Endlich nach Hause - pars II


  • Nachdem wir Germanien hinter uns gelassen hatten, mussten wir die Alpen passieren. Zwei Reisewagen und drei gepäckbeladene Wagen hatten sich also einen Weg durch die unwirtlichen Berge gebahnt. Seit zwei Tagen waren wir nicht mehr so hoch und es war auch nicht mehr so kalt wie direkt im Gebirge, in dem trotz Sonnenschein um diese Jahreszeit die Kälte alles beherrschte. Es würde nun nicht mehr lange dauern, und unsere kleine Reisegesellschaft würde in Verona ankommen. Zwischendurch hatten wir immer wieder die Besetzung der Wagen gewechselt, mal fuhren Deandra und ich zusammen sowie Helena und Prisca, mal fuhren Prisca und Deandra zusammen und mal Helena und Deandra - was aber seltener vorkam, da zwischen Deandra und Helena irgendetwas nicht zu stimmen schien, was ich allerdings nicht erahnen konnte. Zwischen mir selbst und Deandra herrschte eine seltsame Atmosphäre. Ich fühlte mich nicht gut, und ihr schien es ebenso zu gehen. Meistens fuhren wir stumm voran, jeder eigenen Gedanken nachhängend, während im Wagen hinter uns Helena und Prisca lachten und plapperten.


    Der bisherige Weg war ohne Zwischenfälle verlaufen, und in den mansiones, in denen wir auf unserem Weg einkehrten, erhielt Mercurius stets Kekse und Wein von mir als provisorische Opfergabe, damit der Weg auch weiterhin friedlich blieb und wir gut voran kamen. Diesmal hatten wir keine schwangere Sklavin an Bord, man hatte wohl meinen Worten Gehör geschenkt, oder aber mein Ermahnen bei der Anreise vor langer Zeit war eindrucksvoll gewesen.


    Momentan fuhren Deandra und ich zusammen mit Prisca, da Helena eingeschlafen war und es Prisca fad wurde, allein. Die Frauen spielten irgendetwas und ich hatte den Kopf an ein Kissen gelehnt und döste im Sitzen vor mich hin...

  • Seit Priscas Ankunft in Germanien hatte sich vieles für mich geändert. Ich verbrachte so viel Zeit wie möglich mit ihr, was sich nach der Todesnachricht meiner Adoptiveltern noch mehr verstärkte. Wir teilten ein vergleichbares Schicksal, die Wunden waren annähernd gleich frisch, vor allem aber mochte ich ihre Art. Sie hatte etwas Liebes an sich, ich konnte mich ihr anvertrauen, denn ihr Wesen war offen und herzlich. So war es nur natürlich, dass ich auf der Reise entweder ihre oder Corvis Gesellschaft suchte, wobei sie es im Gegensatz zu ihm besser verstand, mich aufzuheitern.
    Manchmal grübelte ich darüber nach, warum er sich so verändert hatte, aber ich konnte mir seine Distanz nicht erklären. Eigener Fehler war ich mir nicht bewusst, und auch die Vermutung, Helena könnte sich zwischen uns gedrängt haben, verwarf ich nach einiger Zeit wieder. Ließ ich den Abend, an dem er sie mir vorgezogen hatte, einmal außer Betracht, verhielt er sich im Grunde untadelig. Helena allerdings mied ich weitestgehend, denn ohne ihre Eigenmächtigkeit, wäre die Bilanz dieses Tages für mich trotz seiner unbeherrschten Art deutlich erfreulicher gewesen.


    Die Tage brachten Ablenkung, um nach einer gewissen Verarbeitungszeit nicht mehr fortwährend an den Verlust der Eltern denken zu müssen, aber in den Nächten holte mich tagtäglich die Angst und das Gefühl, verlassen zu sein, ein. Ich fürchtete mich beständig vor dem Alleinsein, ging immer später ins Bett, stand zeitig auf, bekam dunkle Schatten unter den Augen und wirkte selbst in den stillen Momenten des Tages bedrückt. Von Prisca Geborgenheit zu erwarten, wäre zu viel verlangt gewesen, denn erstens trug sie an einer ähnlichen Last und zweitens konnte eine Frau bestenfalls in der Rolle als Mutter Nestwärme und Schutz spenden. Ich seufzte und kehrte in die Wirklichkeit zurück.


    Ein Blick aus dem Fenster überzeugte mich davon, dass wir in naher Zukunft keine Station erreichen würden. Allerdings meldete sich ein gewisses Bedürfnis bereits seit geraumer Zeit in kurzen Abständen. Vermutlich würde mein Anliegen daher nicht unbedingt auf Verständnis stoßen, aber zu ändern war es nicht. Ich schob den inzwischen recht dünnflüssigen Stuhlgang auf die Eier der Straßenstation am Morgen. Ich rekelte mich verlegen, um zugleich die verkrampften Glieder etwas zu lockern, warf einen weiteren Blick nach draußen und beschloss, nicht mehr länger abzuwarten.


    „Ich müsste mal wieder ein inzwischen dringendes Bedürfnis stillen.“


    Zunächst blickte ich zu Prisca, anschließend zu Corvi, der vor sich hindämmerte.

  • "Wie schnell doch die Zeit vergeht und die Dinge sich ändern können" dachte sich Prisca. Der Tag der Ankunft in Mogontiacum war ihr noch so gut im Gedächtnis. Und mehr noch die erste Nacht, in der sie sich anfangs so einsam und allein gelassen, mit ihrer Trauer, gefühlt hatte, bis ... ja bis Deandra an ihrer Tür geklopft hatte. Seit dieser Nacht, in der sie gemeinsam geweint und sich gegenseitig Halt gegeben hatten, wuchs zwischen ihr und Deandra so etwas wie ein Band des Vertrauens, der Zuneigung und der Freundschaft. Prisca lies es zu, weil sie erkannt hatte, dass Deandra ganz anders war, als man es ihr glauben machen wollte. Bei Deandra fühlte sie sich wohl und mit Deandra konnte und wollte sie über alles reden.


    Nur über zwei Dinge hatten sie seltsamerweise noch nie gesprochen. Prisca schrieb dies dem Umstand zu das, sehr bald schon, die Nachricht von der bevorstehenden Rückkehr nach Rom, für eine stetige Aufregung und Unruhe im aurelischen Haushalt sorgte. Das Eine hatte etwas mit dieser Sklavin zu tun ... das Andere war Deandras eigene Trauer, über den Verlust der Eltern, welche man Deandra deutlich anmerken konnte. Prisca zumindest war bereit, für sie da zu sein und ihr Trost zu spenden. Aber vielleicht war der Zeitpunkt noch nicht gekommen oder im Moment zu ungünstig.


    Denn im Augenblick saßen sie alle stumm und beengt in diesem Reisewagen und wurden unaufhörlich von den Unebenheiten der Straße durchgerüttelt. Wollte diese Reise denn nie ihr Ziel finden? Genervt starrte Prisca aus dem Fenster, ohne die Schönheiten der vorbei ziehenden Landschaft wahr zu nehmen. Erst in Rom, da war sich Prisca sicher, würden sie alle zur Ruhe kommen und erst ab dann würde das Leben weiter gehen können.


    Prisca sah vom Fenster weg hin zu ihrem Onkel, der ihr gegenüber saß und zu schlafen schien. Dann fiel ihr Blick neben sich auf Deandra, die sich soeben zu rekeln begann und den Wunsch nach einer Pause, teilte Prisca nur zu gern.


    Ja, eine Pause kann wirklich nicht schaden! ... Dieses ständige Hin und Her Geschaukel macht mich noch ganz wahnsinnig! Nimmt das denn nie ein ... Ende ... ist alles in Ordnung mit dir, Deandra?


    Auf Deandras Blick hin nickte Prisca zustimmend, denn sie wollte die Gelegenheit nutzen, um sich die Beine zu vertreten und um ihren aufgestauten Unmut über die Reisebedingungen, in Richtung ihres Onkels zu äußern. Sehr schnell senkte sie jedoch, inmitten des Satzes, wieder ihre Stimme und erkundigte sich besorgt nach Deandras Befinden.

  • Ich mochte Reisekutschen ebensowenig wie Prisca. Die weiche Federung ließ den Wagen beständig schaukeln und so war es kein Wunder, wenn mir übel wurde. Allerdings äußerte sich früher die Übelkeit immer in einer abnormalen Gesichtsfarbe, nicht in Magenbeschwerden. Auf ihre Frage hin verzog ich das Gesicht und schüttelte den Kopf.


    „Ich habe Bauchschmerzen“, jammerte ich, denn inzwischen steigerte sich das Rumoren annähernd schon zu einem Krampf. Ich presste meine Hand an den Bauch, beugte mich vor und legte die Hand auf Corvis Knie, um zu testen, ob er inzwischen fest schlief oder doch nur vor sich hindöste. In der Zeit, in der er zu sich zu kommen konnte, wandte ich mich erneut an Prisca.


    „Und dir geht es gut?“, fragte ich mit unüberhörbarer Skepsis. „Kurz nach dem Frühstück fing mein Unwohlsein an. Inzwischen haben wir ja auch schon zwei oder gar dreimal gehalten. Ich weiß gar nicht mehr. Hast du die Eier probiert? Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht liegt es auch an was anderem. Was hast du denn alles gegessen?“


    Sicherlich würde mir die Ursachenforschung auch nicht mehr helfen, aber sie lenkte wenigstens ab. Ich schaute Prisca mit einem leidenden Gesichtsausdruck an. Jetzt fehlte nur noch, dass sich Erbrechen zum Durchfall gesellte.


    „Auf welchem Wagen befindet sich eigentlich Aintzane? Ich brauche doch … hm, du weißt schon“, deutete ich mit einem Grinsen an, denn viel mehr, als die Angelegenheit von der lustigen Seite zu betrachten, blieb mir nicht, wenn ich nicht vollends im Selbstmitleid versinken wollte.


    Der Druck wurde plötzlich übermächtig. Ich schlug die Hand vor den Mund, ein Würgen schüttelte mich und …

  • Ob des stetigen Ruckelns wurde aus dem dämmrigen Dahindösen doch recht bald ein leichter Schlaf, in den die Stimmen der zwei Mädels zwar vordrangen, aber nicht wesentlich von Belang, vielmehr ein nettes Hintergrundmurmeln waren. Ich schlief nicht sonderlich gut des Nachts, immer wieder fragte ich mich, wie Deandra und ich diesen Spalt überwinden konnten, der seit der letzten Woche in Germanien zwischen uns klaffte. Und oft erschien mir im Traum mein Vater, der vollkommen irrwitzige Dinge von mir verlangte und mich mit einer erschreckend tot aussehenden, weißen Hand ermahnte, die Familie zusammenzuhalten und anderen ein Beispiel zu sein.


    Gerade formte sich wieder diese Hand, der Zeigefinger war mahnend erhoben und eine Stimme jammerte etwas von Bauchschmerzen. Ich rollte den Kopf auf die andere Seite, fühlte mich unwohl, denn das war neu und ich wusste nicht, was nun passieren würde. Plötzlich berührte die weiße Hand mein Knie, und ich fuhr halb benommen aus dem Schlaf und sah mich hastig und schnell atmend um. Zuerst erspähte ich Priscas Gesicht, das mich ansah, dann das von Deandra, das einen leicht wachsigen Glanz angenommen hatte seit dem Morgen. Sie plapperte etwas von Eiern und erwähnte schließlich Aintzane. Mir dämmerte, dass ich wieder einmal schlecht geträumt hatte, und atmete erleichtert auf, als Deandra von der einen auf die andere Sekunde kreideweiß wurde und die Hand vor den Mund schlug. "Caecus, halt an - sofort!" rief ich geistesgegenwärtig und stand schon halb, um Deandra von ihrem Sitz zu hieven. Es tat einen Ruck, als der Wagen hielt, und meine Verlobte und ich fielen um ein Haar auf Prisca. Die Tür konnte ich gerade noch rechtzeitig aufstoßen, als sich die Eier, von denen Deandra eben noch gesprochen hatte, übelriechend über italischem Boden ergossen. Ich hielt mit einem Arm Deandra fest, sorgte mit der anderen Hand dafür, dass ihr die Haare nicht ins Gesicht fielen und rümpfte angewidert die Nase. "Uh", kommentierte ich und hoffte, dass Aintzane schnell herbeieilen und sich um die Misere kümmern würde.

  • Prisca gab es zwar nicht gern zu, aber Deandra sah wirklich nicht gut aus im Moment, denn alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und die Mimik wirkte alles andere als entspannt. Deandras Kopfschütteln, die Erwähnung der Bauchschmerzen und die fahrige Bewegung mit der sie sich selbst an den Bauch fasste, brachten schnell Gewissheit auf ihre Frage. Prisca nickte leicht, um damit ihre Besorgnis und auch eine Vermutung zum Ausdruck zu bringen.


    "Das kommt bestimmt von dem ientaculum heute morgen." mutmaßte Prisca und war erleichtert, dass sie selbst nur sehr wenig davon gegessen hatte. Sie konnte schon seit Tagen nicht mehr viel zu sich nhemen und diese Appetitlosigkeit würde wohl andauern, solange sie gezwungen wären in solchen Kaschemmen, wie diese Straßenstation es war, ein zu kehren. "Gut? Mir geht es alles andere als gut, aber wenigstens habe ich nicht viel gegessen. Du weißt schon diese Station, der Geruch dort überall, das Essen und dieses ewige Geschaukel während der Fahrt ..." Prisca unterbrach sich selbst. Das war nicht sehr aufbauend, was sie da gerade von sich gab und Deandra sprach ihre Befürchtung bereits selbst aus. Die Eier! Schon der Anblick heute Morgen auf dem Teller hatte gereicht, dass ihr Magen die Aufnahme verweigerte, nun sah sie das Bild erneut vor sich und ihre Tonfall wurde noch besorgter.


    "Ich hab es mir gleich gedacht ... das Essen kann einfach nicht gut sein. Nur ein Stück Brot und etwas Schinken, das war alles was ich zu mir nehmen konnte."


    Es würde zwar Deandra auch nicht viel helfen es jetzt noch zu erwähnen und das Ergebnis war nur, dass es Prisca ebenfalls schlecht wurde, je länger sie an das Essen zurück denken musste. Priscas Gesichtsausdruck und die Farbe ihrer Haut glichen sich bereits denen von Deandra an die gerade noch versuchte, mit einem Grinsen das Beste aus der Angelegenheit zu machen.


    „Ich weiss ...“ nicht ... konnte Prisca schon nicht mehr sagen, als die Situation sich plötzlich überschlug. Deandra presste die Hand vor den Mund, Onkel Marcus schoß förmlich von seinem Platz hoch und befahl, den Wagen an zu halten. Ein deutliches Rütteln war zu spüren und Prisca schloss bereits die Augen. Sie bekam erst wieder mit, wie ihr Onkel, über Deandra gebeugt und mit dem Rücken zu ihr halb aus der Türe lehnte. Schon wollte Prisca aufstehen, um nach Deandra zu sehen, als sie bei den Geräuschen und dem angewiderten „Uh“ ihres Onkels kraftlos auf den Platz zurück sank. Weniger das eigene Essen, als die Vorstellung was gerade geschah ließen Priscas Magen rebellieren. Sie hoffte nur das ihr Verstand solange über ihren Körper siegen würde, solange die beiden dort die Türe versperrten, um nicht auch noch hier drinnen ....


    „uuhmm, Onkel! ....“ leise und flehentlich meldete Prisca sich zu Wort, was soviel heißen sollte wie „Onkel, ich will ja nicht drängeln aber macht bitte bald die Türe frei, sonst passiert noch ein Unglück ...“



    edits = Tippfehler *seufz*

  • Wenn ich es vermochte, steuerte ich immer dagegen, um ja nicht brechen zu müssen, denn es gab fast nichts Widerlicheres. Heute jedoch hatte ich keine Chance, zu schnell, praktisch bereits innerhalb weniger Lidschläge, entledigte sich mein Körper der überflüssigen Esswaren nachdem er mir sein Vorhaben vermeldet hatte. Corvi jedoch war noch schneller als das Zusammenkrampfen des Magens. Er reagierte bereits, als ich ihn mit geweiteten Augen und zugehaltenem Mund anblickte, sprang auf, und es war dem ruckhaften Anhalten zu verdanken, dass nicht nur wir beide kippten, sondern die Bescherung für einen Augenblick länger in mir verblieb. Es blieb gerade noch so viel Zeit, die Tür aufzustoßen, als der Erguss bereits seinen Weg ins Freie suchte und fand – vorwiegend durch den Mund, aber wegen der Gewalt und der Fülle auch zu einem kleinen Teil durch die Nase. Ich fühlte mich jämmerlich. Das Würgen und der scharfe Reiz auf die Nasenschleimhäute trieben mir die Tränen in die Augen. Die Schultern zuckten bei den kurz aufeinander folgenden Wellen, in denen immer neue Schübe kamen, die zwar recht bald in ihrer Konsistenz dünner wurden, irgendwann auch annähernd versiegten, aber leider nicht dazu führten, dass der Brechreiz mit ihnen verschwand. Gepeinigt strich ich mit der rechten Hand über die Stirn, entledigte mich immer wieder kleinster Reste, die einfach kein Ende nehmen wollten, wischte mir nebenbei die rollenden Tränen fort und versuchte dem Beben des Körpers Herr zu werden.


    Als die Abstände größer wurden, in denen das Zucken der Schultern erfolgte, realisierte ich erstmalig, dass Corvi meine Haare zurückgestrichen hatte. Bei all dem Elend, das ich momentan fühlte, kam mir dieser Weitblick geradezu übermenschlich vor. Ich war ihm dankbar, wie lange nicht mehr, konnte es aber nicht einmal zeigen, weil mich die Krämpfe noch immer in ihrer Macht hatten, weil die Nase und der Rachen schmerzten. Immerhin beschränkten sich die Sinne aber nicht mehr ausschließlich mit der unfreiwilligen Entladung, sondern nahmen wieder die Umgebung wahr, auch wenn ich den Blick noch immer gen Boden richtete.


    „Wasser, ich brauche unbedingt Wasser“, wisperte ich und hoffte, er konnte es hören. Immer wieder sammelte sich Flüssigkeit im Mund, die ich, so schnell es eben ging, loswerden wollte.


    Hinter uns hörte ich Prisca etwas sagen, das mehr wie ein Stöhnen klang.


    Langsam richtete ich mich auf und wischte mir erneut über die feuchten Wangen. Es ging mir besser, wenn auch nicht gut. Ich steckte jedoch in einem Dilemma: Umdrehen wollte ich mich nicht, vielmehr sehnte ich mich nach Reinigung, aber aussteigen ging auch nicht, weil ich sonst in diese Lache getreten wäre.

  • Was hinter meinem Rücken vorging, bemerkte ich nicht, denn obwohl es nicht gerade ein erquickender Anblick war, konnte ich den Blick nicht von der übelriechenden Masse abwesenden, die in Schüben aus Deandra heraus sprudelte und von einem blubbernden Würgen und nass klingenden Gurgellauten begleitet wurde. Ich merkte nur, dass Prisca hinter mir unruhig zu werden schien und warf einen flüchtigen Blick über die Schulter ins Innere des Wagens. Meine Nichte erschien mir ebenso bleich wie Deandra zu sein und ich fragte mich, was beim Iuppiter die zwei gegessen hatten, dass ihnen so übel war und sie dermaßen käsig aussahen?


    Während Deandra sich allmählich stabilisierte, klang nun Prisca so, als wollte sie der unschönen Masse noch ihren eigenen Teil beisteuern, und ärgerlich rief ich nach Caecus, der kurz darauf mit besorgter Miene auftauchte. "dominus, was ist denn passiert, warum sollte ich... Oh." Er richtete den Blick auf die müffelnde, bröckchenreiche Pfütze und verzog das Gesicht. Deandra verlangte nach Wasser, und während Caecus bereits davoneilte, lockerte ich meinen Griff und bugsierte Deandra langsam wieder in eine sitzende Position, diesmal aber neben der Tür. Ich gab mir Mühe, dabei nicht allzu sehr auf den ekelhaft verschmierten Mund und die Nase zu schauen. Dann wandte ich mich Prisca mit besorgtem Blick zu. "Alles in Ordnung? Was habt ihr beiden denn gegessen, dass euch so schlecht ist?" wunderte ich mich und sah zwischen den zweien hin und her. Glücklicherweise kam Caecus nun mit einem Wasserschlauch und drei Bechern angelaufen. "Ich hab' Aintzane auch bescheid gesagt. Müsste gleich kommen", teilte er mit, machte einen großen Schritt über das Malheur hinweg und reichte Deandra einen Becher, nachdem er ihn gefüllt hatte. Auch Prisca wollte er einen geben, ich selbst lehnte ab. Allmählich breitete sich ein säuerlicher Gestank im Wagen aus, ich musste an die frische Luft. Mit einem ebenso großen Satz entstieg ich dem Wagen und trug einem Sklaven auf, selbigen einige Meter vorzufahren, damit man nicht diese Tretmine direkt vor der Tür hatte. Tief atmete ich die frische, italische Luft ein. Hoffentlich war das nur eine Magenverstimmung bei den beiden und keine ernsthafte Krankheit. Sofie kam heran. "Alles in Ordnung, Herr?" fragte sie. "Ja, mir gehts gut, den zwei Damen aber nicht. Wie geht es Helena?" "Gut. Sie schläft noch", erwiderte die treudoofe Sofia und ich nickte.

  • Wahrscheinlich hatte ihr Onkel sie gar nicht gehört, denn im Moment war er ganz damit beschäftigt, die arme Deandra zu stützen. Mehr sagen konnte und wollte Prisca allerdings auch nicht aus Angst, es könnte noch mehr als nur ihre Worte den Mund verlassen. Auch wenn nicht das Essen daran schuld sein mochte, so spürte Prisca nun deutlich, wie sich ihr Magen seines Inhalts wieder entledigen wollte. Prisca schloss die Augen und presste ihre rechte Hand an die Stirn. Still sitzen und an etwas schönes denken, das würde sicher helfen. Und so sagte sie es sich im Geiste immer wieder vor.


    "An etwas schönes denken! ... etwas schönes! ... hm? was macht denn Onkel Marcus nur mit der armen Deandra? ... also nochmal ... wir sind wieder in Italien ... bald sind wir in Rom ... das Essen war schuld, das Essen war schuld ... puuh ... nach Hause, wir fahren nach ... "


    Prisca zuckte kurz und wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Marcus gerade wieder Deandra auf den Sitz zurück half. Besorgt erkundigte er sich, was beide denn gegessen hätten. Ihren Vorsatz von eben vergessend, versuchte sie den Grund für Deandras Unwohlsein zu nennen.


    "Deandra hatte ... heute morgen ... die ... die Eier ...."


    "gegessen ..." jetzt hatte sie ihren Mund doch auf gemacht und gleichzeitig wieder das Bild vor Augen. Priscas Hand wanderte augenblicklich von der Stirn zum Mund und hielt ihn zu. Mit geweiteten Augen erwiderte sie den Blick ihres Onkel und sah dann zu Denadra hinüber. Sie tat ihr wirklich leid und gerne wäre sie Denadra zur Hilfe geeilt, wenn nicht die aufsteigende Übelkeit sie daran gehindert hätte. Wenigstens Onkel Marcus versorgte sie mit Wasser und so schloss Prisca wieder die Augen, um sich erneut zu konzentrieren.


    "... an etwas schönes denken ... wir fahren heim ... bald sind wir ... was ist denn das? ... was riecht denn hier plötzlich so ... ?"


    Als sie diesmal die Augen öffnete verschwand Onkel Marcus gerade zur Tür hinaus und lies sie beide einfach hier drinnen sitzen. Wie konnte er nur! Prisca warf ihm einen bösen Blick nach, denn sie wusste ja nicht was er vor hatte. Der Geruch jedenfalls war dann zuviel. Ein letzter entschuldigender Blick zu Deandra, dann sprang sie auf und stürtze zur Tür. Dem Sklaven schlug sie dabei ungewollt das hingehaltene Glas aus der Hand und nur weil der Wagen bereits seine neue Position erreicht hatte entging sie dem Malheur auf dem Boden, in das sie sonst gesprungen wäre.


    Das wäre Prisca in diesem Augenblick wohl auch nicht weiter aufgefallen. Sie hastete mit letzter Kraft um den Wagen herum zur abgewandten Seite. Dort lehnte Prisca sich an die Wagenwand und atmete hastig ein paar Mal durch. Die gute italienische Luft half "Aaahh ..." jedoch es war zu spät und Prisca erbrach das Wenige, das sie gegessen hatte, bereits ungewollt gut gezielt, über das hintere Wagenrad.

  • Meine Hoffnung, Corvi würde den Kutscher anweisen, den Wagen ein Stück vorzufahren, damit ich aussteigen konnte, zerschlug sich schnell, denn als er den Griff lockerte, fühlte ich mich gegen meinen Willen auf die Sitzbank gedrückt. Zwar fühlte ich mich elend und gleichzeitig schwach, aber die Kraft reichte aus, um mich sofort wieder zu erheben. Mal abgesehen von meinem dringenden Reinigungsbedürfnis, dem ich unmöglich in der Kutsche nachgehen konnte, hatte er offensichtlich vergessen, dass eine Frau auch eitel war. Außerdem würde im Sitzen die Restbescherung von dem ungereinigten Mund doch auf meine Tunika tropfen.


    Ich schaute unglücklich aus der geöffneten Tür, hörte zwar seine Frage, hoffte aber, Prisca würde sie ihm beantworten. Zu meiner Erleichterung kam in diesem Augenblick Caecus angelaufen. Ich wartete, bis er heran war, nickte, als er Aintzane erwähnte, nahm den Becher entgegen, um sofort den Mund von innen und außen zu reinigen. Gezielt spuckte ich an Caecus vorbei, der bereits den nächsten Becher einschenkte. Für das Vermeiden etwaiger Spritzer an seinen Beinen konnte ich jedoch nicht bürgen.


    Auf diese Weise notdürftig versorgt trat ich vorerst zur Seite, um mich nunmehr in das Gespräch einzubringen, aber es war offensichtlich bereits beendet, denn Corvi nutzte die Gelegenheit und sprang aus dem Gefährt. Ein unsanftes Anrucken, das mich ungewollt auf die Sitzbank beförderte, kündete vom Weiterrücken der Kutsche, die nach wenigen Augenblicken erneut hielt. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Prisca, die – so schien es mir – sich für ihren nachfolgenden Abgang entschuldigen wollte, bei dem sie Caecus gleichzeitig schwungvoll des Bechers entledigte. Schließlich saß ich allein in der Kutsche, die ich ursprünglich vor allen anderen verlassen wollte, schüttelte mich erneut, als ich Prisca in meinem Rücken hörte, denn das Holz schluckte nur wenig Schall, und erhob mich schwankend. Noch immer den Becher haltend, reichte ich Caecus die freie Hand, damit er mir beim Absteigen behilflich sein konnte. Es war eine wacklige Angelegenheit, weil sowohl er als auch ich nur jeweils eine Hand zur Verfügung hatten, aber der Wille versetzte oft Berge und ich wollte diesen Ekelgeschmack restlos loswerden. Ein Sprung von der letzten Stufe, bei dem ich Caecus fast umgerissen hätte, sicherte mir den ersehnten Boden. Ich nahm ihm sodann den wabbeligen Wasserbehälter ab, suchte mir eine passende Stelle abseits des Weges und spülte mir den Mund nochmals aus. Etwas Wasser in der gebogenen Hand nutzte ich zum Säubern der Nase.


    Nachdem das Wohlbefinden einigermaßen wiederhergestellt war, suchte ich Prisca auf. Ich legte die Hand auf ihre Schulter und reichte ihr wortlos den Wasserbehälter. Sicherlich würde sie ihn brauchen, ich zweifelte nicht daran.


    „Zwei Tage, Prisca. Dann haben wir es geschafft“, tröstete ich sie und sprach mir dabei selbst Mut zu.


    Anschließend blickte ich mich auf der Suche nach Corvi um. Mein Blick verweilte flüchtig auf seinem Rücken. Ich glaubte, Prisca müsse, wie ich, auch den Wunsch verspüren, sich zunächst ungestört zu reinigen, daher streichelte ich einmal über ihre Schulter und wandte mich ab, um zu ihm zu gehen. Es war Verlegenheit, die mich einen Schritt weiter Abstand halten ließ, als ich es sonst gemacht hätte.


    „Das war lieb von dir eben“, sagte ich leise. Ich schaute ihm dabei nicht in die Augen, denn vom Wohlfühlen war ich weit entfernt. Ich rechnete damit, dass die Schminke verlaufen war und ich hasste selbst den momentanen Atem. „Ist dir das Essen denn gut bekommen?“ Es vergingen vielleicht zwei Herzschläge, ehe ich noch anfügte: „Zumindest vermute ich, dass es bei mir am Essen lag.“


    Ich betrachtete den Waldboden, so uninteressant er auch war, während meine Hand seitlich über die Haare fuhr, um zu richten, was eigentlich nicht gerichtet werden musste.

  • "Dann sorg auch weiterhin dafür, dass es ihr gut geht", wies ich Sofia an und wandte den Kopf, denn während ich mich mit der Sklavin beschäftigte, klapperte in der Kutsche ein Becher und kurz darauf hetzte Prisca hinaus, recht dicht gefolgt von Deandra. Ein Gedanke bedeutete mein Aufseufzen: Weiber! Und ich schüttelte den Kopf und sah zu Sofia, die eben wieder die Kutsche Helenas betrat. Erneut erklangen Würgegeräusche, doch diesmal war es nicht Deandra, sondern Prisca, und abermals schüttelte ich den Kopf.


    Caecus drückte Deandra derweil einen Lappen, Marmorstaub und einen Büschel Kräuter in die Hände, damit sie den schlechten Geschmack loswerden konnte. Wohlweißlich behielt er etwas davon für Prisca zurück. "Ich habe mich an Milch, Honig, Obst und Dinkelbrot gehalten, wie jeden Morgen", erwiderte ich auf die Frage meiner Verlobten hin. Und es stimmte ja auch: Mir ging es gut. Auf einer Reise musste man zwar Abstriche machen, was Verpflegung und Komfort betraf, aber Dinkelfladen und Honig gab es beinahe überall.

  • Immer noch an der Wagenwand gelehnt stand Prisca da und war wieder einmal entsetzt. Natürlich über die unzumutbaren Umstände der Reise, aber diesmal noch mehr über sich selbst. Deandra schien wirklich das Essen wirklich nicht bekommen zu sein und ihr wurde allein schon bei dem Gedanken an das Frühstück schlecht. Immer wieder schüttelte sie leicht den Kopf über sich selbst und versuchte notdürftig, die letzten Spuren an ihrem Kinn zu beseitigen. Zum Glück hatte sie wirklich nicht viel gegessen und so hielt sich die Bescherung, die sich vor ihr ausbreitete, in Grenzen.


    Da hörte sie auch schon Schritte hinter sich und es war Deandra, die ihr nun sogar noch half, indem sie ihr das Wasser reichte und Mut zu sprach. Prisca drehte sich zu ihr um und lehnte nun mit dem Rücken am Wagen.


    "Danke Deandra, das ist sehr lieb von dir!"


    bedankte sich Prisca für das Wasser und den Zuspurch. Sie nahm den Behälter und trank einen kurzen Schluck. Die Übelkeit war vorbei und nur das flaue Gefühl im Magen, das schon die ganze Reise über da war, blieb zurück.


    "Ich hoffe, es geht auch dir wieder besser ... eigentlich hätte ich mich ja um dich kümmern sollen ..."


    stellte Prisca noch fest und lächelte zurück. Als Deandra sie an der Schulter berührte, hob Prisca kurz die Hand und strich ihr flüchtig über den Unterarm zum Zeichen des Danks und als Versuch, zumindest damit Deandra auch ein wenig aufmuntern zu können. Da wandte sich Denadra auch schon ab und wirkte etwas verlegen, als sie zu Marcus hinüber ging. Prisca sah ihr kurz nach und zog sich dann unbemerkt zurück. Einen großen Bogen um das Wagenrad machend schritt sie ein paar Meter den Weg entlang, um sich mit ein bisschen Wasser, so gut es eben ging, das Gesicht zu säubern.


    Dumpf hörte sie dabei die anderen miteinander sprechen, doch was gesagt wurde verstand Prisca nicht. Sie atmete unterdessen die frische Luft und machte das Beste aus dem unfreiwilligen Stop. Sie wollte sich noch ein wenig die Füße vertreten, denn nun konnte sie auch wieder die Landschaft um sich herum genießen . "Endlich ... bald sind wir zu Hause ..." murmelte sie leise zu sich selbst und blickte neugierig in die Richtung der Wiese mit dem hohen Gras, aus dem es gerade leise und verdächtig geraschelt hatte.

  • Kurz nachdem Prisca das Rascheln vernommen hatte, erklang ein lang gezogener Laut, dem etliche kleine Schnattergeräusche folgten. Die Wipfel der Gräser schwenkten auffallend stark, sodass der sanfte Sommerwind dafür nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Allerdings ergab sich aus der zu beobachtenden Furche, die sich durch die Wiese zog, dass sich die Verursacher von der Kutsche entfernten – nicht eben schnell, aber unaufhaltsam. Doch der Eindruck, diese nicht sichtbaren Wesen, ließen sich bei ihrem Rückzug Zeit, täuschte: Die Füße waren klein, die Beine kurz, und so mussten sie große Anstrengungen unternehmen, um überhaupt flink vom Fleck zu kommen.
    Wenig später war ein Platschen zu hören, dem fünf wesentlich sanftere Plumpse in das schmale Bachbett folgten, das sich unweit des Weges dahinschlängelte. Die hohe Uferböschung verbarg die Sicht auf das schmale Fließgewässer, aber wer sich reckte oder auf die Stufen der Kutsche trat, würde eine Entenfamilie entdecken können, die - nun in ihrem Element - zügig den Ort des Geschehens verließen, den zwei Frauen mit ihrem Unwohlsein geprägt hatten.


    All dies blieb mir verborgen, denn ich stand noch immer bei Corvi, blickte auf die Utensilien in meinen Händen, die mir Caecus gereicht hatte und die ich inzwischen auch ausgiebig genutzt hatte. Mein Blick haftete nicht bewusst auf diesen Pflegeprodukten, ich dachte über Corvis Erklärung nach. Zumindest kurzzeitig. Je näher wir Rom kamen, umso deutlicher stand mir vor Augen, dass ich bis auf weiteres nicht mehr mit ihm unter einem Dach wohnen würde. Auf jeden Fall befürchtete ich das. Frauen zogen erst im Zuge der Heirat zu ihrem Gemahl, und was er mit meinem jetzigen Adoptivvater vereinbart hatte oder noch abklären würde, wusste ich nicht. Wie aber sollte unser belastetes Verhältnis wieder in Ordnung kommen, wenn wir uns nur noch zeitweise sehen würden? Was genau konnte ich überhaupt tun? Ich wollte etwas tun, nur war es gleichzeitig so schwer, weil ich noch immer an dem Verlust meiner Eltern der Kindheit trug, weil er mir zwischenzeitlich so fremd erschien, anders als der mir bekannte Bruder, weil sein Verhalten an jenem schicksalhaften Tag eine einzige Zurückweisung war, die ich zudem auf meine Weise gedeutet, womöglich sogar fehl gedeutet hatte. Zu diesem Schluss kam ich, weil er nach diesem Tag wieder untadelig wie eh und je war. Vielleicht, so überlegte ich immer wieder, hat jeder eine andere Art, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Möglicherweise gab es für ihn keine andere Wahl. Nach wie vor konnte ich seine grobe Zurückweisung nicht gut finden, aber wer liebt, der verzeiht, und ich hatte ihm längst verziehen.


    Ich hob den Kopf, um sein Gesicht zu betrachten. Sogleich weckte es die Erinnerung an das Wohlgefühl, wenn ich seine Haut spürte. Der Hautkontakt übertrug nicht allein die Körperwärme, sondern spendete auf eigentümliche Art stets auch Geborgenheit. Ich konnte mir nicht erklären, ob ich ihn oder er mich auf Abstand hielt, aber eines wusste ich: Ich mochte diesen Zustand nicht leiden. Seit jenem Ereignis hatte ich ihn nicht mehr aus eigenem Antrieb berührt, nun aber legte ich meine Hand sanft an seine Wange und lächelte dabei. Meine Bereitschaft war da, es fehlte nur noch seine.


    „Wie wird es in Rom weitergehen?“, fragte ich leise, nahm meine Hand zwar wieder fort, lächelte aber weiterhin. Ich hoffte auf irgendetwas Tröstliches, Beruhigendes, etwas Erfreuliches.

  • Die Hand an meiner Wange verunsicherte mich, zugegebenermaßen. Seit der Nachricht vom Tod unserer - meiner - Eltern, war Deandra zurückweisend, nachdenklich und auf eine gewisse Art nicht mehr sie selbst gewesen. Nach einer Eingewöhnungsphase, hatte ich mich damit abgefunden - diese Geste stellte nun aber einen Sinneswandel dar, oder interpretierte ich sie falsch? Nachdenklich blickte ich Deandra an und ließ sie gewähren, dann aber ergriff ich ihre Hand, entfernte sie von meinem Gesicht und barg sie locker in der Rechten. "Wir werden ankommen und uns ausruhen, schätze ich."


    Natürlich ahnte ich, was sie mit ihrer Frage meinte, aber ich konnte nicht darauf antworten. Es würde mir guttun, mir nicht ständig Sorgen darüber zu machen, was von mir Gesagtes bei ihr auslösen würde oder mich ständig zu fragen, ob sie etwas falsch verstand oder nicht nachvollziehen konnte. Kurzum: Abstand würde mir gut tun, und ich glaubte, dass es auch bei ihr der Fall sein würde. Genauer hatte ich über die Zeit nach der Ankunft noch nicht nachgedacht, aber für mich stand fest, dass sie erst einmal wieder in die villa Claudia ziehen würde, und das möglichst bald nach der Ankunft. Zum einen war es Sitte so und Vesuvianus hätte gewiss auch nichts anderes erlaubt, zum anderen wollte ich einfach etwas Zeit für mich haben. Zeit, in der ich mich um familiäre Angelegenheiten kümmern und liegen gebliebene Dinge erledigen konnte. Die Cicero-Sache stand noch aus, ich musste den zuständigen praetor aufsuchen, meine Wahl vorbereiten, Freunde besuchen, Klienten empfangen...kurzum: es würde gut tun, sich nach der unttigen Reisezeit kopfüber in Arbeit zu stürzen.


    Ich deutete auf den Punkt, an dem eben noch Prisca gestanden hatte, und führte Deandra an der Hand zu ihr. "Geht es euch beiden wieder besser? Können wir weiter? Ich bin mir sicher, dass es nicht mehr weit ist, und meinetwegen können wr an der nächsten mansio ruhig schon rasten. Ein stillstehendes Bett ist für den aufgewühlten Magen vermutlich besser als eine schaukelnde Kutsche - Caecus?" "dominus, die nächste mansio ist nur duodecim Meilen entfernt", antwortete er. Ich nickte und sah die beiden Damen fragend an.



    Sim-Off:

    Ihr könnt auch schon hier loslegen, wenn ihr wollt.
    Und wo ist eigentlich Aintzane?

  • Mein erwartungsvoller Gesichtsausdruck verschwand. Allerdings machte er keineswegs einem enttäuschten Platz, was aufgrund der ausweichenden Antwort durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Vielmehr betrachtete ich seine Gesichtszüge mit einer Aufmerksamkeit, als würde ich ihn heute zum ersten Mal sehen. Zeit, in der ich nach Antworten suchte, zum Teil in seiner Mimik, zum Teil aber auch durch angestellte Überlegungen. Wieder einmal fragte ich mich, warum mich alles, was mit ihm zusammenhing, derart tief berührte. Seine Zurückweisung schlug gleichermaßen heftig ein wie seine Liebe. Lag es an ihm? Oder lag es an uns beiden? Die Antwort war klar: Ich war zur Hälfte beteiligt. Und natürlich wusste ich auch, wieso ich derart empfindsam war: Ich hatte mich bei ihm weiter als sonst geöffnet. Warum auch immer, es war einfach passiert. Mein ansonsten sorgfältig geschützter Kern lag frei, ungewohnt frei.

    An diesem Tag jedoch, obwohl er durch erhebliche Übelkeit überschattet war, löste sich der Knoten der vergangenen Zeit in mir auf. Ich spürte, wie Ruhe einkehrte, die Bedrückung verschwand und Zuversicht wuchs, obwohl ich nicht zu sagen vermochte, was diese Veränderung ausgelöst hatte. Seine Worte auf keinen Fall, vielleicht aber sein Handeln. Letztlich war es mir aber auch egal.


    „Wir werden ankommen, uns ausruhen und danach erquickt erheben“, bestätigte ich mit einem Lächeln, das die beabsichtigte Vieldeutigkeit meiner Worte unterstrich, denn ich meinte es vor allem im übertragenen Sinne. Meine Hand, die bis dahin locker in seiner lag, schob sich weiter vor und umschloss einen Teil seiner Handfläche – nicht eben viel, weil sie bedeutend kleiner war, aber genug, um die neu erwachte Kraft spürbar zu machen.


    Mein Blick folgte seinem Hinweis, erfasste zunächst die Kutsche und schließlich Prisca. Im Grunde war alles gesagt, daher setzte ich mich bereitwillig in Bewegung, als er dem Reisegefährt zustrebte. Und obwohl ich einige Mühe hatte, die Zahnpflegeutensilien samt Tunikarock mit nur einer Hand hochzuhalten, hätte ich um nichts in der Welt seine Hand losgelassen. Eigentlich hatte sich schon allein deswegen der Zwischenstopp gelohnt. Bei diesem Gedanken wurde mir bewusst, dass meine alte Gabe, mich selbst an kleinen Dingen freuen zu können, wiederhergestellt war. Ich atmete einmal befreit durch, lächelte vor mich hin und hatte die ekelhafte Brechszene schon fast vollständig verdrängt.


    „Es geht sehr viel besser“, antwortete ich auf seine Frage, als wir bei Prisca angekommen waren. „Dennoch wäre es schön, wenn der Reisetag heute ein baldiges Ende finden würde. Also … nicht nur an der nächsten Straßenstation rasten, sondern dort übernachten und erst morgen die Reise fortsetzen. Oder traust du dir noch mehr zu, Prisca?“

  • Nachdem sich Prisca mit einem Blick zur Kutsche hinüber davon vergewissert hatte, dass mögliche Hilfe in Rufweite lag, war etwas mutiger an den Wegesrand heran gegangen. Immer noch raschelte es und neugierig teilte sie mit der Hand etwas das Gras um sehen zu können, was sich in ihm verbarg. Ob das nun unvorsichtig war oder nicht, jedenfalls wurde aus dem leisen Rascheln schnell ein langgezogenerer Laut und mit einem Schnattergeräusch enternte sich das unsichtbare Etwas, eine Furche durch das Gras ziehend, Richtung Bach. Zumindest muss dort einer gewesen sein, dem Platschen nach zu urteilen welches folgte.


    Prisca zuckte erschrocken zusammen und wich schon beim ersten Laut mit einem erstickten Seufzer vom Wegrand zurück. Erst kurz danach realisierte sie das Geschnatter und ahnte, dass es sich wohl um Enten gehandelt haben musste. Erleichtert atmete sie auf und spürte, wie sich ihr Herzschlag langsam wieder beruhigte. Ihre Neugier war jedenfalls gestillt und mit einem verstohlenen Blick hinüber zur Kutsche überzeugte sie sich davon, dass ja niemand etwas mitbekommen hatte. Ob ihr Onkel und Deandra gesehen haben, wie sie zusammengezuckt ist? Wohl nicht, denn sie unterhielten sich immer noch und gingen dabei aber langsam auf sie zu.


    Prisca schickte sich an ihnen entgegen zu gehen und als sie dei beiden erreicht hatte, bekam sie von dem Gespräch nur noch mit, dass sich ihr Onkel nach ihre Verfassung erkundigte und das was Deandra zuletzt gesagt hatte.


    "Danke Onkel, bei mir war es wohl nur der flaue Magen und das Geschaukel der Kutsche, die mich ... naja, vergessen wir das lieber mal ... aber schön zu hören, dass es auch dir wieder besser geht, Deandra! ... und ich bin ganz deiner Meinung ... heute sollten wir nicht mehr allzu weit fahren. Auf eine Übernachtung mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an, oder?. ... Wollen wir dann langsam los?... "


    Antwortete Prisca auf beide Fragen und versuchte dabei schon wieder zuversichtlich und unbeschwert zu klingen. Sie lächelte Marcus und Deandra aufmunternd an, denn langsam kam wieder ihre Vorfreude über die baldige Heimkehr nach Rom zum Vorschein.

  • Überraschend für mich kam kein Widerspruch von Deandra, sondern vielmehr eine Bestätigung dessen, was ich eben vorgeschlagen hatte. Und auch Prisca schien mir losgelöster zu sein. Ob das Erbrechen Schuld daran war? Sagte man nicht immer, dass ein Überschuss bestimmter Körpersäfte der Auslöser für Krankheiten, Übellaunigkeit und sonstigen Negativa war? Ich überlegte stumm vor mich hin, die beiden Frauen abwechselnd gedankenverloren musternd. Am Rande bemerkte ich, wie Caecus nun auf Deandra zueilte und ihr die Zahnpflegeutensilien abnahm, während Prisca die ihren von Sofia gereicht bekam, die leicht dümmlich dabei lächelte. “Hm? Ah, Übernachtung? Wieso auch nicht, wie jeden Abend eben. Wie kommt ihr denn auf die Idee, in der Kutsche schlafen zu wollen?“ fragte ich die beiden überrascht und schüttelte den Kopf. “Aber gut. Wir fahren noch bis zur nächsten mansio und dann bleiben wir dort bis morgen früh. Allerdings sollten wir Appius auch nicht zu lange warten lassen, wie ich ihn kenne, hat er sicherlich für eine Hundertschaft eingekauft und erwartet uns pünktlich auf die Minute. Als ihr vorhin geschlafen habt, habe ich Brix mit einer Nachricht an ihn voraus geschickt“, erklärte ich und deutete anschließend auf die Kutsche. “Steigen wir also wieder ein“, schlug ich vor und postierte mich neben dem Tritt, um den Damen hinaufzuhelfen.


    Als Deandra und Prisca eingestiegen waren, ich ihnen gefolgt und Caecus erneut auf dem Bock Platz genommen hatte, zogen die kräftigen Füchse wieder an und nur wenige Sekunden später rollte die Kolonne wieder weiter, der mansio und auf lange Sicht auch der villa Aurelia entgegen.

  • Ein überraschter Gesichtsausdruck jagte offenbar derzeit den nächsten. Mit einiger Verblüffung schaute ich Corvi an, als er seine Verwunderung darüber äußerte, warum wir in der Kutsche nächtigen wollten. Nicht so sehr seine Verwunderung verblüffte mich, als vielmehr seine Überzeugung, wir hätten genau dieses vorgeschlagen. Ich sicherlich nicht, und auch Prisca hatte ich anders verstanden, aber letztlich war es vollkommen unnütz, auf dieser Sache herumzureiten.


    „Ich für meinen Teil gehe heute sehr zeitig ins Bett“, kündigte ich an, während ich praktischerweise für den Einstieg sogleich auf Corvis Hand zurückgreifen konnte. Mit der anderen fasste ich erneut die Tunika, um nicht in den Saum zu treten. Das schöne Stück hatte ohnehin einige Schandflecke während des heutigen Tages bekommen. Ich bedankte mich mit einem Lächeln für seine Hilfe, denn ich nahm niemals Nettigkeiten, selbst wenn sie zu den normalen Umgangsformen gehörte, als Selbstverständlichkeit an. Ein Lächeln, selbst ein Dankeswort, kostete ja noch nicht einmal Mühe. Anschließend nahm ich Platz.


    Während Corvi Prisca half, kam mir noch ein Gedanke.


    „Aintzane, wir führen doch sicherlich etwas Brot mit uns. Bring mir ein Stück von einem möglichst hellen Fladen“, wies ich meine Sklavin an, die in Hörweite neben dem Einstieg stand. Kurz darauf reichte sie mir etwa ein Viertel eines Brotes, das ich dankbar annahm, sogleich zerbrach und ein Stückchen bedächtig kaute.


    „Nun, dann hoffen wir einmal das Beste für den Rest der Fahrt“, murmelte ich während einer Esspause. Kurz darauf zogen die Pferde an.

  • Sim-Off:

    Tschuldigung! War auf Urlaub und habe es euch leider nicht gesagt... Zeitdruck. :( Bitte um Verzeihung.


    Aintzane hatte sich kommentarlos im Hintergrund gehalten, als es den beiden hochwohlgeborenen Damen in ihren gepflogenen zivilisierten Sitten in ihren mit römischer Bildung bedachten Sinn kam, mit ihren edlen, schönen Mündern die Gegend vollzuspeien, dass es jeder Sau grausen würde. Sie putzte, krampfhaft angestrengt, kein Wort von ihren Lippen entgleiten zu lassen, die Kleider der Römerinnen von den ärgsten Fetzen des Erbrochenen ab.
    Das Wasser und das Brot reichte sie auch nach, obwohl sie dabei gewaltige Bedenken hatte - Nahrung heizte normalerweise den Brechreiz nur noch mehr an - doch sie tat es ohne viel Widerstand, während sie mit ihren Augen die Kutsche nach einem sicheren Plätzchen abtastete. So eines würde sie brauchen, würde diese Schweinerei wieder anfangen.
    Die Kutsche ruckelte los - äußerst unsanft, wie Aintzane fand. Wie dem auch sei, sie würde rechtzeitig zurückspringen können, wenn es einer Römerin zum wiederholten Male beliebte, ihre Umgebung mit Kotze zu verseuchen.
    Als sie darüber nachdachte, war sie zum ersten Mal froh über den ekeligen Fraß, den Sklaven immer zu essen bekamen. Er war wenigstens gesund.

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