Stumm betrachtete Marcus den goldenen Käfig, der in den Zweigen eines Baumes des flavischen Gartens hing. Ein kleiner unscheinbarer Vogel hüpfte auf den geschnitzten Zweigen aus Ebenholz in dem Käfig. Selbst der Trink- und Körnernapf des Vogels war aus Gold und Silber angefertigt, die einzelnen Gitterstäbe waren mit funkelnden Rubinen veredelt, so klein, daß sie nur im strahlenden Sonnenlicht auffielen und leuchteten. Marcus hob die Hand und drehte den Vogelkäfig hin und her, der Vogel flatterte erschrocken an die Wand des Käfiges und schlug wild mit den Flügeln. Marcus ließ schnell wieder von dem Käfig ab, denn er meinte das rasende Herz in der kleinen Brust des Tieres sehen zu können. Marcus seufzte schwer und wandte sich zu dem älteren Mann hinter sich um. Streng sah er den Sklaven an, hochmütig war Marcus Mienenspiel in jenem Augenblick, denn Sklaven gegenüber war Marcus selten- eigentlich fast nie- so herzlich und verzeihend gegenüber wie seiner Familie. Zudem war Marcus im höchsten Maße unzufrieden, denn der Sklave brachte ihm nicht die gewünschte Nachricht, nämlich den Verbleib seines Sohnes.
„Tot? Alle?“
Der ältere Sklave, den Marcus als viel zu dick empfand, nickte und schüttelte sofort den Kopf.
„Ja, nein…Herr, wir wissen es nicht. Genaueres ist uns unbekannt, die Soldaten waren zu schnell vor Ort und überlebende Sklaven sind auch nicht zurückgekehrt.“
Marcus Lippen preßten sich fest zusammen und er sah ungnädig auf den Mann hinab, der sich vor ihm duckte. Marcus wunderte es nicht, daß die Sklaven nicht zurück gekehrt waren, schließlich drohten allen zweihundert Peitschenhiebe, was noch am Nachmittag für die beiden dümmlichen Sklaven anstand, die auf seinen Sohn gehört hatten und die Ratte in den Raum trugen. Marcus würde es nicht dulden, daß ein Sklave in der villa Flavia jemals wieder sich über seine Autorität hinweg setzte und eher seinem Sohn gehorchte, das würde ein Exempel am Nachmittag sein, was im Haus niemals mehr vergessen werden sollte. Wirsch winkte Marcus den Sklaven von dannen und dachte darüber nach Hannibal, der gestern Nacht wieder in der villa eingetroffen war- die junge Minervina sicher in die flavische Residenz bringend- rufen zu lassen. Doch stattdessen nahm er am Rande des Fischteiches Platz, betrachtete das Geschenk von Leontia an Lucullus im Wasser und winkte erneut einen Sklaven heran.
„Suche meine Tochter und bitte sie, falls es ihr Recht wäre, doch in den Garten zu kommen. Vielleicht möchte sie mit mir auch das abendliche Mahl einnehmen.“
Die forteilenden Schritte des Sklaven bemerkte Marcus schon nicht mehr. Marcus verschränkte die Arme vor seiner Brust und der rostroten tunica, betrachtete dabei die glitzernde Oberfläche des Teiches und hing seinen ganz eigenen Gedanken nach- so grüblerisch, wie es eigentlich wider seiner Natur war.