Arbeitszimmer | Gracchus, Severina

  • Mit stechendem Blick verfolgte Gracchus eine dicke Hummel in ihrem Flug, welche sich erdreistet hatte in sein Arbeitszimmer einzudringen und ihn nun unbotmäßig laut vor sich hinsummend von der Arbeit abhielt. Er mochte den Frühling, er mochte ihn tatsächlich mit all seiner bunten Blütenpracht, dem aufkommenden Gezwitscher der Vögel, den warmen Sonnenstrahlen, dem Duft nach nassem Gras nach einem leichten Nieselregen und er mochte auch das Gesumme der Bienen und Hummeln - solange sie dies vor den Fenstern in der freien Natur taten, nicht jedoch in seinem Arbeitszimmer. Eben fasste er nach einem Glas um das Tier einzufangen und aus seinem Reich hinaus zu befördern, als es an der Türe klopfte und ein Sklave 'Die Dame Helvetia Severina in einer Erbschaftsangelegenheit.' ankündigte. Endlich! Nicht, dass Gracchus wahrhaftig persönlichen Besuch erwartet hatte, doch dass sie hier war, dies bedeutete immerhin, dass seine Nachrichten ihre Empfänger erreicht haben mussten und die mitunter doch ennuyante Tätigkeit als Vigintivir ein wenig aufgelockert wurde. Er stellte das Glas zurück auf den Tisch, richtete sich auf und bedeutete dem Sklaven, die Dame einzulassen. Seinem Sklaven Sciurus, der untätig, doch aufmerksam seinen üblichen Platz im Hintergrund eingenommen hatte, gabe er durch ein tonlos ausgesprochenes 'Die Akte!' zu verstehen, dass jener die schriftlichen Aufzeichnungen bezüglich der Erbangelegenheit 'Helvetia Severina' herbeischaffen sollte. Als die junge Dame eintrat, erhob sich Gracchus, um sie zu begrüßen.
    "Salve, Helvetia. Ich bin Flavius Graccus, Decemvir litibus iudicandis. Bitte nimm doch Platz und sei dir noch einmal meines tiefen Mitgefühles bezüglich deines Verlustes versichert."
    Er nahm eine Wachstafel von Sciurus entgegen und überflog sie mit schnellem Blick. Helvetia Severina, Schwester des verstorbenen Gnaeus Helvetius Tranquillus, berechtigt zu einem Erbe über 59.99 Sesterzen, insofern ihr Bruder Helvetius Gabor seinen Anspruch auf die restlichen 59.98 Sesterzen erheben würde, von welchem eine Nachricht bisweilen jedoch ausstand. Gracchus erinnerte sich noch sehr gut an die nicht lange zurückliegende Bearbeitung dieser Erbsache, da die Gesetze bezüglich der Verteilung nicht eindeutig waren und keine Anweisung gaben, was mit den verbleibenden 0.01 Sesterzen in diesem Falle geschehen mochte. Schlussendlich hatte Gracchus sie Helvetia Severina zugeschlagen, denn ihr Bruder würde für diesen Bruchteil einer Sesterz weniger tun müssen als sie.
    "Wie bereits in meinem Schreiben erläutert, betrifft die Erbsache einen Gegenstand von 59.99 Sesterzen. Bisweilen sind noch keine Antworten der übrigen Erbberechtigten eingetroffen, daher wird sich die Angelegeneheit der Verteilung noch ein wenig hinziehen. Hast du Fragen die Erbschaft betreffend?"
    Es war nur eine Frage der Höflichkeit, denn hätte sie keine Fragen, wäre sie vermutlich nicht extra zur Villa gekommen um ihn persönlich zu sprechen, hätte eine kurze schriftliche Mitteilung doch ausgereicht, das Erbe anzunehmen oder abzulehnen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Zögerlich war Severina dem Sklaven gefolgt. Selten hatte sie so eine Pracht im Inneren eines Hauses gesehen, nur Onkel Geminus konnte es mit dieser Villa aufnehmen, denn auch sein Haus war kostbar eingerichtet gewesen. Selbstverständlich hatten auch die Eltern von Severina viel Kleingeld in der Hinterhand, aber diese Villa übertraf ihr Elternheim bei weitem. Severina musste ein wenig an sich halten, denn das Interieur, das sich ihr präsentierte, verleitete sie sehr zum Umsehen und Staunen und fast hätte der Sklave sie sogar abgehängt, weil sie nicht anders konnte, als vor einem Bild kurz zu verweilen und die Schönheit zu bestaunen. Doch riss sie sich zusammen und eilte dem Sklaven nach, der sie bereits beim Vigintivir angemeldet hatte. Die Nervosität überkam sie, hatte sie doch nur selten mit hohen Beamten des Reiches zu tun gehabt, mal abgesehen von ihrem Vater und Agrippa, den sie aber erst vor kurzem kennengelernt hatte. Severina zögerte einen ganz kurzen Moment, bevor sie in das Arbeitszimmer eintrat.


    "Salve, Vigintivir." grüsste sie Flavius zurück und nahm auf sein Geheiss Platz. Die ausgesuchte Höflichkeit, mit der Flavius sie bedachte, liess ihre Spannung ein wenig abklingen und sie folgte den Ausführungen des Vigintivirs, wunderte sich aber über das geringe Entgelt, das dieser nannte. So arm waren sie gewesen? Unmöglich, das Haus alleine in Ostia musste mehr wert sein. Verwirrt blickte sie Flavius an. "Aber... mein Vater... nur so wenig?" stammelte sie. War ihr Vater so sorglos mit Geld umgegangen? Hatte er deswegen... "Hatte er Schulden?"

  • "Vater?
    Augenblicklich zogen sich Gracchus' Brauen zusammen und ein despektierlicher Blick traf seinen Sklaven, durchbohrte diesen regelrecht. Eine einzige Erbangelegenheit mit Rückfragen und ausgerechnet bei dieser waren die Unterlagen fehlerhaft! Dies würde Konsequenzen für Sciurus nach sich ziehen. Vorerst jedoch galt es, die Angelegenheit ins Reine zu bringen, darum nahm er eine frisch geglättete Wachstafel zur Hand, um sich die Änderungen zu notieren.
    "Verzeih meine Verwunderung, doch in diesem Falle liegen mir fälschliche Angaben vor. So du die Tochter des Gnaeus Helvetius Tranquillus bist, wird sich die gesamte Berechnung der Aufteilung der Erbmasse ändern, da Kinder natürlich des gültigen Intestat-Erbrechtes nach den gradnächsten Agnaten vorzuziehen sind, allerdings nur, insofern sie nicht bereits zum Todeszeitpunkt emanzipiert waren. Standes du zu diesem Zeitpunkt noch unter seiner Patria Potestas?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Severina wollte zuerst nicken, doch in diesem Moment bemerkte sie die Veränderung im Gesicht von Flavius, deswegen getraute sie sich nicht, eine einzige auch nur kleine Bewegung zu veranstalten. Sie beobachtete ihn, wie er eine Wachstafel an sich nahm und dort etwas notierte, konnte aber selbstverständlich nicht sehen, was genau er schrieb. Stattdessen versuchte sie den Worten des Flavius zu folgen, so verwirrend die auch waren.


    Schon im zweiten Satz wollte sie ihn unterbrechen, verstand aber zuerst nicht die Ausmasse der Worte des Vigintiviri. Und all die juridischen Bezeichnungen, die er verwandte, liessen sie gänzlich verstummen. Severina wurde zwar über Grundzüge des mos maiorum unterrichtet, so wie es schicklich war für junge Damen ihres Standes, aber folgen konnte sie ihrem Gegenüber deswegen kaum. Erst als Flavius ihr wieder eine Frage stellte, löste sich ihre Starrheit, gezwungen. "Patria potestas? Ja... das heisst, nein... das heisst..." stammelte sie hilflos vor sich hin. "Tranquillus? Nein, Tacitus... Caius Helvetius Tacitus, mein Vater. Tranquillus ist mein Bruder... ich verstehe nicht... Was hat das zu bedeuten?" Ihre Augen wurden grösser, sie ahnte, was nun kommen würde, konnte aber die Ahnung in keine Worte kleiden oder gar von den Göttern das Gegenteil erbitten oder flehen, dass der Vigintivir nur die falschen Worte gewählt hatte.

  • Die Verwirrung der Helvetia trug wiederum dazu bei, dass sich auch Gracchus' eigene Irritation weiter steigerte. Vater, Bruder, Tranquilius, Tacitus - die gesamte Akte war augenscheinlich völlig inkorrekt, zudem setzte sich nun auch noch die Hummel erneut in Bewegung und summte laut durch das Arbeitszimmer. Mit einer unwirschen Geste nickte Gracchus einem Sklaven zu, dass er das Tier endlich aus dem Raum schaffen solle und strich sodann die gesamten Angaben auf der bereits beschriebenen Wachstafel von links Unten nach rechts Oben mit einer ruckartigen Handbewegung durch, dabei gleichsam darüber sinnierend, wie weiters in dieser Situation zu verfahren war, welche ihm äußerst unangenehm war. Als er zu Severina aufblickte, glätteten sich die Falten auf seiner Stirn und ein entschuldigendes Lächeln kräuselte seine Lippen.
    "Es tut mir aufrichtig Leid, Helvetia, doch ich fürchte, dass hier augenscheinlich ein Missverständnis vorliegt. Der Name auf der Liste der Lectio lautet auf Gnaeus Helvetius Tranquillus, doch wenn es nicht er, sondern euer Vater ist, welcher die Gefilde des Elysiums betreten hat, so hat dies nicht nur Folgen für die Verteilung eines etwaigen Erbes, sondern gleichsam für die Verantwortlichen der Bürgerliste, denn es dürfte äußerst unangenehm für deinen Bruder sein, festzustellen, dass er nicht als verstorben geführt wird. Ich werde dies an die enstprechende Stelle melden und eine erneute Überprüfung veranlassen. Wenn du mir vielleicht sagen könntest, wo dein Bruder sich augenblicklich befindet?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Eine Verwechslung. Natürlich, das musste es sein. Aber war es das? Wie konnte eine Verwechslung denn passieren? Severina wusste nicht, was sie denken sollte. Unwillkürlich fasste sie sich mit ihrer rechten Hand an die Stirn und schloss die Augen, die letzten Tage und Wochen waren tatsächlich nicht die angenehmsten gewesen und dieser Besuch hier bei Flavius, so nett er auch zu ihr sein mochte, half nicht im geringsten, Ruhe in ihr Seelenleben einzuflössen. Sie atmete tief in ihre Lunge und schüttelte den Kopf. "Ich weiss es nicht. Vater sagte mir, er wäre zuletzt in Confluentes gewesen, bei der Ala. Ich habe ihn seit meiner Rückkehr weder gesehen noch haben wir uns geschrieben." antwortete sie dem Vigintivir tonlos. Sie liess die Hand sinken und blickte ihren Gegenüber wieder an. "Verzeih mir meine fehlende Contenance, die letzten Tage waren sehr ... anstrengend."

  • Während Severina die Augen einen Moment lang geschlossen hielt, huschte erneut ein unwirscher Blick durch den Raum. Nicht nur, dass jener eine Sklave unfähig war, das brummende Flugtier einzufangen, zudem hatten die übrigen es noch immer versäumt, dem Gast etwas zu Trinken anzubieten. Gracchus nickte beinahe unmerklich zu der Kanne Wasser hin und augenblicklich eilte ein anderer Sklave herbei, um der Dame ein Glas einzuschenken und ihr anzubieten, während der Vigintivir sich unterdessen ihre Angaben bezüglich des Bruders notierte. Schließlich winkte er ab.
    "Aber nicht doch, Helvetia, es ist nicht an dir, um Verzeihung zu bitten. Ein Todesfall ist immer eine äußerst derangierende Angelegenheit, insbesondere wenn es den Vater trifft, der er dich zudem noch in die für dich völlig neue Situation der Emanzipation entlässt. Es ist an mir, noch einmal um Entschuldigung zu bitten, denn solcherlei Fehler, wie ein jener hier augenscheinlich vorliegt, darf nicht geschehen."
    Natürlich wurden solcherlei unzulängliche oder falsche Aufzeichnungen ständig getätigt, insbesondere hinsichtlich der Bürger außerhalb Roms, denn obwohl die Bürgerzählungen äußerst akribisch durchgeführt und die Bürgerlisten sehr sorgfältig verwaltet wurden, so war es doch ein schieres Unding, alle Bürger des römischen Reiches tatsächlich bis ins letzte Detail zu erfassen. Doch dass statt des Namens des Vaters der des Sohnes auf die Liste der Lectio fand, dies war vermutlich auf die Insuffizienz eines liederlichen Scriba beim Tätigen einer Abschrift zurück zu führen, und solche Nachlässigkeit konnte Gracchus nur aufs schärfste missbilligen, gerade da durch solche Schlamperei nun die Verunsicherung einer jungen Dame gefördert wurde, deren Leben sich ohnehin im Umbruch befand und augenblicklich sicherlich mehr als durcheinander war, zudem sich ihre Brüder augenscheinlich nicht ihrer anzunehmen schienen oder ihr subsidiär beistanden.
    "Zudem hast du die Mühe des Weges hierher augenscheinlich völlig umsonst auf dich genommen. Ich werde dies alles noch einmal genauestens prüfen lassen und mich hernach schnellstmöglich erneut mit dir in Verbindung setzen. Von deinem Bruder ..."
    Er warf einen eiligen Blick auf die bereits durchgestrichenen Aufzeichnungen.
    "... Gabor hat mich indes noch keine Nachricht erreicht, doch ich werde ihn ebenfalls noch einmal kontaktieren, gleichsam wie auch deinen Bruder Tranquillus."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Severina nahm dankbar das angebotene Glas Wasser an, ihre Kehle fühlte sich trockener an als die Wüste Africas, so glaubte sie jedenfalls. Um aber nicht unangenehm aufzufallen beschränkte sie sich auf kleine Schlucke, sie wollte ja nicht gierig erscheinen. Sie hörte dem Vigintivir nur mit halbem Ohr zu und konnte nur ganz leicht müde lächeln, als er die Sache mit ihrer Emanzipation erwähnte. Derangierend war die Angelegenheit tatsächlich, doch Flavius ahnte nicht, wie sehr.


    "Ich danke dir für dein Mitgefühl, Flavius." begann sie nach einem weiteren kleinen Schluck, der jedoch nur langsam ihre Kehle hinunterfloss und ihren Rachen genauso trocken hinterliess wie die Schlucke zuvor. "Doch bitte bemühe dich nicht. Ich werde selbst meinem Bruder schreiben." Eine kleine Pause entstand. "Mein Weg zu dir war mitnichten umsonst, denn es geht um den letzten Willen meines Vaters."Und jetzt musste sie doch mit der Wahrheit heraus, so schwer es auch war. "Die Angelegenheit ist nämlich die... Mein Vater hat sein gesamtes Vermögen dem Proconsul Matinius Agrippa vermacht. Ich hatte auf deine Hilfe gehofft, denn ich weiss nicht, wie ich dabei genau verfahren soll."

  • Die neue Information bezüglich der Hinterlassenschaft Severinas Vater war derart schockierend für Gracchus, dass seine linke Braue sukzessive in die Höhe wanderte, in einer Langsamkeit, dass sein Gegenüber dabei regelrecht zusehen konnte, bis sie nicht mehr weiter hinaufsteigen konnte. Vor seiner Amtszeit hatte sich Gracchus nie über die Verteilung des Erbes anderer Leute Gedanken gemacht, so dass es ihn nun immer wieder einmal verwunderte, auf welche Art dies bisweilen geschah, doch so Severina die Wahrheit sprach, und daran zweifelte er nicht, war der letzte Wille des Caius Helvetius Tacitus geradezu ein Affront gegen die Mos maiorum. War es eine Sache und sein gutes Recht, den Großteil seines Vermögens demjenigen zu vermachen, welchen er dafür auserkor, so stand es auf einem ganz anderen Pergament geschrieben, dass er sich seiner väterlichen Pflicht entzog und nicht einmal für eine anständige Mitgift seiner Tochter Sorge trug, wodurch sie in die untersten Klassen der Gesellschaft herab zu sinken drohte. Dennoch zwang sich Gracchus schließlich dazu, die Braue wieder herab sinken zu lassen, sobald er dieser Diskordanz seiner Gravitas gewahr wurde.
    "Wenn an der Authentizität des Testamentes kein Zweifel besteht, so fürchte ich, wird an der Vollstreckung dieses Willens wenig zu rütteln sein. Hast du eine Abschrift des Schriftstückes bei dir?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Severina schämte sich und sie hatte von ihrem Standpunkt aus auch allen Grund dazu. Sicherlich hatte er nun Achtung vor ihr verloren, jetzt wo er wusste, dass vor ihm eine arme Tempelmaus sass. An dieses Gefühl musste sie sich nun gewöhnen. Mühsam unterdrückte sie ein Seufzen, als sie etwas umständlich ein Schriftstück hervorkramte.


    "Ja hier." sagte sie und gab ihm den letzten Willen ihres Vaters, aus dem hervorging, dass jeglicher Besitz an den Proconsul übergeben zu sei, mit Ausnahme von 300 Sz., welche an die Schola überwiesen werden solle. "Aber du missverstehst mich. Ich möchte ja den Willen meines Vaters vollstrecken, das bin ich ihm schuldig. Aber... aber ich weiss nicht, wie man so etwas anstellt. Muss ich etwas unterschreiben oder einen Vertrag aufsetzen? Aber ich weiss ja nicht, wie... Die Situation hatte jetzt etwas groteskes, fiel ihr auf. Sie hatte keine Ahnung, wie ihre Zukunft aussah und sorgte sich in diesem Moment jedoch um Formalitäten.

  • Wahrlich, diese junge Frau schien wenig von ihrem Vater geerbt zu haben, nicht nur in materieller Hinsicht. Er beraubte sie ihrer Existenzgrundlage und sie fühlte sich seinem Willen gegenüber verpflichtet, tatsächlicherweise verlor darum Gracchus nicht jegliche Achtung vor ihr, gegenteilig, sie stieg mit jedem Wort. Er nahm sich des Schriftstückes an und überflog jene Zeilen. Nun erst, als er den Namen des Verstorbenen vor sich sah, dämmert ihm langsam, woher jene leichte Remineszenz beim Klang dieses Namens herrührte. Helvetius Tacitus war jener Aedilis plebis gewesen, welcher einzig durch ein unrühmliches Edikt bezüglich das Aufrufes zum Boykott germanischstämmiger Händler und des nachfolgenden Prozesses darum in Erinnerung des öffentlichen Bewusstseins geblieben war.
    "Ich werde mich der Vollstreckung des Testamentes annehmen. Nach der Prüfung des Schriftstückes werden die Erbberechtigten benachrichtigt und erhalten die Möglichkeit das Erbe auszuschlagen, nach Verstreichen einer gesetzten Frist wird die Übertragung des Erbgutes schließlich in die Wege geleitet. Dies ist jedoch gänzlich Aufgabe der Decemviri litibus iudicandis, du selbst brauchst nichts weiter zu unternehmen."
    Eine winzige Spur von Bedauern schlich sich in seine Stimme.
    "Da dein Vater weder dich, noch deine Brüder mit einem Anteil bedacht hat, wird euch das weitere Vorgehen nicht einmal mehr tangieren."
    Stille legte sich über den Raum, wurde jedoch jählings unterbrochen, als der die Hummel jagende Sklave unvermittelt mit der flachen Hand auf ein Regal einschlug. Gracchus zuckte bei dem Laut unmerklich zusammen und biss hernach die Kiefer aufeinander, um einen Fluch zu unterdrücken, der sich bereits seinen Weg seine Kehle hinauf bahnte, denn der Sklave hob triumphierend eine kleine pelzige Kugel vom Boden auf und warf sie achtlos aus dem Fenster nach draußen, bevor er sich wieder auf seine Position nahe der Tür stellte und mit der Wand zu verschmelzen suchte.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Severina erschrak bei dem Laut, der sich mit einem Male durch das Zimmer ausbreitete. Sie brauchte zwar nur einen Blick, um den Grund dieses Lautes zu erfahren, doch kümmerte sie sich noch im gleichen Augenblick nicht mehr darum, sie hatte wahrlich viel grössere Probleme, um die sie sich kümmern musste. Einer davon war, sich um eine Bleibe zu kümmern, ein anderer, einen Brief an ihren Bruder zu schreiben.


    "Ich danke dir, Flavius." sagte sie nach einer kurzen Weile zu ihm, trank noch einen kleinen Schluck ihres Wassers und stand hernach auf. "Dann möchte ich mich gerne zurückziehen. Erlaube mir noch, dich zu benachrichtigen, sobald ich vom Verbleib meines Bruders Tranquillus erfahre?"

  • "Aber natürlich, Helvetia. Ich werde dir ebenfalls eine Nachricht zukommen lassen, sollte sich an der Angelegenheit noch eine Änderung auftun."
    An der Echtheit des Testmentes war wenig Zweifel, da sie selbst es vorgebracht hatte, obgleich sie dadurch nicht nur nicht begünstigt, sondern gleichsam benachteiligt wurde, so dass es kaum eine Änderung geben würde.
    "Bist du weiterhin in Rom zu erreichen?
    Er stand ebenfalls auf, um sie noch bis zur Türe des Zimmers zu geleiten, von wo aus ein Sklave sie aus der Villa hinaus führen würde.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Beschämt blickte Severina zu Boden. Was sollte sie bloss auf diese Frage antworten? Soll sie ihm sagen, dass sie keine Ahnung hatte? Dass sie quasi auf der Strasse stand? Nein, unmöglich, diese Demütigung konnte sie nicht ertragen, geschweige denn vorbringen. Fieberhaft überlegte sie nach einer Lösung, die sowohl ihre Peinlichkeit überdecken, gleichzeitig aber wirklich als Zustelladresse gelten sollte. Der Familiensitz in Ostia schied aus, denn sie würde nur mehr ein einziges Mal dorthin kehren um ihre wenigen Habseligkeiten an sich zu nehmen und um die Sklaven von der neuen Situation zu berichten. Sie konnte aber ebensowenig eine Unterbringung nennen, schlicht, weil sie noch keine hatte, sie war ja gerade erst in Rom angekommen und ohne zu zögern zum Vigintivir gegangen.


    Da kam ihr eine Idee. "Ja. Ich werde bei meinem Onkel, Senator Helvetius Geminus, zu erreichen sein." Stolz, weil ihr diese Möglichkeit eingefallen ist, blickte Severina auf und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. In diesem Moment war es ihr egal, ob sie tatsächlich dort wohnen würde. Wenn Onkel Geminus ihr die Bleibe verwehrte, so konnte sie zumindest einen Sklaven mit etwas pekuniärer Hilfe anweisen, ihre Post zu ihrer tatsächlichen Unterkunft zu bringen. "Vielen Dank für deine Mühe, Flavius." sagte sie noch, bevor sie das Zimmer des Vigintivirs und danach die patrizische Villa verliess.

  • Nachdem Helvetia den Raum verlassen hatte, trat Gracchus von der Türe weg zu dem Sklaven heran, welcher die Hummel entsorgt hatte, blieb vor ihm stehen und musterte ihn regungslos. Dann hob er jählings seine Hand, zog den Handrücken hart über das Gesicht des Sklaven.
    "Stümper! Du hättest sie aus dem Zimmer bringen sollen! Warum müsst ihr Sklaven gar immer alles vernichten, was euch zwischen die Finger kommt?"
    In einer ruckartigen Bewegung hob er noch einmal an, als wolle er den Sklaven erneut schlagen, ließ jedoch von ihm ab und drehte sich fort.
    "Das widert mich an - du widerst mich an! Geh mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse!"
    Mit aufeinander gepressten Kiefern trat Gracchus zu dem Fenster, aus welchem der Sklave das tote Insekt geworfen hatte und suchte mit seinem Blick den Boden davor nach dem kleinen, pelzigen Leichnam ab, bis er ihn unter einer weißfarbenen Blume entdeckte, die ihre frischen Frühlingsblüten zum Himmel empor reckte. Seit Milo den Vilicus der Villa des öfteren von seinen Aufgaben abzog, schienen die Sklaven ein allzu laxes Leben zu führen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!