in der noch rötlich-trübe das Wasser stand.
    "Ich muß... aber ich komme gleich wieder, ja?" Und schon war sie, rücklings durch die Türe, verschwunden, und ließ Arrecina alleine in dem altertümlichen Gästezimmer zurück. Eine Bö trieb den Regen prasselnd gegen die Fensterläden, und noch immer wogten sacht, wie von Geisterhand, die abgeschabten Vorhänge.

  • Arrecina fühlte sich hier weder heimisch noch wohl und sie konnte sich nicht an diesen Namen, den sie schon wieder vergessen hatte, erinnern oder gewöhnen. Es war fast als würde er einfach nicht zu ihr gehören, als wäre er einfach etwas was man ihr aufdrängte. Die Gänsehaut auf ihren Armen wollte gar nicht mehr weichen und schien mit jedem mal schlimmer zu werden. Der Name passte doch gar nicht zu ihr, auch wenn er schön war, aber er war fremd. Das Gefühl frass sich immer tiefer in ihr Sein und schlich sich in ihr Herz. Es brachte sie noch um ihren Verstand und da konnte auch Olivis nichts dagegen machen, auch nicht als sie versuchte ihr Mut zuzusprechen, dass sie bald wieder wissen würde wer sie wirklich war. "Das tut mir leid zu hören, dass dir auch einmal etwas ähnliches widerfahren ist und es spricht mir Mut zu, dass es sich bei mir doch bald ändert und ich endlich dann erfahren werde wer ich wirklich bin.Danke." Sie sagte es nur, damit sich Olivia etwas besser fühlte, aber sie selber konnte damit ihre Gefühle nicht ändern.


    Kurz runzelte sie ihre Stirn und es bildeten sich kleine Falten auf ihrer noch so jungen Haut. Warum Olivia nicht weiter sprach wusste sie nicht, aber sie wollte nicht nachfragen denn sie meinte zu wissen, dass sie das alles nur noch mehr verwirren würde und das war sie ja nun wirklich schon zur Genüge. Das Klingeln der Glocke riss sie aus ihren Gedanken und es war deutlich zu sehen, dass sie zusammenzuckte und nicht wusste was das war. Aber zum Glück klärte sie Olivia gleich wieder auf. Die Herrin also.... "Ja gehe nur ich werde hier sein und sicher nicht weglaufen", gab sie ziemlich abwesend von sich. Wo sollte sie auch hin? Irgendwie war sie wirklich froh, dass man sie alleine ließ und als endlich die Tür zufiel seufzte sie leise. Diese Bewegungen der Vorhänge machten sie nervös, es schien als wäre hier jemand der sich Streiche für sie ausdachte und ihre Nerve strapazierte.


    Länger hatte sie keine Lust in dem Bett liegen zu bleiben und auch nicht weiter in dem Zimmer zu bleiben also stand sie mit wackeligen Beinen auf. Ihre nackten Füße berührten den Boden und sie knickte ganz kurz ein. Ihr Bein schmerzte und ein Verband, der frisch war, war um dieses geschlungen. Nun tastete sie auch an dem Verband entlang der sich an ihrem Kopf befand, direkt an ihrer Stirn und über ihren Augen. Olivia hatte etwas von ihrem Leibwächter gesagt und zu dem wollte sie, nein sie musste denn etwas in ihrem Kopf sagte ihr, dass er wusste was los war. Also ging sie ganz langsam durch das Zimmer ohne sich weiter umzusehen und öffnete die Tür und ging hinaus in den Gang. Zuerst war sie sich nicht sicher ob sie es sich richtig gemerkt hatte, aber Olivia sagte etwas von einer rechten Tür also öffnete sie diese einfach einmal. "Hallo?", fragte sie ganz leise und betrat noch langsamer das Zimmer. Sie konnte dabei nicht verhindern, dass die Tür etwas quitschte.

  • Nachdem Olivia ihn in dem kleinen Nebenzimmer alleine gelassen hatte, zog sich Rutger seine klatschnasse und blutbefleckte Tunika über den Kopf, und wusch sich, im Licht einer einzigen Öllampe, Schlamm und Schmutz vom Leib. In ein seltsames Haus waren sie da geraten, fand er. Aber doch - Glück im Unglück.
    Er zog die frische Tunika an - aus rostrotem grobgewebtem Stoff, und an den Schultern etwas zu eng - , kämmte sich die Haare, und sah so schon wieder wie ein Mensch aus. Erschöpft setzte er sich auf den Rand des schmalen Bettes, und stützte den Kopf in die Hände. Am besten wäre es, sobald das Unwetter nachließ, gleich wieder aufzubrechen, dachte er, und lauschte gedankenverloren dem stetigen Fallen der Regentropfen auf das Dach. Beruhigend, dieses Geräusch.


    Langsam streckte er sich auf dem Bett aus, und verschränkte die Arme im Nacken. Nein, länger hierbleiben konnte er nicht, viel zu riskant war das. Was wenn Arrecina ihn verriet? Wer könnte es ihr auch verdenken? Arrecina... hoffentlich überstand sie das alles, die Gefahren, in die er sie hineingezogen hatte.
    Seine Glieder waren schwer vor Müdigkeit, sein Bein pochte dumpf, und auch der Schnitt an der Hand war wieder aufgerissen. Rutger schloss die Augen - die Schmerzen würden ihn schon wachhalten - um sich kurz auszuruhen. Der Regen trommelte auf das Dach. Sobald das aufhörte mußte er wieder los, Phaidra suchen, oder vielleicht könnte er auch hier ein Pferd mitgehen lassen? Er mußte doch über die Pässe, bevor der Schnee fiel, und kein Durchkommen mehr war...
    Die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Sein Atem ging ruhiger, sein Kopf sank langsam zur Seite, und ehe er sichs versah, war er in einen bleiernen Schlaf gefallen.


    Und so fand ihn auch Arrecina vor, als sie bald darauf die Türe öffnete. Der kleine Lichtkreis der Öllampe legte einen warmen Schein auf sein Gesicht, in dem, auch im Schlaf, noch immer etwas gehetztes und zugleich etwas kämpferisches stand. Auch als die Türe quietschte, erwachte er nicht. Nur die Flamme der Öllampe wand sich, flackerte, und erfüllte den Raum mit huschenden Schatten.

  • Genauso quitschend wie sie die Tür geöffnet hatte, schloss sie diese auch wieder und erschrack bei dem erneuten Geräusch, denn es klang so unwirklich in ihren Ohren. Es war alles so unwirklich und man konnte fast denken, dass man sich in einem seltsamen Traum aufhielt, was sie sowieso dachte. Keine wirkliche Erinnerung drang zu ihr durch. Alles war von einer dicken Nebelwand umhüllt und was dahinter war, wurde einfach nicht freigegeben, auch wenn sie sich noch so sehr bemühte.
    Arrecina ging immer weiter auf das Bett zu, sie hatte gesehen, dass dort eine Gestalt lag und wollte wissen wer es war. Ihre nackten Füße machten auf dem Boden fast keine Geräusche und es glich fast der Bewegung einer Katze wie sie sich vorwärts bewegte.


    Am Bett angekommen sah sie den Mann dort liegen und betrachtete ihn. Er war einfach auf die Seite gekippt und eingeschlafen. Leider hatte sie seinen Namen schon wieder vergessen, aber etwas mit einem R war es gewesen, aber weiter kam sie einfach nicht. Einige Haarsträhnen hingen ihm in der Stirn und er sah so....so...es war etwas Vertrautes an ihm. Sie konnte es nicht beschreiben, er war ein Fremder und doch war da etwas was sie wissen ließ, dass sie beide etwas miteinander verband.


    Zögerlich hob sie hier Hand an und strich ihm die Haare aus der Stirn. Er hatte auch ein paar Verletzungen und nun sah sie auch an seiner Hand einen Verband und ein noch merkwürdigeres Gefühl machte sich breit. Vorsichtig strichen ihre Finger an seinem Gesicht entlang und sie versuchte sich zu erinnern, aber es fiel ihr nichts ein. Auch hier kam ihr ein lauer Windzug durch den Kamin unbd ließ das Feuer flackern und die Schatten auf seinem Gesicht sonderbar tanzen.

  • Auf einmal schlug Rutger die Augen auf. Sein vom Schlaf noch verschleierter Blick irrte fahrig umher, als er sich ruckartig aufrichtete, und die rechte Hand ganz von selbst das Messer aus dem Gürtel zog, während die linke blitzschnell Arrecinas Finger umgriff. Aufgeschreckt starrte er sie an, und war bereit, sein Leben teuer zu verkaufen - doch dann klärte sich sein Blick, und er erkannte: das war glücklicherweise nicht nötig.
    "Kleines..." murmelte er überrascht, und ein warmes Lächeln vertrieb die grimmige Miene.
    "Wieder auf den Beinen, hmm?"
    Er lockerte den Griff um ihre Hand, und strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken.
    "Entschuldige."
    Das Messer ließ er sinken, und steckte es wieder in die Scheide. Dann schwang er die Beine aus dem Bett, rieb sich die Augen, und fuhr sich flüchtig durchs Haar, unzufrieden, daß er einfach eingeschlafen war. Aber, nun ja, es war ja nichts passiert, und auch der Regen trommelte noch immer stetig auf das Dach. Nichts passiert? Rutger musterte Arrecina unruhig. Sie hatte ihn doch nicht verraten?


    Es machte nicht den Anschein. In dem Lichtkreis der Öllampe, umgeben vom Rauschen des Regens, schien es Rutger als wären sie beide zusammen in einer kleinen Höhle... er bemerkte außerdem, daß er ihre Hand noch nicht losgelassen hatte. Wieder lächelte er, etwas melancholisch, und sah tief in Arrecinas dunkel schimmernde Augen hinein. Sie sah aus als würde sie träumen. Das Gefühl hatte er auch. Zärtlich streichelte er ihre Hand, zog sie sachte näher, und wußte ganz genau, daß er im Begriff war, einen großen Fehler zu machen.
    "Kleines..." setzte er an, dachte dabei: 'Du Narr, halt lieber die Klappe!' - und sprach, etwas heiser, weiter: "Ich muß dir, vor allem anderen, etwas - ... nein, ich muß dich was fragen. Setz dich doch."
    Er rückte zur Seite, und machte ihr Platz auf dem Bettrand. Sein Lächeln wurde schief, als er wieder die Rechte hob, und ihr leicht den Zeigefinger auf die Lippen legte.
    "Etwas wichtiges. Hör mir einfach zu..." - 'Du sentimentaler Idiot! Sprich nicht weiter!' protestierte die Stimme der Vernunft. Und verhallte ungehört. Rutger versank in Arrecinas Augen.
    "Weißt du, es ist so... ich hätte das nie für möglich gehalten. Aber, in den letzten Tagen, da ist ja viel passiert. Ich habe dich kennengelernt, Kleines... und du bist etwas ganz besonderes. Kühn und hold bist du, klug und stolz, und so wunder-wunderschön... "
    Noch immer lag sein Finger auf Arrecinas Lippen, und ganz leicht schüttelte er dem Kopf damit sie ihn zu Ende sprechen ließ - bevor ihn seine Kühnheit verließ...


    "Möchtest du mit mir kommen? Mit in den Norden? Es ist wirklich ein schönes Land. Ich würde dir alles zeigen. Die Wälder sind rot und gold um diese Jahreszeit. Und ich kann für dich sorgen. Was auch immer du willst, wenn dir etwas gefällt, dann nehmen wir es uns einfach."
    Er beugte sich vor, und streifte mit den Lippen Arrecinas Wange.
    "Und ich werde zu dir immer nur zärtlich sein."
    Die Begeisterung funkelte hell in seinen Augen.
    "Ein wahrhaft freies Leben - für uns beide - zusammen. Wenn wir es wirklich wollen, wird es uns auch gelingen!"
    Sein Finger glitt am Schwung ihrer Lippen entlang. Liebevoll streichelte er ihren Hals.
    "Kommst du mit?"

  • Arrecina spürte immer noch seine Haut unter ihren Fingern und meinte jede kleinste Struktur von dieser spüren zu können. Auf der einen Seite schien er so friedlich zu wirken und auf der anderen konnte man Anstrengung erkennen. Sie riss ihre Augen auf, als Rutger auf einmal ihre Hand umschloss und ein Messer in der Hand. Sie hatte nicht reagieren könne und wusste auch gar nicht was das sollte. Sie starrte ihn einfach nur aus großen Augen an und spürte wie ihr Herz immer schneller zu schlagen schien. Leise stieß sie ihren Atem durch ihre leicht geöffneten Lippen und ihr Körper stand unter enormer Anspannung, aber sie machte keine Anstalten sich zu wehren, dazu war sie viel zu gefangen und das nicht nur von seinem Griff.
    Erst als er zu sprechen anfing wurde ihr Herz etwas langsamer und als dann das Messer weg war konnte sie wieder erleichtert durchatmen, aber sie spürte immer noch dieses merkwürdige Gefühl wenn einem das Adrenalin durch die Adern schießt.


    Immer noch fast unfähig zu sprechen ließ sie diese zarte und schon fast zärtliche Berührung seines Daumens auf ihren Handrücken zu. Warum er überhaupt so reagiert hatte wusste sie nicht und sie vergaß auch danach zu fragen. "Ich..", begann sie kurz, aber ließ ihn dann reden, denn irgendwie schaffte sie es nicht etwas zu sagen, sondern spürte weiter seine Hand, die merkwürdige Gefühle in ihr weckte mit denen sie nichts anfangen konnte. Sie vertraute ihm, das wusste sie, aber sie kannte ja nicht einmal seinen Namen. Oder doch? Dieses R ging ihr wieder durch den Kopf, aber die restlichen Buchstaben waren einfach verschwunden und sie zweifelte, dass sie wieder kommen würden. Wer war er wirklich, dass er so mit ihr sprach und sie so berührte?


    Langsam merkte sie wie sie auf ihren Armen eine Gänsehaut bekam und dann setzte sie sich neben ihn auf die Bettkante und blickte ihm in die Augen. Diese schienen eine ungeheure Wärme auszustrahlen. Ihre nackten Füße berührten kaum den Boden als sie da saß. Arrecina nickt und wollte ihm zuhören, spürte seinen Finger auf ihren Lippen und dann ein zucken in ihrem Körper. Fragend sahen ihre Augen ihn an und auch Neugier war in ihnen zu erkennen und viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Jedes Wort von ihm, jede Berührung machte das alles nur noch schlimmer, dass es in ihr begann zu schreien wer er denn sei. Eine Frage, nur eine Frage, aber sein Kopfschütteln ließ sie verstummen, noch bevor sie ihre Lippen wirklich geöffnet hatte.


    Er verwirrte sie und dann doch wieder nicht und diese Gedanken verwirrten sie noch viel mehr. Da war etwas gewesen, das wusste sie. Es war so viel geschehen, aber was war es? Und waru fühlte sie sich in seiner Gegenwart so sicher obwohl sie ahnte, dass sie das nicht sollte. Mitkommen? Ihr schwirrte der Kopf und kleine Blitze schienen in diesem zu zucken und je näher er ihr kam desto schlimmer wurde es. Die Berührung seiner Lippen auf ihrer Wange machten sie wahnsinnig und sie schloss ihre Augen. Es war nicht lange, aber so lange um einen klaren Gedanken zu fassen, allerdings waren diese alle im Nebel verhüllt.Ihre Finger zuckten in seiner Hand, als sie etwas fester seine umschlang und ihr Atem ging ein wenig schwerer als normal.


    "Ja", war ihre einfach Antwort, nicht mehr als ein Flüstern, nicht mehr als ein Schatten in der Nacht und doch so überdeutlich als hätte sie diese geschrien. Wer war er, dass sie dem zustimmte obwohl man ihr doch gesagt hatte, sie wurde hier erwartet in diesem unheimlichen Haus. Und wie zur Bestätigung heulte der Wind durch den Kamin und ließ das Feuer gefährlich dunkler werden, aber das merkte sie nicht, denn nachdem sie wieder ihre Augen geöffnet hatte war sie gefangen in seinem Blick.

  • Ja? Hatte sie etwa 'ja' gesagt? Rutgers Augen weiteten sich, ein wenig ungläubig, denn trotz seiner überschwänglichen Worte hatte er doch sehr befürchtet, dass sie ihn nur mit Unverständnis ansehen würde, freundlich, aber befremdet, und so etwas sagen würde wie: „Aber Rutger! Was für eine seltsame Idee. Meinst du das etwa ernst? Was bildest du dir eigentlich ein, also hör mal!“ Vielleicht hätte sie sogar gelacht…
    Aber nein. Beziehungsweise ‚ja’. Da stieg eine unbeschreibliche Freude in ihm auf, ein gewaltiges, schwindelerregendes Glücksgefühl. Warm legte er seine Hände auf ihre Wangen, und langsam, ganz langsam, näherten sich seine Lippen den ihren.
    ‚Narr! Du verlierst dich!’ versuchte die Stimme der Vernunft sich noch einmal mahnend zu Wort zu melden. Aber nur noch ganz schwach, und kläglich leise, und Rutger hörte gar nicht hin.


    Sanft berührten seine Lippen die von Arrecina, zogen sich wieder zurück, so als habe er nur mal kurz kosten wollen, und mit einem zärtlichen Lächeln sah er ihr in die Augen, schier überströmend vor Glück - bevor er sie wieder küsste, innig und feurig. Die Welt versank um ihn herum, und es gab nur noch sie beide… keine Flucht mehr, keine Rache, keine LISTE, keine Bedrohung… nur Arrecina, Rutger, und diesen Kuss, der ewig währen sollte.
    Aber wann gehen solche Wünsche schon in Erfüllung? Das leise Geräusch von Schritten draußen auf dem Gang drang störend in die Zweisamkeit, dazu von ferne ein Klopfen, und Olivias gedämpfte Stimme, die wohl irgendetwas fragte.

  • Diese ganzen zarten Berührungen riefen tausend kleine Erinnerungen in ihr vor, aber sie schaffte es nicht diese zu fassen und sie wurden immer wieder von ihr weggetrieben wie die Wellen die gegen einen Felsen schlugen und nie dablieben. Sie kamen und gingen und ihr fehlte einfach die Zeit um sie festzuhalten und zu forschen was sie nun waren. Ein Sturm tobte in ihrem inneren, ein Sturm von tausend Gefühlen, denen sie schutzlos ausgeliefert war, wie sie auch ihm schutzlos ausgeliefert war.


    Sie hörte einen Seufzer und merkte erst später, dass sie es ja selber gewesen war die seufzte, weil seine Lippen sich wieder mit ihren vereinigeten. Er war für sie so fremd wie ein anderes Land und doch zu vetraut wie der beste Freund es nur sein konnte. Sanft strich ihr Atem über sein Gesicht hinweg und sie hatte ihre Arme schon längst um seinen Hals geschlungen und hielt ihn fest. Arrecina konnte nicht anders als sich ihm hingeben, ihrem Leibwächter, der er ja sein sollte. Sie vertraute ihm, dass spürte sie und es schien alles seine Richtigkeit zu haben was sie da grade machten.


    Die Stimme die von weitem erklang schien als würde sie aus ihrem Kopfe kommen, deswegen schenkte sie ihr keine weitere Beachtung und wollte einfach nur bei diesem Mann hier sein, der ihr soviel geben konnte, vor allem, der sie kannte und ihre Erinnerungen hatte. Er sollte bei ihr bleiben und sie nicht mehr alleine lassen, soviel stand für sie schon einmal fest. Wahrscheinlich hatte die Stimme wieder gesprochen und Arrecina löste aus den Kuss aber sah einfach nur in die Augen dieses Mannes, denn zu etwas anderem schien sie grade nicht mehr in der Lage zu sein. Sie waren eins und sie wollte eins sein und such die Schmerzen im Kopf konnten das nicht verhindern. Soviel stand in seinen Augen und soviel wollte sie in ihnen noch lesen.

  • „Kleines...“ Selig spürte Rutger ihren Atem auf seinem Gesicht. Ganz behutsam strich er ihr über die Brauen, die Schläfen, liebkoste mit den Fingerspitzen und den Lippen völlig versunken jeden Zoll ihres Gesichtes, während er flüsternd wilde Pläne machte.
    „...wenn wir erst mal über die Pässe sind, dann wird uns keiner mehr finden. Die Berge werden dir gefallen, der Schnee ist so blendend weiß, und funkelt heller als tausend Edelsteine, und das Eis ist blau wie...-, also ganz unwirklich blau ist es... wir brauchen nur robuste Pferde, und bis zum Julfest sind wir längst bei meiner Sippe...“
    Er lächelte versonnen und zweifelte keinen Augenblick daran, dass Arrecina sie alle sofort bezaubern würde.
    „Schaffst du das? Oder nein, besser wir warten bis du ganz genesen bist, verstecken uns irgendwo...“ Zart strich er am Rande ihres Kopfverbandes entlang. „...wir verkleiden uns, du als Junge, ich als Händler mit Bernstein – darauf fallen die Leute immer rein... oder wir nehmen ein Schiff, wie du willst... Hauptsache ist...“
    Zärtlich legte er die Arme um sie, vergrub die Lippen in ihrem Haar, und murmelte, jetzt ganz dicht an ihrem Ohr: „...ich gebe dich einfach nicht mehr her, meine wunder-wunderbare kleine Ar...- “


    Weiter kam er nicht. Es klopfte kurz, und im selben Moment ging auch schon die Tür auf.
    „Antonia Lavinia? Werte Herrin, bist du vielleicht...“ konnte die eilig eintretende Olivia noch sagen, bevor sie wie vom Donner gerührt stehenblieb, und ihre Stimme versagte. Mit dem Ausdruck größten Entsetzens starrte sie auf das gebotene Bild. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
    „Das Bad ist bereit.“ stammelte sie mit blutleeren Lippen. „Werte Herrin. Das Bad.“

  • Er erzählte so viel und doch verstand sie nur die Hälfte davon, aber das war egal, denn sie war mit ihm zusammen und es schien das Richtigste auf der großen weiten Welt zu sein. Sie gehörte zu ihm, egal was ein anderer sagen würde, egal was sie machen würden, sie war sich sicher, dass sie bei ihm bleiben wollte, bei diesem fremden und doch nicht fremden Mann. "Deine Sippe?" Sie hatte wieder keine Ahnung von was oder wem er da sprach und ein verwirrter Blick war die Folge, der aber von seinen Berührungen wieder weggewischt wurde. "Ich schaffe alles was du nur willst, wenn du mich nicht alleine lässt." Dennoch schon wieder verstand sie nicht warum sie sich verkleiden sollten und ihr lagen so viele Fragen auf der Zunge, die sie nicht aussprechen konnte. Er redete ja fast so als waren sie beide auf der Flucht. Oder waren sie es sogar? Der Gedanke erschreckte sie, denn einen Moment lang blitzte ein Bild von einem Wasserfall auf, dann das eines Messers und schon war wieder alles dunkel und hinter der dicken Nebelwand verschwunden, unerreichbar für Arrecina.


    Schon wieder das Klopfen und er wollte doch etwas sagen, er wollte ihren Namen nennen, aber sie hatte noch einen anderen Buchstaben gehört und etwas in ihrem Hals schnürte sich zusammen. Da war was, da war sie sich sicher und alleine dieser kleine Gedanke würde sie noch in den Wahnsinn treiben. "Ich...," stammelte sie und bekam ihren Blick von Rutger nur mit größter Mühe los und dem Blick dem sie dann ausgeliefert war ließ sie um einiges in sich zusammensinken. Es kam ihr fast so vor als hätte man sie bei etwas verbotenem erwischt. Ganz langsam ließ sie Rutger los, denn sie hatte ihre Hände noch an seinen Schultern liegen.


    Den Vorwurf in der Stimme von Olivia hörte sie sehr gut raus und war sie nicht auch geschockt? Das konnte sie leider nicht genau sagen, aber schuldbewusst sah sie nun die andere an, aber stand noch nicht vom Bett auf. Es war ihr unheimlich hier zu sein und sie wurde geplagt von einem unheimlichen und seltsamen Gefühl. "Das Bad?.....Ja ich komme gleich," sagte sie ziemlich abwesend.


    Sie wollte gar nicht gehen sondern hier bei ihm bleiben. Hier fühlte sie sich geborgen und geliebt, wenn sie es auch nicht erklären konnte, aber war sie in dem anderen Zimmer beschlich sie ein komisches Gefühl.

  • „Ich bitte um Verzeihung. Ich habe nichts gesehen. Es gab nichts zu sehen. Nichts das ich zu sehen habe. Also habe ich nichts gesehen.“ stieß Olivia abgehackt hervor. Ihr furchtsamer Blick zuckte von einem zum anderen.
    „Lass uns alleine.“ verlangte Rutger, und erhob sich. Sein Zorn, in diesem besonderen Moment gestört worden zu sein, war so deutlich, dass die verschreckte Sklavin ganz überstürzt das Zimmer verließ, und die Türe dabei so heftig schloss, dass ein unangenehmes lautes Quietschen ertönte. Rutger verzog das Gesicht bei den schrillen Geräusch, und wandte sich wieder Arrecina zu.

    „Geh nur, Kleines. Ich sehe mich derweil hier etwas um. Will mal sehen, ob sie hier Pferde haben, die wir uns...“
    - er grinste unternehmungslustig und ohne jegliches Schuldbewusstsein - „...vielleicht ausborgen können. Wichtig ist: du heißt Antonia, und ich bin Remus, dein treuer Leibwächter, ja? Als ich hier ankam, meinten sie, dass sie dich – 'die Antonia' nannten sie dich - schon erwarten würden. Seltsam ist das... Ich habe ihnen da mal nicht widersprochen, und habe behauptet, wir wären überfallen worden...“
    Er beugte sich zu Arrecina, hob ihr Kinn sanft mit der hohlen Hand an, und küsste sie liebevoll.
    „Das wird schon, Kleines. Du badest jetzt und ruhst dich endlich mal richtig aus, und morgen machen wir uns vor Tau und Tag aus dem Staub.“
    Zuversichtlich zwinkerte ihr zu, ging zur Türe, und öffnete sie. Im Gang stand betreten Olivia mit einigen Tüchern über dem Arm und einem Windlicht in der Hand.
    „Sie ist soweit.“ teilte Rutger ihr mit. Die Sklavin nickte stumm, und wartete in ängstlich geduckter Haltung auf Arrecina.


    Mit dem Windlicht leuchtete sie ihr durch lange und zugige Gänge bis zu einem einstmals sicher prachtvollen Balneum, an dessen Wänden man noch vage zerbröckelnde Mosaiken von Fischen und anderem Meergetier erkennen konnte. Durch den Mamorboden liefen tiefe Sprünge, und reichlich Mörtel war schon heruntergerieselt. Spinnweben hingen, schwer vom Staub vieler Jahre, wie ein grauer Baldachin von der Decke.
    Olivia wies auf ein kleines Badebecken – das einzige, in dem Wasser war. Darum herum standen einige Öllampen. Von unten leuchteten sie die Statue einer gutgebauten Nymphe an, die auf einem Podest über dem Becken stand, und mit der großen Muschel in ihrer Hand früher wohl einmal das Wasser gespendet hatte. Ihr fehlte der Kopf.
    Mühsam schleppte Olivia mehrere Eimer mit dampfend heißem Wasser herbei, die sie dann in das Becken dazu kippte. Mit der Hand prüfte sie die Wärme, und nickte Arrecina scheu auffordernd zu, wobei sie noch immer ängstlich ihren Blick vermied.

  • Vollkommen verwirrt blickte Arrecina vom einem Zum anderen und sie schreckte zusammen, als Rutger so barsch wurde zu der Frau. Sie erzitterte einen Moment und suchte nach Gedanken, aber die wollten sich nicht ordnen lassen. Es war immer noch als würde sie jemand festhalten und nicht loslassen wollen. Nachdem Olivia wieder verschwunden war und sicher nicht glücklich darüber zu sein schien sah sie Rutger an. Das Quitschen der Tür hallte noch sehr unangnehm in ihren Ohren nach.


    "Aber sicher bin ich Antonia ...... oder nicht?" Sie sprach leise und wusste nicht ob sie gegen ihn ankam, aber es war so seltsam und sie hatte da auf einmal ein Gefühl in sich was sie nicht beschreiben konnte. Arrecina lehnte ihr Gesicht in seine großen Hände und wollte vermeiden, dass er sie noch einmal wegnahm. "Ich bin so verwirrt," begann sie wieder zu flüstern und genoß den Kuss und den Geschmack seiner Lippen.


    Es war alles so schnell vorbei, dass es schmerzte, denn etwas anderes schlich sich wieder in ihr Herz, eine Angst die schon die ganze Zeit da war, eine Angst, weil sie wieder aus diesem Zimmer gehen musste und der Fremden ausgeliefert war. Sie war nett und all das, aber hier war alles so unheimlich, vor allem weil sie nicht wusste wer sie selber war. Nur ein Name, ein Name der ihr nichts sage, das war sie und das stellte ihre ganzen Gedanken auf den Kopf.


    "Bis später," sagte sie zu ihm und trat neben ihm aus der Tür nach draussen auf den Gang. Olivia sah nicht glücklich aus, aber Arrecina auch nicht. Sie folgte ihr bis zu dem Bad und wäre vor Ekel fast wieder weggelaufen. Eigentlich dachte sie, dass in diesem Haus jemand wohnte, aber irgendwie schien es, als wäre die Räume sei einer Ewigkeit nicht mehr genutzt worden. Stumm sah sie an die Decke und wünschte sich es nicht getan zu haben. Die Hand die um ihr Herz lag wurde immer fester und fester, aber sie durfte sich nichts anmerken lassen.


    Nachdem das Wasser geprüft wurde begann sie sich zu entkleiden und stieg hinein. Die Wärme tat auf der Stelle gut, aber diese Gefühle blieben. "Wie lange lebt ihr hier?" stellte sie dann eine Frage, weil die Stille unerträglich war.

  • „Meine Herrin hat sich, seit einigen Jahren, ganz hierher zurückgezogen.“ antwortete Olivia zögerlich. „Lass mich dir doch behilflich sein, werte Antonia Lavinia.“
    Sie griff nach einem großen Schwamm, tränkte ihn, und ließ das warme Wasser über Arrecinas Nacken und Rücken plätschern.
    „Sie ist... inzwischen etwas eigen, und will keinen Kontakt nach draußen, weißt du, das würde sie nur stören. Nur manchmal geht Casca los, reitet ins Tal, und besorgt was wir so brauchen. Es ist halt schon sehr einsam… Soll ich?“ Vorsichtig fasste sie Arrecinas Haar, und begann es zu waschen, wobei sie acht gab, den Verband nicht zu durchnässen.
    „Anfangs da waren wir noch mehr, aber die meisten sind in der Zwischenzeit… gestorben. Meine Herrin ist sehr streng, und Casca, der schlägt gerne mal etwas fester zu… ich mache jetzt den Haushalt fast alleine… also es tut mir leid…“ - sie blickte ebenfalls zu den Spinnweben an der Decke – „wenn es etwas unordentlich ist, aber ich komme einfach nicht mit allem nach, es ist so ein großes, altes Haus…“
    Mit einem Tuch rieb sie Arrecinas Haar möglichst trocken, nahm einen Kamm, und begann geduldig und mit Gefühl, die Knoten zu lösen.
    „Du warst länger unterwegs, oder? ... ach verzeih, ich habe ganz vergessen…“ Geschickt flocht sie Arrecinas Haar an den Seiten, und steckte es dann ordentlich am Hinterkopf zusammen.


    Nach dem Bad reichte sie Arrecina eine festliche Tunika in einem zarten Grünton, dazu einen mit Narzissen durchwirkten Schleier, und Sandalen aus weich gegerbtem Leder. Die Tunika war ein wenig zu lang, und roch ganz leicht modrig, der Schleier war sehr kunstvoll und auf eine ganz und gar altertümliche Weise geschnitten, und die Sandalen waren ein bisschen zu groß. Olivia half beim Ankleiden, band die Sandalen, und raffte die Tunika mit einem schmalen Gürtel, damit Arrecina nicht auf den Saum trat.
    Dann führte sie sie wieder durch die dunklen Gänge, leuchtete ihr mit dem flackernden Windlicht, und blieb schließlich vor einer großen Flügeltüre stehen. Durch einen schmalen Spalt drang ein Faden von hellem Licht hindurch. Olivia hob die Hand, und klopfte an der Türe.
    „Ich bringe dich jetzt zur Herrin. Tarquitia Lucia ist ihr Name. Sie kann dir bestimmt helfen.“
    Sie lächelte verzerrt und öffnete die Türe…


    * * *


    Kapitel III – Ein kleines Nachtmahl


    Unzählige Kerzen brannten hier, ihre Flammen tanzten im Luftzug, wurden von Silberspiegeln vielfach reflektiert, und verströmten ein Licht, so hell, dass es im ersten Moment in den Augen schmerzte. Erst auf den zweiten Blick war ein großes Triclinium zu erkennen, glanzvoll eingerichtet, mit einer üppig gedeckten Tafel in der Mitte. Am Fenster stand eine elegante Dame in einem düsterrot schimmernden Gewand, mit kompliziert hochgestecktem hellem Haar, und über und über mit Rubinen geschmückt. Sie sah nach draußen, wo über den schwarzen Gipfeln noch ein paar letzte, ferne Blitze aufzuckten. In den Händen hielt sie eine seltsam geschwungene rauchfarbene Flöte.
    Erst als Olivia sich demonstrativ räusperte, wandte sie den Kopf – ihre Juwelen funkelten dabei blutrot im Kerzenschein – und kam mit rauschendem Gewand rasch auf Arrecina zu.



    „Ah, da kommt ja unser Medium!“ Sie lächelte liebenswürdig, und drückte herzlich Arrecinas Hand. „Wie erleichtert ich bin, dass du es trotz des widrigen Wetters noch rechtzeitig hierher geschafft hast. Und wie sehr es mich freut, dass wir uns nun endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, meine liebe Lavinia…. – Ich darf doch Lavinia sagen? Aber setzen wir uns doch. Sicher möchtest du dich stärken, bevor das Fest beginnt. Du wurdest angegriffen auf dem Weg?“

  • Arrecina, Lavinia, wie auch immer, sie war mittlerweile irgendwie immer verwirrter, denn der Name Arrecina war ihr auf einmal in den Kopf gekommen, ließ alles über sich ergehen und sich helfen. Vielleicht war es auch ganz gut so, denn sie fühlte sich wieder viel zu schwach um auch nur einen Handschlag selber zu machen. Viel konnte sie Olivia nicht erzählen, denn sie wusste es ja einfach nicht mehr, was sie irgendwann noch in den Wahnsinn treiben würde. Alles was sie machte war hin und wieder einfach nur nicken oder den Kopf schütteln, aber mit dem Sprechen hielt sie sich weitesgehend einfach nur zurück.
    Das BAd war angenehm gewesen und hatte ihre Sinne neugeweckt, die Kleidung die sie aber anziehen musste war mehr als gewöhnungsbedürftig denn diese schien fast aus einer anderen Zeit zu stammen. Auch hier ließ sie alles über sich ergehen, wie die Frau ihr half in die Tunika zu schlüpfen und sie einigermaßen auf ihre Größe passend zu machen. Wohl fühlte sie sich auf keinen Fall, eher immer schlimmer und sie musste an den Mann aus dem anderen Zimmer denken, an seinen Kuss und an seine Worte. Es war so seltsam und sie wünschte sich mehr zu wissen über sich und über ihn.


    Als Olivia sie nun aus dem Bad führte und zu ihrer Herrin brachte ging sie nur langsam, denn aus einem unergründlichen Grund hatte sie es nicht eilig bei dieser fremden Frau anzukommen. Skeptisch schauend betrat sie diesen Saal und wieder umfing sie etwas unheimlich und dunkles.


    Arrecina musste schlucken als diese Frau sich zu ihr drehte und auf sie zukam. Sie erinnerte sie an jemanden den sie kannte und bei dem sie vor noch all zu langer Zeit gewesen war. Ein Erinnerungsfetzen, der sich nicht in das Bild fügen wollte weil es hinter Schatten und Nebeln verschwunden war. Kurzer Schwindel suchte sie heim, aber verschwand auch wieder.

    "Ich.....Lavinia? Ja sicher. Medium? Was?"

    Arrecina hatte Angst und sah die Frau auf seltsame Weise an. Sie wusste nicht von was sie sprach und wollte weg von hier, irgendwo anders hin, am besten in die Arme von Crassus. Crassus? Ihre Gedanken überschlugen sich und sie spürte einen Kloß in ihrem Hals, denn das war ein Name mit dem sie nichts anfangen konnte.


    "Warum bin ich hier?"

  • Eine gute Frage. Eine geradezu philosophische Frage, die Arrecina da gestellt hat. Warum ist sie hier? Der geneigte Leser weiß natürlich, dass sie sich zur Zeit in dieser düsteren Villa, in mehr als dubioser Gesellschaft befindet, weil sie leichtsinnig mit einem fremden Sklaven ausgeritten ist, und dieser sie verschleppt hat. Vielleicht beginnt die Erklärung auch schon früher, zu dem Zeitpunkt, als sie ihrer Großmutter entwischt ist - was uns zu einer sehr moralischen Betrachtungsweise führen könnte, im Sinne von "was jungen Mädchen alles passieren kann, die ihrer Oma nicht gehorchen". Oder - wenn wir ein ganzes Bündel von Ursachen annehmen - begann die Kette der Ereignisse vielleicht auch an dem Tag, als Flavius Aristides in seiner sorglosen Art beschloss, einen kleinen Ausritt in den germanischen Wäldern zu machen, und so auf Rutger traf?
    Oder aber, Arrecina hatte das Pech, in den Sog eines
    Narrativums zu geraten, das, bei den gegebenen Elementen (ein Unwetter, die Zeit um Samhain, zwei gutaussehende junge Menschen alleine in der Wildnis etc.), gar keine andere Wahl ließ, als sie in dieses unheimliche Gemäuer zu führen?
    Wer weiß.
    Tatsache ist: bevor wir auf diese Frage hin Tarquitia Lucia zu Wort kommen lassen - die sicher ihre ganz eigene Erklärung für Arrecinas/Lavinias Anwesenheit hat - machen wir noch einen kleinen Kameraschwenk. Also wieder zu Rutger:


    Der machte sich, nachdem Arrecina zum Baden verschwunden war, auf, um die Villa zu erkunden. Mit dem kleinen Öllämpchen in der Hand wanderte er durch die Gänge, öffnete viele Türen, fand teilweise völlig verkommene Räume vor, und andere, die unter Staub und Spinnweben noch Spuren früheren Glanzes trugen. Hohl heulte der Wind ums Haus, und ständig drohte der kalte Luftzug das Licht auszulöschen. Einmal kreuzte eine alte Frau seinen Weg, die um ihren faltigen Hals einen Sklavenring trug - achtlos schlurfte sie an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Sonst begegnete er keiner Menschenseele.
    Schließlich gelangte er wieder in das helle Atrium. Von den Wänden sahen ihn die ausgeblichenen Darstellungen fremdartiger Könige an, die allesamt ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen trugen. Die Asphodelen verströmten einen süßen, etwas fleischigen Geruch. Rutger durchschritt diesen - auf schwer fassbare Weise beunruhigenden - Raum schnell, und öffnete die Türe zum Hof. Noch immer regnete es in Strömen, wenn auch die Wucht des Unwetters schon stark nachgelassen hatte.


    Schon wollte er schicksalsergeben hinaus in den Regen treten - denn er mußte sich nach Pferden umschauen, und nach seiner Waffe -, da sah er neben der Türe mehrere Mäntel hängen. Einen davon - aus gewachstem Leder, mit einer weiten Kapuze - borgte er sich aus, und ging so beschirmt nach draußen.
    In großen Pfützen stand das Wasser auf dem Boden. Aus einigen Fenstern drang genug Licht, dass Rutger sehen konnte, wo er die Füße hinsetzte. Langsam ging er am Hauptgebäude entlang, und sah sich aufmerksam um. Das Wasser troff von der Kapuze herunter. In der Ferne blitzte ein letztes Wetterleuchten auf. Rutger bog um eine Hausecke und blieb stehen -da war doch etwas - neben dem Rauschen des Regens vernahm er deutlich ein schrilles, metallisch schabendes Geräusch. Lauschend legte er den Kopf schief... jetzt war es wieder weg... und da war es erneut ganz deutlich. Neugierig was wohl die Ursache war, bewegte er sich in diese Richtung. Er durchschritt einen verwilderten Garten und kam zu ein paar heruntergekommenen kleinen Nebengebäuden, zwischen deren verwitterten Mauern tiefe Schatten lagen.
    Mit einem Mal spürte er ein ungutes Kribbeln im Nacken, und es überkam ihn das unbehagliche Gefühl beobachtet zu werden. Er drehte sich um, sah zurück zu Villa, und erblickte, in dem Rahmen eines großen hell erleuchteten Bogenfensters, dunkel wie ein Scherenschnitt die Silhouette einer Frau mit hochgetürmtem Haar. Just wandte sie sich ab und verschwand. Sie konnte ihn doch wohl kaum gesehen haben. Oder?


    Und nun zurück zu Arrecina:
    Tarquitia Lucias makellos geschminkte Augenbrauen wanderte langsam noch oben. Besorgnis stand in ihrem Gesicht geschrieben, als sie ihren Gast genauestens musterte.
    "Dann ist es wirklich so schlimm..." murmelte sie, mit einem Seitenblick zu Olivia, die sich dezent im Hintergrund hielt.
    "Nun, meine liebe Lavinia, beruhige dich zuerst einmal. Das Wichtigste ist, dass du nun hier bist. Setz dich, und nimm mit mir zusammen ein kleines Nachtmahl ein. Ich werde dich derweil in Kenntnis setzen."
    Mit beschwichtigendem Lächeln führte sie Arrecina resolut zur Tafel, ließ sie in einem Korbstuhl Platz nehmen, und setzte sich ebenfalls. Sofort stand Olivia bereit, und schenkte dunklen Wein in große silberne Pokale. Auch legte sie den beiden von den schön drapierten Speisen vor - harte Eier, verschiedene Saucen, Schnecken in Öl gesotten und etwas kaltes Fleisch vom Zicklein.


    "Greif doch bitte zu." Tarquitia Lucia hob ihren Pokal. "Auf das faszinierende Volk der Etrusker! Auf ihre kolossalen Errungenschaften und ihre unvergleichlichen Einsichten in die Natur des Werdens und Vergehens..."
    Sie trank, tupfte sich den Mund mit einer Serviette, und nahm die geschwungene Flöte, die nun in ihrem Schoß lag, vorsichtig in beide Hände. Das war ein seltsames Instrument - es sah aus, als wäre es aus einer Art rauchigem Glas gefertigt, und war auf ungewöhnliche Weise in sich verdreht. Die Oberfläche glänzte in einem öligen Ton, und spiegelte das Licht so absonderlich, dass es schien als würden sich darunter träge dunkle Schwaden winden.
    "Um es kurz zu machen, Lavinia. Du bist hier, um mit mir ein ganz besonderes Fest zu begehen. Wir haben aufgrund ähnlicher Interessen schon länger miteinander korrespondiert, und ich habe aus deinen Briefen heraus den Eindruck gewonnen, dass du dafür genau die richtige bist..." - ein sanftes Lächeln vertrieb die Strenge aus Tarquitias Zügen, als sie fortfuhr - "Mein geliebter Ehegatte, den ich seit langen Jahren schmerzlich vermisse, er wird heute nacht ... zurückkehren."
    Ein helles Klirren drang durch das Triclinium. Eine Silberschale war Olivias Händen entglitten. Kleine Brotlaibe kullerten um die Füße der Sklavin, die aschfahl geworden war, und fassungslos ihre Herrin anstarrte.

  • Die Gänsehaut wollte einfach nicht verschwinden und Arrecina hatte das Glück, dass sie immer schlimmer werden würde. Nur ungerne ließ sie sich wie eine Marionette an den Tisch führen und setzte sich hin. Eine kleine Haarsträhne hatte sich gelöst und rutschte ihr nun nach vorne ins Gesicht. Das Essen was sie zu sehen bekam, so köstlich es auch scheinen mochte, ließ ihren Magen sich immer wieder drehen und sie war sich ganz sicher, dass sie nichts zu sich nehmen konnte, nicht einmal wenn man sie dazu zwang. Doch da sie nicht unhöglich erscheinen wollte hob sie ebenfalls einen Kelch der mit rotem Wein gefüllt war. Wenn man hineinblickte konnte man denken, dass es Blut sei so dunkelrot schien er. Einen Moment konnte sie auf der schillernden Oberfläche ihr Gesicht erkennen, aber es schien das Gesicht eines Kindes zu sein und nicht das einer jungen Frau. Locken tanzten um ihre Lippen und sie lachte, doch mit dem nächsten Wimpernschlag war auch das wieder vorbei und es war nur Wein.


    Arrecina trank einen kleinen Schluck und merkte, dass ein seltsamer Nebengeschmack dabei war, aber sie wollte sich keine Gedanken darum machen was es sein könnte. Sie hörte der Frau aufmerksam zu und wunderte sich über diesen seltsamen Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie konnte sich nicht mehr an irgendwelche Briefe erinnern, aber wenn die Frau das sagte musste es ja stimmen. Schließlich war sie ja hier und das musste einen Grund haben und da klangen die Briefe logisch.


    Das Klirren holte sie abrupt zurück in das Jetzt und sie sah erschrocken aus und hatte dabei auch noch den Wein verschüttet, der sich nun wie ein Blutlache auf dem Tisch ausbreitete. Einen Moment wurde sie wieder von diesem Bild wie magisch angezogen, doch dann riss sie sich zusammen, sicher würde jemand das wegmachen gleich. "Tut mir leid," entschuldigte sie sich für ihre Unachtsamkeit. "Es freut mich zu hören, dass dein Ehemann wiederkommen wird, aber was habe ich denn damit zu tun?"

  • "Sehr viel, meine liebe Lavinia, sehr viel..." raunte Tarquitia Lucia, dann richtete sie ihren eisig gewordenen Blick auf die stocksteife Sklavin.
    "Entferne das." befahl sie barsch, wies dabei mit einer knappen Kinnbewegung auf die Weinlache und auf die verstreuten Brote. "Deine Strafe erhältst du später."
    Olivia krümmte sich wie ein getretener Hund, senkte den Blick auf den Boden, und machte sich überstürzt ans Werk.
    "Mein geliebter Gatte ist überaus fern." fuhr die Hausherrin an Arrecina gerichtet fort. "Er benötigt etwas, das ihm... sozusagen den Weg weist."


    Sie lud eine Schnecke auf einen Silberlöffel und verzehrte sie konzentriert, bevor sie weitersprach.
    "Da wäre zum einen jenes vorzügliche Instrument..." - sie strich mit den Fingerspitzen andächtig über die, in einem schwer fassbaren Ton irisierende, Flöte, - "das ich das Glück hatte zu finden. Nun, ich suchte lange genug. Und da wäre zum anderen ... dein Talent."
    Sie beugte sich über den Tisch, und hob ein langes Tranchiermesser von einer Fleischplatte. "Du wirst zur rechten Zeit verstehen. Lass mich dir noch etwas Zicklein vorlegen... greif nur zu, Lavinia, tu dir keinen Zwang an, stärke dich...du isst ja gar nichts..."
    Kerzenflammen spiegelten sich auf der Klinge wieder, zogen eine rote Spur darüber, als Tarquitia sie in das zarte Fleisch hineingleiten ließ.


    Schnitt


    Rote Funken sprühten, als die breite Sichelklinge über den runden Schleifstein gezogen wurde, wieder und wieder. Nur eine Fackel erhellte den Unterstand, warf ihren düsterroten Schein in das bärtige Gesicht eines untersetzten Mannes, der eine seltsam hochgewölbte Kopfbedeckung und lange Roben trug. An seinem Gürtel hing ein großer Hammer.
    Mit einer Hand hielt er den Schleifstein in Bewegung, mit der anderen führte er geübt die Klinge darüber hinweg. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, prüfte die Schärfe mit dem Daumen, und feuchtete den Stein an, bevor er sich weiter seiner Arbeit widmete, und wieder das schrille Kreischen ertönen ließ, das Rutgers Aufmerksamkeit erregt hatte.


    Der kauerte nun, einige Schritt entfernt, versteckt im Schatten eines Schuppens, und beobachtete den Messerschleifer mit Mißtrauen. Es sprach ja eigentlich nichts dagegen, seine Klingen immer scharf zu halten, aber irgendwie... -
    Ein knarrendes Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Er duckte sich tiefer in den Schatten, spähte in den Regen und die Dunkelheit zwischen den Gebäuden... da war nichts. Dann blitzte noch einmal das Wetterleuchten, und für den Bruchteil eines Herzschlages sah Rutger, verzerrt auf einer Bretterwand, den Schatten des Wesens, das da mit ausgestreckten Klauen auf ihn zukam - Das Blut gefror ihm in den Adern! Ziu hilf!!!
    Bebend schlug er das Zeichen von Donars Hammer, sprang auf die Füße und stürzte in wilder Flucht blindlings in das Wirrwarr halbverfallener Nebengebäude, von deren schiefen Dächern der Regen als Vorhang dicker Wasserstrahlen herunterprasselte.


    Schnitt


    In einem eleganten Bogen wölbte sich der rote Strahl, es plätscherte leise, als Olivia Arrecinas Kelch erneut füllte.
    "Mancher würde mich schmähen." stellte Tarquitia fest, setzte ihrerseits den Kelch an die Lippen und trank. "Mancher würde mich wohl 'wahnsinnig' nennen."
    Sie lächelte sardonisch.
    "Aber welcher Wahnsinn wohnt einem Schicksal inne, das zwei füreinander geschaffene Seelen zusammenführt, im Taumel höchsten Glückes, nur um sie grausam wieder auseinander zu reißen!? Ich weiß es, Lavinia, und du weißt es, die Götter sind entweder boshafte Wesenheiten, die sich an unserem Leid ergötzen, oder aber machtlos, vielleicht auch von dumpfer Gleichgültigkeit... War Orpheus ein Wahnsinniger? Vielleicht. Die Liebe läßt uns rasen."
    Sie drehte den Weinkelch in der rubinberingten Hand, und ein trauriges Lächeln umspielte ihre welken Lippen.
    "Und doch, wenn es aus Liebe getan ist, so ist es schön getan. Du bist jung, Lavinia... - jünger als ich dachte - hast du schon einmal wahrhaft geliebt?"

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