Zischelnd rüttelte der Wind an den Fensterläden. Die Sklavenkammer war voll Nacht. Auf dem kargen Strohlager wälzte sich unruhig der Germane, gefangen in einem Strudel spukhafter Bilder.
Hoch am Himmel die Sonne. Blendend, gleissend. Vor ihm: das Kreuz. Einen scharfen Schatten werfen die Balken über ihn. Der dunkle Umriss dort oben, menschenförmig, ist ein Wimmeln dunklen Gefieders, blanker Tieraugen und scharfer Schnäbel. Gierig reissen die Raben Fleischbrocken aus dem Kadaver, zerren an Sehne bis sie reissen, trinken die glasigen Augen. Langsam tritt er näher, bis zum Fuße des Kreuzes, ritzt Runen in den rissigen Balken, bis sie einen Namen formen: Rutger, des Thidrik Sohn. Denn der ist der Tote dort oben.
Ein Wasserfall. Spitze Klippen, glitschig und trügerisch, umtost von den Wassermassen. Die Luft ist erfüllt von einem Schleier der Gischt, und zwischen diesen Schleiern tanzt sie, Arrecina, dort oben auf den Klippen. Selbstvergessen und lachend. Sie dreht sich übermütig, ihr Haar schwingt um sie herum, ihre Füsse sind einen Fingerbreit nur vom Abgrund.
"Arrecina!" Sie kann ihn nicht hören. "Arrecina! Kleines! Pass auf!" Er will hin zu ihr sie halten und bewahren. Der Gefahr nicht achtend steigt er über die Klippen, watet durch eisige Fluten. Zu ihr, hin zu ihr. Er streckt ihr die Hand hin. "Arrecina!" Sie wirbelt herum in ihrem schwerelosen Tanz. Ihre Augen weiten sich erschrocken.
"Du?!" Abwehrend weicht sie zurück vor ihm - und gleitet aus. Er vermag nicht sie zu fassen. Die Wassermassen reissen sie in die Tiefe, ersticken ihren Schrei. Blut rötet die Fluten. Sie ist fort.
"Ich bin niemand mehr..." Er presst die Finger gegen das Gesicht, erstickt sein Weinen um die Verlorenen. Ketten knirschen. Schwere schwarze Eisen sind um seine Gelenke geschmiedet. Ihm ist eiskalt. Dicke Mauern umgeben ihn, werden ihn für immer hier festhalten. In der lichtlosen Tiefe, wo nur die Leere herrscht.
Ein Raunen. Klauen schaben über Stein. Ein Grollen... Geifer trieft von ihren Fängen. Hungrig ihn zu verschlingen glimmen ihre Augen. Die Unterirdischen sind hier, wollen sich an ihm laben, das was noch übrig ist zerfetzen. Sie kriechen an ihn heran, geduckt, strömen aus den Schatten auf ihn zu, doch langsam, sie wissen, sie haben alle Zeit der Welt. Denn er ist gefangen.
"Was wollt ihr noch von mir? Ihr findet hier niemanden... ich bin niemand mehr!"
Kreischend, geifernd, widerlich ist das Lachen aus tausend gierigen Mäulern, das ihm entgegenschallt.
"Armer Narr... was sind uns Namen ... fressen nur wollen wir... und fressen werden wir, einmal gerufen ... dich verzehren ... Stück für Stück..."
Ihre Fänge und Klauen schlagen sich in sein Fleisch hinein. In rasendem Schmerz schreit er auf...
Schweißnass fuhr er hoch, den Klang seines eigenen Schreis noch in den Ohren. Mit wild aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit. Unwilliges Murren wurde laut, jemand fluchte verschlafen. Stroh raschelte, als die anderen Sklaven, die ebenfalls aufgewacht waren, sich wieder die Decke über den Kopf zogen, um weiterzuschlafen.
Aufrecht saß er auf seiner Lagerstatt, atmete tief ein und aus, spürte wie der hämmernde Schlag seines Herzens wieder langsamer wurde. Ein Traum... Doch die Beklemmung saß wie ein eiserner Reif um seine Brust. Die Unterirdischen... Sie waren ihm wieder auf der Spur! Hatten erneut seine Witterung aufgenommen!
Es hielt ihn nicht auf seinem Lager. Er erhob sich und verließ gehetzt die Sklavenunterkunft, nur in der Tunika, barfuss. Und rastlos durchstreifte er die dunklen Gänge, unruhig, seines Weges nicht achtend, wie ein von den Furien getriebener. Der Wind strich ums Haus, seufzte mit hohlen Stimmen. Unwillkürlich zog es den Germanen in Richtung des Peristyls.