Sella Curulis des Praetor Urbanus

  • Innerhalb kürzester Zeit wirkte Pyrrus nicht mehr einfach nur ungeduldig, sondern regelrecht angefressen. Unter anderen Umständen hätte Siv sich darüber wahrscheinlich amüsiert und versucht ihn ein wenig zu necken, aber ihre eigene Nervosität nahm nicht ab, eher im Gegenteil. Die Ungewissheit darüber, was Corvinus hier wollte und warum er sie mitgenommen hatte, nagte an ihr, und dass ihr die Füße immer mehr weh taten, trug auch nicht unbedingt dazu bei, dass sie sich besser fühlte. Immerhin hatte sie ja den Vorteil, dass es Winter war, und kalt. Sie wagte gar nicht daran zu denken wie unerträglich es wohl sein musste, im italischen Hochsommer die letzte Phase einer Schwangerschaft aushalten zu müssen.


    Plötzlich, ohne dass Siv es wirklich mitbekommen hatte, stand ein Mann bei ihnen – einer von vielen, die ohnehin hier waren, allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass dieser Mann nun Corvinus ansprach, mit einem Kommentar, der deutlich machte, dass er offenbar hier arbeitete. Leider sagte er nichts, was Siv darüber aufklärte, was Corvinus hier wollen könnte. Sie war sich noch nicht einmal wirklich sicher, was ein Praetor tat, obwohl sie diese – wie im Grunde alle anderen auch – Bezeichnung mehr als nur einmal gehört hatte. Und auch Corvinus sagte nicht wirklich viel… Aussagekräftiges. Rechtsgeschäfte. Das konnte so gut wie alles sein. Sie warf Pyrrus einen Blick zu und überlegte kurz, ihn zu fragen, während Corvinus beschäftigt war, entschied sich aber dagegen. Pyrrus würde ihr noch viel weniger verraten, weswegen sie hier waren, schon gar nicht wenn er so prächtiger Laune war wie im Augenblick.

  • Hätte Macer geahnt, dass eines Tages in einem römischen Codex sogar explizit schriftlich niedergelegt werden würde, dass es verboten sei, beim Ausheben einer Baugrube Steinblöcke aus dem Fundament des Nachbarhauses zu klauen, hätte er sich wahrscheinlich über gar nichts mehr gewundert. Da er das aber nicht ahnte, überraschte ihn fast jeder Tag auf dem Praetorenstuhl noch auf's Neue, auch wenn seine Amtszeit schon weit fortgeschritten war. Die normalen Sachen, Diebstähle und Schlägereien vor allem, hatte er inzwischen gut im Griff, zumal ihm seine Helfer und Beamten mit ihrer Arbeit tadellos zur Seite standen. Auch die zahlreichen friedlichen Sachen, bei denen es gar nicht um einen Rechtsstreit ging, sondern nur um ein Rechtsgeschäft, das eben vor dem Praetor abzuwickeln war, winkte er inzwischen ziemlich routiniert durch. Spannender wurde es dann, wenn er Klagen abwies, weil Formalia nicht eingehalten waren oder schlicht auf die völlig falschen Straftaten geklagt wurde, oder auch, weil es den betroffenen Paragraphen gar nicht mehr gab. Die Nummer 106 war da ein durchaus beliebtes Opfer, auch wenn man annehmen sollte, dass politische Spionage kein allzu häufiger Vebrechen war.


    Und die Schlange schien nicht kürzer zu werden, den sobald sich die einen Kläger oder Bittsteller verabschiedet hatten, kamen schon die nächsten. Manche kannte Macer schon, weil sie häufiger Gast in der Basilica Ulpia waren, andere kannte er schon vorher.

  • Ein Stocken ging durch die Reihe der Anstehenden. Wir kamen ein gehöriges Stück nach vorn. Siv schien nicht zu ahnen, warum wir hier waren. Ich haderte kurz mit mir, ob ich es ihr nicht doch besser sagen sollte, entschied mich aber dagegen. Immerhin wusste ich nicht, wie sie darauf reagieren würde, ob mit Freude, Schrecken oder gar Trauer. Wobei letzteres eigentlich auszuschließen war.


    Ein unbedachter Römer rempelte Pyrrus an, der daraufhin einen unschönen Fluch knurrte und begann, ungeduldig mit dem Fuß zu wippen. Ich seufzte leise. So sehr seine Fähigkeiten auch für ihn Sprachen, so schlecht waren seine Manieren und seine Toleranz. Es wurde wahrlich Zeit für einen alternativen scriba. Erneut rückten wir voran. Es waren nurmehr zwei Personen vr uns an der Reihe. Mein Blick suchte den des Liktors, während ich es nicht verhindern konnte, das Anliegen desjenigen zu hören, der gerade an der Reihe war. Scheinbar hatte er seine Tochter inflagranti mit einem Stallburschen erwischt und wollte sie nun verstoßen.

  • Ein unachtsamer Antragsteller prallte im Lauf gegen den Begleiter des Senators, was Sermo kurz ablenkte und das Gespräch unterbrach. Vorne ging es zudem weiter, weshalb die Reihe aufrückte. Der Liktor ging mit den Wartenden mit, den Blick kurz beiläufig zu Boden gerichtet. Oh, der Mann war überdies auch noch Patrizier. Sermo meinte sich an sein Gesicht erinnern zu können, doch der Name wollte ihm nicht gleich einfallen. Ein Aurelius, so viel stand fest. Doch war dies nun jener, der Ursus genannt wurde? Oder wohl doch einer der vielen Priester, die die Aurelier bekanntlich stellten? Wie dem auch war, Sermo hob den Blick, welcher den des Aurelius traf. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen, während er kurz zum vordersten Antragsteller herüberlugte. "Recht hast du. Die Feiertage sind uns eine Wohltat. Müssen wir doch nicht nur mit solch geduldigen Männern wie dir Umgang pflegen, sondern uns ja auch oft genug mit recht lästigen Zeitgenossen herumschlagen. Wobei ich die Gereiztheit so manch eines Antragstellers durchaus nachvollziehen kann, sieht man sich einmal deren Probleme an." Noch ein verstohlener Blick zu dem Vater, dessen Tochter bald offiziell nicht mehr die seine sein sollte, noch ein halb unterdrücktes Schmunzeln. Manchmal war es eine wahre Wohltat, die Leiden anderer zu betrachten. Es rief dem jungen Quintilier wieder und wieder in den Sinn wie gut es ihm doch bisher immer gegangen war.

  • Zweifellos hatte der lictor den Halbmond ins Auge gefasst, als er eben zu Boden gesehen hatte. Als er jedoch meine Geduld lobte, musste ich schmunzeln. "Glaub mir, ich bin nicht immer geduldig. Andererseits bringt es wohl kaum etwas, hier ungeduldig zu sein. Davon würden die Schlange nicht kürzer, der Prätor nicht schneller und die Anliegen der Anstehenden nicht weniger knifflig", erwiderte ich. "Ja, manche Probleme möchte man selbst nicht haben. Umso besser, dass wir nicht wegen eines Problems hier sind." Ich konnte ein neuerliches Schmunzeln nicht unterbinden.


    Der inzwischen tochterlose Vater zog in diesem Moment direkt neben uns von dannen, wenngleich er dabei auch eher betrübt und traurig wirkte denn erleichtert oder wütend. Nein, manche Entscheidungen verstand man nicht, und viele bereuten später den zuvor gefassten Entschluss. Ob ich den meinen auch bereuen würde? Die Schlange rückte weiter vor. Noch ein junges Paar mit einem Anliegen, das zu leise vorgetragen wurde, als dass man es hätte verstehen können, dann würden wir an der Reihe sein. "Befindest du dich seit Beginn der Amtszeit in den Diensten des praetor Purgitius?" griff ich das Gespräch wieder auf, denn sich ein wenig die Wartezeit mit einem Gespräch vertreiben zu können, war durchaus angenehm.

  • Verstoßene Töchter und störrische Väter, neidische Onkels, Tanten, Vettern und Cousinen, missratene Nichten, Neffen und Enkel - Macer war froh, dass seine lebende direkte Verwandschaft eher klein war, so dass er sich im Privaten eher selten mit solcherlei Problemen herumschlagen musste. Von der Verwandtschaft seiner Frau hatte er bisher auch noch nicht allzu viel derartiges mitbekommen, aber bei einer patrizischen Familie würde sowas wohl auch nur eine Frage der Zeit sein.


    Aber es ging weiter. Auch das Anliegen, dass das junge Paar leise vortrug, fand eine Lösung, die zumindest Macer keine weitere Arbeit mit diesem Fall bescheren würde und die auch die beiden recht glücklich aussehen ließ, als sie dem Ausgang entgegen gingen. "Nächster bitte", ließ Macer daher wieder Bewegung in die Warteschlagen kommen.

  • Siv wurde langsam auch ein bisschen ungeduldig, ein klitzekleines bisschen, aber abgesehen von der Tatsache dass sie schwanger war und keine Lust hatte, lange herumzustehen, wusste sie einfach nicht, warum. Pyrrus unterdessen trug weiter eine griesgrämige Miene zur Schau, und Corvinus unterhielt sich. Siv hörte nur mit halbem Ohr hin. Diese allgemeinen, oberflächlichen Unterhaltungen zwischen Menschen, die sich gar nicht kannten, fand sie etwas mühselig. Sie merkte erst auf, als es plötzlich darum ging, warum sie hier waren. Nicht wegen eines Problems. Irgendwie erleichterte Siv das, auch wenn sie sich das noch ein wenig verlorener fühlen ließ. Nicht wegen eines Problems. Aber warum waren sie dann hier? Und sie mit dabei, wo Corvinus sie doch gerade in letzter Zeit nicht mehr mitgenommen hatte?


    Wieder rückten sie ein wenig in der Schlange vor, als der Vater ging und einem Pärchen Platz machte, und Siv runzelte leicht die Stirn. Rechtsgeschäfte. Corvinus unterhielt sich weiter, und das Pärchen verschwand nun ebenfalls, so dass sie nun ganz vorne waren. Corvinus schien gut gelaunt zu sein, den ganzen Weg hierher schon. Was deutlich im Gegensatz zu seinem Verhalten ihr gegenüber in den letzten Tagen gestanden hatte. Irgendwo in Siv begann sich ein Verdacht zu formen, vielleicht schon seit mehreren Augenblicken, ohne dass es ihr bewusst wurde, aber noch konnte und wollte sie ihn nicht wirklich wahrhaben.

  • Da, endlich, waren wir an der Reihe. Das junge Paar zog von dannen, sichtlich glückerfüllt, und nur kurz fragte ich mich, wie der Prätor innerhalb kürzester Zeit die Sorgenfalten von ihren Gesichern hatte wischen können. Ich achtete auf den Liktor, dessen Aufgabe es schließlich war, die Richtigkeit der Reihenfolge sicherzustellen, und warf dann Livius Pyrrus einen vielsagenden Blick zu. Zuletzt streifte ich Sivs unwissendes Gesicht einen Augenblick lang, nickte Pyrrus dann zu. Gemeinsam traten wir vor den praetor urbanus.


    Der Prozess, der heute hier vollzogen werden würde, nannte sich manumissio vindicta und würde Siv die Freiheit schenken, gleichsam dem Kind, das sie unübersehbar unter ihrem Herzen trug, die Möglichkeit schenken, neben der Freiheit auch das römische Bürgerrecht zu erlangen. Ich hoffte, dass ihr die Tragweite dieses Schritte bewusst sein würde. Und hier kam mein scriba personalis ins Spiel. Er würde als adsertor libertatis fungieren und damit die entscheidende Rolle bei der Freilassung Sivs übernehmen. Ich selbst hatte als Besitzer eine wesentlich einfachere Rolle zu spielen. Als wir nun vor Macer stehen blieben, schwoll die Brust meines Schreibers sichtlich an. Zumindest ihm war demnach bewusst, dass er für den Augenblick die wichtigste Rolle spielen würde. Er hob seine Hakennase an und kniff bei einem äußerst grave wirkenden Gesichtsausdruck zunächst die Augen zusammen. Dann deutete er eine knappe Verbeugung an. Ich selbst nickte Macer grüßend zu, schwieg aber sonst. Und ich vermied es, Siv anzusehen, sondern heftete meinen Blick stattdessen auf Purgitius Macer.


    "Sei gegrüßt, praetor Purgitius! Ich bin Livius Pyrrus und dies ist mein Patron, der Senator und pontifex Marcus Aurelius Corvinus. Wir sind heute hier vor dir erschienen, um den Status dieser Frau zweifelsfrei festzustellen." Dabei deutete er beinahe anklagend auf Siv. "Mein patronus nennt sich Herr über die Sklavin Siv. Doch sie wurde frei geboren, und deswegen hat er nicht das Recht, sich über sie erheben. Ich sage, sie wurde frei geboren und deshalb kann er nicht Herr über sie sein!" Ich schwieg dazu und sah weiterhin den Prätor an.

  • "Salve, Livius Pyrrus", grüßte Macer den Mann, der ihn zuerst ansprach, genauso respektvoll, wie dieser ihn angesprochen hatte. "Salve, Aurelius Corvinus", grüßte er dann den erschienen Senator im Tonfall etwas weniger förmlich, weil man sich eben aus dem Senat kannte. Da das Anliegen dann sofort zur Sprache gebracht wurde, bleib keine Zeit für Plaudereien.


    Eine Sklavenfreilassung nach Ius civile sollte es also offenbar sein und während Macer zuhörte, flog der Stylus eines Schreibers über eine frische Wachstafel, um den Vorgang zu dokumentieren. "Nun, Senator und Pontifex Aurelius Corvinus, du gedenkst auf diese deutlich vorgetragene Behauptung nichts zu erwidern?", vergewisserte sich Macer entspannt und gut gelaunt, als der Senatskollege ihn nur schweigend anblickte.

  • Bisher hatte ich nur einen Sklaven freigelassen. Lucullus war sein Name gewesen, und leider hatten die Götter inzwischen seine treue Seele auf die letzte Reise geschickt. Er war ein guter scriba gewesen, nach seiner Freilassung sogar noch besser als während der Sklavenschaft. Als wir jetzt hier standen, dachte ich an ihn zurück. Er hatte schon meinem Vater treu gedient und insgesamt über dreißig Jahre in unserem Haushalt als Sklave verbracht. Sivs Zeit war deutlich geringer, doch das sollte kein Hindernis sein. Immerhin trug sie mein Kind, und ich wollte nicht, dass es als Sklave geboren wurde, noch dazu als der meine.


    Meine Unerfahrenheit mit der Freilassung eines Sklaven an sich also führte dazu, dass ich auch auf die freundliche Begrüßung Macers hin schwieg und nichts sagte. In den Gesetzestexten stand, dass man als Besitzer eines Sklaven schweigen sollte, um den Händel gültig zu machen, da wollte ich lieber kein Risiko eingehen und nickte Macer vorerst noch zu. Im Anschluss wäre sicherlich Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln, auch wenn das Gespräch angesichts der Schlange wohl doch eher kürzer ausfallen würde.


    Auf Macers direkte Nachfrage schwieg ich ebenso beharrlich und blickte ihn nur weiterhin an. Ich hatte nichts zu Pyrrus' Worten zu sagen, da ich einverstanden war.

  • Bevor sich der Verdacht in Siv wirklich erhärten konnte, waren sie schon an der Reihe. Wie normalerweise bei solchen Gelegenheiten üblich, blieb sie im Hintergrund und sagte nichts – und blinzelte überrascht, als nicht Corvinus, sondern Pyrrus als erster das Wort ergriff. Und mit jedem weiteren Wort stockte ihr der Atem ein wenig mehr. Es wäre zu viel gesagt, dass sie nun nicht begriff, was hier vor sich ging. Aber man konnte auch nicht behaupten, dass sie es begriff. Sie meinte irgendwo in der Zwischenwelt des Halbschlafs zu hängen, wo die Worte zwar in ihr Bewusstsein vordrangen, aber ihre Bedeutung irgendwie nicht so ganz klar zu sein schienen, nicht exakt das, was sie gewohnt war… Ihr Mund öffnete sich etwas, eine Winzigkeit nur, während sie dastand und unverwandt Pyrrus ansah. Sklavin Siv… frei geboren… hat nicht das Recht… Ihr Blick huschte zu Corvinus, der einfach nur da stand, den Praetor ansah und gar nichts sagte. Und Siv hatte plötzlich das Gefühl, ins Trudeln zu kommen. Sie begriff und begriff gleichzeitig nichts. Ein merkwürdiges Gefühl der Irrealität ergriff von ihr Besitz, das für den Moment keine andere Emotion zuzulassen schien außer Verwirrung, während ihr Kopf wie leergefegt zu sein schien. Oder wahlweise so dermaßen voll von Gedanken, die scheinbar an Odins Jagd teilnehmen wollten, so irrsinnig hetzten sie einander.


    Der Praetor ergriff nun das Wort, wollte sich bei Corvinus vergewissern, ob es seine Richtigkeit hatte, was Pyrrus gesagt hatte, aber der stand nur weiterhin da – und sagte nichts. Und sah sie nicht an. Jetzt fühlte Siv sich nicht mehr wie im Halbschlaf, sondern wie in einem Traum. Sie hatte noch nie mit jemandem geredet, der ihr hätte sagen können, wie eine Freilassung in Rom vonstatten ging, das hieß, natürlich hatte sie das, aber nie über dieses Thema. Es erschien ihr so… so merkwürdig, fast schon lächerlich zu sein, dass es das sein sollte. Jemand behauptete, sie sei frei, Corvinus hielt, nun ja, die Klappe, und dann war sie es? Einfach so? Sie wusste nicht, was sie erwartet hätte, einfach weil sie sich darüber keine Gedanken gemacht hatte – über die Freiheit, ja, aber nie über den eigentlichen Akt der Freilassung –, aber ganz bestimmt nicht das. Und doch schienen Pyrrus und Corvinus völlig gelassen zu sein, genauso wie der Praetor.

  • Ebenso beharrlich, wie Corvinus Macer anblickte und schwieg, blickte dieser zurück und schweig ebenfalls. Mit jedem Augenblick jedoch wandelte sich sein zunächst neutraler Gesichtsausdruck zu einem Lächeln. Schließlich beendete er das Spielchen.


    "Ich stelle fest, dass der Behauptung des Adsertors kein Widerspruch entgegengesetzt wird. Ich erkenne sie daher als zutreffend an und diese Frau namens Siv damit für frei", verkündete er. "Und die Acta Diurna titelt demnächst 'Auctor hat die Sprache verloren'", fügte er weniger formell und etwas leiser hinzu, während der Schreiber seinen Beschluss festhielt.


    Dann wandte er sich direkt an Siv, die zwar die Hauptperson der ganzen Veranstaltung war, bisher aber ebenso wie ihr ehemaliger Herr geschwiegen hatte. "Herzlichen Glückwunsch. Wirst du den Namen deines ehemaligen Herrn nun als Bestandteil deines Namens führen?", erkundigte er sich, wie es üblich war.

  • Es verging eine geraume Weile, in der nichts weiter ausgetauschte wurde als Blicke. Wie bei einem Ringkampf. Mir fiel dabei ein, dass ich durchaus einmal wieder die palaestra besuchen konnte. Dann brach Macer das Schweigen und erklärte Siv für frei. Auf seine Erwiderung hin musste ich schmunzeln. "Das wollen wir nicht hoffen. Salve, Purgitius, und hab Dank für deine Zeit. Ich muss gestehen, dass ich mir wegen des Protokolls nicht sicher war, ob eine Äußerung jedweder Art nicht alles ruinieren würde", sagte ich und grinste über mich selbst.Man ließ eben nicht jeden Tag einen Sklaven frei. Jetzt schien jedoch alles seine Ordnung zu haben und es erschien mir ungefährlich, zu sprechen.


    Macer wandte sich Siv zu, Pyrrus' Brust schwoll allmählich wieder ab und auch ich sah Siv nun an. Aureliana Siv... Das klang gewöhnungsbedürftig. Allerdings würde man sie ohnehin weiterhin nur Siv rufen, wenn sie sich dafür entschied. Das lag bei ihr. Sie konnte nun nach römischem Recht eigene Entscheidungen treffen. Sie wirkte verwirrt. Aber sie dürfte verstanden haben, was hier eben passiert war.

  • Und sie schwiegen. Und schwiegen. Und schwiegen. So lange, bis Siv das Schweigen am liebsten durch einen Schrei gebrochen hätte, weil sie endgültig die Geduld zu verlieren drohte. Aber bevor es dazu kommen konnte, sagte der Praetor doch wieder etwas. Er stellte fest… dass sie frei war. Siv blinzelte erneut. Frei. Ein weiteres Blinzeln, dann schloss sie für einen längeren Moment die Augen. Frei… So seltsam es klingen mochte, aber Siv konnte in diesem Augenblick mit dem Wort, mit dem Konzept dahinter, nicht wirklich etwas anfangen. Immer noch nicht. Wie lange hatte sie darauf gewartet, hatte sich danach gesehnt, hatte die Hoffnung darauf nicht aufgegeben, obwohl sie sich irgendwann an ihr Leben als Sklavin gewöhnt und sich damit abgefunden hatte? Und jetzt war sie frei… Wieder frei, endlich. Das Wirbeln in ihrem Kopf schien immer mehr zuzunehmen, oder vielleicht wurde es ihr auch nur mehr bewusst. Möglichkeiten über Möglichkeiten schienen sich vor ihr aufzutun. Sie könnte zurückgehen. Sie könnte…


    Sie wurde unterbrochen in ihren Gedanken, als der Praetor sie ansprach. "Wie?" murmelte sie kurz, etwas verwirrt, bevor sie sich bemühte sich zusammenzureißen. "Ich… danke. Uhm. Ich…" Den Namen ihres ehemaligen Herrn? Bei Hel, sie fühlte sich als hätte sie zu viel Met getrunken. Viel zu viel Met. Irgendwie schien es ihr schwer zu fallen sich zu konzentrieren. Sie warf Corvinus einen kurzen Blick zu, fragend, weil sie keine Ahnung hatte. Musste sie, wollte sie, würde sie? "Ja", antwortete sie dann, noch bevor sie bewusst zu einem Entschluss gekommen war. Im täglichen Leben spielte es ohnehin keine Rolle. Und der Gedanke, offiziell seinen Namen zu tragen – auch wenn es gang und gäbe war für ehemalige Sklaven – gefiel ihr. "Ja, das… werde ich." Wieder warf sie Corvinus einen Blick zu. "Das… ehm. Ist das… das ist es? Ich meine, das ist… so einfach?" Irgendwie musste sie sich vergewissern. Musste wissen, ob das alles tatsächlich so seine Richtigkeit hatte, ob ihr hier nicht irgendein verquerer Streich gespielt wurde – nicht dass sie das von Corvinus erwarten würde, aber… es schien so… simpel zu sein. Bei diesem ganzen bürokratischen Riesenwesen, das die Römer sich aufgebaut hatten, mit Regeln und noch mehr Regeln und noch anderen Dingen, die Siv nicht verstand und nicht verstehen wollte, sollte eine Freilassung so lächerlich einfach sein? Am liebsten hätte sie nun Corvinus direkt gefragt, hätte ihn gelöchert, ihn überfallen mit all dem Tumult, der sich in ihrem Inneren auszubreiten begann, aber noch war die Verwirrung, der Schock über das, was da gerade passiert war, groß genug, dass sie ruhig blieb – auch wenn sich in ihren Augen abzuzeichnen begann, dass ein Ausbruch wohl bald bevorstehen würde.

  • "Wenn doch alle Prozessbeteiligten immer so vorsichtig sein würden, dann würde so mancher Tag hier in der Basilica wesentlich ruhiger verlaufen", schmunzelte Macer angesichts der Unsicherheit von Aurelius Corvinus.


    Auch seine ehemalige Sklavin schien sehr unsicher zu sein und gar nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Macer rechnete allerdings nicht damit, dass sie gar nicht gewusst hatte, dass heute ihre Freilassung passieren sollte. Angesichts der Saturnalien war das in dieser Zeit schließlich wirklich keine Seltenheit. Der Schreiber hatte das Protokoll der Freilassung schließlich fertiggestellt, so dass Macer es siegeln konnte und die Angelegenheit damit beendet war.

  • "Das glaube ich gern", erwiderte ich zu Macer gewandt, nachdem ich Siv einen kurzen Blick zugeworfen hatte. Sie schien verdutzt. Ich hegte keinen Zweifel daran, dass sie mich mit Fragen löchern würde, kaum dass wir die basilica verlassen hatten. Für sie brach damit nun ein neuer Lebensabschnitt an.


    Ich sah an der Schlange entlang. "Mir scheint, du hast heute noch einiges an Arbeit vor dir, Purgitius. Ich will dich auch gar nicht länger aufhalten, aber vielleicht hast du Lust, nach dich den Saturnalien auf dem Sandplatz mit mir zu treffen? Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr gerungen", sagte ich gut gelaunt. Pyrrus betrachtete derweil Siv von der Seite her. "Glückwunsch, Mädchen", presste er zwischen den Zähnen hindurch.

  • Dass ihre Fragen so komplett ignoriert wurden, hätte Siv unter anderen Umständen wohl aufgeregt. Aber im Moment fühlte sie sich immer noch irgendwie… wie neben sich, und so bekam sie im Grunde nur mit, dass keiner widersprach. Etwas benommen sah sie auf ihre Hände hinunter, spreizte ihre Finger, mit dem Handrücken nach oben, und drehte sie dann um, um die Innenflächen zu betrachten. Frei. So einfach. So schnell. Und ohne jede Vorwarnung. Er hatte schon einmal darüber gesprochen, sie freizulassen, hatte es ihr angeboten, ihr regelrecht aufgedrängt. Hatte sie freilassen wollen, weil er gedacht hatte, es wäre… besser so. In diesem Augenblick begann ein winziger Teil von Siv sich zu fragen, was jetzt dahinter steckte, aber bevor sich das weiter ausbreiten konnte in ihr, drang Pyrrus’ Stimme in ihre Gedanken. Und er klang gar nicht gut gelaunt. Siv musterte ihn kurz und fragte sich, warum er so reagierte. Was er dagegen haben könnte, dass Corvinus sie freiließ. Sie hatte ihm nie etwas getan, hatte eher wenig Kontakt mit ihm gehabt, und er war ja keiner der anderen Sklaven, die durchaus Grund hätten neidisch zu sein. "Danke", murmelte sie dann aber nur leise, ohne die Frage zu stellen. Die Frage, warum Pyrrus so ein Griesgram war, war im Augenblick nicht wirklich von Bedeutung für sie.

  • Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Ich sah an der Schlange entlang. "Mir scheint, du hast heute noch einiges an Arbeit vor dir, Purgitius. Ich will dich auch gar nicht länger aufhalten, aber vielleicht hast du Lust, nach dich den Saturnalien auf dem Sandplatz mit mir zu treffen? Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr gerungen", sagte ich gut gelaunt.


    Nach einem Rechtsgeschäft von einem der Beteiligten zum Ringkampf eingeladen zu werden, war für Macer auch neu. Und auch, dass Aurelius Corvinus ihn überhaupt zu etwas einlud, hatte schon Seltenheitswert. Trotzdem dachte Macer nur kurz nach. "Von mir aus gerne. Wann und wo?", erkundigte er sich. In letzter Zeit waren seine Aktivitäten im Ringkampf zwar auch eher selten geworden, aber das war kein Grund, diese Einladung abzulehnen.

  • Macer hatte Informationen bezüglich eines Mordes in seiner Gens bekommen und war wild entschlossen den Täter in den Carcer zu schicken.
    Er machte sich auf, um den amtierenden Praetor zu suchen, um die Anklage zu erheben.


    Er schaute sich in der Basilica um und fragte einen Sklaven, ob der Praetor zur Zeit in dem Gebäude war. Salve ich bin Faustus Octavius Macer, ich würde gerne mit Praetor Purgitius Macer sprechen. Ist er gerade hier?

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!