hortus | Vertraute unter sich

  • Was für eine Zeit war das nur, die ich gerade durchlebte? Germanien blieb in schlechter Erinnerung, weil die letzten Ereignisse all das Schöne weit überschatteten. Es lag nicht allein an mir, weil ich genau das zuließ, es lag auch an Corvi, der sich scheinbar um jeden sorgte, aber eben nicht um mich. So war das bei vielen Männern, hatte Tante Apollonia mehrfach erwähnt: Hilfsbereit zu jedem anderen, aber die eigene Frau musste alleine laufen.
    Während ich neben Prisca dem Garten zuschritt, grübelte ich darüber nach, ob ein kleinwenig die Tatsache, dass Apollonia nicht in Liebe mit ihrem Mann verbunden gewesen war, zu ihrer Ansicht geführt hatte. Andererseits verhielt sich Corvi derzeit genau so und zwischen uns gab es keine Zweckverbundenheit. Aber vielleicht wandelte sich Liebe stets in Gewohnheit, bei Sophus war es ähnlich gewesen. Sophus - warum kam ich eigentlich auf ihn? Es musste an Rom und an Apollonia liegen, die Villa barg viele Erinnerungen.
    Auch solche, die mich an meine einstigen Eltern erinnerten. Severina war Mutter und Freundin zugleich für mich gewesen, so wie sie offenbar Freundin und Geliebte zugleich für meinen Vater gewesen war. Bei ihnen starb die Liebe offenbar nie. Oder glaubte ich das nur, weil ihr Tod seinen nach sich gezogen hatte? Ich versuchte mich zu erinnern, ob Antoninus auch im Leben Severina Liebe und Fürsorge angedeihen ließ. Dabei stellte ich feste, er war selten zu Hause, aber wenn, dann nahm er sich stets für Mutter die Zeit, nie für andere. Vielleicht verglich ich derzeit auch zu viel, ich sollte das sein lassen.


    Ich sog die Luft ein, die keineswegs frei von merkwürdigen Gerüchen war, dennoch war es römische Luft, die mehr als nur Qualität zum atmen bot.


    „Ich bin einerseits froh, wieder in Rom zu sein“, begann ich das Gespräch, blickte aber weiter nach vorn, während ich langsam voranschritt. „Andererseits weiß ich nicht, ob ich mich auf die nahe Zukunft freuen kann. Mir scheint, eher nicht. Und wie geht es dir?“


    Bei dieser Frage wandte ich den Kopf und schaute Prisca an. Bei all dem Trubel der letzten Zeit waren ihre Pläne irgendwie untergegangen.

  • Den ersten Teil des Weges gingen sie nur stumm nebeneinander her. Doch auch diese Zeit der Stille empfand Prisca, in der Gesellschaft von Deandra, als sehr angenehm. Es war eben keine Stille die sich dadurch begründete, dass sie sich nichts zu sagen hätten, sondern sie war viel mehr wie der Anfang von dem, was sie sich noch alles anvertrauen könnten. Die Zeit der Reisen schien – zumindest was Prisca betraf – nun vorüber zu sein. Und tatsächlich stellte sich bei ihr, bereits so kurz nach ihrer Ankunft in Rom, gerade so etwas wie Fernweh ein. Vielleicht mochte eine solche Ruhelosigkeit normal sein, angesichts einer so langen Reise, die hinter ihr lag. Anderseits glaubte Prisca den Grund dafür darin zu erkennen, dass sie einfach nicht abschätzen konnte, was das Leben hier in Rom noch alles für sie bereit halten mochte. Die Familie in die sie nun gefunden hatte, bedeutete ihr so viel und die Vorstellung, sie eines Tages gegen ein anderes Zuhause tauschen zu müssen, ängstigte sie insgeheim.


    Aber was war mit Deandra los? War sie immer noch so in Trauer über den Tod ihrer Eltern, oder war es ihre Beziehung mit Marcus die sie beschäftigte, oder gar eine Mischung aus beidem? Genügend Anzeichen für diese Vermutungen gab es und nur wenn Prisca blind gewesen wäre, hätte sie diese übersehen können. Doch ehe Prisca von sich aus das Gespräch beginnen konnte, richtete nun zuerst Deandra die Frage nach dem Befinden an sie. Prisca erwiderte kurz den Blick von Deandra und sah dann nachdenklich wieder nach vorne auf den Weg, der sie durch den Garten führte.


    "ich glaube, mir geht es ähnlich wie dir. ... Auch ich bin froh darüber endlich wieder in Rom zu sein. Aber mehr noch freue ich mich darüber, eine so liebe und große Familie gefunden zu haben. Das macht mir den Verlust meiner Mutter, sofern man das so sagen kann, zumindest ein wenig erträglicher, weil ich weiß das ich nicht alleine bin." gestand Prisca und betrachtete ein wenig wehmütig die Blumenbeete an der Seite des Weges. Sie wollte ganz ehrlich sein, was ihre Gedanken und Ängste betraf und es fiel ihr eigentlich ganz leicht, denn stets hatte sich Deandra ihr gegenüber fürsorglich und freundschaftlich verhalten.


    "Allerdings plagt mich ein wenig die Ungewissheit über das, was mich hier in Rom erwarten wird. Für mich bedeutet es wohl auch, dass ich früher oder später dieses Haus und diese Familie wieder verlassen werde ... " Ihre Ängste vor einer Verbindung und einer Heirat waren es, die Prisca damit umschreiben wollte. Sie fürchtete etwas für immer aufgeben zu müssen, was sie in so kurzer Zeit so lieb gewonnen hatte. Sicher bliebe sie immer ein Teil dieser Familie, allerdings kämen irgendwann andere Pflichten und Aufgaben auf sie zu, die sie zu erfüllen hätte.


    "Aber was rede ich eigentlich ... eigentlich dumm von mir solche Gedanken ausgerechnet jetzt zu haben, findest du nicht? Vielmehr sollte ich froh darüber sein, auf absehbare Zeit nicht wieder in einen engen Reisewagen gepfercht zu werden ... aber im ernst, ich mache mir gerade Sorgen über etwas, das ich gar nicht einschätzen kann. " kopfschüttelnd und leise vor sich hin lachend kam Prisca zu ihrer eigenen Erkenntnis und schnell versuchte sie dieses Thema mit einem Scherz zu verdrängen. Dann blieb sie aber stehen und mit einem Seufzer und einer Verlegenheitsgeste zupfte sie kurz ihre palla zurecht, denn sie glaubte in Deandras Worten eben, eine sehr viel größere Verzweiflung heraus gehört zu haben.


    "... Aber was ist mit dir? ... wieso glaubst du, kannst du dich nicht auf die Zukunft hier freuen?" fragte Prisca teilnahmsvoll und wandte sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck an Deandra. Ihre Vermutungen sprach sie dabei bewusst nicht aus. Vielleicht hatte Deandra augenblicklich ganz andere Sorgen und Pläne, über die sie gar nicht sprechen wollte.


    "... erinnerst du dich eigentlich noch an die Nacht in Mogontiacum, in der wir uns das erste Mal begegnet sind?" vielleicht klang es belanglos und wie ein zusammenhangloser Themenwechsel. Aber so andächtig wie Prisca es direkt im Anschluss anfügte, wollte sie Deandra damit zeigen wie sehr viel mehr sie damit verband. Indes blickte sie hoch zum Himmel und entdeckte dort die ersten Sterne die sich, im Licht des frühen Abends, dort zaghaft ab zu zeichnen begannen. Es versprach ein sehr schöner Sternenhimmel zu werden und vielleicht hätten sie auch das Glück, dort oben eine Sternschnuppe zu entdecken.

  • Die Antwort, die Prisca auf meine Frage fand, erstaunte mich nicht wenig, um ehrlich zu sein, sogar sehr. Ihr ging es ähnlich wie mir? Das konnte doch kaum möglich sein, befand sie sich doch in einer völlig anderen Situation als ich. Ich folgte ihrem Blick, und während ich noch immer über den Vergleich nachgrübelte, löste sich die gemachte Aussage bereits in Wohlgefallen auf – Prisca erging es nur insofern wie mir, als dass sie froh war, wieder in Rom zu sein. Ich lächelte erleichtert.


    „Na, du hast mir vielleicht jetzt einen Schrecken eingejagt“, erwiderte ich, als ihr Blick über die Beete streifte. „Es geht dir also gut, das freut mich sehr!“ Mein Lächeln vergrößerte sich, weil es von Herzen kam. Über ihre nachfolgenden Worte musste ich hingegen nicht lange nachdenken, denn da empfand ich genau wie sie. Ich nickte zweimal, ehe ich weiter sprach.


    „Familie ist etwas Wunderbares, Prisca. Sie spendet Geborgenheit, bietet Rückhalt und Liebe. So etwas braucht der Mensch genauso wie die Gunst der Götter. Und wenn wir Teile unserer Lieben verloren haben, dann sollten sich die Zurückgebliebenen einander annehmen, um den Verlust erträglich zu machen. Ich bin der festen Ansicht, dass auf diese Weise der Schmerz schneller abebbt, wenn auch nicht verschwindet.“


    Mir blieb kaum Zeit, die Gedanken meiner Aussage hinterher schweifen zu lassen, weil Prisca einen Zusatz zu ihrer Eingangserklärung machte, der mich doch wieder an eine vergleichbare Situation zwischen ihr und mir glauben ließ. Sie fürchtete sich offenbar ebenfalls, wenn auch nur ein klein wenig, vor der Zukunft. Ihre Sorge erinnerte mich auch sogleich an meine, dabei hatte ich gehofft, Ablenkung zu finden, als ich das Gesprächsthema auf sie lenkte. Ein kaum hörbarer Seufzer schlüpfte mir über die Lippen, ich blickte zu Boden, um die Gedanken zu sammeln, ehe ich ihren Blick suchte.


    „Ich weiß, wovon du sprichst“, wisperte ich. „Genau das macht mir ja derzeit Angst.“ In meine Augen stand Hilflosigkeit, die ich bisher niemanden offen gezeigt hatte. Bisher trug ich diesen Kampf mit mir alleine aus. „Mich verbindet vermutlich mehr mit den Aureliern als mach einen meiner Brüder, obwohl ich nicht das leibliche Kind Antoninus’ und Severinas bin.“ Mein Redefluss stockte, ich blickte ziellos geradeaus. „… war. Mir wurde aber eine derart starke Verbundenheit zur Gens anerzogen, die in mir den Wunsch erwachen ließ, auf Lebenszeit Teil dieser Familie zu bleiben. Meine Eltern wussten davon, haben mich auch nie gescholten, sie fanden mein Begehren legitim, da mich ja keine Blutsbande mit irgendeinem Familienmitglied verbanden.“


    Priscas Bemühen, sowohl ihre als auch meine Stimmung mit einem Scherz aufzubessern, sollten nicht erfolglos bleiben. Ich bemühte mich um Haltung, so wie ich es eigentlich immer tat, auch wenn es im Inneren völlig anders aussah. Schweigsamkeit war eine hilfreiche Maske, derer ich mich zunehmend gern bediente. Jedoch machte Prisca nur einen Schlenker, um zum Kernthema wieder zurückzufinden. Andererseits konnte es auch Klarheit und Erleichterung bringen, einmal alles anzusprechen und nicht zu verstummen. Während ich nach Worten suchte, wusste ich plötzlich nicht mit meinen Händen wohin. Das Herabhängen fühlte sich ebenso merkwürdig an, wie der Versuch, sie vor dem Bauch oder hinter dem Rücken zu verschränken. Ich wählte schließlich die Variante, bei der ich meinen Körper umschlang. Nach Schritten, in denen ich kein Wort verlauten ließ, erklärte ich leise: „Ich ziehe morgen aus, ohne auch nur einen Schimmer zu haben, für wie lange.“ Diese Aussage brachte das ganze Dilemma auf einen Punkt. „Marcus hat in den letzten Wochen viele Möglichkeiten verstreichen lassen, um mit mir darüber oder über den Tod unserer Eltern zu reden. Ich gehe ins Ungewisse, Prisca. Das macht mir Angst.“ Wieder entstand eine kleine Pause, bevor ich weitere Worte fand. „Weißt du, ich frage nicht, ich drängle auch nicht, ich möchte nicht fordern, denn das wäre alles unter meiner Würde, das verbietet mein Stolz. Vielleicht ist das ein Fehler, ich weiß es nicht. Im Grunde ziehe ich stets nur meine Konsequenzen, denn diese Freiheit kann mir niemand nehmen.“


    Obwohl ich sehr gerne Priscas Meinung dazu gehört hätte, empfand ich ihr Ablenkungsmanöver, das Mogontiacum ansprach, als angenehm. Mein Lächeln überzog mein Gesicht.


    „Ja, ich erinnere mich an die Nacht, in der ich eine Freundin fand“, erwiderte ich leise, löste die Arme und schob eine Hand in ihre. „Wir werden uns oft treffen, ja? Egal wo wir beide einmal wohnen werden.“ Ich schaute sie hoffnungsvoll an.

  • "... Familie ist etwas Wunderbares ...", wiederholte Prisca im Stillen die aufbauenden Worte und erwiderte mit einem Seitenblick zu Deandra ebenso herzlich das Lächeln. Den Tod ihrer Mutter hatte sie immer noch nicht ganz überwunden, aber sie konnte mittlerweile gut damit umgehen. Hatte sie doch auch viele liebe Menschen neu dazu gewonnen. Besonders Deandra und ihr Onkel waren ihr dabei ans Herz gewachsen. Nicht als Eratz für ihre Eltern ... nein, Prisca betrachtete Marcus eher als den großen Bruder und Deandra war für sie zu einer Freundin geworden, der sie sich ganz anvertrauen wollte. "Ja, was die Familie betrifft, geht es mir gut!" bestätigte sie daher noch einmal leise für sich die Worte von Deandra und lies den Blick für einen Moment umher schweifen.


    Als sie wieder zu Deandra sah, nahm Prisca ihren hilflosen Gesichtsausdruck sehr wohl wahr. Aber weder der Scherz noch die Erklärung Deandras halfen Prisca wirklich, alle Ängste bezüglich der Zukunft zu zerstreuen. Mehr noch kamen sie zurück, da auch Deandra solche Gedanken zu plagen schienen obwohl sie doch schon so viel länger ein Teil der Aurelier war und durch ihre Heirat auch immer mit ihr verbunden wäre. Prisca versuchte sich vergeblich ins Gedächtnis zu rufen, wer denn überhaupt Deandras leibliche Eltern waren, denn einfach nach zu fragen traute sie sich augenblicklich nicht. Deandra sprach davon morgen die Villa zu verlassen, der Tod der Eltern und die Beziehung zu Marcus, das alles fügte sich zu einem Bild zusammen, welches die Verzweiflung von Deandra wieder spiegelte. Prisca erschien eine Lösung mit einem Mal so einfach und doch war es ihr nicht möglich einen passenden Rat zu erteilen. ... konnte und durfte sie das überhaupt? Zu wenig wusste sie eigentlich über die Beziehung von Deandra und Marcus.


    Die Erinnerung an die die Nacht in Mogontiacum sollte zunächst helfen. Damit wollte Prisca sich und Deandra noch einmal verdeutlichen, das sie aufeinander vertrauen konnten, egal was geschah. Als Deandra ihr schließlich antwortete und sie hoffnungsvoll dabei ansah war Prisca froh, diese Frage gestellt zu haben. Augenblicklich ergriff und hielt sie die Hand ihrer Freundin fest, um sie zu drücken. "Wo auch immer wir beide wohnen werden ..." bekräftigte Prisca die Worte lächelnd und gab ein Versprechen, welches zugleich ihr Wunsch für die Zukunft sein sollte."... wir wollen stets für einander da sein!" Nur wie konnte sie ihrer Freundin jetzt am besten beistehen? Deandra hatte ihre Lage gerade selbst geschildert. Sollte sie noch einmal darauf eingehen oder das Thema lieber wechseln. Prisca versuchte in Deandras Augen zu lesen was sie sich wünschte, während sie sich einen Moment lang stumm gegenüber standen.


    „Deandra?! ... was du vorhin gesagt hast ... über deinen Umzug in die Villa Claudia, über Marcus und worüber ihr in den letzten Wochen nicht reden konntet ...musst du wirklich schon morgen umziehen?“ begann Prisca ganz leise, ihrer spontanen Eingebung folgend, das Thema noch einmal aufgreifend „ ... ich fürchte ich bin eine schlechte Ratgeberin, was solche Dinge betrifft denn ich war noch nie verlobt gewesen, noch habe ich in einer festen Beziehung zu einem Mann gestanden ...“ entschuldigend schickte Prisca voraus, wie wenig sie eventuell die Situation richtig einschätzen konnte und ein wenig verlegen blickte sie kurz zu Boden. „... aber ich will ganz offen sein. ... Ich glaube nicht, dass Marcus dich absichtlich verletzten will. Es erscheint mir fast so, dass ihn die Sorge um die gesamte Familie viel mehr belastet, als er selbst bereit wäre zu zu geben. Der Tod eurer Eltern ... der Eltern von Helena und Sisenna und auch der meiner Mutter. Durch all diese Schicksalsschläge lastet nun die gesamte Verantwortung auf seinen Schultern.“ Prisca machte ein kurze Pause, denn sie beneidete ihren Onkel nicht um dieses schwere Amt und es war die einzige plausible Erklärung für sie, dass Marcus sich so verhielt. "Ich bewundere Marcus dafür, wie er sich dieser Verantwortung stellt und wie er sich um jeden Einzelnen in der Familie kümmert. Aber er scheint gar nicht mehr zu bemerken, wie sehr er dich dabei vernachlässigt.“


    Wieder verstummte Prisca und dachte darüber nach wie sie selbst darauf reagieren würde und mit einem kurzen Auflachen kam Prisca zu der Erkenntnis, wie sich wohl verhalten würde. „Ich glaube allerdings auch, dass ich mich selbst ganz anders verhalten würde. Ich würde ihn wahrscheinlich drängeln, ihn zur Rede stellen und mir damit die Blöße meiner eigenen Eifersucht geben. Vielleicht würde ich dadurch mehr zerstören als retten zu können und sicherlich würde ich mich selbst meiner Würde berauben. ... aber was ist nun besser? “ Prisca seufzte merklich ... wie sollte man darauf nur eine Ideallösung finden. Dementsprechend hilflos wirkte nun auch Prisca kurzzeitig, obwohl sie eigentlich zuversichtlich sein wollte. Ob sie einmal mit ihrem Onkel darüber reden sollte? Andererseits wusste sie nicht, ob das Deandra recht wäre. "Ungewiss mag vielleicht unsere Zukunft sein, aber gemeinsam bauchen wir uns davor nicht zu fürchten! Erzählst du mir etwas von dir und Marcus? Ich weiss nicht einmal wie ihr zueinander gefunden habt. fragte Prisca dann ganz spontan und wollte damit neuen Mut für alle fassen.

  • Sim-Off:

    Wow, soo schön geschrieben. Da muss ich gleich antworten. :)


    In dem Augenblick als die Rede auf Mogontiacum kam, zog erstmalig an diesem Tag Ruhe in mein Gemüt ein. Ich ahnte, nein, ich wusste, diese Ruhe würde mir für immer erhalten bleiben, denn Prisca hatte es vollbracht, sich in mein Herz zu schummeln und das, obwohl die Torwächter davor sehr wählerisch waren. Mit ihr jedoch war von Anbeginn alles leicht und unkompliziert gewesen, sie besaß Herzensgüte und strahlte so viel Aufrichtigkeit aus. Ich musste unwillkürlich an Helena denken, deren Freundlichkeit sichtbar, aber gleichzeitig spürbar nur oberflächlich gewesen war. Priscas Freundlichkeit und Ehrlichkeit hingegen durchdrangen sie vollkommen und nur solchen Menschen gegenüber konnte ich mich öffnen. Ich wusste, warum meine Torwächter am Herzen derart penibel sondierten: Es lag daran, weil ich sehr empfindsam war – bei geöffnetem Herzen umso mehr. Ich erwiderte den Händedruck nochmals und besiegelte den Schwur.


    „Stets füreinander da.“ Ich lächelte. Zum einem, weil es mir gerade gut wie lange nicht mehr ging, und zum anderen, weil ich bemerkte, dass mich Prisca führte, weil ich ja meine Hand in ihre geschoben hatte. Sie führte, obwohl sie die jüngere von uns beiden war. Vermutlich war ich nach dem Verlust meiner Eltern der Kindheit stets auf der Suche nach einer Mutter- und einer Vatergestalt, die Prisca natürlich nicht darstellte, aber sie erschien mir momentan so viel stärker als ich selbst. Daher blickte ich sie erwartungsvoll an, als wir uns gegenüberstanden und ich bemerkte, dass sie etwas beschäftigte. Kurz darauf sprach sie mich in jener Weise fragend an, die stets etwas Besonderes vermuten ließ. Ich hörte aufmerksam zu, als sie wegen meinem Umzug nachfragte und anschließend erklärte, warum sie glaubte, keine gute Ratgeberin zu sein. Mit einem Lächeln versuchte ich ihre Bedenken zu zerstreuen.


    „Ein Ratgeber wäre schön, ja. Aber alleine wenn jemand zuhört oder wie du seine Gedanken äußert, von dem ich weiß, dass er es gut und ehrlich meint, ist das Unterstützung genug, glaub mir.“ Nachdem Prisca flüchtig aus Verlegenheit nach unten geblickt hatte, fasste sie offenbar Mut und teilte mir ihre Gedanken mit. Wieder hörte ich aufmerksam zu, ich unterbrach sie nicht, machte auch keinen Einwurf während der kurzen Pause und selbst als sie geendet hatte, blieb ich für Momente stumm. Mehrfach ließ ich mir ihre Ansicht durch den Kopf gehen, wog sie ab, prüfte sie.


    „Aus dieser Sichtweise habe ich Marcus’ Veränderung noch nie betrachtet“, gab ich schließlich unumwunden zu. Bislang maß ich seine mangelnde Fürsorge an der, die er mir bis zum Tod unserer Eltern angedeihen ließ. Ich hätte ihn damals mehr als sonst gebraucht, aber nicht nur, dass er nicht für mich da war, er entzog mir sogar den Halt und damit verlor ich auf doppelte Weise den Boden unter den Füßen. „Und ich glaube sogar, du hast Recht. Ich habe das nicht von alleine gesehen, weil mich der Schmerz um Antoninus und Severina fast umgebracht hat. Ich habe mich zurückgezogen. Vermutlich hat ihn das erstrecht davon abgehalten zurückzufinden.“ Die Erkenntnis, selbst einen Großteil an Schuld für empfundenes Unglück zu tragen, war selten angenehm, trotzdem überwand ich mich dazu, mich in seine Lage zu versetzten und in mich hineinzufühlen, wie es mir wohl gegangen wäre. Das Ergebnis war erdrückend. „Ich bin eine Närrin, oder?“


    Fragend schaute ich Prisca an, bereit, mich durch ihre Zustimmung „vernichten“ zu lassen. Absicht hatte ich ihm bisher nie unterstellt, wohl aber Gedankenlosigkeit. Es war so leicht, die Schuld alleine beim anderen zu sehen und gleichsam schwer, eigene Verantwortung zu übernehmen, aber darum kam ich offensichtlich nicht herum. Mein Verhalten, mit dem ich mich schützen wollte, löste bei ihm genau das aus, wovor ich mich am meisten fürchtete, dessentwegen ich den Selbstschutz benötigte. Gerade kam mir alles so paradox vor und ich war froh, als Prisca Überlegungen anstellte, wie sie wohl mit einer solchen Situation umgehen würde. Ich stimmte in ihr Lachen ein und forderte sie mit einer Kopfbewegung, einem ersten Schritt sowie einem sanften Zug am Arm auf, doch den Spaziergang weiter fortzusetzen.


    „So? Du hättest gedrängelt?“, wiederholte ich und fand gleichzeitig mein Lachen wieder. „Uh, Männer reagieren allergisch auf Drängen, merk dir das bloß.“ Der angesammelte Druck fand ein Ventil im Lachen, das Thema war aber auch höchst geeignet, es auf spaßige Weise auseinander zu nehmen. „Außerdem, Prisca, du verlierst tatsächlich an Würde, wenn du Eifersucht zeigst oder einen Mann bittest, dich zu heiraten. Das lässt dich bedürftig wirken“, flüsterte ich in ihr Ohr. „Weißt du was? Er soll niemals annehmen, mit dem geschlossenen Bund tut er dir einen Gefallen. Du bist sein Hauptgewinn, daran muss er glauben.“ Obwohl ich Prisca verschwörerisch anschaute, meinte ich meine Worte toternst. „Wie wäre es, wenn wir uns zukünftig öfter beratschlagen? Dann brauchen wir uns vermutlich tatsächlich nicht vor der Zukunft fürchten.“


    Um einiges gelöster schritt ich nun etwas schneller aus, ohne jedoch das Tempo übermäßig anzuziehen. Schließlich sollte es ja ein erholsamer Spaziergang sein und kein sportliches Ereignis. Priscas Bitte, über mich und Marcus zu erzählen, verstand ich sehr gut. So etwas teilte man einfach mit seiner Freundin. Während die Gedanken bereits in die Vergangenheit wanderten, erschien automatisch ein sanftes Lächeln auf meinem Gesicht.


    „Ich weiß nicht, aus welcher Patrizierfamilie ich stamme, ich habe Vater nie gefragt, weil es außer ihm für mich keinen anderen Vater gab“, begann ich meine Erzählung. „Ich weiß nur, dass ich als Neugeborenes verstoßen wurde, weil ich wieder ein Mädchen war. Mich begleitet dieser Gedanke, unerwünscht gewesen zu sein, auch heute noch. Er wird mich wohl nie loslassen, und das, obwohl ich dadurch die besten Eltern der Welt bekam. Marcus wurde ein Jahr nach meiner Aufnahme geboren. Antoninus bekam offenbar nur Söhne geschenkt, aber er liebte alle seine Kinder. Nicht so wie der, der sich mein leiblicher Vater nennt.“ Die letzten Worte klangen abfällig. Ich bemühte mich nicht, meine Verachtung für die in Rom gängige Praxis des Kinderaussetzens zu verbergen. „Marcus und ich sind zusammen aufgewachsen, er war mir der liebste von meinen Brüdern. Schon als er klein war, sorgte er sich um meine Sicherheit, er war schon immer so. Dass uns mehr als nur geschwisterliche Liebe verband, kam durch meine Adoption vor zwei Jahren zutage. Wir waren beide zunächst bestürzt, haben auch dagegen angekämpft, aber waren schließlich doch der Macht der Gefühle erlegen gewesen. Danach folgte eine wunderschöne Zeit, vielleicht die beste meines Lebens.“ Ich schwieg für einen kurzen Moment, weil mir die Einbuße erst jetzt in ihrer Größe bewusst wurde. „Den Rest kennst du eigentlich, ich habe ihn vorhin im Triclinium erzählt. Als erstes hat mich die Bosheit seiner Leibsklavin sehr belastet, später …“ Meine Gedanken weilten in Mogontiacum, als Prisca noch nicht bei uns wohnte. Trügerische Freundlichkeit hatte mich in Gestalt Helenas umgeben. „Ich kann in so einer feindlichen Atmosphäre nicht atmen, ich bekomme dann keine Luft. Mir ist schon damals manches zu viel gewesen. Einmal habe ich sogar die Beherrschung verloren und dieser Sklavin ins Gesicht geschlagen. Der Druck war einfach viel zu groß.“


    Ich war nicht ohne Fehler, gewiss nicht, aber mir schien schon damals, dass Marcus blind für meine Nöte war.

  • Sim-Off:

    danke =) und das Kompliment seeeehr gerne zurück gebe!!


    Die Wiederholung des gemeinsamen Freundschafts-Schwures tat beiden gleichsam gut. Prisca erkannte es an Deandras Lächeln und erwiderte es eben so offen und ehrlich, wie sie sich selten jemandem gegenüber zeigte. Seltsam nur, das Prisca gerade in diesem Augenblick an die beiden Menschen denken musste, die ihr Vertrauen am aller meisten enttäuscht und hintergangen hatten. Prisca sah das Gesicht ihrer ehemaligen Freundin Serena und das ihrer Leibsklavin Leonita vor sich. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde huschten diese Schatten der Vergangenheit vorüber, welche Prisca schon so tief in ihrem Inneren vergraben geglaubt hatte. Das beirrte Prisca jedoch keineswegs - im Gegenteil - Deandras Nähe, ihre Ausstrahlung und vor allem ihre Offenheit und Ehrlichkeit taten Prisca unendlich gut und das alleine zählte für sie.


    So klangen Deandras Worte auch aufmunternd und wie eine Aufforderung ihre Gedanken mit zu teilen. Prisca redete frei heraus und im Endeffekt nahm sie mit dem was sie sagte, ihren Onkel vielleicht sogar etwas in Schutz. Für Deandra schien diese Sichtweise jedoch völlig neu zu sein, denn sie hörte lange und aufmerksam zu und wirkte dabei sehr nachdenklich. Ihre Antwort letztendlich glich einem Eingeständnis und einer Erkenntnis zugleich, mit der sie die Verantwortung allein auf sich laden wollte. Doch das war in Priscas Augen weder richtig noch nötig. So schüttelte Prisca auch ebenso ehrlich den Kopf und vielleicht gab es ja den richtigen Anstoss für beide. „Nein Deandra, du bist keinesfalls eine Närrin für mich! ... ich kann dich sogar sehr gut verstehen! Ich weiß das ich mich damals, nachdem ich vom Tod meiner Mutter erfahren habe, ebenso zurück gezogen hätte wenn du und Marcus nicht gewesen wärt. Ihr habt mich getröstet und mir das Gefühl gegeben nicht alleine zu sein. ... Aber wie du selbst gesagt hast sehen wir selbst diese Dinge nicht, oder vielleicht erst hinterher klarer ... also wären wir wohl alle gleichsam Narren ... aber das sind wir nicht!


    Prisca bedachte ihre Freundin mit einem dankbaren Blick und noch ehe Deandra darauf etwas hätte erwidern können zeigte Prisca auf, worin sie sich selbst als Närrin sah. Ihr kurzes Auflachen war nicht gewollt, um einen belanglosen Scherz zu unterstreichen. Es war vielmehr die Erkenntnis ihrer eigenen Naivität die ihr augenblicklich in den Sinn kam noch während sie von Deandra, mit einem sanften Zug am Arm, zum weitergehen animiert wurde. Deandra schaffte es mit ihrer herzlichen Art und wie sie es beschrieb, dass nun auch Prisca mit ihr gemeinsam lachen konnte und das, obwohl sie sich selbst eingestehen musste wie wenig sie tatsächlich über die Liebe und die Beziehung zu Männern wusste. "Siehst du, was Männer betrifft, bin wohl ich eine ahnungslose Närrin!" gab sie lachend zu und unterbrach ihre Freundin ansonsten nicht. Aufmerksam verschlang sie jedes Wort von Deandra und verinnerlichte es sogleich für sich. Wie genau sie alles in der Wirklichkeit umsetzen sollte war ihr noch nicht völlig klar. Aber zumindest wusste Prisca, auf wessen Rat sie sich verlassen wollte.


    Mit ihrer Mutter hatte sie früher nie über offen über die Liebe und die Beziehung zu Männern sprechen können, denn für ihre Mutter blieb sie bis zuletzt das kleine Mädchen, das es zu beschützen galt. Prisca und ihre Freundinnen waren allesamt jung und unwissend, um einander wirklich gute Ratgeberinnen in diesen Dingen zu sein. Und was war mit ihrer ehemals besten Freundin Serena? ... wieder flackerte schemenhaft ihr Antlitz vor Prisca´s innerem Auge auf. Mit Serena hatte sie weit mehr verbunden als reine Freundschaft. Doch konnte man das als wahre und echte Liebe bezeichnen, was sie damals für einander empfunden hatten ...? Prisca seuftzte innerlich tief auf. Es half nicht sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Die Zukunft zählte und Deandras verschwörerischer Blick, der sie nun traf, machte Prisca Mut. Mit Deandra würde sie über alles reden können in dem Wissen, das sie von ihr verstanden würde. "Ja! ... das möchte ich sehr ... sehr gern! Für jetzt und für die Zukunft! Ich komme dich besuchen, oder du mich und wir unternehmen beide etwas zusammen. Rom hat doch so viel zu bieten!" erwiderte Prisca ohne Zögern und die Betonung wie sie es sagte verdeutlichte, dass sie immer sehr viel Wert auf Deandras Ratschläge legen würde, bei welcher Gelegenheit auch immer sie sich treffen wollten.


    Und so wertvoll wie jeder Ratschlag und jedes weitere Treffen waren die Erinnerungen, die Deandra bereit war mit ihr zu teilen. Das sie dabei schneller voran schritten und wohin sie gerade gingen, bemerkte Prisca ohnehin nicht mehr, denn sie hörte nur gebannt zu. Hinter einem leichten Kopfschütteln verbarg sich das Unverständnis dafür, dass der leibliche Vater seine Tochter einfach abgelehnt hatte. Prisca verstand das überhaupt nicht und erst, als Deandra von ihrer Beziehung zu Marcus sprach, kehrte ein entspanntes Lächeln zurück auf ihr Gesicht. Doch nur solange bis die Erzählung den Punkt erreichte in dem es um Camryn ging. Mit einem Schlag wurde Priscas Miene ernst und nachdenklich.


    Sie rief sich ins Gedächtnis wie diese Sklavin versuchte hatte, gleich am ersten Tag Einfluss auf sie zu nehmen. "Hatte Camryn nicht gesagt, ich würde schnell am eigenen Lieb erfahren wie einnehmend Deandra ist und wie sehr sie jedem und auch mir den Umgang mit Marcus neidet?" Prisca stellte sich die Frage im Rückblick und fand nichts davon bestätigt. Auch wenn sie gerne weiter auf Deandras Vergangenheit eingegangen wäre, hatte das Gespräch im Augenblick ein ernstes Thema erreicht. Doch das störte Prisca nicht weiter denn dafür waren Freundinnen da, um sich gegenseitig bei zu stehen. Mit einem besorgten Blick zog sie Deandra sachte näher zu sich. "Wer möchte schon in einer feindlichen Atmosphäre leben?! Noch dazu wenn sie durch eine Sklavin verursacht wird! Du hast völlig richtig gehandelt, dass du sie geschlagen hast!" bestätigte Prisca zuerst Deandras Reaktion und ihre Stimme klang hart, was aber nicht gegen Deandra gerichtet war. Nur musste sie gleichzeitig an ihre Sklavin Leonita denken und das machte sie wütend. " Und wie hat Marcus reagiert, hat er sofort gehandelt und Camryn ein für alle mal zurecht gewiesen? ... ist diesbezüglich wieder alles in Ordnung für dich?" erkundigte sich Prisca dann und ihr Tonfall wurde zusehends wieder weicher. Eigentlich hatte Prisca keinen Zweifel, dass ihr Onkel Bosheiten von Sklaven unter keinen Umständen dulden würde.

  • Sim-Off:

    =)


    Als Prisca mir die Einsicht, eine Närrin zu sein, ausredete und sogar davon sprach, dass sie Verständnis für mein Empfinden und mein Verhalten aufbrachte, schaute ich sie dankbar an. Aber es lag mehr als Dankbarkeit in meinem Blick: Verwunderung, Ungläubigkeit, ja fast schon Fassungslosigkeit darüber, dass es tatsächlich jemanden gab, der mich verstand. Die Handlungsweise dieser Sklavin und Helenas Auftreten, die fehlende Fürsprache von irgendjemand hatten mich inzwischen schon so weit gebracht, dass ich an mir selbst zweifelte, dass ich annahm, irgendwie nicht normal zu sein.


    „Fast glaube ich, die Götter haben dich geschickt, weil sie meine Not nicht mehr mit ansehen konnten“, flüsterte ich und gab zum ersten Mal nach Wochen dem Bedürfnis nach, schwach zu sein, die Fassade, die Haltung vorgaukelte, fallen zu lassen, Hilflosigkeit zuzulassen, auch wenn mir dieses Empfinden große Angst einjagten.
    Anschließend schwenkte Prisca zu sich selbst um. Ich hörte mit einem kleinen Schmunzeln, dass sie sich als Närrin in Bezug auf Männer bezeichnete, aber zu einem Umstieg auf dieses Thema war ich momentan nicht in der Lage. An einem anderen Tag oder vielleicht auch noch nachher würde ich es vielleicht wieder aufgreifen können, aber damit sich die soeben gemachte Feststellung nicht erst bei ihr festsetzte, schüttelte ich energisch den Kopf. „Du bist unschuldig und unerfahren, das ist etwas ganz anderes als ein Dummkopf zu sein“, erwiderte ich nachdrücklich, wenn auch mit leiser Stimme. Ich hoffte, Prisca würde Nachsicht mit mir haben, weil meine Gedanken wieder zurück zu Camryn und Mogontiacum wanderten. Dem war offensichtlich so, denn kurz darauf legte sie sogar neuen Balsam aus, indem sie nicht nur die berechtigte Frage stellte, wer schon in einer feindlichen Atmosphäre leben wollte, sondern weitere Nähe bot, indem sie mich sachte näher zog, was ich sehr gerne geschehen ließ. Mehr noch, ich legte einem spontanen Bedürfnis zufolge die Arme um sie und drückte sie sachte, währenddem ich meine Gedanken äußerte: „Meinst du wirklich, ich habe damals richtig gehandelt, als ich diese Sklavin geschlagen habe?“, fragte ich ungläubig, bevor ich mich wieder von ihr löste und sie unsicher anschaute. „Marcus war damals verärgert gewesen, weil ich mich von ihr habe provozieren lassen. Aber auch wenn du später noch zu der Erkenntnis gelangen solltest, es sei notwendig, über den Aussagen einer Sklavin zu stehen, hat mir dein gezeigtes Verständnis schon sehr geholfen. Manchmal weiß ich einfach nicht mehr, was ich denken soll. Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass ich alles richtig mache, aber so absolut falsch kann mein Empfinden doch auch nicht sein. Ich ertrage einfach Anfeindungen, Boshaft, Hinterhältigkeit und Intrigen nicht. Ich halte das nicht aus, Prisca, ich gehe daran kaputt.“ Meine Stärke, die ich zweifellos besaß, schmolz dahin, wenn ich mich im Zielfeuer neidvoller Menschen sah. Das Rüstzeug zum Schutz meiner Seele war dünn, das wusste ich. Ebenso klar vor Augen stand mir, dass ich nicht zu den Menschen gehörte, die melancholisch in sich versanken, sondern nach einer - zugegeben längeren - Zeit des Aushaltens schließlich handelte. Doch dieses Handeln war, weil es durch die Not ausgelöst wurde, selten rational geleitet, sondern zumeist von den verletzten Gefühlen getragen. Auch das wusste ich, und doch konnte ich nichts daran ändern.


    Noch immer standen Priscas letzte Fragen unbeantwortet. Es gab jeweils eine klare Antwort, ich musste da nicht einmal überlegen, und doch zögerte ich, denn bisher hatte ich mich noch nie einem Menschen anvertraut, wenn es um meine intimsten Empfindungen ging. Nicht nur wegen mir, sondern auch um Marcus zu schützen, sprach ich nie über ihn. Vor anderen verteidigte ich sogar oft sein Handeln noch, als dass ich es kritisierte. Es war eine dumme Eigenart von mir und war ein Teil meiner Loyalität. Aber hier stand Prisca vor mir und ich vertraute ihr. Zudem drückte mich so vieles ab, dessen ich mich eventuell hier entledigen konnte. Ich gab mir innerlich einen Ruck und begann stockend zu erzählen.


    „Oh ja, er hat sie zurechtgewiesen, sie musste fortan die Reise zu Fuß zurücklegen. Leider hat das ihren Hass noch gesteigert. Marcus konnte das nicht voraussehen und ich hatte mich über sein Einschreiten sehr gefreut.“ Das war also die Antwort auf die erste Frage. Eine zugegeben leichte Antwort, doch schon bei der nächsten sah es deutlich anders aus. Einem inneren Bedürfnis zufolge schickte ich ihr positive Aussagen voraus. „Weißt du, Prisca“, begann ich leise, während ich auf unsere gefassten Hände schaute, die mir wie eine Hilfestellung vorkamen. „Marcus ist ein besonderer Mann, ich würde ihn sogar als Ausnahmemann bezeichnen. Er ist liebevoll, fürsorglich, aufmerksam.“ Ich stockte und blickte ihr in die Augen. „Ja, vor allem aufmerksam über das normale Maß hinaus. Er ist zielstrebig, intelligent und in seinem Charakter aufrichtig. An positiven Eigenschaften besitzt er so ziemlich alles, was man sich nur wünschen kann. Sicherlich hat er auch Fehler, wer hat schon keine? Aber darauf möchte ich hier nicht eingehen, denn du hast gefragt, ob für mich bezüglich Camryn wieder alles in Ordnung ist.“ Ein schwerer Atemzug hob meine Brust, ehe ich weiter sprach. „Er verbringt Zeit mit ihr. Anfangs nach unserer Verlobung nicht, aber später“, wisperte ich und meine Augen nahmen einen gequälten Ausdruck an. „Prisca, sein Handeln ist legitim, aber warum sagt ihm sein Herz nicht, wie weh er mir damit tut?“

  • "Die Götter sollen mich geschickt haben?" als Deandra das zu ihr gesagt hatte, musste Prisca verlegen zum Himmel schauen. Sie betrachtete kurz die Sterne, die dort oben in unerreichbarer Ferne hingen und versuchte sich ein Bild von der unendlichen Weite zu machen, die dahinter stecken mochte. Es gelang ihr nicht, nur eines schien ihr bewusst zu werden. Das man im Leben manchmal auf andere vertrauen musste und wenn man es schaffte und niemand dieses Vertrauen missbrauchte, schuf dies ein unsichtbares Band das länger halten mochte, als die Ewigkeit der Sterne dort am Himmel. Prisca war bereit dieses Band zu halten, auch wenn sie an sich selbst zu zweifeln begann. Konnte sie mit ihrer eigenen Unerfahrenheit in vielen Dingen und allen voran die Liebe selbst, überhaupt eine Hilfe und die Beraterin sein, auf die andere vielleicht insgeheim sogar hofften? ... Prisca war sich nicht sicher, nur in einem Punkt war sie es und war es schon immer gewesen. Ehrlichkeit und Vertrauen wollte sie immer mit eben solchem vergelten. So war das Einzige was sie machen konnte und woillte, das zu sagen was sie dachte und von dem sie überzeugt war, es gleich zu tun. So überzeugt, wie sie eben war das Deandra richtig gehandelt hatte als sie die Sklavin geschlagen hatte. Niemand war ohne Fehler und vielleicht bestand der einzige Fehler den man man machen konnte auch nur darin, sich überhaupt von anderen soweit bringen zu lassen, um sich mit seinem Handeln selbst die Blöße der eigenen Verletzbarkeit zu geben. Doch wer war gänzlich ohne Fehler, das er über Andere und das was sie sagten oder taten, zu urteilen berechtigt wäre?


    Aufmerksam hörte sie sich an, was Deandra sagte und sie unterbrach Deandra zunächst auch nicht, um auf die an sie gerichteten Fagen zu antworten oder auf ihre verzweifelten Worte hin etwas tröstendes zu erwidern. NUr mit ihren Blicken und sanften Gesten, wie das Drücken ihrer Hand oder eine leichte Berührung am Arm wollte sie ihrer Freundin ziegen, das sie verstand wie es in ihr aussehen musste. Wie lange sie nun schon im Garten weilten oder ob sie von den übrigen Angehörigen vermisst wurden, spielte im Moment keine Rolle. Sie hatten alle Zeit der Welt und die brauchte Prisca für sich, um sich der Bedeutung von Deandras Worten bewusst zu werden, als sie auf ihren Onkel und sein Handeln zu sprechen kam. " ...sagt ihm sein Herz nicht, wie weh er mir damit tut ..." ... Noch einmal klangen Deandras letzte Worte in ihren Gedanken nach und Prisca lies eine geraume Zeit verstreichen, ohne etwas darauf zu erwidern. Sie standen einfach nur da, jede für sich in ihren Gedanken versunken. Aber doch auf eine Art und Weise verbunden und das nicht nur mit den Händen, an denen sie sich gegenseitig hielten.


    "Ich bin nach wie vor überzeugt, dass du richtig gehandelt hast als du die Sklavin geschlagen hast... " durchbrach Prisca nach einiger Zeit die Stille und bestätigte noch einmal ihre persönliche Überzeugung." ... und auch wenn ich mich täuschen sollte, oder andere es eben anders betrachten mögen, so war deine Handlung eben nur eine rein menschliche Reaktion. Ist es nicht so, das wir uns unser ganzes Leben über so vielen Provokationen zu stellen haben? ... nicht immer mag dies mit Absicht geschehen aber manchmal reicht schon eine einfache Wespe oder Fliege aus, die uns unablässig umkreist, um zu erreichen, das wir entnervt nach ihr schlagen." Prisca wollte mit diesem Vergleich, der ihr spontan in den Sinn kam, nicht von der Ernsthaftigkeit des eigentlichen Themas abweichen und so war das Lächeln, das sie Deandra zeigte auch sehr zurückhaltend.


    "Sicher wäre es schön, sich immer und überall beherrschen zu können und über allen Dingen zu stehen. Aber wer kann schon von sich selbst behaupten, das er dazu fähig ist? Ich bin es sicher nicht ... und ich war es auch damals nicht, als ich meine ehemalige Leibsklavin persönlich bestraft und verstossen habe ..." vielleicht war das damals auch falsch von ihr gewesen und kurz geriet Prisca ins stocken als sie überlegte, ob sie davon erzählen sollte. Sie würde es Deandra sicher anvertrauen, doch im Augenlick waren Deandras Fragen wichtiger, auch wenn sie darauf selbst nicht so recht eine eine eindeutige Erklärung wusste.


    "...Niemand von uns scheint ganz ohne Fehler zu sein, so wohl auch mein Onkel nicht. Ich wünschte ich hätte eine Erklärung dafür, warum ihm sein Herz nicht sagt, wie weh er dir damit tut. Vielleicht ist gerade das sein Fehler, das er es nicht sieht....vielleicht ist es auch ein Fehler, der allen Männern eigen ist. Das sie ihr Handeln und ihr Herz von einander trennen können, es nicht einmal bemerken und sogar der Überzeugung sind, wir könnten dafür Verständnis haben ...?...konnte es dafür überhaupt eine plausible Erklärung geben? ... Priscas Erklärungsversuche klangen vielmehr wie Fragen, auf die sie selbst noch keine Antworten kannte und ebenso hilflos wirkte daher auch ihr Blick, der immer wieder zu Deandra schweifte. Prisca traute sich nicht zu fragen, was Deandra wohl letztendlich für sich entscheiden mochte. Aber was auch immer Geschehen würde, Prisca wollte für sie da sein.

  • Mein Blick folgte Priscas Kopfbewegung, als sie zum Sternenhimmel sah. Der Anblick vermochte mich für geraume Zeit von unserem Gespräch ablenken, denn die Weite des Firmaments strahlte Ruhe, Schönheit, Geheimnisvolles und Vertrautes zugleich aus. Zwei der Sterne mussten meine Eltern sein, meine ehemaligen. Mir wurde bewusst, dass sie mich auf jedem meiner Schritte beobachten konnten, und ich beschloss, ihnen Kummer weitestgehend fernzuhalten. Priscas Berührung brachte mich in die Wirklichkeit zurück, ich schaute sie an. Ein Händedruck oder eine Umarmung konnten mehr sagen als Worte, beides nahm ich dankbar an. Die nächsten Augenblicke vergingen weiterhin schweigend, weil jeder seinen Gedanken nachhing, aber in Priscas Nähe spielte es keine Rolle, ob das gegenseitige Verstehen wortlos oder mittels Aussagen verdeutlicht wurde, es begleitete uns stets. Und obwohl ich nach gewissem Nachdenken ihrerseits bereits mit einer Einschränkung bezüglich ihrer vorherigen Aussage, meine Unbeherrschtheit betreffend, gerechnet hatte, wiederholte sie ihre Überzeugung, die meine Selbstzweifel nunmehr völlig verdrängten. Sie bewertete meine Reaktion als menschlich.


    „Danke.“ Mein erleichtertes Lächeln vervollständigte die Aussage zu einem knappen Satz. „Leider verfüge ich auch nicht über eine bewundernswerte Selbstbeherrschung und es macht dich mir eher noch sympathischer, wenn du ebenfalls kleine Fehler hast. Ich weiß, Perfektion wird angestrebt und mangelnde Selbstbeherrschung ist ein Fehler, ich kenne die Predigten. Sicher, man lebt friedlicher je weniger man sich aus der Ruhe bringen lässt. Gemütsruhe soll sogar erlernbar sein, sofern die Götter uns nicht von Geburt an damit beschenkt haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie tatsächlich erlernen möchte. Vermutlich lebt man beherrscht weniger intensiv.“


    Die Pause zwischen den Themen währte kurz. Prisca richtete meine Gedanken wieder auf Corvi, als sie weiter sprach. Wie immer, wenn ich neue und mir klug erscheinende Gedankenergüsse aufnahm, stellte sich eine innerliche Begeisterung ein, die mich kurzfristig in Schweigen hüllte, bevor ich nach erfolgter Prüfung der Aussage meine Anerkennung äußerte.


    „Du besitzt Lebensweisheit, Prisca. Und das, obwohl du so jung an Jahren bist. Um ehrlich zu sein, wäre ich nicht von allein auf den Gedanken gekommen, dass Männer der Überzeugung sein könnten, wir Frauen würden für solches Handeln Verständnis aufbringen. Nehmen wir einmal an, du hast Recht, dann besteht ihr Fehler aus Unkenntnis oder schlimmstenfalls aus Gedankenlosigkeit. Das macht den Akt als solchen nicht besser, aber vielleicht erträglicher.“ Meine Brauen zogen sich zusammen, was stets ein Zeichen für angestrengtes Nachdenken war. „Vorerst“, betonte ich. So lange, wie wir still darauf hoffen, sie mögen von selbst ihren Irrtum begreifen. Das wiederum bedeutet, wir müssen mit ihnen sprechen.“


    Erst jetzt gewahrte ich, wie mich Prisca zeitweise musterte, weil ich auf ihrem Antlitz nach einer Antwort suchte. Ein winziges Kopfschütteln und Schulterzucken, das von Ratlosigkeit zeugte, leitete meine Frage ein. „Was glaubst du, wie er darauf reagieren würde, wenn ich ihn einmal darauf anspreche?“

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