Normalerweise war es um diese Uhrzeit still und dunkel im Tychaion. Nur das Prasseln des Ewigen Feuers der Polis erhellte den runden Saal hinter den geschlossenen Toren des Tempels. Will man den Stadtlegenden der Alexandriner Glauben schenken, war dies die Zeit, in der die Stadtgötter nachts ungestört ihr eigenes Konzil abhielten. An diesem Abend kamen die Götter aber nicht weit: Das Knacken des Schlüssels im Schloss schreckte sie aus ihren Ratsgesprächen und so machten sie sich daran, zu den Nischen ihrer Schreine zurück zu kehren und wieder einmal für einen Tag lang so zu tun, als seien sie nur einfache Statuen für die Heiligtümer. Schenkt man den Ammenmärchen der Alexandriner hingegen keinen Glauben, so hat sich nichts im Saal verändert, außer dass er sich langsam mit verschlafenen Prytanen in Nachtkleidung füllt.
Denn natürlich blieb die Ankunft der "Alexander" nicht unbemerkt: Die Hafenwächter und Lotsen, waren naturgemäß die ersten, die mitbekamen, dass das Schiff sich den heimatlichen Gefilden näherte. Da diese Berufsgruppe den eindeutigen Befehl erhalten hatte, nach eben genau jenem Schiff Ausschau zu halten, ging diese Entdeckung auch nicht so einfach unter. Im Gegenteil: Es dauerte nicht lange, da waren alle, die sich von den Geschäften des Tages ausruhten, wieder hellwach und auf den Beinen. Die Prytanen wurden unsanft aus ihren Betten gerissen und eilten zum Prytaneion. Der Praefectus war angekommen und zum Zeichen der Treue der Polis zu ihrem Basileus musste schnellstmöglich alles organisiert werden. Wichtige Vorarbeit wurde zwar bereits geleistet, die Götterbilder waren politert und Bereit für den Transport aus den Tempeln, die Blumenkränze und -Körbe lagerten in den Speichern, die Epheben hatten ihre Schuhe geputzt und man wusste genau welcher Bürger bei der Zeremonie wo stehen würde. Sogar den Juden und Ägyptern räumte man bei dieser Gelegenheit das Recht ein, dem Empfang beizuwohnen - in der zweiten und dritten Reihe natürlich. Die Planung bis dahin war recht einfach, denn genau genommen sah jeder Empfang eines jeden Praefectus seit der Zeit des göttlichen Augustus genau gleich aus.
Nur eine Kleinigkeit fehlte noch und ohne diese würde alles ins Wasser fallen: Man musste den ganzen Aufwand noch bezahlen. Denn die Händler und Künstler der Stadt, obwohl sie natürlich glühende Patrioten waren, brauchten auch was zu essen. Und ohne diese Leute würde sich der Empfang als ein wahres Trauerspiel gestalten. Und das konnte keiner zulassen, der der Meinung war, Alexandria sei die schönste und bedeutendste Stadt des Reiches. Man braucht nicht extra zu erwähnen, dass jeder der Prytanen so dachte. Aber Vaterlandsliebe und Gelbeutel lassen sich eben nicht immer miteinander vereinbaren.
Der Betelnusskauende Verwalter der Stadtkasse ging seufzend die Listen durch und merkte hie und da an, dass noch so einiges fehlte, während die alten Herren versuchten, sich vor allzu hohen Zahlungen zu drücken und sich gegenseitig die Hauptlast zuschieben wollten.
Das heftige Gezeter und Debattieren hatte auch den netten Nebeneffekt, dass die verschlafene Runde langsam aufwachte. Man einigte sich auf dem Kompromiss, städtische Schuldscheine auszufülllen, die dann die nächste Generation von Prytanen beziehungsweise, wenn alles gut läuft, der Praefectus selbst, bezahlen durfte. Ansonsten ruhte man sich auf seinen Lorbeeren aus, beglückwünschte sich gegenseitig und ging wieder nach Hause...
Ach so: Und natürlich wurden Herolde ausgesandt, die ordentlich Radau machen sollten, damit in der Früh alles auf den Beinen sein sollte...