• Severus nickte und folgte Axilla. Einige Schritte ging er neben ihr, dann nahm er wortlos ihre Hand und hakte sie wieder in seinem Arm ein. Dabei sagte er kein Wort, aber er lächelte sie an. So gingen sie langsam den Hügel hinauf, wobei die Aussicht auf Alexandria immer besser wurde. Er hätte niemals gedacht, dass die Stadt so eine Ausdehnung hatte. Und dazu noch so perfekt geplant schien mit ihren geraden Straßen und den breiten Hauptstraßen. Die Planung war wirklich gut, so weit er das beurteilen konnte, auch wenn sich die Stadt inzwischen wohl etwas anders entwickelt hatte, als es die Architekten vorgesehen hatten.

  • Schweigend gingen sie hoch, und Axilla war einen Moment einfach nur erleichtert, dass er ihr wohl nicht böse war. Er hatte ihre Hand wieder genommen, und sie ging einfach nur stumm neben ihm her und schenkte ihm ab und an einen schüchternen Blick. Aber er war noch da, und er blieb auch da. Allein diese Aussicht brachte Axilla schließlich auch wieder zum Lächeln, erst ganz zaghaft, dann aber doch kräftiger, je höher sie kamen.


    Oben angekommen war die Aussicht fantastisch. Der Sommer hielt Einzug und in der warmen Luft schienen die Farben noch viel satter und dunkler. Wenn man in Richtung Land schaute, sah man in der Ferne die Hitze über dem Nil flimmern, wie ein wabernder Film. Die Getreidefelder etwas abseits verschwammen zu einer goldenen Masse wie flüssiger Honig, und die langsam niedergehende Sonne verwandelte sie nach und nach in immer goldenere Töne.
    Und zur Stadt hin strahlten die Häuser im weißen und gelben Kalkputz. In der Basileia blitzte der Marmor und die feinen Dächer mit ihren roten und braunen Lehmschindeln, im Delta waren es mehr Flachdächer, ebenso im Brucheion, wo hauptsächlich Griechen wohnten. Hier und da konnte man in die Atrien von oben sehen, wo die Büsche besonders hoch wuchsen. In Rhakotis schließlich verlor sich jede Struktur und jede Gleichförmigkeit, so dass es wie ein wild zusammengewürfelter Haufen von Gebäuden aussah.
    Und noch weiter nach Norden schließlich lag der Hafen und die Halbinsel, auf der auch der Leuchtturm am äußersten Ausläufer zu finden war. Bei Flut war er ganz vom Festland getrennt. Die Menschen am Markt wirkten aus der Entfernung nicht viel größer als Spielzeuge, wie sie geschäftig herumwuselten. Auch wenn sie geschäftig wirkten, ihre Stimmen drangen nicht bis hier heroben. Hier herrschte nur Vogelgezwitscher und das beständige, überall in der Stadt hörbare Rauschen des Meeres.


    Axilla ließ Severus’ Arm los und machte ein paar Schritte vom Weg hinunter in das dichte Gras, das hier oben wuchs – und damit es nicht austrocknete auch von gewissenhaften Gärtnern täglich gegossen wurde. Am liebsten hätte sie ihre Schuhe ausgezogen. So aber drehte sie sich nur einmal lachend im Kreis.
    “Ist es nicht wunderschön?“ fragte sie, als hätte sie heute noch überhaupt nichts zu betrüben vermocht und ließ sich dann lächelnd einfach auf dem Gras nieder, ohne darüber nachzudenken, dass ihr Kleid dadurch wohl ein paar Flecken bekommen könnte. Oder auch, dass die Toga von Severus auch eine der steinernen Bänke am Weg mehr goutieren würde. Sie pflückte einfach eine der wilden Blumen, die hier überall zwischen dem Grün wuchsen, und wartete, dass ihr Begleiter zu ihr kommen würde, während sie schon wie selbstverständlich mit dem Erklären anfing.
    “Da unten ist der Hafen. Von hier oben sehen die Schiffe richtig klein aus, nicht? Oh, und da drüben ist das Haus, in dem ich wohne. Das da, mit den roten Ziegeln auf dem Vordach.“

  • Der Ausblick war wirklich beeindruckend und die untergehende Sonne tauchte alles in ein goldenes Licht. Severus beobachtete Axilla, wie sie sich drehte und ins Gras setzte und eine Blume pflückte. Ihre Lebhaftigkeit gefiel ihm, doch überlegte er einen Moment, ob es wirklich so eine gute Idee wäre, sich in Toga hinzusetzen. Er wusste sehr genau, dass er die Toga danach komplett neu anlegen konnte. Nur kurz richten wäre auf jeden Fall nicht einmal ansatzweise möglich. Also legte er seine Toga kurzerhand ab und faltete sie, so dass sie als Kissen für zwei Personen taugte. Dann setzte er sich.


    "Ja, es ist wirklich schön. Oh, sieh mal!" Severus zeigte auf den Leuchtturm, dessen Feuer entzündet wurde. "Dieses Licht... es scheint selbst in dunkelster Nacht und weist allen den Weg in den sicheren Hafen. So ist niemand verloren auf See."

  • Erst, als sie sah, wie Severus seine Toga zusammenlegte, kam ihr in den Sinn, wie sie sich gerade einfach hingesetzt hatte. Sie sah peinlich berührt kurz zu Boden und hoffte, dass ihr Kleid nicht zu viele Flecken abbekam. Die Sklavin, die die Wäsche machte, schimpfte jedes Mal wie ein Rohrspatz, und auch wenn es nur eine Sklavin war, Axilla wollte nicht, dass jemand böse mit ihr war.
    Zum Glück schien ihr Severus da nicht böse zu sein, denn er setzte sich zu ihr ins Gras und deutete nach Pharos, wo gerade schon das Licht für die Nacht entzündet wurde. Erst war es nur wie ein kleiner Funke, doch schon bald brannte das große Feuer hell auf.


    Bei den Worten des Octaviers musste Axilla etwas traurig schmunzeln. Niemand verloren auf See, das klang hübsch. Sie fühlte sich häufig verloren, in einer See aus Chaos und Gefühlen. Aber da gab es keinen Leuchtturm, der ihr den Weg wies, wo sie hingehen musste. Ihr Leuchtturm war vor langer Zeit erloschen und würde nicht mehr wieder kommen, seine einzigen Überbleibsel lagen in der Truhe in ihrem Zimmer, seine Asche im Grab in Tarraco.
    “Das klingt sehr schön“, meinte Axilla mit einem ein bisschen traurigen Lächeln, und sah sich dann rasch etwas um, um wieder etwas heitereres zu finden. Sie war heute schon betrübt genug gewesen, sie wollte den Moment nicht kaputtmachen.
    “Und wo ist dien Haus? Sieht man es von hier?“ fragte sie schließlich neugierig, als ihr nicht gleich etwas ins Auge sprang.

  • "Mein Haus? Da hinten, zwischen Hafen und Markt." Severus zeigte auf ein Haus mit flachem Dach, das eher wie ein dreistöckiges Lagerhaus aussah. "Es ist leider nicht so schön wie dein Domizil, aber es soll ja auch vor allem zweckmäßig sein." Sein Blick schweifte in Richtung Sonne, die glutrot über dem Horizont stand. "Der Sonnenuntergang ist heute wirklich schön. Wir werden wohl auch eine sternenklare Nacht bekommen. Schaust du dir die Sterne an?" fragte er neugierig.

  • Neugierig suchte Axilla das angegebene Haus und meinte es schließlich entdeckt zu haben. Abenteuerlustig strahlte sie Severus an. Er wohnte ja fast wie die Piraten aus den Geschichten! Am liebsten wollte sie es sich von nahem ansehen, aber sie konnte ihr vorlautes Mundwerk nochmal zügeln.
    Dann fragte er sie nach den Sternen, und wie automatisch ging ihr Blick nach oben in den Himmel, der im Moment dieses tiefe und satte blau hatte, wenn die Sonne schon sehr tief stand. Aber noch waren die Sterne nicht zu sehen. Lange würde es aber nicht mehr dauern, denn wie Axilla gesagt hatte, hier ging die Sonne rasch unter.
    “Ja, sehr gerne sogar.“
    Sie sah wieder zu dem Octavier und zögerte einen Moment. Sie redete nicht gern über vergangenes, aber sie wollte es ihm erzählen.
    “Als ich klein war, ist mein Vater mit mir oft nachts hinausgeritten, wenn er heimkam. Einfach so. Dann haben wir uns auf den großen Felsen eine halbe Meile von daheim entfernt gesetzt, und er hat mir die Geschichten erzählt. Vom Jäger Orion, und von der Schildkröte, die zur Lyra wurde. Und von den Plejaden.“
    Axilla sah wieder hinauf in den Himmel, wo ganz schwach die Venus schon zu sehen war als schillernder Abendstern. “Und du?“ fragte sie ganz selbstverständlich zurück, während sie darauf wartete, dass mehr der funkelnden Lichter hervorkamen.

  • Severus freute sich über Axillas Strahlen. So strahlte er ebenfalls. "Ich habe die Sterne vor allem durch meinen Lehrer kennengelernt. Und auf See. Ein Nauarchus, der letzte, der meine Ausbildung beendete, hat mir gezeigt, wie man mit Hilfe der Sterne navigieren kann. So muss man nachts nicht vor Anker gehen und kann weiterfahren. So sind die Sterne für mich mehr als nur schöne Lichtpunkte am Firmament, zu denen es viele Sagen gibt, sondern auch Wegweiser in der Dunkelheit. Immer dann, wenn das Licht des Leuchtturms hinterm Horizont verschwunden ist. Von einem meiner Matrosen, einem Ägypter, habe ich auch paar Geschichten aufgeschnappt."

  • Neugierig lauschte Axilla seinen Ausführungen. Sie hatte schonmal sowas gehört, dass man nach den Sternen Navigieren konnte, aber sie hatte keine Ahnung, wie das ging. Überhaupt, wie das funktionieren konnte.
    “Aber die Sterne bewegen sich doch?“ fragte sie also etwas verwirrt. Der Sternenhimmel drehte sich, und wo in einem Monat der Steinbock des Faunus im Osten aufragte, war es im nächsten Monat die Wasserschlange. Nicht einmal in einer Nacht blieben alle an ihrem Fleck. Axilla hatte schon öfter nachts wach gelegen und die Sterne angeschaut. Sie bewegten sich langsam, aber sie bewegten sich.


    Sie sah Severus neugierig an, und kaute sich einen kurzen Moment auf der Unterlippe herum. Das machte sie immer, wenn sie überlegte und sich nicht so recht traute.
    “Würdest du mir das beibringen?“ fragte sie aber schließlich doch sehr schüchtern.

  • "Die Sterne bewegen sich zwar, aber immer gleich. Wer die Gesetzmäßigkeiten der Sternenbewegung kennt, weiß deshalb auch immer, welcher Stern wo ist. Aber das ist gar nicht nötig. Es gibt nämlich einen Punkt am Firmament, um den sie kreisen. Dieser Punkt zeigt an, wo Norden ist. Die Sterne unmittelbar um diesen Punkt gehen niemals unter. Deshalb wurden sie von den alten Ägyptern 'die Unzerstörbaren' genannt. Angeblich sind die Gräber der Pharaonen nach ihnen ausgerichtet, um so mit den Sternen für immer zu reisen und selbst unzerstörbar zu werden." Severus sprach leise, so dass nur Axilla ihn verstand. Immerhin war Navigation ein Berufsgeheimnis, auch wenn einige Gelehrte das wohl auch beherrschten.


    Severus zog die Augenbrauen kurz hoch und legte seinen Kopf etwas schief. Er machte das hin und wieder, wenn er nachdachte. "Ich würde es dir beibringen, wenn du mir versprichst, sorgfältig zu prüfen, an wen du dieses Wissen weitergibst."

  • Das Wissen weitergeben? Axilla lächelte breit und legte den Kopf so schief wie er.
    “Ich bin ein Mädchen. Wer würde mich schon nach sowas fragen?“
    Alle Welt nahm bei einem Mädchen automatisch an, dass sie nichts von solchen Dingen verstand. Sie hatte auch nichts von solchen Dingen zu verstehen, es war im Leben einer Frau nicht wichtig.
    So hätte Axilla ihm auch die Schlacht bei Gaugamela ausführlich beschrieben können, welche taktischen Fehler Dareios gegenüber Alexander damals gemacht hatte. Oder auch die Schlacht um Alesia, die die Frage aufwarf, warum Ceasar es gegen eine so von ihm beschriebene Übermacht geschafft hatte, die Flanken zu nehmen. Aber sie war ein Mädchen, und es fragte sie niemand nach solchen Dingen. Auch wenn ihr Vater es ihr beigebracht hatte, es interessierte niemanden, ob sie es konnte oder nicht.


    Aber Severus schien es durchaus ernst zu meinen, und so wurde auch Axilla ernster und sah ihm tief in die grauen Augen, in denen sich noch das letzte Licht der untergehenden Sonne spiegelte.
    “Ich verspreche es dir.“

  • Natürlich war es richtig, dass wohl kaum jemand auf die Idee käme, ausgerechnet eine Frau etwas zur Navigation zu fragen. Schon gar nicht im hellenistischen Teil des Imperiums. Dennoch meinte Severus ganz selbstverständlich "Ich würde dich vielleicht fragen. Wenn ich es nicht schon wüsste." Er zwinkerte ihr zu.


    Das Blau des Himmels wurde immer dunkler und es wurden immer mehr Sterne sichtbar, teils einzeln, teils als ganze Sternenbilder. "Also gut, dann werde ich dir erstmal zeigen, wo Norden ist. Tagsüber ist es ja sehr einfach. Da, wo Mittags die Sonne steht, ist Süden, also ist die andere Richtung Norden. Nachts ist es aber auch nicht so schwer." Ohne lange darüber nachzudenken, rutschte Severus näher an Axilla heran, damit sie besser folgen konnte, wohin er zeigte. "Das da ist das Sternbild der Cassiopeia." Er fuhr mit seinem Zeigefinger das "W" der Sterne ab. "Das mittlere Dreieck des Sternbildes deutet bereits in die richtige Richtung, wenn auch nicht exakt. Und gegenüber sieht man des Sternbild des Großen Bären. Zwischen beiden liegen noch weitere Sterne, die allesamt um einen Punkt kreisen*. An diesem Punkt ist Norden. Naja, fast jedenfalls."


    Sim-Off:

    * Der Polarstern, wie wir ihn heute kennen, war um 100 n. Chr. nicht der Polarstern, da sich die Ekliptik der Erde ändert und dadurch auch die polare Präzession.

  • Er würde sie nach sowas fragen? Axilla schaute einen Moment perplex zu Severus und fragte sich, ob er das wirklich ernst meinte, als er näher zu ihr rückte und anfing, zu erklären. Im ersten Moment schaute sie gar nicht hoch zum Himmel, sondern blieb mit ihrem Blick auf seinem Körper haften, der ihren jetzt berührte. Er war warm, aber es war trotz der Hitze nicht unangenehm.
    Als Axilla merkte, dass sie noch immer zu dem Octavier schaute, als der ihr schon Cassiopeia zeigen wollte, wendete sie rasch den Kopf und schaute nach dem Sternbild. Die Cassiopeia kannte sie, und auch Ursa Maior, die große Bärin. Sie kannte sogar die Sagen um sie, wie sie die Griechen erzählten. Von Kassiopeia, und wie Iuppiter sie verführt hatte, und dass Diana sie aus Wut darüber in die Bärin verwandelt hatte. Aber dass dort dazwischen irgendwo der Norden lag, das hatte sie nicht gewusst und sie schaute fasziniert dort hinauf.
    “Und woher weiß man, wohin man muss? Ich meine, auf dem Meer sind ja keine Meilensteine, woher weiß man dann überhaupt, wo man ist und ob man noch in eine Richtung muss oder nicht?“

  • Severus lachte. "Nein, da sind keine Meilensteine. Also, nicht direkt. Aber die meisten Routen führen an den Küsten entlang oder an Inseln vorbei, und deren Umrisse kennt man. Oder man sollte sie kennen. Und dann weiß man schon, wo man ist. Aber ich mag diese Strecken nicht, weil da die Chancen recht gut stehen, von Piraten überfallen zu werden. Die Classis kann halt nicht überall sein. Außerdem sind die Strecken meistens länger als der direkte Weg, mitten über das Meer. Da muss man sich dann schon anders zu helfen wissen. Die Sterne, die niemals untergehen, sind nicht immer dieselben. Es hängt schon davon ab, wie weit nördlich man ist. So kann man sich beispielsweise schonmal in Nord-Süd-Richtung orientieren. Das ist aber nicht alles. Wenn ich meine Geschwindigkeit, meinen Kurs und die Strömungen kenne, kann ich meine Position immer berechnen. Vorausgesetzt ich weiß, wie lange ich unterwegs war. Auf ein paar Meilen mehr oder weniger kommt es dabei nicht an."

  • Axilla konnte sich nichtmal die Hälfte von dem wirklich vorstellen, was Severus erzählte. Die Sterne, die nie untergingen und die je nach Zeit verschieden waren, die Geschwindigkeit, die man ja gar nicht messen konnte so ohne Entfernung, und die Kurse, von denen Axilla keine Ahnung hatte. Trotzdem hörte sie aufmerksam zu und versuchte, es sich vorzustellen.
    “Hast du denn schonmal Piraten gesehen?“ fragte sie in jugendlichem Eifer ohne zu bedenken, welch Schrecknis diese wohl wirklich waren und dass es wenig erstrebenswert war, ihnen zu begegnen.

  • Severus' Augenbrauen zogen sich etwas zusammen, was ihn leicht grimmig erscheinen ließ. Piraten waren die Pest der Meere, stets ein Unglück für diejenigen, die sie erwischten. Entweder wurde die Besatzung versklavt oder getötet. Er mochte Piraten nicht besonders und wenn er es könnte, dann würde er sämtliche Piraten zur Strecke bringen, gnadenlos.


    "Piraten habe ich noch nicht gesehen, wohl aber Schiffe, die Opfer eines Piratenüberfalls wurden. Wer jemals halb verweste Menschen gesehen hat, deren offene Kehlen einen anlachen... nein, das muss nicht sein. Piraten sind furchtbare Kriminelle!"

  • Bei seiner Antwort kam Axilla erst darauf, wie naiv sie gefragt hatte und wie dumm sie sich da angestellt hatte. Für sie war es eine romantisch verklärte Vorstellung eines Abenteuers gewesen, wie Piraten wohl waren, die aber herzlich wenig mit der Realität zu tun hatte, um die sie sehr wohl auch wusste. Axilla war ja nicht dumm, nur eben mit dem Herzen und mit den Lippen schneller als mit dem Verstand. Ertappt schaute sie weg, den Hügel hinunter auf die Stadt, wo langsam die Lichter angezündet wurden, um der hereinbrechenden Dunkelheit zu begegnen.


    “Oh, ja, natürlich. Das ist… grausam…“


    Verdammt, sie hätte vorher darüber nachdenken sollen. Gerade eben noch hatten sie einen Moment gehabt, in dem sie sich ihm sehr nahe gefühlt hatte, und jetzt wollte sie am liebsten im Boden unter ihr versinken, damit er nicht weiter so grimmig schaute.
    Axilla überlegte, ob ihr ein besseres Thema einfiel, auf das sie einfach wechseln konnte, aber im Moment fiel ihr nichts ein. Also schaute sie einfach nur leicht von Severus weg den Hügel hinunter und versuchte, sich möglichst nichts von ihren Gedanken anmerken zu lassen.

  • Thimótheos hatte sich endlich aufgerafft. Er hatte einen kleinen Pavillon inmitten einer beschaulichen Baumgruppe des Paneions gemietet und hatte dort einige Vorkehrungen getroffen. Ein kleiner Tisch und zwei gemütlich gepolsterte Korbsessel standen bereit, dazu eine Karaffe guten verdünnten Weins und ein Teller frischen Obstes. Von hier aus hatte man eine gute Sicht über die Hänge des Parks, der den Tempel des Pan umgab. Jedoch lag der Pavillon abseits der größeren Wege, weshalb hier keine Störenfriede zur Belästigung werden würden. Thimótheos stand am Geländer, das den achteckigen Pavillon umgab und genoss die Aussicht. Zu seiner Linken lag der zoologische Garten, zu seiner Rechten breitete sich auf dem sanften Abhang eine Wiese mit Bäumen aus, die großzügig schatten spendeten. Der Bantotake hatte eine einfache hellbeige Chlamys übergeworfen und trug seinen Strohhut, denn es war heiß heute und die Sonne brannte unerbittlich auf die Stadt herunter. Zum Glück wehte eine leichte Brise hier oben am Paneion, so dass man nicht völlig einging.
    Thimótheos drehte sich um und beobachtete den Pfad, der vom Hauptweg zum Pavillon herunterführte. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wartete. Jetzt musste nur noch Pasiphaë erscheinen, der er einen Grammateos geschickt hatte. Er hatte sie im Namen des Bantotaken eingeladen und sollte sie nun zum Pavillon führen, wo der Herr Strategos auf sie warten wollte. Es gäbe Dinge von Wichtigkeit zu besprechen, würde er ihr sagen. Hoffentlich hatte der Schreiberling seinen Auftrag richtig ausgeführt. Ungeduldig scharrte Thimótheos mit seiner Sandale auf den Holzplanken des Pavillons. Eine Fliege schwirrte vorbei, nicht weit entfernt gab ein Spatz seinen Gesang zum Besten. Und da sah er zwei Personen näherkommen. Die eine blieb an der Abzweigung am Hauptweg stehen und bedeutete der anderen Person, zum Pavillon herunterzugehen. Das musste seine Freundin aus der Jugendzeit sein!

  • Ich war gerade damit beschäftigt, ein wenig Obst in einer Schale zu arrangieren, welche ich am vorigen Tage auf dem Markt erstanden hatte, als es klopfte und ein Mann eintrat. Er stellte sich als grammateos vor und übermittelte mir die Botschaft, dass es wichtige Dinge zu besprechen gäbe. Ich starrte ihn an, denn er sprach einen unerwarteten Satz aus. Erst dann sagte er, dass ihn der ehrenwerte strategos Thimótheos Bantotakis, so hatte er gesagt, schicke, woraufhin sich die Falten meiner Stirn etwas glätteten. Er erwarte mich im paneion, wo auch immer das war und ich solle ihm doch sogleich folgen, denn der strategos warte schon.


    Ich war natürlich überrascht und neugierig. Trotzdem bat ich den Boten, noch einige Minuten zu warten und schickte ihn kurz hinaus, um in aller Ruhe mein Aussehen zu überprüfen. Wenn Timos so offiziell schickte, dann wollte ich auch so gut wie möglich aussehen.


    Eine Viertelstunde später befanden wir uns auf den Straßen Alexandrias und ich genoss es, nicht darauf achten zu müssen, wohin mein Weg mich führte, denn ich hatte den grammateos an meiner Seite, der vorausging und wusste, in welcher Richtung ich meinen Jungendfreund erreichen konnte.
    Es war heiß, sehr heiß an diesem Tage und schon nach wenigen Minuten begann ich, zu schwitzen und war froh darüber, dass ich meine kurze palla mitgenommen hatte und nicht die lange. Es war eine Frage der Farbwahl gewesen. Als der Bote meine Kammer betrat, trug ich meine olivgrüne Lieblings-Leinen-Tunica und war mit ihr so zufrieden, dass ich kein anderes Kleidungsstück tragen wollte. Also blieb mir nur die kurze, beigefarbene palla, denn die lange, himmelblaue hätte mich zu einer grotesken Erscheinung mutieren lassen und das wollte ich mir selbst und allen, die mich erblickten, nicht zumuten.
    “Was ist denn das paneion?” fragte ich den grammateos, denn es interessierte mich schon im Voraus, wohin er mich führen würde. Ich dachte an Pan und war mir sicher, dass der Ort mit diesem im Bunde war.
    Der Mann, der mich führte, reagierte nicht sogleich, sondern schlüpfte, mit mir im Schlepptau, um eine Ecke und erst, als wir dem Haupttrubel entschwunden waren und einigermaßen freies Sichtfeld hatten, verlangsamte er seinen Schritt etwas und antwortete auf meine Frage. “Es ist ein Heiligtum des Gottes Pan. Sehr hübsch, mit vielen Pflanzen und Tieren. Du wirst sehen. Wenn du noch nicht dort warst, wird es ein schöner Anblick.” Mehr konnte ich nicht aus ihm herausbekommen, denn nun schwieg er wieder und ging mit schnellen Schritten voran, den Blick nach vorn gerichtet.
    Auch ich schaute nach vorn und harrte der Dinge, die kommen sollten. Wir bogen noch um einige Ecken und je mehr Minuten verstrichen, desto ruhiger wurde es. Die lebhaften Viertel hatten wir hinter uns gelassen und da .. plötzlich .. erstreckte sich vor mir ein wunderschöner Park. Ein Teil von Alexandria, den ich noch nicht gesehen hatte. Oasengleich ragte dieser Fleck Erde aus der Umgebung hervor und ließ mich vergessen, dass ich mich noch immer in einer der belebtesten Städte des Römischen Reiches befand.


    Es war ruhig hier und doch waren wir nicht die einzigen. Hier und da kam uns ein lachendes Paar entgegen, eine Gruppe Männer oder ein einzelner Spaziergänger. Viele redeten, doch ich schwieg und beobachtete alles, was ich wahrnehmen konnte.
    “Wir sind da.” sagte da plötzlich der grammateos und wies auf einen Weg, der zu einem Pavillon führte. “Der strategos wartet dort.” Er zeigte noch einmal auf den Pavillon. “Dort drüben. Folg dem Weg. Ich verabschiede mich.” Auch ich verabschiedete mich und dankte dem Mann, der mir den Weg gezeigt hatte. Ohne ihn hätte es sicher länger gedauert. Dann drehte ich mich um und folgte dem Pfad zum Pavillon.


    Nach wenigen Metern konnte ich Thimótheos Gestalt ausmachen und musste schmunzeln. Er trug den gleichen Hut, den er auch bei meiner Ankunft am Hafen getragen hatte. Damals, als er in der Sonne brutzelte, nur, um auf mein Eintreffen zu warten und mich empfangen zu können. Ich freute mich wie damals, als ich ihn zum ersten Mal nach langer Zeit erblickte und ich denke, man sah es mir an, denn sobald ich ihn erreicht hatte, strahlte ich aus voller Kraft.

  • "Pasiphaë, meine liebe Freundin. Es ist eine Wohltat dich zu sehen. Wie geht es dir?" Er war auf die junge Frau zugegangen und hatte sie umarmt. Thimótheos nahm das Strahlen seiner Freundin wahr und freute sich sehr. Dieses Lächeln bescherte ihm in den letzten Wochen oft mehr Glück als jeder noch so große Erfolg in der Verbrechensbekämpfung, der Politik, oder in seinem Geldbeutel. Er kannte ihr Lächeln schon seit Jahren, doch in der Zeit nach dem Unglück der Bantotaken und ihrem Weggang aus Memphis und Pasiphaës Ankunft in Alexandria hatte der Kyrios der Bantotaken die Heiterkeit vergessen, die es in ihm auslöste.
    Er wies auf die Korbsessel und die Erfrischung auf dem Tisch."Wollen wir uns setzen? Ich möchte mal wieder etwas Zeit mit dir verbringen abseits des abendlichen Essens oder offiziellen Angelegenheiten." Denn er hatte wirklich viel zu tun gehabt und nur wenig Zeit für seine Familie und Freunde gefunden, was Timos sehr missfallen hatte. Die nächsten Stunden wollte er einzig mit seiner Jugendfreundin verbringen.

  • "Welch gelungene Überraschung." sagte ich, als Timos mich in die Arme schloss und ich nah genug war, um die kleine Festlichkeit zu betrachten, die er da errichtet hatte. "Vor einigen Minuten noch ging es mir gut." antwortete ich und grinste schelmisch. "Und nun geht es mir blendend." Ich zeigte noch einmal dieses strahlende Lachen, mit dem ich ihm gegenübergetreten war.


    "Ist das alles nur für uns?" fragte ich und sah mich um. "Es ist so ruhig hier, so abgeschieden und so schön." fügte ich hinzu. "Es wäre mir eine Freude, hier etwas Zeit mir dir zu verbringen."
    Zufrieden lauschte ich dem Gesang eines Vogels und ließ mich zu einem der Korbsessel geleiten. Er war gemütlich, ausgepolstert, und bescherte mir das wunderbare Gefühl eines haargenau zum Ambiente der Umgebung passenden Komforts.
    Ich wartete, bis auch Timos sich niedergelassen hatte und schaute ihm mit einer Mischung aus Vertrauen und Neugierde in die Augen.

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