Arbeitsraum Claudius Menecrates

  • Marsyas traf erst nach dem Einbruch der Dunkelheit ein. Geplant war diese späte Unternehmung nicht, aber da er zum ersten Mal in seinem Leben einen Brief erhielt und den noch nicht einmal lesen konnte, musste er zur Villa seines Geldgebers aufbrechen.


    Er klopfte und trat ein, nachdem er einen Ruf hörte.


    "Salve Consul, mir wurde gesagt, ich soll herkommen, weil ein Brief für mich eingetroffen ist."

  • Das Verfassen von Briefen ging dem Ende entgegen, als Marsyas angemeldet wurde. Der Consul nickte Morrigan zu und schob die Schreibunterlagen zur Seite. Seine Konzentration galt dem vorliegenden Edict.
    "Salve, Marsyas. Ja, das ist annähernd richtig. Es ist ein Edict, das dich wegen eines Fehlverhaltens als Betriebseigentümer abstraft." Er hob beruhend die Hand, damit sein Jungfahrer nicht vor Schreck zusammenfuhr. "Nichts, was man nicht in den Griff bekommen könnte", beruhigte er.


    Er griff zum Schreiben und scheute sich nicht, seine Gedanken mit einem Peregrinus zu teilen.
    "Siehst du, das ist das erste Edict, das der amtierende Aedil in seiner gesamten Amtszeit zuwege gebracht hat. Abgesehen davon, dass ich damals als Aedil unzählige wirklich schwere Vergehen aufdecken konnte und ich nicht glaube, dass plötzlich keine solchen mehr zu finden sind - ich glaube nämlich, er hat gar nicht erst gesucht - wie gesagt, abgesehen davon ist das Lächerliche an diesem Edict die Banalität."


    Der Consul schüttelte den Kopf. "Du hast hoffentlich deine Bücher mitgebracht, damit ich die Anschuldigung überprüfen kann."

  • Die Bücher hatte Marsyas natürlich nicht dabei, weil er ja nicht wusste, was in dem Schreiben stand. Er bot an, diese zu holen und flitzte davon. Alls er zurückkehrte, japste er nach Luft.

    "Bitte. Sind nicht von mir geführt, aber müsste alles drin stehen."

  • Während der Wartezeit schloss der Consul die Bearbeitung der restlichen Post ab. Marsyas erschien und obwohl Menecrates um diese Zeit sonst entspannte, vertiefte er sich in die gereichten Unterlagen.
    Als er aufschaute, spielte ein Lächeln um seine Lippen. Er klappte die Tafeln zu und schob sie an den Rand des Tisches Richtung Marsyas.
    "Das Edict ist fehlerhaft und damit hinfällig. Du musst nichts bezahlen."

  • Nachdem Marsyas gegangen war, zog Menecrates zur Sicherheit noch einmal die Gesetzessammlung heran. Eigentlich sollte er schlafen, aber er wollte sichergehen. Die Erinnerung an sein eigenes Aedilat lag Jahrzehnt zurück, sodass sich die Lex Mercatus inzwischen sicherlich zigmal geändert hatte. Das Betrübliche, was sich offensichtlich auch geändert hatte, war die sofortige Strafzahlung. Als er Aedil war, erstellte er unzählige Edicte, aber immer nur Verwarnungen mit einer Fristsetzung zur Änderung. Erst nach dem ungenutzten Verstreichen der Frist wurde die zuvor angedrohte Strafzahlung fällig.
    Er fand dieses Vorgehen nach wie vor richtig. Dass es hier anders lief, stellte wieder einmal ein Zeugnis über den Charakter des amtierenden Aedils aus.


    Nach dem Studium der Gesetze stellte er fest, dass Waren gleichermaßen wie das Barvermögen die Grundlage für die überstürzte Strafzahlung bildeten. Er zuckte mit den Schultern. Die Strafe würde er begleichen, nicht sein Schützling. Der Junge kannte sich kaum im Betriebswesen aus.



    "Schickt mir mal jemand Sisenna her", rief er durch die Tür, die einen Spalt offenstand.

  • Wenn der Onkel sie zu so später Stunde rief, bedeutete dies bestimmt nichts Gutes. Deswegen schlich Sisenna die letzten Schritte und zog ganz vorsichtig die Tür zum Arbeitszimmer auf. Sie traute sich nicht einzutreten. Stattdessen steckte sie den Kopf durch den Türspalt und blickte den Onkel mit fragenden Augen an.


    "Jaaa?" Sie schaltete die Ohren vorsorglich auf Durchzug, falls sie eine Standpauke erwartete.

  • "Sisenna, wir müssen reden. Komm rein." Er wusste, ihm stand kein leichtes Gespräch bevor, weil er ihr beibringen musste, dass sie die Gewalt über ihre Betriebe verlor.
    Er wartete, bis sie nähertrat, dann versuchte er einen ersten Anlauf. Ein Lächeln sollte sie für das Gespräch erwärmen.


    "Viele Mädchen in deinem Alter spielen. Wünschst du dir nicht auch manchmal, dass du Zeit zum Spielen hast?" Wieder lächelte er. Ihm stand jedoch vor Augen, wie schlechte er sich bisher für Unterredungen mit Kindern geeignet hatte. Sicherlich würde Sisenna misstrauisch statt aufgeschlossen reagieren. Andererseits wusste er, wenn er schlechtes erwartete, traf dies auch meistens ein, also bemühte er sich weiterhin um ein Lächeln. Es strengte ihn allerdings an, weil es nicht von Herzen kam.

  • Er wollte also reden und sie sollte reinkommen. Sisennas Mimik sprach bei diesem Wunsch Bände. Sie legte den Kopf schief und blickte anklagend. Das Lächeln des Onkels konnte sie nicht von der Harmlosigkeit seines Anliegens überzeugen, trotzdem trat sie ein, blieb aber in der Nähe der Tür stehen.
    Was er sie anschließend fragte, passte nicht im Geringsten zu ihren Erwartungen. Sie blies Luft durch die Lippen, sodass diese vibrierten.


    "Du weißt doch gar nicht, wie oft ich spiele. Du bist doch nie hier." Wenn er schon über dieses Thema sprechen wollte, dann zu ihren Bedingungen. Sie entlastete ein Bein, stellte es etwas nach vorn und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Unterlippe schob sich nach vorn, was ihrem Gesicht einen herausfordernden und anklagenden Ausdruck zugleich verlieh.

  • Menecrates seufzte. Er verstand nicht, wieso er sich gegenüber einer so winzigen Person hilflos fühlte. Wenn er zurückblickte, konnte sich an kein einziges Gespräch mit Sisenna oder einem anderen Kind erinnern, das annähernd nach Wunsch verlief. Dabei wusste er nicht, was er falsch und was er besser machen konnte.


    Er gab die leicht vorgebeugte Haltung auf und atmete einmal tief durch. Plötzlich überkam ihn Wut auf seine Noch-Ehefrau, die es seit Jahrzehnten nicht für nötig hielt, an seiner Seite zu stehen. Nicht, dass er sie für besonders fähig im Hinblick auf Kindererziehung hielt, aber sie eignete sich im Augenblick als Sündenbock. Menecrates hatte generell viel um die Ohren und nun, am Ende der Amtszeit, lagen die Nerven blank und die Kraftreserven waren erschöpft.


    "Lass uns morgen reden", schlug er resigniert vor. Er plante, am nächsten Tag jemand dazuzuholen. Jemand, der sich mit Kindern auskannte und ihn vor Sisennas Ausbruch schützen konnte, denn dass es einen gab, stand außer Frage.

  • Sisenna verbuchte den Ausgang des Gespräches als Sieg. Sie grinste breit, knickste, drehte sich um und rannte in den Gang hinaus. Sie kicherte in sich hinein, als sie zurück auf ihr Zimmer lief.

  • Ein neuer Tag, ein neues Glück. Nach dieser Devise ging Menecretes heute vor, als er sich im zweiten Anlauf mit Sisenna treffen und das Thema Betriebsführung angehen wollte. In Ermangelung einer mütterlichen Claudia hatte er alles, was weiblich war, zusammengerufen, um sich nun gestärkt erneut in den Kampf zu stürzen.


    Er betrat als erstes das Arbeitszimmer und wartete darauf, dass möglichst viele erschienen, bevor die zugleich kleinste und größte Herausforderung der Villa das Zimmer betrat. Er lief unruhig auf und ab, um sich von der Anspannung zu befreien. In seiner Vorstellung bekam Sisenna einen Kreischanfall oder drohte auszuziehen. Vielleicht lief sie auch heimlich weg, wer wusste das schon. Es wäre nicht das erste Mal. Er würde noch den Leibsklaven Sofian dementsprechend impfen müssen.

  • Eigentlich wollte sie ihre Schwester besuchen. Schon im Atrium hatte man ihr gesagt, dass ihr Großvater alle Frauen des Hause in seinem Arbeitszimmer versammelt hatte. So betrat Sassia das Zimmer. „Großvater, was ist hier los. Ich wollte nur Silana besuchen, da hörte ich du hast alle Frauen zusammengerufen. Kann ich irgendwie helfen?“

  • Morrigan war verwundert. Nicht nur weiblichen Claudia, nein auch alle weiblichen Sklaven sollten sich im Arbeitszimmer einfinden? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Alle die sie loseisen konnte – es waren nur sie und die Küchenfee Salome – betraten nun also das Zimmer. Der alte Claudier und die Sassia waren bereits anwesend. „Salve Domina.“ Grüßte Morrigan freundlich. „Dominus? Du wolltest uns sehen?“

  • Menecrates atmete erleichtert auf, als er Sassia den Raum betreten sah. Mit ihr hatte er nicht gerechnet, eher mit Silana, aber umso besser.
    "Schön, dich zu sehen, mein Kind", begrüßte er sie und eine Last fiel von seinen Schultern. "Dich schicken die Götter!"
    Morrigan und die dickliche Köchin trafen ebenfalls ein. Jede der Frauen besaß spezielle Vorzüge und Eignungen, weswegen Menecrates annahm, für alle Eventualitäten abgesichert zu sein. Eigentlich fehlte nur noch Silana. Auch Cara hatte guten Einfluss gehabt, aber sie weilte nicht mehr unter ihnen.


    "Ich hatte jede Menge Stress im Senat, aber vor keiner der Sitzungen hatte ich mich je so gefürchtet wie vor der kommenden Aussprache. Es geht darum, Sisenna beizubringen, dass sie die Gewalt über ihre Bienen, Ponys und Fische verliert. Das ist so von Gesetzeswegen und nicht abänderbar. Ich habe es gestern bereits probiert und bin gescheitert." Er hob und senkte hilflos die Schultern. Man konnte ihm ansehen, dass er sich am liebsten verdrückt hätte.

  • Der Morgen begann schön, bis Sisenna erneut eine Anweisung erhielt, sich bei ihrem Onkel einzufinden.
    "Och nö", maulte sie. Aus ihrer Sicht waren sie sich gestern einig geworden. Ihr Onkel ließ sie in Ruhe und sie hatte ihre Ruhe. Wenig mädchenhaft schlurfte sie zum Arbeitsraum, denn verweigern durfte sie sich nicht. Allerdings wollte sie ihre Lustlosigkeit zum Ausdruck bringen. Sie wusste, der Onkel mochte fläziges Auftreten nicht, also würde er ihre Botschaft verstehen. Als sie eintreten wollte, blieb sie abrupt stehen. Der Onkel hatte ein großes Aufgebot an Frauen aufgefahren. 'Jetzt erst recht nicht', schwor sich Sisenna im Stellen, verzog trotzig den Mund und trat ein. Sie verschränkte die Arme als Zeichen, dass sie hart wie ein Stein bleiben würde. Ganz gleich, was er von ihr wollte, es konnte nichts Gutes sein.


    "Guten Morgen." Sie konnte die Frauen ja grüßen, denn die traf keine Schuld an der Misere. Den Onkel sah sie dabei nicht an.

  • Sassia hatte natürlich schon von dem neuen Gesetzt gehört, aber sie hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, dass einer von ihnen davon betroffen war. Innerlich schlug sie sich gerade die Hand vor die Stirn. Natürlich ihre kleine Tante und die war sicherlich alles andere als begeistert davon. Noch ehe sie etwas erwidern konnte tauchte ihre kleine Tante auch schon auf. Sassia setzte ein fröhliches lächeln auf. „Guten Morgen, bekomme ich keine Umarmung?“ Fragte sie mit ausgebreiteten Armen ihre Tante.
    Nach der Begrüßung nahm sie Platz und deutete Sisenna an, dass sie sich neben sie setzen sollte. „Nun Großvater hat mir gesagt, dass du nicht gerade begeistert bist, dass die Gewalt über ihre Bienen, Ponys und Fische abzugeben. Aber Süße.“ Sassia lächelte die Kleine liebevoll an. „Ich denke du siehst das falsch. Die Betriebe gehören dir doch weiterhin. Es führt sie nur jemand für dich, ein Curator.“ Sagte Sassia und beugte sich nun vor um der kleinen Tante etwas zuzuflüstern. „Egal wer das wird, du kannst den dann herum scheuchen, damit der die Betriebe so führt, wie du es dir vorstellst.“ Sagte sie mit einem Zwinkern um dann lauter fortzufahren. „Deine Biene, Ponys und Fische gehören weiterhin dir und du kannst sie jeden Tag besuchen.“ Sassia sag die kleine Tante nun an und schaute was sie zu sagen hatte.

  • Menecrates stellte erleichtert fest, dass Sassia sofort die Initiative ergriff. Eine freundliche Begrüßung, einen Platz anbieten... alles Dinge, die er gänzlich anders gemacht hätte. Wahrscheinlich hätte er Sisenna wie gestern stehenlassen. Schon wollte er sich entspannen, als er Sassia sagen hörte, worum es ging.


    Erschrocken hob er die Hände und stammelte: "Sie weiß...noch... nicht..." Soweit waren sie im gestrigen Gespräch noch nicht gekommen. Er ahnte Schlimmes. Nie im Leben würde er alleine diese Situation meistern.

  • Obwohl Sisenna wusste, dass Sassia nur hier war, um dem Onkel zu helfen, konnte sie ihr nicht die kalte Schulter zeigen. Sie öffnete die Arme und umarmte ihre große Nichte. Anschließend nahm sie artig Platz. Sie mochte Sassia und freute sich, sie nach langer Zeit endlich einmal wiederzusehen. Sie lächelte sie an und realisierte erst Momente später, was ihr gesagt wurde.


    Das Lächeln verschwand. "Waaas?" Sie konnte sich nicht verhört haben, weil das Nachfolgende inhaltlich zur Eröffnung passte.


    Sisenna rutschte vom Stuhl, während sie mit den Tränen kämpfte.


    "Warum tut ihr das? Ihr seid so gemein!", schluchzte sie und lief zur Tür. Sie wollte nicht, dass jemand anderer ihre Betriebe führte. Es fühlte sich an, als wollte ihr jemand die Tiere wegnehmen.

  • Sassia war schneller als ihre kleine Tante und fing sie wieder ein. Sie schloss sie in die Arme und streichelte ihr über den Kopf. „Ich weiß das es gemein ist.“ Sagte sie verstehend und drückt die Kleine an sich. Inzwischen saß Sassia auf ihren Knien, damit die der Kleinen direkt in die Augen sehen konnte. „Ich weiß das es furchtbar gemein ist.“ Wiederholte sie mit einem tiefen Seufzer. „Wenn es nach mir gehen würde, würde ich dir und nur dir alle Bienen dieser Stand anvertrauen, weil ich weiß, dass du gut zu ihnen bist. Ebenso wie zu deinen Pferden. Aber es gibt ein neues Gesetzt, das es dir verbietet diese Betriebe zu führen.“ Sie drückte die Kleine fest an sich, sie konnte so gut nachfühlen, wie sie sich fühlen musste. „Aber lass uns doch gemeinsam überlegen, wer zumindest offiziell deine Betriebe führt. Sie gehören immer noch dir. Und du kannst auch bestimmen, wer sie führen soll... zumindest auf dem Papier.“ Sassia ließ der Kleinen nun etwas mehr Raum, nahm aber ihre Hände in die ihren. „Meinst du nicht, dass es besser ist wir bestimmen … nein du bestimmst jemanden dem du vertraust, das er sie vor dem Gesetzt für dich führt? Das iat doch alle Mal besser, als das man dir die betriebe ganz wegnimmt oder? Was meinst du? Fällt dir jemand ein, dem du so viel Vertrauen entgegen bringst?“ Sassia konnte nur hoffen, dass sie zu ihrer kleien Tante duchdrang und schaute sie nun fragend an.

  • Als Sisenna zur Tür rannte, verspürte sie starke Bauchschmerzen. Außerdem fühlte sich der Brustkorb an, als drückte ihn jemand von zwei Seiten zusammen. Sie weinte auf, als sie festgehalten wurde. Eigentlich wollte sie im Stillen ihren Schmerz hinausweinen, aber nun lag sie in Sassias Arm und der unerwartete Trost ließ ihre Fassung gänzlich zusammenbrechen. Ein Weinkrampf schüttelte den kleinen Körper. Sie weinte nicht besonders laut, aber intensiv, sodass binnen kürzester Zeit ein regelmäßiges Schluchzen auftrat, das sie durchschüttelte und nicht kontrollieren konnte.
    Sie hörte zu, während Tränenbäche die Wangen hinunterliefen.


    "Ich will nicht…auf dem Pap…ier bestimmen", sagte sie, von Schluchzern unterbrochen. "Ich will in Wirk…lichkeit best…immen. Ich muss aufpas…sen, dass kein Pony …zum Schlachter kommt." Sie fing erneut an zu schluchzen. Sie vertraute niemand, denn alle, die sie kannte, töteten Tiere nur zum Spaß. Offiziell behaupteten alle, sie taten es für die Götter, aber Sisenna glaubte das nicht.

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