Atrium | Flavia Minervinas Ankunft

  • Mit jedem Schritt näher in Richtung Villa Flavia Felix, hatte sich Minervinas Laune stetig gehoben. Sie dankte den Göttern, dass ihre Reise nun endlich ein Ende fand. Für die junge Patrizierin war es irgentwie ein Finden ihrer Bestimmung, so dachte sie das zuerst, doch schlussendlich hatte sie nur eines erkannt. Vielleicht dort, im Lager ihrer Entführer, oder dort, im Lager der Prätorianer oder auch in der Langeweile Tarracos. Irgentwo auf diesem Weg fiel es ihr in den Schoß, oder besser, wie Schuppen von den Augen. War ihr Leben doch so pompös, hatte sie Geld und Freunde so wusste sie nun was wirlich wichtig war. Das Leben selbst. Die kurze Zeit von der Geburt bis zum Tod. Und sie erkannte, dass es im Endeffekt egal war WO man denn diese Zeit verbringt. War es in der ewigen Stadt, war es in der Stadt des Alexanders oder in einem kleinen Dorf bie Theben. Das Geschenk der Götter an Minervina war die Einsicht, dass alles schnell vorbei sein konnte. Eine Erkenntnis mit schlimmer Erfahrung gebündelt, und die Zuflucht suchte sie nun im Schoß ihrer Familie.
    Sie war wieder in Rom. Sie war wieder zu Hause.

  • Als Sciurus unvermittelt vor ihm auftauchte, war dies für Gracchus nicht sonderlich außergewöhnlich, und es dauerte ob dessen einen Moment, bis er sich der Exzeptionalität dieser Erscheinung bewusst wurde. Ein erleichtertes Aufatmen echappierte ihm, war das Darben der einsamen Nächte doch endlich vorbei, war das Darben gänzlich vorbei, was Gracchus sogleich zum Anlass nahm, eben jenes Darben auf der Stelle zu beenden. Es dauerte daher ein wenig - nicht allzu lange jedoch, war der innere Druck doch zu groß, um ihm lange Stand zu halten - bis Gracchus sich nach seiner Schwester erkundigen konnte, doch sein Leibsklave konnte deplorablerweise nicht sonderlich viel berichten, denn Eiligkeiten und Dringlichkeiten. Kurze Zeit später erschien Gracchus im Atrium. Erleichterung durchströmte ihn beim Anblick seiner Schwester, so war sie doch immerhin am Leben, doch stieg gleichsam in ihm das schlechte Gewissen empor. Er zwang sich dazu, ein marginales Lächeln seine Lippen kräuseln zu lassen und trat auf sie zu.
    "Minervina."
    Kein Wort mehr brachte er heraus, erwartete er doch im gleichen Augenblicke da sie seiner Anwesenheit gewahr wurde, dass sie ihn würde mit Vorwürfen überschütten, so wie er dies gänzlich verdient zu haben glaubte.

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  • Als sie ihren Bruder sah, brachen wirklich alle Dämme. Die ganzen Wochen, in denen sie stark sein musste, in denen sie ihre wahren Geühle nicht zeigen konnten brachen bei Anblick ihres Bruders durch. Sie fiel ihm um den Hals und begann leise zu schluchtzen. Es tut mir so Leid Gracchus... Es tut mir so Leid... Er hatte sie gewarnt, er hatte es vorausgesehen was passieren würde und sie hatte ihm kein Vertrauen geschenkt. Nein, wieder einmal ist es nach ihrem Kopf gegangen...

  • Ein wenig perplex legte Gracchus eine Hand um Minervinas Schulter, mit der anderen strich er ihr behutsam über ihr dunkles Haar. Es war nicht jene Reaktion, mit welcher er gerechnet hatte, doch vermutlich waren ihre Erlebnisse zu schauderhaft gewesen, als dass sie noch viel Wut in sich bergen konnte. Es war an ihm, die Wut nieder zu kämpfen, jene Wut, welche in ihm schwelte über die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen, über die Dreistigkeit der Entführer seine Schwester zu rauben, über die Respektlosigkeit des Lebens seiner Familie gegenüber.
    "Es ist schon gut."
    So standen sie denn inmitten des Atrium, durch die Öffnung dessen Daches das goldene Licht der Nachmittagssonne in den Raum fiel wie zähflüssiger Honig, während der Wasserspeier des Impluviums beruhigend vor sich hinplätscherte und ein großes grünes Blatt einer der Seerosen wieder und wieder mit Wasser bedeckte, bis schließlich das Grün unter die Wasseroberfläche gedrückt wurde, um sich dort den Kräften des Nass zu entwinden, sich zu biegen und wieder an die Oberfläche hin aufzutauchen. Vorsichtig legte Gracchus seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben. Sodann versuchte er mit dem Daumen ihre Tränen von den Wangen zu wischen, doch war dies Unterfangen von Beginn an zum Scheitern verurteilt, waren sie doch bereits von salzigem Nass überzogen. Er blickte zur Seite und winkten einem der stets präsenten Sklaven, welcher sofortig ein Taschentuch heran brachte, wobei sich Gracchus nur im hintersten Winkel seiner Gedanken die Frage stellte, woher Sklaven immer gerade so schnell jene Dinge herbeischafften, die eben gebraucht wurden. Sanft wischte er die Tränen nun mit dem feinen, an den Rändern golden bestickten Tuch fort. Minervinas blaufarbene Augen schimmerten im Licht und Gracchus wurde sich dessen gewahr, dass er - und Tullius - einzig nicht die blaufarbenen Augen ihrer Mutter, sondern jene dunkelfarbenen des Vaters hatten geerbt.

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  • Es war wunderbar endlich wieder im Hause ihrer Familie zu sein. Wunderbar, endlich ihren Bruder wiederzusehen, und wunderbar keine Angst mehr haben zu müssen. Er hob ihren Kopf und wusch ihr die Tränen von den Wangen. Ein wenig schniefte sie noch vor sich hin. Sie war einfach glücklich. Minervina versuchte ein wenig zu lächeln, schließlich war sie nun als Ganzes wieder hier angekommen, das war doch ein Grund zu lachen, und nicht einer, zu weinen. Sie versuchte ein Wort zu sagen, doch keines schien ihr passent. Doch dann flüsterte sie nur Danke, dass du mich abgeholt hast. und das meinte sie nicht mal sarkastisch, niemals hätte sie es wieder alleine gewagt zu reisen. Niemals wieder. Wahrscheinlich wäre sie in Tarraco verottet, gäbe es ihren Bruder nicht. Naja...

  • Nur einen Atemzug nach ihren Worten erreichte Gracchus erneut das schlechte Gewissen. Zu lange hatte er sie in Hispania darben lassen, zu wenig Mühe hatte er sich gegeben all den Verpflichtungen zu entkommen, um sie nach Hause zu geleiten, denn obgleich jene Entbehrung seines Leibsklaven letztlich beschwerlicher gewesen war, als dies eine eigene Reise hätte sein können, so wäre es dennoch seine Pflicht gewesen, früher dafür Sorge zu tragen.
    "Du solltest dich ein wenig ausruhen. Die Reise war sicherlich anstrengend. Wenn es dich danach drängt über die Geschehnisse zu sprechen, so werde ich für dich da sein."
    In unumstößlicher Gegenwart seiner Schwester drängte sich der Gedanke in Gracchus' Sinn, dass es nun zwar noch immer importun, doch gleichsam indispensabel war, den Praefectus Praetorio aufzusuchen.

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  • Sie blickte verloren in seine Augen. Du hast recht Minervina machte einen tiefen Atemzug und wischte sich auch selbst die salzige Träne von der Wange. Es war eine anstrengende Reise, ich werde mich ein wenig ausruhen... Ja genau, wahrscheinlich war sie nur so emotionsgeladen, da sie so fertig war von der langen, anstrengenden, ermüdenden Reise. Wahrscheinlich war das der einzige Grund... Ich flüsterte sie leise Ich... werde... Die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen ..dich später aufsuchen.. Es fiel ihr immernoch schwer über die Ereignisse zu sprechen. Ihr Herz krampfte sich zusammen, ganz Spanien war ein einziger Alptraum für sich... Die Entführung, die Liebe...

  • Gracchus nickte und rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. Er wollte sie nicht drängen, waren ihre Erlebnisse doch sicherlich äußerst indelikat, notfalls würde er sich darauf verlassen müssen, was Caecilius berichtete, doch gleichsam wäre es vermutlich einfacher mit jenem zu sprechen, wenn er ein wenig mehr darüber wusste, was genau vorgefallen war, denn bis auf den Umstand, dass irgendwelche Dickhäuter Minervina hatten geraubt und der schwarze Skorpion sie hatte befreit, wusste er nicht wirklich viel. Ein wenig unentschlossen stand er im Atrium, versuchte zu Ordnen, was weiters zu tun war, entschloss sich sodann sein Cubiculum aufzusuchen, in welchem er Sciurus hatte zurück gelassen.

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