Hortus | Unter dem Mandelbaum - Leontia und der Wolf im Schafspelz

  • Leise Lyraklänge schwebten durch die laue Frühlingsluft. In voller Blüte stand der Garten, die leuchtenden Farben, die süßen Düfte und das leise Summen der Bienen mischten sich an diesem sonnigen Nachmittag zu einem lieblichen, ein wenig schläfrigen Idyll. Im Schatten des großen Mandelbaumes, und beschirmt von seinem ausladenden, von rosa Blüten schier überquellendem Geäst, erwartete Leontia ihren liebsten Vetter, mit dem sie sich an diesem herrlichen Tag zu einer kleinen Ludus-Latrunculorum-Partie verabredet hatte. Sie saß, in eine leichte zartblau-goldene Tunika gewandet, bequem in einem weißen Korbstuhl, hielt in den Händen einen großen ovalen Stickrahmen, und vertrieb sich die Zeit, indem sie mit flinken Fingern ein durchscheinendes Seidentuch mit einer phantasievoll verschnörkelten goldenen Blume bestickte.


    Ein anderer Korbstuhl, überreichlich mit weichen weißen Seidenkissen mit goldenen Trodeln ausgestattet, war noch leer und harrte ihres Vetters. Auf einem runden Mamortischchen waren einige ausgesuchte Erfrischungen bereitgestellt, und hinter Leontia standen zum einen ihre Leibsklavin Salambo, zum anderen ein wohlgestalteter Nubier, der ihr mit einem großen Wedel aus Pfauenfedern ruhig und stetig einen wohltuenden Strom frischer Luft zufächelte. Auf dem weichen Gras zu ihren Füßen saß der schöne Sklave Paris, die Lyra auf den Knien, und entlockte seinem Instrument einen Strom sanfter Klänge, deren exquisite Schönheit und Harmonie immer wieder ein feines Lächeln auf Leontias Züge zauberte. Ein blauschillernder Schmetterling gaukelte vorbei. Es war ein perfekter Tag.

  • "Leontia? Künd? Kü-hünd!" Behäbig stapfte Dido maior, Leontias gute alte Amme durch den Garten, bog um einen Rosenbusch und erblickte ihren Schützling. "Ah, mein liebes Künd, da bist du ja!", flötete sie, warf dem Musikanten zu Leontias Füßen nebenbei einen giftigen Blick zu, und streckte Leontia mit einem mütterlichen Lächeln eine versiegelte Pergamentrolle entgegen. "Es ist Post von daheim gekommen. Von deinem Papa, mein Schatz." - "Von Papa?" Leontia ließ überrascht das Stickzeug sinken - ihr Vater schrieb so gut wie nie Briefe - und griff erfreut und neugierig nach der Rolle. "Wie schön. Danke, Dido." Flink brach sie das Siegel, entrollte das Schriftstück, und begann, mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht, es leise murmelnd zu lesen...


    Ein Windstoß ging durch den Garten. Wie roséfarbener Schnee rieselten Mandelblüten von den Zweigen. Dido maior stand wartend und streng neben Leontia. Der Nubier hielt im Fächeln inne. Paris spielte eine leise, traumverlorene Melodie. Salambo schielte ihrer Herrin unauffällig über die Schulter, las lautlos mit, und ihre dunklen Augen weiteten sich unmerklich, Ausdruck stummen Schreckens - und einen Augenblick später wurde Leontias Miene ganz starr, das Lächeln verschwand als wäre es nie dort gewesen, und fassungslos starrte sie auf den Brief. "Nein. Das kann nicht sein...", flüsterte sie ungläubig. "Wie kann er denn ahnen, dass...?" Ihre schmalen Hände ballten sich um das Pergament, zerknüllten es mit Ingrimm, während sie aufsah, und zuerst Salambo ins Auge fasste, dann ihre Amme. "Wer von euch hat es ihm gesagt?"


    "Aber Künd, was ist denn nur in dich gefahren?", erkundigte sich Dido besorgt, Salambo dagegen sprach emphatisch: "Domina, ich bin dir treu ergeben!" Leontia nickte langsam, und fixierte Dido, als wolle sie sie mit ihren Blick durchbohren. "Geh, bevor ich mich vergesse!", sprach Leontia eisig, nur mühsam beherrscht. Die alte Sklavin zögerte, rang die Hände, schien noch etwas sagen zu wollen, und ergriff dann doch die Flucht, eilte hastig von dannen ohne sich noch einmal umzusehen. Als ihre plumpe Gestalt hinter den Rosenbüschen verschwunden war, atmete Leontia langsam und schwer ein, die Hände um den Brief gekrallt, mit bebenden Nasenflügeln und eisiger Miene. Salambo trat vorsichtshalber einen Schritt zurück... Und wie sie es erwartet hatte, ließ das Donnerwetter nicht lange auf sich warten.

  • "Wie kann er mir das antun!" fauchte Leontia zornentbrannt, warf das Pergament zu Boden und schlug mit den Fäusten auf das Mamortischchen. "Wie kann er nur! Ich bin doch seine Tochter! Und diese... diese alte Wachtel, der ich vertraut habe, blind vertraut, die hat mich verraten, diese Harpie!" Am ganzen Körper bebend vor Wut schloss sie die Finger um ihre kleine Nähschere, und stach sie mitten in ihre Stickerei, zerriss die goldene Blume, an der sie zuvor so sorgfältig gearbeitet hatte, in viele kleine Fetzen... Doch das stillte noch lange nicht ihren Zorn, und in dem unbändigen Drang, etwas schönes zu zerstören, ließ sie die Schere auf das Gesicht des Sklaven Paris herniederfahren, der seine Lyra hatte sinken lassen, und mit himmelblauen Augen mitfühlend zu Leontia hinaufsah. "Wer hat dir gesagt, du sollst aufhören zu spielen!?", zischte Leontia, und stach ihm die Schere in die Wange.


    Der Anblick dieser ebenmäßigen Züge, die sich blitzartig im Schmerz verzerrten, der strahlenden Augen, die nun voll Tränen und fassungslosem Schrecken standen, hatte wie stets in solchen Situationen einen beruhigenden Einfluss auf Leontia. So schnell ihre Zerstörungswut entbrannt war, so schnell war sie auch wieder vorüber. Langsam lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück, atmete ruhig, und spürte, wie der Zorn abebbte, sie wieder Herrin ihrer selbst werden ließ. Mit spitzen Fingern wische sie sich eine Träne von der Wange, räusperte sich, und sprach mit belegter Stimme zu Paris: "Du darfst dich entfernen. Geh zu Kosmas, meinem Medicus, er soll sich um die Verletzung kümmern." Schockiert, die Hand auf die stark blutenden Wange gepresst, stolperte der misshandelte Künstler in Richtung der Villa davon. Salambo reichte ihrer Herrin beflissen ein Taschentuch, schenkte ihr ein Glas schneegekühlten Fruchtsaft ein, und machte sich dann daran, die Fetzen der Stickerei einzusammeln, bevor ein Wind sie in alle Himmelsrichtungen zerstreute.


    Leontia seufzte leise und blieb auf ihrem Korbstuhl sitzen, aufrecht, verschlossen und wie erstarrt. Hätte sie sich mit dem Tüchlein nicht immer wieder schnell die Augen getupft, so hätte man meinen können, eine traurige mamorne Statue vor sich zu haben, Andromache vielleicht, die verlassene Psyche oder auch die in den Hades verschleppte Persephone.

  • Der Windstoss offenbarte für einen marginalen Moment das Antlitz von Quintus Tullius, der brütend und in seine eigenen Gedanken vertieft, hinter einem alten Olivenbaum stand, dessen Blätter im Sonnenlicht silbrig grün glitzerten und leise ächzend von der Last des Alters und des herrischen Windes sich unmerklich zur Seite neigte. Von dem Zornesausbruch der Flavierin war selbst im hinteren Teil einiges noch zu verstehen, wenn auch Tullius nicht die blutige Tat der Flavierin erblickte, mehr die wütenden Worte vernahm. Ein süffisantes Lächeln drang bis zu seinen Lippen, die Augen erreichte das Lächeln nicht, blieb der Ausdruck darin doch noch mehr düster und nachdenklich, denn er fragte sich seit einigen Stunden, was er hier in der Villa Flavia erwartet hatte. Ein sonderlich spannendes Spiel hatte sich noch nicht entwickelt, die Belange von seinem Bruder erschienen ihm mehr eintönig und ennuyant zu sein. Ein solches fatigante Leben konnte Manius Flavius Gracchus doch nicht wahrhaftig führen. Vielleicht war der Reiz mehr in den subtilen Belangen der Politik zu finden, in dem Ringen im Strudels von Intrigen und Machtergreifung bestehen zu können. Wenn Tullius dann jedoch die konkrete Arbeit von seinem Bruder betrachtete, er hatte einige Zeit benötigt um das Arbeitszimmer ausfindig zu machen, dann beschlich Tullius das unsägliche Gefühl: Es war fade, was Gracchus zu tun hatte, zudem schien sein Leben ein steter Fluss zu sein, breit und mächtig, aber träge und ohne große Wendungen und Unerwartetes.
    Gedanken verloren knetete Tullius mit der linken Hand seine Unterlippe und ließ seine Hand erneut sinken, ihm kam es in den Sinn, dass Tullius womöglich zu den größten Überraschungen in Gracchus Leben gehörte. Mit einer fließenden Bewegung löste sich Tullius aus dem Schatten des Baumes, trat auf den weißen Kiesweg und schritt, die Linke vor seinen Bauch haltend und mit hocherhobenen Hauptes, auf seine Base zu, seine Base und nicht nur die des Gracchus', denn das war sie, wie Gracchus sein Bruder war und er somit auch Leontias Vetter.
    Seine Augenbraue wölbte sich in die Höhe als er auf den Boden einige dunkle Tropfen erkannte und zwei umgeworfene Figuren.
    “Mein liebe Base Leontia, mir scheint, hier ist ein kleines Malheur passiert. Oder gibt es etwas, was Dich derart alteriert hat, dass Du Deine Contenance verloren hast?“
    Ein sadonisches Lächeln schlich sich auf Tullius Lippen und er betrachtete Leontia aufmerksam, um zu eruieren ob sie ein zartes Püppchen war, was er sofort mit gänzlicher Verachtung bestrafen würde, oder gar eine Rose mit zarten Dornen, die er genauso verachten, aber sich noch mehr vor ihr in Acht nehmen würde.


  • "Verzeih.", sprach Leontia mit erstickter Stimme, und tupfte sich schnell noch eine Träne aus dem Augenwinkel. Dass ihr hochgeschätzter Manius offenbar Zeuge ihrer Unbeherrschtheit gewesen war, brachte sie in große Verlegenheit, doch noch größer war der schreckliche Kummer, den sie wie eine grausame Hand fest um ihr Herz herum gekrallt spürte. "Es ist nur..." Ein schwerer Atemzug hob und senkte ihre Brust. "...ich muss gehen. Nach Ravenna zurück. Papa will es so."


    Hilflos blickte sie zu ihrem Vetter auf, dann auf den zerknautschten Brief, dann wieder zu Tullius. "Er schreibt mir hier: 'kehre unverzüglich zurück, ich habe einen neuen Verlobten für Dich aufgetan, den das Debakel mit dem letzten nicht davon abhalten wird, um Deine Hand anzuhalten...' etcetera. Debakel!" Zorn blitzte in den nachtblauen Augen. "Als ob das meine Schuld gewesen wäre mit der Gräte!" Schnell führte sie den gläsernen Kelch zum Mund, nahm einen Schluck des kühlen Getränkes, um nicht schon wieder die Fassung zu verlieren.


    "Und er ist böse mit mir, weil ich im Vestatempel gewesen bin, heimlich. Er hatte es ja verboten. Dabei habe ich mich dort bloß unterhalten mit deiner Schwester! Sie ist wirklich sehr liebenswürdig. - Aber Papa hat es doch herausgefunden, ich bin sicher meine Amme hat mich an ihn verraten. Außer Salambo sind doch alle meine Sklaven seine Spione. Bestimmt ist das der Grund für diesen überstürzten Entschluss. - Als ob ich je erwogen hätte, mich gegen seinen Willen den Vestalinnen anzuschließen! Es ist nicht fair."Leontia schüttelte den Kopf, erbittert über die Niederträchtigkeit ihres Vaters, ihrer Amme, und über ihre eigene Unvorsichtigkeit. Geistesabwesend fasste sie eine lange glänzendschwarze Locke, und wickelte sie fest um den Finger herum, während sie ihrem liebsten Vetter erschüttert ihr Leid klagte:


    "Oh Manius, es ist schrecklich. Der Mann den er ausgesucht hat, ein Aemilier, der ist... im höchsten Maße degoutant und degeneriert! Ich kenne ihn flüchtig, da er oft bei Papas ..." - sie krauste das Näschen - "... Festivitäten anwesend war. Ein Senator, immerhin, aber mehr nominell, er zieht es wohl vor, sich in der Provinz den Vergnügungen hinzugeben. Zudem war er schon des öfteren vermählt, hat eine Vielzahl von Kindern, doch, wie Papa betont: 'Bisher hat jedoch keiner seiner legitimen Söhne überlebt. So Du ihm also einen kräftigen Erben schenkst, meine liebe Tochter, so steht Dir eine goldene Zukunft bevor.' " Sie leerte ihren Kelch, und schnaubte erbost: "Eine goldene Zukunft! Gedankenlos stürzt er mich ins Unglück! Oh, ich fasse es nicht, dass er mich einfach an diesen Wüstling verschachert hat!!"

  • Schweigsam trat Tullius auf den hellen Marmortisch zu und nahm in dem ihn beinahe verschlingenden Korbstuhl Platz, befand den Stuhl als recht dekadent und dazu noch unbequem, bewegte sich ein wenig hin und her und ließ das Meer an Worten aus dem Munde der schönen und doch etwas, wie er befand, wehleidigen Patrizierin an sich vorbei rauschen. Es gab wohl immer dieselben Themen, die Frauen beschäftigte: Kleider, Schmuck und die zukünftigen Ehemänner. Und scheinbar war Leontia mit der Wahl ihres Vaters nicht ganz einverstanden, aber das 'Überhaupt' überraschte Tullius durchaus. Wollte nicht jede Frau irgendwann den Schutz eines Mannes um sich wissen, die leitende Hand ihres Gatten, der sie vor Ungemach und den schlimmen Dingen des Lebens bewahrte, war doch die Frau von Natur aus schwach und hilflos, immer auf einen Mann angewiesen, sei es der Vater, der Bruder oder der Ehegatte.
    Mühevoll rang sich Tullius einen Ausdruck ab, den man als mitleidig erahnen könnte, doch Tullius hatte niemals in seinem Leben für einen Menschen diese Empfindung gehegt und konnte sich schwerlich in diese hinein versetzen. Derart unbeeindruckt nickte Tullius, der doch den Gracchus spielen wollte und zum ersten Mal am Tag in eine Situation manövriert wurde, die ihm derart unliebsam war, dass er sich wünschte, Gracchus wäre doch an seiner Stelle. Sic schweifte sein Blick ab, Langweile überkam ihm und er winkte einen Sklaven heran, der ihm einen gläsernen Pokal gefüllt mit leichtem Wein reichte. Tullius trank einige tiefe Schlücke davon und war erst dann wieder in der Lage, sich um das larmoyante Gejammer der Patrizierin zu kümmern. Eine leidende Miene offenbarte er und womöglich würde seine Base das auch als Mitleid interpretieren könnten, so denn hoffte es Tullius.
    „Gräulich, abscheulich ist das in der Tat, oh meine liebe und so kluge Leontia. Ich bin indigniert, nein gar zutiefst schockiert über diese Neuigkeit.“
    Tullius stellte den Pokal auf den Tisch und verschränkte seine Hände ineinander, schien gar mit ihnen zu ringen und rang sich hinzu einen tiefen Seufzer ab. Womöglich war es ein wenig zu pretiös, aber Tullius hoffte auch diesbezüglich, dass Leontia es nicht merken würde.
    „Wunderbare und weise Leontia, für so einen degoutanten Mann bist Du viel zu wertvoll als an diesen verschwendet zu werden. Zudem...“
    Tullius stockte, atmete tief ein und aus. Tullius entschied sich aber dagegen, symbolisch ein Taschentuch zu suchen. Das wäre wahrlich zu dick aufgetragen.
    „...wäre es auch für mich eine schwere Bürde, Dich an einen solches Scheusal zu verlieren. Nein, nur der edelste und reinste Mann, so es ihn je geben wird, wäre für Dich gerade zu ertragen.“
    Tullius nahm schnell den Pokal und trank einen Schluck, um ein lautes Lachen zu unterdrücken, wenigstens sein höhnisches Lächeln zu verbergen. Denn im Grunde war ihm auch egal, ob Leontia einen fetten, alten Senator heiratete oder gar einen Libertus. Genauso wie bei seiner Nichte wollte er nur ein wenig das Leben in der Villa umwerfen. Nachdenklich betrachtete Tullius Leontia und sann darüber nach, was er bei ihr tun konnte, um es Gracchus schwer zu machen. Um in seinem Bruder den Haß zu schüren, der für das kleine Spiel, was er sich ersonnen hatte, notwendig war. Die Villa würde Tullius noch am heutigen Tage verlassen und er wollte einiges zurück lassen, was seinem Bruder sehr schmerzen würde. Oder gar sogar rauben, wie einen großen Teil des Familienvermögens. Entschlossen stellte Tullius den Pokal zur Seite und taxierte Leontia ehe ihm bewusst wurde, dass sie das möglicherweise als verdächtig empfinden könnte. So entlockte er seiner Kehle lieber schnell ein kummervolles Seufzen.
    „Meine scharfsinnige und stilvolle Base, die Götter können kein solches Schicksal, kein so grausames Los für Dich ersonnen haben. Ich möchte nicht dem Willen Deines Vaters widersprechen, aber ich bin mir sicher, dass er das Wollen der Unsterblichen falsch zu deuten vermag.“
    Tullius hob die Hand und fing mit der Linken an, seine Unterlippe zu kneten.
    „Doch womöglich...allfällig, liebe Leontia, muss es nicht derart kommen...“
    Tullius verstummte, machte eine theatralische Pause, damit Leontia ein wenig gespannter wurde und sie gar das Gefühl erhielt, es ihm zu entlocken.


  • In ihrem unermesslichen Jammer war Leontia dankbar für jeden Ausdruck des Mitgefühls. Die Anteilnahme ihres liebsten Vetters, bekräftigt durch so viele schmeichelhafte und wertschätzende Äußerungen, war ihr ein Quell des Trostes. Sie nickte schwach, tupfte sich noch hin und wieder die Augen und bedachte ihn mit dankbaren Blicken, schenkte ihn gar ein mattes, märtyrerhaftes Lächeln bei den lieben Worten: Nur der edelste und reinste Mann, so es ihn je geben wird, wäre für Dich gerade zu ertragen. Der Meinung war sie nämlich auch.


    "Oh Manius!", hauchte sie tiefempfunden. "Wie unendlich dankbar ich Dir für Deinen kordialen Zuspruch bin! Doch ich fürchte die Würfel sind gefallen. Papa ist, wie Du weißt, ein starrsinniger Mensch, der sich aus Prinzip kaum jemals von einer bereits getroffenen Entscheidung abbringen lässt. Ich Unselige! Da sah ich die helfende Hand der Götter, als sie den Cassius hinwegrafften, bildete mir ein vom Schicksal begünstigt zu sein, und nun - nun kommt alles noch viel schlimmer!" In schmerzlicher Gebärde hob sie die Handflächen gen Himmel und klagte herzzerreissend: "Warum nur, warum?!"


    Doch unvermittelt weckte Tullius mysteriöse Andeutung, in Verbindung mit dem kontemplativen Kneten der Unterlippe, eine wilde Hoffnung in Leontias unergründlichem Herzen. "Du meinst...", griff sie leise seine Worte auf, und trank wiederum recht gefasst einen Schluck kühlen Granatapfelsaftes, "...es gäbe noch einen Ausweg?" Unwillkürlich glitt ihre Zunge über die blassen, vollen Lippen, fing einen Tropfen des süßen roten Saftes auf, der drohte, über das zarte Kinn zu entfleuchen. "Was könnte das wohl sein...?", fragte sich Leontia sinnierend, klatschte mit einem Mal in die Hände und schickte die Sklaven mit einem nachlässigen "Geht!" davon.


    Ein leises Klimpern ertönte, als die Spitzen ihrer polierten Nägeln ungeduldig gegen ihre Saphirohrringe tippten, bis die Sklaven sie schließlich alleine gelassen hatten. Wiederum raschelte die sanfte Brise, rieselten einige Blütenblätter aus dem Geäst des Mandelbaumes herab. "Und wenn ich diesen Weg einschlüge...", begann vorsichtig Leontia, die, getreu der Prägung durch die absonderlichen Gewohnheiten ihres Elternhauses, in Tullius' Worten eine unverhohlene Aufforderung zur gewaltsamen Beseitigung des unliebsamen Auserkorenen erkannt zu haben meinte, "...wäre das denn nicht ein unverzeihlicher Ungehorsam gegenüber dem erklärten Willen meines Herrn Vater?" Das düstere Funkeln, das sich bei diesen Worten unheilvoll am Grunde der dunklen, noch verweinten Augen, regte, sprach allerdings eine ganz andere Sprache.
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  • Filigrane Wolkenfelder zogen über den kristallklaren, blau schimmrigen Himmel und malten als ob einer künstlerischen Feder entsprungen Bilder aus weißen Tupfen in die intensive Bläue. Ein rot schwänziger Vogel zwitscherte munter in den Ästen eines Kirschbaumes, der einige seiner hell leuchtenden Blüten an den saftiggrünen Boden des Gartens verlor und sich wie ein sanfter Schleier auf die Schulter des Piraten legte. Achtlos schüttelte Tullius einige der Blüten von seinem Gewand als er sich zurücklehnte und die Patrizierin vor sich taxierte. Mühevoll lauschte er ihrem Gejammer, die leidende Miene musste immer noch nicht gespielt werden. Ein schweres Seufzen war von ihm zu hören, seine Hand sank von seinem Kinn hinab auf den Tisch, seine Finger glitten über den kühlen Stein, der sich im Lichte Sols Scheibe immer mehr erwärmte.
    Marginal frappiert über den schnellen Zuspruch und das Ende des Wehleides war Tullius dennoch. Eigentlich hatte er bei Leibe nicht damit gerechnet, dass ihm die Patrizierin so sehr in seinem Anliegen entgegenkam. Auch missfiel ihm nicht das Funkeln, was er in den dunkelblauen Augen, die Ton in Ton mit der Himmelsfarbe harmonierte, zu entdecken vermeinte, war es doch nicht der Ausdruck eines willenschwachen Wesens. Bei Weitem würde Tullius nicht derart weit gehen und deswegen der Frau wertschätzende Empfindungen entgegen bringen, gar irgendwelche Sympathiegefühle, war sie doch noch weiterhin ein Wesen des schwachen Geschlechtes und somit für ihn überdies verachtungswürdig. Aber womöglich würde er sich an dem Spiel mehr ergötzen können, wenn sie sich nicht ständig weinerlich verhielt, besonders wenn sie erkennen würde, was für eine Scharade Tullius mit ihr getrieben hatte. Tullius Lippen kräuselten sich zu einem dünnen, leichterhin sardonischen Lächeln und er beugte sich vor, um die Flavia in das Geheimnis, den Plan einzuweihen.
    “Meine liebste Base, den Willen des Vaters zu widersprechen ist nicht immer wider des guten Anstandes und besonders der Pietas und Veritas. Ich möchte sogar postulieren, dass manches Mal ein Aufbegehren notwendig ist, zeigt sich doch, dass der elterliche Weg in eine Richtung schlägt, die der Dignitas, aber auch der Humanitas entgegen gehen.“
    A prima vista, was die wirklichen Pläne der jungen Flavia angingen, verstummte Tullius einen Atemzug, drehte den blauglasigen Pokal zwischen seinen Fingern und dachte über die nächsten Worte nach, die er an Leontia wenden wollte. Kaustisch lächelnd beugte er sich vor und seine Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern, den keiner im Garten außer Leontia wahrnehmen sollte. Kein Lebewesen, ob Vogel oder Sklave, wurde in jene Pläne eingeweiht. Nach einigen Minuten lehnte sich Tullius zufrieden zurück, seine Mundwinkel zuckten marginal.
    “Liebe Base, sic est. Doch wir dürfen nicht säumen…sei heute Abend bereit, ich werde alles vorbereiten lassen.“
    Einige Minuten später verließ Tullius den Garten, obliess es der jungen Frau sich für die kleine Rebellion gegen ihren Vater zu wappnen. Denn schon am Abend wollte er die Villa wieder verlassen haben…um an anderem Ort und zu einer anderen Zeit das Spiel mit Gracchus fortzusetzen…




    To be continued…



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