Arbeitszimmer | Gracchus et Furianus

  • Da er von einem der Haussklaven erfahren hatte, dass sein Vetter, der eigentlich sein Onkel war, ihn um ein Gespräch gebeten hatte, unterbrach Furianus die Vorbereitungen an denen er gar nicht beteiligt war, sondern nur schwerwiegende Entscheidungen treffen musste, nämlich was er so alles da lassen oder mitnehmen will, für dieses Treffen.
    Schlicht mit einer roten Tunika bekleidet und nicht wie gewöhnlich mit störendem Schmuck, trat er in das helle Arbeitszimmer ein und grüßte seinen Vetter, der eigentlich sein Onkel war, der ihn bereits erwartet hatte.


    "Salve, Gracchus. Du hast um ein Gespräch gebeten?"

  • Bevor sein Vetter, welcher eigentlich sein Neffe war, hereingeführt wurde, legte Gracchus den Brief an seinen Vetter in Parthia zur Seite, die richtigen Worte fehlten ihm ohnehin, so dass er über die kleine Störung froh war.
    "Salve, Furianus. Bitte nimm Platz, wenn es deine Zeit erlaubt."
    Gracchus' Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln während er Furianus musterte. Er sah gut aus, selbst in seinem schlichten Gewand, die Reife und die Würde des Amtes verliehen ihm einen Anklang von Autorität. Womöglich hatte Agrippina Recht, zumindest hatte Furianus sie tatsächlich alle bereits überflügelt, und obgleich sich Gracchus ob dessen kaum Gedanken zu machen brauchte - zwar war Furianus sein Neffe, doch dennoch einige Jahre älter als er - so war es trotz allem veritabel. Gleichsam zweifelte Gracchus jedoch ohnehin wie eh und je daran, dass er jemals selbst in einigen Jahren annähernd dort stehen konnte, wo sein Vetter dies tat, womöglich auch nicht dort stehen durfte, da er in so unverantwortlicher Weise seine Base und seinen Bruder in den Tod getrieben hatte und kaum noch jedweder Ehre würdig war. Zudem machte es ohnehin keinen Unterschied, wo man stand, das Schicksal traf jeden gleichermaßen, ob Plebeier oder Patrizier, ob Scriba oder Consul. All jene leicht devastativen Gedanken vermischten sich in Gracchus im Anblick seines Vetters mit einer Gefühlswallung, welche er zwanghaft und leicht panisch zu unterdrücken suchte, denn sie erinnerte ihn allzu sehr an jene unmögliche Anziehung, an welcher er gut tat, sie zu unterdrücken. Er blinzelte, versuchte Furianus in die Augen zu blicken ohne gleichsam daran zu denken, darin zu versinken. Vermutlich war er zu lange fort gewesen, hatte zu lange sein Begehren unterdrückt, welches nun mit Erstarken von Körper und Geist ebenfalls wieder seinen Tribut forderte und ob des Gefühlschaos in seinem Inneren ein leichtes Spiel hatte, sich in den Vordergrund zu drängen. Doch er musste an Leontia denken, Leontia, die vom Mare Internum verschlungen worden war.
    "Ich hörte von deiner Berufung nach Hispania. Lass mich dir vor allem anderen gratulieren, Vetter. Ich zweifle nicht daran, dass du Hispania in eine goldene Zukunft führen wirst. Die Provinz hat es verdient."
    Ob Furianus allerdings dies verdient hatte, dies stand auf einem anderen Pergament - nicht etwa, da die Ehre für ihn zu groß wäre, sondern deswegen, da Hispania am Ende der Welt lag und Gracchus seinem Vetter lieber ein wichtiges Amt in Rom gewünscht hätte. Doch gleichsam war auch das Proconsulat ein Schritt auf der Treppe nach oben und daher der Mühen und Entbehrungen wert.

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  • Furianus setzte sich und fing an sich darüber den Kopf zu zerbrechen in welche Richtung Gracchus das Gespräch führen wollte. Nach den einleitenden Wörtern würde er es jedoch sowieso erfahren.


    "Ich danke dir, Vetter. Ich werde versuchen den Erwartungen gerecht zu werden, wenn die Götter mir gewogen, so wird meine Amtszeit ohne große Zwischenfälle von statten gehen. Ich hoffe derzeit nur auf eine friedliche Amtszeit, anderweitiger Erfolg wird sich zeigen."


    Eigentlich hätte er nun nach dem Gesprächskern fragen können, doch so eilig hatte er es nun auch wieder nicht.


    "Wir haben dich hier vermisst, Vetter. Ich hoffe, dass wir und Rom einen gestärkten und motivierten Gracchus erleben, der erholt nun wieder neue Aufgaben in Angriff nehmen wird. Ich bin mir sicher, dass deine Aufnahme in die ehrwürdigen Hallen der Basilica Iulia nur eine Frage der Zeit ist."

  • Ein wenig Sorge breitete sich ob Furianus' Worte über Zwischenfälle in Gracchus aus, denn hatte nicht der vorherige Proconsul Matinius gerade erst einen Aufruhr der halben iberischen Bevölkerung hinter sich gebracht? Es blieb nur zu hoffen, dass damit das Aufstandspotential der Hispanier für die nächsten Jahre gedeckt war, denn jegliche anderen Zwischenfälle wie Naturkatastrophen und ähnliches ließen sich bisweilen sogar gut in eine Karriere eingliedern, während Aufstände in der eigenen Bevölkerung nur zu Unmut führen konnten.
    "Nun, so du Unterstützung aus Rom brauchst, hoffe ich, weißt du, dass deine Familie dir im Rücken steht. Ich mag nicht immer mit der unkonventionellen Art, welche dir zu eigen ist, gänzlich einverstanden sein, doch vielleicht ist ein wenig jener Art nicht verkehrt, um die flavische Starre zu durchbrechen, und dass dies weder dir noch der Familie maßgeblich geschadet hat, mag uns zu Denken geben."
    Für sich selbst war jene Art zwar keine Alternative, denn zu tief waren die Grundfeste des althergebrachten flavischen Gedankengutes in ihm verwurzelt worden, doch war auch die Duldsamkeit eine Tugend.
    "Was meine eigenen Ziele anbelangt, so muss ich gestehen, dass ich derzeit ein wenig unentschlossen bin."
    Genau genommen hatte Gracchus seine Ziele ob der Geschehnisse der vergangenen Wochen gänzlich aus den Augen verloren. Er hatte völlig überstürzt seinen Dienst im Cultus Deorum quittiert, da der Gedanke ihm zuwider gewesen war, in den Diensten der Götter zu stehen, doch gleichsam jene Aufgaben nicht wahr zu nehmen während er seinem Bruder nachjagte und versuchte seine Base vor ihm zu bewahren. Dabei hatte er ob der Furcht all seine Prinzipien vergessen und keinen Augenblick seiner Gedanken an jene Tage gedacht, welche darauf würden folgen, er hatte nicht einmal bis zu jenem Tage gedacht, an welchem er Quintus würde gegenüber stehen. Es war der gleiche Fehler gewesen wie damals in Achaia, gleichsam wie es die gleiche Art der panischen Furcht gewesen war, welche jegliche Sinne ihm hatte geraubt. Damals hatte er sich hernach vor seinem Vetter Felix rechtfertigen müssen, heute saß er vor dessen Sohn, schluckte hart und haderte mit sich selbst ob einer Rechtfertigung.
    "Du weißt vermutlich, dass ich meinen Dienst im Cultus Deorum quittiert habe. Nun, um ehrlich zu sein bin ich nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, dorthin zurück zu kehren. Andererseits ..."
    Ein militärisches Tribunat war derzeit keine Alternative, ein Amt in der Verwaltung undenkbar, so dass er sich beinahe schon gleich seinem Vetter auf einer Insel sitzen sah mit dem Unterschied, dass gegenteilig zu Felix niemand ab und an auf seine Anwesenheit in Rom würde bestehen. Für einen schwachen Moment gab er sich der trügerisch friedvollen Illusion hin, dann schüttelte er langsam den Kopf.
    "Es sind ohnehin zuvor familiäre Angelegenheiten zu regeln. Es wird Zeit, dass meine Schwester Minervina eine Ehe eingeht, sie bat mich um meine Unterstützung und die Wahl eines geeigneten Gatten. Ich sprach bereits mit Tiberius Durus, er war nicht abgeneigt, doch Minervina überwarf alle Pläne mit ihrer Reise nach Hispania, welche schlussendlich ganz andere Gründe hatte, als die Reise an sich. Nun, wie dem auch sei, nach ihrer Rückkehr aus Aegyptus wird sie einer Ehe zustimmen."
    Wenn nicht auch diese Reise gänzlich andere Absichten verfolgte denn die Reise an sich, schoss es Gracchus durch den Sinn, doch er verwarf den Gedanken eilig wieder. Minervina hatte aus eigenem Antrieb heraus ihre Zukunft in seine Hand gelegt und dem zugestimmt, dass er eine favorable Ehe für sie würde arrangieren.
    "Zudem ... nun, weshalb ich eigentlich mit dir sprechen wollte ..."
    Zögerlich hielt er inne, sammelte die Worte und versuchte sie in eine passable Form zu gießen, scheiterte jedoch an ihrer Aussage und musste sie in eben jenem Sinne bar und ohne Beschönigung aussprechen.
    "Leontia ist tot."
    Mit jedem Mal, da er die Tatsache aussprach, schien sich die Wahrheit mehr und mehr zu verdichten, schien sie schwerer und schwerer auf seine Schultern und vor allem auf sein Gewissen herab zu drücken. Seine Stimme war rau und farblos als er fortfuhr, sein Blick in die endlose Ferne gerichtet und doch gleichsam tief in sich selbst.
    "Du weißt vielleicht, dass sie nach Ravenna zu ihrem Vater aufbrach, welcher erneut eine Ehe für sie arrangiert hatte. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Zwar brach sie auf, doch nach Aegyptus, um vorerst den Plänen ihres Vaters zu entgehen. Ich selbst bin nicht ganz unschuldig daran, ich sprach ihr zu und versprach ihr, sie zu geleiten sobald es meine Pflicht zuließe, doch sie wollte nicht warten und reiste bereits allein ab."
    Mit jedem Mal, da er die Lüge aussprach, schien auch diese sich mehr und mehr zur Wahrheit zu verdichten.
    "Ich folgte ihr, sobald es mir möglich war. Jenes Schiff jedoch, auf welchem Leontia die Reise angetreten hatte, erreichte nicht sein Ziel. Das Mare Internum hat es verschlungen und mit ihm unsere Base."
    Wieder hielt Gracchus inne, bemüht darum an sich zu halten und nicht das aufwallende Gefühl der Ohnmacht in sich die Oberhand gewinnen zu lassen, das übermächtige Gefühl der Trauer und der schwer lastenden Schuld am Tod seines Zwillings und seiner Base.

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  • "Wir sollten uns sicherlich nicht im Kreise drehen, Gracchus, denn eine Drehung im Stande ist doch ebenso wenig eine Forwärts- noch Rückwärstbewegung."


    Mehr wollte er zu seiner doch so für manch einen Verwandten störenden unkonventionellen Art nicht sagen.
    Dass Gracchus seine Zukunft betreffend unentschlossen sein sollte, nahm er doch mit einigem Zweifel auf. Gracchus hatte sicherlich schon Pläne und diese zu verraten würde auch nicht in Furianus´Sinne sein, wenn er an Gracchus Stelle sein sollte. Daher beließ er es dabei und fragte nicht unnötig nach.


    "Ja, es war sehr überraschend, dass du dem Dienst an den Göttern so plötzlich entsagt hast. Doch ich bin mir mehr als sicher, dass dich der Pontifex Maximus ohne jegliche Zweifel oder Anflügen davon wieder in deine Position setzen würde. Natürlich, falls du daran noch interessiert wärest."


    Was auf den ersten Blick nocht so zu sein schien, hatte er doch Skepsis, was den Dienst im CD anbelangte - das war nicht Gracchus. Also würde er wohl nicht darauf zurück greiffen und wieder eintreten.
    Die weiteren Worte ließen Furianus jedoch für einige Momente erstarren. Hatte er es richtig verstanden? Er hoffte nicht, hoffte auf einen Anflug einer Hörverschlechterung, irgend etwas.


    "Leontia? Aber warum, sie war doch noch so jung?!"


    Brachte er verblüfft aus sich und hoffte auf eine Belehrung, hoffte wirklich auf einen Hörschaden.
    Die Erklärung seines Vetters schürrte jedoch diese schreckliche Gewissheit vollkommen, er hatte es nicht falsch verstanden, nein, das Schreckliche ward eingetroffen.
    Teilnahmslos hörte er Gracchus zu und fragte sich, warum die Götter solch junges und wertvolles Leben wie eine Blume verwelken ließen, warum sie ihr nicht noch mehr Jahre schenkten.


    "Unglaublich und schrecklich zugleich, mir fehlen die Worte, Gracchus."


    Mehr konnte er dazu nicht sagen. Sofort riss es ihn in die schmerzvollen Erinnerungen an Claudia, er hatte damals gelitten und nun sollte er Ähnliches erleben müssen. Darauf war er weder vorbereitet, noch konnte man so etwas ahnen.

  • Vermutlich wusste Furianus kaum, wie treffend er Gracchus' derzeitige Position beschrieben hatte, denn tatsächlich schien es jenem, als würde er sich fortwährend nur im Kreise drehen, auf der Stelle tretend, keinen Schritt vor und keinen Schritt zurück kommen. Dagegen hatten die Worte seines Neffen den Dienst der Götter betreffend beinahe keinen Sinn für Gracchus, denn Interesse war kaum je sein Antrieb gewesen, Interesse hegte er an wohlproportionierten Plastiken und ausgefeilten Worten, doch in die Arme des Iuppiters trieben ihn Pflicht wie Verzweiflung gleichermaßen, bald Sehnen und Wunsch. Doch genau darin lag all die Misere begründet, welche allerdings im Augenblick ihm nur marginal erschien verglichen mit den unumstößlichen Tatsachen. Noch immer mit leerem Blick schaute er seinen Vetter an, welcher eigentlich sein Neffe war, welchen er so wenig kannte und doch mehr als er je seinen Bruder hatte gekannt, welcher ihm so ähnlich gewesen war, welcher ebenfalls viel zu jung gewesen und nun ebenfalls tot war, doch welchen niemand sonst würde betrauern, niemand als einzig er allein, da er für die Welt schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr hatte existiert.
    "Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allem Übel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden - ich setzte dies Zitat des Seneca während meines Vigintivirates unter meine Briefe, wenn ich Anverwandte der Verstorbenen über ihr Erbe benachrichtigte, als Trostschrift, wie schon Seneca dies an Marcia wandte. Wie hohl und leer diese Worte sind, dies begreife ich erst nun, denn keine Worte vermögen dies zu fassen und keine Worte vermögen Trost zu spenden, mögen sie noch so von Wahrheit durchdrungen sein."
    Stille legte sich über den Raum, nur die Flammen der Öllampen im Raum flackerten leise als ein Windhauch von Draußen herein durch das Zimmer strich, und vereinzelt flogen Geräuschfetzen von der nimmermüden, unendlichen und stets lebendigen Stadt vor dem Fenster hinein, denn dort draußen ging das Leben weiter, so wie es dies immer tat. Ein anderes Zitat strich Gracchus durch die Sinne, aus Lukrez' Schriften über die Natur der Dinge: 'Ja, dass es grade so ist, als wären wir nimmer geboren, wenn der unsterbliche Tod uns das sterbliche Leben genommen.' So würde Quintus' Existenz enden, als wäre er nimmer geboren, ausgelöscht noch ehe er auferstanden war, all die Sorgen über die Unmöglichkeit seines Lebens nichtig, all die Zweifel an sich selbst und der Einzigartigkeit des Seins. Es war ein hoher Preis gewesen, zu hoch.
    "Ich werde für eine Bestattung Sorge tragen. Mag auch ihr Körper längst fort sein, doch ihr Geist wird keine Ruhe finden, so die Riten nicht vollzogen sind. Wie lange wirst du noch hier in Rom sein?"

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  • "Ich weiß, wie du dich fühlst - der Tod ist mir nicht unbekannt, sein Schmerz ist mir näher als das Glück es jemals war."


    Sagte er betroffen und blickte Gracchus gleich gen nackten Marmorboden. Die Frage, welchen seiner nahen Verwandten es in Zukunft treffen würde, zwang sich ihm gleich darauf auf. Es schien wie ein Kreis des Abgrundes zu sein, der von einem winzigen Loch nun schon einen beachtlichen Umfang aufweisen konnte, wenn er nur daran dachte, dass er noch vor ein paar Jahren das Wort Tod nur aus Schriften kannte, diese Erfahrung ihm gänzlich fremd war und nun gleich zwei wertvolle Menschen innerhalb kurzer Zeit zu betrauern hatte.
    Das Leben geht weiter, sagten viele, doch wie es weiter geht, vor dieser Antwort sträubten sich alle - sie wussten, dass es kein Leben mehr sein würde, nicht das unbeschwerte und von dem Tode unberührte Leben.


    "Ja, sie muss bestattet werden."


    Merkte er kurz an und bedeutete einem Sklaven mit der winzigen Geste eines Fingerzuckens Becher und Getränke herbei zu schaffen.


    "Einige Tage, denke ich. Ich bin noch mit den Vorbereitungen beschäftigt."

  • "Einige Tage"
    , formte Gracchus die Worte seines Vetters nach.
    "Ich weiß nicht, ob ich dies alles so bald arrangieren kann. So vieles ist zu tun und ich weiß nicht, wo anzufangen."
    Bisherig war Gracchus nur immer zu Bestattungen aus Achaia angereist, wenige Tage zuvor, und reiste hernach wieder ab, ohne für irgend etwas Sorge tragen zu müssen. Selbst zu den Bestattungen seiner Eltern hatte er nicht lange in Italia verweilt, denn kaum nur hatte ihn zu dieser Zeit ihr Tod berührt, waren sie ihm doch nicht nur räumlich fern gewesen. Leontias Tod jedoch warf ihn nicht nur deshalb aus den gewohnten, sicheren Bahnen, da er sich selbst in einer gewissen Schuldigkeit sah, nicht nur da es gleichsam auch der Tod seines Zwillings war, sondern deswegen, da sie ihm viel näher gewesen war, als viele andere Menschen. Nicht körperlich nahe, selbst von Angesicht zu Angesicht hatten sie sich vor ihrer Ankunft in Rom kaum gegenüber gestanden, doch ihre Gedanken, ihr Geist und ihre geschriebenen Worte waren den seinen so nahe gewesen, wie sonst nur die seines Vetters Aquilius. Sie hatte ihn beflügelt, und nun, da sie fort war, für immer gegangen, fühlte sich Gracchus als hätte man ihm seine Schwingen gestutzt.
    "Aetius ist zu benachrichtigen, falls er aus Ravenna anreist, so wird sich alles nur weiter verzögern. Minervina und Serenus in Aegyptus, und Milo auf Sardinien müssen ebenfalls benachrichtigt werden. Womöglich wird auch Agrippina kommen."
    Aristides ' Mutter hatte nichts diesbezügliches erwähnt, doch sie gab nie all das Preis, was sie dachte oder zu tun gedachte.
    "Trotz allem wird es nur eine familiäre Feierlichkeit sein. Du weißt sicher, dass der Staat einen Vermissten erst nach einiger Zeit als tot anerkennt, sofern seine Leiche nicht geborgen wird, selbst wenn keinerlei Hoffnung mehr besteht. Zudem ist mir ohnehin nicht bekannt, dass Leontia hier in Rom viele Bekanntschaften pflegte."

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  • Also war der Gesprächsstoff ausschließlich der Tod und die Bestattung, soweit es Furianus heraus zu hören vermochte.


    "Ich kann leider nicht noch länger hier bleiben, Gracchus. Ich muss in meiner Provinz Präsenz zeigen und das recht bald, denn der Zeitrahmen für die Vorbereitungen dürfte schon bald gesprengt sien. Zudem muss die Verwandtschaft noch ausreichend Zeit haben, um ihre Anreisen hierher vorzubereiten, das heißt wiederum du hast Zeit.
    Schicke Mitteilungen aus, es ist der erste Schritt, für den zweiten hast du dann genügend Zeit."


    Wäre es anders gekommen, hätte Furianus seinem Vetter natürlich die Hilfe, die sich jener wohl von ihm ersehnte, gerne angeboten, aber unter diesen Umständen konnte er es einfach nicht. Aus Hispania konnte er schlecht agieren, da hatte er Gracchus selbst um einiges leichter, auch wenn er gerade recht konfus wirkte. Das sah ihm so gar nicht ähnlich, doch Furianus hoffte, dass sich sein Vetter, der eigentlich sein Onkel war, wieder fassen und zu alter Souveranität würde zurückkehren können.


    "Ja, ich denke auch, dass diese Bestattung einem kleinen Kreise, bestehend aus Verwandten, vorbehalten bleiben sollte. Wir haben noch Zeit, Gracchus, vor allem dürfen wir unsere Base nicht vor dem Senat bestatten."


    Damit meinte Furianus, dass man erst würde auf die Bekanntgabe des Senates warten müssen, bevor man Leontia offiziell bestattete.

  • Furianus' letzten Gedanken konnte Gracchus nicht gänzlich nachvollziehen, er hatte derzeit nicht nur bereits mit den eigenen Wirrungen seines Geistes genügend Mühe, zudem bestand die grauenvollste Aussicht für ihn augenblicklich daraus, dass sich ob seiner Schuld die rastlosen Geister seiner Base und seines Bruders jenen Larven würden anreihen, welche ihn manches mal des Nachts und gar bisweilen des Tages plagten, ob dessen die Bestattung nicht bald genug konnte stattfinden, nicht nur diejenige Leontias, sondern auch, in noch viel kleinerem Kreise, diejenige Quintus'. Dennoch gab er ein leises, zustimmendes Brummen von sich und nickte marginal, denn er war dessen überzeugt, dass die Worte seines Vetters, welcher eigentlich sein Neffe war, mit Bedacht gewählt und von veritabelem Inhalt waren. Sciurus, welcher wie gewöhnlich unauffällig im Schatten des Raumes stand, würde sich ohnehin um all dies zu kümmern haben und selbstredend auch allen Gedankengängen folgen können.
    "So will ich dich denn nicht länger von deinen Vorbereitungen abhalten. Es war nur mir ein Anliegen, dass du um diese Geschehnisse vor deiner Abreise weißt. Ich wünsche dir eine angenehme Reise, Furianus, und ebenso einen erfolgreichen Start in dein Proconsulat. Mögen die Götter dir stets gewogen sein, was auch immer du tust."
    Es graute Gracchus bei dem Gedanken, wie viele seiner Verwandten in kürze eine Reise über das Mare Internum würden antreten, doch ließ sich wenig daran ändern.

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  • "Und dafür danke ich dir, Gracchus."


    Antwortete Furianus und stand auf. Er konnte nicht sagen, ob er glücklich war diesem Raum endlich entfliehen zu können, damit Rom und der Villa Flavia, die ihn mit ihren Erinnerungen schier erdrückte, oder ob er erleichtert war wieder alleine sein zu können und der Ort irrelevant schien.


    "Mögen die Götter auch stets über dich und den Rest der Familie wachen. Auch wenn ich im fernen Hispania sein werde, ich bin stets hier und nirgendwo anders, hier ist meine Zuhause."


    Ein leichtes Lächeln huschte über seine Züge und er verabschiedete sich noch mit einer herzlichen Umarmung von Gracchus und ging hinaus.

  • Gleich seinem Vetter stand Gracchus auf, um jenen zu verabschieden, doch nichts hatte ihn auf dessen Handlung vorbereitet, ihn mit einer herzlichen Umarmung zu bedenken. Mehr nur als ein wenig überrumpelt erwiderte er diese Vertraulichkeit mäßig, musste gleichsam an sich halten und war darum froh, als sein Vetter, welcher eigentlich sein Neffe war, das Zimmer verlassen hatte. Zurück blieb ein zitternder Körper, wie eine Pappel im Herbstwind schwankend, der alsbald schwer zurück auf den Stuhl sich sinken ließ. Gracchus wünschte sich eine dicke Mauer um sich herum, auf dass nichts würde ihn berühren können, auf dass nichts würde ihn aus dem Gleichgewicht bringen können, nach welchem er sich so dringend sehnte, welches so unendlich weit fort und ungreifbar fern erschien. Langsam sank sein Oberkörper vornüber, bis endlich sein Kopf auf der Tischplatte landete und dort liegen blieb. Einfach alles war aus den Fugen geraten, seit jenem unsäglichen Tage der Entfluchung seiner Nichte - im Detail des dilettantischen Versuches jener Entfluchung - kumulierten sich die Ereignisse und potenzierten sich mit den beteiligten Handlungsteilnehmern - Caius, Quintus, Leontia, Minervina, Serenus, Furianus, Agrippina - so dass letztlich jedes Ereignis und jede Handlung in einer mehr oder minder gewaltigen Misere endete, manches mal ganz offensichtlich, manches mal tief verborgen, und Gracchus jede Ruhe und Harmonie raubte, derer er so verzweifelt versuchte habhaft zu werden, nach welcher es ihn so sehr drängte. Er musste die Dinge langsam angehen, eines nach dem anderen, Furianus indes hatte es bereits angedeutet, einen Stein nach dem anderen in das gewaltige Mosaik der Existenz einsetzen, auf dass letztlich das Gesamte wieder würde für ihn sichtbar werden.

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