• Noch stand ich allein vor dem kleinen Hausaltar, auf dem die Ahnenfiguren als Votivgaben aufgestellt waren. Seit einigen Tagen schmückten drei neue Figürchen die glattpolierte Fläche, neben der etwas kleineren Severina stand Antoninus, mit einem winzigen gladius in der Hand, darauf hatte ich Wert gelegt. Mein Vater war mir stets als letzte Bastion vorgekommen, was den Schutz der familia betraf. Nun war ich diese Bastion, musste sie sein, denn wer sonst hätte seinen Platz einnehmen können, wenn nicht ich, sein Sohn?


    Alexandros hatte einen kleinen Korb mit einigen Opfergaben bereitgestellt und die Kohlen bereits entzündet. Sie glommen still vor sich hin, der foculus bereit, aufzunehmen, was Volcanus angedacht war. Doch noch war Prisca nicht da, also wartete ich noch. Ich griff nach dem kleinen Figürchen, das meinen Vater darstellte, betrachtete es eingehend und mit einem flüchtigen Lächeln - ich fühlte mich allein, und da konnte ich jene Schwäche zeigen, die einen gerade seiner Eltern beraubten Sohn ab und an befiel. "Ich vermisse dich, Vater. Dein Rat wäre mir so wichtig gewesen... Ich folge deinem Wunsch und strebe den Senat an. Man hat mich zum vigintivir gewählt. .....und ich werde dein Vermächtnis im Herzen bewahren und die Familie schützen, so gut ich es vermag", sprach ich leise und küsste die Figur, ehe ich sie zurückstellte und nach der Figur meiner Mutter griff. Mein Lächeln wurde weicher, als ich mit dem Zeigefinger über ihr Elfenbeinhaar fuhr. "Und du, Mutter. Ich hoffe, dort wo du bist, hast du keine Schmerzen. Verzeih mir, dass ich nicht bei dir war." Auch sie küsste ich, ehe ich sie erneut neben Antoninus aufstellte. Mein Blick fiel auf eine weitere Figur, die erst seit dem Morgen hier stand: Jene des Cicero. Ich nahm sie auf, betrachtete sie, seufzte und stellte sie einfach so zurück. Mir war nicht danach, etwas zu sagen.


    Anschließend wandte ich mich um und gewahrte Prisca, die auf der Schwelle stand. Leicht peinlich berührt räusperte ich mich. "Ehem...stehst du schon lange da?" fragte ich sie.

  • "Das eigentlich Männer nie sehen, wenn wir unsere Ruhe haben wollen ... oder wollen sie es nur nicht sehen ... oder können sie es am Ende gar nicht?" immer noch ärgerte sich Prisca darüber das Essen nicht alleine, in ihrem cubiculum, ein genommen zu haben. "Vielleicht sollte ich ja nachher Deandra besuchen, dann kann ich ihr auch gleich erzählen, dass ein weiterer Verwandter angekommen ist", ja das wäre eine gute Idee, denn Helena hatte heute schon etwas anderes vor und hatte die villa bereits erlassen. Und außer ihr war keine andere Frau hier, mit der sie sich hätte unterhalten können. Sisenna zählte ja noch nicht und mit einer Sklavin wollte sie sich heute auch nicht unbedingt die Zeit vertreiben.


    Dann schon lieber mit ihrem Onkel 8). Obwohl, eigentlich konnte sie ihm ja auch keinen Wunsch abschlagen, denn er kümmerte sich wirklich rührend um sie, so wie er es eigentlich mit allen Familienmitgliedern tat. Jedenfalls bei den Opfergaben zu helfen war besser, als Ball zu spielen (heute zumindest!). Also machte sie sich zur vereinbarten Zeit auf den Weg und erreichte schließlich das Lalarium.


    Prisca wollte schon eintreten, als sie die Stimme von Marcus hörte. Er redete, doch mit wem? Wollten nicht sie beide gemeinsam das Opfer darbringen? Verstohlen blickte Prisca um die Ecke, fest entschlossen sich still und heimlich wieder davon zu schleichen, falls ihr Onkel bereits Gesellschaft hätte. Doch seine Worte liesen sie inne halten und alles andere vergessen. Marcus gedachte gerade der Familie, seinen Eltern und der Zukunft. Prisca konnte spüren, welche Lasten er dabei zu tragen hatte. Irgendetwas, wahrscheinlich das Rascheln ihres Kleides, verriet sie schließlich. Ihr Onkel wandte sich zu ihr um und es schien ihm peinlich zu sein, dass sie ihn überrascht hatte. Also trat Prisca mit einem kurzen Nicken ein und hoffte, dass sie über ihre Ergriffenheit hinweg die richtigen Worte fand.


    "... entschuldige bitte, ich wollte dich nicht belauschen oder gar stören, Onkel. Du hast gerade an deine Eltern gedacht?"


    sagte sie dann ganz offen und ehrlich und ging zögerlich auf ihren Onkel zu.

    "...aber ... ich war auch lange genug hier, um mit an zu hören, wie sich mein Onkel Gedanken um uns, die gesamte Familie, macht. ... Und es ist schön zu wissen, das jemand die Verantwortung trägt, der es so gut macht wie du, Marcus!"


    versuchte sie ihm dann etwas von dem zu vermitteln, was seine Worte bei ihr bewirkt hatten. Mehr konnte sie für den Augenblick gar nicht sagen und so blieb sie ert einmal vor ihm stehen, sah aber an ihm vorbei und betrachtete stumm die Figuren, die auf dem Altar angeordnet standen.

  • Wie sie so dastand und mich ansah, dann hereinkam und sich, wie ich fand, sanft entschuldigte, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass ich sie gar nicht verheiraten wollte, weil sie eine solche Bereicherung für das Leben hier in der villa war. Wenn Deandra und ich einmal eine Tochter bekommen sollten, sollte sie so werden wie Prisca, meine kleine Nichte, die eigentlich gar nicht so klein war. Meine seltsam melancholischen Gedanken beiseite schiebend, lächelte ich flüchtig bei den lieb gemeinten Worten, die sie sagte. "Ist die Pflicht eines Römers nicht, die Ahnen zu ehren?" entgegnete ich zugegebenermaßen etwas lahm und nicht direkt auf die Frage eingehend. Da legte ich so großen Wert darauf, den anderen Ansprechpartner, Vorbild, Freund, Verwandter und vielleicht auch Vorbild zu sein - und dann kam Prisca und entdeckte meine gut gehüteten wunden Punkte, weil ich sie hinter die Fassade des ehrgeizigen Mannes hatte blicken lassen. Nun ja, das war nicht mehr zu ändern.


    Ich lächelte sie an und griff nach zwei Püppchen, die weiter hinten standen. Während ich etwas entgegnete, drehte ich sie in der hohlen Hand hin und her. "Ich danke für das Kompliment, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich es auch wirklich verdiene. Ich vernachlässige euch zugunsten meiner Magistratur, von Deandra will ich gar nicht sprechen. Ich weiß, dass sie unglücklich ist, weil sie nicht mehr bei uns wohnen darf...aber gebieten uns nicht die Traditionen, die althergebrachten Gegebenheiten zu achten?" Fragend blickte ich auf und schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Idee, wie ich ihr den gegenwärtigen Zustand erleichtern kann, außer der Heirat natürlich, aber die möchte ich noch etwas schieben", offenbarte ich Prisca meine Gedanken. Erneut sah ich auf die Figuren in meiner Hand hinunter, öffnete sie und zeigte Prisca die kleinen Abbilder ihrer Eltern. "Ich gebe dir einen Rat: Wenn du Kummer hast, den du mit niemandem teilen möchtest oder nicht teilen kannst, dann komm hierher und sprich mit den Ahnen, Prisca. Mir ist beim Essen aufgefallen, dass dich etwas bedrückt. Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest. Aber wisse, dass ich für dich ebenso da bin wie für jeden anderen in diesem Haus." Ich sprach mit ihr wie ein Vater, der mit seiner Tochter redete. Verwundert fragte ich mich, ob ich wirklich langsam den Platz meines Vaters einnahm. Die Figuren, die ich in der Hand hielt, gab ich Prisca, damit sie sie zurückstellen oder nochmals betrachten konnte, ganz wie sie wollte.

  • Je länger Prisca auf den Altar blickte, umso mehr Erinnerungen an früher kamen zurück. Natürlich hatte es auch zu Hause in Ostia einen solchen Altar gegeben und als Prisca noch klein war, ist sie oft mit ihrer Mutter dort gewesen und hatten den Ahnen und der Familie gedacht. Je älter sie wurde, umso mehr vernachlässigte sie diese Tradition, bis sie schließlich fast gar keine Zeit mehr dafür gefunden hatte. Bis ... ja vielleicht bis heute.


    "Die Pflicht ... ja..." bestätigte Prisca flüsternd Worte ihres Onkels, ohne den Blick von dem Altar zu nehmen. Sie kannte diese Worte gut, denn ihre Mutter hatte sie oft benutzt."... aber die Ahnen müssen auch in unseren Herzen wohnen. ..." hatte Vespa ihrer Tochter dann immer noch dazu gesagt, denn nichts sollte einfach nur getan werden weil es so Sitte war, sondern es sollte immer von Herzen kommen. Prisca spürte einen Stich und wusste, dass sie dies vielleicht zu lange verdrängt hatte. Unsicher blickte sie kurz umher, bis sie dann ihren Onkel an sah. Dieser nahm zwei der Figuren, bedankte sich sprach ganz offen aus, was ihn zu beschäftigen schien.


    "Ich stelle es mir sehr schwierig vor, Arbeit und Familie mit einander zu vereinbaren. Dabei tust du das Alles ja nur für die Familie, auch wenn du sie dabei, zugunsten deines Amtes, vernachlässigen musst." versuchte Prisca ihren Onkel zu verstehen und sprach das, was sie dachte ebenso offen aus.


    "Aber das bekommt eben Deandra am deutlichsten zu spüren, weil sie es ist, die dir am nächsten steht und eigentlich die meiste Zuneigung bräuchte ... Ich meine, ich ...ich kann nur sagen, wie es bei mir und meiner Mutter war. ... Ich habe mich lieber um andere Dinge gekümmert. Um meine Freundinnen, meinen Spaß, einfach alles Andere. Dabei war es doch eigentlich meine Mutter, die mir immer nächsten stand ... ich dachte, es ginge alles ewig so weiter wie bisher, ...bis ..."


    Prisca merkte schnell, dass sie nicht genau beschreiben konnte, was in ihrem Onkel oder Deandra vorgehen mochte. Ihr fehlte einfach die Erfahrung in solchen Dingen. Also versuchte sie es auf ihre Weise zu erklären, indem sie es mit sich und ihrer Mutter verglich. Zu Lebzeiten hatte sie ihre Mutter die meiste Zeit vernachlässigt. Und dies nun nicht mehr Ungeschehen machen zu können, beschäftigte sie tief in ihrem Herzen am meisten. Prisca spürte, wie ihre Augen zu glänzen begannen als sie mittem im Satz abbrach, um die Figuren aus den Händen ihres Onkels entgegen zu nehmen.


    "Ich danke dir für deinen Rat, Marcus." erwiderte Prisca leise und ihr Finger fuhren langsam die beiden kleinen Figuren ab und verwischten dabei eine Träne, die sich aus ihren Augen gelöst hatte. Das ihr Onkel unwissend seine Bemerkung auf ihr Verhalten vorhin bei Tisch bezog, welches einen ganz anderen Grund hatte, spielte für Prisca in dem Moment keine Rolle mehr, denn umso mehr traf siein diesem Augenblick zu. "Zeigst du mir, wie wir den Ahnen gedenken können? ... gemeinsam ... vielleicht ist es dann leichter ... für uns beide" fragte sie dann, hielt ihm die Figuren mit beiden Händen wieder hin und sah ihm in die Augen. Sie war froh darüber, hier und jetzt gemeinsam mit ihm, an alte Traditionen anknüpfen zu können.

  • Als Prisca davon sprach, dass die Ahnen im Herzen desjenigen wohnen müssten, der ihnen gedachte, fiel mein Blick auf die Figur des Cicero, die ich achtlos wieder fortgestellt hatte. Er hatte uns alle verraten, wie konnte er da noch länger einen Platz in meinem Herzen inne haben? Glücklicherweise unterbrach meine Nichte diese Gedanken, die in keine gute Richtung abzudriften drohten, indem sie weitersprach und mich schmunzeln machte. Zu einem Großteil hatte sie recht und ich tat vieles von dem, was ich tat, für die Familie, doch natürlich auch für mich selbst. Interessiert schenkte ich dem Erklärungsversuch Priscas Gehör und versuchte, eventuell für mich hilfreiche Informationen aus ihrem Vergleich herauszufiltern. Schnell aber merkte ich, dass sie mir einfach keinen Rat erteilen konnte, weil sie so wenig Erfahrung in derlei Dingen hatte. Ich lächelte sie aufmunternd an, denn es kam mir so vor, als hegte sie große Schuldgefühle wegen ihrer jugendlichen Verfehlungen. "Ich bin mir sicher, dass deine Mutter weiß, wie sehr du sie geliebt hast und wie sehr sie dir fehlt. Gräme dich nicht wegen längst vergessener Dinge, Prisca", munterte ich sie auf und betrachtete, wie sie die Figuren nachdenklich in den Händen hielt. Löste sich da gar eine Träne? Ich neigte den Kopf etwas zur Seite und versuchte so, ihr Gesicht zu erkennen, und tatsächlich, sie weinte.


    Ergriffen vom Moment der Schwäche in diesem Raum, trat ich einen Schritt an meine Nichte heran, umarmte sie und drückte ihren Kopf sanft an meine Brust, dabei unablässig über ihr duftendes Haar streichend. Böse Zungen mochten behaupten, dass mir in diesem Moment, in der Abgeschiedenheit des lararium, ganz andere Gedanken unzüchtiger Art durch den Kopf gingen, aber ich sah Prisca keinesfalls als eine Frau an, derer man sich bedienen konnte oder als mögliche Liebschaft. Ich liebte sie, aber ich liebte sie so, wie ein Bruder seine Schwester liebte, wie es angemessen war und wie sie es vielleicht erwiderte. Bald drückte sie den Wunsch aus, mit mir gemeinsam den Ahnen zu gedenken, und ich schloss einen Augenblick die Augen, das Kinn auf ihrem Haar ruhend. "Wenn du das möchtest", erwiderte ich leise und ließ sie los. Eigentlich hatten wir uns ja getroffen, um Volcanus zu opfern, aber ich ging nur zu gern auf Priscas Wunsch ein. Es würde ohnehin nicht lange dauern, und ich hatte an diesem Abend Zeit, denn die Verwaltungsarbeit konnte ich auch mal einen Abend aussetzen. Gern hätte ich noch etwas wegen Deandra erwidert, denn dass sie unglücklich war und sich offensichtlich Lupus zuwandte, machte mir insgeheim zu schaffen, auch wenn ich das niemals zugegeben hätte. Doch ich schwieg, es passte einfach nicht in diesen Moment hinein, und Priscas Wohl war nun wichtiger, also steckte ich bereitwillig zurück.


    Behutsam nahm ich die Figürchen aus Priscas Händen und stellte sie wieder auf den arula, zurück zu den anderen. "Reichst du mir bitte die Weihrauchkörner?" fragte ich und deutete auf ein Schälchen, das näher an Prisca als an mir stand und in dem sich die bräunlichgrauen Körner, vermischt mit wohlriechenden Kräutern, befanden.

  • Manche mochten in Prisca ein verzogenes Gör sehen, eine arrogante und berechnende Frau oder eine eitle und überhebliche Zicke. Das stimmte zumeist, jedoch waren nicht alle Wesenszüge an ihr so tief und fest verankert wie man glauben mochte. Prisca konnte sie sehr wohl aufgeben, wenn sie es denn wollte. Doch sie tat es nur selten und nur, wenn sie Vertrauen zu jemanden gefasst hatte. So wie jetzt und hier, bei ihrem Onkel. Dessen tröstende Worte erlaubten es ihr, sich ganz so zu geben wie es ihr sonst nur ihrer Mutter gegenüber möglich gewesen war.


    Nur zu gern erwiderte Prisca die Umarmung ihres Onkels und drückte ihre Stirn vertrauensvoll gegen seine Brust. Sie genoß es, so von Marcus so gehalten zu werden und wie er zärtlich über ihr Haar strich. Sicher mochte diese innige Zweisamkeit nach außen hin und auf andere anders wirken, doch Prisca fühlte sich einfach sicher und geborgen so wie damals zu Hause, als kleines Mädchen. Marcus war nicht ihre Mutter und eigentlich war er auch viel zu jung für die Rolle des Onkels. Er war ein sehr attraktiver Mann und doch sah Prisca in ihm weitaus mehr. Sie betrachtete ihn als den großen Bruder, den sie selbst nie hatte und ihr wurde immer mehr bewusst, wie wertvoll und wichtig er ihr war.


    "Ja, ich möchte." bestätigte sie ihm leise die Absicht, den Ahnen zu gedenken zu wollen. Aber es bedeutete auch so vieles mehr, das sie ihm irgendwann sagen und anvertauen wollte. Nachdem Marcus die Figuren für sie zurück gestellt hatte, starrte Prisca gebannt auf den Altar mit den Figuren, der in dem diffusen Licht einen seltsame Ausstrahlung auf sie aus übte. Stumm nahm sie das Schälchen mit beiden Händen, hielt es einen Augenblick lang unter ihre Nase und atmete den angenehmen Geruch, den die Weihrauchkörner bereits jetzt verströmten, ehe sie überhaupt entzündet waren.


    "Es ist wie früher, zu Hause ..." stellte sie lächelnd fest und reichte das Schälchen an ihren Onkel weiter. " ... und ich bin froh nun hier zu sein, bei dir ... bei meiner Familie." meinte sie dann aufrichtig und lies ihre Augen wieder über den Altar wandern. Prisca erkannte zwei Figuren und etwas unsicher, ob sie überhaupt danach fragen durfte meinte sie leise "Sind das da deine Eltern? ... und die von Deandra? ... darf ich sie vielleicht einmal halten? ..." erwartungsvoll blickte sie zu Marcus und wollte eigentlich damit zum Ausdruck bringen, dass sie gern mehr über ihn und die Familie erfahren wollte, um endlich das nach zu holen, was sie so lange Zeit vernachlässigt hatte.

  • Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und einem zunehmend angenehmen Gefühl in der Magengegend nahm ich das Schälchen entgegen, stellte es vor mir auf den Altar und tauchte die Fingerspitzen in die dabei leise raschelnden Körper hinein. Ich streute Weihrauchkörner und Kräuter über die glimmenden Kohlen, woraufhin diese nur wenig zischend schrumpelten und einen betörenden Duft verströmten. "Du bist auch zu Hause, Prisca", entgegnete ich sicher und bestimmt, aber ganz gewiss nicht belehrend, sondern vielmehr bestätigend. Immerhin war dies hier nun ihr Zuhause, konnte ein Hort der Ruhe sein und einer, zu an welchem man sich gern aufhielt und auch aufhalten sollte. Dieses haus hier verkörperte nun auch mein Zuhause, wie mir schlagartig bewusst wurde, denn zuvor hatte ich schließlich die meiste Zeit in Mantua verbracht und mich nur wenig im römischen Domizil der Familie aufgehalten. Ich bückte mich nach dem Korb, der eigentlich für Volcanus bestimmte Opfergaben enthielt. Aber ein paar Kekse weniger würden dem Feuergott sicher nichts ausmachen. So fischte ich eine Hand voll Opferkekse aus dem Korb und richtete mich gerade wieder auf, als Prisca auf die Figürchen meiner Eltern deutete und nach ihnen fragte. Ich sah sie aufmerksam an, erwiderte eine Weile nichts und legte schließlich die Kekse neben das Weihrauchschälchen. Anschließend nahm ich die zwei Elfenbeinfiguren auf und nahm jene meines Vaters zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. "Mein Vater trug den gleichen Namen wie ich. Marcus. Er war ein achtbarer Mann, der für unsere Familie stets das Beste wollte, die Götter achtete, der Ahnen gedachte und meine Mutter verehrte. Er war einst Soldat, befand sich aber auf dem Weg in den Senat, als meine Mutter erkrankte", erzählte ich mit leiser, ruhiger Stimme. Dann schwieg ich einen Moment und reichte Prisca die kleine Figur mit dem geschnitzten Schwert in der winzigen Hand. Das Abbild meiner Mutter hob ich in der Handfläche auf Brusthöhe zwischen uns. "Sie war eine gütige Frau, und weise. Für mich hat sie stets Minerva verkörpert. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht zugegen war, als ihr Leiden immer schlimmer wurde." Das entsprach der Wahrheit, und außer Deandra wusste wohl niemand von diesen Schuldgefühlen, die ich hegte. Und auch ihr gegenüber hatte ich das nie direkt erwähnt, doch sie kannte mich gut genug, um zu erahnen, was mir zu schaffen machte. Mit schwerem Herzen sah ich auf die schmale Figur auf meiner Hand nieder, seufzte und fuhr fort. "Sie litt an schlimmem Husten, verließ ihr Zimmer nur noch selten und hatte kaum noch Appetit. Nur mein Vater konnte sie zum Essen bewegen. Die Ärzte rieten eine Luftveränderung, und so bestand Vater darauf, Mutter nach Sicilia zu bringen. Erst sah es so aus, als würde es ihr besser gehen, doch es kamen immer weniger Briefe in Germanien an, und sie enthielten immer weniger Informationen über ihren Gesundheitszustand. Und schließlich kam ein Brief, in dem..." Ich verstummte, sah Prisca an und reichte ihr die Figur meiner Mutter. "In dem mein Vater mich von ihrem Tod unterrichtete und ebenfalls von seiner Absicht schrieb, ihr zu folgen." Schweigens betrachtete ich das Antlitz Priscas, bemerkte die fein geschwungenen Linien und ihre reine Haut. Leise zischelnd verdampften die Weihrauchkörner. Ich fuhr die Kontur eines vor mir liegenden Kekses nach und wechselte das Standbein. "Meine Eltern haben bis zuletzt Kontakt zu deiner Mutter gehabt. Vielleicht wollte Vespa deswegen, dass ich auf dich acht gebe. Vielleicht hat sie gewusst, dass mein Vater es nicht ertragen würde, ohne meine Mutter zu leben."

  • Gebannt verfolgte Prisca mit den Augen die feinen Rauchfäden, die von den Schale mit der glimmenden Kohlen aufstieg. Der angenehme Geruch wurde noch intensiver und bei den Worten, sie sei zu Hause, trat sie unbewusst einen Schritt näher zum Altar und neben ihren Onkel. Sie tat es ihm nach und streute nun ihrerseits ein paar der Körner in die Schale. Prisca spürte nicht nur die Wärme, die von den glimmenden Kohlen aus ging, sondern auch die Wärme und Verbundenheit, die in den bestätigenden Worten von Marcus lagen und die ihr bewusst machten, wie wohl sie sich in seiner Nähe fühlte.


    Und dieses wohlige Gefühl in ihr wechselte in eine tiefe und echte Ergriffenheit über das, was Marcus über seine Eltern erzählte. Ganz vorsichtig, nahm sie jede der beiden Figuren von ihm entgegen und hielt sie ihn ihrer Handfläche geborgen. Während sie zu hörte ruhte ihr Blick unablässig auf den Figuren in ihrer Hand und im flackernden Licht des Lalariums wirkte es fast so, als würden die beiden Figürchen, durch das Erzählte, selbst lebendig. Es war seltsam, aber so traurig die Geschichte auch war, berührte sie Prisca auch auf eine andere Art und Weise. Diese beiden Menschen waren auf ewig in ihrer Liebe zueinander, untrennbar miteinander verbunden und die Vorstellung und Hoffnung, einmal selbst einen solchen Menschen zu finden, gaben ihr Mut und Hoffnung für die Zukunft.


    "Deine Eltern müssen einander sehr ... sehr geliebt haben. So sehr, das nichts und niemand ihrer Liebe, jemals etwas anhaben kann. .... Ich bedauere es sehr, dass ich sie niemals persönlich kennen lernen durfte." begann sie leise und andächtig zu sprechen, nachdem Marcus verstummt war. Sicherlich war Prisca nicht besonders geübt, jemand anderem Mut oder Trost zu zu sprechen. Umso ehrlicher klangen ihre Worte nun, denn es berührte sie selbst tief., Waren sie doch beide, in der schwersten Stunde ihrer Eltern, weit weg von zu Hause gewesen.


    „Weißt du, was ich mich gerade frage? ... ob es überhaupt möglich ist, sich keine Vorwürfe zu machen wenn etwas geschieht, das wir nicht mehr ändern können ..." Die Figuren nun mit beiden Händen umschlossen trat Prisca an den Altar, während sie die Gedanken, die sie mit einem mal beschäftigten, laut äußerte.


    ".. ist es nicht vielmehr so, das wir jede unserer Entscheidungen, egal wie richtig oder falsch sie uns erscheinen mag, im nach hinein anzweifeln und mit dem vergleichen wollen, das wir nicht gewählt haben? ... Und doch führt es letztendlich zu nichts, weil wir es eben nicht mehr ändern können."


    Behutsam stellte sie die Figuren von Marcus Eltern auf den Altar zurück und richtete sie gewissenhaft darauf aus, bis sie leicht einander zugewandt wieder dort standen, von wo Marcus sie zuvor weg genommen hatte. Gerade musste Prisca daran denken, wie oft sie unbedacht die Gelegenheiten hatte verstreichen lassen, mit ihrer Mutter zusammen zu sein. Und nun war es ihr nicht möglich, diese Zeit zurück zu holen.


    "Nur einer Sache können wir uns ganz sicher sein und das ist die Liebe unserer Eltern zu uns, egal was wir getan haben." bei diesen Worten klang Prisca überzeugt, auch wenn ihre Augen voller Tränen glänzten, denn ihre Mutter hatte sich nie darüber beklagt, sondern ihr immer deutlich zu erkennen gegeben, wie sehr sie ihre Tochter liebte. Prisca trat vom Altar zurück und stellte sich neben ihren Onkel. Etwas zaghaft hakte sie sich bei ihm ein und sah zu ihm hoch.


    "Ich hoffe so sehr, dass wir es unseren Eltern vergelten können, indem wir sie ehren und uns an sie erinnern. ... und indem wir auf die, die wir lieben, acht geben!" auch wenn ihre Worte eher unsicher klangen, nickte Prisca ihrem Onkel mit einem zuversichtlichen Lächeln zu. Sie wollte ihm damit zeigen, dass auch sie auf ihn und die Familie acht geben wollte, so wie es sich ihre Mutter und auch seine Eltern vielleicht gewünscht hatten.

  • Es verstrichen einige Minuten, in denen nur das leise Knistern und Knacken der Kohlen und des Weihrauchs zu hören war. Dann bahnte sich Priscas leise Stimme den Weg durch die Schweigsamkeit und rührten mein Herz an. "Ja, das haben sie wohl. Sie haben sich ergänzt und der eine war für den anderen die Luft zum Atmen. Das war immer schon so, weißt du? So etwas ist selten, Prisca, gerade in unseren Kreisen. Wie viele Ehen werden aufgrund von Bündnissen und Politik geschlossen? Ich gestehe, dass ich auch für mich selbst etwas in dieser Hinsicht erwartet hatte. Aber im Grunde wird die Ehe mit Deandra später auch diesen Zweck erfüllen, da sie nun eine Claudia ist." Das war sie in der Tat, und dies wurde mir nun wieder einmal bewusst. Ich seufzte leise und lauschte dann wieder Priscas Worten, die nicht so klangen, als seien sie die eines Kindes oder eines Jugendlichen. Vielmehr erschien sie mir nun erwachsen, vielleicht erwachsener als ich selbst war. Ich wandte meinen Blick den Figuren zu, die sie berührte, und betrachtete die Szene genau.


    "Da hast du recht", sagte ich schlicht und eine halbe Ewigkeit später, denn es war so, wie sie gesagt hatte. Daran gab es nichts zu rütteln. In Ermangelung erwidernder Worte oder einer sinnigen Tätigkeit, berührte ich einige Weihrauchkörner und konzentrierte mich auf das Knistern im foculus und Priscas Worte. Leider konnte man keine Verbindung zu den Toten herstellen, sie nicht fragen, was ihr Geist dachten und fühlte. Als Prisca sich einhakte, wandte ich den Kopf und sah zu ihr hinunter. Mehr und mehr schien sie Deandras Platz als Schwester einzunehmen, und das war gut so, denn Deandra benötigte nun eine andere Aufmerksamkeit. Ich mochte das Großer-Bruder-Gefühl, und ich hätte fast jeden meiner Verwandten mit meinem Leben verteidigt, besonders aber die Frauen. Dass Cotta sich durchaus gut schlagen konnte, wusste ich ja Dank des Thermenbesuchs. Dieser Gedanke ließ mich schmunzeln, und mit Zuversicht im Herzen zwinkerte ich Prisca zu.


    "Die einen mögen dich jung nennen, Prisca, aber ich weiß, dass du erwachsen und anständig bist. Das zeigt mir die Art, wie du dich ausdrückst. Davon sollte sich so mancher orator eine Scheibe abschneiden. Wenn dir jemand etwas anderes sagt, dann höre nicht hin. Vielen trübt Schönheit die Sicht, und in dir vereint sich beides." Ein Lächeln untermalte diese Ansicht, meine Beurteilung Priscas. "Un nun lass uns das tun, weswegen wir hergekommen sind. Anschließend kannst du mir ja vielleicht erzählen, was dich vorhin beim Essen so bedrückt hat", sagte ich und griff nach einigen Opferkeksen.


    "Ihr auctores generes, wir opfern euch zu Ehren diese Kekse, auf dass es euch im elysium wohlergehen mag und auf dass ihr wohlwollend auf eure Nachkommen hinabblickt. Euer Erbe wird fortgeführt, was begonnen ist, wird vollendet werden. Kehrt diesem Haus euer Gesicht zu und vertreibt die larvae. Wir bitten euch, stärkt die lares et penates und geht auf in unserer Liebe, die euch stets begleitet." Ich schwieg und legte mit bedächtigen Bewegungen insgesamt vier Kekse in die Opferschale. Nur langsam schwärzte sich das Gebäck und verströmte dabei den Geruch nach Angebranntem. Erneut sah ich zu Prisca. "Jetzt sollten wir aber Volcanus nicht vergessen. Der Gute hat schon lange genug gewartet."

  • Sehr aufmerksam und kritisch verfolgte Prisca, was Marcus über seine Eltern und anschließend über die Ehe sagte, auch wenn sie nur unmerklich dazu nickte während sie noch die Figuren in den Händen hielt. Insgeheim verspürte Prisca ein wenig Angst, als sie kurz über ihre eigene Zukunft nachdenken musste. "Ob Marcus mir das auch an tun könnte? ... mich zum Zweck eines Bündnisses oder wegen eines politischen Zieles zu verheiraten? ... Nein, sicher würde er es niemals absichtlich tun, aber würde er es überhaupt bemerken, wenn ich dadurch unglücklich wäre ... oder würde er etwas dagegen tun können?" So, wie ihr Onkel zumindest jetzt - nüchtern und sachlich - über seine künftige Ehe mit Deandra sprach, kamen ihr ganz leise Zweifel was das betraf. Ihr Blick strich nur kurz über sein Gesicht während sie sich dem Altar zuwandte und sie versuchte erfolglos davon ab zu lesen, wie viel von seinen wahren Gefühlen und Sorgen in seinem leisen Seufzer unausgesprochen blieben. Sie wusste ja bereits, wie er und Deandra zu einander gefunden hatten. Deandra hatte es ihr anvertraut und gleichwohl glaubte Prisca in dieser Erzählung viel mehr Romantik und Liebe herausgehört zu haben, als sie es nun den Worten ihres Onkels entnahm. Aber hier war weder der Ort und die Zeit dafür, noch hätte es ihr zugestanden dieses Thema von sich aus an zu sprechen. Letztendlich mochten all diese Zweifel auch unbegründet und unbedeutend sein angesichts des großen Vertrauens, das Prisca zu ihrem Onkel hatte.


    So empfand Prisca die Stille die eintrat, während sie die Figuren auf dem Altar ausrichtete, auch nicht unangenehm. Es gab ihr Zeit um diese Gedanken nicht zu sehr in eine Richtung abschweifen zu lassen. Marcus gab ihr recht, was sie über die Ahnen gesagt hatte und im Stillen verband sie noch einen Wunsch damit "... Mutter ... du hattest immer recht, was du über die Liebe ... und auch über Familie und ihre Bedeutung gesagt hattest. ... Das erkenne ich jetzt ... und ich verspreche dir, das ich mich immer daran erinnern will und versuche werde, danach zu handeln ..."


    Ihr Onkel war die ganze Zeit über still gewesen, während sie sprach und sich bei ihm einhakte. Woran er gerade dachte wusste Prisca nicht. Sein Schmunzeln und wie er ihr so zu zwinkerte sah aber ganz danach aus, als hätte er ihre Gedanken erraten und das Lob, das er ihr nun aussprach bewegte Prisca tief. Vergessen waren plötzlich alle anderen Gedanken und verlegen lächelnd sah Prisca kurz zur Seite. Sie spürte wie sie rot wurde und anstatt etwas darauf zu erwidern, nickte sie nur leicht und drückte sich ein wenig mehr an Marcus, um so ihren Dank zu zeigen.


    Doch schon in der nächsten Sekunde entstand durch seine fürsorgliche Bemerkung und der folgenden Zeremonie eine sehr seltsame Stimmung zwischen Gelöstheit und Bedrücktheit. Marcus schenkte ihr einen so großen Teil seiner Aufmerksamkeit und Fürsorge, obwohl ihn selbst so viele Sorgen zu belasten schienen. Prisca bekam direkt ein schlechtes Gewissen und wusste gar nicht mehr, wie sie sich augenblicklich verhalten sollte. Sollte sie nach seinen Sorgen fragen? ... wollte er das überhaupt ... und vor allem jetzt? Es erschien ihr allein von dem ab zu hängen, was sie als nächstes sagen würde. Ob nun die Stimmung in die eine, oder andere Richtung umschlagen würde.


    "Stimmt ... Volcanus! ... den ... dürfen wir nicht vergessen!!" entgegnete Prisca zögerlich, denn viel zu früh hatte Marcus sie aus ihren Gedanken gerissen. Und zu unsicher klang ihre Stimme, als das es ihm nicht auffallen würde. Also rettete sie sich schnell in die Beantwortung seiner fürsorglichen Bemerkung die ihre Unsicherheit überhaupt ausgelöst hatte. "... du wolltest wissen, was mich heute schon den ganzen Tag über bedrückt? ... es ist wirklich nichts Ernstes, Marcus ... Frauen haben eben ab und zu ihre Tage. ... es gibt sicher schlimmeres ... habt ihr Männer da nicht ganz andere Sorgen?" peinlich war es ihr schon, es zu erwähnen... gerade jetzt und hier! Verlegen lächelnd zuckte Prisca kurz mit den Schultern. Aber es riss sie auch wieder aus ihrer Starre. Und wer weiß, vielleicht zeigte dieses offene Geständnis Marcus ja auch, dass er seine Sorgen ebenso mit ihr teilen könnte, wann immer er wollte.

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