Arbeitsraum Claudius Menecrates

  • Mit Argusaugen beobachtete Macro Keywan, damit er jede Regung für einen überraschenden Befreiungsversuch sogleich im Ansatz erkennen und unterbinden konnte. Zu sagen gab es zwischen ihnen nichts, denn in Macro wirkte noch die Hand nach, die ihn in der Sklavenunterkunft getroffen hatte.


    Irgendwann öffnete sich die Tür zum Arbeitszimmer und Mansuri trat heraus. Macro suchte in ihrem Gesicht nach Antworten, was unnötig war, denn die bekam er direkt gesagt. Er solle mit Keywan wieder zum Dominus. Eine Erklärung, was auf ihn zukam blieb aus. Vielleicht wusste es Mansuri nicht, oder sie konnte es nicht sagen, weil die eigenen Probleme überwogen.


    "Du hast es gehört", fauchte er Keywan an. "Los, geh voran." Damit bekam Keywan einen Stoß zwischen die Schulterblätter. Im Arbeitszimmer angelangt, wartete Macro einfach ab, was der Dominus wünschte.

  • Keywan kam nicht mal der Gedanke an Flucht, warum auch er war doch im Recht. Und der Dominus würde sich von dem Weibergeschwätz bestimmt nicht einlullen lassen.
    Keywan betrachtete Mansuri mit einem siegessicheren Blick von oben herab, bevor er von Macro wieder ins Arbeitszimmer gestoßen wurde. Als wenn er nicht selbst laufen konnte.
    So stand er nun da, das Haupt erhoben die Schultern gestrafft, ihm würde ja nicht passieren, da war er sich sicher.

  • So lange Menecrates diesem Haushalt vorstand, hatte es keine Vergewaltigung gegeben. Eine Vergewaltigung stellte bereits für sich alleine genommen eine unverzeihliche Tat dar, aber der Sklave, der soeben wieder in das Officium geführt wurde, sammelte in der kurzen Zeit, die er hier weilte, erheblich mehr Minuspunkte als alle anderen Sklaven zusammen. Mehr noch: Er zeigte nicht einmal Reue für seine Taten. Menecrates konnte es nicht fassen, wie unverfroren und unbekümmert der in seiner Tat Überführte vor ihm stand. Wieder wallte Zorn in dem Claudier auf, als er daran dachte, wie dreist der Sklave sogar Menecrates' Worte nach Gutdünken interpretierte und damit seine Handlung rechtfertigen wollte. Bei aller Großzügigkeit, die Menecrates seinen Sklaven angedeihen ließ, aber das ging entschieden zu weit. Er fühlte sich sogar in gewisser Weise benutzt, was ihn parteiisch machte und ihn der Unvoreingenommenheit beraubte. Er schnaufte durch die Nase, um sich Luft zu machen und den Ballast abzuschütteln.


    Ein strafender Blick traf Keywan, dann begann Menecrates eine Wanderung durch das Zimmer. Sein Blick haftete am Fußboden, seine Hände hielt er hinter dem Rücken verschränkt. Er konzentrierte sich auf die Fakten. Sein Sklave ignorierte stumpf die Bedürfnisse der anderen und setzte seine Belange ohne Rücksicht auf Verluste durch. Er legte zudem nicht nur vor den anderen die Worte seines Dominus nach Belieben aus, sondern vertrat diese Meinung auch noch, wenn Menecrates ihn damit konfrontierte. Der Claudier verhielt den Schritt, richtete sich mit einem tiefen Atemzug auf, um anschließend die Wanderung fortzusetzen. Er stellte sich die Frage, ob bei Keywan Erziehungsmaßnahme fruchten würden, musste sie jedoch verneinen. In diesem Augenblick stand die Entscheidung fest, er würde sich von Keywan trennen. Nichts würde ihn davon abhalten können. Doch Erleichterung stellte sich bei ihm nach diesem Entschluss nicht ein, denn in anderen Haushalten lebten andere Sklaven, deren Schicksal Menecrates fast voraussehen konnte.


    "Verdammte Scheiße noch einmal", brüllte er unerwartet los, weil er hoffte, damit den aufkommenden Gedanken loszuwerden. Ein unerträgliches Gefühl beschlich ihn. Es schnürte ihm zunächst die Kehle zu, dann legte es sich wie ein zehnfach schweres Kettenhemd auf seine Brust und nahm ihm die Luft. Menecrates fing an zu japsen, als er sich die Frage stellte, ob Keywan fähig wäre, ein Gewaltverbrechen zu begehen. Er wollte sich selbst die Antwort nicht geben und auch nicht die Konsequenz aus den Überlegungen ziehen. Er wollte weder Richter mit Entscheidungsgewalt über Leben und Tod noch Vollstrecker sein. Wie gern würde er seine Ohren verschließen und seine Augen ebenso, aber er durfte es nicht, denn er trug Verantwortung - für seine Familie, für sein Eigentum, für seine Sklaven und die der anderen dieses Haushalts.


    Zu Erklärungen war er einem Sklaven gegenüber nicht verpflichtet, wohl aber zu Entscheidungen, wollte er sich selbst jemals wieder in die Augen sehen können. Er blieb vor Macro und Keywan stehen. Sein Blick bohrte sich in die Augen des straffällig gewordenen Sklaven, während er versuchte, all seine Gewissensbisse zu unterdrücken. Nach seiner Auffassung sollten nur die Götter das Leben einer Kreatur fordern, und sei sie noch so recht- oder wertlos. Nun aber forderte er es selbst und zwar mit dem Recht des Eigentümers, der über sein Eigentum bestimmte, über den Straftäter. Der es bestimmen musste zum Wohle aller.


    "Du hast dir das Recht zu leben verwirkt."


    Es riss den Blick los und wandte sich ab. "Bring ihn zunächst in die Zelle der Sklavenunterkunft, die kein Fenster hat. Vor der Tür wird ein Posten aufgestellt." Die Anweisung galt Macro. Menecrates achtete nicht darauf, ob der verstand, er ging einfach davon aus.

  • Keywan sah auf, als hätte ihn der Blitz persönlich getroffen. Was hatte der Dominus gesagt? Sein Leben verwirkt? Aber warum? Er hatte doch nichts getan? Er hatte doch nur sein Recht, sein natürliches recht genommen. Frauen waren dem Mann unterlegen, sie waren doch nur für den Mann da, um ihm zu dienen und seine Bedürfnisse zu stillen.
    „Aber Dominus? Ich habe doch nichts getan. Wie könnt ihr nur auf das Geschwätzt der Weiber hören?“ Keywan konnte es nicht fassen. Wieso wog hier das Wort einer Frau mehr als das eines Mannes?

  • Marco, der das Urteil zwar unberührt, aber dennoch mit Überraschung aufnahm, sah zwischen seinem Dominus und Keywan hin und her. Keine Frage, sein Auftrag war klar. Aber würde Keywans Nachfrage etwas bewirken? Maßgebend für ihn waren stets die Anweisungen seinen Herrn, und die lauteten Abtransport des Sklaven in die eine, besondere, seit langem leer stehende Zelle. Vieles raste durch Macros Kopf. Die große Auslieferung, in der auch er sich befand, die abstoßende Tat des Tölpels neben ihm, Mansuris Erschütterung und auch die Erkenntnis, wie schnell ein Ende kommen konnte.


    "Du hast es gehört", krächzte er und schubste Keywan an. Seine Stimme klang selten brüchig, heute war es der Fall. Sollte Menecrates noch etwas hinzuzufügen haben, konnte er reagieren, während er Keywan den rechten Arm auf den Rücken drehte und ihn vor sich her zur Tür schob.


    "Ab in den Arrest."

  • Einem Römer hätte Menecrates geantwortet, das einzige Geschwätz, das zu hören ist, entspringt deinem Hals, aber bei Keywan winkte er nur ab, drehte sich um und beschäftigte sich an der Regalfront mit den Büchern, Dokumenten und Wachstafelstapeln. Nicht nur der Sklave trug zu seinen Sorgenfalten bei, auch einige Familienmitglieder. Keywan spielte sogar eine untergeordnete Rolle, morgen würde er bereits vergessen sein. Oder zumindest an dem Tag, wo das Urteil vollstreckt werden würde.

  • Claudia Livineia hatte eine ganze Weile überlegt. Um genau zu sein, hatte sie sich ihre Worte sogar über einen Zeitraum von gewiss zwei Tagen zurechtgelegt. Nicht, dass es Bescheidenheit war, oder Höflichkeit. Aber sie war sich einfach nicht im Klaren darüber gewesen, ob sie einen nubischen Leibsklaven wollte, der dieser eine Gladiator ja nun zweifelsohne war. Der Germane schied von vornherein aus, wildes Pack aus dem Norden konnte sie nicht gebrauchen. Corona war romanisiert, vermenschlicht worden. Aber so ein wildes Tier überhaupt erst einmal auf ein erträgliches Maß zu zähmen, wenn es wild eingefangen wurde und nicht von der Brust auf erzogen wurde, war Livineia einfach zu viel Arbeit. Hier, zurück in Rom, wollte sie einen Leibwächter, auf den sie sich verlassen konnte. Also würde sie nun mit ihren Großvater darüber sprechen, der ja der Herr des Hauses war, und vor dem selbst sie gewissen Respekt hatte.
    Mit ihrer zarten Hand klopfte sie also an die Tür. Ja, richtig. Livineia machte sich einmal die Mühe, selbst zu kommen, anstatt Rufen zu lassen oder Sklaven einen Termin vereinbaren zu lassen. Sie wollte nicht als faul und übermäßig dekadent vor ihrem Großvater darstehen, der erst vor kurzem, bei den Ludi, davon sprach dass er soetwas nicht mag. In gewissem Maße war sie nämlich schon sehr verwöhnt, das gestand sie sich auch ein. Nur nicht das Maß, das wohl jede andere, außer sie selbst sah.

  • Von dem zarten Klopfen aus den Gedanken gerissen, blickte Menecrates auf. Er überflog gedanklich die möglichen Besucher, von denen nicht viele übrig blieben bei dieser Art des Klopfens.


    Als er "Ja, bitte" rief, rechnete er mit einer Sklavin, seiner minderjährigen Nichte Sisenna oder einen anderen weiblichen Wesen. Ein Mann würde gewiss mehr Schwung in das Anklopfen packen.

  • Wie Recht der Großvater doch hatte. Als sich die Tür öffnete fand sich die, wie immer, perfekt zurechtgemachte Enkelein dahinter. Ohne weiteres Zögern trat sie herein und kam auf ihren Großvater zu, diesem ein bezauberndes Lächeln schenkend. Aber bei ihm war sie sich gar nichtmal so sicher, ob er nicht auch eine gewisse List in ihren Augen ablesen konnte, denn er hatte schon eine ziemlich gute Lebenserfahrung, selbst mehrere Töchter und kannte auch Livineia schon recht gut. Immerhin kam sie immer zu ihm, wenn der Vater einmal nicht verfügbar war und sie irgendein Anliegen hatte. Aber es war, fand sie, einfach höflich die Mühen auch einfach unter Beweis zu stellen und den Erfolg nicht vorauszusetzen.
    Mit einer eleganten Geste setzte sie sich ihm gegenüber. Als Frau und Enkelin fand sie nicht, dass sie auf eine Aufforderung warten müsste - das fand sie stets als selbstverständlich. Schließlich konnte sich die Familie immer sicher sein, dass sie sich nach außen hin immer korrekt verhielt. "Guten Tag, Großvater!" begrüßte sie ihn fröhlich und unbeklommen. "Ich hoffe du hast einen angenehmen Tag?" erkundigte sie sich nach ihm. Ein wenig interessierte es sie sogar wirklich, denn dann wusste sie, wie sie seine Laune einschätzen musste und wie es ratsam war, vorzugehen. Außerdem konnte sie vielleicht sogar irgendwelche Informationen aufschnappen.

  • Wie erwartet betrat ein weibliches Wesen sein Arbeitszimmer. Mit seiner Enkelin sollten keine Arbeit oder Problemfälle auf Menecrates zukommen, daher lehnte er sich entspannt zurück. Allerdings stellte ein Besuch seiner Enkelin auch nicht die Normalität dar. Sie trafen sich während den Mahlzeiten, im Atrium oder auch hin und wieder im Garten. Aber in seinem Arbeitszimmer war Livineia noch nie gewesen. Es musste sich also um einen Sonderfall handeln, wozu allerdings weder die förmliche Begrüßung noch die Nachfrage zu Menecrates‘ Tag passte. Momentan stand er vor einem Rätsel.


    "Der Tag war arbeitsreich gewesen, aber durchaus nicht unangenehm", antwortete er wahrheitsgetreu auf die Frage, während er Livineia musterte. "Und wie verlief dein Tag?" Nach der höflichen Konversation musste irgendwann das Anliegen seiner Enkelin kommen, dessen war sich Menecrates bewusst. Und er war gespannt, wie sie es anfangen würde, ihn zu umgarnen. Denn dass sie etwas von ihm wünschte, setzte er inzwischen voraus. Er vermutete Geld für eine neue Ausstattung, was Menecrates durchaus bereit war zu geben, denn immerhin konnte ein Passant oder Gast schnell am Äußeren erkennen, über welchen Stand und welche Mittel eine Person verfügte und Menecrates legte - obwohl selbst nicht eitel - Wert auf Prestige.

  • In der Tat war Livineia selten auf dem Weg um jemanden in seinen eigenen Räumen aufzusuchen, denn sie mochte es nicht, sich als 'hergerufen' zu fühlen. Auch wenn sie gar nicht gerufen wurde, fühlt sie sich als Bittsteller, als Gast irgendwie schwächer als wenn sie auf 'neutralem Boden' war. Aber heute war sie Bittsteller. Und heute störte es sie auch nur mäßig bis gar nicht.
    Als er erzählte, dass sein Tag gut aussah, lächelte sie ihn fröhlich an. Das klang nach einer guten Basis für ihre Bitte, es würde nicht allzu schwierig werden. "Mein Tag war bisher auch sehr angenehm. Die Luft ist sehr schön, klar, und alles in Allem schlafe ich auch wieder deutlich besser als auf Reisen." erzählte sie ihm. Sollte sie jetzt wirklich schon direkt mit ihrer Bitte herauskommen? Wenn er sagte, er hätte viel zu tun, dann war es vermutlich sogar besser, wenn sie ihn nicht zu lange von seiner Arbeit abhielte. Außerdem schien er schon genau zu spüren, warum sie hier war. Also fackelte sie nicht lange und rückte mit der Wahrheit heraus: "Dieser Nubier, der für dich in der Arena gekämpft hat - der ist gut. Er wirkt recht zivilisiert auf mich. Und nun, zurück in Rom, könnte ich gut eine kräftigen Begleiter gebrauchen, der halbwegs schmuckhaft ist. Dürfte ich ihn haben?" Naja, könnte, hätte, eventuell - das waren alles keine Worte für Livineia. Sie erklärte direkt heraus, was sie von Menecrates wünschte und sah ihm lächelnd direkt in die Augen. Er würde ihren Wunsch sicher erfüllen, schließlich war sicheres und standesgemäßes Auftreten seiner Enkelin auch in seinem Interesse.

  • Die Antwort seiner Enkelin ließ Menecrates innerlich schmunzeln. Sie sprach von Schlaf und der Luft, eigentlich fehlte nur noch die Erwähnung des Essens. Mehr füllte ihren Tag offensichtlich nicht aus, aber bei einer Tochter des Hauses stellte dies eher die Normalität als die Ausnahme dar. Eine Ausnahme sah Menecrates nur in Romana, seiner eigenen Tochter. Wäre die Antwort Livineias aus dem Mund eines Claudius gekommen, dann hätte es vermutlich Belehrungen und Zurechtweisungen gehagelt. In Menecrates Augen war Nichtstun bei Männern verpönt. Bei einer Frau aus gutem Hause schickte es sich jedoch, auf Ausstrahlung, gute Manieren und Repräsentation zu achten. Je weniger Frauen arbeiteten mussten umso größer konnte der Reichtum einer Familie sein. Und an Geld mangelte es den Claudiern wahrlich nicht.


    "Es freut mich, dass du dich gut eingelebt hast", erwiderte er daher zufrieden. Zielstrebig wie seine Enkelin war, kam sie auch sogleich zum Grund ihres Besuches. Und als der formuliert war, konnte Menecrates nicht umhin - er musste offensichtlich schmunzeln. Direkter ging es nicht mehr. Weil aber der Claudier Direktheit mochte, es allerdings selten bei Frauen erlebte, erhob er sich vergnügt. Die klare Frage ‚dürfte ich ihn haben?‘ amüsierte ihn dabei besonders.


    "So, du möchtest also einen schmuckhaften und gleichzeitig verlässlichen Bewacher für dich. Und du hast gedacht, du fragst mal eben den Großvater."


    Er ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich an die Tischkante nahe Livineias Stuhl, während er seine Enkelin freundlich musterte.


    "Ja, er sieht gepflegt aus, du könntest dich gut mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen. Und als Leibwächter würde er sicher auch gute Dienste leisten. Warum also nicht? Dann nehmen wir ihn doch gleich als nachträgliches kleines Willkommensgeschenk. Was meinst du?"


    Er lächelte, dann fügte er an: "Und was bekomme ich als Gegenleistung?"



    edit: neue Idee

  • Livineia empfand dies ebenfalls als Normalität und da sie keinen anderen Alltag kannte, vermisste sie auch nichts. Sie hatte sich so sehr in ihren Trott eingefunden, dass jegliche Abweichungen von ihm eher als Störung denn als Wohltat aufstießen. Lediglich Theater oder ähnliche Besuche, Familienfeiern - das waren willkommene Abwechslungen wenn ihr Kopf dies zuließ und sie nicht zu starken Schmerzen unterlag. Heutzutage wäre es eine schwere Katastrophe für Livineia, nicht mehr diesen Reichtum um sich zu haben. Sie könnte sich nicht mehr umgewöhnen, sie wusste, was sie hatte, was sie war. Würde man sie des Geldes berauben, würde man sie ihrer Existenz berauben - und hiermit sei die charakterliche Existenz gemeint. Keine Gedanken an den Morgen zu verschwenden, alles andere wäre für sie abstrus.
    Als er auf ihren Wunsch einging, lehnte sie sich leicht nach vorn, nachwievor mit einem Lächeln auf den schönen Lippen. Wie gut er ihre Worte erfasst hatte! Aber er machte dennoch eine gewisse Spielerei aus der ganzen Angelegenheit, was sie aber nicht im geringsten störte. Dies gehörte wieder zu den kleinen Alltagsabweichungen, die ihr willkommen waren. Als er zu ihr herum kam, folgten ihre Augen ihm wachsam - nanu? Das 'Nanu' war ihrer Stimme allerdings nicht anzuhören, als sie ihm eine dankbar klingende Antwort gab, abschließend sagte sie also: "Das ist nett, vielen Dank Großvater! Wenn du eine gute Meinung von ihm hast, wird er diese sicherlich auch hervorragend erfüllen können." Als er so vor ihr stand, überlegte sie einen Moment, ob sie aufstehen sollte. Höflich wäre es allemal, denn für gewöhnlich war der Sitzende der Machthabende - solche Spielchen spielte sie aber nur mit jedem anderen, nicht mit Menecrates. So entschloss sie sich in einer späteren Sekunde, aufzustehen und sich hinter den Stuhl zu stellen, die Hände auf der Lehne.
    Eine Gegenleistung? Ihr Gesichtsausdruck wurde verschmitzt. Innerlich war da eher Skepsis - was sollte sie ihm schon als Gegenleistung erbringen können? Seine Frage schätzte sie ohnehin als rein rhetorisch ein, ihre Meinung war nicht gefragt, da war sie sich sicher. Schnurrend fragte sie dann also: "Was könnte ich schon für eine Gegenleistung erbringen? Meinen vollkommenen Respekt hast du ohnehin schon - was wünscht du dir denn?" Sie wagte einen gekonnten Augenaufschlag. Eigentlich wollte sie keine Gegenleistung erbringen, eigentlich wollte sie nur den Sklaven haben. Menecrates konnte sie ohnehin stets um Gefallen bitten. Nur die Wenigsten würde sie ihm ausschlagen.

  • 'Sie ist pfiffig', dachte Menecrates, als Livineia den Spieß einfach umdrehte. Dabei hätte er so gerne gesehen, wie sie händeringend nach irgendwelchen Gegenleistungen gesucht hätte.


    "Wie wäre es mit einem Küsschen für den Großvater", fragte er dann schelmisch. Während er wartete, suchte er nach weiteren Versprechen, die er seiner Enkelin bei der Gelegenheit abringen konnte. Warum nicht die Situation nutzen? Und er musste die Schenkung noch zu Papier bringen. Aber warum eigentlich er? Wofür gab es Sekretäre? Bei der Gelegenheit konnte er andererseits auch einmal die Kenntnisse seiner Enkelin testen.


    "Wie sieht es denn mit deinen Schreibkenntnissen aus?", fragte er so unverfänglich wie möglich.

  • Um händeringend nach Gründen zu suchen, sich bei anderen zu 'verpflichten' war sie in der Tat zu pfiffig - schließlich bedeutete das immer unnötige Arbeit und möglicherweise auch einige Verstrickungen. Das eingeforderte Küsschen, warf sie für einen Moment etwas aus der Bahn - das hätte sie so gar nicht bei Menecrates gedacht. Sie war kein Mensch, der gerne Zärtlichkeiten vergab, aber wenn er das wollte? Er verlangte schließlich keine Hochzeit oder sonsteine gewichtige Sache von ihr, also würde sie seiner Forderung einfach einmal nachkommen. Sie kam also lächelnd hinter dem Stuhl hervor und meinte: "Ausnahmsweise lasse ich dich mal in den Genuss kommen." Schelmisch neigte sie sich vor und hauchte dem Großvater also einen Kuss auf die Wange. Das war für Livineia wirklich weniger selbstverständlich als ausstehende Leute vermuten würden.
    Die Schreibkenntnisse hingegen irirtierten sie ebenfalls, da sie nicht ganz hinter den Zusammenhang kam. Sie war nicht dumm, absolut nicht, aber Schreiben hatte sie nie vertieft. Sie konnte es zwar, aber hatte noch kein eingefahrenes Schriftbild und absolut keine Routine. Als Frau gab es einfach zu wenige Anlässe bei denen man schreiben musste und freiwillig sah sie nicht ein. Da redete die wortgewandte Livineia lieber und spielte zugleich mit Gestiken und Blicken. "Naja, Schreiben kann ich." meinte sie zögerlich und blieb im Raum stehen, eine Hand auf der Stuhllehne, eine auf dem Bauch.

  • Da hatten sein Sohn und seine angeheiratete Tochter doch tatsächlich eine Tochter groß gezogen, die sich wie die Tochter eines Kaisers benahm. Menecrates schmunzelte, auch wenn er durchaus neben all der Würde und Gewitztheit die Medaillenrückseite, die Bequemlichkeit bei ihr erkannte.


    "Es ist gut, dass du deine Küsschen als Genuss siehst und sie sehr gezielt und vor allem nur ausnahmsweise vergibst. So bleiben sie stets etwas besonderes."


    Nach dem Lob kam aber eine Lektion in Sachen Tod der Bequemlichkeit. Sich auf diese Art einen hervorragenden Sklaven zu verdienen, kostete in Menecrates Augen wenig: kein Geld und wenig Mühe.


    "Schön, dass du schreiben kannst. Dann setz doch die Übertragungsurkunde auf, ich unterschreibe sie dann." Er zog ein Papier aus dem Stapel und reichte Livineia eine Feder. Das Gefäß mit der teuren Tinte stand bereit.

  • Livineia sackte innerlich zusammen. Sie sollte doch jetzt nicht wirklich einen Brief aufsetzen? Wozu hatte man schließlich Sklaven? Aber sie kannte ihren Großvater gut genug, dass jedwedes 'Aber' abgeschmettert würde. Klar, er stand immer voll hinter der Familie, aber sie wusste auch, dass er Faulheit und Bequemlichkeit nicht mochte. Das letzte Mal wurde ihr das deutlich bei den Spielen zu verstehen gegeben. Also lieber nichts riskieren und gehorchen. So machte sie die zwei Schritte um sich langsam auf den Stuhl gleiten zu lassen. Sie konnte gut lesen und noch besser reden - aber schreiben? Und wie verfasste man so eine Übertragunsurkunde? Sie wollte nicht fragen, wollte den Großvater lieber stolz machen. So griff sie mit der Rechten zur Feder und zog mit der linken das Papier aus Menecrates Hand, strich es glatt, tunkte die Feder in die Tinte und überlegte einen Moment, ehe sie anfing langsam zu schreiben.


    Mit diesem schreiben bestetige ich, Herius Claudius Menecrates, dass der Sklave...


    Mit einem fragenden Blick sah sie zu Menecrates. "Wie heißt der Sklave eigentlich? Ich kenne seinen Namen gar nicht mehr..." Sie wirkte nicht verunsichert, ihre doch nicht allzu gute Rechtschreibung war ihr überhaupt nicht aufgefallen.

  • Menecrates honorierte Livineias Bemühen mit einem wohlwollenden Nicken. Bereitschaft wog mitunter mehr als Können, diese Einstellung vertrat er. Sein Blick verfolgte die ungelenken Schriftzüge, die von einer ungeübten Hand zeugten. Trotz allem würde dieses Dokument für Livineia eine besondere Bedeutung erlangen.


    "Menochares heißt er, Me..no.. cha...res." Er lächelte.

  • Livineia wandte sich sofort wieder dem Schreiben zu, als Menecrates den Namen nannte. Menochares. Sie hätte es falsch geschrieben, wenn er nicht anschließend noch einmal diktiert hätte - Glück gehabt. Also ließ sie weiterhin langsam die Feder über das Papier kratzen, dann und wann wurde das Schriftbild sehr dünn oder deutlich dicker - je nachdem wann sie die Feder ins Fass getunkt hatte.


    Mit diesem schreiben bestetige ich, Herius Claudius Menecrates, dass der Sklave Menochares in den Besitz von Claudia Livineia Übergeht und fortan dieser zu gehorchen hat.


    ANTE DIEM VIII KAL MAR DCCCLXI A.U.C. (22.2.2011/108 n.Chr.)


    Als sie das Datum herunter setzte, fehlten nur noch Siegel und Unterschrift - oder? Mit fragendem Blick schob sie das Schreiben zu Menecrates und fragte: "Fehlt da noch etwas? Das müssten doch alle Informationen sein, die benötigt werden, oder?" Auch sie warf noch einen knappen Blick auf das unsaubere Schriftbild. Es kitzelte an ihrem Stolz, dass sie so unschön und unsicher beim Schreiben war - und schon war Menecrates Plan aufgegangen. Sie nahm sich vor, das alles klar zu verbessern und es ihm in einem Brief, den sie ihm nach Germanien schreiben würde, zu demonstrieren.

  • Es erfüllte ihn mit Zufriedenheit, dass sich auch Livineia die Erfüllung ihrer Wünsche verdienen musste. Menecrates galt als großzügig, aber er verschenkte trotzdem nichts umsonst. Und er ahnte, dass Livineia das genau abschätzen konnte. Ihr Bemühen trotz einiger Schwierigkeiten zeigte ihren guten Willen und lockte Menecrates ein Dauerschmunzeln ab.


    "Alles korrekt und vollständig", bestätigte er, nachdem sie ihm das Schreiben gereicht hatte. Er zog sein Siegelwachs heran und erwärmte es. Dann tropfte er einen großen Klecks auf das Papier, drückte den Siegelring darauf und unterschrieb mit klarem Schriftzug das Dokument.


    "So, damit hast du umfängliche Befehlsgewalt über Menochares. Das Wachs muss noch trocknen, aber du kannst das Dokument bereits an dich nehmen."

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