Aus Felsstücken, Holz und Erde haben Soldaten der Garde am Tag nach der Ankunft im Lager in der Nähe des kaiserlichen Zeltes ein großes Podest gebaut. Der davor liegende freie Platz ist groß, sogar der größte im gesamten Lager, fasst aber dennoch kaum mehr als Tausend Mann. Doch selbst mit einer gut geübten Stimme wären mehr Leute unter freiem Himmel ohnehin kaum zu erreichen. So sind es vor allem die über 250 Centurionen der vier Legionen und der Garde, dazu die Decurionen der Reiterei, die Feldzeichenträger in gleicher Anzahl und die Stabsoffiziere, für die der Platz vorgesehen ist. Sofern sie einen guten Platz erwischen, können natürlich auch alle Soldaten der Rede zuhören oder zumindest zuschauen, aber für diese stehen vor allem Kopien des Textes zur Verfügung, die von den Centurionen später noch einmal in den Lagergassen verlesen werden können.
Am zweiten Tag des Aufenthalts im Lager betritt der Kaiser das Podest, gekleidet in voller Rüstung. Die Adlerträger der Legionen begleiten ihn und bilden einen leichten Halbkreis hinter ihm. Die Sonne scheint von der Seite und blendet weder den Kaiser noch die Zuhörer. Ein leichter Wind weht, aber leise, gerade so, als wenn er die kommende Rede nicht stören will.
"Centurionen! Decurionen! Signifer! Praefecten! Tribune! Legaten!
In zwei Tagen werde ich dieses Heer, das sich hier versammelt hat, über den Euphrates führen und damit in Feindesland. Osroes, der König der Parther, der von seinem Volk als König aller Könige bezeichnet wird, hat es gewagt, den Frieden unserer Grenzen zu stören. Roms Herrschaft endet nicht an einem Wasserlauf, Roms Herrschaft reichte darüber hinaus. Als Schutzmacht stand Rom ein für die Sicherheit von Armenia und Mesopotamia, als starker Rückhalt der dort regierenden Könige, die Roms Treue zu schätzen wussten. Parthia meint diese Treue herausfordern zu müssen und unsere Grenzen und Kräfte zu testen. Ein billiger Versuch, an Roms Macht zu zweifeln, und ein Versuch, der durch euren Einsatz scheitern wird.
Ihr werdet euch fragen, welche Interessen Rom in diese Wüste treiben. Welche Schätze es sind, die euch nun schon Tage durch Sonne und Staub marschieren ließen und es noch viele weitere Tage von euch verlangen werden. Ihr habt Recht, wenn ihr kaum saftige Wiesen seht, keine üppigen Felder, keine sprudelnden Quellen. Die Oliven wachsen weiter im Süden, die Pferde kommen aus Cappadocia und die Silberminen liegen in Cilicia. Und doch ist dies kein totes Land! Ihr seht die Straßen, über die wir gewzogen sind und ihr seht die Menschen, die über diese Straßen ziehen. Rom ist die Herrin der Welt, die diese Straßen baut, um die Menschen zu erreichen. Straßen, auf denen die Menschen gerne ziehen und Rom als Dank ihre Schätze bringen. So wie das Wasser Rom nicht daran hindern konnte, nach Britannia überzusetzen, wird die Wüste Rom nicht daran hindern können, nach Osten vorzurücken. Wir haben die Götter befragt und sie haben diesen Weg gutgeheißen, denn Roms Interesse sind die Interessen der Welt und wir gehen hin, um sie zu vertreten. Die Herrscher von Armenia und Mesopotamia, die sich diesen Interessen angeschlossen haben, haben die Parther nicht gerufen, die nun ihre Städte besetzen. Jetzt ist es unser Auftrag, diese Interessen zu verteidigen.
Unser Ziel wird Mesopotamia sein. So wie hier, macht sich in Satala zur selben Zeit ein zweites Heer bereit, um Armenia zu durchqueren. Wenn Rom angegriffen wird, schlägt es mit doppelter Kraft zurück. Legionen werden marschieren, Auxiliare werden marschieren. Ihr seid nicht allein und tut es nicht für euch. Die Götter sind mit uns und wir tun es für Rom. Wie die zwei Schwingen des römischen Adlers werden die zwei Heerzüge über das Land fegen. Wie die zwei Gesichter des Gottes Ianus werden die Anfang und Ende zugleich sein. Das Ende parthischer Umtriebe und ein neuer Anfang im Osten. Wie die zwei Ströme, die dieses Land prägen, werden sie dem Land die römische Prägung geben, die es verdient hat. Ihr seid Krieger Roms, ihr seid Erhalter der Ordnung, ihr seid Boten der Kultur. Ihr und eure Kameraden, die durch Armenia ziehen, werdet Osroes und seinen Prinzen zeigen, was römische Werte, römische Treue und römische Stärke sind.
Wir werden nicht leichtfertig sein. Wir werden nicht in den Nebel des Saubes und des Sandes stürmen, ohne den Weg und das Ziel zu kennen. Kein Parther braucht zu glauben, dass er im Vorteil wäre, weil er näher an seiner Heimat kämpft als wir. Roms Heimat ist die Welt. Eure Kameraden haben die Alpen überquert, die Sümpfe Belgicas überwunden, sind in Africa gelandet, haben das Dacische Hochland bezwungen. Sie haben Flotten versenkt, Heere vernichtet, Festungen genommen. Jede Niederlage hat Rom nur stärker gemacht, denn man macht gegen keinen Gegner zweimal denselben Fehler. Stellt euch ein auf Hinterhalte, auf heimtückische Angriffe im trockenen Felsland, auf Reiter, die sich feige zurückziehen, alleine auf ihre Schnelligkeit setzend und sonst nichts. Stellt euch ein auf Festungen, die ihre Eigentümer für unbesiegbar halten und auf das Wasser, das sie an ihren Mauern herab gießen werden, um uns in der Trockenheit unserer Lager zu verhöhnen. Stellt euch darauf ein und ihr wissen, was euch erwartet und könnt es besiegen. Kein Schritt wird uns in unbekanntes Land führen. Die Gefahren mögen groß sein, doch wir werden uns ihnen stellen und wir werden siegreich sein.
Die Parther sind gekommen, um einen Krieg zu beginnen. Wir sind gekommen, um ihn zu führen und siegreich zu beenden. Ihr wurdet dafür ausgebildet, diesen Krieg zu führen. In unserem Heer werden Männer ziehen, die kurz vor ihrem ehrenvollen Abschied stehen und solche, die erst kurz vor dem Aufbruch zu uns gestoßen sind. Sie alle sind ein Heer, eine Kraft, eine Waffe. Die Adler und Feldzeichen mutig voran, die Centurionen als verlässliche und unzerstörbare Türme in der Schlacht, die Offiziere als kluge Lenker im Feld. Es macht mich nicht froh, ein Heer in die Schlacht führen zu müssen, aber es macht mich glücklich, dass ihr dieses Heer seid.
Ich will uns siegen sehen!
Ich will Rom siegen sehen!
Und Rom wird uns siegen sehen!"