atrium | Pegasus perditus

  • Gemessenen Schrittes führte der breite, mit dunkelrotem Stoff bekleidete Nubier den Gast und seinen Gehilfen an wächsernen Ahnenmasken und einigen Büsten vorbei. Weiter hinten im atrium war eine blonde Sklavin namend Sofia gerade damit beschäftigt, eine Statue der Minerva abzustauben. Als sie den Besucher gewahrte, huschte sie schnell fort, denn man mochte es nicht gern sehen, wenn die Sklaven gerade dann für Ordnung und Sauberkeit sorgten, wenn Gäste im atrium weilten. Leone steuerte auf eine steinerne Bank an der Längsseite des impluvium zu. Er deutete auf das einladend weiche Polster aus dunkelblauem und golddurchwirktem Stoff.


    "Wenn du bitte hier Platz nehmen würdest, dominus? Es wird nicht lange dauern", sprach er. Ein kleines Mädchen von gerade einmal acht Jahren kam eilends mit einem Tablett herbei, auf dem ein gläserner Kelch gefüllt mitWasser und einer mit verdünntem Wein darauf warteten, gewählt zu werden. Hinter einer Säule betrachtete die Mutter des Sklavenmädchens, wie ihre Tochter sich machte. Leone begab sich derweil in die Gemächer seines dominus, denn dieser hatte über Übelkeit geklagt und war seit der salutatio am Morgen nicht mehr aus seinem cubiculum gekommen.

  • Die Nervosität bekam einen neuen Begleiter: Anspannung. Beide waren sie einerseits ähnlich, aber auch von Grund auf verschieden. Zusammen waren sie mehr als ärgerlich und es gab so einige Persönlichkeiten, die sich explizit damit beschäftigten, solch störende Gefühle gezielt zu unterdrücken und gut zu verbergen. Ein Patrizier hatte da von Haus aus schon einen kleinen Vorteil, da er entsprechend erzogen wird, aber nicht immer erscheint der Mensch, wie er es sich wünscht.


    Vorbei an den Skulpturen und Kunstgegenständen, die der Erinnerungen und der Dekoration ließ er einige der Stücke vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Wichtige Dinge versuchte er sich zu behalten, unwichtige ließ er gar nicht soweit kommen. Das meiste passte seiner Meinung nach in die zweite Kategorie.


    Im atrium angekommen zögerte er nicht lange und nahm nach den einladenden Worten des Nubiers auf der Bank platz. Fast schon automatisiert verschwand der kräftige Mann und eine zierliche Frau (oder war es noch ein Mädchen?) brachte ihm eine kleine Auswahl an Getränken, wo er sich für den verdünnten Wein entschied. In teuren, gläsernen Kelchen spiegelte sich auf der blaßroten Oberfläche des Weines ein wenig sein Gesicht. Er sah es, nahm es aber nicht wahr. In beschäftigte nur der pater familias, seine Reaktion auf sein Erscheinen, viel mehr aber sein Charakter und sein Aussehen. Unruhig rutschte er auf der Bank umher, zupfte sich die Toga zurecht und wartete geduldig. Sein Begleiter stand ebenfalls abwartend neben ihm. Nah genug, um alles verstehen und schnell reagieren zu können, weit genug, dass er nicht aufdringlich wirkte.

  • Ich hatte mich in einem Sessel zurückgelehnt und hielt den mit heißem Wasser gefüllte und fest zusammengenähte Ziegenlederbeutel auf meinem Bauch fixiert. Vermutlich hatte ich etwas Unbekömmliches gegessen, oder vielleicht schlug mir dieser ganze Stress in der letzten Zeit auch einfach auf den Magen. Gegessen hatte ich heute nicht mehr als ein kleines Stückchen trockenes Brot, dazu hatte ich nur Wasser getrunken, obwohl es mir eigentlich nach Wein dürstete. Zu allem Überfluss klopfte es auch noch dezent an, und als ich wenig begeistert den Klopfenden hinein bat, erkannte ich über den Rand meines Briefes hinweg Leone. Ich ließ das Pergament sinken und sah ihn abwartend an.


    "dominus, im atrium wartet jemand...ein Gast." "Leone, hatte ich dich nicht gebeten, mich heute zu verleugnen?" fragte ich den ianitor streng. "Ja Herr, aber... Nun ja, er stellt sich als Aurelius Pegasus vor, und ich wusste nicht recht, ob ich-" "Aurelius Pegasus?" unterbrach ich und setzte mich auf. Den warmen Beutel legte ich auf den Tisch, während Leone nickte. Ich überlegte. Ein entfernter Verwandter? Oder hatte Leone vielleicht den Namen missverstanden? Ich nickte. "Ist gut, ich komme sofort." Leone wandte sich um und verließ den Raum, um den wartenden Besucher darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich gleich zugegen sein würde. Ich selbst hingegen erhob mich und trat prüfend vor den Spiegel. Mein vestispicius ordnete noch rasch meine helle tunica, dann begab ich mich ins atrium.


    Die Treppe hatte ich bald hinter mir, und dann trat ich in den nach oben offenen Raum hinein, durch welchen das Zwitschern der Vögel deutlich zu vernehmen war. Mein Magen mochte mich immer noch nicht, doch würde ich mein Unwohlsein im Verlauf des Gesprächs sicherlich zu verbergen wissen. Der Mann, der auf der Bank beim Wasserbecken saß, kam mir nicht bekannt vor, so viel ich auch überlegte. Ich ging auf ihn zu und grüßte. "Salve, man sagte mir, dass du mich sprechen wolltest?" Während ich sprach, fixierte ich die Augen des Mannes und versuchte, den Grund seiner Anwesenheit dort abzulesen, was aber nicht gelang.

  • Mit Hilfe des verdünnten Weines konnte der Aurelier einen guten Teil seiner Anspannung runterspülen. Er musste aufpassen, nicht zu hastig und nicht zu viel zu kosten, denn auf nüchternen Magen war selbst das Wein-Wasser-Gemisch nicht gut verträglich für ihn. Ein kurzes Nippen genügte, um seine Kehle zu befeuchten, bekanntlich ließ ein trockener Mund selbst den rhetorischen Mann im Regen stehen ... welch eine ironisches Bild.


    Es dauerte nicht lange, bis eine weitere Person den Raum betrat. Seiner Aufmachung nach zu urteilen handelte es sich um keinen Sklaven und so nahm Pegasus an, den gewünschten pater familias vor sich zu haben. Er schien noch recht jung, von der Arbeit aber schon ein wenig künstlich gealtert zu sein. Außerdem machte er in diesem Moment einen leicht schwächlichen Eindruck. Überarbeitung, Schlafmangel oder Krankheit konnten ebenso möglich sein wie die Tatsache, dass er wirklich einfach nur schwächlich war. Paullus wollte sich aber zu diesem Zeitpunkt kein Urteil bilden, das konnte er später immer noch.
    Nach der Begrüßung des noch namenlosen Aureliers erhob sich der Patrizier senkte kurz sein Haupt, ehe er anfing, einen Satz zu formulieren.


    "Salve, Aurelius. Mein Name ist Paullus Aurelius Pegasus und bin heute in Rom angekommen. Als Familienmitglied erwarte ich eine Unterkunft für ... vorerst unbestimmte Zeit in dieser Villa!“


    Wie er es gelernt hatte, brachte Paullus sein Anliegen prägnant und ohne Ausschweifungen herüber. Manche mochten ihn sogar für einen Patrizier als überheblich halten, aber war man sich seiner Art und Weise zu reden und zu handeln bewusst, war er recht umgänglich. Ohne auf eine mögliche Reaktion seines Gegenüber zu warten fuhr er fort.


    "Ich weiß nicht, in wieweit wir miteinander verwandt sind, aber ich denke, meines Vaters Name - Marius Aurelius Iustus - wird die bekannt vorkommen."


    Mit erhobener Augenbraue musterte er den pater familias erwartungsvoll. Er war sich sicher, dass er diesen Namen kannte und er war sich ebenfalls sicher, dass man ihm bedenkenlos Glauben schenken würde...

  • Mir des musternden Blickes durchaus bewusst, blieb ich schließlich stehen und ließ den Blick auch meinerseits über den Besucher schweifen. Das Sklavenmädchen mit seinem Tablett war wieder in den Hintergrund getreten und mit ihm verschmolzen, wie es sich gehörte. Der Name des Mannes kam mir genauso bekannt vor wie sein Äußeres, und so war es nicht verwunderlich, dass bei seiner Forderung - denn nichts anderes sprach er aus - ein erstaunter Ausdruck auf mein Antlitz trat und die Brauen nach oben wanderten. Er verlangte eine Unterkunft? Ich wusste im ersten Moment nicht, ob ich ihn hinauswerfen lassen oder ausfragen sollte, doch ich hatte auch gar keine Zeit, weiters darüber nachzudenken, da er sogleich an seine Worte anknüpfte. Und das, was er sagte, trug nicht unbedingt zur Klärung der Situation, wohl aber zu deren Zuspitzung bei. Deutlich überrascht ließ ich den Blick erneut über sein Gesicht gleiten. Die Nase...war sie jener meines Bruders nicht ein wenig ähnlich?


    Humbug! Mein Bruder hatte keinen Sohn gehabt, weder ehelich noch unehelich. Darüber hätte ich doch Bescheid gewusst! Und Prisca, sie hätte sicherlich ihren Bruder erwähnt, wenn sie von dessen Existenz gewusst hätte. Nein, hier musste ein schlau eingefädelter Irrtum vorliegen. Ich blieb während des Nachdenkens stumm, und während es in meinem Kopf rotierte, konnte man nicht viel auf meinem Gesicht ablesen. Natürlich vergaß ich über diese ausgetüftelt anmutenden Neuigkeiten, meinen Namen zu nennen.


    Wortlos verschränkte ich schließlich die Arme vor der Brust und taxierte den so genannten Aurelier. "Nenne mir einen guten Grund, warum ich dich nicht aus diesem Haus entfernen lassen sollte, Fremder", sprach ich kühl. "Iustus hat nie einen Sohn gehabt, ich würde davon wissen. Mich würde aber tatsächlich interessieren, wie man sich die Dreistigkeit herausnehmen kann und auf diese Weise einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen erhaschen will. Bettlern und Bedürftigen verwehren wir weder das eine noch das andere, auch ohne Lügengeschichten."

  • Die Worte des Corvinus versetzten den Aurelier in Staunen. Er erwartete, sich nun wieder hinsetzen zu können, ein geordnetes Gespräch über Familie, Rom und dem üblichen Geseier führen zu können, aber für einen Augenblick schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Regungslos starrte er den pater familias an. Er schenkte Pegasus Worten keinen Glauben und stellte ihn auch noch auf die gleiche Stufte wie einen Bettler. Sichtlich angestrengt musste er sich zusammenreißen, schließlich hatte er das Oberhaupt der gens vor sich und wie sogar die Plebejer wissen, war das Wort des pater familias bindend und der Zorn des gleichen sollte man nicht auf sich ziehen. Wie aber kam es, dass er nichts von seiner Existenz wusste? Mutter hatte ihm viel über die Familie gelehrt, er durfte eine vorzügliche Ausbildung genießen, wurde behandelt wie ein Aurelier und handelte wie ein Aurelier. Wieso auch nicht? Paullus war ja auch einer.


    “Ich nenne Dir sogar einen sehr guten Grund: Wir tragen den gleichen Gensnamen! Was brauchst Du noch für Gründe? Wird ein Mitglied der Familie etwa nicht aufgenommen, wie eines? Muss ich vorher noch Prüfungen ablegen? Mich einkaufen? Nun, daran soll es nicht scheitern...“


    Er hob hastig den Kelch an die Lippen und trank einen großen Schluck. Seine Kehle brannte, seine Wangen erröteten leicht vor unterdrücktem Zorn. Die Kühle eines Patriziers hatte er sich noch nicht so angeeignet, andererseits war er bisher auch noch nicht in einer solchen Situation und hatte auch nicht damit gerechnet. Wollte er Beweise? Er hatte Beweise, er hatte eine Trumpfkarte, aber Pegasus würde sich nicht so schnell aus der Reserve locken lassen, er wollte Standhaftigkeit zeigen!


    Etwas abseits der beiden stand noch immer der kleine Lucius. Wie festgewurzelt, er kämpfte gegen sich selbst an, versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Immer noch hatte man ihm nicht das Verhalten in einer ernsten Situation beigebracht, immer noch versuchte er, das Lächeln als Allzwecklösung zu benutzen, aber er haderte mit sich selbst. Schlechte Zeiten für den Herrn fielen auch auf den Sklaven zurück, dass hatte man ihm bereits gelehrt.

  • Meine Worte mochten der Situation unangemessen gewählt worden sein, doch beinhalteten sie zu einem Teil die Wahrheit, die ich sonst besser verpackte, zu einem weiteren Teil auch meine Übellaunigkeit und, damit gepaart das Unwohlsein, welches mich bereits den ganzen Tag peisakte. Misstrauen war zwar so manches Mal vonnöten, dass ich hier aber etwas übertrieb - zumal keinerlei böse Absicht bisher erkennbar war - bemerkte ich nicht einmal.


    Was dieser selbsternannte Aurelius dann aber sagte, ließ mich mürrisch den Kopf schütteln. Prüfungen ablegen? Einkaufen? Ich machte eine zornige Geste. "Wenn du vorhast, mich in meinem eigenen Hause zu beleidigen, dann nimm dein Sklavenliebchen und verlasse dieses Anwesen", entgegnete ich erzwungenermaßen ruhig, obwohl mir mehr nach einem wütenden Ausbruch war. "Wärest du wirklich mein Neffe, so würde ich es wissen. Mein Bruder hatte keinen Sohn. Und welchen Grund sollte er gehabt haben, sein eigen Fleisch und Blut zu verstecken, es sei denn, es wäre ein Bastard?" fragte ich den Fremden, während ich ihn eingehender musterte. Seine Wangen waren leicht errötet, und pochte die Ader an der Schläfe nicht einen Hauch aufgebrachter als eben noch? Wie alt mochte mein Gegenüber sein, jünger als ich, älter? Ich kniff die Augen zusammen. "Es reicht nicht, hier aufzulaufen und zu behaupten, der Spross eines verstorbenen Aureliers zu sein. Das kann jeder. Was zählt, sind andere Dinge. Du willst der Sohn meines Bruders sein? Dann erzähle mir von ihm!" forderte ich den Mann auf und blickte ih herausfordernd an. Schon war ich mir sicher, dass er nichts zu beweisen wüsste.

  • Dies waren Momente, in denen es immer wieder schwer fiel, Comitas zu wahren. Natürlich musste Pegasus nun mit einem milden Lächeln höflich darum bitten, das Gespräch auf einer normalen Ebene zu führen, aber genau in dieser Sekunde war ihm diese Tugend gleichgültig. Er konnte seine gesamte Erziehung, den größten Teil seiner Kindheit hinter sich lassen, für einen Augenblick. Er hatte vor, den pater familias in seinem eigenen Haus zu beleidigen? Wenn er es so auffasste, bitte, nur war die Wortwahl der "Familienstütze" auch nicht die beste. Bettler, Betrüger und nun auch noch Bastard? Solche Dinge musste man im Hause der Aurelier über sich ergehen lassen, als Familienmitglied, wohlgemerkt!


    Paullus hob ein weiteres und vorerst letztes Mal den Kelch und leerte ihn mit einem schnellen Zug. Sofort spürte er das kühle Nass seinen Rachen hinunterlaufen, denn nicht mehr war es. Kein Wein, kein Wasser, auch kein Gemisch aus beiden. Ein Mittel, um bei Sinnen zu bleiben, um die Gedanken wieder auf eine gerade Bahn zu lenken. Unüberlegte Worte waren fehl am Platz. Vielleicht konnte man die allgemeine Situation ändern, wenn Pegasus damit anfing ... wenn er damit anfing. Ein Problem, welches bewältigt werden musste. Der Aurelier stellte das Glasgefäß ab, fasste sich an die Schläfe und schloss die Augen. Nur kurz, es reichte.


    Beweise wollte er? Er sollte über seinen Vater, über Iustus erzählen? Nicht gut ... ganz und gar nicht gut. An seinen Vater konnte er sich nur bruchstückhaft erinnern, alles Wissen, was er über ihn hatte stammte aus zu Wort gekommenen Erinnerungen seiner Mutter. Was sollte er sagen? Er hat gehört , was sein Vater so gemacht hat? Da könnte er auch schlicht Kehrt machen und die Villa ohne Anstand verlassen, so würde es nämlich dann hinauslaufen. Pegasus schien verzweifelt, er hatte nur dieses eine Stück, die einzige Möglichkeit zu beweisen, wer er war und was er war. Diese unangebrachte Skepsis hatte er im Traum nicht erwartet, er hatte sich das komplett anders vorgestellt...


    “Ich soll dir von Aurelius Iustus erzählen? Könnte das ein geschickter Betrüger nicht auch machen? Ich frage dich, weil ich es nicht weiß ... das kommt eventuell davon, dass ich kein geschickter, ja nicht einmal ein ungeschickter Betrüger bin! Stattdessen kann ich dir etwas zeigen, es wird genug über das Verhältnis zwischen Iustus und mir erzählen!“


    Der Aurelier pausierte. Zögernd hob er seine rechte Hand; Zwei goldene Ringe zierten sie. Auf den ersten Blick sahen sie recht gewöhnlich aus. Patrizierschmuck, gut geeignet für Prahlerei und um seine Eitelkeit zu befriedigen, schaute man sich aber zumindest den einen Ring etwas genauer an, so konnte man den Kopf eines Löwen erkennen, darunter spiegelverkehrt die Initialen eines bekannten Namen.


    Wortlos offenbarte Paullus den Siegelring seines Vaters – wie lange er wohl vermisst wurde?

  • Mit aufeinandergepressten Lippen wartete ich darauf, dass der Besucher loslegte. Dieser jedoch zog es vor, seinen Wein in einem Zug hinunter zu kippen. Bestätigte er damit nicht meine Auffassung, er sei ein Schwindler und sonst nichts? Ich kniff die Augen zusammen, beobachtete jede seiner noch so kleinen Regungen aufs Schärfste. Auch die Bewegung an die Schläfe entging mir nicht. Sie war - meiner Ansicht nach - das beste Indiz dafür, dass er seine Worte noch nicht einmal wohl geordnet hatte, ehe er hierher gekommen war. Sie zeugte für mich von Nervosität und Unbedachtheit, und schon setzte ich ein süffisantes Lächeln auf und wollte ihn verabschieden, als er schlussendlich doch den Mund auf tat.


    Was er allerdings sagte, war nicht das Erhoffte, sondern ein Hinweis auf die Leichtigkeit, mit der auch ein Außenstehender an solcherlei Informationen gelangen konnte. Und dann bestätigte er, nichts über Iustus zu wissen. Ich brachte den Kopf in eine leichte Schräglage und taxierte den Mann. Ich an seiner Stelle hätte wenigstens noch versucht, mir etwas zusammenzureimen. Selbstverständlich hätte ich mich auch nicht mit den Eckdaten des Lebens meines Bruders zufrieden gegeben oder alleinig mit seinem Aussehen. Der vermeintliche Aurelier kündigte im gleichen Satz an, einen Beweis mit sich zu führen, und mehr aus unwillkürlicher Reaktion heraus als aufgrund von wirklichem Interesse senkte ich den Blick und betrachtete die Hand, die mir dargeboten wird. Er fiel genau auf zwei Ringe, beide golden, doch der eine mit einem unverwechselbaren Zeichen darauf, während der andere ein schlichtes Motiv zeigte, welches man zuhauf fand. Mein Ausdruck wandelte sich von einem desinteressierten in einen schier erschrockenen, als ich den Löwenkopf sah. Darunter befanden sich, spiegelverkehrt, die Initialien M. A. I., welche förmlich ins Auge sprangen. Ich verschwendete nur einen kurzen Moment, um Pegasus erneut in die Augen zu sehen, dann hob ich die Hand und griff nach seiner, um den Ring noch näher an mein Gesicht zu führen, ohne mich zu beugen. Ich hielt während der Untersuchung des Schmuckstückes die Luft an. Es schien wirklich der lang vermisste Ring zu sein. Hatte Iustus nicht behauptet, ihn während einer Seefahrt verloren zu haben? Gedankenfetzen blitzten hinter meiner Stirn auf. Ein Mann in den Zwanzigern und ein Junge, wie sie im Garten saßen und sich über Frauen unterhielten. Ich hatte wahrlich gute Ratschläge von ihm erhalten.


    Ein beim Drehen der Hand auf den Schmuck fallender Lichtreflex verwischte schließlich das Bild und ließ mich wieder in die Gegenwart eintauchen. Ohne zu fragen zog ich den Ring vom Finger und hielt ihn noch näher ans Gesicht, um ihn von allen Seiten untersuchen zu können. Ich drehte ihn in alle Richtungen und schürzte schließlich die Lippen, als ich den Ring wieder an Pegasus aushändigte. Er war das Original. "Wie bist du in den Besitz dieses Ringes gelangt?" erkundigte ich mich steif.

  • Natürlich konnte Pegasus nicht ahnen, dass sein Vater angab, den Ring auf einer Seereise verloren zu haben. Anscheinend hatte man alles, was annähernd mit ihm in Verbindung stand verdrängt oder nur geheim gehalten. Nicht gerade ein schmackhafter Gedanke, wie der Aurelier fand. Corvinus schien äußerst skeptisch ob seiner Identität zu sein, als wolle er nicht wahrhaben, dass vor ihm ein Verwandter steht. Weil er dann zugegeben müsste, ein solches schwer beleidigt zu haben, oder weil er sich einfach nicht vorstellen kann, dass sein Bruder – er sagte dies doch, oder? - einen Sohn hatte? Eine schwere Situation, ihm war nicht bekannt, wie nah die beiden letztendlich zueinander standen, gut möglich, dass Pegasus' Vater ihm einfach nichts erzählt hat. Streitigkeiten und Geheimnistuerei sind in Rom gang und gebe.


    Wortlos ließ er es zu, dass Marcus den Ring musterte. Er schien jedes Detail genau bestimmen zu können, versuchte sich zu versichern, dass es das entsprechende Schmuckstück war, versuchte es andererseits vielleicht aber auch zu verdrängen. Schneller, als es eine Reaktion zuließ wurde die Hand vom Erbstück befreit. Der Patrizier wollte etwas sagen, wollte diese Dreistigkeit zur Sprache bringen, verkniff es sich aber doch. In irgendeiner Weise konnte er sich vorstellen, wie sich sein Gegenüber fühlte.


    Sorgfältig streifte er den Ring wieder über, nachdem Corvinus sich um die Echtheit bestätigte. Doch anstatt das Schicksal anzunehmen und den Aurelier vor sich als einen solchen zu akzeptieren, fuhr er mit seinen Fragen weiter fort. Unangebrachte Skepsis, wie Paullus fand.


    “Ich bekam ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Wiege gelegt. Meine Mutter Aqulia Noctua erzählte mir, wie Iustus mir diesen anvertraute, als ich noch nicht einmal in der Lage war, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er solle mich an meine Herkunft, an mein Blut erinnern – wie sollte ich so etwas auch vergessen – denn mein Vater ... dein Bruder verließ uns beide nach einiger Zeit. Warum? Das hat Mutter mit ins Grab genommen...“


    Ein kurzer Anriss über seine ganze Situation. Ein fast unbekannter Vater und es bestand keine Möglichkeit, in jemals mehr näher kennen zu lernen. Eine verstorbene Mutter, die mehr als nur eine Erklärung für sich behielt und ein Waise, der es satt hatte, fernab von Familie zu leben. Das er so in Erklärungsnot geraten würde, nur um weiterhin in der Umgebung ihm Wohlgesonnener zu leben, hat er nicht gedacht. Er war geblendet...

  • Gleichermaßen nachdenklich wie zugegebenermaßen auch missmutig betrachtete ich die Hände des Pegasus, welche sich erneut des Ringes bemächtigten. Er stand diesem Mann nicht zu. Das zumindest war es, was ich dachte. Doch erforderte diese Situation ein Handeln von mir, welches in Konflikt mit meiner ablehnenden Haltung stand. Ich griff mir mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel, bekämpfte erneut die seichte Übelkeit und schloss einen flüchtigen Moment lang die Augen, um einen klareren Kopf zu erlangen. Doch als ich sie neuerlich aufschlug, steckte ich immer noch in der gleichen Situation fest wie vor wenigen Augenblicken. Ich seufzte und deutete am impluvium vorbei. Hier drinnen im atrium wollte ich nicht verweilen, ich kam mir nur umso verlorener vor in dieser großen Halle. Ein Spaziergang war gut, er würde mit Sicherheit die nötige Gedankenruhe bringen, die ich brauchte. Wie hätte Vater wohl reagiert, hätte er erfahren, einen Enkel etwa in meinem Alter zu haben? Ich verkniff mir weitere Gedanken dieser Art und lud Pegasus stattdessen ein. "Gehen wir ein Stück."


    Mit leicht ratlosem Gemüt schritt ich nun also daher, führte den Neffen, der mir so fremd war, zum Peristyl und schließlich allmählich hindurch. Geduldig hörte ich ihm zu. Eine Aquilia war seine Mutter. Iustus hatte nie von ihr erzählt. War sie der Grund für seinen unsteten Lebenswandel? Er war oft gereist, niemand hatte verstanden, warum er Achaia, Syria und Aegyptus so oft den heimatlichen Gefilden vorzog. War er gar stets nur an einen Ort gereist? Durch das Grübeln gelangte ich meine innere Ruhe zurück, wenngleich der Magen immer noch aufgewühlt war. "Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Pegasus. Wenn du wirklich mein Neffe bist - und der Ring legt es wirklich nahe - warum hat man dann deine Existenz und die deiner Mutter vor der Familie verschwiegen? Das ist es, was ich nicht nachvollziehen kann. Sag, wo hat deine Mutter gelebt bis zu ihrem Tod? Und warum hast du dich erst jetzt auf die Suche nach uns gemacht? Ich möchte so viel wie möglich über dein Leben erfahren. Vielleicht können wir zusammen die Umstände rekonstruieren..." Darüber, dass ich sehr unhöflich gewesen war zu Anfang, verlor ich noch kein Wort, denn überzeugt war ich noch nicht, dass dies ein Verwandter war - auch wenn es ganz den Anschein hatte, als sei ich es.

  • Pegasus war positiv überrascht. Er wurde nicht wieder sofort von Fragen überschüttet, er wurde nicht wieder Opfer von überhöhtem Zweifel. Gut, der Zweifel war anscheinend noch immer da, aber zumindest schien Corvinus zumindest die Möglichkeit, seinen Neffen vor sich zu haben, zu akzeptieren. Ein großer Fortschritt, wenn man das bisherige Gespräch betrachtete. Der pater familias ordnete seine Gedanken, ging in sein Inneres, versuchte, das Knistern in der Luft durch diese Pause zu verbannen – so wirkte es auf den jungen Mann. So erwartete, oder erhoffte, sich der Aurelier schließlich auch ein ruhiges und klärendes Gespräch. Der Grundstein wurde ja bereits von Marcus' nachfolgenden Worten gelegt.


    Langsam folgte er Corvinus, bis er auf gleicher Höhe mit ihm war. Geduldig ließ er den Patrizier aussprechen, ließ die Worte dann noch ein wenig im Raum verklingen und fing an, eine entsprechende Antwort zu formulieren ... obwohl das auch gar nicht so einfach war. Wo sollte er denn anfangen? In Gedanken kam er seiner alten Angewohnheit – sich über den imaginären Bart streichen – nach, ehe er eine ihn zufriedenstellende Antwort gab.


    “Nun ... wieso meine Identität – und wie du sagst auch die von meiner Mutter – verschwiegen wurde, kann ich dir nicht sagen. Nur Vermutungen kann ich anstellen. War er eventuell schon in Gedanken mit einer anderen versprochen, wollte er erst mit der Nachricht warten und ... 'fand dann etwas besseres'? Ich weiß es wirklich nicht und meine Mutter hielt sich immer in Schweigen gehüllt.“


    Pegasus lachte kurz leise auf. Schon irgendwie eine merkwürdige Situation. Ohne den Siegelring wäre er wohlmöglich niemals soweit gekommen, ohne den Siegelring wäre er vielleicht niemals als Aurelier irgendwo anerkannt worden. Er war nie der große Redner. Natürlich wurde er in Rhetorik und Sprache unterrichtet, aber es lag ihm nie wirklich. Man könnte ihm die Reden schreiben, eine euphorische und mitreißende Stimme hatte er schon öfter bewiesen und fehlte von sich aus der Inhalt ... obwohl man auch sagt, dass es dem Volk egal ist, was man sagt, solange man es richtig sagt! Er riss sich aus seinen Gedanken, räusperte sich kurz und fuhr fort:


    “Ich wohnte alle die Jahre mit meiner Mutter auf einem recht großen Landgut nahe Capua. Bisher hatte ich nie wirklich das Verlangen, andere kennen zu lernen, oder zu meinen Wurzeln zurück zu kehren. Ich habe dort ein recht sorgenfreies und einfaches Leben geführt. Als dann allerdings vor wenigen Monaten meine Mutter verstarb wurde mir klar, wie einsam es dann doch ist und so beschloss ich, eben diese 'Wurzeln' aufzusuchen. An Iustus kann ich mich ehrlich gesagt nicht wirklich erinnern. Er muss uns bereits kurze Zeit nach meiner Geburt ... vielleicht auch erst ein, oder zwei Jahre später, gänzlich verlassen haben...“


    Einen besseren Reim konnte er sich auch nicht bilden ... zugegeben, alles sehr suspekt...

  • Überrascht blickte ich zur Seite, als Pegasus Mutmaßungen anstellte, was die Verschleierung seiner Existenz und auch der seiner Mutter anging. Mir selbst wollte es auch immer noch nicht in den Kopf gehen, zu hanebüchen erschienen mir die möglichen Gründe. Der Punkt, dass seine Mutter ihn nie darüber in Kenntnis gesetzt hatte, warum mein Bruder nie etwas von seiner, nun ja, Zweitfamilie erzählt hatte, passte indes ganz auf den Reim, den Pegasus sich machte. Und doch wusste ich es besser. Fakt war, dass mein Bruder bereits mit Horatia Vespa verheiratet gewesen sein musste, als er Pegasus gezeugt hatte, falls dieser sein Fleisch und Blut war. Fakt war auch, dass ich nichts über die Nebenliebeleien meines Bruders gewusst hatte und daher nichts mit Genauigkeit sagen konnte,. Und ebenfalls ein Fakt war, dass ich rein gar nichts tun konnte, um dem Mann an meiner Seite zu widerlegen, dass er den Ring legal an sich gebracht hatte. In Gedanken versunken schwieg ich, während Pegasus' leises lachen vom leichten Wind aus dem Säulengang getragen wurde. Zwei tratschende Sklavinnen bogen um die Ecke, die eine einen Besen in der Hand, die andere einen Korb Wäsche. Sie hielten im Plappern inne, als sie uns beide sahen, und verschwanden hastigen Schrittes aus dem Sichtfeld. Indes schwieg ich beharrlich weiter. Was hätte ich auch sagen sollen?


    Kurz darauf sprach Pegasus erneut von sich aus. Ich wandte ihm mein Gesicht interessiert zu und gab mir Mühe, nicht ein einziges Detail von dem, was er von sich gab, zu vergessen. Irgendwann, so dachte ich mir, würde er sich gewiss verhaspeln - sofern er der Hochstapler war, für den ich ihn hielt. Eventuell vertrug er gar den Wein nicht, und es würde mir so früher oder später gelingen, seine Zunge zu lockern.


    Was sprach er da? Capua? Das war nicht weit entfernt von Rom. Hatte Iustus nicht dort einige Parzellen Land besessen? Oder war das Capri gewesen? Während ich nachdachte, runzelte ich angestrengt die Stirn, aber der Nebel um die Erinnerung herum wollte sich nicht lösen. Kein Wunder, ich musste fünf, auf keinen Fall aber älter als acht Jahre gewesen sein. Ich war gerade acht geworden, als Iustus von einer seiner Schiffsreisen nicht mehr zurückkehrte, einige Monate später erhielten wie seine Asche aus Nikopolis, wo er gestrandet und verbrannt worden war. Seine Familie war erschüttert, wir waren erschüttert. Ein tragisches Ende, aber so war er nun einmal gewesen.


    Innerlich triumphierte ich, als Pegasus gestand, meinen Bruder nicht zu kennen. Bewies es nicht, dass er nicht dessen Sohn war? Und dennoch machte es Sinn, wenn mein Bruder seinen Ring in die Wiege seines Sohnes gelegt haben sollte. Schweigen breitete sich aus, nachdem Pegasus geendet hatte. Ich schwieg ebenfalls, bis wir das Ende des Peristyls erreicht hatten. Dort blieb ich stehen und musterte meinen Begleiter erneut. Ich musste eine Entscheidung treffen, auch wenn ich kaum eine Grundlage hierzu hatte. Mein Vater hätte gewiss gewusst, was zu tun war. Doch war er nicht zugegen, würde es niemals mehr sein. Ich musste entscheiden. Und ich entschied.


    "Falls du wirklich der Spross meines Bruders bist, Pegasus, wäre es eine Untat von mir, dich fortzuschicken. Ich gewähre dir Gastrecht in diesem Haus, bis ich mich vollends entschlossen habe, was zu tun ist. Du wirst verstehen, dass deine Geschichte doch recht...nun ja, skurril erscheint. Doch wenn du wahrlich mein Neffe bist, solltest du wissen, dass mein Bruder ein Weib hatte, eine Horatia. Vermutlich sagte er sich deswegen von deiner Mutter los...ich weiß es nicht. Ich möchte etwas Zeit zum Nachdenken nutzen, ehe ich etwas endgültiges festlege. Dementsprechend bitte ich dich auch, deine, hm, Herkunft vorerst geheimzuhalten, wenn du dich nicht hier auf dem Anwesen aufhältst. Ist dir das genehm, Pegasus?" fragte ich ihn. Sollte ich ihm erzählen, dass er vielleicht eine Schwester hatte? Eine Halbschwester, wenn man es genau nahm? Grübelnd mahlten meine Kiefer aufeinander. Nein, ich entschloss mich, es auf später zu verschieben. Zeit war ohnehin genug, und Prisca würde wohl bessere Fragen auf Lager haben als die nach der Abstammung eines Gastes. So hoffte ich zumindest. Zuerst wollte ich selbst mit ihr reden und ihr einige Fragen stellen.

  • Er war etwas angespannt, fühlte sich in der jetzigen Situation nicht wirklich wohl in seiner Haut, andererseits war er sich nun so sicher wie nie, dass er in diese Familie als aktives Mitglied eingegliedert werden würde. Er war ein Patrizier, ein Aurelier und hatte dementsprechend den Anspruch auf einen Logenplatz im sozialen Gefüge. Niemand würde ihm das streitig machen und er würde nichts unversucht lassen, dass zu erreichen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Da mochte er vielleicht etwas stur sein.


    Die leichte Brise fuhr ihm durch das kurze Haar, strich ihm über die leicht erwärmten Wangen und kühlte sein Gemüt wieder ab. So intensiv hatte er sich noch nicht mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und hätte er es getan, wäre das Ergebnis dieser Konversation wohlmöglich ein ganz anderes gewesen. Er hätte einige Erklärungen und Argumente aus dem Ärmel zaubern können, aber seine übersteigerte Selbstsicherheit im Bezug auf die Anerkennung seiner selbst ließ ihn ein anderes Spiel spielen. Die beiden Sklavinnen – welche nicht lange in seinem Blickfeld blieben – zogen Pegasus' Aufmerksamkeit auf sich. War er enttäuscht darüber, dass sie sich nicht wirklich von den Sklavinnen und Sklaven auf seinem Anwesen unterschieden? Was hatte er erwartet? Das gesamte Haus war fremd... andersartig und versprühte trotzdem einen Hauch von Vertrautheit.


    Wieder herrschte Stille. Marcus beendete seine Sätze und niemand von den beiden vermochte zu einem weiteren Wort anzusetzen, obgleich es der Pater Familias von ihm erwartete. Er wollte fluchen! Was sollte er denn Antworten? Einverstanden? Er sollte damit einverstanden sein, seine wahre Identität auf's erste geheim zuhalten? Was sollte er denn in Rom machen, wenn er nicht sagen konnte, dass er ein Patrizier, ein Aurelier war? Sollte er sich wie ein Plebejer aus einer nichtsagenden Gens behandeln lassen?


    “Bei allem Respekt Corvinus, ich denke, ich kann dich... verstehen. Nein, das ist das falsche Wort... ich kann deine Handlung und deine Forderung nachvollziehen, aber... nein... Wie soll ich denn leben, wenn ich mich nicht als der ausgeben kann, der ich bin? Wie lange soll ich denn unter dem Deckmäntelchen bleiben? Wie soll ich mich denn vorstellen? 'Salve, ich bin... ja, warte einen Monat, dann darf ich es dir verraten.'? Soll ich mich als Plebejer ausgeben und mich unter meiner Würde behandeln lassen, damit du nach einer – für mich - schier endlosen Zeitspanne im Angesicht dieser alltäglichen Erniedrigung und Demütigung dann doch nicht mehr weißt wie nun? Dass ich dein Neffe bin, dass ich ein Aurelier bin. Nicht mehr und vor allem nicht weniger!“, erwiderte Paullus und versuchte einen mitreißenden Tonfall anzuschlagen, ohne, dass er seine innere Unruhe, seine Aufkommende Wut aufzeigte. Nichts lag ihm ferner, als durch eine unrühmliche Tat, durch ein unbedachtes Wort die Situation zu einem Punkt zu bringen, wo er nicht mehr weiter kam.


    Der Aurelier erwartete, dass sein Gegenüber die Situation verstand. Wie würde er sich denn in solchen Augenblicken fühlen? In Momenten, die seine Zukunft bestimmen und den weiteren Verlauf seines Lebens in die Wege leiten. Was würde er tun und sagen, wenn er wüsste, dass eine reelle Chance bestand, ein niederes Leben führen zu müssen, weil sein eigener Verwandter ihn nicht als einen der seinen akzeptierte? Erwartungsvoll musterte er den Mann. Er konnte nicht so viel älter als Pegasus sein und doch konnte man die Unterschiede des Vermögens und der Stellung deutlich erkennen, allein das fuchste ihn schon.

  • Ich schürzte die Lippen und dachte einen Moment nach. Im Grunde hatte er ja recht. Es war einfach nicht machbar, zumindest nicht solange, wie ich meine Nachforschungen laufen lassen würde. Aber sollte ich ihm gleich gestatten, sich als meinen Neffen auszugeben? Nur eines Ringes wegen? Gedankenverloren strich ich mir übers Kinn und wiegte kurz den Kopf. So flammend, wie er sprach, würde er einmal ein guter orator werden, soviel stand fest. Ob er nun ein Aurelier war oder nicht.


    "Zwei Tage", sagte ich schließlich und blickte auf. "Gib mir zwei Tage. Ich denke nicht, dass dies zuviel verlangt ist. Meinetwegen kannst du es der Familie schon vorher mitteilen. Ich muss nur erst mit..." Wieder viel mir Prisca ein, und ich seufzte. "Es gibt da etwas, das du vermutlich wissen solltest - du hast eine Schwester. Eine Halbschwester, wenn es wahr ist, was du sagst, Pegasus. Ihr Name ist Prisca. Sie ist eine sehr liebenswürdige junge Frau. Ich mache euch bekannt, aber erst muss ich mit ihr reden. Sie wuchs wie du in dem Glauben auf, der einzige Spross zu sein. Ich kann dir nicht sagen, wie sie darauf reagieren mag." Und da mich ebenso brennend interessierte, wie mein vermeintlicher Neffe auf diese Neuigkeit reagieren mochte, taxierte ich ihn ganz genau, während ich sprach, um jede noch so winzige Regung aufzunehmen. Vielleicht bot sich während der angesprochenen zwei Tage die Möglichkeit, ihn und seine Vergangenheit näher kennenzulernen. Das musste dann eben reichen für eine Entscheidung, sollte ich währenddessen nicht an nähere Informationen herankommen. Ich würde Camryn schicken.


    Nach erneuter, eingehender Beobachtung fällte ich schließlich eine vorläufige Entscheidung. "Ich werde dir eine Sklavin schicken, die dir ein Zimmer richten und ein Bad bereiten lassen soll. Zudem brauchst du dringend Kleidung zum Wechseln, scheint mir. Lasse dich im Haus herumführen, damit du weißt, wo alles ist. Ich erwarte dich dann heute Abend zur cena im triclinium", wies ich ihn knapp und eventuell auch etwas unangebracht an. Wenn er ein Patrizier war und auch gelebt hatte wie einer, wäre er mit solchen Dingen sehr wohl vertraut.


    Ich winkte Matho herbei, der nicht weit entfernt Laub zusammenfegte, und trug ihm auf, eine Sklavin zu organisieren, vorzugsweise Tilla oder Cadhla, meinetwegen auch beide zusammen. Caelyn und Siv waren mir noch zu frisch, um hier pflichtbewusst zur Hand zu gehen, zumal Caelyn Ursus' persönliches Eigentum war und ich nicht ohne Rücksprache mit ihm über sie verfügen wollte.

  • Sie wurde von Brix in den Schlafräumen der Sklaven aufgestöbert. Tilla hatte sich nach dem Küchendienst dorthin zurückgezogen, um einmal in Ruhe zu begutchten, was sich denn alles in ihrer Hälfte der Aufbewahrungskiste befand. Ihre Hände brachten allerlei zum Vorschein. Eine helle Vogelfeder, ein paar runde Kieselsteine sowie einige Büschel Kaninchenhaar und unter anderem auch ihre diversen Lederbeutel, von denen einer Rutger Severus gehörte. Tilla krauste die Nase. Die Woche war bald um und noch immer hatte sie nichts von ihm gehört, wie, wo, wann sie erneut aufeinanderstoßen würden. Vergessen hatte er sie bestimmt nicht und seine Warnung nahm Tilla auf jeden Fall sehr ernst. Mit Cadhla hatte sie über seinen Zorn noch nicht sprechen können. Ständig gab es was zu tun. Mit einem stummen Seufzer räumte sie alles wieder ein und folgte Brix hinterher.


    Heute trug sie eine lange knöchellange, safrangelbe tunica, die ihre blaue Flecken, Schrammen und Abschürfungen vom Samhain-Fest an den Beinen verdeckten und an der Taille, sowie unter den knospenden Brüsten gerafft war. Wie immer trug sie ihre langen schwarzen Haare offen. Leise pustete Tilla die Stirnsträhnen weg, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen. Tilla klopfte an die Tür, wartete auf der 'Herein' und trat ein. Diesmal klappte das Eintreten richtig gut, da sie kein Mehl an den Händen, gar an der Nase hatte. Salve, dominus Marcus. Sie freute sich ehrlich Marcus zu sehen und lächelte ihm stumm zu, bevor sie den fremden Besucher in Augenschein nahm. Hmm... den hatte sie doch schon gesehen, oder? War das nicht vorhin gewesen, als sie Leone beim Türe öffnen gesehen hatte, während sie der Köchin Niki in den nächsten Gang hintendrein folgte? In der einen Hand hielt Tilla wie gewohnt die mitgebrachte Wachstafel fest und blieb in Reichweite der Tür stehen. Geduldig wartete sie auf die Stimme ihres Herrn, bestimmt bekam sie gleich wieder etwas zu tun.

  • Pegasus musste ein Gähnen unterdrücken. Die Reise war nur verhältnismäßig kurz gewesen, aber ungewohnt anstrengend und fordernd. Man konnte sich gar nicht vorstellen, wie unbequem selbst gepolsterte Sitze mit der Zeit werden konnten und Schlaf... das war bei einem solchen Rumgepoltere normalerweise ein Fremdwort. Aber er war froh, die Philosophen bei sich gehabt zu haben.In Form von kleinen Pergamentrollen hatte er bei langen Strecken immer etwas zu lesen dabei. Nicht etwa, weil sie so spannend und geistreich waren – zugegeben, das dachten wohl viele, Pegasus nicht – sondern weil sie als ein erstklassiges Narkotikum fungieren konnten. Das machte er sich natürlich zu nutzen und nach nur wenigen Textpassagen fand er sich im Reich der Träume wieder. Dies gelang ihm diesmal allerdings nicht, was den Aurelier natürlich leicht ermüdete. Anstatt dies offen zu zeigen, fuhr er routiniert durch sein kurzes Haar. Ein Anzeichen, dass er absolut nicht wusste, was er in der gegenwärtigen Situation tun sollte.


    Fluchen wollte er. Jahaaa, und zwar ganz gewaltig. Er forderte sofortige, positive Ergebnisse, kein Hinhalten und Hinauszögern. Er forderte all das, was einem Aurelier gebührt und keine Skepsis wie sie gegenüber einem ordinären Landstreicher entgegengebracht wurde. Aber Pegasus meinte ja, Marcus' Handlungen nachvollziehen zu können. Auch wenn er damit log, konnte er jetzt schlecht das Gegenteil behaupten, wo ihm der Pater Familias doch bisher so zuvorkommend war.


    “Zwei Tage... ich denke, damit werde ich leben müssen, auch wenn sich mir nicht erschließt, was du dir aus diesen zwei Tagen versprichst.“ Denn für Nachforschungen waren zwei Tage etwas wenig und einen weiteren Grund, seinem Neffen nicht sofort das zu geben, was ihm zusteht, fand er nicht.


    So aufmerksam, wie es die Situation zuließ hörte er auch den weiteren Erläuterungen, Informationen und Angaben zu und meinte, sich verhört zu haben. Er sehnte sich gerade zwar nichts sehnlicher als ein heißes Bad und ein weiches Bett herbei, aber so absent war er dann doch nicht. Hatte Corvinus gerade gesagt, dass Pegasus eine Halbschwester hatte? Bei den Göttern, was für eine Nachricht! Er wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte... gut, weinen würde jedenfalls nicht, das war klar. Sprachlos ob dieser Neuigkeit schaute er zum Oberhaupt der römischen Aurelier, ehe er seine Stimme wiederfand.


    “Bitte was? Eine Halbschwester?“ Nichts war erfreulicher als das Erscheinen einer Sklavin, die ganz offensichtlich zu seinem Wohlergehen abgestellt worden war. Dass sie aufgrund ihres Schweigens recht unhöflich war, fiel ihm gar nicht auf, denn seine Gedanken kreisten sich gerade um andere Dinge.

  • "Ich mochte dich einfach näher kennenlernen", erwiderte ich mit einem hintergründigen Lächeln. Natürlich wollte ich das, und ebenso hoffte ich insgeheim darauf, dass er sich während der beiden Tage wie auch immer verriet und ich meine Entscheidung treffen konnte. In Gedanken war ich bereits bei dem Gespräch mit Prisca. Daher bemerkte ich Tilla auch nicht sofort, als sie hinter einer Säule des peristylium hervortrat, zumal Pegasus mich gleichzeitig auf Prisca ansprach. "Ja", erwiderte ich schlicht. Er schien zumindest ehrlich überrascht. Vermutlich hatte er mit dieser Schwierigkeit auch einfach nicht gerechnet...


    "Tilla", grüßte ich sie. "Das ist Pegasus. Er ist neu hier. Deshalb möchte ich, dass du ihm etwas zur Hand gehst und ihm alles zeigst, was er sehen möchte." Ich blickte nun zu Pegasus. "Ihr Name ist Tilla. Wundere dich nicht, sie ist stumm. Achte auf die Zeichen, die sie mit den Händen macht, dann wirst du sie verstehen. Falls es gar nicht geht, nutzt sie eine Tafel und schreibt", wies ich ihn an. "Ich werde jetzt mit Prisca reden, du findest mich danach in meinem Arbeitszimmer, falls etwas sein sollte. Ansonsten sehen wir uns heute Abend bei der cena." Ein Nicken folgte, dann verließ ich mit ausgreifenden Schritten den Säulengang und ließ Tilla und Pegasus allein.

  • Tilla nickte nochmals als sie mit ihrem Namen angesprochen wurde und hörte aufmerksam lauschend zu. Schon der Name des Fremden erregte ihre Aufmerksamkeit. Pegasus? Hiess er wirklich genauso wie das berühmte Pferd? Sie lächelte beide Männer offen, und zugleich auch überrascht an. In Ordnung. deutete Tilla ganz simpel an und traute sich noch ein paar Schritte näher. Ihr Herr ging von dannen. Heute abend gab es also eine cena. Bestimmt waren schon die Küchenangestellte eifrig zugange. Aber Tilla war nun in Marcus Auftrag Pegasus zugeteilt. Also wurde nix mit ihrem Plan dem Kaninchenstall und dem Kletterbaum einen Besuch abzustatten. Scheu suchte sie Pegasus Blick, fragte sich still, was er brauchte, damit sie ihm 'zur Hand' gehen und ihm zeigen konnte. Was war das nur für ein seltsamer Spruch: 'zur Hand gehen'. Sollte sie ihm vielleicht ihre Hände vorzeigen? Was kann ich für dich tun.. Öhm.. sie brauchte eine Anrede. Oh verflixt.. was machte sie jetzt? ..dominus. Damit löste Tilla das Problemchen, hoffte es richtig gemacht zu haben.

  • Skeptisch musterte der Aurelier die stumme Sklavin. Wie konnte man sich ein solch junges Ding anschaffen, wenn sie stumm war? Das machte nur noch mehr Mühe mit den Sklaven. Man war auf tabula und stilus angewiesen, vorausgesetzt, der Sklave, oder die Sklavin konnte überhaupt schreiben, was man von den meisten nicht ansatzweise erwarten konnte. Dann blieb da immer noch die Zeichensprache. Er stellte sich in Gedanken schon Szenen vor, in der er hektisch rätselhafte Handbewegungen dechiffrieren musste, was ihn leicht ins schwitzen brachte. Gab es denn hier keine... normalen Sklaven?


    Mit einem verlorenen Blick schaute er Corvinus hinterher, der sich knapp verabschiedete. Das gefiel ihm wohl recht gut. Er konnte Paullus nicht vertrauen, vielleicht wollte er es gar nicht. Da wurde ihm also eine komplizierte, junge – zugegeben: durchaus nicht unattraktive – Sklavin abgestellt und er musste zwangsläufig alleine zurecht kommen. Eine berauschende Situation.


    Pegasus richtete seine Augen wieder in Richtung Tilla. Was könnte sie für ihn tun? Was brauchte er denn in einer solchen Situation? Einen Platz zum Nachdenken, zum Erholen, zum Entspannen, ja, das war genau das, was er sich nun wünschte. Ein schönes heißes Bad, mit beruhigenden Ölen. Er bezweifelte zwar, dass sie hier eine Auswahl seiner favorisierten Badeöle hatten, aber er war momentan recht leicht zufrieden zu stellen.
    “Ein heißes Bad brauche ich. Kleidung habe ich in Obhut meines Sklaven gelassen. Ob er im Atrium wartet, oder noch draußen, weiß ich nicht, aber darum kannst du dich schließlich kümmern.“, meinte er mit einem Stirnrunzeln. War das alles? Vorerst wohl schon...

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