Ein höchst brisantes Anliegen

  • Seit langem wach, aber noch immer versonnen im Bett liegend, wurde ich durch ein heftiges Klopfen aufgeschreckt. Die Sklavin stand eher im Zimmer, als ich „herein“ sagen konnte. Schon runzelte ich die Stirn, als ich jedoch Marcs Sklavin erkannte, die hastig sprach und auch sonst einen unruhigen Eindruck vermittelte. Ich seufzte und beschloss, nun endlich aufzustehen. Worum es im Gespräch der beiden Männer ging, war mir sofort klar: Marc hatte vor Stunden sein Vorhaben angekündigt.

    „Wie ist die Stimmung zwischen den beiden?“,
    fragte ich, während ich mich der Einfachheit halber gleich von Camryn waschen ließ. Die Auskunft war wenig geeignet, Beruhigung aufkommen zu lassen, also blieb ich schweigsam bis zu jenem Moment, als ich eingekleidet, frisiert und geschminkt war – dezent genug und damit wenig aufwendig für diesen noch jungen Morgen. Zeit mochte verstrichen sein, die womöglich das Blatt im Triclinium gewendet haben konnte. Ich beschloss, unvoreingenommen zu bleiben, ließ mir die Tür öffnen und strebte in Camryns Begleitung dem Speisezimmer entgegen.


    Äußerlich ruhig, innerlich durchaus angespannt, betrat ich den Raum, schaute zunächst zu meinem Vater, dann zu Marc, dem ich ein Lächeln schenkte, und grüßte schließlich fröhlich, als wäre es ein Tag wie jeder andere.


    „Salvete! Der Morgen beginnt gut, wenn ich an der Seite der beiden mir wichtigsten Männer das Frühstück einnehmen darf.“ Ich lächelte unschuldig, durchquerte den Raum und nahm in einem Korbsessel Platz, von dem aus ich sowohl meinen Vater als auch Marc betrachten konnte.


    „Ich nehme gemischtes Obst, Brot und Käse“, wies ich die Sklavin an, die zur Bedienung bereitstand. Dabei blickte ich aus den Augenwinkeln zu Marc, betrachtete sein Gesicht, weil es mir nie so schön wie an diesem Morgen erschienen war, und versuchte gleichzeitig, in seinen Augen den Stand der Dinge abzulesen.

  • Während Vesuvianus und ich warteten, verging eine geraume Zeit. Ich wollte nicht so unhöflich erscheinen und mich erneut dem ientaculum widmen, und so nahm ich eher häppchenweise Dinge vom Teller und verzehrte sie in appetitanregend langsamer Manier. Man hörte ja hier und dort, dass Frauen schrecklich lange brauchten, ehe sie sich in gesellschaft begeben konnten. Gestern Abend hatte ich die Deandra, die ich unter der Schminke gefunden hatte, auf eine andere Art hübscher gefunden als jene, die sich für Feste einschminken ließ. Vielleicht war aber der ursprüngliche Anblick nur dem Geliebten gestattet, überlegte ich gerade, als der Sonnenschein den Raum betrat und fröhlich grüßend die Situation etwas lockerte. Ich lächelte sie an, doch mein Gesicht wies gleichzeitig jenen Gesichtsausdruck auf, den ein Knabe wohl haben mochte, wenn er in der Patsche steckte und nun beim Vater einen starken Willen beweisen musste oder unwillkürlich scheitern musste.


    "Guten Morgen, Deandra", sagte ich leiser als eben und recht schlicht. Mehr sagte ich nicht, sondern beließ es bei einem Blick, den nur sie zurecht deuten mochte. Alles weiter hing nun daran, was Vesuvianus sagen würde.

  • Stumm wartete Claudius auf das Eintreffen seiner ältesten Tochter. Dem Aurelier warf er ab und an einen forschenden Blick zu, doch eingeschüchtert wirkte er nicht. Zwar hatte Vesuvianus der Hinweis bezüglich des Schutzes seiner Tochter aus dem Munde eines bisherigen Verwaltungsbeamten wenig beeindruckt, aber der gute Wille zählte für den Offizier durchaus. Die Legion würde den Jungen noch früh genug mit dem Tod konfrontieren, also war es müßig, darauf zu antworten, er dachte sich seinen Teil. Zudem ahnte er längst, dass jener die Verbindung nicht aus irgendeinem Kalkül heraus angestrebte.


    Eine Weile später erschien Deandra. Claudius beobachtete sowohl ihr Verhalten als auch das Corvinus' sehr genau. Ihre Wortwahl sprach bereits Bände. Ehe er sich allerdings zu der im Raum stehenden Sache äußerte, zeichnete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ab, als er sich an seine Tochter wandte.


    "Deandra, schön, dass du uns Gesellschaft leistest. Corvinus und ich besprechen gerade eine wichtige Entscheidung deine Zukunft betreffend. Du kannst dir vielleicht denken, dass es um deine Heirat geht. Ich würde gern zwei Dinge von dir wissen. Zum Einen: Hast du in letzter Zeit etwas von Sophus gehört? Hat er sich vielleicht in schriftlicher Form an dich gewandt? Die andere Frage betrifft Corvinus. Wie stehst du zu ihm?

  • Als mein Vater zu sprechen begann, löste ich den Blick von Marc und hörte ihm aufmerksam zu. Das Thema „Heirat“ überraschte mich nun wahrlich nicht mehr. Allerdings hatte ich in diesem Zusammenhang Sophus inzwischen gänzlich verdrängt, weswegen ich verwundert die Brauen hob, als Vesuvianus auf ihn zu sprechen kam.


    „Ob ich etwas von Sophus gehört habe?“ Von der Frage nicht nur überrascht, sondern durchaus auch irritiert, schaute ich zu Marc. Gern hätte ich ihn gefragt, wer dafür verantwortlich war und warum Sophus ins Gespräch gebracht wurde, wo ich doch wusste, dass es hier um sein Anliegen, oder eben unser Anliegen ging. In dem Augenblick, als ich zu meinem Vater zurückschaute, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Vesuvianus hatte mich ja adoptiert, damit ich Sophus ehelichen konnte.


    „Äh …“, ich hob kurzzeitig die rechte Schulter, „… im letzten dreiviertel Jahr nicht.“
    Weil ich nicht sofort eine Antwort bekam und eine zweite Frage im Raum stand, wandte ich mich kurz entschlossen dieser zu. Ich konzentrierte mich darauf, Marc nicht bei seinem Vornamen zu nennen, das gehörte sich in der Öffentlichkeit nicht, denn noch stellten Vesuvianus und er ja keine Verwandtschaft füreinander dar.


    „Corvinus, … ähm …“
    Weil mir zunächst Worte einfielen, die mir keineswegs angemessen erschienen, suchten die Augen an irgendwelchen Stellen im Speisezimmer nach DER Eingabe. Ich musste über so viel Durcheinander im Kopf lächeln. „Ja, … ich …“ Der gestrige Abend kam mir in den Sinn. Da war so vieles geschehen, das mir eigentlich nicht gestattet gewesen, aber gleichzeitig sehr bedeutungsvoll war. Der aufziehenden Röte gegenüber hilflos ausgeliefert, senkte ich den Blick. Diese Verhörsituation machte mir wohl mehr zu schaffen als ich zunächst dachte. Möglicherweise lag es aber auch daran, weil für mich sonnenklar war, mit wem ich mein Leben teilen wollte und die Thematik Sophus mich unvorbereitet getroffen hatte.


    Schließlich schaute ich meinen Vater, der Röte ungeachtet, wieder an und erwiderte mit der mir eigenen, leisen und doch festen Stimme: „Ich habe mich verliebt, Vater; möchte bei ihm sein.“ Es gab viel mehr zu sagen, aber nichts, das wichtiger war als das.

  • Deandra benötigte vermutlich einen Moment, um vom normalen Morgenmahl auf eine wichtige Angelegenheit umzuschalten, die ihre Zukunft maßgeblich beeinflussen sollte. Claudius bemerkte ihre Irritation, die nachfolgende Erklärung bestätigte Corvinus’ Aussage. Es sah ganz danach aus, als ob Sophus tatsächlich kein Interesse mehr hatte. Der Claudier überlegte mit gerunzelter Stirn, während seine Tochter nach Worten suchte, um die Beziehung zu Corvinus zu erklären. Die geröteten Wangen und ihre offensichtliche Verlegenheit ließen die Vermutung aufkommen, dass zwischen ihr und ihm möglicherweise Dinge gelaufen waren, die einer patrizischen Dame unwürdig waren, solange sie unverheiratet war. Er taxierte Corvinus mit kritischem Blick, um auch bei ihm eventuelle Anzeichen der Scham sofort bemerken zu können.


    Wortwahl und Verhalten seiner Tochter bewirkten aber mehr als nur Verdachtsmomente, sie veranlassten ihn, eine endgültige Entscheidung zu fällen. Zwar war es schwierig, ohne den Gedanken an einen Vertrauensbruch gegenüber seinem Waffenbruder seine Einwilligung zu geben, doch da dieser offenbar kein weiteres Interesse zeigte, beschloss er, Corvinus als den zukünftigen Mann vorzuziehen, an dessen Seite Deandra durch das Leben schreiten sollte. Er war ein Aurelier, der den Senat anstrebte, und da dies ein ehrbarer Weg und die Aurelier ohnehin eine befreundete Familie waren, wogen die Ausmaße seiner Einwilligung vermutlich einzig in puncto Sophus schwer.


    "Nun", hob er lang gezogen an und zögerte seine Worte noch hinaus, Deandra wie Corvinus mit ausdrucksloser Miene anblickend.
    "Ich stimme einer Heirat zu. Du darfst sie mit nach Germanien nehmen, wenn sie es möchte. Ich lege die Verantwortung in deine Hände, Corvinus. Ich halte dich für einen Ehrenmann. Enttäusche mich nicht."

  • Es war durchaus eine Art Verhör, in dem Deandra jetzt steckte. Ich hätte ihr gern die Fragen erspart oder ihr zumindest geholfen, aber sie würde da allein durch müssen. Mein Blick blieb kühl und ernst, auch als sie errötete und vermutlich an dasselbe dachte wie ich in jenem Moment. Vesuvianus beobachtete mich, das konnte ich spüren, und ich gab den Anschein, unberührt von ihrem Geständnis zu sein, auch wenn ich natürlich etwas dabei empfand, als sie von Verliebtheit sprach.


    Auch nachdem Deandra geendet hatte, schwieg er noch, und inun war ich es, der ihn gezielt beobachtete, jedoch nichts anhand seiner Miene ablesen konnte. Das Herz kräftig klopfend, sah ich zu Deandra und anschließend wieder zurück zu ihrem Vater, da dieser nun das Wort erhob. Endlos schien sich der Satzanfang dehnen zu wollen. Und dann sprach er die Worte, die mir augenblicklich ein Lächeln abrangen. Ich atmete auf und wirkte stolz, was sich auch auf die Körperhaltung niederschlug. Mit Deandra tauschte ich einen kurzen Blick, dann setzte ich zu einer Antwort an.


    "Dein Vertrauen ist mir eine Ehre, Vesuvianus. Ich werde dir deine Tochter wohlbehalten wieder zurück bringen. Hab Dank."


    Ich senkte den Kopf und verharrte zwei, drei Herzschläge lang in dieser angedeuteten Verbeugungshaltung, dann blickte ich zur Dame des Herzens hinüber und stellte ihr die Frage, dich wichtig für mich war, obwohl ich doch Deandras Antwort hierauf bereits kannte.


    "Möchtest du mit mir nach Germanien reisen?"

  • Nachdem nun meinerseits alles gesagt war, fand ich auch meine Sicherheit wieder. Ich wusste gar nicht, was es nun so lange zu überlegen gab, aber Vesuvianus sah das offensichtlich anders. Er schwieg zunächst beharrlich und vielleicht wäre in mir Unruhe aufgekommen, wenn mir die Unterhaltung der beiden Männer in Gänze bekannt gewesen wäre. So aber wartete ich mit Gelassenheit auf den Entscheid, den ich ja im Voraus kannte – nicht weil ich Gedanken lesen konnte, sondern weil eine Ablehnung für mich unvorstellbar war.


    Wie zur Bestätigung nickte ich dann auch, als er sich endlich anschickte, seine Entscheidung zu verkünden. Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht und wuchs scheinbar beständig. In den Wortwechsel der Männer mischte ich mich jedoch nicht einmal mit einem Wort des Dankes ein. Wie mich die Auskunft freute, konnte mein Vater auch ohne Worte erkennen, er konnte es in meinen Augen lesen, von den zu einem Lächeln geschwungenen Lippen ablesen, vielleicht sogar an meinem Herzschlag hören. Wer wusste das?


    Mit Marcs Frage hatte ich nicht mehr gerechnet. Ich dachte, nun sei alles gesagt, Entkrampfung möglich, das Frühstück konnte nun allen schmecken, aber nein, es wurde hier und heute alles oberkorrekt gehandhabt. In Anbetracht dessen, dass er so todernst war, hätte ich ihm am liebsten einen Schabernack gespielt, aber vermutlich würde weder er noch mein Vater dafür Verständnis zeigen, daher ließ ich es.


    „Es ist mir völlig egal, wohin wir reisen, aber wenn du wissen möchtest, ob ich dich begleite, dann lautet meine Antwort: Sehr gern!“ Am Ende verdrängte ein glückliches Lächeln die zu Beginn spaßig gemeinte und auch so empfundene Auskunft. Allerdings hielt es mich nun nicht mehr auf meinem Platz. Trotz Hunger und guter Erziehung wurde mir das nun alles zu steif. Ich war noch nie ein Freund jener Römer gewesen, die Stöcke verschluckt und ihre Emotionen verloren hatten.


    „Bei den Göttern, ich fühle mich gerade wie der Inhalt eines Werkvertrages. So geht das nicht.“


    Ich lief zunächst zu meinem Vater, sagte artig „Danke“, gab ihm einen Kuss auf die Wange, zirkulierte mich um den zwischen den Klinen stehenden Tisch und setzte mich zu Marc. Allerdings nur an das Fußende, denn mit mehr Konventionen wollte ich heute nicht brechen. In einer flüchtigen Geste legte ich meine Hand auf sein Bein, bevor ich sie wieder in den Schoß legte.

  • Das Resümee aus Deandras Worten war mir durchaus schon bekannt, doch die Art, wie sie es sagte, ließ mich erfreut lächeln. Vesuvianus schien nur mehr halb im Raum zu sein, nicht annähernd mehr so wichtig wie die Person, die ihm nun einen sanften Kuss auf die Wange setzte und sich dann in meine Nähe begab und sich auf dem Fußende meiner cline niederließ. Ich konnte durchaus nachvollziehen, dass es für sie nicht gerade schön war, wie ein besonders kostbares Schmuckstück gehandelt zu werden, aber man(n) musste sich eben anpassen, und das Aushandeln einer Ehe war nun einmal eine Angelegenheit, in der Gefühle eine untergeordnete Rolle spielten oder zumindest spielen sollten. Ich sehnte mich nach einem Spaziergang, dem Moment, an dem wir allein sein würden. Ihre flüchtige Geste, das Handauflegen, interpretierte ich als zaghaften Versuch, Zuneigung gezeigt zu bekommen. Ich mochte in Situationen, die es verlangten, ernst und beherrscht sein, doch sah ich hier keinen Grund mehr, meine Freude zu verbergen. Also rutschte ich von meiner mittigen Sitzposition zum Ende der Liege und legte einen Arm um Deandra herum, sie im für Vesuvianus Verborgenen kurz streichelnd. Erst dann sah ich ihren Vater wieder an.


    "Ich plane, in drei Tagen abzureisen. Meine Angelegenheiten werden bis dato geregelt sein. Sofern euch dieser Termin zusagt, werde ich meine Sklaven anweisen, Deandras Reisegut an jenem Vormittag abzuholen. Ich hoffe nur, dass in den Alpen der Schnee nicht mehr zu allzu hoch liegt. Eine größere Verzögerung möchte ich mir eigentlich nicht leisten, und der Weg ist weit."


    Ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah danach Deandra an und wieder zurück.


    "Die sponsalia werden wir verständlicherweise erst nach unserer Rückkehr feiern können. Das sollte allerdings kein großes Problem darstellen. Ich möchte nun gar nicht länger stören, du hast sicherlich noch andere Angelegenheiten zu regeln, Vesuvianus. Ich danke dir. Deandra, hättest du vielleicht noch Lust auf einen kleinen Spaziergang?" fragte ich und lächelte sie nun an.

  • Vesuvianus ließ sich das Küsschen seiner Tochter gefallen, auch wenn er der Kritik nicht unbedingt zustimmen konnte. Im Gegenteil, noch war die Frage der Mitgift nicht geregelt. Allerdings würde er sich wohl mit der Bezahlung enorm viel Zeit lassen können, wenn man den Vorstellungen des zukünftigen Gatten Glauben schenken konnte. Der Claudier grinste. Offensichtlich hatte der Mann keine Ahnung, wie lange ein Tribunat in der Regel dauerte. Ein "Tz", rutschte ihm daher heraus, als Aurelius den Zeitpunkt der Sponsalia grob benannte.


    "Die Mitgift sollten wir auch noch klären, bevor du nach Germanien aufbrichst. Vielleicht können wir uns heute sogar rasch einigen, ansonsten müssen wir das Gespräch auf einen anderen Tag verschieben. Die Zeit ist fortgeschritten und der Dienst im Castellum wartet auf mich. Wärst du anstelle von Geld auch mit Grundstücken einverstanden, Corvinus?"

  • Über die Freude der plötzlichen Zusage hinweg hatte ich einen wichtigen Teil der Heirat absolut vergessen. Ich stutzte und wandte meine Aufmerksamkeit nun wieder Vesuvianus zu, innerlich leicht peinlich berührt darüber, dass ich die Mitgift vergessen hatte, äußerlich wieder geschäftlich ernst.


    "Grundstücke", wiederholte ich und dachte nach. Das wäre in der Tat eine Idee. Sollte ich Geld brauchen, würde ich sie verkaufen können, wenn nicht, bildeten sie eine gute Grundlage. Natürlich käme es darauf an, wo sie lagen. Aber an sich eine gute Idee. So nickte ich.


    "Mit Grundstücken wäre ich durchaus einverstanden, Vesuvianus."
    Ich wollte ihn auch nicht weiter aufhalten, vielmehr den Spaziergang mit Deandra genießen, doch hätte ich es als unhöflich empfunden, einfach so aufzustehen und zu gehen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.

  • Claudius nickte zufrieden. Da die Höhe der Mitgift bei Patrizierfamilien in etwa immer gleich war, sparte sich Claudius den konkreten Wert von 20.000 Sz. zu benennen. Er ging davon aus, Aurelius sei dieser bekannt. Wenn nicht, konnte sich dieser immer noch zu Wort melden, dafür ließ der Tribun ausreichend Zeit, bevor er sich erhob und nach seinem Reisemantel verlangte.


    "Wenn es sonst nichts mehr zu besprechen gibt, muss ich mich nun verabschieden."


    Der Mantel wurde gebracht, Claudius legte ihn in gewohnter Weise über die Schultern, raffte den einen Teil und steckte ihn selbstständig mit einer Fibel fest.


    "Die Götter mit dir, Aurelius, und viel Erfolg in Germanien." Er machte einige Schritte, hielt aber nochmals inne und wandte sich Corvinus erneut zu. "Pass auf sie auf." der Andeutung eines Lächelns streifte sein Blick seine Tochter, die er sicherlich vor der Abreise nochmals zu Gesicht bekommen würde, dann jedoch wandte er sich endgültig ab und verließ alsbald die Villa.

  • Natürlich schätzte ich vieles an Marc, aber in diesem Moment besonders, dass er nicht ununterbrochen Geschäftsmann war, sondern wenigstens kurzzeitig einfach nur Marc. Schließlich saßen wir ja im heimischen Triclinium, es war kein Fremder zu Gast und die Themen waren auch weit entfernt von Ernst, Trauer oder Sorge. Ich lächelte daher, als er mich im Verborgenen streichelte und betrachtete derweil die Konturen seiner Beine, die sich unter der Toga abzeichneten.


    Um die erneut einsetzenden geschäftlichen Klärungen mit etwas für mich Spannendem zu füllen, beließ ich den Blick einfach auf Marcs Beinen. Ich stellte mir durch die Erinnerung an den Vorabend vor, wie sie wohl ohne Bedeckung aussahen. Da waren Haare gewesen, völlig andere als bei mir, wobei ich zudem über äußerst wenig Haare an den Beinen verfügte. Zum Glück, dachte ich bei mir, denn wenn man so einige Römerinnen in den Thermen betrachtete, musste deren Enthaarung ziemlich langwierig sein. Den einen oder anderen enthaarten Mann hatte ich auch schon einmal gesehen, aber an diesen Anblick konnte ich mich nicht so recht gewöhnen. Hoffentlich fiel Marc nicht einmal so eine Behandlung ein.


    Ich war derart in meinen Gedanken gefangen, dass ich erst Augenblicke später begriff, dass das Geschäftliche vorbei war und Marc mich fragte, ob ich Lust auf einen Spaziergang hatte. Natürlich hatte ich Lust, aber bevor ich etwas erwidern konnte, gab es Nachschlag in Form der Mitgiftregelung. Es war schwierig, aber ich konnte das Verdrehen der Augen noch rechtzeitig verhindern. Irgendwann erhob sich mein Vater und beendete damit die Besprechung. Ich konnte es kaum fassen, war jetzt tatsächlich alles geklärt?

  • Nachdem alles gesagt worden war, was gesagt werden musste, läutete Vesuvianus den Aufbruch ein. Er erhob sich, und ich tat es ihm gleich, das gebot die Höflichkeit. Ob der guten Wünsche neigte ich den Kopf.


    "Mögen sie auch mit dir sein", erwiderte ich den Abschiedsgruß und sah ihm nach, wie er das triclinium verließ. So stand ich, bis die Tür zuschlug und der Hausherr seine villa verlassen hatte. Erst dann wandte ich mich langsam um und sah zu Deandra herunter. Ein verschmitztes Schmunzeln erschien auf meinen Zügen und ich streckte die Hände nach ihr aus.


    "Na komm", sagte ich leise und wartete darauf, dass sie meiner Geste Folge leistete, um sie daraufhin herzlich zu umarmen. Es war doch noch alles gut gegangen, auch wenn es zuerst wie ein Sieg auf ganzer Linie für Sophus ausgesehen hatte. Noch konnte ich nicht fassen, dass sie wirklich mitkommen und irgendwann sogar meine Frau sein würde. Ich drückte sie an mich und seufzte zufrieden. Ich mochte zwar zuversichtlich in die villa gekommen sein, doch zwischenzeitlich war ich auf eine harte Probe gestellt worden. Deandra würde sicher alles erfahren wollen, wie ich sie kannte, also deutete ich nach einer halben Ewigkeit, die wir so dastanden, mit dem Kopf nach draußen.


    "Gehen wir etwas?"

  • Mit einiger Spannung wartete ich auf sein Verhalten, nachdem Vesuvianus gegangen war. Die Augen waren daher um eine Winzigkeit vergrößert, als er sich langsam umdrehte. Da er jedoch ein recht verwegenes Schmunzeln aufsetzte, konnte ich auch nicht lange ernst bleiben.
    Warum musste er eigentlich immer so wirken, als hätte er alles im Griff? Das ist ja nahezu furchtbar, wenn man selbst nur halb so unfehlbar ist. Und dem nicht genug: Er blieb einfach stehen und streckte die Hände aus, seine Aufforderung war leise, all das beeindruckte mich erneut. Aber vielleicht wirkte alles auch nur durch die rosarote Brille derart perfekt. Sie abzusetzen, war mir allerdings nicht möglich, daher grinste ich ob dieser blödsinnigen Gedanken, streckte nun meinerseits die Hände aus und legte sie in seine - er stand ja unmittelbar neben mir.


    Kraft war nicht nötig, um mich hochzuziehen, dafür strebte ich ihm viel zu selbstständig entgegen. Bei abgeschaltetem Kopf genoss ich zunächst lange Momente seine Umarmung. Es gab nichts, was augenblicklich wichtiger oder erfüllender war. Im Zusammensein mit Marc hatte ich gelernt, dass es möglich war, das Drumherum vollkommen zu vergessen. Egal was da draußen war, es interessierte nicht mehr.


    Natürlich hätte ich die zuvor mit meinem Vater besprochenen Einzelheiten gerne gewusst, wobei immer klar war, dass ich nie fragen brauchte, er berichtete stets von selbst. Auch das hatte ich bei ihm erstmalig kennen gelernt. Unbemerkt war dieses Verhalten auf mich übergesprungen, weil ich gemerkt hatte, es machte den Umgang miteinander so spielend leicht. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es generell Leichtigkeit war, die unsere Verbindung kennzeichnete, sie trug und wertvoll machte.
    Bereitwillig ging ich auf seinen Vorschlag ein.


    „Ja, gehen wir.“


    Ich schob meine Hand in seine und hatte nicht vor, sie demnächst dort wieder fortzunehmen. Welchen Weg er wählte, war mir in dem Moment egal.

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