[MARE INTERNUM] Wenn Lucilla eine Reise tut ...

  • Auf der Straße von Cabillonum her, die dem Verlauf des Flusses Arar folgt, rumpelt der kleine Reisewagen durch das Stadttor von Lugdunum. In der Stadt selbst verabschiedet sich Lucilla herzlich von Clodia, mit der sie sogar Einladungen ausgetauscht hat. Avarus und Lucilla wären jederzeit in Lugdunum willkommen, wie auch Clodia und Clodius in Rom eine Unterkunft erhalten würden, auch wenn sich Lucilla von Clodius Poplicola eher reserviert verabschiedet.


    Eine Übernachtung in der Stadt folgt, für den nächsten Tag findet sich schnell eine kleine Reisegesellschaft nach Massilia, erneut auf einem Transportschiff, welches sich auf der Strömung des Rhodanus bis zum Mare Internum tragen lässt und von dort aus das kurze Stück an der Küste entlang bis in den großen Handelshafen schippert. Das Wetter ist günstig für die Reise, die Sonne schafft es immer wieder, die Wolken mit ihren Strahlen zu durchbrechen und die winterliche Landschaft einzuhüllen. Die Reisegesellschaft ist recht angenehm und obwohl der Rhodanus ebenfalls ein herrlicher Fluss ist, zieht er Lucilla nicht so sehr in den Bann wie der Rhenus. Sie unterhält sich viel mit einer Dame aus Rom, Gavia Minor, welche schon für Massilia ihre Mitfahrt auf einem kleinen Handelsschiff nach Rom organisiert hat und die sich sicher ist, dass für Lucilla und ihr Gepäck an Bord ebenfalls Platz ist.


    In der Hafenstadt überlässt es Lucilla Hermes die Verhandlungen mit dem Kapitän zu führen, während sie sich selbst mit Hector, Ambrosius und zwei weiteren Sklaven in der Stadt umsieht und zu einigen kleinen Einkäufen hinreißen lässt. Die Nacht verbringt Lucilla noch einmal in einer Herberge des Cursus Publicus, am nächsten Morgen trifft sie im Hafen auf Gavia. Das Gepäck der Damen ist längst verladen und der Kapitän drängt zur Eile, so dass man mit den günstigen Winden des Morgens auslaufen kann.


    Während das Schiff ablegt, den sicheren Hafen verlässt und sich hinaus aufs Meer wagt, steht Lucilla neben Gavia und blickt auf die dem Land gegenüberliegende endlose Weite. Wenn die Winde weiterhin günstig sind, wären sie in zwei Tagen in Ostia.

  • Der nächste Tag brachte keine solche schöne Wintersonne über das sonst strahlend blaue Mittelmeer. Ein trüber Milchdunst hing über dem Meer, ein Nebel hüllte die See und alle darauf ein, die Neptuns Reich betreten hatten. Wie ein feiner Schleier legte er sich um das Handelsschiff. Auch jedes Geräusch schien die feuchte Nebeldecke verschlucken zu wollen. Immer wieder rauschten die Wellen gegen den Bug des Schiffes, hoben es sanft hoch und ließen es wieder in das Meer hineingleiten, stetig. Die Segel waren leicht gebläht und immer wieder tauchten die Ruder des Schiffes in das Wasser hinein. Niemand vermochte weiter als einige Dutzend Fuß in den Nebel hineinzuspähen, doch zügig arbeitete sich das Schiff weiter. Ein kleiner Junge, der Sohn eines gallischen Händlers, stand am Bug. In seinen Händen hielt er ein kleines knöchernes Pferd in der Hand. Seine Hosen plusterten sich bei dem Wind auf, die Wassertropfen perlten in seinen Haaren und seine Wangen waren rot vom kühlen Morgen gefärbt. Und er lachte vergnügt, jedes Mal wenn sich das Schiff hob und mit einer gleitenden Bewegung wieder zurück fiel. Munter spähte der Junge an den Horizont.
    Da, da blitzte etwas auf. „Papa! Da ist ein anderes Schiff, Papa!“ rief der Junge zurück. Sein Vater, mit seiner Seekrankheit kämpfend und am Speiloch stehend, ignorierte den Jungen. Auch die anderen Seeleute nahmen den kleinen Jungen nicht für voll, ein Fehler, wie sich noch herausstellen sollte.
    Denn das andere Schiff war nicht nur eine Illusion des Nebels, ein kleiner Kinderstreich, es war die Harpyia, ein Piratenschiff. Auf der Triere stand auch Quintus Tullius ganz vorne, ein diabolisches Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Das Schiff verfolgten sie schon seit gestern Nachmittag, die Harpyia umschlich ihre Beute wie eine Löwin die Gnuherde.
    Und der Nebel kam Tullius gerade recht, langsam und fast völlig lautlos ruderten die Piraten immer näher. Einige Männer standen hinter ihm bereit, die Messer und Säbel gezückt, die Gladii bereit und voll des Tatendranges, der Lust zu Morden. In wenigen Tagen waren die Saturnalien und die Meisten sehnten sich nach einer zünftigen Feier.
    „Langsam, ruhig, Männer!“
    Tullius flüsterte die Worte, doch die Männer nahmen es auf und es bereitete sich wie stille Post über das Schiff aus. Das Schiff näherte sich noch langsamer, die Ruder versanken fast zärtlich streichelnd in den Wellen. Tullius hob seine rechte Hand, die Ballistra auf dem Heck sollte sich bereit machen. Tullius war im höchsten Maße stolz auf jene Waffe, die sie erst vor einigen Tagen auf dem Heck festgeschraubt hatten. Er wusste zwar im Moment noch nicht, ob er jene auch hier einsetzen wollte, der Rückstoß war doch immer enorm, aber es reizte ihn bis zu seinen Fingerspitzen.
    Da, wieder hatte er das Schiff, die Beute kurz gesichtet. Gierig fuhr er sich mit der Zunge über seine salzigen Lippen. Doch in dem Moment drehte sich einer der Seeleute des Handelsschiffes um und erblickte für einen ganz vagen Augenblick das Piratenschiff. „A...a...ala...alarm! Alarm!“
    Tullius fluchte leise.
    “Auf geht’s! Rammt es! Los, Männer!“
    Die Piraten tauchten wie eine geisterhafte Erscheinung aus dem Nebel auf. Die Ruder tauchten tief ins Wasser und der Rammsporn sauste schnell auf die Seite des Schiffes zu.

  • "Alarm! Piraten! Alarm! Bei allen Göttern, volle Kraft voraus, auf die Küste zu! Peitscht die Sklaven an! Beeilung!"


    Plötzliche Hektik erfasst das Schiff, welche Lucilla erst nicht nachvollziehen kann. Sie schaut fragend zu Gavia, der schon alle Farbe aus dem Gesicht gewichen ist. Schon viele Male hat Lucilla das Mare Internum überquert, und obwohl sie natürlich um die Gefahren weiß, so hat sie noch nichteinmal ein Piratenschiff aus der Ferne gesehen. Gavia Minor stürzt fluchtartig davon, noch bevor Lucilla etwas sagen kann, und sie so steht sie ein wenig planlos, während um sie herum Seeleute und Passagiere wie aufgescheuchte Hühner über Deck rennen. Ein Seemann entdeckt Lucilla, packt sie wüst am Arm und zieht sie hinter sich her, bis unter Deck. Sie erinnert sich daran, dass er ihr schon den ganzen Morgen freundlich zugelächelt und immer wieder ein paar nette Worte über das schlechte Wetter gefunden hat. Doch nun schubst er sie rabiat in eine der kleinen Kajüten. "Versteck dich, schnell!"


    Lucilla will protestieren, was ihm einfällt, sie mit seinen dreckigen Fingern über das halbe Schiff zu schleifen, und dass sie gar nicht daran denkt, sich zu verstecken, doch der Blick des Mannes lässt ihr das Blut in den Adern gefrieren und jedes Wort in ihrer Kehle stecken bleiben. Plötzlich muss sie an die Geschichten denken, über reiche Senatoren, deren aufgedunsene Leichen an irgendwelchen Stränden angespült werden, und über wohlhabende Römerinnen, welche auf Märkten weit im Osten von den Piraten als Sklavinnen an die Barbarenvölker verkauft werden.


    "Komm erst wieder raus, wenn alles ruhig ist!" Der Mann zieht die Tür zu und Lucilla überkommt langsam die angemessene Panik. Eilig schiebt sie den Riegel vor die Tür, ohne zu bedenken, dass dies von Außen ein sicheres Zeichen dafür wäre, dass sich jemand in der Kammer befindet. Ängstlich lässt sie ihren Blick durch den Raum gleiten, der nur noch spärlich durch das Licht erleuchtet wird, welches durch ein winziges Fenster in der Außenwand des Schiffes hereinfällt. Ihre Augen sind auf der Suche nach irgendeiner Waffe. Jede römische Frau sollte immer eine Messer bei sich haben. Würde Lucilla dies hier überleben, so würde sie sich dafür einsetzen.


    Auf einem kleinen Tisch an der Wand liegen die Reste des Fühstücks. Eine Schüssel aus Holz und ein Löffel aus Metall. "Besser als nichts." Lucilla nimmt beides an sich, schnappt dann die Decke, die für die Nacht bereit liegt und horcht einen Moment in den Raum. Über ihr klappern Schuhe auf den Planken, Gebrüll und Geschrei von Männern ist zu Hören, einige Schreie von Frauen. Lucilla steht unsicher in der Dunkelheit und lauscht, immer wieder dringt das Wort 'Piraten' zu ihr.


    "Du bist eine Decima." flüstert sie leise. "Deine Vorfahren haben schon ganz andere Dinge überstanden." Sie kauert sich in die Ecke des Raumes und wirft die Decke über sich, so dass nur noch ihr Kopf hervor schaut. Würde irgendwer versuchen die Tür zu öffnen, so würde sie sich die Decke über den Kopf ziehen, in der Hoffnung, dass man sie übersehen würde. Gleichzeitig hält sie zitternd unter der Decke den Holznapf in der Linken und den Löffel kampfbereit in der Rechten. Schild und Schwert für einen letzten, verzweifelten Kampf. Doch Lucilla ist eine Decima - sie würde dem Feind das Herz auslöffeln, wenn es sein muss. Zumindest, wenn ihr der Löffel vor lauter Gezitter nicht vorher aus den Händen, sie nicht vorher in Ohnmacht fallen oder einfach vor lauter Angst sterben würde. Tertia! Sie würde Tertia wiedersehen, fährt es ihr mit einem mal durch den Sinn.


    Bemüht, keinen Laut von sich zu geben, harrt Lucilla im Halbschatten der Kajüte aus, sicher, dass ihr Atem sogar den Lärm übertönt, der noch immer über ihr tobt.

  • Mit einem lauten Krachen rammte der Sporn tief in das Schiff hinein. Holz barst, das Wasser strudelte in den Bauch des Schiffes hinein, doch noch langsam genug, damit es nicht gleich versank. Tullius hielt sich an einem Tau fest als der Ruck durch die Harpyia ging, Tullius brauchte kein Wort zu verlieren, seine Männer wussten um jeden Handgriff Bescheid. Die Enterplanken sausten herunter, die dornigen Enden bohrten sich in das Holz hinein und wieder war Tullius der Erste, der auf einer der Planken sprang. Für einen Moment stand er oben, hielt den Säbel in seiner Hand und sah mit amüsierter Genugtuung auf das bunte Treiben, die panische Flucht der Menschen herab. Sein Herz schlug höher, der Drang das Leben auf dem Deck auszulöschen stieg wie die Lava aus einem Vulkan hervor. Federleicht sprang er auf das fremde Deck, balancierte das Schaukeln der Wellen aus und schlug mit seinem Säbel dem ersten Mann, es war der Gallier und Vater des kleinen Jungen, mit dem Säbel über seinen breiten Wams, mit einem erschrockenen Schrei, der Mann hatte sich auch gegen die Piraten mutig, aber in einem törichten Verteidigungsversuch stellen wollen, sank er zu Boden. Tullius war schon an ihm vorbei, die Piraten folgten ihm auf das Handelsschiff.
    „Vorwärts! Tötet sie, tötet sie alle!“
    Tullius Stimme, sein Aufruf zum Gemetzel durchdrang das Schiff, bis tief in den Bauch hinein. Gewandt sprang Tullius auf einige Ballen hinauf. Die Piraten breiteten sich wie ein Schwarm bösartiger Insekten über das Schiff auf. Die Seeleute, die sich gegen sie wehren wollten, wurden gnadenlos neidergemetzelt.
    Ein dunkelhäutiger Mann schlich mit einer Keule unterhalb von Tullius entlang, bemerkte diesen auf den Stoffballen nicht. Tullius verfolgte dessen Weg, der auf einen Piraten zuführte. Lächelnd wartete Tullius einen Moment, dann schnellte er herunter und landete, sich abfedernd, hinter dem Schwarzen. Ehe dieser sich umdrehen konnte, stieß er seinen Säbel in den Rücken des Mannes. Blut floss langsam am Säbel entlang und tropfte auf Tullius Handrücken, die Keule fiel polternd auf die Holzplanken und dann folgte der Schwarze seiner Waffe. Schon stürmte Tullius weiter, es war jedoch ein ungleicher Kampf. Schreie mischten sich mit dem Röcheln der Sterbenden, den Hilferufen, dem Flehen um Gnade. All das blieb im Dunst des Nebels ungehört. Das Blut der Getöteten breitete sich wie ein kleiner See auf dem Deck und in den Ritzen der Planken aus, tropfte tiefer und in den Bauch des Schiffes. Ein einzelner roter Tropfen traf eine junge Decima, die sich gerade unter einer Decke versteckte. Warm und feucht zugleich war das Blut, bedrohlich und schaurig.
    Die Schreie erstarben auf dem Deck, von irgendwo in der Tiefe des Schiffes war ein leises Schluchzen zu hören, dann Schritte. Tullius stand am Eingang zu den Treppen nach unten. Er hatte genau gesehen, dass noch einige ins Schiffsinnere geflohen waren. Ein fröhliches Pfeifen entlockte er seinen gespitzten Lippen und langsam ging er die Treppe hinunter, seinen blutigen Säbel in der Hand. Gut gelaunt, der Rausch durchdrang ihn wieder, ging er den schmalen Gang entlang, eine Handvoll Männer folgten ihm. Er riss die erste Kabine auf, ein entsetzliches Geschrei erhob sich, verächtlich ließ er einen seiner Männer in die Kabine stürmen und dieser zerrte Gavia an den Haaren heraus und nach oben. Tullius ging weiter, jeder Schritt betonte das nahende Unheil. Die meisten Türen beachtete er nicht, seine Männer kümmerten sich darum. Doch eine weckte sein Interesse, sie war abgeschlossen. Tullius blieb stehen und sah sie an, ein fieses Grinsen im Gesicht geschrieben.
    Langsam wandte er sich um, mit einem Ruck trat er die Tür auf und schritt hinein in die Kabine. Sein Blick irrte durch den kleinen Raum, sah die Essensreste und dann in die Ecke. Um seine Mundwinkel zuckte es, er lachte leise und kalt. Seine Schultern zuckten, stetig tropfte das Blut von seinem Säbel auf den Holzboden. Blutspritzer waren in seinem Gesicht, seine Kleidung von dem Lebenssaft seiner Opfer getränkt und seine Augen flackerten irre.
    “Willst Du nicht herauskommen und um Gnade flehen?“

  • Das Poltern über Lucilla nimmt und nimmt kein Ende, dazwischen das Gebrüll 'Tötet sie, tötet sie alle!'. Ein lauter Schlag zieht Lucilla in ihren Bann und führt dazu, dass sie erschrocken ihren Kopf nach oben wendet, denn sie fürchtet, dass die Planken über ihr einbrechen werden. Doch es folgt nur das dumpfe Aufschlagen eines schweren Körpers. Lucilla starrt an die Decke, die Augen weit geöffnet, nicht nur wegen der düsteren Sicht. Plötzlich fällt ein dicker Tropfen Blut von der Decke herab und klatscht mit einem Laut, der noch Lucillas Atem übertönen muss, auf ihr Gesicht. Zitternd hebt sie ihre Hand und streicht sich über die Wange, hinterlässt dabei einen roten Schlieren und blickt erschrocken auf das Blut an ihren Händen. Als ihr bewusst wird, um was es sich handelt, muss sie einen Schrei unterdrücken. Beinahe lautlos fängt sie an, vor sich hinzumurmeln. "Bona Dea, hilf mir, bitte bewahre mein Leben und schütze es. Iuno, allmächtige, halte deine schützenden Hände über mich. Spes, steh mir bei und verlasse mich nicht. Clementia, bitte schenke mir deine Gnade. Dea Tacita und Morta, nehmt eure Hände von meinem Leben, ich flehe euch an. Aera Cura, bitte verweigere meinen Einzug in dein Reich. Oblivio, lass sie vergessen, dass dieser Raum existiert. Paventia, Göttin meiner Kindheit, schenke mir bitte ein letzte Mal deinen Trost. Stimula und Strenua, gebt mir eure Kraft und lasst mich dies durchstehen. Geister meiner Ahnen, schenkt mir die Stärker unserer Familie, denn es ist noch nicht die Zeit, dass ich euch wiedersehe."


    Trotz ihrer geflüsterten Worte scheint es ihr Atem zu sein, der noch immer lauter und lauter wird und auch das Pochen ihres Herzens scheint jedes Geräusch zu übertönen. Plötzlich wird es über ihr leiser, nur noch rauhes Gebrüll ist zu hören, die Schreie verlagern sich nach unten, nicht weit von ihr entfernt, und Schritte nähern sich vom Gang her. Die dunkle Stimme 'Tötet sie!' noch in den Ohren zieht sich Lucilla eilig die Decke über den Kopf. Mit einem lauten Krachen barst die Tür und Lucilla hält die Luft an. Das mit der verriegelten Tür hat schonmal nicht geklappt.


    Die Stille wird von den Worten des Piraten durchbrochen, der sie auffordert, um Gnade zu flehen. Der Trick mit der Decke hat auch nicht geklappt. Lucillas gesamtes Schicksal hängt also an einer Holzschüssel und einem Löffel. Doch die Worte des Piraten bringen ihr hispanisches Blut in Wallung. Wütend schlägt sie die Decke zur Seite und steht langsam auf, die Schüssel schützend vor sich haltend und den Löffel im Anschlag. Ihr Haar ist zerzaust und der rote Blutstreifen über ihrer Wange gibt ihr einen Hauch von verzweifelter Verwegenheit. Sie hatte sich nie von ihren Brüdern und Cousins unterkriegen lassen, da würde sie sich jetzt nicht von irgendeinem dahergelaufenenen Kerl unterkriegen lassen. Schon gar nicht von einem widerwärtigen Piraten, und wenn er noch so viel mit seinen furchterregenden Säbel herumfuchtelt. Ihre Stimme trieft vor Hass und Wut: "Ich werde niemanden um Gnade bitte, außer die Götter!"


    In einer unbedachten Aktion beraubt sich Lucilla ihres Schildes. Sie holt mit Links aus und schleudert die Schüssel Tullius entgegen, um Zeit zu schinden. Sie hebt den Löffel vor sich und beginnt der Wut in ihr freien Lauf zu lassen, ihre Worte überschlagen sich beinahe. "Götter des Infernos, Dius Fidus, diesen Mann weihe ich euch, seinen Körper, sein Herz, seine Eingeweide. Nehmt euch seinen Kopf, seinen Bauch, seine Männlichkeit und seine Beine, nehmt seine Schultern und seine Arme und seinen Geist und seine Augen und seinen Mund. Carna, seine Leber für dich, für die Furies seine Sinne, diese Mann für euch, zerquetscht seinen Körper in euren Händen, brecht seine Rippen und seine Knochen, dieser Mann für euch, jetzt im Augenblick, Götter des Infernos, ihn offeriere ich euch für mein Leben." Da ihr die Fluchtafel fehlt um den ihr Namenlosen auf herkömmliche Weise zu verfluchen, zieht Lucilla den Löffel vor sich in der Luft über Tullius Körper.


    Sie sieht wenig Hoffnung, doch wenn sie schon sterben muss, dann würde er zumindest Leiden. Lucilla glaubt fest daran, dass Flüche funktionieren. Großtante Drusilla hat immer erzählt, dass sie einst eine ungeliebte Konkurrentin verflucht hatte und diese einige Tage später für mehrere Monate durch ein böses Fieber an ihr Bett gefesselt war. Lucilla hofft nur, dass die Götter in diesem Fall die Dirnglichkeit erkennen und sich beeilen würden. Im Fall des Piraten würde wohl nur noch ein heftiger Stoß durchs Herz oder ein sehr schnell einsetzender bösartiger Durchfall helfen. Zitternd weicht Lucilla an die Wand zurück, bis es nicht mehr weiter geht, und beißt ihre Zähne zusammen, um Tränen zurückzuhalten und zu verhindern, dass sie doch noch um Gnade flehen würde.

  • Nur sehr knapp konnte Tullius der fliegenden Schüssel ausweichen, trotzdem streifte sie schmerzhaft seine Schulter, flog an ihm vorbei und polterte gegen die hölzerne Wand der Schiffskajüte. Mit einer solchen Gegenwehr hatte Tullius nicht gerechnet, nicht bei einer Frau. Und es war in der Tat eine Frau, die unter der Decke hervorgesprungen war und ihm die ersten zornigen Worte und Geschosse entgegenschleuderte. Dementsprechend verblüfft blieb Tullius stehen und sah Lucilla an. Doch dann erstarrte er. Götter des Infernos, Carna und die Furien, die Rachegeister, jedes Wort war wie ein kalter und harter Peitschenhieb für Tullius. Sofort erkannte er die immense Bedeutung dieses Fluches, war es doch keine Floskeln von einer unwissenden und hysterischen Frau gesprochen, sondern ein mächtiger Bann, eine starke Verwünschung. Etwas, was ihm mehr Angst einjagte als der Tod selber.
    Sie wirkten, die Worte hielten Tullius regungslos und gebannt, er schien sich nicht rühren zu können. Unter seinen Füßen senkte sich das Deck immer mehr zur Schräge, das erste Wasser drang in die Kabine hinein und benetzte die Sohlen seiner Schuhe. Neptun bewahre vor dem Fluch! Doch als Lucilla den Löffel wieder sinken ließ, löste sich der Bann über Tullius. Zorn, Hass und auch eine gewisse Bewunderung machten sich in ihm breit, es bewegte ihn, dass eine Frau mehr Mut zeigte als fast alle Männer, denen er bis jetzt in seinem Leben begegnet war. Seine Unterlippe bebte vor Zorn als er auf Lucilla zuschritt, finster stierte er sie an und er schien selber dem Inferno entstiegen zu sein mit all dem Blut an seinem Leib.
    Grob und um Beherrschung kämpfend packte er Lucilla am Arm, stieß sie fester gegen die Wand. Sein Säbel schwang in die Luft. Dafür würde sie sterben müssen, ihr Blut würde sich mit dem seiner zahlreichen Opfer vermischen und sie würde erst im Hades ihre Worte bereuen können. Doch dann zögerte Tullius, der Fluch, dieser vermaledeite Fluch.
    Wäre Lucilla keine Frau, sondern ein Mann, Tullius hätte nicht gezögert und sie mit auf sein Schiff genommen und angeheuert, hätte ihr Leben geschont. Aber Frauen ließ er nie am Leben, sie waren wie Kinder nur Ballast. Doch diese Frau hatte es gewagt ihn, Quintus Tullius, zu verfluchen. In seinen Augen stand der Zwiespalt geschrieben, töten oder ihr Leben schonen.
    „Ambubaia! Scortum! Das wirst Du büßen, Weibstück!“
    Doch in dem Moment ließ er seinen Säbel wieder sinken, grob riss er an Lucillas Arm und zerrte sie hinter sich her aus der Kabine heraus. Im Gang war das Wasser schon bis zu den Knöcheln gestiegen, der Bug des Handelsschiffes stand schon tief im Gewässer, sog immer mehr von den Fluten des Meeres in sich auf. Schleifend und zerrend führte Tullius Lucilla an Deck nach oben, wo die Piraten ohnedem damit beschäftigt waren, die Beute auf das Piratenschiff zu schaffen und die Passagiere mit den Sklaven der Ruderbänke hochzutreiben. Tullius stieß Lucilla zu den anderen Passagieren. Gavia schluchzte leise, eine breite Blutspur war an ihrer Wange zu sehen, ihre Haare völlig zersaust. Auch der kleine gallische Junge stand daneben und kämpfte tapfer mit seinen Tränen, zitterte am ganze Körper. „Was soll’n wir mit ihnen machen, Kapitän?“
    Tullius sah nicht zu dem älteren Piraten, der ihn angesprochen hatte, hatte seine Augen nur auf Lucilla gerichtet, durchbohrte sie mit kalten Blicken.
    „Tötet alle Schiffsgäste und lasst die Sklaven frei, wenn sie sich an Land retten können, ihr Glück!“
    Ein erschrockener Aufschrei ging durch die überlebenden Reisenden. Ungerührt gingen die Piraten auf sie zu. Der gallische Junge presste sich plötzlich an Lucillas Gewand und umschlang sie ängstlich. „Ich hab Angst!“, schluchzte der Junge. Entsetzt weiteten sich seine Augen als Gavia mit einem Gladius durchbohrt wurde und auf den Boden sank. Der großgewachsene Pirat mit dem weißmelierten Bart sah finster auf den Jungen herunter, keine Gnade, noch Mitgefühl regte sich in seinen Augen. Er hob das Gladius, um auch den Jungen zu töten.

  • Einen Moment lang ist Lucilla selbst erstaunt über die Wirkung ihres Fluches, doch leider hält sie nicht lange. Schon ist der widerliche Kerl bei ihr und schwingt bedrohlich den Säbel. 'Tertia!' ist alle was Lucilla denken kann. Sie würde Tertia wiedersehen; und Avarus nie wieder. Doch noch ist es nicht so weit. Nach einer Beleidigung packt Tullius sie wüst und zerrt sie hinter sich her. Sie stolpert ihm nach, erschrocken und verwirrt, weil sie längst den Säbel zwischen ihren Rippen vermutet hätte. Ganz tief in ihr dagegen keimt schon wieder die Wut auf. Noch nie im Leben hat so ein abscheulicher Kerl sie auf diese Weise beleidigt! Sie, Decima Lucilla! Sie, Decima Lucilla, die in diesem Augenblick auf die Planken gestoßen wird und wie all die anderen ein wertloses Stück Ballast für die Priaten darstellt. Wieso? Wieso verlangen sie kein Lösegeld? War nicht Caesar von Piraten gefangen genommen worden und hatte sein eigenes Lösegeld in die Höhe getrieben? Warum begnügten sich diese Piraten damit irgendwelche Sklaven zu befreien? Und warum, bei allen Göttern, hatte dieser verdammte Mistkerl sie extra mit an Deck geschleift? Noch immer zittert Lucilla am ganzen Leib, doch noch immer beißt sie die Zähne aufeinander. Die Götter haben keine Gnade, ihr eigener Tod ist nur um einige Augenblicke verschoben worden. An Deck soll er stattfinden, wie in einem Theaterstück auf den Planken die die Welt bedeuten, wahrscheinlich, damit der Rest besser zuschauen kann. Wie abscheulich.


    Als Gavia neben ihr mit einem erstickten Schrei niedersink zuckt Lucilla kurz zusammen. Starr schaut sie Tullius an, und für einen Augenblick versteht sie, was ihre Brüder und Cousins zur Legion treibt. Männer wie diese Piraten sind es, zu Land oder zu Wasser, der Abschaum der Welt, der sich an den Reichtümern anderer bedient, wie es ihnen passt. Männer, die unfähig sind, sich ihr Leben aufzubauen, die es von anderen nehmen und sich am Tod anderer ergötzen, diese Männer sind es, welche ihre Familie in den Krieg zwingt. Plötzlich spürt Lucilla den Jungen neben sich und sie legt einen Arm schützend um seinen Körper. Tullius ist der Mann, der die Befehle gibt, und keine Sekunde wendet sie ihren Blick von ihm. Sie hat keine Furcht mehr, denn der Tod ist ihr so oder so gewiss. Die einzigen Waffen, die ihr bleiben, sind ihre Worte, ihr Vestand und die Götter.


    Ein leichtes Zittern kann sie dennoch nicht aus ihrer Stimme vertreiben. "Die große Göttin wird dir deine Knochen einzeln zermalmen, für jeden Menschen, den du auf deinem Gewissen hast einen. Die Furies werden nach deinem Geist greifen, jeden Tag ein Stück mehr, bis dass du nicht mehr weißt, was Trug, was Wirklichkeit ist! Du wirst nicht sterben, noch lange nicht, du wirst qualvoll dein Leben dahinsiechen, während die Eingeweide in deinem Leib deinen Körper langsam von innen heraus verfaulen lassen werden. Du kannst nur darauf hoffen, dass meine Familie dich vorher findet und deinem wertlosen Leben ein Ende setzt, bevor du nicht mehr dazu fähig bist schnell genug auf die Latrine zu laufen, wenn sich dein Innerstes von deiner äußeren Hülle verabschiedet. Hüte dich davor, der Küste des Imperium auch nur zu nahe zu kommen, denn die Schwerter meiner Familie werden dich finden, sobald du auch nur einen Schritt auf den Boden des römischen Reiches setzt! Ich verfluche dich, im Namen der großen Göttin, mein Leben weihe ich ihr und das diese Junge, unser Blut auf dass dein Schicksal besiegelt ist!"

  • Ein heftiger Ruck ging durch das Handelsschiff, immer schräger neigte sich das Deck, die Fluten strudelten schneller in den Leib des Schiffes. Jedes von Lucillas geschleuderten Worten schien das Ächzen des Schiffes zu untermalen, die Enterbrücken stöhnten laut und auch das Piratenschiff legte sich ihrem Opfer folgend, der Rammsporn steckte tief in den Planken, stestfort tiefer in das Wasser hinein. Der ältliche Pirat hielt sein Gladius erhoben, weiterhin noch im Schlag gegen den Jungen begriffen, der allweil leise schluchzte und die Augen festzusammengepresst hielt, in der Hoffnung alles Schlimme mit seinen Augenliedern auszublenden. Der Pirat mit den graumelierten Haaren sah Lucilla in die Augen, seinige drückten Kälte und keine Furcht vor ihrem Fluch aus. Es schien dem Mann eher noch eine Genugtuung zu sein, mehr Bangnis bei Lucilla zu erkennen als er selber verspürte. Lucillas Weihespruch, das Opfer ihres eigenen Lebens und das des gallischen Jungen für eine grausame Rache wollte der Pirat nutzen, um das Schwert herunterfahren zu lassen, die Worte mit Blut zu beisegeln. Doch just in dem Momente griff eine Hand nach seinem Schwertarm, verdutzt sah der Pirat zur Seite und erkannte seinen Kapitän.
    „Bring beide zur Harpyia! Sperr’ sie in den Käfig! Lebend!“
    Schneidend und kalt kamen die gepressten Worte von Tullius, unverwandt durchbohrte er mit seinen Augen Lucilla wie mit kalten Dolchspitzen. Der Pirat nickte überrascht und packte Lucilla, warf sich die Römerin leicht wie ein Daunenkissen über die Schulter und klemmte sich den gallischen Jungen unter den Arm. Und schon war der Pirat auf der Enterbrücke, balancierte gewandt und gewagt über den eisgrauen Fluten des Mittelmeeres, kleine Schaumkronen bildeten sich um den Strudel, der tief in das Handelsschiff eingesogen wurde, wie Neptuns tödliche Wasserwirbel, die jedes Schiff für immer ruhelos auf den Grund sogen. Doch dann waren wieder Schiffsplanken zu sehen. Der Pirat marschierte stetig auf eine schwarze Luke zu, ignorierte die Hiebe des kleinen Jungen und sonstigen Widrigkeiten durch seine Geiseln, sein gestählter Körper war weitaus schlimmeres gewohnt.
    Die Schwärze des Schiffes umfing Lucilla und im nächsten Moment wurde sie hart auf den Boden geworfen, neben und halb auf ihr landete der kleine Junge, der einen wimmernden Laut von sich gab und flugs aufs Neue sich an Lucilla klammerte und Schutz bei der Römerin suchte, hatte er doch in wenigen Momenten alles verloren, was ihm lieb und teuer war.
    „Versenkt das Schiff! Und zündet es an!“
    Die Stimme, diese tieftönende und alles Holzknarren, Wasserrauschen übertönende Stimme, drang erneut bis nach unten zu Lucilla. Der Pirat, dessen Konturen von dem spärlichen Licht der schmalen Öffnung zum Freien beleuchtet wurde, schlug die Tür zum Holzkäfig zu, versperrte ihn mit einer dicken Kette und wandte sich um, verschwand wieder an Deck.
    Todesschreie, Angstschreie, sie waren wieder vom anderen Schiff zu hören und dann die platschenden Geräusche als ob einige über Bord gehen würden. Die Harpyia ächzte unter dem Zerren des Handelsschiffes. „Werden...wir sterben?“ flüsterte der Junge tränenerstickt, sich fest an Lucillas Taille klammernd, sein Tränennasses Gesicht an ihre Schulter gepresst.
    Hastige Schritte eilten die Treppen hinunter, geisterhafte Erscheinungen stürzten an dem kleinen Holzkäfig vorbei, der gerade Platz für Lucilla und den Jungen bot. Die Ruderbänke wurden besetzt und eine tiefe Trommel geschlagen, die Ruder tauchten ins Wasser und die Bewegung, weg von dem untergehenden Schiff, war durch das ganze Schiff zu spüren. Ein Stoß und die Harpyia schien sich vom Ballast ihrer Beute wieder freigemacht zu haben.
    „Tabat, schneller. Wir müssen aus dem Strudelbereich heraus. Antegos, Kurs Süd-Südwest und pullt verdammt noch mal schneller. Setzt das Marssegel, aber flott!“
    Dieses Timbre von dem Kapitän war unschwer zu verwechseln. Die Harpyia nahm immer mehr an Fahrt auf und entfernte sich von dem Locus Pugnae.

  • Ein erschrockener, spitzer Schrei löst sich von Lucillas Lippen, als der grobschlächtige Kerl sie sich einfach über die Schultern wirft und davon marschiert. Wehrlos, wie ein nasser Sack lässt sie sich auf das andere Schiff tragen, und für einen Moment fragt sie sich, ob der Tod nicht besser gewesen wäre, als alles, was hier folgen würde.


    Als erstes folgt die schmerzhafte Erkenntnis, dass ihr neues Quartier nur einen harten Holzboden hat. Der Wunsch nach einem Alptraum überkommt sie, der Wunsch jeden Augenblick zu erwachen, in einem weichen, warmen Bett zu liegen und die hässliche Fratze des Piratenkapitäns nur noch als geisterhaft nachhallenden Eindruck vor Augen zu haben. Doch der Schmerz in ihrer Hüfte erinnert sie daran, dass dies alles nur zu wirklich ist. Mehr, als dass sie ihn sieht, spürt Lucilla den kleinen Jungen, der schutzsuchend zu ihr kriecht. Sie legt beruhigend ihre Arme um ihn und drückt ihn an sich, während um sie herum das Schiff von den Gewalten des Meeres hin und hergeworfen wird.

    "Ich weiß es nicht." flüstert sie leise und mit einem mal stürzt die ganze absurde Situation auf Lucilla ein. Alles, was sie je gekannt hat, ist völlig unwichtig geworden. Ihre Mitreisenden sind tot, ermordert von den Piraten oder würden im kalten Meer ertrinken. Sie hat Hector an Deck liegen gesehen, eine furchtbare Wunde zog sich quer über seinen Bauch. Ambrosius und Hermes sind wahrscheinlich ebenfalls tot, wie die anderen. Sie hebt eine Hand und presst sie sich vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Tränen fließen aus ihren Augen und ihr Körper bebt unter dem unterdrückten Schluchzen. Sie drückt den Jungen an sich, als wäre er das letzte, was ihr geblieben ist. Er ist das letzte, was ihr aus einem sicheren, behüteten und zivilisierten Leben geblieben ist. Die Schreie vom anderen Schiff dringen zu ihnen in den dunklen Käfig, unverhältnismäßig laut, und bei jedem einzelnen drängt es Lucilla danach, sich die Ohren zuzuhalten.


    Dann setzt das Trommeln ein. Ein dumpfer Schlag, dann ein zweiter. Es folgt der beständige Rythmus, wie der Marsch eines Titanen über das Wasser. Das Schiff verfällt in ein leichtes Schaukeln, der Bug pflügt durch das Wasser, wird von den Wellen angehoben, um nach ihnen zurück auf die Meeresoberfläche zu klatschen. Routine kehrt auf der Harpyia ein, das Geschrei der Ertrinkenden wird immer leiser, bis es irgendwann verstummt. Die Geräusche auf dem Piratenschiff sind seltsam beruhigend, beinahe hat es den Anschein, als würde das Schiff leben. Lucillas Kopf ist an die Wand des Käfigs geleht, und das dumpfe Trommeln hallt schwer in ihren Ohren und durchdringt ihren ganzen Körper. Zeit scheint keine Bedeutung mehr zu haben, beinahe wie das Leben.

  • Ganz ehrlich, das war eine Erfahrung, die ich nie wieder machen, will. Diese stinkenden Piraten, die auf unser Schiff kamen... ihgitt, die hatten schon länger kein Bad mehr gehabt und so unrasiert... schaurig. An Land wär uns das nicht passiert, da hätten wir eine schöne Eskorte gehabt und keiner dieser Halunken hätte uns ein Haar gekrümmt... aber nein, die Herrin will ja unbedingt per Schiff reisen. Und da haben wir den Salat.


    Ja und was jetzt? Mich da einfach auslassen auf See? Ich kann zwar schwimmen, aber doch nicht so weit, da geh ich ja unter und ersauf wie ein räudiger Hund, nene, nicht mit mir. Heute ist noch nicht der Tag meines Todes und wenn, dann sicher nicht durch Ertrinken. Wisst ihr, wie man als Wasserleiche aussieht? Bäh, nein danke.


    Aber wie komme ich jetzt auf das andere Schiff hinüber? Einfach springen geht ja nich, da erwischen sie mich ja sofort und lynchen mich noch an Ort und Stelle. Aber ich muss hinüber, irgendwie.

  • Es war einer der Piraten, der Ambrosius die schwierige Entscheidung, vielleicht gar die Schlimmste in dessen behüteten Leben, abnahm. Denn in jenem Augenblick als der Rammsporn sich gelöst hatte, das Schiff gerade die Ruder abermalig tief ins Wasser tauchte, kam dieser aus dem Bauch des untergehenden Handelsschiffes hochgesprungen, über seine Schulter hatte er einen prall gefüllten Jutesack geworfen und prompt fiel sein Blick auf Ambrosius, der mit sich haderte, wie er denn nun zu den Piraten kommen konnte. Der Pirat, er war ein riesiger Mann mit einer rotbraunen wilden Lockenmähne, grinste breit und trat auf Ambrosius zu.
    „Ahoi, was für einen Prachtjüngelchen haben wir denn hier? Hoi, willst Du Pirat werden? Nichts leichter als das, mein Hübscher!“
    Der Pirat lachte dröhnend, packte Ambrosius am Gürtel und schwang ihn mit Kraft und einem riskanten Wurf über die Reling. Das Piratenschiff war gerade noch nahe genug, damit Ambrosius hart auf den Planken landen konnte und nicht platschend im Wasser. Neben ihm kam der Pirat federnd herüber und zwinkerte ihm gutgelaunt zu. „Komm mit, Jüngelchen, sonst wirft Dich unser Kapitän noch über Bord. Der mag so Schwachbrüstige wie Dich nicht sonderlich. Ich aber schon!“ Lachend marschierte der Pirat quer über das Deck und winkte Ambrosius ihm zu folgen. Schon verschluckte das Unterdeck jenen Piraten.
    Ob Quintus Tullius den Sklaven von Lucilla bemerkt hatte? Natürlich, aber gewisse Freiheiten duldete Tullius bei seinen Piraten durchaus, hätte jener eine Frau mit an Bord gebracht, ohne ein Wort zu verlieren sähe es jedoch anders aus. Außerdem war Tullius mitunter derzeit mehr mit dem sinkenden Schiff beschäftigt. Der Nebel verschluckte nach und nach das sinkende Frack als sich die Harpyia mit kräftigen Ruderschlägen entfernte, dumpf dröhnte die Trommel und das Ächzen der Männer, das Knarren des Holzes und hell das Plätschern des Wassers.
    Der geisterhafte Nebel schluckte die Harpyia, ungesehen und wie ein böser Albtraum verschwand sie, hinterließ viele grausig ermordete Menschen und einige Unglückselige, die versuchten, sich schwimmend das Leben zu retten. Die Tage vergingen, keine Beutefeier wurde an Deck des Schiffes zelebriert, diszipliniert, fast wie ein militärisches Schiff brachte die Harpyia Distanz zwischen sich und ihrem Opfer. Denn selbst im Winter war die Classis auf dem Meer anzutreffen, die Tage als die Römer nur kleine Nussschalen fuhren entgültig vorbei.
    Ambrosius hatte das Glück gehabt, nicht zu jenen zu gehören, die im Wasser ertranken, von der Kälte verzehrt und von Neptuns Reich und seiner Finsternis verschlungen wurden. Doch gar zu glücklich war sein Schicksal wohl nicht. Denn wie es sich herausstellte, war auch für ihn an Bord viel zu tun. Nach einer heftigen Auseinandersetzung, die jener Pirat mit seinem Kapitän führte, durfte der Sklave an Bord bleiben, wurde jedoch schon am nächsten Tag mit einem Schrubber und einem Eimer versorgt, es hieß Deck schrubben oder in der Kombüse aushelfen.
    In eintöniger Monotonie musste Lucilla ihre Dasein in dem engen Käfig fristen, wurde nicht ein einziges Mal heraus gelassen, noch nicht mal um ihre Notdurft zu verrichten. Nur ab und an wurde ein neuer Eimer zu ihr und dem Jungen, der in ein unruhiges Fieber gefallen war, gebracht. Zwei Mal am Tag kam einer der Piraten und schob ihr und dem Jungen einen großen Napf mit Eintopf oder Brei zu oder mal einen Krug mit brackigem Wasser. Nur der Wechsel vom Tag zu Nacht, das Läuten der Schiffsglocke, wenn wieder Wachwechsel war oder Backen und Banken angesagt war, nur diese ließen noch eine Ahnung von Zeit übrig.
    Eine Woche später und in viel südlicheren Gefilden. Die Sonne strahlte seit langem das erste Mal wieder aufs Oberdeck hinunter, doch im Unterdeck war es düster, klamm und dunkel wie eh und je.
    Der kleine Gallier, Aeddan war sein Name, hustete leise und röchelnd, jeder Atemzug wurde von einem leisen Pfeifen begleitet. Seine Augen waren fiebrig auf die Stäbe des Käfigs gerichtet. Er hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr von dem Brei essen wollen. Seine Augen hoben sich und richteten sich mit einem verschleierten Blick auf Lucilla. „ Màthair?“ Die Holzplanken knarrten und ein Mann trat humpelnd an den Käfig heran. Er umgriff eine Holzstange und sah hinein, hielt eine kleine Öllampe vor sich. Sein Gesicht war hässlich verzerrt, Brand- und Peitschennarben hatten sein Züge zu einer monströsen Erscheinung werden lassen, seine riesige Nase ragte nach vorne, schien einem entgegen springen zu wollen. Doch seine dunklen Augen sahen Lucilla und den Jungen sanftmütig und mit Mitgefühl an. Betroffen suchte er nach dem Schlüsselbund an seinem Gürtel und griff nach einem Schlüssel, öffnete das Schloss und zog die Tür zum Käfig auf. „Mein Name ist Dardarshi. Kommt, ihr dürft jetzt raus.“ Er reichte Lucilla die Hand, um ihr und dem Jungen hinauszuhelfen.

  • Bumm ... bumm ... das dumpfe Schlagen der Trommel hallt in Lucillas Ohren ... schwere Schritten stampfen über die Planken ... die Ruder platschen ins Wasser und hinterlassen beim Herausziehen ein schlürfendes Geräusch ... Lucillas Herz pocht im Takt ... irgendwann verschwimmt die Welt um Lucilla herum, ein unruhiger Halbschlaf, vielleicht auch ein Halbwach überkommt sie.


    Sie steht auf den Resten des Handelsschiffes. Wasser umspült ihre Füße, sie spürt sie längst nicht mehr. Unaufhaltsam sinken die Planken um sie herum tiefer und sie mit ihnen. Die See um sie herum liegt im Nebel verborgen, es ist völlig windstill, zu still. Ein Boot schiebt sich näher, das Segel aufgebläht vom Nichts, der Kapitän tritt an den Bug. Es ist ein dürrer Mann, mit weitem Umhang, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen ist. "Komm in mein Boot, ein Sturm kommt auf und es wird Nacht. Wo willst du hin, so ganz allein treibst du davon, wer hält deine Hand, wenn es dich nach unten zieht?" Lucilla steht im Nebel, mit Tränen im Gesicht, das Abendlicht verjagt die Schatten, die Zeit steht still und es wird Nacht. "Wo willst du hin, so uferlos die kalte See? Komm in mein Boot, die Sehnsucht wird der Steuermann. Komm in mein Boot, der kalte Wind hält die Segel straff." Er streckt seine Hand aus und Lucilla möchte sie ergreifen. Doch als der Mann mit der anderen Hand seine Kapuze zurückstreift, blickt sie in die kalten, leblosen Augen von Quintus Tullius. Sie lässt ihre Hand sinken, die Nacht ist gnadenlos, und am Ende bleibt sie allein im Wasser stehen. Die Zeit steht still und ihr ist kalt.


    Zitternd erwacht Lucilla in dem Käfig ihrer Gefangenschaft. Auch im Wachen steht die Zeit still, auch im Wachen ist es kalt. Mal war es heller geworden im dem Gang vor der Tür, mal dunkler. Doch Lucilla hat vergessen, die Tage zu zählen. Sie hat so viel vergessen, denn ihr gesamtes Leben erscheint ihr nur noch wie eine blasse Erinnerung. Wieviele Tage war es her, seit sie Avarus über die Wange gestrichen hat? Wieviele Tage waren vergangen, seit sie geglaubt hat, dass es nach Tertias Tod nicht schlimmer kommen kann? Wieviele Tage liegt Germania hinter ihr? Und wieviele Rom, Hispania? Noch nie hat Lucilla etwas ähnliches erlebt, wie diese Situation, geschweige denn auch nur daran gedacht, dass so etwas jemals passieren könnte. Alles scheint so unwirklich, und es scheint unfassbar, dass Welten wie Rom und dieser Käfig nebeneinander existieren können. Doch da der Käfig nur allzu real ist, beginnt sie langsam an Rom zu zweifeln. Sie weißt nicht, was diese Männer mit ihr vorhaben, doch Rom steht sicher nicht auf ihrer Route. Das Fieber des kleinen Aeddan lenkt sie nur mäßig von ihren Gedanken ab. Sie kann kaum mehr tun, als bei ihm zu sein, ihm das Essen zu füttern und das stinkende Wasser einzuflößen, und versuchen ihn warm zu halten. Doch die Götter scheinen sie zu verlassen. Sie beide.


    Sie streicht dem Jungen über die glühende Stirn und das schweißnasse Haar, als sich die Götter doch noch erbarmen. In Gestalt eines ziemlich hässlichen Kerls zwar, doch es ist der erste, der sie nicht verachtend anschaut, als wäre sie Abschaum, oder mit einer Gier in den Augen, als wäre sie eine Ware. Mühsam klettert Lucilla aus dem Käfig hinaus, sie spürt jeden Knochen in ihrem Leib. Als sie endlich nach Tagen wieder steht, rauscht ihr das Blut durch die Ohren und für einen Moment wird ihr schwarz vor Augen. Dann jedoch hebt sich ihr Blick und sie schaut die Treppe entlang nach oben durch die Luke - zur Sonne. Die Erkenntnis, dass es sie noch gibt, dass es die Sonne noch gibt, ist fast zu viel für Lucilla. Aber nur fast. Sie streicht sich eine verklebte Strähne aus ihrem schmutzigen Gesicht und wendet sich an Dardarshi. "Und wohin?" Ein Blick auf den Jungen zeigt, dass dieser kaum noch selbst irgendwohin gehen wird. "An Deck, damit er uns endlich den Kopf abschlagen kann?"

  • Stützend hielt Dardarshi seine vernarbte Hand an Lucillas Ellenbogen als er ihr Schwanken bemerkte. Doch nur für einen vagen Moment, ließ gleich wieder von ihr ab und schüttelte bedauernd über die ganze Misere den Kopf. „Nein, junge Frau, wenn der Kapitän Dich umbringen wollte, hätte er sich nicht so viel Mühsal gemacht.“ Seine Lippen verzogen sich wohl zu einer Art von Lächeln, die Narben ließen es jedoch grotesk wirken. „Aber Du bist eine sehr kluge Frau. Du hast ihn an einer verwundbaren Stelle gepackt, sehr klug!“ Dardarshi beugte sich runter und kroch in den Käfig hinein, seine dicken Hände griffen sehr sanft nach dem Jungen, prüfend fuhr er ihm seine Stirn, lauscht an seiner Brust und schüttelte seufzend den Kopf. „Bei Mithra, es sieht übel um den Kleinen aus!“ murmelte er und zog den Jungen aus dem Käfig hervor. „Aras!“ Einer der Piraten kam die Treppe herunter gelaufen, er trug eine grobe Tunica und lief auf den Holzplanken barfuß, war jedoch sehr breitschultrig und groß gewachsen, hatte dazu wiederum ein recht fein gemeißeltes Gesicht, einer griechischen Statue ähnlich. „Nimm den Jungen! Er ist mir zu schwer!“ Aras, der Lucillas Blick auswich und in ihrer Gegenwart seltsam befangen wirkte, beugte sich herunter und hob den Jungen spielend leicht auf seine Arme hoch, wandte sich um und marschierte mit einem leichten Gang die Treppe hinauf.
    „Komm, werte Dame, mach Dir keine Sorgen! Solange der Kapitän Deine Macht fürchtet, wird er Dir auch nichts antun. Kluge Frau!“
    Fein lächelnd hinkte Dardarshi auf die Treppe zu. Mühsam zog er sich die Stufen hinauf, zog dabei sein Bein hinter sich her.
    Die Sonne strahlte warm auf sie herunter, die See wogte in sanften Wellen um das Schiff herum, die Segel waren gerefft und die Ruder eingezogen. Völlig still lag das Schiff in den Wellen, um sie herum war weit und breit kein Land zu sehen. Nur ein endlose Weite von Meer zog sich um sie herum, in vielen blaugrünen bis silberweißen Tönen changierend. Trotzdem umwehte eine sanfte und milde Brise das Schiff.
    Dardarshi atmete heftig ein als er erst Mal die Treppen hinter sich gebracht hatte und sah zurück zu Lucilla, nickte ihr zu und nahm den Weg über das Deck. Auf dem Achterdeck bot sich jedoch ein seltsames Bild. Der Kapitän stand auf der Rehling, völlig nackt und ungeniert verharrte er dort, die Brise spielte mit seinen dunklen Haaren, einige Gischtfetzen fielen auf seine bloßen und muskulösen Schultern und er hatte die Augen geschlossen, sog die Luft tief durch die Nase ein. Dann streckte er seine Arme über den Kopf und sprang ins Wasser, schnellte wie ein Pfeil in die blaue See hinein, verschwand in der Tiefe des Wassers wie ein Sohn Neptuns.
    Jedoch noch eine andere bekannte Seele war am Oberdeck der Harpyia auszumachen. Ambrosius war, wie einige andere der Piraten, dazu angehalten das Deck zu schrubben. Mit Salzwasser und einem Schrubber mussten sich die Männer mühselig von Bug bis Heck, von Backbord zu Steuerbord arbeiten. Das Salz sollte auf der Haut brennen, war doch kein Balsam für empfindliche Hände, immer mal wieder blieb ein Holzspan an der Haut hängen oder bohrte sich dort hinein. „Nicht einschlafen, Jüngelchen!“ trieb der 'Entführer' von Ambrosius, der Riese, ihn an, dessen Name Zeuxis war. „Wir wollen doch das Deck noch vor dem Banken klar haben, nech? Hoi, schau mal, die Hexe! Das die noch nicht tot ist!?!“ Er deutete mit seiner Schrubberhand auf Lucilla, die aufs Deck geführt wurde, schüttelte den Kopf und setzte sein Schrubben fort.
    Dardarshi verharrte nur kurz als er seines Kapitäns gewahr wurde, langsam setzte er seinen Weg fort, bedächtig, um nicht über das nasse und frisch geputzte Deck zu fallen. Unter dem Achterdeck führte wieder eine Treppe hinunter, die Dardarshi auch mühsam überwand und Lucilla durch einen schmalen Gang führte. Vor einer Kajütentür blieb er stehen und öffnete sie. Dahinter lag eine Kabine, die doch um etwas geräumiger als diejenige von Lucilla auf dem Handelsschiff war. Auch komfortabel eingerichtet war sie, hatte eine schon dekadent wirkende breite Koje an der Seite, die mit Kissen bedeckt waren, einen Tisch, eine Truhe und eine silbergoldene Öllampe auf dem Tisch. Ein winzig rundes kleines Loch ließ ein wenig vom Sonnenlicht in die Kajüte hinein. Dardarshi hielt die Tür auf. „Die ist für Dich, werte Dame! Ich schick Dir gleich Tetischeri und auch etwas zu Essen! Um den Jungen kümmere ich mich!“ Dardarshi wollte sich schon abwenden. „Fliehen würde nichts bringen, darum verschließe ich die Tür auch nicht. Aber das nächste Land ist zu weit weg, werte Dame!“ War das Bedauern darüber in seinen Augen? Er drehte sich zu schnell um und schloß die Tür hinter Lucilla.
    Es verging kaum einen Moment als sich schon wieder die Tür öffnete, eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und einer sehr zierlichen Statur trat hinein. Ihr Blick war scheu auf den Boden gerichtet. Über ihrem Arm trug sie eine lange dunkelblaue Tunica und einen etwas helleren Überwurf. „Herrin!“ murmelte sie. Nur zögerlich hob sie ihre Auge, die großen Mandelaugen sahen Lucilla mit Ehrfurcht und Staunen an. „Ihr seid die große Zauberin? Wie Darshi einer ist?“ Ein rollender Akzent lag in ihrem Latein, wenn sie sich auch sehr bemühte, die Worte richtig auszusprechen.

  • Lucilla nickt schwach, obwohl sie noch immer nicht an ihr weiteres Überleben glaubt. Wieviel Mühe hat der Kapitän schon mit ihr gehabt? Einmal hinüber aufs Schiff getragen und in ein Loch gesteckt hat er sie. Dreckigeres Wasser als den Tiber hinabfließt und einen Fraß, den in Rom nichteinmal Schweine bekommen hat er ihnen vorgesetzt. Er hat die Menschen auf dem Handelsschiff abschlachten lassen wie Vieh, wer weiß schon, was so ein krankes Hirn mit ihnen vor hat? Vielleicht hat er sie nur am Leben gelassen, um sie auf hoher See an die Kreaturen des Neptun zu verfüttern. Doch die Worte des Piraten lassen sie stutzen. Ihre Augen weiten sich für einen Moment in Erstaunen. Der Fluch, er hat tatsächlich gewirkt. Ihr Leben ist nun unweigerlich mit dem des Kapitäns verbunden und er weiß das. "Bona Dea!" Noch immer erstaunt blickt sie Aeddan hinterher, den der große Priat davon trägt.


    Auch, als sie dem hinkenden Piraten die Treppe hinauf folgt, kann sie noch immer nicht glauben, was passiert. Der Weg hinauf in die Sonne erscheint ihr trügerisch und bis an Deck erwartet sie jederzeit ein Messer in ihrem Rücken oder an ihrem Hals. Doch es passiert nichts und als sie endlich auf den Planken steht hebt sich ihr Blick sehnsuchtsvoll in den Himmel. Tief zieht Lucilla die frische Luft in ihre Lungen, die Brise spielt an ihren zerzausten Haaren und die Sonne scheint warm auf sie hinunter. Sie schließt die Augen und es scheint, als wolle sie den Kapitän imitieren, doch Lucillas Gedanken sind weit fort. Die warmen Strahlen streichen ihr über das Gesicht und machen es möglich, alles um sie herum zu vergessen. Selbst, als sie die Augen wieder öffnet scheint das Piratenschiff weit fort zu sein, denn in ihren Blick drängt sich der überaus gut gebaute nackte Körper eines Mannes. Würde noch in diesem Augenblick ein Schwert an ihrer Kehle verharren, Lucilla könnte ihre natürliche Reaktion auf dieses Bild nicht unterdrücken. So kommt es, wie es kommen muss, wie es immer kommt. Deutlich färben sich Lucillas Wangen unter den Spuren des Drecks in einem leichten Rotton. Selbst als der nackte Körper schon verschwunden ist, kann sie kaum ihren Blick vom Achterdeck abwenden während sie Dardarshi wie durch einen Traum über das Schiff folgt. Es ist nichteinmal so sehr die Nacktheit des Körpers, welche Lucilla so empört, sondern eher die Tatsache, dass der Kapitän so ungeniert auf seinem Schiff herumsteht, während Damen an Bord sind. Hat sie auch nur für einen Augenblick geglaubt, ihren Status als Gefangene verloren zu haben, so macht ihr dies deutlich, dass dem nicht so ist.


    Noch bevor Lucilla sich weiter umsehen und möglicherweise Ambrosius entdecken kann, verschwindet sie schon wieder in den Eingeweiden des Schiffes. Die ihr zur Verfügung gestellte Kajüte beeindruckt sie tatsächlich und stürzt sie wieder in Verwirrung über ihren Status an Bord. Bevor Dardarshi die Tür hinter sich schließen kann, dreht sich Lucilla eilig um und gibt ihm ein ehrliches "Danke!" mit auf den Weg.


    Dann steht sie in der Kajüte, unschlüssig und noch immer verwirrt. Sie traut sich nicht, sich irgendwo hin zu setzen, aus Sorge, dass der Dreck, der an ihr haftet alles überziehen würde. Ihre Finger berühren die Öllampe, welche weit davon entfernt ist, als einfaches Stück zu gelten. Luxus scheint auf diesem Schiff alltäglich, zumindest was die Unterkünfte der Passagiere betrifft. Sie schließt die Augen und spürt die Kühle des Metalls auf ihrer Haut und eine Träne findet den Weg aus ihrem Auge. Blinzelnd tritt Lucilla an das kleine Fenster und versucht irgendetwas in der Ferne zu erkennen. Doch weit und breit ist nur See zu sehen, wie der Pirat es gesagt hat. Obwohl ihre Familie zu den landverbundenen Pferdezüchtern Hispanias gehört kann Lucilla schwimmen. Die vielen Tage am Strand von Tarraco hatten dies mit sich gebracht. Doch es ist mehr ein Herumgepaddel im Wasser. Mit einem nicht allzu fernen Ziel vor Augen würde sie womöglich eine etwas längere Strecke durchhalten, doch hier auf dem offenen Meer gäbe es nichts was sie erwartet, außer Neptuns Land.


    Erschrocken fährt sie herum, als die Tür wieder geöffnet wird. Doch es ist kein hässlicher Pirat und auch nicht der arrogante Kapitän, der kommt um ihr den Kopf abzuschlagen, sondern eine Sklavin. Im ersten Moment will sie ihr ausreden, sie 'Herrin' zu nennen, da sie genau so eine Gefangene ist wie sie, doch Lucilla schweigt. Sie erinnert sich an den ausweichenden Blick des großen Piraten, der den gallischen Jungen davon getragen hat und an Dardarshis Worte: 'Solange der Kapitän Deine Macht fürchtet, wird er Dir auch nichts antun. Kluge Frau.' Und nun auch noch die Sklavin, welche sie für eine große Zauberin hält. Nun erst dämmert ihr das ganze Ausmaß dieser Worte.


    Mit der Erkenntnis, nicht machtlos zu sein, strafft sich Lucillas Haltung. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Womöglich würde der Kapitän mit sich über sein Leben verhandeln lassen und dann hätte sie eine Chance, lebend von diesem Schiff zu gelangen. "Ganz recht," antwortet sie der Sklavin mit fester Stimme, auch wenn sie keine Ahnung hat, was für ein Zauberer 'Darshi' ist. Im nächsten Moment schon wird ihr Tonfall wieder weicher. "Kannst du mir eine Schüssel mit Wasser bringen? Ich würde mir gerne das Gesicht waschen. Und gibt es hier an Bord Kämme?" Lucilla bezweifelt, dass irgendwer ihre Haare wieder richten könnte außer ihrem geliebten Ambrosius. Doch da der vermutlich irgendwo auf dem Grund des Meers liegt oder völlig aufgedunsen an irgendeinem Strand fern dieses Ortes, wird sie sich mit dem behelfen müssen, was ihr möglich ist.

  • Eine Glocke schlug auf dem Oberdeck, drei Mal genau und im selbigen Moment brach ein lärmender Tohuwabohu aus, chaotisch lief die Wachmannschaft hin und her, die Männer rannten die Treppen herunter, Gelächter brach aus, so manch ein derber Spruch wurde losgelassen, die Männer begaben unter Deck, um ihre wohl verdiente Essenspause in Anspruch zu nehmen. Die junge Frau zuckte nur kurz zusammen, sie war diese Zeit inzwischen einigermaßen gewöhnt. Bei Lucillas Bestätigung, sie wäre eine Zauberin, senkte die Frau schnell wieder ihren Blick, strich das blaue Gewand auf ihrem Arm sorgfältig glatt und trat auf die Koje zu, wo sie die Kleider hinlegte und einen Schritt zurück machte. An der Tür klopfte es, ein brummiges: "Det Wasser is' doa! Vorsischt, kocht noch!" und schon verschwanden schwere Schritte.
    "Ja, Herrin, ich hab auch einen Kamm hier und alles, was Ihr zum herrichten braucht." Sie ging zaghaft zur Tür, öffnete sie und holte einen Kupferkessel herein, warmes, dampfendes Wasser blubberte leise in dem Kessel, der am Unterrand vom Ruß schwarz gefärbt war. Vorsichtig, damit das heiße Wasser nicht überschwappte, trug Tetischeri das Behältnis in die Kajüte und hievte dieses auf den Tisch. Obwohl es stand, bewegte sich das Wasser träge im Kessel hin und her, je nachdem wie das Schiff von den Wellen sanft hoch und runter gehoben wurde. Stumm und Lucillas Blick vermeidend, zog sie eine tönerne Waschschüssel unter dem Tisch hervor und einen Schwamm, der aus den Tiefen des Meeres stammen musste. "Das ist eigentlich der Raum vom großen Zauberer Dardarshi, Herrin. Er hat ihn Euch überlassen, schläft jetzt bei der Mannschaft, Herrin!"
    Flüchtig hob Tetischeri ihre Mandelaugen, senkte diese jedoch auf ihre kleine Tasche, die sie hervor holte. Aus dieser 'zauberte' sie einen elfenbeinernen Kamm hervor, kleine Phiolen mit Ölen und sogar ein Töpfchen mit Balsam. Erneut glitt Tetischeris schlanke und zierliche Hand in das Täschchen und als sie mit einigen Haarnadeln wieder hervor kam zögerte sie für einen Moment. Still stand sie und sah auf das träge schauckelnde Wasser. Es schien als ob sie etwas sagen wollte, sich jedoch nicht traute. Ihre Unterlippe erzitterte und sie schien mit ihrer Fassung zu kämpfen. Mehr wie ein feiner Windhauch entronnen ihr die nächsten Worte. "Ich habe lange zu Nephtys gebetet, Herrin, dass sie jemanden wie Euch schickt. Selbst wenn es mein Leben kostet, damit dieser böse Geist von der Welt verschwindet, wird es gut sein. Dann wird mein Vater in der Unterwelt zufrieden sein. Doch bitte..." Sie hob nun dennoch ihre Augen, die feucht glänzten. "...verschont Darshi, solltet Ihr mächtiger als er sein. Selbst wenn er seinen Kapitän schützen würde und auch einer von ihnen ist, so ist er der gütigste Mensch, den ich kenne. Er hat mich vor diesen grausigen Wilden und einem schlimmen Tod bewahrt, Herrin!" Ihre dunklen Augen drückten tiefen Respekt vor Lucilla aus, genauso Ehrfurcht und auch Angst. Eine Träne fiel über ihre Wange, perlte an ihrem zierlichen Kinn entlang, schnell sah sie wieder zu den filigranen Glasphiolen herunter. "Kann ich euch helfen mit dem kämmen, Herrin?" fragte die junge Ägypterin schüchtern und kaum hörbar.

  • Es ist beinahe wie zuhause. Beinahe jedoch nur, denn die Furcht sitzt Lucilla trotz allem im Nacken und sie weiß genau, dass sie wachsam und jeder Schritt gut überlegt sein muss. Als das Wasser im Raum und die Waschschüssel auf dem Tisch ist, löst Lucilla die Verschlüsse, welche ihr arg geschundenes Oberkleid an den Schultern zusammenhalten. Der Stoff flattert träge an ihrem Körper herab und legt sich um ihre Füße. Nachdem sie auch die lange Tunika ausgezogen und achtlos zu Boden fallen gelassen hat, schiebt Lucilla den Kleiderhaufen mit einem Fuß zur Tür weg und greift nach dem Schwamm. Die junge Aegypterin hat derweil Wasser in die Schüssel gegossen.


    "Du brauchst keine Furcht zu haben. Meine Flüche treffen nur bösartige Männer wie den Kapitän dieses Schiffes." Sie lässt offen, ob damit nur die Sklavin oder auch Dardarshi vor dem Zorn der Götter verschont bleiben. Mit dem Schwamm und dem herrlich heißen Wasser beginnt Lucilla ihr Gesicht zu reinigen, dann auch ihren Oberkörper. Obwohl ein heißes Bad noch viel angenehmer wäre, könnte sich Lucilla in diesem Augenblick fast nichts vorstellen, was schöner sein könnte, als das warme Wasser auf ihrer Haut. "Was hält Dardarshi hier an Bord? Ist es der Kapitän? Wie ist sein Name?" Sie streicht den Schwamm über ihre Hüften und wischt den Dreck der letzten Tage hinfort. Bis Lucilla bei ihren Füßen ankommt, hat das Wasser schon eine leicht hellbraune Färbung angenommen.


    Prüfend hält Lucilla einen Finger in den Kupferkessel. Das Wasser ist noch heiß, jedoch nicht mehr zu heiß. Kurzerhand beugt sie sich vornüber und lässt ihre Haare in den Kessel hineinfallen. Mit den Fingern zieht sie prüfend durch die Haare hindurch und nachdem sich der Dreck im Wasser gelöst hat ist es weniger schlimm, als sie vermutet hat. Mehrmals fährt sie sich durch die Haare und wringt sie immer wieder über dem Kessel aus, bis sie das Gefühl hat, dass sie zumindest einigermaßen sauber sind. Ein wenig schüchtern reicht ihr Tetischeri ein Tuch, um sich zu trocknen, in der anderen Hand noch immer unschlüssig den Kamm haltend. Ihren Körper tupft Lucilla nur kurz ab, dann reibt sie ihre Haare halbtrocken und richtet sich lächelnd auf. Es ist immer wieder erstaunlich, doch eine Schüssel mit Wasser kann tatsächlich einen neuen Menschen hervorbringen.


    Die Sklavin lässt Lucilla weiter ersteinmal unbeachtet im Raum stehen. Sie hat gelernt für sich selbst zu sorgen und die letzten Tage hatten sie gelehrt, wie wichtig das ist. Vorsichtig nimmt sie das Töpfchen Balsam in die Hand und schnuppert daran. Dann streicht sie mit ihren Fingern hindurch und reibt sich schließlich mit der weichen Masse ein. Wenn es ihr schon geboten wird, so wird sie nicht sparen. Erst als sie die Piholen nacheinander aufnimmt, öffnet und an ihnen riecht, spürt Lucilla langsam wieder die kühle Luft um sich herum. Sie stellt die Phiolen ab, nimmt die Tunika auf und schlüpft schnell hinein. Es handelt sich um einen sehr feinen Stoff und schon will sie Tetischeri fragen, wie diese Männer an solche Kleider kommen. Doch die Frage bleibt ihr im Hals stecken und ein Bild der einstigen Besitzerin steigt in ihr auf: das Bild einer bleichen Frau, umfangen von Seetang und der Strömung des Meeres, die Augen weit geöffnet und doch nie wieder sehend. Fest nimmt sich Lucilla vor, sich nicht von all dem Luxus blenden zu lassen. Dieses Schiff bleibt ein Schiff voller blutrünstiger Männer. Da sie die Aussicht der Besitzerin des Kleides zu folgen ein wenig schwindlig werden lässt, setzt sich Lucilla eilig auf den Stuhl und blickt zu der Aegypterin auf. "Wenn du mir helfen würdest." Sie deutet auf den Kamm. "Zumindest, bis die gröbsten Knoten gelöst sind ..." Sie legt ihren Kopf schief, so dass die junge Frau den Kamm leichter durch die langen Haarsträhnen bekommen würde. "Folgen diese Männer einem Ziel? Wohin fahren wir? Und was ... was hat er mit mir vor?"

  • Sanft plätscherten die Wellen gegen die Bordwand der Harpyia. Dass sie kein Wind antrieb, wegen der gerefften Segel, war überall im Schiff zu spüren, hatte doch das stete Rauschen des Meeres um sie abgenommen. So glitt das Schiff nur geisterhaft von der Strömung getrieben durch das Meer, als ob keine Seele an Bord das Schiff lenken könnte, was natürlich nur trügerisch war. Die gutgelaunten Männer beim Essen waren durch die Planken und Schotts des Schiffes deutlich zu hören, wenn auch das Wirrwar aus Stimmen keine verständlichen Wortfetzen offenbarten. Während Schwamm für Schwamm, Wasserschwall für Wasserschwall den Dreck der letzten Tage von Lucillas Haut wusch, somit die äußerlichen Spuren ihrer entwürdigenden Einpferchung beseitigten, wurde das Getrappel vom Schiff wieder lauter und eine deutliche Stimme, ein unverwechselbarer Timbre, drang nach unten.
    "Ein Reff im Großsegel wegnehmen! Leesegel setzen! Kurs Westsüdwest! Und luvt noch etwas an! So ists richtig!"
    Merklich nahm die Harpyia Fahrt auf, das Holz des Schiffes gab eine leises Seufzen von sich als der Wind stärker über die Segelfläche strich und nach vorne durch die Wogen des Meeres drückte, weiter Südwestwärts und weiter weg vom italischen Land, in eine ungewisse Fremde für Lucilla.
    Tetischeri verfolgte die Wandlung von Lucilla nur mit scheuen Blicken, traute sie sich doch zu keinem einzigen Moment Lucilla direkt oder offen anzusehen. Folgsam tat sie alles, damit Lucillas Herrichten einfacher und komfortabler vonstatten gehen konnte. "Ich weiß es nicht, warum er auf dem Schiff bleiben will. Er spricht nicht gerne darüber, Herrin!" murmelte sie leise. "Aber er meinte etwas von einer Blutschuld, die ihn dazu verpflichten würde!"
    Mit ineinander verschränkten Händen und ruhig wartete Tetischeri neben dem Tisch während Lucilla sich weiter wusch und ihre Haare in den Kessel tauchte. Das Wasser im Kessel bewegte sich immer schaukelnder und das Schiff hob und senkte sich in der Fahrt schneller, fing laufend mehr von der Brise in ihrer Segelfläche auf. Tetischeri Finger griffen nach dem Kamm. Vorsichtig nahm sie eine dicke dunkle Haarsträhne von Lucilla in ihre andere Hand und setzte den Kamm an. Sorgsam begann sie das Durcheinander in den Haaren von den Haarspitzen an zu lösen, dabei bedacht Lucilla keine Schmerzen zuzufügen. Ihre Finger waren dabei auch recht gewandt.
    "Plündern? Morden und Rauben? Ich glaube andere Ziele haben diese Wilden und Barbaren nicht. Es sind doch fast alles ehemalige Sklaven, die der Pirat von den erbeuteten Schiffen geholt hat. Viele von ihnen sind von dem Kapitän von den Ruderbänken geholt worden und so manch einer ist ihm deswegen bis zum Tod loyal. Oder es ist die Gier, die diese Männer antreibt. Die Gier sich zu rächen und reich zu werden. Was brauchen sie noch für Ziele?" Tetischeris Stimme klang bitter und dabei doch sehr ängstlich, war jedoch weniger ein Flüstern mittlerweile.
    "Ich habe gehört, dass der Kapitän auf die Küste Africas zuhält. Vielleicht..vielleicht...!" Tetischeri verstummte. Vielleicht konnte man dort fliehen, hatte sie anfügen wollen, aber sie traute sich nicht. Hatte sie doch schon vor langem viel von ihrer Hoffnung aufgegeben, gerettet zu werden. Es würde sich bestimmt keiner mehr um sie kümmern wollen. "Vielleicht will er jedoch auch wieder zu dieser Insel mit den freundlichen Fischern!" Immer mehr Strähnen wurden von ihren sanften Finger gelöst und gekämmt. Ihre Finger hielten die Haare oberhalb der Stelle wo sie kämmte, damit das Ziepen nicht Lucilla störte. "So hat das auch immer meine Amme gemacht.", murmelte sie wieder ganz versunken. Schnell schüttelte sie die Erinnerung an ihre Familie, ihren Vater und ihrem Heim von sich. "Ich weiß nicht, was sie mit Euch vorhaben, Herrin. Darshi hat mir dazu auch nichts gesagt." Nunmehr fuhr der elfenbeinerne Kamm glatt durch Lucillas dunkle Haarmähne hindurch.
    Vielleicht auch keinen Moment zu früh, näherten sich doch erneut Schritte der Kajüte. Die Tür wurde aufgerissen, ohne dass vorher angeklopft wurde. Ein Mann mit zernarbten Gesicht, schwarzen verfilzten Haaren und einem ausgebrannten Augen trat hinein. Von ihm ging ein säuerlicher Geruch aus als er mit einem breiten Holzbrett in den Raum schritt und es auf dem Tisch abstellte. Ein finsteren Blick zu Lucilla werfend, dabei kurz an seinem Amulett, einige Hühnerknöchelchen, greifend, wandte er sich um und verließ eisig schweigend die Kabine.
    Auf dem Brett stand eine große tönerne Schüssel mit stark eingedicktem Mulsum und einem dicken Fleischstück, was in der Fischsoße schwamm, nebst einem Krug mit verdünnten Wein lag dort noch ein Stück Brot für Lucilla bereit.
    Tetischeri ließ den Kamm sinken und strich Lucillas Haare etwas zurück. "Herrin, Ihr solltet Euch in Acht nehmen. Die Besatzung fürchtet, haßt Euch jedoch bereits jetzt schon. Sie glauben, dass Ihr Unglück an Bord gebracht habt und wollen Euch am liebsten über Bord werfen und den Nereiden opfern."

  • Lucilla schaudert, als die laute Stimme des Kapitäns durch das Schiff halt. Diese Stimme würde sie wahrscheinlich noch auf Monate hinaus in ihren Alpträumen verfolgen. Vorausgesetzt, sie würde noch so lange leben. Verständnislos schüttelt sie den Kopf. 'Blutschuld' - das ist wie die hochheilige Verpflichtung gegenüber dem Imperium, ein Konzept, das nur Männer in ihrer verquerten Vorstellung von Pflicht und Ehre nachvollziehen können. Lucilla hat schon lange aufgegeben, es verstehen zu wollen, doch darüber aufregen kann sie sich immer wieder, vor allem, wenn es ihre Familie betrifft. Ein wenig gleicht das Konzept dem des Fluchs, auch dieser bindet einen an ein Schicksal. Wahrscheinlich ist es sogar ein Fluch, nur dass die Männer viel zu einfältig sind, um dies zu erkennen und um auf die Idee zu kommen, ihn zu lösen. Großtante Drusilla hat immer gesagt, Flüche sind Frauensache, und hätten die Frauen Roms ein Interesse daran, so würden sie längst offen die Geschicke des Reiches lenken. Doch irgendwie muss man die Männer bei Laune halten und so geschieht es nur verborgen. Lucilla seufzt. Manchmal scheint Rom so kompliziert und dann stellt sich heraus, dass es zwischen dem Zentrum der Welt und einem Piratenschiff im Grunde gesehen keinen Unterschied gibt. Plündern, Morden, Rauben - ist es das nicht, was die Feinde Roms auch den Römern vorwerfen? Wieviele Senatoren werden wohl von Gier getrieben?


    "Africa ..." murmelt Lucilla leise und voller Sehnsucht, während der Kamm durch ihr Haar fährt. Westsüdwest, das würde sie von Massilia aus nach Mauretania führen, nach Caesarea vielleicht, die farbenprächtige, blühende Handelsstadt in deren Nähe der schönste Marmor des ganzen Reiches abgebaut wird. Dort, wo sie mit Avarus in marmornen Palästen residiert und gespeist hat. Dort, wo Africa so voller Leben, Fruchtbarkeit und Schönheit und die Wüste weit entfernt ist. Doch es ist zweifelhaft, dass dieses Schiff dort einlaufen wird. Eher in einer kleinen Bucht, abgeschieden und fern von den größeren Häfen. Dennoch, wenn es ihr gelingen würde, von dort zur Küstenstraße zu gelangen und mit irgendeinem Reisenden - wenn es sein müsste sogar auf einem Pferd oder Kamel - bis nach Caesarea ... Das Poltern des Seemannes, der das Essen bringt, reißt Lucilla aus allen Überlegungen. Unmerklich hält sie bei seinem Gestank die Luft an, bis er die Tür wieder geschlossen hat.


    Nach dem Fraß der letzten Tage kommt Lucilla das einfache Mahl wie ein Festtagsessen vor. Wahrscheinlich ist ein Stück Fleisch das für die Verhältnisse an Bord auch, doch im Normalfall würde Lucilla dieses Essen kaum anrühren. "Hast du Hunger? Iss mit mir, ich bin eh so ausgehungert, dass ich kaum die Hälfte davon runterbekommen werde." Sie bedeutet Tetischeri sich zu setzen, nimmt das Stück Brot und teilt es. Während sie auf dem ersten Bissen herum kaut, denkt sie über die Worte der Aegypterin nach.


    "Falls du mit irgendwem sprichst, dann sag ihnen, dass mein Leben mit dem des Kapitäns verbunden ist. Wenn sie mich dem Meer übergeben, so werden die Götter auch nach ihrem Kapitän verlangen und mit ihm nach dem gesamten Schiff und seiner Mannschaft. Siehst du, so einfach ist das. Die mächtigsten Zauber sind jene, die man mit seinem eigenen Leben bezahlt und derjenige, der nichts mehr außer diesem zu verlieren hat, der ist mächtiger, als alle Kaiser, Könige und Kapitäne der Welt zusammen."


    Es ist Lucilla aufgefallen, dass Tetischeri den Namen des Kapitäns nicht erwähnt, doch sie fragt nicht weiter nach. Sie würde es früh genug erfahren, wenn überhaupt. "Ich muss trotzdem mit ihm sprechen." Wenn die Situation an Bord tatsächlich so ist, wie die Aegypterin sagt, dann müsste der Kapitän daran interessiert sein, sie wieder los zu werden und zwar lebend. Diese Chance muss Lucilla nutzen, möglichst bevor die Mannschaft zu meutern beginnt oder der Kaptiän es sich anders überlegt. Die Möglichkeit zur Rache würde sie ihnen kaum bieten können, doch vielleicht würde etwas Reichtum ausreichen.

  • "Hoiho! Ihr Männer, unserm Sang
    Hoiho! Antwortet Widerklang.
    Des weit ergoß'nen Meeres Heer
    Lacht nun mit heiterm Antlitz her.
    Er hat die Schiffbahn glatt gemacht,
    den wilden Sturm zur Ruh' gebracht:
    Die schwere Springflut nun gezähmt,
    Hat nun sich stillem Ruhm bequemt.


    Hoiho! Ihr Männer, unserm Sang,
    Hoiho! Antwortet Widerklang.
    Frisch angestemmt und gleichen Schlag,
    Bis Kiel und Bord erheben mag!
    In Eintracht mit dem blauen Meer
    Lacht wolkenlos der Himmel her.
    Und frisch geregt vom Windes..."
    Ein schmerzhafter Laut unterbrach den Mann, der leise in der Nähe der Kabine die Worte des römischen Matrosenliedes mit seiner rabenähnlichen Stimme krächzte. "Halt's Maul, der Kapitän haßt das Lied. Und knüpf lieber die Taue weiter!" Ein Grummeln und ein: "Ja, ja, ist ja schon gut!" war die einzige Antwort darauf. Tetischeri nickte ehrfürchtig und gehorsam auf die Einschärfung, Lucillas Worte über den Fluch. "Eine Zauberin ist wahrlich sehr viel mächtiger als ein Kapitän, vielleicht mächtiger als mancher Basileos oder Pharao es je sein kann. Frauen wohnt auch eine viel größere Macht bei, gegeben durch Isis und den anderen Göttern. Meine Mutter hat mir erzählt, daß die Pharaonin Kleopatra auch eine mächtige Zauberin war, hatte sie doch die größten Römer in ihren Bann gebracht." Andeutungsweise schüttelte sie den Kopf auf das Angebot. "Ich hab keinen Hunger, werte Herrin. Und ob ihr den Kapitän sprechen könnt, das kann nicht ich entscheiden." Es klopfte an der Tür und zögerlich öffnete sich diese.
    Dardarshi trat in die Kabine, musterte das Essen, seine vernarbten Lippen zogen sich in die Breite- es war wohl eine Art von Lächeln. Mühsam ging der Parther durch den Raum und zog sein Bein dabei hinter sich her, bemüht nicht durch den Wellengang des Schiffes zu straucheln. Tetischeri sprang schnell von ihrem Hocker auf und half Dardarshi auf jener Sitzgelegenheit Platz zu nehmen. Dardarshi warf ihr einen dankbaren und durchaus liebevollen Blick zu, schenkte dann jedoch seine Aufmerksamkeit gänzlich Lucilla. Tetischeri setzte sich auf den Boden, lehnte sich dabei sachte gegen Dardarshi, in einer vertrauten und schutzsuchenden Geste.
    Mit seiner rechten Hand, sie war über den ganzen Rücken mit brandigen Narben versehen und sein kleiner Finger stand in einem unnatürlichem Winkel ab, strich er Tetischeri zärtlich durch ihre ebenholzfarbenen Haare.
    "Bona Saturnalia, werte Dame!" Seine Augen sahen Lucilla milde an, seine Stimme enthielt keinen Hohn. "Der Kapitän wird Dir einige Freiheiten gewähren. Du wirst auf dem Schiff sein können, fast als ob Du ein Gast wärst. Das bist Du mit nichten, doch es ist Dir genauso gestattet, hier in der Kabine zu wohnen, Tetischeri wird Dir alles bringen, was Du brauchst. Ansonsten darfst Du die Enge dieses Raumes mit mir verlassen, um an Deck ein wenig zu Tage zu flanieren!"
    Dardarshi hob seine andere Hand zu seinem vernarbten Kinn, fuhr sich sinnierend dort entlang, diese Hand war von gesunder Haut überzogen, seine Finger dort schlank und wirkten wie die eines Gelehrten und weniger eines grobschlächtigen Piraten. Nachdenklich suchten Darshis Augen Lucilla zu ergründen, doch er ließ das wieder und lehnte sich ein wenig nach hinten. "Möchtest Du vielleicht jetzt ein wenig an die frische Luft? Und wie ist Dein Name, wenn ich fragen darf?"

  • Ein Stück Fleisch findet noch seinen Weg in Lucillas Mund, dann wird die Tür geöffnet. Der merkwürdige Zauberer Dardarshi betritt den Raum. Noch immer weiß Lucilla nicht, was sie von ihm halten soll. Trotz seines wüsten Aussehens scheint er nicht an Bord zu passen. Die Männer bringen ihm Respekt entgegen, obwohl er kaum gegensätzlicher zu ihnen sein könnte und sie fragt sich wirklich, was es ist, das ihn tatsächlich an dieses Schiff bindet. Aufmerksam beobachtet sie die Verbundenheit, die zwischen ihm und der Sklavin herrscht, bis er sie anspricht.


    "Bona Saturnalia?" Lucillas Mund öffnet sich leicht und ihre Augen weiten sich in fragendem Entsetzen. Die Saturnalia! Erschrocken schlägt sie eine Hand vor den Mund und presst diesen fest zusammen, um dem erstickten Laut, der sich in Freiheit kämpfen will keine Chance zu lassen. Sie hat so viele Pläne für das Fest gehabt. Nachdem sie Ambrosius im letzten Jahr ein grauenhaftes Mahl zubereitet hatte, wollte sie sich in diesem Jahr helfen lassen und ihm die schönsten Saturnalien bereiten, welche er je erlebt hat. Doch es ist zu spät, er würde nie wieder Saturnalia feiern. Eine Träne kullert aus ihrem Auge, die sie eilig fort wischt. Es bleibt in der kleinen Kabine nicht viel, wohin sie ihren Blick wenden kann, darum heftet sie ihn auf das restliche Fleisch. "Bona Saturnalia, Ambrosius." flüstert sie beinahe lautlos. "Bitte verzeih mir."


    Wut steigt in Lucilla auf, unbändige Wut und sie richtet ihren herausfordernden Blick auf Dardarshi. In ihren Augen liegt ein schimmernder Glanz, hervorgerufen durch die unsichtbaren Tränen. "Der Kapitän tut gar nichts, nicht wahr? Du bist es, der all das hier erreicht." Sie umfasst den Raum, ihre Kleidung und das Essen mit einer ausladenden Handbewegung. "Er ist ein Monster, ist es nicht so? Er fürchtet mich nur, weil meine Worte ihn dorthin zurück schicken werden, woraus er hervorgekrochen ist, in die tiefsten Winkel des Orcus!"


    Energisch steht sie auf. "Ich möchte ihm ins Gesicht sagen, was für ein Scheusal er ist und ich möchte ihm die Augen auskratzen." Ihre Worte sollen das letzte sein, was er fürchten solle, oh ja, er würde die rohe Gewalt einer Decima zu spüren bekommen. Sie atmet tief durch und ballt ihre Hände zu Fäusten, um ihr unbändiges hispanisches Temperament zu mäßigen. Dardarshi trägt keine Schuld. Womöglich eine Teilschuld, doch die Wurzel allen Übels ist der Kapitän. Und selbst, wenn sie zu Tetischeri Vertrauen gefasst hat, der Pirat steht in irgendeiner Verbindung zu seinem Kapitän und es wäre besser, nicht allzu offen mit ihm zu sein. Noch einmal atmet sie tief durch und lächelt dann mehr schlecht als recht. "Entschuldige, diese Enge macht mich noch wahnsinnig. Fürs erste möchte ich tatsächlich gerne ein wenig an die frische Luft." Besser jetzt, solange die Männer noch am Essen sind, als später, wenn sie alle an Deck sind. Schon nimmt sie den Überwurf vom Bett auf und ist an der Tür. "Mein Name ist Lucilla." Da sie noch nicht sicher ist, ob ihre Gens ihr mehr Vorteile oder mehr Schwierigkeiten bringen würde, hat sie sich dafür entschieden, sie vorerst nicht zu erwähnen.


    Als sie die Tür öffnet verschwindet die beruhigende Vorstellung, ihr Quartier könnte irgendwo anders sein, als auf einem Schiff. Zielstrebig geht sie durch den dunklen Gang die Treppe hinauf, um endlich hinauf ins Tageslicht zu gelangen, als könne sie dadurch die Umgebung von sich abschütteln. Ob Dardarshi ihr folgt oder nicht ist ihr gleich. Er hat das Leben in den Eingeweiden eines Schiffes für sich gewählt, sie nicht. Lucilla achtet darauf, keinen der Piraten denen sie begegnet direkt anzusehen, dabei ihren Blick jedoch nicht abzuwenden, sondern einfach von ihnen keine Notiz zu nehmen. An Deck blickt sie über das Schiff, auf der Suche nach dem Kapitän. Der Pirat hatte immerhin gesagt, sie dürfte überall hin gehen.

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