Peristylium | Gracchus et Serenus

  • Es war einer jener Tage, welche sich nach einem wenig üppigen Mahl dem Ende zuneigten. Gracchus war dies nur Recht, war sein Apetit dieser Tage doch nur mäßig. Das Ende einer äußerst arbeitsreichen Amtszeit lag hinter ihm, der Tempeldienst des Sacerdos publicus wartete wieder täglich. Dies bedeutete unter anderem auch, dass er wieder seltener im Hause anzutreffen war - auch dies bedauerte er nur mäßig. Seit der Hochzeit mit Antonia war ihm die Villa ein wenig fremd geworden, er schlich durch die Gänge wie ein Gast, mehr noch wie ein Dieb. Gleichermaßen versuchte er sowohl seiner Gattin, als auch seinem Vetter Aquilius aus dem Weg zu gehen, den er seit dem einschneidenden Tag kaum mehr zu Gesicht bekommen und erst recht kein Wort mit ihm gewechselt hatte. Selbst Sciurus hatte er eine Zeit lang gemieden, in der irrigen Annahme nach der Ehenacht für immer verdorben zu sein. Mittlerweile teilte der Sklave wieder ab und an sein Lager, es würden ohnehin einige Wochen vergehen, bis erkennbar werden würde, ob es erneut notwendig war, Antonia aufzusuchen. Falls dem nicht so sein würde, ein Umstand, welchen Gracchus durchaus bevorzugte, sollte man ihn danach fragen, so würden bis zur nächsten Kopulation Monate vergehen. Den Blick in die Flammen einer flackernden Öllampe gewandt und solcherlei Gedanken nachhängend, genoss Gracchus den ausklingenden Tag im auslandenden Peristyl der Villa. Selbst zu dieser Jahreszeit verströmten die Blumen und Büsche einen angenehmen Duft, und manchesmal fragte sich Gracchus, ob dem die unsichtbaren Sklaven des Hauses auf die ein oder andere Weise nachhalfen. Die Luft um ihn herum war erwärmt durch die heißen Kohlen, welche auf mehreren Rosten angerichtet waren und mit jedem leichten Windhauch rot aufglühten. Einzig die Geschehnisse nach dem Opfer des Epulum Iovis hingen Gracchus noch immer schwer in Gedanken nach. Wieder und wieder sah er die junge Frau vor sich, mit ihrem wallenden Haar und dem durchdringenden Blick. Er war kurz davor gewesen, einen Haruspex am Circus Maximus aufzusuchen, welcher in Auspicia privata eruieren sollte, ob die Götter Gracchus noch gewogen waren, oder ob ein Fluch noch immer seinen Schatten über sein Leben warf. Sciurus jedoch hatte ihm davon abgeraten, mit dem Hinweis, dass während der Ludi Plebeii sich nur noch Scharlatane am Circus Maximus herumtrieben, um für wenige Sesterzen dem Fragenden genau jene Antworten zu geben, welche er hören wollte, und dass Gracchus' Dienst in den Tempeln ihn sicher vor jenem bösen Blick bewahren würden. So hatte Gracchus vorerst nichts weiter unternommen, doch das ungute Gefühl in seinem Inneren wollte sich nicht vertreiben lassen.

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  • Nachdem der junge Herr sich erleichtert hatte, führte der Ianitor ihn durch das geräumige Atrium bis zum Peristyl der Villa hin. Es war bereits abendliche Ruhe in die Villa eigekehrt, die meisten Herren hatten sich in ihre Arbeitszimmer oder Cubicula zurückgezogen. Derjenige, dessen Aufenthaltsort am schnellsten ausgemacht werden konnte, war Gracchus, welcher sich mit einigen Papieren in den Hof der Villa begeben hatte. Dies schien dem Ianitor der geeignetste Ort für den Neuankömmling zu sein, denn hier konnte auch bei Bedarf noch ein wenig Essen für den jungen Mann gereicht werden. Ob Flavius Gracchus der geeignetste Hausherr war, um Serenus zu empfangen, darüber machte sich der Ianitor wenig Gedanken, hatte der junge Herr doch keine Präferenzen genannt.


    Der Sklave trat an Gracchus' Liege und räusperte sich leicht. "Herr, der junge Lucius Flavius Serenus, Sohn des Aristides, ist soeben aus Baiae eingetroffen."

  • Ein wenig von Wehmut erfasst waren Gracchus' Gedanken wie sooft zu den Zeiten in Achaia zurück gewandert. Das bedrückende Gefühl erwuchs dabei nicht etwa aus der Tatsache des Zurückliegens jener Zeit, denn wer sich zu sehr an die Vergangenheit klammerte, würde niemals Gegenwart erleben, geschweige denn Zukunft gestalten können, doch die Zeiten in Achaia waren untrennbar mit Aquilius verknüpft, und die Beziehung zu jenem beschäftigte Gracchus fortwährend, wenn auch zumeist untergründig. Doch seine Gedankengänge wurden jäh durch das Eintreffen des Sklaven und des Besuchers unterbrochen. Er hob seinen Blick von dem Pergament, welches er die ganze Zeit über in Händen gehalten, durch welches sein Blick jedoch schon seit geraumer Weile nur noch hindurch gegangen war. Der Name des Flavius sagte Gracchus zuerst nichts, doch bei der Erwähnung dessen Vaters dämmerte es ihm langsam und er überlegte, wann dies gewesen war, dass Aristides' Erbe seinen Namen erhalten hatte. Es musste schon recht lange zurückliegen, darum erwartete Gracchus einen jungen Mann, vom Alter her der Tochter Aristides' ähnlich und damit alt genug, um nun in Rom eingeführt zu werden und seine Pflichten aufzunehmen. Der Sklave jedoch brachte nur ein Kind herbei, dessen Alter irgendwo zwischen Sechs und Dreizehn liegen musste. Seit der Zeit, da Aquilius und seine Spielgefährten aus dem Kindesalter entwachsen waren, hatte sich Gracchus nicht mehr mit Kindern beschäftigt, und es fiel ihm schwer, das genaue Alter des Jungen zu schätzen. Dass er jedoch eine Bulla über dem Gewand trug, dies sagte Gracchus zweifelsfrei, dass Serenus zu jung war, ging jedoch gleichermaßen mit der Erkenntnis einher, dass die Zeit manches mal doch nicht ganz so schnell an der Welt vorüberzog, wie es oftmals den Anschein hatte. Gracchus richtete sich auf und legte ein freundliches Lächeln auf seine Lippen.
    "Salve, Serenus. Wie war deine Reise?"
    Er deutete auf eine Kline zu seiner Linken.
    "Nimm Platz. Ich bin Gracchus, der Vetter deines Vaters. Aristides weilt derzeit in Mantua, bei der Legio I. Ich fürchte, es wird eine Weile dauern, bis er wieder nach Rom kommt, seine Pflicht erlaubt es ihm selten, die Stadt zu betreten."
    Unsicher, wie weiter in dieser Sache zu verfahren sein würde, beschränkte sich Gracchus vorerst darauf, die Gastgeberpflichten wahrzunehmen.
    "Bist du hungrig?"
    Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte Gracchus einen Sklaven herbei und trug ihm auf, dafür Sorge zu tragen, dass dem jungen Herrn noch etwas zu Essen bereitet werden würde. Ein anderer Sklave trat sogleich herbei und brachte ein Glas, welches er zu dem vorhandenen auf den kleinen Tisch neben den Liegen stellte, und es mit erwärmtem Wein, dem reichlich Wasser beigemischt war, füllte.

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  • „Salve Onkel Gracchus! Mögen die Götter Dir und diesem Haus stets gewogen sein. Ich danke für die freundliche Aufnahme.“


    Serenus wandte sich an seinen Kampfhund Nero, der Gracchus mit angelegten Ohren fixierte, und zeigte auch Gracchus.
    „Nero! Das ist Onkel Gracchus! Familie! Und jetzt mach Sitz!“


    Dann setzte Serenus sich auf den angebotenen Platz. Der Kampfhund hatte offensichtlich das Schlüsselwort „Familie“ gehört, änderte seine Haltung, wedelte kurz mit dem Schwanz und machte artig Sitz.


    „Die Reise war sehr anstrengend. Wir kamen mit dem Schiff auf halbem Weg in einen furchtbaren Sturm mit insulahohen Wellen. Und dann war die Strasse von Ostia nach Roma mit ganz vielen Plebeiern verstopft, die den Weg für uns nicht freimachten, damit meine Sänfte und der Wagen im schnellen Tempo voran kamen. Vielleicht hätten wir von Ostia mit Soldaten als Vorhut und Begleitung reisen sollen, wie wir es von Baiae aus taten.


    Daß es dauert bis Papa wieder nach Roma kommt ist aber doof. Bis Mantua sind es doch mindestens 250 römische Meilen. Da bin ich in einer Sänfte ja gute 14 Tage unterwegs. Da scheidet ein spontaner Besuch aus. Ich sollte ihm eher einen Brief schreiben, dass ich hier bin und frage ihn, ob ich weiterreisen soll oder er mich hier besuchen kommt. Wenn er so selten in der Stadt ist, dann bekomme ich ihn aber wohl kaum zu sehen, denn Oma meinte, dass ich meinen patrizischen Verpflichtungen und Studien am Besten in Roma nachkommen kann. Und die hätten jetzt absoluten Vorrang, zumal ich aus meiner Zeit in Baiae so viel aufzuholen hätte. Nach dem Weg von Ostia nach Roma verstehe ich zumindest die Aussage von Oma mit „In Roma gibt es Plebeier wie Sand am Meer, die ich studieren kann“.“


    Serenus trank einen Schluck und stellte fest, dass der Wein mit 1 Teil Wein und 25 Teilen Wasser bestens verdünnt war. Dennoch befahl er dem Sklaven ihm einen Becher frischen Fruchtsaft zu bringen.


    „Hunger habe ich wie ein Löwe. Seit dem Frühstück gab es quasi nichts mehr. Und ich würde mich gerne nach dem Essen noch waschen und umziehen, denn die Reisekleidung hat unterwegs arg gelitten. Kann ich dann bis zur Nachricht von Papa erst mal hier wohnen? Alternativ könnte ich in der Villa Cornelia bei meinem besten Freund Cornelius Cicero wohnen. Der ist mit mir nach Roma gekommen, weil sein Vater, Senator Cornelius, möchte, dass er Senator wird. Deshalb soll er als Scriba bei seinem Onkel, der heißt auch Senator Cornelius, werden. Ich finde es aber gut, dass Cicero nur 2 Villen weiter wohnt. Da können wir uns oft besuchen. Er ist auch Patrizier und wir lieben dieselbe Freizeitbeschäftigung."


    Serenus Redefluss wurde erst mal gestoppt als die Sklaven das Essen brachten. Mit gutem Hunger und besten Manieren begann er die Schüsseln und Platten zu leeren, als ob er seit Beginn der Reise in Baiae nichts mehr bekommen hatte.

  • Tief in seinem Unterbewusstsein nahm Gracchus zufrieden zur Kenntnis, dass sich das Kind nicht wie ein Kind benahm, sondern wie ein patrizisches Kind. Serenus schlug in dieser Hinsicht augenscheinlich wohl mehr nach seiner Mutter als seinem Vater, denn über Aristides' Kindheit kursierten die wildesten Geschichten innerhalb der Flavia, und wenn nur ein Bruchteil davon der Wahrheit entsprach, so war er nicht gerade ein Ausbund an Tugend gewesen. Der kleine Spross seiner Lenden jedoch verhielt sich eines Gastes angemessen und strapazierte dahingehend Gracchus' Nerven nur bedingt, hatte jener doch keine Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern und zudem noch weniger Interesse daran. Ebenso wenig Interesse hatte er am Umgang mit Tieren, ausgenommen jenen, die schlussendlich auf dem Opferaltar landeten, daher ignorierte er den Hund des Jungen vorerst völlig, obwohl auch hierauf sein Unterbewusstsein reagierte und ihn an jene Feiertage denken ließ, an welchen den Göttern Hunde geopfert wurden, wie die Robigalia oder Lupercalia. Gracchus legte seine Stirn nachdenklich in Falten, während er der Rede des jungen Flaviers lauschte, welche erst durch das Essen unterbrochen wurde.
    "Natürlich kannst du vorerst hier in der Villa bleiben, bis feststeht, wo dein weiterer Weg dich hinführen wird. Man wird dir ein Zimmer richten, ebenso warmes Wasser bereiten. Doch lass mich den Brief an deinen Vater übernehmen. Ich werde ihn später noch aufsetzen, so dass er baldigst möglich Mantua erreichen wird.
    Wahrscheinlich würde es ohnehin lange genug dauern, bis eine Nachricht von Aristides in Rom eintraf.
    "Du möchtest also Plebeier studieren? Mag dies sicher ein Aspekt Roms sein, welcher Beachtung finden sollte, doch solltest du anderweitige Studien in deinem Alter nicht vernachlässigen. Es gibt in diesem Hause ein großes Bibliothekszimmer, über und über gefüllt mit Schriften, darunter die bekanntesten Epen, auch philosophische Abhandlungen, ebenso wie weniger bekannte Schriften einiger Autoren, deren Qualität nicht minder bestechend ist."
    In seinem Appetit glich der Junge nun doch seinem Vater, leerte sich sein Teller doch verhältnismäßig schnell.
    "Welches sind die Freizeitbeschäftigungen, deren Vorliebe du mit Cornelius teilst?"

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  • Serenus nickte.


    „Gut! Ich wüsste auf Anhieb auch nicht, wo die Sklaven in Baiae meine Schreibuntensilien eingepackt haben. Vermutlich bei der Kiste mit den speziellen Schriftrollen, die mit dem roten X markiert ist. Aber du kannst Papa bei der Gelegenheit im Brief auch von Oma fragen, wieso er ihr schon so lange nicht mehr geschrieben hat. Das hat sie in der letzten Zeit mehrfach moniert.“


    Serenus verfütterte eine lukanische Wurst an den Hund und verputzte dann seinerseits den Fisch und das ganze Gemüse. Er wunderte sich selber wieviel Hunger er heute hatte. Das lag vielleicht an der Luftveränderung.


    „Die Bibliothek hier in der Villa ist bestimmt gut sortiert. Ich gehe morgen mal im Haus auf Erkundung. Aber erst will ich mein Zimmer einrichten und etwas auspacken lassen. Und dann muß ich unter den Sklaven einen Schreiner und einen Schmied auftreiben, der meinen Ziegenrennwagen reparieren kann. Die Radaufhängung macht wieder Probleme.


    Hinsichtlich andersweitiger Studien bin ich ja extra von Oma nach Roma geschickt worden. Ich soll hier immerhin einen Beruf erlernen, der einem Flavier und Patrizier würdig ist. Und es ihm erlaubt zum gegebenen Zeitpunkt das Volk, also die patriziesche Elite und die Masse der Plebeier zu manipulieren und zu steuern, wenn er seine Stimme erhebt. Da Papa ja bereits Legatus im Militär wird und Onkel Senator Felix der beste Freund des Imperators und Senator ist, soll ich oberster Priester werden. Das Wort eines Priesters würden die Massen nicht in Frage stellen, denn aus ihm sprechen die Götter. Meinte zumindest Oma. Und als Patrizier wäre nur Juppiter oder Mercurius als Gott für meine Ausbildung angemessen. Ersterer weil er der höchste Gott ist und Mercurius weil immer gehandelt wird. Und das Streben nach Geld ist eines der elementarsten Triebe der Plebeier. Hier sind sie für Beeinflussungen besonders empfänglich. Im Gegensatz zu uns Flaviern, denn wir haben Geld und sind laut Oma nur 5 Sesterzen ärmer als der Imperator. Also sind wir unermesslich vorstellbar reich.


    Meine Freizeitbeschäftigungen weichen von Omas Vorliebe für ihre Zierfische deutlich ab. Da ich ein Mann bin stehe ich natürlich auf harte Sachen, die echt „kühl“ sind um es mal in den Worten der Plebeier auszudrücken. Vor dir sitzt einer der besten Ziegenrennwagenfahrer von ganz Baiae. Und meine Trefferquote beim Rattenabschiessen mit der Schleuder sind auch beeindruckend und lassen die meisten anderen Patrizier vor Neid blass werden. Das geheimnis beim Schleudern ist nämlich der Geschossstein und der richtige Schwung. Nur Dilletanten wie die Plebeier oder Mädchen setzen auf die Farbe und das Material des Leders der Schleuder.“


    Serenus war mit dem Hauptgang fertig und reckte den Hals um zu sehen, was es zum Nachtisch noch gab.

  • Dass Aristides in der Legion kaum Zeit haben würde, Briefe zu schreiben, dies konnte sich Gracchus durchaus vorstellen. Zudem war er mittlerweile wirklich alt genug, nicht seiner Mutter wöchentlichen Rechenschaftsbericht ablegen zu müssen, doch gegenüber seinem Vetter, welcher in Hinsicht auf seine Mutter ein wenige eigen war, würde Gracchus dies nie zur Sprache bringen. Er würde eine entsprechende Bemerkung in die Nachricht aufnehmen, was Aristides daraus machte, war ohnehin dessen Sache.
    "Füttere den Hund nicht am Tisch."
    Gracchus' Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Daher fügte er die nächsten Worte in etwas gemäßigterem, wenn auch weiter ernsthaftem Ton hinzu.
    "Ein Tier hat nicht am gleichen Tisch zu speisen, wie sein Herr, genauso wenig wie ein Sklave. Das ist eine schlechte Angewohnheit, welche du ihm später nur mit Schlägen austreiben werden kannst. Zudem will ich nicht sehen, dass der Hund alleine in der Villa herumstreunt."
    Gerade noch legte sich Gracchus' Strin in Falten und er öffnete bereits den Mund, um etwas über Ziegenstreitwägen und deren Benutzung im Gebäude und Hof der Villa zu sagen, da blieben ihm die Worte im Hals stecken, als der junge Flavier begann von seinen Zielen zu sprechen. Als wäre dies nicht bereits genug für einen Abend, folgte sogleich im Anhang die Auflistung seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Im Nachhinein wäre es wohl klüger gewesen, nicht danach zu fragen, doch nun war es zu spät für etwaiges Bedauern darüber. Es dauerte ein wenig, bis Gracchus seine Gedanken geordnet und seine Worte zurecht gelegt hatte, dabei kamen die als Nachtisch aufgetragenen Süßspeisen gerade rechtzeitig, um Serenus vorerst zu beschäftigen.
    "Die Masse der Plebeier zu manipulieren ... dies sollte nicht dein Ziel sein, und ich bin mir ganz sicher, dass deine Großmutter weder dieses Wort gebrauchte, noch ihre Worte in diesem Sinne formulierte."
    Sein Tofall ließ keinen Zweifel daran, dass dies keine Frage war, sondern eine Tatsache, und dass selbst wenn Serenus sich an diesen Wortlaut zu erinnern glaubte, er einem Irrtum erlegen war oder seine Großmutter missverstanden hatte.
    "Dein Streben muss dem Wohle des Imperiums und des Staates gelten, ungeachtet deiner persönlichen Wünsche. Du bist ein Flavius, dazu der Erstgeborene des Aristides, und damit ist dein Weg bereits bestimmt, sind deine Pflichten bereits festgelegt. Dein Stand ist es, welcher dir die Erreichung der höchsten Ziele ermöglicht, doch dein Stand allein genügt nicht. Übe dich in den Tugenden, Serenus, und nicht in Hochnäsigkeit gegenüber jenen, denen die Götter ein geringeres Schicksal als das deine zugedacht haben. Die Tugenden müssen den Keim deines Strebens bilden und das Wohl des Imperiums muss dir als Ziel genügen."
    Tief im Inneren wurde sich Gracchus dessen bewusst, dass er sich anhörte wie sein eigener Vater, welchen er für eben solche Worte so oft verflucht hatte, und dass er im Begriff war, Serenus in genau jenes Verderben zu schicken, in welches er selbst hineingezwängt worden war. Doch es halft nichts, Serenus war, wer er war, und ebenso, wie Gracchus nie eine Wahl gehabt hatte, würde auch er keine Wahl haben, und sich früher oder später damit abfinden müssen.
    "Nichtsdestotrotz ist der Weg in die priesterlichen Ämter sicher nicht ungeeignet. Ich werde deinem Vater vorschlagen, dass du hier in Rom in eben jene Laufbahn eingeführt werden kannst. Aquilius verrichtet seinen hauptsächlichen Dienst im Tempel des Mars Ultor, Lucullus im Tempel des Quirinus auf dem Quirinal, und ich selbst im Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitolshügel. Wo sonst könnte ein junger Flavius besser lernen, als in den Tempeln der alten göttlichen Trias?"
    Zum Dienst im Kult des Mercurius äußerte sich Gracchus vorerst nicht weiter. Handel war nichts, mit dem sich ein Patrizier befassen sollte, nichteinmal in Form des Gottesdienstes. Mercurius hatte darüberhinaus glücklicherweise noch genügend andere, angemessenere Aspekte, welchen zu gedenken war. Auch zum Reichtum der Flavia sagte Gracchus nichts weiter, obwohl er, mit der Verwaltung des Familienvermögens betraut, einen äußerst guten Einblick in diese Dinge hatte. Beinahe hätte er überdies auch die abstrusen Freizeitvergnügen seines Neffen vergessen, beinahe jedoch nur.
    "Ziegenrennwagenfahrer ... Rattenabschießen ... ah ja ... "
    Dies brachte ihn zurück zu dem Ziegenstreitwagen.
    "Ich wäre dir äußerst verbunden, wenn der Wagen nur dort fahren wird, wo er hingehört: auf der Straße. Doch bedenke, dass das Fahren mit einem Wagen in den Straßen Roms bei Tage verboten ist, und dass du Nachts nichts in den Straßen Roms verloren hast. Weiters und überdies hinaus sollte auch ansonsten in dieser Villa Ruhe herrschen. Deine Onkel haben wichtige Aufgaben zu erfüllen und diese bedürfen hoher Konzentration, welche nicht in einem Haus aufgebracht werden kann, in welchem Ruhe nicht gegeben ist. Haben wir uns verstanden?"

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  • Onkel Gracchus schien schon einmal eine staubige Mumie zu sein, was das Thema „Spaß haben“ anging. Bestimmt gehörte er auch zu diesen Zierfischzüchtern unter den Patriziern. Die Zustände hier waren ja schlimmer als in Baiae. Kein Wunder, dass Oma dort wohnte. Durch die Äußerungen von Onkel Gracchus wurde der von Aristides vererbte Rebell im kindlichen verhalten geweckt.


    „Das Tier ist mein Leibwächter und vermutlich schlauer als die meisten Sklaven hier im Haus. Er ist treu, widerspricht nicht, ist unbestechlich und eine Kampfmaschine, die mich gegen jeden verteidigen wird. Zur Not auch gegen Familienmitglieder, wenn ich es sage. Insbesondere da ich ja keinen Leibsklaven habe, der das übernehmen kann. Ich habe ihn selbst abgerichtet. Er hat keine schlechten Angewohnheiten. Als mein Leibwächter geht er normalerweise dorthin wo ich bin und wird daher auch nicht im Haus herum streunen. Und der Stammbaum meines Hundes kann es mit der Ahnenreihe mancher Gens aufnehmen. Zumindest was die Länge betrifft, denn Oma hat schon immer Wert auf bestes Blut und Qualität gelegt. Wir beide sitzen also quasi mit einem Patrizier unter den Hunden am Tisch. Nero streunert nicht!


    Was das Thema Manipulation betrifft, so habe ich Oma zumindest so verstanden. Da vielen Worte wie steuern und beeinflussen. Das liegt doch alles nah beieinander.“


    Serenus überlegte kurz, während er weiter den Nachtisch auswählte. Ja, aus Sicht eines 9-Jährigen war das doch alles dasselbe. Er blickte Onkel Gracchus an.


    „Du sagst mein Stand ermöglichst die höchsten Ziele und ich bin Patrizier. Heißt das ist werde eines Tages Imperator anstelle des Imperators sein, wenn unser geschätzter Imperator Ulpius irgendwann stirbt, keinen Erben hat und kein anderer aus der Gens Flavia Imperator werden will? Oma deutete ab und an leise an, dass es wieder an der Zeit wäre, dass unsere Gens mal wieder einen Imperator stellt. Insbesondere wenn wir in der Ahnengalerie bei unserem Ahnen, den wir namentlich nicht erwähnen dürfen, ankamen. Du weißt schon, der verhüllte Imperator. Sie wird dann immer sehr sentimental.“


    Serenus genoss den Nachtisch und überdachte kurz das Thema Hochnäsigkeit. Oma hatte immer betont, dass die Flavier die Elite unter den Patriziern wären. Andererseits hatte er gehört, dass Onkel Gracchus mit einer Patrizierin der Gens Claudia verheiratet war. Sicher wollte er nichts über die neue Tante von Serenus kommen lassen, die seltsamerweise nicht den Namen Flavius angenommen hatte. Sehr verwirrend das Ganze. Das forderte einen Nachschlag beim Nachtisch.


    Er nickte als Onkel Gracchus die priesterliche Laufbahn ansprach. Wieder etwas um das er sich nicht kümmern musste, weil seine Onkels zusammen mit Papa alles regelten. Die würden schon wissen was er werden sollte. Und wenn es nicht richtig lief, dann würde er Oma einen bitterbösen Brief schreiben und die würde dann mit Onkel Senator Felix, den restlichen Onkels und Papa schimpfen. Und dann lief garantiert alles.


    Er lauschte genau den Worten von Onkel Gracchus als dieser vom Wagen sprach.


    „Ich dachte auch weniger an das Fahren auf der Strasse. Auf der Strasse fahren nur die „Plebs“. Ich bin ein Profi, kein Amateur. Wir Patrizier fahren auf den Gartenwegen oder über den Rasen. Der Garten der Villa soll riesengroß sein. Da kann ich gut fahren. Außerdem werden wir die Trainingsrennen ohnehin abwechselnd hier und bei der Villa Cornelia machen müssen. Es ist nicht gut, wenn man sich zu sehr auf den Heimvorteil verlässt. Außerdem brauche ich nach dem letzten Unfall noch ein neues Rad und auch eine neue Radaufhängung. Vor allem müssten wir aber auf dem Viehmarkt eine neue Rennziege kaufen. Geld habe ich. Wann kann ich denn mal auf den Viehmarkt?


    Und wann darf es hier im Haus mal laut sein? Immerhin ist das eine Villa, wo Leute leben und kein Mausoleum. Welche Onkels sind denn eigentlich noch da? Und dann habe ich doch noch eine Tante Agrippina, die eine Vestalin ist. Können wir die mal besuchen gehen oder darf die uns auch zu Hause besuchen?"


    Serenus lehnte sich satt zurück. Also der Nachtisch war sehr gut gewesen.

  • Mochte der junge Serenus ein Rebell sein, er blieb ein Patrizier, ebenso wie Gracchus, welcher ob dieser Tatsachen nicht gewillt war den Widerspruch des Kindes zu dulden. Doch ebenso gab es nur wenig, was Gracchus' geduldiges und zumeist milde gestimmtes Gemüt erhitzen konnte, weshalb keine Zurechtweisung erfolgte, sondern eine Erklärung.
    "Es ist und bleibt ein Tier, Serenus. Sieh dir Sciurus an."
    Mit einer unbestimmten Geste wies Gracchus auf den blonden Sklaven, welcher allzeit um ihn herum war, wie ein Schatten seiner selbst, und immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte.
    "Er ist mein Leibsklave, er ist mein Custos Corporis und Scriba personalis. Er folgt mir, wohin ich gehe, hat Vorrechte, welche nur wenige Sklaven in diesem Haus genießen, und sicherlich ein besseres Leben, als so mancher Plebeier draußen in der Stadt. Er ist äußerst schicklich, sich seines Standes bewusst und von untadeliger Herkunft. Um bei deinem Vergleich zu bleiben, Sciurus ist ein Patrizier unter den Sklaven. Dennoch, er ist ein Sklave und er bleibt ein Sklave, selbst dann noch, wenn Fortuna ihm eines Tages die Freiheit in die Hände spielen sollte, denn wen sie einmal in Besitz verwandelt hat, dem ist es für immer unmöglich, seine Würde zurückzuerlangen. Gleichermaßen verhält es sich mit allen Ständen und auch mit den Tieren, ein jeder ist, was die Götter ihm zugedacht haben, und dies bleibt er. Dein Hund bleibt ein Hund, wie mein Sklave ein Sklave bleibt, und weder Sklave noch Hund haben gemeinsam mit den Herren etwas am Tisch zu suchen."
    Auf die Worte des Jungen über die kaiserlichen Flavia hin kräuselten sich Gracchus' Lippen zu einem feinen Lächeln, welches er hinter der Hand verbarg, mit welcher er sich auf die Kline stützte. Es war in den eigenen vier Wänden nicht ungewöhnlich, dass Flavia über ihre Herkunft und Zukunft hinsichtlich der kaiserlichen Linien sprachen, doch dass bereits Serenus sich mit solcherlei Gedanken befasste, dies amüsierte ihn.
    "Wer weiß, vielleicht wirst du eines Tages Imperator. Zwar hat der hochgeschätzte Caesar Valerianus bereits einen Sohn, doch es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein Kaiser seinen Nachfolger an Kindest statt annimmt."
    Davon abgesehen, dass die Herrschaft des Caesar längst nicht gesichert war, solange der Imperator noch lebte. Aus politischem Kalkül heraus, oder aber auch nur einer Laune nachgebend, konnte jener jederzeit einen anderen Mann zu seinem Nachfolger bestimmen.
    "Benimm dich schicklich, vor allem in Gegenwart der kaiserlichen Familie, widme dein Streben den Tugenden und dem Imperium, und setze dich darüber hinaus nicht mit Tieren und Sklaven an einen Tisch, vielleicht wist du dann eines Tages den Namen Flavius zurück in den Palatium Augusti tragen."
    Einen Moment überlegte Gracchus zu erwähnen, dass dies ganz sicher auch nicht geschehen würde, solange Serenus mit seinem Rennwagen den Rasen der Villa Flavia maltretieren würde, doch er war sich nur allzu bewusst, zu was junge Knaben getrieben wurden, denen das Spiel in der heimischen Villa verwehrt blieb. Mit einem erregenden Kribbeln, gleichermaßen jedoch auch mit einem gewissen Schauder erinnerte er sich daran, in welchen Gegenden sich Aquilius und er selbst herumgetrieben hatten, um sich ihrer jugendlichen Energien zu entledigen. Eingedenk mancher dieser Erinnerungen grenzte es beinahe an ein Wunder, dass sie beide noch am Leben, und dass tatsächlich tugendhafte Bürger aus ihnen geworden waren.
    "Was auch immer du mit deinem Wagen befährst, es sei dir auf jeden Fall angeraten, einen großen, um nicht zu sagen sehr großen Bogen um die Rosensträuche deines Onkel Felix zu machen, denn dieser wäre sicherlich äußerst ungehalten, wenn an jenen auch nur das geringste abgeknickte Blatt zu entdecken ist. Ein geeigneter Zeitpunkt für den Markt wird sich sicherlich finden, vorerst sollten wir jedoch die Nachricht deines Vaters abwarten."
    Die Frage nach dem Zeitpunkt für Unruhe im Haus brachte Gracchus in ernsthafte Bedrängnis. Andererseits hielt er sich selbst ohnehin während des Tages nicht sonderlich oft in der Villa auf. Die übrigen Bewohner würden ihre eigenen Vereinbarungen mit Serenus treffen müssen.
    "Da du die Vormittage ohnehin für deine Studien aufwenden solltest, werden dir die Nachmittage für gemäßigte Unruhe bleiben. Du wirst zudem schon herausfinden, wann die meisten Flavia außer Haus und damit die beste Zeit dafür ist. Neben deiner Schwester und deinen beiden Vettern Furianus und Milo, befinden sich dein Onkel Aquilius aus dem Zweig des Atticus und Lucullus, mein Bruder, in der Villa. Zudem meine Frau, Antonia. Deine Tante Agrippina, die Virgo Vestalis Maxima, wird uns sicherlich mit Freude empfangen, wenn es dir ein Anliegen ist, sie zu besuchen. Es ist die Pflicht der vestalischen Jungfrauen das heilige Herdfeuer zu hüten, wie du sicherlich weißt, darum verlassen sie das Atrium Vestae nur selten."

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  • Im Schatten der aufkommenden Dunkelheit verborgen saß Sciurus ein Stück hinter seinem Herrn, nahm jedes der gesprochenen Worte in sich auf und wachte mit seinen Blicken darüber, dass die Sklaven ihre Pflicht ordnungsgemäß erfüllten. Seit das Kind eingetroffen war beäugte er zudem misstrauisch den Hund. Es lag in der Natur seiner Gattung, dass er das Tier instinktiv zu seinen Feinden zählte, obwohl weniger Furcht in ihm aufkam, denn eine gewaltige Abneigung.


    Als sein Name fiel, lag Sciurus' Aufmerksamkeit augenblicklich wieder auf Gracchus. Doch der Herr hatte keinen Wunsch, sondern zog seine Person nur zu einem äußerst merkwürdigen Vergleich heran. Im einen Moment hob er die Stellung des Sklaven als 'Patrizier unter den Sklaven' heraus, im anderen verglich er ihn mit dem schäbigen Straßenköter. Immerhin bestand er darauf, dass das Tier nicht in der Villa herumstreunerte, und möglicherweise konnte ihn Sciurus im Laufe der Nacht davon überzeugen, dass es angemessener wäre, wenn das Vieh erst gar nicht weiter in die Innenräume des Hauses hinein gelangte.

  • Das mit dem Vergleich Sklave und Hund leuchte Serenus halbwegs ein. So stand er auf, schnipste mit dem Finger und ging mit dem Kampfhund zu dem Stuhl des Sklaven, wo der Sklave Sciurus vorher gestanden hatte.


    „Nero! Du darfst nicht mehr mit am Tisch sitzen. Mach hier artig Platz.“


    Der Hund folgte dem Befehl, machte Platz und legte den Kopf auf die Pfoten. Ließ dabei aber Serenus nicht aus den Augen, der wieder auf der Kline Platz nahm.


    „Hoffentlich nimmt der Kaiser mich erst mal nicht als Nachfolger an. Da hat man bestimmt ganz viele Pflichten und kommt gar nicht mehr zum Spielen. Später, mal sehen … Und natürlich werde ich mich in Gegenwart des Imperators gut benehmen. Zumal ich den auf den ersten Blick erkennen werde. Der Imperator ist laut Omas Beschreibung 2 Meter groß, hat breite Schultern und Muskeln wie Hercules in der griechischen Sagenwelt und sieht so gut aus, dass alle Frauen ständig in Ohnmacht fallen. Und Senator Onkel Felix ist sein bester Freund, der ihn ständig begleitet. Zusammen mit mindestens 100 Praetorianern. So jemand kann man ja nicht verwechseln, wenn er uns in der Villa Flavia besuchen kommt.“


    Serenus hatte vom Imperator eine Vorstellung, welche sich in den vielen Geschichten vor dem Schlafen gehen im Lauf der Jahre gebildet hatte. Und ansonsten kannte er vom Imperator ja nur dessen Gesicht von Büsten. Zwar waren die Sklavinnen beim Anblick von der Büste auf dem Schreibtisch in Serenus Kinderzimmer in Baiae nie in Ohnmacht gefallen, aber schließlich waren das ja auch nur Sklavinnen gewesen. Keine Frauen.


    Die Aussage mit dem Kauf einer neuen Rennziege auf dem Markt nahm er freudestrahlend entgegen. Und hoffentlich gab es im Garten der Villa nicht nur Rosensträucher. In Baiae hatte Oma zahlreiche Zierfischteiche gehabt. Das war an einigen Stellen ein schwerer Parcour gewesen und er war mit seinem Wagen mehr als einmal im Teich gelandet. Die anderen Rennteilnehmer natürlich auch.


    Es waren erfreulicherweise viele Familienmitglieder da. Es würde also nie langweilig werden. Und Tante Agrippina würde man dann halt besuchen gehen, wenn ihre Aufgaben ihr wenig Zeit ließen. Aber zuerst würde er die anderen Familienmitglieder mal kennen lernen.


    „Und wann geht mein Unterricht los? Warten wir auf die Antwort von Papa? Dann könnte ich mir die nächsten Tage die Stadt anschauen. Mit ortskundigem Führer, Leibwächtern und einer kleinen Sänfte natürlich.“


    Serenus gähnte. So langsam merkte er die Müdigkeit und die anstrengende Reise.

  • Zufriedenheit legte sich über Gracchus' Gesicht, als der Junge seinen Hund fort führte, und er griff nach dem vor ihm stehenden Becher und trank einen Schluck Wein, bis sich Serenus wieder auf seine Kline gelegt hatte. Die Beschreibung des Imperators mochte aus der Sicht eines Kindes beinahe zutreffen. Welche Vorstellung hatte ein Kind schon von Größe, Breite und Muskelaufbau, als die, dass alles, was seinen eigenen Körper übertraf groß, breit und muskulös war?
    "Die Frauen fallen in Ohnmacht beim Anblick des Imperators, und die Männer erblassen vor Neid. Ja, ich kenne diese Geschichten, vorwiegend stammen sie von besiegten Völkern, welche ihre Niederlage nur dadurch erklären können, dass sie von einem Heer unter dem Banner eines übermächtigen Halbgottes besiegt wurden. Von Spartacus behauptete man ebenfalls lange Zeit, dass er ein Hühne von Mann sei, solange zumindest, bis er schließlich in der Schlacht am Silarius durch Crassus vernichtet wurde. Die Feinde Roms, welche ihre Truppen gegen uns anstacheln müssen dagegen behaupten, unser Imperator wäre nur ein alter, schmächtiger Greis, gelenkt von den Sentoren, ebenfalls alte, schmächtige Greise ohne Sinn und Verstand. Du siehst also, Gerüchte und Geschichten hängen nicht selten von der Perspektive des Betrachters ab. Ich versicher dir, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, wenn auch näher am Bild eines Hercules. Er ist ein alter Mann, doch weit von dem entfernt, was man als Greis bezeichnen würde. Seine Größe ist nicht außergewöhnlich, doch sein Körper ist für einen Mann seines Alters tatsächlich in äußerst guter Form. Seine Erscheinung, abgerundet durch seinen außergewöhnlich guten Geschmack - oder den seines Cubicularius - ist wahrlich dazu geschaffen, bei einem öffentlichen Auftritt alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und dies ist nur gut so, immerhin sollte dies einem Kaiser zustehen. Die Praetorianer um ihn halten sich bedeckt, meist fallen sie kaum auf, obwohl sie immer und überall sind, wo auch er ist. Doch sie bedürfen keiner übermäßigen Zahlen, ein einziger Praetorianer reicht aus, wo der einfache Mann fünf Leibwächter benötigt. Die Schwarzröcke genießen eine vorzügliche Ausbildung und unterliegen strengen Pflichten, und es ist nicht mit ihnen zu spaßen, vor allen dann nicht, wenn sie hier in die Villa kommen."
    Dass Gracchus weniger von einem Besuch des Imperators in Begleitung der Garde sprach, denn von ihren mannigfaltigen Ermittlungen in diesem Hause, verschwieg er. Er lehnte sich auf das Kissen zurück, welches seinen Rücken stützte, und seufzte leise.
    "Die Flavia sind längst nicht mehr so bedeutend, wie sie es sein könnten, Serenus. Dein Onkel Felix verbringt viel Zeit auf seinen Landgütern, und auch wenn der Kaiser seinen Rat noch immer schätzt, die Distanz zu unserem Geschlecht zeigt sich immer wieder."
    Sinnierend blickte Gracchus in den Himmel hinauf, an welchem bereits Sterne funkelten. Eher abwesend beantwortete er Serenus' Fragen.
    "Wir werden sehen, was die Antwort deines Vaters bringt. Ich habe in den nächsten Tagen ein großes Opfer vorzubereiten, dabei kann ich dich ohnehin kaum gebrauchen. Doch danach kannst du mich begleiten, wenn du möchtest. Für heute solltest du dich besser in dein Bett begeben, denn um die schöne Roma mit allen Sinnen erkunden zu können, musst du ausgeschlafen sein."
    Mit keinem Gedanken dachte Gracchus darüber nach, ob es angemessen wäre, den Jungen allein mit einigen Sklaven auf Rom los zu lassen. Er war es gewöhnt, dass die Bewohner der Villa für sich selbst Sorge trugen und es kam ihm nicht in den Sinn, dass dies bei Serenus aufgrund dessen Alters anders sein mochte.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Serenus hatte es sich auf der Kline bequem gemacht und mehrfach herzhaft gegähnt. Die letzten Worte von Gracchus hatte er nur noch aus weiter Ferne gehört. Die Reise und Aufregungen forderten seinen Tribut, die Augen fielen ihm zu und er schlief ein ... während Gracchus weiter redete.

  • Mit seiner Aufmerksamkeit an den leuchtenden Punkten oben am dunklen Himmel hängend fuhr Gracchus weiter fort.
    "Es wird dir gefallen. Warst du schon einmal längere Zeit in Rom, Serenus? Nun, Rom ist nicht wie Baiae, auch nicht wie Misenum, es ist ... groß. Unglaublich groß. Nicht nur, was seine Ausdehnung anbelangt, auch in Hinsicht auf seine Dimensionen. Die Foren, die Märkte, die Thermen, die Tempel, alles ist größer als sonst irgendwo im Imperium. Dazu ist es voller Leben, kaum eine Straße, kaum ein Platz ist nicht vollgestopft mit lärmenden und lamentierenden Menschen, die selten weiter voraus denken, als bis zur einbrechenden Nacht. Vielleicht hast du doch Recht, Serenus, diese Menschen sind so leicht manipulierbar, sie folgen wie Schafe der Stimme, welche sie für die ihres Schäfers ... "
    Gracchus stockte. Diese Analogie hatte er vor langer Zeit einmal gehört, doch in anderem Zusammenhang. Er dachte an Schafe, welche zur Schlachtbank geführt wurden, und schauderte. Sein Blick wandte sich von den Sternen ab.
    "Wie dem auch sei, Serenus, ich möchte ... Serenus?"
    Sich aufrichtend musterte Gracchus den Jungen aus zusammengekniffenen Augen und Erstaunen zeigte sich darin.
    "Er ist eingeschlafen ... Bringt ihn in eines der Cubicula."
    Mit einem Wink beorderte er einen der Sklaven herbei, welcher Serenus aufnahm, und in ein Zimmer trug. Sofort hängte sich der Hund an seine Fersen, nicht ohne dass ihm Sciurus misstrauischer Blick folgte. Gracchus nahm seine Pergamentrolle noch einmal auf und vertiefte sich noch eine Weile in die Schrift, bevor auch er sich in sein Cubiculum zurück zog.

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