atrium et triclinium | "Germanenankunft"

  • Angespannt blickte und lauschte ich noch immer in die Richtung, in der es nun an Marcus war, der kleinen Sisenna beizubringen, dass ihre Eltern nicht, nie wiederkommen würden. Die Götter schienen in diesem Moment ihren Segen gegeben zu haben, denn mein Vetter fand, so sah jedenfalls ich es, sehr einfühlsame Worte, mit denen er Sisenna das für sie kaum Fassbare zu erklären versuchte. Nun betete ich - wieder einmal - darum, die Götter möchten Sisenna die Kraft geben, die Wahrheit langsam zu fassen und irgendwann einmal zu verarbeiten. Einmal sah Corvinus mich währenddessen fragend an; dies war natürlich kein Wunder, denn vor lauter puls-Klamauk und Kyniker-Scherz war ich ja noch gar nicht dazu gekommen, ihm oder jemand anderem der "Germanen" zu erklären, wie Sisenna eigentlich die Nachricht vom Tod ihrer Eltern aufgenommen hatte: nämlich eigentlich gar nicht, regungslos; sie hatte es einfach nicht wahrhaben wollen. Im Stillen machte ich mir heftige Vorwürfe, dass ich in dieser Angelegenheit nicht doch noch mit Brix einen Brief den ankommenden "Germanen" entgegengeschickt hatte, sondern mich ganz hatte gefangen nehmen lassen von diesem - zweifellos gelungenen - Scherz, auf Kosten Sisennas. Nun blieb mir nur, auf Marcus' fragenden Blick pantomimisch zu reagieren: Ich führte meine rechte Hand an mein Ohr und meinen Kopf, um zu signalisieren, dass Sisenna die Nachricht vernommen habe. Dann führte ich meine Hand an meine Brust und meinen Bauch und schüttelte dabei meinen Kopf; dies sollte Corvinus anzeigen, dass Sisenna die Nachricht nicht eigentlich erfasst hatte.


    Ähnlich ans Herz wie die Reaktion Sisennas ging mir nun aber die Geschichte, in die Deandra ihr Leben und ihre derzeitigen Gefühle kleidete. Mein dreijähriger Aufenthalt in Athen bedingte es, dass einiges mir sogar ganz neu war. Vor allem aber nötigte mir die Offenheit, mit der sie nun uns allen ihre Gefühlswelt eröffnete, großen Respekt ab. Gerne hätte auch ich jetzt zu ihr etwas gesagt, doch treffendere Worte, als sie mein Bruder fand, hätte ich sicher nicht aussprechen können. Da sich Deandra jetzt auch direkt an ihn wandte, hüllte ich mich vollends in Schweigen und versuchte nur, ihr mein Mitgefühl durch meinen Blick mitzuteilen. Ich hoffte sehr, dass sich mir irgendwann noch andere Ausdrucksmöglichkeiten dazu bieten würden.


    Je länger ich in diesem Schweigen über Deandras Geschichte nachdachte, je länger ich in mich hineinhorchte, desto mehr spürte ich, dass ich ihr Gefühl der Verlassenheit und Fremdheit nachempfinden konnte. Gewiss hatte ich einige lange und auch befriedigende Gespräche mit meinem älteren Bruder geführt, doch kam ich mir dabei vor wie in unserer Kindheit: immer ein wenig linkisch, immer ein wenig langsam, immer ein wenig zu ernst. Und so sehr ich mich auch darüber freute, nun nach all den vielen Jahren die übrigen Mitglieder meiner gens wiederzusehen, so meinte ich auch jetzt schon wieder zu spüren, dass die gleichen Makel sich auch ihnen gegenüber an mir zeigten. So seltsam es klang, aber sicherer als in meiner eigenen Familie würde ich mich möglicherweise eines Tages auf der rostra fühlen oder gar im Feld.


    Bei all diesen Gedanken tat es gut, dass Lupus, der sie zu erraten schien, nun auf mich zu schritt und mich gar in seine Arme nahm. Gerne erwiderte ich seine Aktion und sagte dann lächelnd:


    "ich danke dir Lupus, aber großer Dank gebührt wirklich dir, und zwar nicht nur für das Schauspiel und für das Mahl. Auch für deine wahren Worte über den Zusammenhalt unserer Familie, für dein Bemühen, diesen zu stärken, und für deine Einfühlsamkeit. Es ist wirklich gut, dass wir hier alle wieder zusammen sind. Und damit meine ich wirklich: alle!"

  • Ich blieb in meiner gehockten Position und lauschte aufmerksam Deandras Geschichte. Sie wirkte nachdenklich, traurig, vielleicht sogar bedrückt, ihr Seufzen sprach dafür und bestätigte meine Meinung. Als sie endete strich ich mir einige male nachdenklich durch den Bart, weil ich nach passenden Worten suchte. Den ersten und der letzten Teil der Geschichte vernachlässigte ich ein wenig, brannte ihn aber dennoch in mir ein. Für mich war der Mittelteil der Geschichte von entscheidender Bedeutung. Der verlorenen, jungen Frau, die natürlich sie selbst sein dürfte, hilft niemand beim tragen. Diese Umstände dürfen nicht so bleiben, mit aller Macht muss dies beendet werden! Mir fielen die poetischen Worte eines Mannes ein der Gryphius hieß. Ich legte ihr meine Hand auf ihr Knie und sagte:


    „Steig aus du müder Geist, steig aus! Du bist am Lande! Steig aus und lasse dich fallen. Bei mir, bei uns musst du nicht stark sein, die Lasten werden dir getragen und auf andere Schulten gelegt!
    Vielleicht hat sich dein ehemaliger Schatten meiner bemächtigt, vielleicht ist das der Grund, der mir nach all den Jahren den Weg nach Hause zeigte.“


    Ich ging noch einmal in mich, langsam wurde es Zeit für die Cena und Prisca möchte nach dem Essen mit ihr hinausgehen, wenn ich das richtig verstanden habe. Ich stand wieder auf und sah Deandra an. Meinen ausgestreckten Arm legte ich auf ihre Schulter und 3 meiner Finger in ihren Nacken. Bewußt sprach ich von erhöhter Position auf sie herab, um ihr eine Brust zu bieten an der sie sich anlehnen kann, wenn der Bedarf bestehen sollte. Ich ging nah an sie heran, ließ meinen Blick in ihren Augen kleben und sagte:


    „In den nächsten Tagen komme ich zu dir. Das ist hier jetzt zu hektisch und es muss zu viel erledigt werden, als dass man für tiefe Gespräche die Ruhe fände!“


    Dann wandte ich mich an meinen Bruder, lächelte ihn, weil ich eine etwas derberen Satz vormulierte.


    „Brüderchen, du kennst mich ja. Einfühlsamkeit gehörte schon immer zu meinen Stärken. Auch das Betonen des Zusammenhaltes der Familie. Eine muss ja die Eier haben solche Dinge einmal anzusprechen und da bin ich nun mal ein Typ für!“

  • Dass ich mit Sisenna beschäftigt war, machte mich keinesfalls blind für die Dinge, die um mich herum geschahen und die Worte, die gesprochen wurden. Während Cotta erneut kund tat, wie froh alle waren, dass wir zurück gekommen waren, schien Deandra betrübt. Prisca und Lupus kümmerten sich um sie.


    Ich wusste ja selbst, dass seit dem Vorfall in Germanien etwas nicht im Lot war, nicht einmal annähernd, aber konnte ich das Übel abwenden, das sie zu verschlingen drohte? Ich trauerte ja selbst noch um meine Eltern. Und dass sie unglücklich war, weil sie ab morgen wieder in der villa Claudia leben würde, verstand ich zwar, schätzte den Unmut darüber aber nicht als so gravierend ein, wie er in Wirklichkeit war. Immerhin waren weder ich noch sie aus der Welt, sie würde in diesem Hause hier stets willkommen sein und Besuche waren binnen kürzester Zeit möglich, da das Anwesen der Claudier nicht unendlich weit entfernt lag.


    Mit Sisenna auf meinem Schoß lauschte ich der Geschichte, die Deandra erzählte. Ich erkannte zwar, dass sich die Erzählung um sie selbst rankte, doch da sie es wie eine Geschichte erzählte, schätzte ich auch hier die Bedrückung nicht als so massiv ein, wie sie eigentlich war. Kaum hatte Deandra geendet, gab Lupus etwas äußerst schlaues zum Besten, und mit aufkeimendem Missfallen bemerkte ich, wie er seine Hand auf Deandras Knie legte. Um sie zu trösten? Das Lächeln wich aus meinem Gesicht und ich musterte die beiden verstohlen, während ich vorgab, etwas von dem Flamingo zu essen. Lupus setzte sich sogleich neben Deandra, die - wie mir gerade zum ersten Mal auffiel - nun keine Aurelia mehr war, sondern nun eine Claudia, und damit war sie sozusagen frei für jedweden Mann, der sich ihrer bemühte - obwohl sie meine Verlobte war. Doch was bedeutete schon eine Verlobung, sie konnte man lösen... Dieser Bissen war nur schwer zu Schlucken. Ich griff nach dem Wein und spülte den hartnäckigen Flamingo hinunter, aber ein schaler Nachgeschmack blieb bestehen. Lupus streichelte Deandra im Nacken, zumindest sah es so aus, und bot ihr seinen Arm zum Anlehnen. Mein Blick bohrte sich in einen der schweren Vorhänge seitlich der Fenster. Nein, ich würde nicht weiter darauf achten, beschloss ich. Stattdessen wandte ich mich wieder Sisenna zu, in der Hoffnung, sie möge endlich etwas sagen.



    Sim-Off:

    8)

  • Nachdem sich zunächst Sisennas Oberlippe bedenklich nach unten gezogen hatte und ein Tränenausbruch nicht mehr fern lag, ging eine Veränderung in dem kleinen Mädchen vor, die offensichtlich zum ersten Male gestattete, die Möglichkeit, ihre Eltern nie wiederzusehen, an sich heranzulassen. Immer wieder schwirrten ihr die Worte im Kopf herum, dass Mama und Papa irgendwo wohnten, es ihnen gut ging und sie in Gedanken bei ihr waren.


    „Du meinst, dass Papa jetzt wieder bei Mama ist?“„Oder doch nicht?“


    Wenn das der Fall wäre, dann lag es also doch an ihr, dass Papa fortgegangen war, denn erst als sie alleine in Rom weilte, kehrte er offensichtlich zu ihrer Mama zurück. Hinter der Kinderstirn arbeitete es heftig. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass es wichtiger war, wenn es Mama gut ging, denn vor allem ihr ging es ja damals so furchtbar schlecht. Sie selbst bekam eben nun die Strafe für ihre Unartigkeit, die beschmutzten Kleider und das heimliche Aufstehen bei Nacht.
    Noch immer ließ Sisenna Corvinus’ Kopf nicht los, er diente ihr inzwischen als Stütze, auch wenn der Onkel überhaupt nicht mit seinen Gedanken bei ihr war. Das merkte sie. Aber sie war es ja gewohnt, ständig übersehen zu werden.


    Auf jeden Fall wollte sie sich den Wohnort zeigen lassen, denn das eröffnete die Möglichkeit, einmal ihre Eltern besuchen zu gehen, wenn sie groß genug dafür war.


    „Gleich heute Abend?“, fragte sie daher Onkel Corvinus hoffnungsvoll. Ihre Hände fanden rechts und links nahe seines Halses Platz, sie lächelte wieder und legte noch ein Quäntchen mehr an Intensität in ihren Blick. „Ja, das möchte ich. Wie lange muss ich denn noch warten?“


    Sisenna besaß kein Zeitgefühl. Ihr war es am liebsten, wenn alles schnell ging. Dann jedoch fiel ihr eine schwierige Frage ein, die sie nicht beantworten konnte. Ihr Gesicht wurde sehr ernst, als sie zu flüstern begann.


    „Und was passiert jetzt mit mir? Kleine Häschen werden steif, wenn die Mama ZU lange fort ist.“


    Sisenna wusste das mit unumstößlicher Sicherheit, hatte sie doch einmal ein Hasennest entdeckt und anschließend jeden Tag nachgesehen, ob die Mama bei den Hasenbabys war. Anfangs haben die Kleinen gewimmert, dann wurden sie still und eines Tages waren sie steif und bewegungslos. Sisenna weinte längst nicht mehr, sie war bereits still. Ob sie auch bald steif sein würde?

  • Erst nachdem ich mit meiner Geschichte geendet hatte und aufblickte, bemerkte ich, dass ihr bei weitem nicht nur Lupus gefolgt war. Cottas Blick übermittelte Verständnis, fast sah es nach Anteilnahme aus. Ich schaute flüchtig zu Prisca, die nun bereits vor dem geplanten Gespräch im Garten im Bilde war, aber sicherlich konnte ich mit ihr noch mehr teilen.
    Corvi indes wirkte unbeteiligt, er aß, seine Interesse schien auf anderen Dingen zu liegen.


    Lupus’ Hand auf meinem Knie band kurz darauf meine Aufmerksamkeit, ich wandte mich ihm zu und lauschte seinen Worten. Zwar wusste ich nicht, wie meine Last tatsächlich auf andere Schultern zu legen war, gab mich aber im Moment der Illusion hin, es könnte genau das geschehen. Die Vorstellung allein war schon tröstlich. Der vernehmliche Seufzer zeugte von Erleichterung, nicht von erneuter Schwermut.


    Als Lupus meine Bezeichnung des Schattens aufnahm und weitere Erklärungen fand, lächelte ich sanft. Ich nickte, fast mehr mit den Augen als mit dem Kopf. Mehr war nicht nötig, es war alles gesagt, weit mehr als an Worten gefallen war. Lupus kannte mich, abgesehen von Corvi, besser als jeder andere in diesem Raum. Ich blickte zu Corvi, der, wäre er aufmerksam, zu genau derselben Erkenntnis wie ich kommen musste, aber er staunte - für mich unverständlich - nur die Vorhänge an. Ich verstand weder sein Desinteresse noch seine fortwährende Distanz. Von ihm hätte ich mir den Vorschlag gewünscht, der nun von Lupus kam. Und zwar sowohl die beruhigende Geste seiner Hand als auch das Angebot, endlich einmal ein Ohr für meine Sorgen zu haben. Zwar kümmerte er sich aufopferungsvoll um den Zusammenhalt der Familie, sorgte für die Finanzen, das Ansehen, die Versorgung jedes einzelnen, aber für meine Bedürfnisse war er entweder blind oder sie erschienen ihm nicht wichtig zu sein.


    Und was verlockt eine Frau, die über Wochen, ja Monate, niemanden zum Reden hat? Die allen Kummer in sich hineinfrisst? Der niemand zuhört, selbst wenn sie vorsichtige Andeutungen macht?
    Ich lächelte Lupus dankbar an, der nicht erst fragte, sondern einfach kategorisch festlegte, sie in den nächsten Tagen besuchen zu kommen. Das war nun immerhin eine positive Aussicht bei all dem Negativen, das ich mit meinem Umzug in die Villa Claudia verband.


    Um jedoch Corvi nicht vor den Kopf zu stoßen, indem ich mich zu sehr von Lupus’ einfühlsamen Verhalten angetan zeigte, ließ ich dessen burschikose Aussage so stehen und vermied, nochmals die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.


    „Wie geht es euch? Langsam bekomme ich einen dicken Kopf und Müdigkeit stellt sich ein.“


    Natürlich machte ich noch keine Anstalten aufzustehen, denn die Rücksicht gebot, die ungeklärte Situation mit Sisenna noch abzuwarten.

  • Nachdem Deandra ihrem Vorschlag, etwas später in den hortus zu gehen, zugestimmt hatte, nickte Prisca ihr noch einmal aufmunternd zu und wollte sich zunächst wieder der ganz Rolle der Zuschauerin widmen. Zufrieden betrachtete sie die wundervollen Speisen auf ihrem Teller und probierte eine von den Austern. Im selben Moment vernahm sie die Stimme von Cotta, der offensichtlich beruhigt war, dass sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte. Oder wollte er sie gar mit der puls-Geschichte aufziehen? Fast erschien es ihr so, als er nun lachend auf Lupus deutete.


    Ihren Unmut hatte sie ja bereits mit Worten zum Ausdruck gebracht. Nun verdeutlichte sie es Cotta gegenüber noch einmal wortlos, indem sie auf ihren Teller mit den Kostlichkeiten deutete und dazu nickte und anschließend mit ernster Miene auf den leeren puls-Topf zeigte und ihre Hand verneinend schüttelte. Dann wurde ihr bewusst, wie komisch es wohl ausgehen haben muss, als sie auf den Scherz herein gefallen waren und lachte mit Cotta zusammen.


    Weiter sagte Prisca dazu nichts und mit einem leisen Seufzer genoß sie das nächste Stück von dem köstlich gebratenem Pfau. Welches sie allerdings fast zu kauen vergaß, als Deandra eine Geschichte erzählte, die sich ganz nach ihrer eigenen anhörte. Dann trat auch schon Lupus an sie heran und was er tat wirkte sehr vertraut, so als würden sich die beiden schon lange kennen. Prisca empfand nichts Außergewöhnliches dabei, es war eben eine liebe und vertraute Geste unter Verwandten, die sich schon länger kannten. Trotzdem verfolgte sie das Geschehen weiterhin mit Neugier.


    Vielleicht hätte Prisca das Stück Pfau in ihrem Mund noch ganz vergessen, wenn nicht Sisennas Worte sie nicht gänzlich verwundert hätten und sie das zarte Fleisch des Vogels augenblicklich hinunter schluckte. Was sprach sie da nur von kleinen Häschen die steif wurden und was hatte das mit ihr zu tun? Prisca verstand im Moment gar nicht, von was das kleine Mädchen da redete, als sich kurz darauf Deandra ihrerseits nach dem allgemeinen Befinden erkundigte. Ohne Worte schloss sich Prisca zunächst dieser Frage an, blickte in die Runde und wartete auf die weiteren Reaktionen, die folgen sollten.

  • Nachdem mein Bruder Lucius und ich uns voneinander gelöst hatten, wandte er sich Deandra zu, und zwar nicht nur mit den Worten eines mir ganz und gar unbekannten Dichters, sondern auch mit einigen sehr vertraulichen Gesten. Ich war so verdutzt, dass es mir längere Zeit nicht gelang, meine Augen von den beiden abzuwenden; angestrengt suchte ich in meinen Erinnerungen die Frage zu beantworten, ob die beiden sich noch von früher her so nahestanden, konnte das Rätsel aber nicht lösen. Womöglich rührte ihre enge Bekanntschaft aus einer Zeit, in der ich entweder noch nicht gelebt hatte oder noch zu klein war, schließlich war ich ja jünger als sie beide. So wandte auch ich mich schließlich wieder ab und wollte dem Ganzen, mittlerweile ein Stück vom Turteltäubchen kauend, gar keine tiefere Bedeutung beimessen, als mein Blick auf Corvinus fiel. Er bemühte sich darum, unbeteiligt zu wirken, doch konnte ich deutlich sehen, dass auch er die Situation zwischen Lucius und Deandra angespannt beobachtete. Dies machte nun auch wiederum mich nachdenklich; ich schaute wieder zu Deandra, die ihrerseits immer wieder verstohlen zu Corvinus hinsah. Ein Gedanke kam in mir auf: Fühlte sie sich möglicherweise von ihm vernachlässigt und wollte ihn mit ihrem jetzigen Betragen, nun, aus der Reserve locken? Marcus war zweifellos ein Mann, der den Frauen gefiel - zu gut gefiel, vielleicht? Aber von solchen Dingen verstand ich ja noch nicht viel ...


    So blickte ich wieder zu Prisca, welche die Szene zwischen Deandra und Lupus auch beobachtete. Einige Momente vorher hatte sie mir erst einen strafenden Blick - offenbar noch wegen des puls-Scherzes - geschenkt, dann aber mit mir offenbar über denselben Scherz gelacht. Ich war beruhigt, dass sie mir vielleicht doch nicht dauerhaft böse sein würde, denn irgendeine Stimme sagte mir, dass es nicht gut sei, es sich mit dieser energischen und sicherlich höchst intelligenten und raffinierten jungen Frau zu verderben. :) Jetzt blickte sie wieder zu Sisenna, und mein Blick folgte dem ihren.


    Das Mädchen hatte sich mittlerweile ganz an Corvinus heran gekuschelt, was mich ein wenig verwunderte, da sie ihn doch auch gar nicht kannte; offenbar wirkte sein Charme nicht nur bei erwachsenen Frauen. Allerdings war es auch ihm noch nicht ganz gelungen, Sisenna mit der vollständigen Wahrheit über ihre Eltern vertraut zu machen. Ihr Satz über die steifen kleinen Häschen ließ mich aber aufhorchen. Zum einen erinnerte er mich an meinen Ankunftstag in der villa Aurelia in Roma, als sie mir im Garten ihre Schnecken gezeigt hatte - hatte sie ein ähnliches Nest auch mit kleinen Hasen entdeckt? Und zum anderen assoziierte ich mit den steifen Häschen sofort tote Häschen - und nahm dies als einen Hinweis darauf, dass Sisenna sich jetzt doch allmählich mit dem Gedanken an den Tod zu beschäftigen begann. Doch natürlich erschreckte mich diese Assoziation auch, denn Sisenna bezog diesen Tod ja offenbar auch auf sich. Wie gerne hätte ich jetzt etwas zu ihr gesagt, hätte an die Schnecken im Garten angeknüpft, doch da sich die Kleine so ganz an Corvinus schmiegte, wollte ich mich in keiner Weise dazwischen drängen, auch nicht verbal. So nickte ich meinem Vetter nach meinem pantomimischen Hinweis von vorhin jetzt nur bestätigend zu, dass er meiner Meinung nach mit Sisenna die richtige Spur verfolgte.


    Inzwischen deutete Deandra an, sich zurückziehen zu wollen, verharrte dann allerdings noch, offenbar mit Rücksicht auf Sisenna. Diese Gelegenheit wollte ich nutzen zu einer Äußerung, die mich unter Umständen sehr unbeliebt machen konnte, die ich jedoch um Deandras willen für notwendig hielt; auf mich kam es dabei nicht an. Ich versuchte, mir einen möglichst unbeteiligten, ja einfältigen Gesichtsausdruck aufzusetzen - manche in Athen hatten behauptet, dies gelinge mir immer dann, wenn ich an Frauen dächte -, und sagte dann:


    "Deandra, es ist schade, dass du nicht bei uns bleiben kannst. Aber gestattet mir eine dumme Frage: Wie sind denn die Claudier so? Ich hatte ja noch wenig Gelegenheit, welche von ihnen kennen zu lernen."

  • Wässrig glänzten bereits Sisennas Augen, sie sah ganz danach aus, als würde sie jeden Augenblick zu weinen anfangen, doch da geschah das Wunder und das überschüssige Tränenwasser verschwand allmählich, ohne in dicken Krokodilstränen über die kindlichen Pausbäckchen zu rollen, was mich sicherlich bewegt hätte.


    Sisenna hatte ich im zarten Alter von weniger als einem Jahr das erste Mal gesehen. Damals hatte mir ihre Mutter das kleine Bündel mit den dunklen Locken in die Arme gelegt, und ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Mädchen überhaupt anfangen sollte. Zu allem Überfluss hatte sie auch recht bald zu schreien angefangen, und man nahm sie wieder fort, damit die Amme die Kleine füttern konnte. Unser nächstes Aufeinandertreffen hatten wir, als Sisenna zweieinhalb Jahre alt gewesen war. Sie wackelte da bereits aufgeweckt durch die villa, und ihre Mutter litt bereits an tiefen Depressionen, die nichts und niemand zu lindern vermochte. Letztendlich gestorben war Icela allerdings an Wundbrand. Dies ging mir im Kopf herum, als sie mir so nahe war und so jung bereits mit dem Tod konfrontiert wurde.


    "Doch, das meine ich", erwiderte ich leise und lächelte Sisenna an. "Sie warten auf dich und uns alle, und wenn es an der Zeit ist, werden wir sie wiedersehen." Ich musste mich in den Verstand einer Fünfjährigen versetzen, was gar nicht so leicht war, wie ich feststellen musste. Sisenna gehörte nun wieder meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit, weswegen ich Cottas Nicken auch nur am Rande wahrnahm. "Gleich heute Abend", bestätigte ich ihr also nickend. "Du musst warten, bis es richtig dunkel ist und man ohne Fackel nichts mehr erkennen kann. Ich werde dich abholen kommen, und dann gehen wir zusammen, in Ordnung?"


    Kaum wurde sie ernster und erwähnte die Häschen, musste ich ihr unwillkürlich über die Wange streichen, so spielend gewann sie mein Herz für sich. "Die Häschen sind doch noch ganz klein und müssen bei ihrer Mutter trinken. Du bist schon größer und kannst ganz allein essen. Da mach dir mal keine Gedanken, du wirst nicht steif werden, Sisenna. Außerdem passen wir alle auf, dass dir nichts passiert. Pass auf, wir vereinbaren jetzt was - wenn es dir nicht gut geht, du traurig bist oder dir etwas weh tut, dann sagst du einem Sklaven Bescheid und der sagt mir dann Bescheid. Und dann komme ich schnell gucken, wie ich dir helfen kann. Einverstanden? Du darfst aber nicht schummeln und nur so tun als ob." Hatte ich ihre Sorgen zerstreut? Ich hoffte es.

  • Sisennas Blick wanderte von Corvis rechtem Auge zu seinem linken und anschließend mehrfach hin und zurück, als er erzählte, sie könnten ihre Eltern alle wiedersehen, wenn es an der Zeit ist. Wann diese Zeit jedoch heran war, sagte er allerdings nicht, was sie zunächst traurig stimmte, aber letztlich verdrängte, weil sie befürchtete, die Antwort könne ihr nicht gefallen.
    Zum weiteren Nachdenken kam sie ohnehin nicht, weil der Vorschlag von Onkel Corvinus langsam Gestalt annahm. Ihr Mund öffnete sich zu einem Staunen, als sie von der Aussicht hörte, heute einmal länger als sonst aufbleiben zu dürfen, denn bisher durfte sie nie nach dem Einbruch der Dunkelheit ihr Zimmer verlassen. In ihr erwachte der Unternehmungsgeist. Sie schloss den Mund und schluckte.


    „Abgemacht, du holst mich ab“, bestätigte sie mit glänzenden Augen.
    Vergessen war die Sorge um das Schicksal der kleinen Häschen und ihr eigenes, denn nicht nur die Aussicht auf ein nächtliches Abenteuer sorgte dafür, sondern auch das überzeugende Argument, sie könnte bereits alleine essen. Heftig nickte sie, um die Richtigkeit der Vermutung zu überstützen. Sie lehnte sich nach vorn, wobei sie sich an Onkel Corvinus’ Tunikarand und Halsansatz festhielt, während sie ihr Gewicht einsetzte, um an seinen abgestellten Teller zu gelangen und ein Stückchen Fleisch zu stibitzen.


    „Siehst du?“, fragte sie mit einem triumphierenden Lächeln, als sie sich ihm wieder zugewandt hatte und steckte anschließend das Fleisch mit samt den Fingern in den Mund. Die Lippen strichen über die Finger, als sie diese herauszog. Genüsslich kaute sie, denn inzwischen verspürte sie auch großen Hunger.


    Noch immer weilte ihr Blick auf seinem Gesicht. Sie hörte aufmerksam der Vereinbarung zu, bei jedem Wehwehchen nach ihm rufen zu können. Flüchtig zweifelte sie daran, ob der Onkel sein Versprechen wohl lange einhalten würde, daher wurden ihre Augen wieder ungläubig groß und sie stellte das Kauen ein. Schließlich sagte sie sich, man könne es ja einmal ausprobieren, ob der Onkel sein Wort hielt. Sie reckte ihre rechte Hand nach oben, die Finger waren abgespreizt. Wenn er jetzt einschlug, war der Packt besiegelt, auch wenn es ihr durchaus Sorge bereitete, woher er wusste, dass sie manchmal schummelte.

  • Längst hatte ich den einerseits lustigen andererseits aber auch zunächst schockierenden Empfang vergessen. Lupus brachte meine Gedanken wieder auf das Generalthema der letzten Tage und Wochen zurück: Der Verlust meiner einstigen Eltern, die damit verbundene Einsamkeit, der zukünftige Verlust meines Elternhauses und damit die Trennung von all und jedem, der mir vertraut war. Und immer, wenn ich bei diesem Resümee angelangt war, verlor ich das Interesse an meinem Umfeld, sank meine Aufmerksamkeit, nahm ich selbst offensichtliche Gesten und Regungen Umstehender nicht mehr wahr. Mir entging Corvis dezente Musterung ebenso wie Cottas Beobachtung, weil ich mit Lupus beschäftigt war. Hätte jedoch Cotta seine Gedanken laut geäußert, mein Erstaunen wäre sehr groß gewesen. So groß, dass ich entweder vor Verblüffung sprachlos gewesen wäre oder zu einer längeren Erklärung angesetzt hätte.


    Natürlich fühlte ich mich vernachlässigt, hochgradig sogar, das hätte ich ohne Einschränkung bestätigt. Bei aller Enttäuschung über die fehlende und dabei so stark benötigte Stütze … aber zu einer Taktikerin hätte mich selbst dieser Mangel nicht gemacht. Und selbst wenn ich fähig wäre, durch geplantes Verhalten Menschen zu manipulieren, es wäre ein Armutszeugnis gewesen, würde ich es bei demjenigen anwenden, der mir am wichtigsten war. Neben dem fehlenden Vermögen, taktisch raffiniert zu sein, stand aber auch mein Stolz einer solchen Handlungsweise entgegen. Ich würde niemand je dazu nötigen, Aufmerksamkeit zu geben. Kein Schicksalsschlag würde mich je zu einer direkten oder indirekten Bettlerin machen. Bei diesem Gedanken angelangt, hob ich automatisch das Kinn um eine Nuance.


    Zur Diskussion standen demnach die fehlende Unterstützung, Fürsorge, Geborgenheit, Halt, nicht aber die Liebe, darin irrte Cotta. Es spielte keine Rolle, ob Corvi den Frauen gefiel. Nichts war so unerheblich wie das.
    Ich mochte mich alleingelassen und unverstanden fühlen, aber weder an meinem Wert noch an seiner Liebe zweifelte ich. Es gab Dinge, die befanden sich außerhalb jeglicher Erörterung. Irgendwann würde ich sicherlich auch einmal Cottas generelle Auffassung darüber erfahren, heute bot sich dafür wenig Gelegenheit. Genau betrachtet bot allerdings die weitere Zukunft auch kaum Möglichkeiten dafür. Ich seufzte und befand mich wieder am Ausgangspunkt meiner Gedanken. Es war ein Kreislauf, den ich nicht zu durchbrechen imstande war.


    Neben diesen Bedürfnissen, die seit langem unerfüllt geblieben waren, stellte ich allerdings fest, inzwischen durchaus gesättigt zu sein. Durst verspürte ich ebenfalls nicht mehr. Ich lehnte mich vor und stellte den Teller, den ich noch immer in den Händen hielt, ab. Einen Moment sann ich nach, dann setzte ich mich wieder aufrecht hin und wandte mich zu Prisca.


    „Möchtest du noch einen Spaziergang durch den Garten machen?“ Meine Frage beinhaltete sowohl die Möglichkeit, der Verabredung nachzukommen, als auch ohne weiteres zu verschieben, weil ich ja bereits das Grobe in dieser Runde erzählt hatte. „Entscheide ruhig ganz frei, für mich wäre alles in Ordnung“, fügte ich daher lächelnd an.


    Während ich Prisca Zeit zum Überlegen einräumte, stellte Cotta eine äußerst schlaue Frage. Ab sofort kreisten meine Gedanken darum, wie die Claudier so sind, und da ich zum jetzigen Zeitpunkt Ofella noch nicht kannte, nahm mir die recht schnell einsetzende Erkenntnis einiges an Furcht vor der Zukunft. Ich suchte den Blickkontakt zu ihm und machte eine einsichtige Kopfbewegung, die einem seitlichen Nicken gleichkam.


    „Die Claudier sind eine befreundete Familie“, antwortete ich schmunzelnd. „Mein Vater ist ein langjähriger Freund der Aurelier, ich habe jetzt auch eine Schwester – Epi. Das ist schon schön“, gab ich zu und senkte den Blick. Aber wenn mich jemand gefragt hätte, wo ich leben möchte, dann doch eher in dem Haus, wo ich meine Kindheit verbrachte, und bei den Menschen, die seit langem meine Verwandten waren, die mich kannten und aus dem Herzen liebten.

  • Neben vielen anderen Aufgaben im Haus, wenn sie nicht gerade die kleine Sisenna bei ihren Spielen und ihrer freien Zeit beaufsichtigen musste, war an diesem Abend Cadhla wie fast allen anderen verfügbaren Sklaven die Verpflichtung zugefallen, die heimgekehrten Aurelier zu bedienen, auf dass sie angemessen und im würdigen Rahmen ihre Rückkehr feiern konnten. Cadhlas Aufgabe dabei war es, die schweren, massiv aus Bronze und anderen edlen Metallen getrimmten Weinkrüge zu tragen, denn ihre durch jahrelanges Kampftrainig vorhandene Körperkraft war in der Küche schnell aufgefallen und wurde inzwischen immer wieder gern genutzt - zudem sah sie in ihrer einfachen, sauberen weißen Tunika wohl angenehmer aus als die meisten männlichen Sklaven, die sonst für solche Aufgaben eingesetzt wurden.


    So hielt sie sich abseits, hob die Krüge immer wieder, wenn neue Becher gefüllt werden sollten, und beobachtete ansonsten stumm, wie sich die Familie wieder zusammenfand und die einzelnen Aurelier miteinander sprachen. Es war zudem eine gute Übung ihres Lateins, denn auch wenn sie sich mittlerweile recht gut verständigen konnte, es gesprochen zu hören half immer wieder, sich zu verbessern, und das Latein der geborenen Patrizier klang so viel anders als das der anderen Sklaven. Als sie Cottas Blick durch den Raum schweifen sah, dachte sie für einen Moment, er hätte sie bemerkt, aber er zeigte keine Anzeichen, dass sie ihm aufgefallen wäre, so blieb sie mit ihren Gedanken unangetastet - und fragte sich im Stillen, welcher dieser vielen Römer denn nun ihr eigentlicher Besitzer war.

  • Während Deandra, Lupus und Cotta plauderten, unterhielt ich mich mit Sisenna. Sie schien sichtlich erstaunt über die geheimnisvollen Ausführungen der Idee, die mir spontan in den Kopf gekommen war. Und ich hatte da noch so einiges auf Lager, aber das würde ich Sisenna dann am Abend zeigen, nachdem ich ein Bad genommen hatte, denn - wie ich fand - ich roch fürchterlich. Schmunzelnd betrachtete ich, wie Sisenna meine Worte auf dem Fuße zu bestätigen suchte, ob für sich selbst oder für mich, das blieb mir ein Rätsel. Fakt aber war, dass sie - wie alle Kinder - unbewusst niedlich wirkte und allein deswegen schon mein Herz im Sturm erobert hatte. Lachend bestätigte ich ihr: "Ja, ich sehe es." und betrachtete anschließend den Speisebrei in ihrem halb offenstehendem Mund, als sie das Kauen eingestellt hatte und mich mit großen Augen ansah. Ich grinste, hob die Hand und legte ihr den Zeigefinger unter das Kinn, um ihr sanft den Mund zu schließen. "Nana, edle Damen zeigen niemandem das Essen in ihrem Mund", scholt ich sie in freundlichem Tonfall und schlug dann locker ein. "Also, abgemacht."


    Mit einem Ohr schnappte ich auf, wie Deandra über ihre neue Familie sprach, und flüchtig taxierte mein Blick Lupus und ortete ohne mein Zutun seine Hände. Kurz fing ich seinen Blick auf, setzte rasch ein unverbindliches Lächeln auf und wandte mich dann an Cotta. "Lieber Vetter, ein wirklich gelungenes Willkommensmahl. Dann gehe ich davon aus, dass Brix meine Botschaft doch übermittelt hat? Ah, und wie ich sah, bist du meinem Anliegen nachgekommen. Eine Menge neuer Gesichter befinden sich unter den Sklaven. Das ist gut, ich würde später gern ein Bad nehmen und eine Massage genießen - wen kannst du mir von den Neuen empfehlen?" fragte ich ihn und griff nach dem Teller, um ihn so zu halten, dass sowohl Sisenna als auch ich beide bequem an ihn heranreichten. Deandra bekundete, müde zu sein, und ich warf ihr kurz einen forschenden Blick zu. War ihr der Rummel zu viel oder hatte die Krankheit, die sie den Eiern zu verdanken hatte, sie doch stärker im Griff als vermutet?

  • Noch immer beobachtete ich Deandra aufmerksam, versuchte dies allerdings zu verbergen, indem ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Ich sah dabei auch Cadhla, die sich irgendwie an den schweren Weinkrügen zu schaffen machte; gedankenverloren fragte ich mich, warum man ausgerechnet eine weibliche Sklavin für diese körperlich anspruchsvolle Arbeit eingeteilt hatte, zumal sie sich doch hauptsächlich um Sisenna kümmern sollte. Plötzlich aber erwachte ich wie aus einem Traum: Cadhla! Die hatte ich ja bei all dem Trubel ganz vergessen! Unwillkürlich griff ich mir an den Kopf und winkte die Sklavin dann zu mir; Corvinus Anrede an mich kam da wie gerufen.


    "Du hast es also bemerkt:",


    leitete ich schmunzelnd ein,


    "Ja, Brix ist natürlich wohlbehalten bei uns angekommen. Und seitdem hat Lupus kaum noch geruht, euch mit der Begrüßung und diesem Festmahl eine Freude zu machen; ihm gebührt der Dank."


    Meinem Gerechtigkeitssinn war es sehr zuwider, fremde Ehre einzuheimsen, und so konnte ich es nicht unterlassen, noch einmal laut meinen Bruder zu loben. Auf der anderen Seite wollte ich auf diesem Thema aber auch nicht insistieren, war mir doch ein neuerlicher arwöhnischer Blick Corvinus' auf Lupus und Deandra nicht entgangen. Ein weiteres Lob würde ich nun an Leone und Alexandros verteilen wegen Cadhla.


    "Du sprachst, Corvinus, gerade von vielen neuen Gesichtern unter den Sklaven. Ich möchte dir Cadhla vorstellen, die Alexandros und Leone in deinem Auftrag hier in Roma erstanden haben. Sie ist Keltin und hat sich in den letzten Wochen vor allem sehr um Sisenna gekümmert, besitzt aber noch viele andere Fähigkeiten."


    Es bedurfte keiner weiteren Worte von meiner Seite an meinen Vetter; von diesem wusste ich - und sein Umgang mit Sisenna bisher hatte es nur bestätigt -, wie einfühlsam er auf die sensible Keltin eingehen würde. Dieser wandte ich mich nun zu:


    "Cadhla, das ist nun dein dominus: Marcus Aurelius Corvinus."


    Ich lächelte ihr aufmunternd zu und hoffte, dass sie sich all der Worte erinnerte, mit der ich ihr in den vergangenen Wochen ihren dominus bereits als guten und edlen Menschen vorgestellt hatte. Wegen Sisenna fügte ich an Corvinus gerichtet noch an:


    "Ich bin wirklich froh, dass du jetzt hier bist. Cadhla wird sich sicher freuen; und wegen Sisenna freut es mich am meisten."


    Dabei lächelte ich ihn dankbar an. Die ganze Runde schien sich jetzt ein wenig in Auflösung zu befinden; Deandra hatte Prisca schon direkt nach einem Spaziergang gefragt. Ihre Antwort zu meiner Frage nach den Claudiern war zu meinem Leidwesen sehr diplomatisch ausgefallen, und es würde ja wahrscheinlich so bald keine Gelegenheit mehr für mich geben, mit ihr zu sprechen. Oder doch?


    "Deandra, es freut mich für dich, dass du bei den Claudiern so warm aufgenommen worden bist. Über Menecrates und über Epicharis habe ich auch nur Gutes gehört. Für mich bleibst du aber immer auch ein Mitglied der Aurelier. Vielleicht kann ich dich bei den Claudiern einmal besuchen?"

  • Auf Cottas Frage hin hörte Prisca aufmerksam zu, was Deandra über die Claudier zu berichten hatte. Leider hatte sie selbst zu dieser Gens noch keine persönlichen Kontakte, was sich aber, durch die Verbundenheit der beiden Familien, hoffentlich künftig ändern würde. Die aktuellen Gesprächsthemen weckten jedoch eher weniger Prisca´s Willen, sich daran zu beteiligen. Ihr Onkel schien sich mit zunehmenden Erfolg um Sisenna zu bemühen, das freute sie zwar, aber der Gesprächsinhalt war wohl doch eher nur für die beiden interessant . Auch als es um die neuen Sklaven ging verstand Prisca nicht ganz, warum dieses Thema hier so ausführlich behandelt wurde. Gut - ohne das Prisca bewusst darauf geachtet hätte, war auch ihr diese eine Sklavin schon aufgefallen, die nun gerade ihrem Onkel vorgestellt wurde. Mit ihren roten Haaren und der weißen Tunika war diese Sklavin, zwischen all der anderen namenlosen Sklavenschar, auch wirklich hübsch anzuschauen, das musste sogar Prisca zugeben.


    Allerdings beschäftigte Prisca eine andere Frau und eine ganz andere Frage momentan viel mehr. Es war Deandra, die sie wegen ihrer direkten Art so schätzte und deren stets souveränes Auftreten sie insgeheim bewunderte. Sie schien an dem gemeinsamen Spaziergang heute, nicht unbedingt mehr fest halten zu wollen. „Ist sie wirklich nur müde? ... dann hätte sie es mir doch einfach nur zu sagen brauchen. Deswegen bin ich ihr doch wirklich nicht böse. .. Andererseits scheint sie etwas sehr zu beschäftigen. Vielleicht noch immer der Tod ihrer Eltern? ... das wäre nur verständlich. Oder ist da noch etwas anderes? Die ganze Fahrt über hatten wir ja leider nie die Möglichkeit, uns einmal ganz in Ruhe und ungestört darüber zu unterhalten. Vielleicht ist auch jetzt nicht der richtige Zeitpunkt und sie möchte nur nicht unhöflich wirken.“ Prisca konnte es sich einfach nicht so recht erklären, was gerade in Deandra vorgehen mochte.


    Während sie noch so darüber nachgrübelte merkte Prisca, dass sie selbst noch lange nicht müde war - Im Gegenteil - war sie anfangs noch erschöpft von der langen Fahrt gewesen, so zog es sie jetzt förmlich hinaus ins Freie, um sich etwas zu bewegen. Das lag mit Sicherheit an der wochenlangen Beengtheit in den Reisewägen und es würde wohl noch etwas dauern, bis sie sich langsam wieder um- und eingewöhnt hätte. Die Nachfrage Cottas kam Prisca daher sehr gelegen, um die Initiative für einen Spaziergang jetzt oder nie zu ergreifen, ohne Deandra selbst dazu zu drängen.


    "Entschuldigt ihr mich bitte einen Moment. Aber nach dem vielen guten Essen muss ich mir unbedingt noch etwas die Beine vertreten. Schuld daran ist nur das lange Sitzen während der Reise. Ich muss mich wohl erst wieder an ein normales Leben, ganz ohne Reisewägen, gewöhnen ..." scherzte sie und beantwortete damit auch die Frage von Deandra mit, als sie sich nun aus ihrem Sessel erhob. Sie sprach gerade so laut, das jeder es bemerkten mochte, denn ganz verabschieden wollte sie sich ja noch nicht. Kurz legte sie ihre Hand auf die Schulter von Deandra, beugte sich etwas zu ihr und schlug ihr vor. "Komm einfach nach, du findest mich im Garten. ... und falls es zu spät für dich sein sollte, dann holen wir unseren gemeinsamen Spaziergang eben ein anderes Mal nach!" Dann richtete sie sich wieder auf und zwinkerte Cotta noch kurz zu " ... Du und Lucius hebt mir doch sicher etwas von den Nachspeisen auf, oder? ... aber wehe, ich finde auch nur einen Löffel puls auf meinem Teller, wenn ich zurück bin!..." mit einem leichten Grinsen lies Prisca die scherzhafte Drohung offen, zupfte stattdessen ihre stola zurecht und verlies dann das triclinum in Richtung des hortus.

  • Bevor mir Prisca antworten konnte, ergriff Cotta noch einmal das Wort. Es ging zum wiederholten Male um Corvis Brief und Lupus' Vorbereitungen für unser Eintreffen, weswegen ich mich bereits wieder Prisca zuwenden wollte, als eine überaus verblüffende Wendung eintrat: Cotta stellte Corvi eine Sklavin vor, als wäre sie ein Gast, eine Römerin oder sonst eine wichtige Person. Mir blieb der Mund offen stehen, ich wandte mich zu meinem ehemaligen Verwandten um und starrte ihn ungläubig an. Gehörte diese Szene ebenfalls zu den witzigen Einfällen, die Lupus geplant hatte?


    „Äh“, entfuhr mir, nachdem sich diese Überlegung als Irrtum herausgestellt hatte, weil Cotta mit ernsthaftem Gesichtsausdruck nun auch noch Corvi dieser Sklavin vorstellte. Ich realisierte nach einigen Schrecksekunden, dass sich zum Glück niemand außer Familienmitgliedern im Raum befand, schloss wieder den Mund und schluckte. Seine nachfolgenden Worte, die an mich gerichtet waren, zogen annähernd unverarbeitet an mir vorbei. Ich nickte geistesabwesend und bemerkte im selben Augenblick, dass Prisca Anstallten machte, sich zu verabschieden.


    „Oh bitte, Prisca“, erwiderte ich hastig. „Warte auf mich!“ Ich verspürte das starke Bedürfnis, mich aus dieser Runde zu verabschieden. Ohne die auf den Lehnen liegenden Arme zum Abstützen zu benutzen, wohl aber als Halt benutzend, erhob ich mich. Nervös strich ich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Bei den Göttern! Der sich bereits in Wohlgefallen aufgelöste Schreck hatte mich erneut erfasst.


    Ich warf Corvi einen Blick aus verstört wirkenden Augen zu und bemühte mich, Prisca auf dem Weg in den Garten einzuholen.


    Sim-Off:

    Wer zuerst die Lust verspürt, eröffnet einfach den Gartenthread, okay? :)


    edit: Link eingefügt.

  • Prisca hatte gerade die Tür des triclinums hinter sich gelassen, als sie eine vertraute Stimme hinter sich vernahm. Sofort blieb sie stehen und drehte sich zu Deandra um. "Schön, das du mich gleich begleiten willst!" bemerkte sie lächelnd und und freute sich, dass sich Deandra so spontan dazu entschlossen hatte, mit zu kommen.


    Gemeinsam gingen sie nun hinaus in den Garten, um die Stimmung des langsam einsetzenden Sommerabends zu geniessen.



    Sim-Off:

    genau so machen wir es! :)

  • Während Sisenna scheinbar glücklich mampfte, unterhielt ich mich nun also mit Cotta. "Na, es war ja auch nicht sonderlich schwer, eins und eins zusammenzuzählen, Appius", entgegnete ich und grinste."Aber gut, wenn er heil angekommen ist. Ich entsende ungern so fähige Sklaven wie Brix ins Nirwana."


    Ein Stückchen Flamingo fand seinen Weg in meinen Mund, und bedächtig kaute ich darauf herum, während Cotta eine Sklavin herbeiwinkte, die ich vorher schon gesehen und als Neuerwerb abgestempelt hatte. Mit Verwunderung nahm ich Cottas Einführung zur Kenntnis, eine Braue wölbte sich etwas ob der doch recht ungewöhnlichen Bekanntmachung. Immerhin war sie Sklavin und kein Plebejer. Kurz zog Priscas Aufbruch meine Aufmerksamkeit an, weshalb ich Cottas Worte vorerst unbeantwortet im Raum stehen ließ und das Gespräch zwischen Deandra und meiner Nichte verfolgte. Den seltsamen Blick Deandras konnte ich nicht deuten, vermutete ich doch, dass sie dem Geschehen um mich herum keine Beachtung hatte zuteil werden lassen. Nur kurz darauf hatten die beiden das Speisezimmer verlassen, und Lupus, Cotta, Sisenna und ich waren mit einer Hand voll Sklaven allein.


    Ich wandte mich wieder der Rothaarigen zu, deren Haut leicht gerötet schien. Was hatte Cotta eben noch gesagt, Keltin? Ah, das erklärte die Sonnenempfindlichkeit. Sagte man den Nordvölkern nicht Blässe und eine regenreiche Heimat nach, in der die Sonne kaum die Wolken durchdringen konnte? "Katla, wie?" vergewisserte ich mich in einem durchaus eckigem Tonfall, der auf mein mangelndes Vermögen, keltisch zu sprechen, zurückzuführen war, und ließ den Blick über die neue Sklavin schweifen. Sie war recht ansehnlich, und so ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf und orderte Cadhla für mein Bad. "Na gut, dann wirst du dich nachher um das bad kümmern, welches ich zu nehmen gedenke." Zum Ausfragen würde später noch Zeit sein.

  • Die Wangen der Keltin röteten sich etwas, als sie die freundlichen Worte Cedrics (Aurelius Cotta) über sich hörte - angesichts ihrer bisherigen gemeinsamen Erlebnisse war es dann doch ein klein wenig überraschend, dass er so positiv von ihr sprach. Aber, das sagte sie sich auch gleichermaßen, es war um Längen besser, als wenn er denn etwas schlechtes über sie gesprochen hätte - so versuchte sie, nicht allzu beschämt auszusehen, und blickte standhaft zu Boden, denn einem der Herren direkt ins Gesicht zu starren war auch nicht gerade erwünscht, soviel hatte sie inzwischen gelernt. Dass Deandra Cedrics Vorstellung ebenso sonderbar wie sie selbst fand, hatte Cadhla nicht einmal gemerkt - der blitzblank geputzte Fußboden, den sie beharrlich anstarrte, war da eher in ihrem Blickfeld, und so entging ihr doch so einiges der Umgebung ganz grundlegend. Sie hatte Hemmungen, ihren dominus wirklich anzusehen, nicht zuletzt, weil sie nicht wusste, wie er darauf reagieren würde - nicht alle Römer mochten es, von Sklaven überhaupt angesehen zu werden, auch das hatte ihr eine Mitsklavin verraten.


    Letztendlich gab es so vieles, was man falsch machen konnte, und dass Römer ihren Namen nicht aussprechen konnten, war sie inzwischen fast gewöhnt. Zumindest wurde aus 'Cadhla' nicht 'Cata', nur 'Katla', dachte sie still bei sich und hielt den Kopf gesenkt und ihre Gedanken wohlweislich für sich. "Ja, Herr," sagte sie schlicht, verneigte sich in die Richtung des Aurelius Corvinus und des Aurelius Cotta, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen - ohne sichtbare Anstrengung hob sie den Weinkrug hoch und schenkte in die Becher ein, die ihr angereicht wurden, einen nach dem anderen, während sich ein leicht unbehagliches Gefühl in ihrem Inneren breit machte. Das Bad bereiten! Sie schien von Badeerlebnissen nicht mehr loszukommen. Würde er auch noch erwarten, dass sie ihn wusch? Oder ging es nur darum, die entsprechenden Dinge vorzubereiten und hinzulegen? Sie würde einen anderen Sklaven fragen müssen, um nichts falsch zu machen. Irgendwie war es leichter gewesen, eine Waffe in der Hand zu führen, das sicherlich.

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