Patrizischer Einkauf, oder: Was man mit Frauen nicht tun sollte

  • Ein bisschen verlegen wirkte sie, und wahrscheinlich war es wohl wegen mir - welche Frau wollte sich schon vor einem Mann von einem Händler vermessen lassen und so die Geheimnisse ihrer Maße preisgeben? So hob ich bei dem unterstützungheischenden Blick des Händlers nur eine Braue leicht an und ließ mir dann die Stoffe zeigen, die eilige Sklaven aus dem Lager herbeischleppten - Ballen um Ballen teuerster und exquisitester Ware, das erkannte selbst jemand wie ich, der es hasste, sich überhaupt über so etwas Gedanken zu machen. Mein Blick schweifte über die schimmernde Seide, welche doch dem lebendigen Schimmer auf Antonias Haut niemals gleich kommen würde, und mit einem Mal wusste ich, wie ich dieses Dilemma auflösen würde. Die spätere Rechnung würde mir höchstwahrscheinlich Tränen in die Augen treiben, und doch war mir das im Grunde egal. Es war nur Gold, und im Augenblick war es mir viel wichtiger, dass Antonia an diesem ag nichts als Freude erleben würde.


    So deutete ich schließlich auf einen weinroten Seidenballen, in den in zarten Blütenranken mit Goldstickerei Muster eingestickt waren, die sich an Kunstfertigkeit mit vielem messen lassen durften. "Pack mir diesen Ballen ein, den ganzen Ballen. Und sehe ich irgendwo in Rom jemanden mit einem Stoff wie diesem herumlaufen, der nicht meine liebreizende Begleiterin ist, werden wir uns wieder sprechen, und ich verspreche Dir, es wird kein angenehmes Gespräch sein - haben wir uns verstanden?" Der Händler schluckte sichtlich und nickte dann langsam, während er (wesentlich schneller) dem Sklaven den Wink gab, den gesamten Ballen einzupacken und unseren Einkäufen hinzuzufügen.
    "Dir wird sicher etwas einfallen, was Du damit machen kannst, da bin ich recht zuversichtlich," sagte ich lächelnd zu Antonia und ersparte ihr somit das Ausmessprocedere. "Meinst Du, wir haben hier alles?"

  • Etwas Derartiges hatte der Händler weder erwartet, noch zu hoffen gewagt. Den ganzen Seidenstoff…heute konnte er früher Feierabend machen.
    „Wo soll ich es hinschicken lassen, Herr? Oder wollt ihr es gleich mitnehmen?“
    Sein Blick schweifte über die versammelte Sklavenschaft, die bei der Aussicht, noch mehr schleppen zu müssen alles andere als begeistert war. Andererseits hatten sie schon weitaus anstrengendere Einkaufsausflüge Antonias mitgemacht und waren daher Rückenschmerzen gewohnt.


    Antonia indes lächelt ihren ‚Retter’ dankbar an.
    „Ach, Aquilius, das kann ich doch nicht annehmen.“
    Oh und wie sie konnte. In Gedanken sieht sie den Stoff bereits zu mehreren Kleidungsstücken verarbeitet, was einen besonderen Glanz in ihre Augen bringt. Wäre nur ihr Gatte.. doch diesen Gedanken hatte sie ja schon oft gehegt und wischte ihn daher umgehend beiseite. Wozu etwas bedauern, das man ohnehin nicht mehr ändern konnte?
    So sieht sie sich ein letztes Mal um und nickt schließlich.
    „Ich denke, ja. Brauchst du sonst noch etwas? Neue Sandalen vielleicht? Ich kenne da einen Händler, der... “
    Es war unglaublich, wie viel Informationen über Leder, Verarbeitung und Service man in eine so kurze Ausführung packen konnte, doch die Claudia schaffte es. Zweifellos konnte außer ihr selbst ihr jedoch niemand so recht folgen.

  • "Zur villa Flavia," sagte ich knapp in die Richtung des Händlers, die Sklaven waren ohnehin bereits bepackt genug und ich wollte nicht Gefahr laufen, dass der feine Stoff irgendwo im Dreck landete. Ich wollte genau diesen Stoff an Claudia Antonia sehen und nirgends sonst, und garantiert würde sie hinreißend aussehen, wobei sie das ohnehin die meiste Zeit tat (und jene Stunden, in denen sie nicht eine Augenweide war, enthielt sie mir wie dem Rest der Welt klugerweise vor, wie es Frauen eben gemeinhin taten, wenn sie sich nicht wohl fühlten). "Natürlich kannst Du das. Ausserdem, wenn ich Dir diesen Stoff schenken will, und er uns in die villa geliefert wird, dann kann ich schlecht daraus eine toga machen lassen, oder? Es würde ziemlich würdelos aussehen, mit diesem Stoff als toga unterwegs zu sein und das willst Du sicher nicht." Gutmütig zwinkerte ich ihr zu, eine echte Erpressung war das natürlich nicht und ich würde niemals freiwillig eine toga anziehen, die aus einem solchen Stoff bestand, nicht einmal im Traum.


    Als sie dann allerdings begann, von Sandalen zu schwärmen - und nichts auf dieser Welt konnte Frauen mehr ins Schwärmen bringen als Sandalen in allen möglichen Farben, zumindest glaubte ich das langsam - sah ich weiteres Verhängnis am Horizont erscheinen, vor dem mir ziemlich graute, und so sagte ich schnell: "Ich brauche ganz sicher keine neuen Sandalen derzeit, und was ich habe, passt zu den togen ganz hervorragend. Was hältst Du von einem entspannenden Schmuckstand?" Zudem konnte man sich bei den meisten derartigen Händlern hinsetzen, während sie einem ihre Waren präsentierten und langsam aber sicher hatte ich das Gefühl, dass mir meine Füße bald abfallen würden, wenn ich noch einen Kleidungsladen von innen ansehen musste. Warum schrieben die Dichter eigentlich nie über weibliche Kaufsucht? Sicherlich wären einige Epigramme darüber ein absoluter Verkaufsschlager, jeder Mann in Rom hätte das Elend sehr schnell begriffen, das da geschildert würde.

  • Einen Moment lang verfiel Antonia in die Vorstellung, Aquilius eine Toga aus eben jenem Seidenstoff tragen zu sehen. Die natürliche Folge dessen war ein schelmisches Schmunzeln, welches sie hinter vorgehaltener Hand zu verbergen suchte.
    "Oh, du kannst doch alles tragen, Aquilius.", erwiderte sie glucksend.


    Mit Schmuck konnte man die Claudia natürlich locken. Ebenso wie mit Schuhen, Kleidern..
    "Das halte ich für eine hervorragende Idee."
    Der einzige, den diese Idee nicht allzu sehr zu begeistern schien, war der Händler, der seinen neuen Lieblingskunden ein wenig nachzutrauern schien, als diese seinen Laden verließen.
    "Hast du einen bestimmten im Sinn? Ich hörte Cartix, dieser berühmte Gallier, hätte eine neue Kollektion. Oder Guccius? Oder hast du am Ende eine Neuentdeckung gemacht?"
    Inzwischen hatte sich Antonia erneut beim Vetter ihres Gatten untergehakt und schlenderte gemütlich in die erstbeste Richtung davon. Selbstverständlich stets gefolgt von der Sklavenschar, welche die Hoffnung auf einen entspannten Nachmittag längst aufgegeben hatte.

  • "Eine toga aus Seide ziehe ich sicherlich nicht an, Antonia, auch nicht, wenn Du mich ganz lieb darum bittest," gab ich ihr trocken zurück und schüttelte schmunzelnd den Kopf. Frauen und ihre Ideen ... das dauernde Einkaufengehen tat ihnen einfach nicht gut, egal, was sie einem darüber alles erzählen mochten. Wenigstens waren wir aus diesem elenden Laden heraus und ich war diesen grausamen Händler los, der mich angeschaut hatte, als wäre ich ein lebendiges Depot für aurei. Aber wahrscheinlich war auch dies genau die Aufgabe, die Männern zukam, wenn sie mit einer Frau einkaufen gingen, eben am Ende den ganzen Krempel bezahlen, ob man ihn nun brauchte oder nicht.


    "Cartrix? Nun, wenn Du meinst, dass er etwas hat, was Dir gefallen könnte, dann gehen wir dorthin - ich kenne diese Art der Händler einfach zu wenig, um einen Stand vom anderen unterscheiden zu können."
    Und eigentlich wollte ich auch nicht über Wissen verfügen, das sich mit solchen Dingen beschäftigte. Wenn eine Frau daran Freude fand, dann meinetwegen, aber ich wollte dazu nicht gezwungen sein oder werden. Als sie sich bei mir unterhakte, prickelte die Haut meines Arms und ich blickte sie unwillkürlich an, die elegante Linie ihres Gesichts, das erhobene Kinn, ihre zierlichen kleinen Schritte, überhaupt selbst das Wogen ihrer kleinsten Haarsträhnchen schlug mich in einen Bann, gegen den ich im Grunde ebenso machtlos war wie gegen den Zauber der Frauen im Allgemeinen. Für einen Moment musste ich daran denken, wie es wäre, sie in einen dieser Stände zu entführen, die Händler herauszuwerfen und mit meinen Händen und der Zunge ihre weiche, weiße Haut zu erkunden - und schätzungsweise stand dieser Gedanke ausgesprochen deutlich in meinen Augen zu lesen.

  • "Ooooh, du vertraust meinem Urteil so wenig, dass du mir nicht glauben würdest, dass du in einer solchen Toga formidabel aussehen würdest?"
    Niemand konnte ein so enttäuschtes Gesicht aufsetzen, wie eine Claudia. Eventuell hätte eine Fünfjährige, die nicht die gewünschte Puppe zu den Saturnalien bekommen hatte, es noch damit aufnehmen können.
    "Ich muss sagen, ich bin maßlos erschüttert."
    Ein theatralischer Seufzer war krönender Abschluss dieser Privatvorstellung.


    Auf die Frage, ob Cartix etwas haben könnte, das ihr gefiele, lächelte Antonia lediglich geheimnisvoll. Es war so gut wie unmöglich, dass er etwas hatte, das ihr nicht gefiel.
    “Ich denke.. das wird kein Problem werden. Auf dem Weg dorthin kann ich dir ja ein wenig darüber erzählen.“
    Es klang wie eine Drohung und war dennoch nicht als solche gemeint. Unglücklicherweise hatte Antonia nicht das Talent, sich in andere Menschen hinein zu fühlen. Ein wenig vertieft in Gedanken bemerkte sie so auch zunächst Aquilius‘ Blick nicht. Und als sie es tat, erwiderte sie ihn stumm und ausdruckslos. Lediglich eine Art Funkel in den Augen des Flaviers verunsicherte sie ein wenig. Es war ihr fremd, jenes Feuer, das in ihm zu lodern schien. Bei ihrem Gatten hatte sie es noch nie gesehen und andere Männer waren ihr nie so Nahe gekommen, dass sie jene Begierde hätte entdecken können. Und trotz eines mulmigen Gefühls senkte sie die Augen nicht verschämt nach unten.

  • "Ich glaube, ich lasse mich lieber überraschen, werte Schwägerin, es ist wie mit einem kostbaren Geschenk: Würdest Du wissen wollen, was sich darin befindet, bevor Du es geöffnet hast? Es würde einem doch gänzlich jegliche Spannung rauben und bliebe nur ein schales und leeres Echo dessen, was es sein könnte," versetzte ich auf ihre Androhung, mir mehr über Cartrix zu erzählen. Noch eine Schilderung irgendeines überteuerten Händlerbestandes hätte mich schätzungsweise innerhalb weniger Augenblicke in den Wahnsinn getrieben, auch jetzt wusste ich schon weit mehr über Sandalen und Kleidung, als ich jemals hatte wissen wollen, und fürchtete, diese Informationen auch mit mehreren Bechern Falerner nicht mehr loswerden zu können. Dass sie mir ernsthaft unterzujubeln versuchte, sie sei ob meiner Ablehnung einer Seidentoga ernsthaft betrübt, entlarvte ich indes als Schelmenspiel, das die Frauen nur zu gern mit Männern veranstalteten - auf dergleichen hatte sich auch meine Mutter ausgesprochen gut verstanden und meinem Vater jeden Ausflug in die Stadt zu einem Abbild des orcus gemacht - in sofern prallte dieses hervorragende Schaustück an weiblicher Enttäuschung ziemlich wirkungslos an mir ab.


    Auch wenn ich mir sicher war, dass sich meine Wünsche offen in meine Blick widerspiegelten, wandte sie sich doch nicht ab - was für eine Patrizierin ungleich überraschender war als für jede andere Art von Frau, denn jenen brachten ihre Mütter sehr schnell Schamhaftigkeit bei oder zumindest, jene vorzutäuschen, wenn sie diese nicht besaßen. Und doch, in diesem Augernblick wünschte ich mir sehnsüchtig, in diesen klaren, ruhigen Augen auch einmal einen Funken der Lust entdecken zu können, etwas, das verriet, dass sie lebte, dass sie genoss, dass sie Freude an dem empfand, was sie tat. Hatte sie etwa schon zu lange in ihrer Ehe begraben gelegt? Ich beschloss, es herauszufinden ... so senkte ich den Klang meiner Stimme, führte sie weiter durch die Menschen und plauderte so harmlos, als sei dies ein Gespräch über Kleidung.
    "Ich bedauere jeden Tag, an dem ich Dich trübsinnig sehe, Antonia, und ich wünschte, ich könnte dies auf eine Weise ändern, die Dich im tiefsten Inneren berührt, die Dich leben lässt, nicht einfach nur die Stunden vorüberstreichen lassend, sondern lebendig, funkelnd, strahlend. Wie Du jetzt schon strahlst, einem klaren Diamanten gleich, wäre doch loderndes Feuer ungleich wärmer und heißer, und solcherlei würde ich Dich gern strahlen sehen. Wäre der einzige Weg, Dir Juwelen zu schenken, würde ich es mit Freuden tun, aber ich glaube doch, es gäbe noch andere."

  • Seine Worte leuchteten ihr ein. Sie glaubte sie zumindest. Vermutete keineswegs, dass er nichts halb so begeistert vom Einkaufen war, wie sie selbst. Daran gab es schließlich nichts, was keinen Spaß bereitete. So schluckte sie die bereits zurechtgelegten Worte über filigrane Goldschmiedearbeiten und die Auswahl der richtigen Edelsteine hinunter.


    Dass ihre Farce die rechte Wirkung verfehlte, entging ihr indes. Sie versuchte noch immer, jenen undeutbaren Blick irgendwie einzuordnen. Auch nur annähernd etwas wie Lust oder Leidenschaft in ihren eigenen Augen zu suchen war in diesem Moment allerdings vergebene Liebesmüh. Gerade als sie aufgeben will, richtete er Worte an sie, die vollbrachten, was sein Blick nicht konnte. Sie wandte den Blick verschämt nach unten. Aus einer anderen Scham zwar, dennoch konnte sie nicht länger ertragen, jenen Flavier anzusehen, der ihr die einzig vertraute Seele in ihrem zu Hause war. Wie ein warmer Regen prasselten dennoch die Sätze weiter auf sie herab.
    „Ich bin nicht trübsinnig.“
    In der Tat sie war es nicht. Zumindest nicht 24 Stunden am Tag, denn eine gewisse Zeit lang schlief sie.
    „Glaub mir, Aquilius, Juwelen sind der falsche Weg, um mich einem Feuer gleich zu sehen. Ich weiß nicht, wie es gehen würde, ich weiß nur, dass es damit nicht geht. Denn Juwelen habe ich viele, doch gelodert noch nie.“
    Den rechten Hintergrund seiner Worte hatte sie allerdings noch immer ergründet. Jede andere Frau hätte wohl spätestens bei Kombination von Blick und Worten verstanden, worauf der Flavius hinauswollte. Sie selbst, sie war anders veranlagt.

  • Sie schien über meine Worte wirklich nachzudenken, und dass sie den Blick abwandte, ließ mich etwas verwirrt zurück. Aus dieser Frau würde ich wahrscheinlich nie gänzlich schlau werden, aber eine vorhersehbare Frau hatte für mich auch keinen allzu großen Reiz, hatte sie nie besessen - das musste ich mir ebenso eingestehen. Langsam legte ich eine Hand auf die ihre, die noch immer bei mir untergehakt war, und wir schritten gemeinsam weiter, während die Thematik nun die Umwelt ein wenig verblassen ließ. Dass sie unglücklich war, wusste ich seit langem, und nicht nur deswegen hatte ich sie versucht, ihrer Eintönigkeit ein wenig zu entführen. Nein, ich mochte sie auch, weil sie eben war, wie sie war, eine Verlorene in einer gesellschaftlichen Schicht, die wenig zu bieten hatte für eine Frau, die mehr Geist besaß als die meisten. Wie es mir als Frau ergehen würde, wäre ich an ihrer Stelle, wollte ich mir nicht einmal ausmalen. Aber dass sie so gar nicht wirklich auf das reagierte, was ich ihr mehr oder minder plakativ offenbart hatte, war sehr zwiespältig - entweder sie wollte diese Konnotation nicht bemerken oder sie bemerkte sie wirklich nicht, und das wiederum machte das alles absolut kompliziert. Sagte ich jetzt zuviel und verletzte ihre Gefühle, wäre das Geschrei groß, und andererseits würde ich wohl nie erfahren, wie sie sein würde, wenn sie lebte, wenn sie sich auf einen Gedanken einließe, der sich verbot.


    "So bleibt mir, was die Juwelen angeht, nur der Trost, dass Dich ein herausragendes Stück auch herausragend zu schmücken weiss, auch wenn es Dein Strahlen nicht wird erreichen können, Antonia," sagte ich ernsthaft und garnierte diese Worte mit einem warmen Lächeln. "Ansonsten werde ich still jenen Seidenstoff beneiden, den ich Dir zum Geschenk machte, denn er darf tun, was mir stets verboten sein wird - Deine Haut zu streicheln, wo immer es Dir beliebt - Deinen Duft zu kosten, wann immer Dir danach ist, und Dir nahe zu sein, wie es niemand sonst wird sein können, nicht so lange, nicht so intensiv. Doch Verbote hindern einen Mann leider niemals daran, sich doch zu wünschen, was er nicht haben darf." Entweder sie reagierte nun wie jede gute römische matrona reagieren sollte - mich empört von sich weisend und mich dann niemals wieder ernsthaft anblickend - oder aber ... nun, ich würde es sehen müssen. Deutlicher ging es nun wirklich nicht mehr.

  • Wie gut, dass die Sklavenschaft darauf getrimmt war, wegzuhören, wenn sich die Herrschaft unterhielt. Und wie gut, dass die ‚normalen Sterblichen‘ von eben jener Schar weit genug von den beiden Patrizierin weggehalten wurden, um Worte zu verstehen.
    Ungut war hingegen, dass Antonia ohne jede Vorwarnung stehen blieb, als endlich die Kerze in jenem Teil ihres Kopfes sich erleuchtete, welche für jene Begierden vorbehalten war. Es war ein sehr staubiger und kahler Teil, einer Mietwohnung in einer schäbigen Insula gleich, sträflich seit Jahren vernachlässigt. Doch war die schwer klemmende Tür nun aufgeschoben. Die Reaktion der Claudia löste einen entsprechend lauten Tumult unter den Sklaven aus, die bemüht waren, einerseits ihre Herren nicht umzurennen und andererseits die Einkäufe nicht fallen zu lassen. Irgendwie brachten sie beides zustande.
    Reflexartig hatte sie ihre Hand zurückgezogen, als sie Aquilius‘ Worte endlich verstanden hatte. Ihr rotbemalter Mund klappte auf und wieder zu, ohne etwas gesagt zu haben. Das war eine Situation, die ihr so völlig fremd war und unwirklich schien. Sie, deren Selbstbewusstsein sich seit ihrer Ehe dem Nullpunkt zugewendet hatte, sie verstand nicht, wie ein Mann sie auf diese Art begehrenswert finden konnte. Ob Aquilius‘ Ansprüche so viel geringer waren, als die von Gracchus? Sie konnte es sich kaum vorstellen.
    Innerlich aufgewühlt flogen ihre Augen zwischen denen ihres Begleiters hin und her, suchte nach dem Schalk in ihnen, fand ihn jedoch nicht. Nur noch immer jenes irritierende Funkeln.. Sie kam nicht umhin, sich entblößt zu fühlen, während der Flavier so über jenen Stoff auf ihrer Haut sprach. Instinktiv schlang sie einen Arm um ihre Hüfte, während der andere zum Hals wanderte. Auf eigentümliche Weise fiel es ihr plötzlich schwer, zu atmen.
    „Wie.. wie kannst du.. ?“
    Sich dabei ertappend, sich bildlich vorzustellen, was er nur beschrieb, wendete sie erneut den Blick ab, sichtlich um Fassung und Worte ringend. Wie die angemessene Reaktion hierauf wäre, war ihr mehr oder minder bewusst. Nichtsdestotrotz bekam Aquilius keine Ohrfeige, sie warf nicht herrisch den Kopf zurück und stolzierte davon. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, doch sie wusste, dass das nicht das Richtige wäre.
    „Du willst.. aber.. “

  • Das As schien gefallen, zumindest hatte ich noch keine Hand auf der Wange gespürt, oder einen empörten Aufschrei vernommen, was in gewisser Weise Grund zur Hoffnung war, dass beides nicht noch kommen würde. Wenn eine Frau erst einmal die Gelegenheit gehabt hatte, nachzudenken, dann reagierte sie in aller Regel nicht mehr extrem. Aber bewegt war sie, das verriet ihr wie gehetzt umherschweifender Blick, die Tatsache, dass sie mich losgelassen hatte, eigentlich alles, was sie bisher getan hatte. Ihre Brust hob und senkte sich schneller als zuvor, und das ließ mich hoffen, dass die Saat meiner Worte auf fruchtbaren, auf möglicherweise sogar leidenschaftlichen Boden gefallen war.
    "Nimm wieder meinen Arm, Antonia, die Sklaven und die Leute starren schon," sagte ich gemessen und bot ihr diesen wieder an, um unseren Weg in Ruhe fortzusetzen, als hätte ich das normalste auf dieser Welt gesagt, nicht etwas, das die Grundfesten einer Frau durchaus zur Erschütterung bringen konnte.


    "Wie ich kann? Du solltest eher fragen, wie könnte ich denn nicht? Du bist schön, Du bist klug, Du hast eine interessante Persönlichkeit, Du bist kurzum eine Frau, die ein Mann unmöglich übersehen kann, selbst wenn sie vermählt sein sollte, und es wäre schon zuviel verlangt, die Augen vor Dir zu verschließen, auch wenn es sicherlich schicklicher wäre. Dass ich mir wünsche, Dir nahe zu sein, ist doch nur natürlich," spielte ich die ganze Sache gekonnt und mit einem leichten Schmunzeln herunter, auch wenn sie sicherlich so gut wie ich wusste, dass daran nichts harmlos war. "Ich wollte einfach, dass Du weisst, dass ich Deine Gesellschaft sehr genieße, und auch, dass Du meine Gedanken mehr zu beschäftigen weisst als eine Verwandte es tun dürfte." Zudem, welcher Frau hob es nicht die Laune, wenn man ihr klar machte, dass man sie für begehrenswert hielt? Ich hatte bisher zumindest keine getroffen, auf die dies nicht irgendwie gepasst hätte.

  • Nur widerstrebend hob sie ihren Arm und wären sie nicht hier, inmitten all dieser Menschen und Sklaven gewesen, sie hätte ihn wohl gänzlich bei sich behalten. Sich der neugierigen Blicke der Haushaltsgegenstände jedoch gewahr, legte sie schließlich ihre Hand auf Aquilius‘ Arm ab, darauf bedacht, in dennoch so wenig wie möglich zu berühren. Es war ihr nicht möglich, ihm in die Augen oder auch nur ins Gesicht zu sehen. Verlegen hielt sie den Blick auf den Boden vor sich gesenkt, als sie weiter gingen. Das hielt sie natürlich nicht davon ab, von Zeit zu Zeit verstohlen zu ihrem Begleiter hinüber zu linsen. Er wirkte so ruhig, als habe er soeben über das Wetter gesprochen. Sie verstand es nicht. Seit jenem Tag im Garten der Villa Flavia hätte sie nicht im Traum daran geglaubt, dass er sie auch nur annähernd anziehend finden könnte. Mehr wie Gracchus war er seither für sie gewesen, wenn auch nicht so kalt und abweisend.
    Vermutlich war sie knallrot angelaufen, ihre Wangen glühten zumindest wie das Feuer des Vulcanus persönlich. Antonia widerstand jedoch dem Drang, eine Hand an die Wange zu führen, um dies zu überprüfen.
    „Wie.. kannst du mir so etwas nur sagen?“, verlieh sie ihren Gedanken nun endlich verbale Gestalt. „Was soll ich darauf antworten? Was erwartest du? Soll ich tun, als wäre alles wie zuvor?“
    Unmöglich. Nie wieder würde sie ihn sehen können, wie noch vor wenigen Augenblicken.
    [SIZE=7]„Iuno.“[/SIZE], murmelte sie leise. Sie war verheiratet, gestattete sich nicht einmal unzüchtige Gedanken mit einem Gladiator, wie viele ihre Freundinnen es zu tun pflegten – auch über die Gedanken hinaus. Und nun wollten diese Bilder ihren Kopf nicht verlassen, in denen all ihre Sehnsüchte und Wünsche sich erfüllten.
    Überhaupt, wem schadete es denn? Für ihren Mann war sie ohnehin kaum mehr als netter Zierrat in seinem Leben, wie eine Statue oder eine Vase, vermutlich sogar ein eher unschönes Exemplar. Wem tat es also weh, wenn sie..
    „Ich wünschte, du hättest das für dich behalten.“
    Noch immer klang ihre Stimme recht leise, es war nicht zu übersehen, dass sie mit derlei Situationen völlig überfordert war.

  • Ich schritt gemächlich weiter, in solchen Sachen hatte ich wohl eindeutig mehr Übung als sie diese wohl jemals bekommen würde - ich hatte zwar vermutet, dass derlei Überlegungen ihr nicht unbedingt alltäglich waren, aber eine derartige Überraschung ihr anzuhören, diese vollkommen andersartige Reaktion als bei den meisten anderen Frauen, war doch auch für mich erstaunlich. Hatten es so wenige Männer bisher gewagt, ihr ein Kompliment zu machen? Ihr vielleicht auch gewagtere Worte zuzuflüstern? Es schien der Fall zu sein - und Gracchus, nun, er war sicherlich nicht der Gemahl, der mit heißblütiger Lust seiner Ehefrau beibrachte, was es bedeutete, vor Leidenschaft zu brennen. Manchmal hätte ich ihm durchaus gewünscht, er hätte am anderen Geschlecht mehr Freude finden können, als er es tat, aber seine Vorlieben lagen einfach woanders, so hatten ihn die Götter nun einmal ins Leben geschickt.
    Sie hatte nun dezent gerötete Wangen, aber es fiel nicht besonders auf, verlieh ihr nur zusätzlichen Reiz, da ihr dieses Zeichen von Leben im Gesicht ausgezeichnet stand. "Hätte ich geschwiegen, Antonia, was wäre damit gewonnen? Du bist wahrhaft reizvoll, und ich kann nur vermuten, dass die Ehrfurcht vor Deiner Anständigkeit und Zurückhaltung andere Männer bisher davor zurückgehalten hat, Dir zumindest ihr Interesse zu gestehen. Man muss nicht immer gleich mit fliegenden Fahnen umsetzen, was man sich bisweilen erträumt, verstehe mich nicht falsch."


    Auch wenn es einen durchaus großen Reiz hatte, einen der Schmuckstände als Ort der Leidenschaft zu mieten und am hellichten Tage einige feurige Küsse und mehr zu tauschen, ich glaubte mich darin sicher, in ihr eine Frau zu erkennen, die derlei nicht unbedingt suchte.
    "Nimm dieses Wissen einfach als ein Zeichen meiner Verehrung Dir gegenüber, und was geschieht und ob überhaupt etwas geschieht, ist allein Deine Entscheidung. Ich werde Dein Gesprächspartner sein und bleiben, der Mann, der gern mit Dir einkaufen geht oder über Geschäfte und Alltägliches spricht, egal wie Du Dich entscheidest, Antonia, ich will Dich zu nichts drängen und mein Selbstwertgefühl nimmt keinen irreparablen Schaden, wenn Du beschließt, dass es bei dieser Art der Freundschaft bleiben soll." Es wäre schade, aber nun - zu leidenschaftlichen Stunden gehörte der Wille zweier Menschen, nicht der von nur einem, sonst konnte man es nicht genießen. "Es wird nicht das letzte Mal in Deinem Leben sein, da bin ich mir sicher, dass Dich ein Mann begehrt, die meisten schweigen nur über ihre Sehnsüchte, und tragen sie still mit sich. Wäre es Dir lieber, dies niemals zu wissen?"

  • Wie ruhig er war. Ruhig, besonnen, scheinbar sogar bester Laune. Allein diese Tatsache ließ Scham in ihr aufsteigen. Was hatte er schon gesagt? Es war ja nicht so, dass er sie in einen der Schmuckstände gezerrt und ihr die Kleider vom Leib gerissen.. irgendwie wurde es immer wärmer, fand sie. Und nie war ein Sklave greifbar, der einen Fächer bei sich trug. Doch wer hätte bei solchen Außentemperaturen auch ahnen können, dass die Herrin ins Schwitzen geriet? Not machte erfinderisch und so bemühte sie ihre eigene Hand, sich ein wenig Luft zuzufächern. Viel half es natürlich nicht.
    Seine Versicherung, es gäbe sicher noch mehr Männer, die dachten wie er, trug ebenfalls nicht unbedingt zur Beruhigung von Antonias rasendem Puls bei. Wie konnte sie nun jemals wieder ein männliches Wesen ansehen, ohne an jene Worte denken zu müssen? Sie schluckte.
    Und mit einem Mal verstand sie viel besser, warum ihre Freundinnen so sehr Gefallen an etwas fanden, was sie bislang hauptsächlich vom Hörensagen kannte.
    „Ich.. “, setzte sie zu einer Erwiderung an, ehe ihr auffiel, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte und erneut verstummte.
    Ob überhaupt etwas geschieht. Es war also keine rein theoretisch Überlegung für ihn, wie ihr schien. Er wollte tatsächlich.. hinter dem Rücken seines Vetters.. ihres Mannes..
    „Und.. Gracchus?“
    Kaum ausgesprochen, hätte sie jene Äußerung am liebsten ungeschehen gemacht. Doch es nagte an ihr, die altmodische Erziehung hatte sich offenbar fest in sämtliche ihrer Gedanken eingegraben und Ehebruch, so verlockend er auch sein mochte, war etwas, das sie sich bisher nie wirklich hatte vorstellen können. Oder nichts, was sie sich mit wachen Augen eingestanden hätte. Doch Aquilius davon erzählen, was in ihrem Kopf vorging, wenn sie alleine in ihrem Bett lag? Unvorstellbar.
    „Ich weiß es nicht.“, erwiderte sie schließlich auf seine Frage. „Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, du hättest es für immer für dich behalten. Es ist eine Sache, sich etwas vorzustellen.. plötzlich zu wissen, dass aus der Vorstellung Realität werden könnte, eine andere.“

  • Gemessen führte ich sie weiter, nicht ohne zu registrieren, dass anscheinend unser kleines Gespräch auch eine gewisse Wirkung gehabt hatte - es war nicht allzu warm und doch fächelte sie sich Luft zu. Fast hätte ich amüsiert gegrinst, aber das hätte der Situation sicher nicht gutgetan. Wenigstens einen Schritt war ich nun weiter, denn dass sie noch immer weder zeterte noch sich beleidigt abwandte, konnte nur bedeuten, dass ihr dieser Gedanke nicht völlig fern lag - und ihre Worte bestätigten es zudem. Ach, was für eine Frau! Hatte sie denn noch niemals daran gedacht, ihrer Ehe zu entfliehen, und sei es nur für wenige Momente, für wenige Stunde in die Arme eines anderen, der ihr zurückgab, was sie so lange hatte entbehren müssen? Oder war sie gar eine jener Frauen, denen diese Art der Leidenschaft eher fern lag, die sie darob nicht vermissten?
    "Gracchus ... ist Dein Gemahl, Antonia, und solange ihr beide an dieser Verbindung festhaltet, ist dies etwas, woran kein Mensch tasten kann und sollte, ich werde es nicht tun. Du bist ihm als Ehefrau wichtig, das weiss ich, und auch wenn er es nicht zeigen kann, so weiss ich es doch, ich kenne ihn gut genug. Aber eine Ehe und die gemeinsam geteilte Leidenschaft sind oft genug zwei verschiedene Dinge, und so fällt es mir schwer, ihn als Teil dieser Angelegenheit zu sehen, die zwischen uns bestünde." Zudem, ich war mir einer Sache sehr gewiss, die Gracchus betraf - aber aussprechen würde ich sie ihr gegenüber sicher nicht.


    "Erschreckend ist dieser Gedanke doch erst, wenn man sich wünscht, er würde real werden, diese unsichtbare und doch entscheidende Grenze zwischen Wirklichkeit und Träumerei überschreitet," sagte ich nach einigen Augenblicken des stillen Sinnierens über ihre Worte. "Wünscht Du es Dir denn? Hast Du davon geträumt? Ich sage Dir, Träume sind nichts verwerfliches, jeder Mensch hat sie - und wenn es Dir gefällt, daraus etwas reales erwachsen zu sehen, dann lass es mich wissen. Sollte dies niemals Dein Wunsch werden, so weisst Du doch, dass es einen Mann gibt, der darüber nicht so vornehm schweigt wie der Rest unserer ganzen verknöcherten Standesgenossen." Sachte drückte ich ihre Hand und entdeckte einige Stände weiter das gesuchte Händlerschild - Cartrix mit all seinen glänzenden und glitzernden Kreationen rückte näher, und damit auch das Ende der privaten Komponente unseren Gesprächs.

  • Zu viele Bilder drängten sich in ihr Bewusstsein. Zu viele Bilder, die sich nicht sehen wollte, die ihr so gänzlich falsch schienen.
    „Er würde mich verachten, da bin ich mir sicher.“
    Noch mehr verachten, lag ihr auf der Zunge, doch versicherte ihr Aquilius immer wieder, dass ihr Gatte keineswegs so war, wie sie selbst annahm. Glauben konnte sie ihm jedoch nie, wenngleich sie es zu gern getan hätte.
    „Er ist so… er ist perfekt, über jeden Zweifel erhaben. Ich muss wenigstens versuchen, annähernd so zu sein, auch wenn ich es nie sein werde.“
    Als Ehefrau sei sie ihm wichtig. Als Ehefrau, die ihm keinen Erben schenken konnte. Sie glaubte ihm nicht, wie schon so oft. Konnte nicht glauben, was er sagte.
    Gracchus als Teil jener Filme zu sehen, die vor ihrem inneren Auge abliefen fiel Antonia ebenfalls äußerst schwer. Er war nicht wie Aquilius, ihm fehlte die Fähigkeit, ihr wie sein Vetter mit einer kleinen Berührung das Adrenalin durch die Adern zu jagen. Oder er benutzte sie nicht.


    „Wünsche ich es mir?“, wiederholte sie leise murmelnd die Worte des Flaviers.
    Die Antwort war einfach, doch stellte sich umgehend die nächste Frage. Laut aussprechen oder nicht? Gestehen, was ohnehin des Öfteren in ihrem Kopf herumspukte oder es weiter für sich behalten?
    „Weißt du es denn nicht? Siehst du es denn nicht? Schau mich an, ich zittere.“
    Zum Beweis hob sie eine ihrer Hände, welche in der Tat nicht so ruhig war, wie sie sein sollte.
    „Wie könnte ich ohne zu lügen nein sagen? Frauen liegen dir zu Füßen, Aquilius. Du weißt es und ich weiß es.“
    Auch Antonia entdeckte schließlich das Ladenschild des Juweliers. Rettende Insel in stürmischer See. Bald würde sie ihre Gedanken wieder kontrollieren können.
    „Ich bin nicht mehr und nicht weniger. Auch nur eine Frau... “



    [SIZE=7]Edit: Zu viel Eifer => Zu viele Rechtschreibfehler ^^[/SIZE]

  • "Das denke ich nicht," sagte ich sinnierend, aber ich würde sie zweifelsohne auch erst vom Gegenteil überzeugen können, würde Gracchus ihr seine Gedanken zu alledem selbst sagen. In unserem Stand war es nun einmal nicht ungewöhnlich, dass aus politischen Gründen geheiratet wurde, ein Erbe vielleicht noch gezeugt, und ansonsten getrennter Wege gegangen wurde. Für Patrizier waren Ehen meist eine gelungene Illusion, und bisher galt beider Ehe als sehr glücklich vor der Welt - ich allein wusste es von beiden besser. "Und kein Mensch ist perfekt, auch Gracchus nicht. Er hat wie jeder andere Zweifel, Sorgen, Ängste und Nöte, die er einfach nur kaum einem Menschen preisgibt, falls er das überhaupt tut. Hättest Du eine Familie wie die unsrige am Hals und müsstest Dich um jene sorgen, die ihren Weg nicht von alleine schaffen, wärst Du sicherlich auch schweigsam. Ich kann ihn in einigem gut verstehen, in anderem nicht - aber wir sind auch nicht einander gleich." Gracchus perfekt. Was für ein absurder Gedanke. Wäre er dies, würde er zweifelsohne alles so zu gestalten wissen, dass die Menschen um ihn herum glücklich waren, und er selbst dieses Glück ebenso erreichte - aber ich kannte seine dunklen Momente, seine Nöte, seine Sorgen, und diese machten mich darin sicher zu wissen, dass er weit davon entfernt war, jemals die Perfektion zu erreichen. Er war nicht umsonst Flavier. Wir strebten nach Perfektion, aber wir erreichten sie niemals ...


    Ihre Hand zitterte. Nicht so heftig, dass es vermuten ließe, sie könnte sich nicht im Griff haben, aber doch merklich. Eine schmale, schlanke Hand mit weißer, weich wirkender Haut. Bona dea, eine so patrizische, vollkommene Hand, und sie machte sich Gedanken darüber, sie könnte nicht gut genug für ihren Mann sein.
    "Ich habe es nur gehofft, aber ... ich war mir nicht sicher." Eine gewisse Unsicherheit war bei diesem Spiel natürlich immer Teil, und so sprach ich die Wahrheit, wenngleich recht gelassen. Zu verlieren hatten wir beide nicht viel, zu gewinnen umso mehr, auch wenn ich ihr gegenüber natürlich einen gewissen Wissensovorsprung hatte.
    "Nicht zu Füßen. Sie gefallen mir, und ich habe das Glück, auch der ein oder anderen zu gefallen, Antonia. Es ist nichts als der Wunsch, das Leben genießen zu können, solange dies alles andauert, den Fluß der Zeit für wenige Stunden anzuhalten, zu leben, dass man nichts daran vergisst, dass man innehält und festhalten kann, was einem geschenkt wird." Dann, als sie ihren letzten Satz sprach, lächelte ich und antwortete, gemessen und leise: "Ich bin auch nur ein Mann, Antonia. Nicht mehr."

  • „Nicht perfekt? Gracchus und nicht perfekt?“
    Ein bitteres Auflachen folgte. Konnte nicht auch ein perfekter Mensch Sorgen und Nöte haben und trotzdem perfekt sein?
    „Du denkst, ihr wärt gestraft mit eurer Familie? Sei froh, dass du noch eine Familie hast. Ich habe niemanden mehr. Entfernte Vettern und Basen, die ich kaum besser kenne als einen Stoffhändler, den ich zweimal im Jahr sehe.
    Und Gracchus.. er ist ja nicht immer schweigsam. Er ist es nur mir gegenüber. Bei jedem anderen findet er ein Thema und sei es noch so nichtig. Nur bei mir.. nichts scheint ihn mehr zu erleichtern, als möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen.“

    Sie hob die freie Hand.
    „Doch ich will heute nicht darüber sprechen. Heute nicht. Der Tag war bisher so schön.“
    Damit war das Thema für sie abgeschlossen – vorerst.
    Nun waren sie nur noch ein, zwei Schritt vom Laden entfernt. Lediglich genug Zeit für einen Satz.
    „Es sollten Träume bleiben.“
    Mit dem letzten Wort waren sie an der geöffneten Türe angekommen. Hätte sie auch nur geahnt, dass wenige Tage später eben jene Feststellung, die ihr in diesem Moment Sicherheit geben sollte, nichtig sein und der Bedeutungslosigkeit anheim fallen würde.. doch sie wusste es nicht und gestattete sich noch nicht, mehr als nur untreue Gedanken zu haben.
    Antonia blieb stehen, hob den Kopf, um Aquilius in die Augen zu sehen, um zu sehen, ob sein Gesicht, sein Blick sich verändert hatten. Doch ihre eigene Unsicherheit suchte sie in seinen Augen vergebens. Vielleicht gab es sie, doch die Claudia wusste sie nicht zu deuten.
    „Wir sind da.“, stellte sie schließlich fest, wandte den Blick ab und betrat den Laden. Als gäbe es einen Preis für den schnellsten Verkäufer, stand umgehend ein solcher neben ihr und begann sie und Aquilius wortreich und blumig zu begrüßen. Sie hörte es kaum.

  • "Meine Familie besteht aus Verrätern .. und Verwandten, die mich zum großen Teil eher erdulden denn schätzen. Schließe nicht von Grachus und Aristides auf andere, jene beiden nenne ich eher Freunde denn Verwandte, und alle anderen ... nun, man lernt damit zu leben. Und, dass Du keine Familie hast, ist nicht gänzlich korrekt, Antonia. Wir beide sind auch verwandt, und Du weißt, wie ich über Dich denke und dass ich Dich schätze." Nun, die meisten Claudier waren auch eher gewöhnungsbedürftig, dass sie mit jenen ihre Schwierigkeiten hatte, wunderte mich nicht. Dass sie unser Thema abschloss, nahm ich mit einem leichten Nicken zur Kenntnis und akzeptierte es - wir hatten es schließlich schon einmal begonnen zu besprechen und ihre Meinung schien sich seitdem nicht wesentlich geändert zu haben, ebensowenig wie die meine, außer einem sturen Beharren auf Standpunkten wäre aus einer solchen Diskussion nicht viel geworden.
    Als sie mir ihre Entscheidung mitteilte, nickte ich abermals. Halb hatte ich es befürchtet, halb anderes gehofft, aber sie wäre wohl kaum jene Frau gewesen, deren Klugheit und unabhängigen Geist ich zu schätzen gelernt hatte, wäre sie mir im ersten Augenblick bereits in die Arme gesunken.


    Ihr Blick traf den meinen, und ich lächelte sanft zu ihr, bevor ich ihr die Tür zum Laden aufhielt, damit sie eintreten konnte. "Nun, dann bin ich gespannt, was sich mir hier offenbaren wird, ich habe so die unangenehme Befürchtung, dass ich bettelarm sein werde, wenn wir hier wieder herauskommen," scherzte ich unbeschwert und sah ihr einen Moment nach, bevor sich der Händler schon auf mich stürzte wie eine Fliege auf den Honig. Ja, ganz klar, kam ein Paar in den Geschäftsraum, dann hatte der Mann höchstwahrscheinlich das Geld, aber den Redeschwall des Händlers kürzte ich mit einer knappen Geste ab und sagte: "Zeige ihr, wonach es ihr verlangt, sie ist die Hauptperson." Der Mann verstand - Frauen hatten einen teuren Geschmack und er erhoffte sich eindeutig ein gutes Geschäft, wenn er tat, was ich wollte, und schon begannen seine Fragen auf Antonia einzuprasseln. Was sie denn haben wolle? Armreifen? Ohrringe? Ketten? Ringe? Eine Gemme für ein Kleid? Es schien tausenderlei Schmuckstückarten zu geben und für jede hatte dieser Händler ein eigenes Wort. Mir graute schon jetzt davor.

  • Froh, das leidige Familienthema beendet zu haben, jedoch noch immer das Gespräch über die schönste Nebensache der Welt im Kopf, überschwappte sie die Wortflut des Händlers ohne ihm auch nur ansatzweise folgen zu können.
    Musste sie auch nicht, sie wusste ohnehin, was sie wollte.
    "Zeig mir die Armreifen, die du hast.", ordnete sie befehlsgewohnt an.
    Halsketten hatte sie genug, Ohrringe trug sie zwar, doch mochte sie das Geklimper am Ohr nicht allzu gerne, weshalb sie es auch vermied, zu viele davon zu kaufen. Dem Händler war es ohnehin gleich, er beeilte sich, eine kurze Verbeugung anzudeuten, lächelte glücklich und wies eine seiner Angestellten an, die kostbarsten und edelsten Stücke aus dem Hinterzimmer zu holen.
    Diese erkannte die Gunst der Stunde und beeilte sich, das Gewünschte zu besorgen.
    ""Später vielleicht noch etwas für die Haare."
    Es war klar, für Antonia gab es keine bessere Ablenkung als einkaufen. Als Patrizierin blieben ihr allerdings auch sonst nicht allzu viele Alternativen.
    Eifrig nickte der Ladenbesitzer, als auch schon seine Angestellte zurückkehrte.
    "Hier seht ihr meine exquisitesten Stücke, ich bin sicher, das ein oder andere wird euch gefallen.", ergriff er schließlich das Wort und deutete mit weit ausholender Geste auf allerlei funkelnde Schmuckstücke. Für einen Juwelier galt hierbei das Gleiche wie für einen Stoffhändler. 'Exquisit' war als Synonym für 'unverschämt teuer' zu verstehen.
    Die Neugier hinter einer Maske der Gleichgültigkeit verbergend trat die Claudia näher und besah sich mit Kennerblick jedes einzelne Armband.
    "Was meinst du?", fragte sie, ohne aufzublicken Aquilius. "Dieses-", sie deutete auf einen schmalen Goldreif, rundherum besetzt mit rot funkelnden Rubinen, "-Oder dieses-", ihr Finger wanderte zu einem über und über glitzernden und funkelnden Stück, welches umgehend den Blick auf sich zog, "-Oder dieses?". Zuletzt blieb der Zeigefinger über einem schlichter gehaltenen Armreif stehen, der wie eine Schlange geformt war. Der Schlangenkopf biss hierbei in den Schwanz, um eine runde Form zu erzeugen.
    In diesem Moment war es schwierig zu sagen was mehr leuchtete: Der Schmuck oder die Augen des Besitzers.

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