• „Äh…“, war die erste passende Antwort, die Pallas alias Youenn in den Sinn kam. Sie mochte nicht besonders eloquent sein, doch drückte sie am deutlichsten aus, was er sich bei seinem Vorschlag vorgestellt hatte.
    Etwas ratlos sah er in seine Essensschale, die jedoch unnachgiebig und nicht sonderlich einfallsreich zurückstarrte. Die breiige Substanz würde ihm also eher nicht helfen, so blickte er wieder zu Bridhe. Er selbst kam meist recht einfach aus der Villa heraus, hatte er sich doch mittlerweile zum stillen Chef der Sklavenschaft von Antonia gemausert und genoss somit weitgehend Narrenfreiheit. Bei Aquilius’ Sklavin gestaltete sich das ungleich schwieriger.
    „Vielleicht…“, setzte er an, überlegte es sich jedoch anders und verstummte kopfschüttelnd wieder.
    „Mh… wofür hat dein Herr dich denn? Also… äh… “
    Der plötzlich aufkeimende Gedanke, der Flavier könnte sie ebenso gut als Bett- wie als Unkrautjätsklavin gekauft haben, ließ seine Worte über die eigene Zunge stolpern. Um den Stottern ein Ende zu machen, ließ er das Thema wieder sein und kratzte sich verlegen am Kopf. Er konnte wirklich nicht gut mit Frauen. Von Weitem – kein Problem. Wenn sie ihm Anweisungen gaben – kein Problem. Mit ihnen sprechen – vergebene Liebesmüh. Da konnte er ganze Epen aus dem Gedächtnis rezitieren, aber ein einfaches Gespräch überforderte ihn.
    „Vielleicht doch keine so gute Idee.“, gab er schließlich zu. „Andererseits, das Haus ist ja groß genug, hier sollte es doch auch genügend Möglichkeiten geben, sich zu beschäftigen. Allein der Garten…“
    - Womit er wieder beim Unkrautjäten war.
    „Vielleicht doch nicht der Garten… ähm… kannst du lesen?“

  • Seit kurzem bin ich seine Leibsklavin, gab ich zur Antwort, wollte es allerdings nicht erwähnen, dass ich ihm trotz allem immer noch als Wärmflasche diente. Aber offensichtlich hatte er selbst schon wieder den Gedanken verworfen, einmal das Haus zu verlassen.
    Der Garten, ein Platz um sich Abwechslung zu verschaffen? Natürlich, wenn man darin arbeitete! Doch hatte er mit Abwechslung nicht eher etwas anders gemeint, etwas was mit den Vergnügungen des Lebens zu tun hatte? Doch auch den Vorschlag mit dem Garten verwarf er alsbald und fragte mich, ob ich lesen könne.


    Ja, ich kann schon ein wenig lesen. Ich bin gerade dabei es richtig zu lernen.


    Ich sah hoch und visierte ihn direkt an.


    Aber weißt du was? Du bringst mich auf eine Idee!


    Für einen kurzen Moment strahlten meine Augen, so wie sie es früher immer getan hatten, wenn es etwas erfreuliches gab.


    Es gäbe da in der Tat eine Möglichkeit, herauszukommen! Wenn ich es mir recht überlege, müßte ich vielleicht bald wieder einige Besorgungen für meinen dominus machen.


    Ein zartes Lächeln huschte über meinen Mund, eine Geste mit gewissem Seltenheitscharakter, seit einigen Wochen schon.

  • Leibsklavin. Das konnte so gut wie alles heißen, aber da sich das Thema ohnehin erledigt zu haben schien, ging er darauf nicht näher ein. Und wenn er schon dummes Zeug redete, hatte er sie zumindest auf eine Idee gebracht. War ja immerhin ein Anfang.
    Jener kurze Moment, ein Aufflackern, eine Art Glänzen in ihren Augen bemerkte er, freute sich, dass sie nicht mehr ganz so niedergeschlagen schien und lächelte fast automatisch. Hätte er den Seltenheitswert dieses Funkelns gekannt, er hätte wohl ein wenig Stolz empfunden.
    „In diesem Fall… er wird ja nicht kontrollieren, wie lange du für die Besorgungen brauchst. Selbst wenn, Rom ist groß und die Märkte überfüllt.“
    Wie er selbst sich nur zu gut erinnerte. Vor allem überfüllt mit jenen ‚Damen’… er verwarf den Gedanken wieder, dieses Weib hatte ihn damals genug Nerven gekostet.
    „Das solltest du im Übrigen beibehalten.“
    Er wies auf ihr Gesicht.
    „Du bist viel schöner, wenn du lächelst.“
    Noch so ein abgedroschener Spruch. Und wieder folgte ein verlegenes Kopfkratzen.
    „Nicht, dass du sonst hässlich wärst… ich meine… du weißt, was ich meine.“
    Wie gut, dass ihm keine Karriere in der Politik bevorstand, er hätte sich wohl um Kopf und Kragen geredet.
    „Also.“, lenkte er schließlich das Thema zurück zu einem Ausflug, „Was willst du machen? Vorausgesetzt natürlich, ich soll mitkommen… was natürlich keine Voraussetzung ist… du kannst natürlich auch alleine, wenn dir das lieber ist… oder jemand anders… wir kennen uns ja quasi nicht…“
    Er redete zu viel. Eine Tatsache, die ihn selbst ein wenig überraschte, konnte er sich doch ansonsten kaum mehr als ein „Ja“ oder „Nein“ abringen.

  • Ich nickte zustimmend. Ja Rom war wirklich groß, überfüllt und manchal auch unübersichtig. Ich wollte mich erst gar nicht mehr en meine letzte Einkaufsaktion mit Severus erinnern. Damals war ich überglücklich, einmal heraus aus dem Haus zu kommen. Doch dieser Ausflug endete, wie die Beziehung zu Severus endete, in einer Katastrophe!
    Doch diesmal sollte keine Katasstrophe daraus erwachsen. Nein diesmal nicht!
    Oh, wie gut tat mir dieses plötzliche Aufkommen von Vorfreude. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr gespürt. Es war, wie die Abenteuerlust eines Kindes, das die Welt entdecken wollte.
    Auch seine Schmeicheleien waren wie Balsam für mich. Er war so ganz anders, wie Severus es gewesen war. Keine Spur von Jähzorn und Verbissenheit. Er war eher etwas zurückhaltender und ruhiger.
    Ich befolgte seinen Rat und behielt das Lächeln bei, nein ich begann sogar zu lachen.


    Ich weiß schon, was du meinst! Was ich machen will? Ich war noch nie am Tiber und die Schönheiten dieser Stadt kenne ich auch noch nicht. Und wenn ich sie kennenlernen wollte, dann sicher mit dir! antwortete ich eifrig.
    In diesem Moment schien ich wie ausgewechselt! Sollte endlich die dunkle Zeit vorüber sein? Sollte es doch noch Hoffnung geben, auf ein Leben nach Severus?


    Youenn, oder Pallas, wie ist es dir eigentlich recht? Wie soll ich dich nennen? Woher stammst du eigentlich?

  • So unangenehm ihm zuvor ihre Niedergeschlagenheit gewesen war, so war es auch die plötzlich aufkeimende gute Laune. Als sie lachte zuckte er zumindest kurz zusammen.
    „Diese Stadt hat Schönheiten? Hat sie bislang gut vor mir verborgen.“
    Jenen Stimmungsumschwung genauer zu analysieren ließ er bleiben, verstehen würde er es ohnehin nicht, dessen war er sich sicher. Mit ihm. So viel hatte er zumindest begriffen. Was auch immer das nun für Spätfolgen haben würde.
    Die Frage nach seinem bevorzugten Namen beantwortete er indes mit einem Schulterzucken.
    „Wie du willst… hier in Rom bist du jedenfalls die erste und einzige, die mich Youenn genannt hat.“, erwiderte er schmunzelnd.
    „Kennst du Camulodunum? Im Gebiet der Trinovantes? Liegt im Südwesten. Da aus der Gegend komme ich. War wohl das Ergebnis einer seltsamen Kreuzung zweier Sklaven.“
    Er musste grinsen. Dass seine Mutter eine Keltin war leuhtete jedem ein, dass sein Vater jedoch ein Import aus Griechenland gewesen sein sollte fiel selbst ihm schwer zu glauben. Nun gut, er wirkte auch nicht direkt wie ein Gelehrter. Nicht bei seinem Äußeren hatte sich das griechische Blut durchsetzen können, dafür umso mehr in seinem Inneren.
    „Du stammst auch von den Inseln, habe ich recht?“

  • Nunja, ich bin immer davon ausgegangen, dass sie einige Schönheiten besitzt! Diese Römer schwärmen doch alle so von ihrer Stadt!, gab ich achselzuckend zur Antwort. Es mußte doch sicher irgendwo ein schönes Plätzchen geben, an dem es sich gut verweilen ließ und an dem man die Seele baumeln lassen konnte.


    Youenn. Wenn es dir nichts ausmacht, nenne ich dich weiterhin Youenn. Ich finde, es klingt schöner als Pallas. Diese Sprache ist so hart und so kalt!


    Ich müßte den Göttern noch danken, und ganz besonders Brigid, dass sie mir jemanden geschickt hatten, der mich auf diese Weise wieder aufheitern konnte. Zufrieden lächelte ich und insgeheim freute ich mich schon auf unseren gemeinsamen Ausflug, wo immer er uns auch hinbringen mochte!


    Camulodunum? Ich glaubte, den Namen schon einmal gehört zu haben, war mir aber nich so sicher! Die meisten Händler, die zu uns gekommen waren, kamen aus Britannia. Nicht selten handelte es sich auch um Briten. Doch konnte ich nicht behaupten, einen zu kennen.


    Ich komme aus Éirinn, Hibernia. Du hast sicher schon einmal davon gehört! Deine Heimatstadt kenne ich nur vom Hörensagen. Nachdem man mich von zu Hause verschleppt hatte, brachte man mich zuerst nach Britannia und dann weiter auf das Festland. Doch ich weiß nicht, in welchen Städten ich war.


    Wehmütig dachte ich wieder an die Heimat. Es war gleich, wieviel Zeit noch vergehen würde, immer würde es schmerzlich sein, wenn ich an zu Hause dachte.


    Du wurdest also schon als Sklave geboren? Ich stelle mir das schrecklich vor! Du hast niemals die Freiheit gekannt?

  • "Naja... wenn es meine Hauptstadt wäre, würde ich das wohl auch tun. Und wäre sie noch so hässlich."
    Ein wenig Patriotismus konnte ja nicht schaden.


    Auf ihre Entscheidung hin, ihn weiter Youenn zu nennen nickte er schmunzelnd.
    "Wenn ich bedenke, dass Pallas der Beiname einer Göttin... einer GöttIN ist, frage ich mich sowieso, ob sich meine Herrin einen Scherz mit mir erlauben wollte."


    Nach Hibernia musste er in seinem Gedächtnis nicht besonders lange kramen, so neigte er zustimmend den Kopf.
    "Ja, kenne ich. Aber dort war ich noch nie. Liegt recht weit im Norden, nicht? Nördlicher als alles, was römisch ist."
    Es musste ein interessantes Fleckchen Erde sein, noch gänzlich frei von Römern und deren Einfluss. Rein aus wissenschaftlichen Zwecken wäre es sicher interessant, dort einmal hin zu reisen.
    "Wie kam es denn dazu, dass man dich gefangen nahm? Verzeih, wenn dich die Erinnerung zu sehr schmerzt, musst du es natürlich nicht erzählen."
    Der ungute Gedanke beschlich ihn, langsam wohl zu neugierig zu wirken.


    Still lächelte er, beim Gedanken an Britannia, seine Kindheit, sein Leben. Verglichen mit den meisten anderen Sklaven konnte man es durchaus als schön bezeichnen.
    "Weißt du, ich denke die beste Art, Sklave zu sein, ist die, niemals die Freiheit gekannt zu haben. Mir gefällt es, wie es ist. Wenn ich mir vorstelle, als Krieger in einem der britannischen Stämme leben zu müssen... nein, das wäre nichts für mich. Ich muss mir weder Sorgen darum machen, woher ich etwas zu essen bekomme, noch wie ich Geld verdienen kann. Meine Herrin ist seltsam, aber erträglich und hat so viele Sklaven, dass keiner von uns übermäßig viel arbeiten muss. Freiheit ist ein stark überschätztes Gut, es geht auch ohne."

  • Nun so weit im Norden liegt es auch wieder nicht! Doch es stimmt schon, im Bezug auf alles was römisch ist, liegt es recht weit im Norden.
    Ich stamme aus dem Nordosten der Insel. Sagt dir der Fluß Boinne etwas? An dessen Ufer, nahe seiner Mündung ins Meer, liegt mein Dorf.


    Fast immer, wenn ich über meine Heimat sprach, hatte ich dieses Funkeln in den Augen, so auch jetzt. Sich daran zu erinnern, hieß, nichts davon zu vergessen, doch es schürte auch immer wieder auf´s Neue die Sehnsucht in mir.
    Das Funkeln verlosch jedoch, als er mich fragte, wie es dazu gekommen war, dass ich hier war. Meine Miene verdunkelte sich wieder und meine Stimme hatte wieder diesen ernsthaften Klang.


    Man hat mich einfach entführt, als ich am Strand war und Muscheln sammelte. Ich wollte erst wegrennen, doch sie haben mich verfolgt. Wenn ich nicht gestolpert und hingefallen wäre, hätten sie mich nicht bekommen. Sie haben mich gefesselt und auf ihr Boot gebracht. Und dann..


    ...hatten sie mich fortgebracht, fort von meiner geliebten Insel und hin in eine Welt, die mehr als fremd für mich gewesen war. Ich schwieg, konnte nichts mehr dazu sagen, denn es schmerzte mich noch immer. Dieser Schmerz würde wahrscheinlich nie enden.
    Doch dann sah ich wieder zu ihm auf und versuchte zu lächeln und hörte ihm weiter zu.
    Ehrlich gesagt konnte ich es nicht so recht nachvollziehen, was er sagte. Schließlich wusste ich nicht, was es hieß, niemals frei gewesen zu sein.


    Aber könntest du dir nicht vorstellen, wie es ist, einmal frei zu sein? Du könntest tun und lassen was du wolltest. Müsstest niemanden fragen und könntest überall hingehen, wo du hin wolltest.

  • Sich eine der vielen Karten, die er von Britannien bislang gesehen hatte, vor sein inneres Auge rufend, nickte er schließlich.
    "Ja, ich denke, ich weiß, was du meinst."
    Dass sie nicht besonders gerne über ihre Gefangennahme sprach, hätte wohl ein Blinder gesehen und so schalt er sich gedanklich für seine Frage. Nichtsdestotrotz hörte er zu und nickte ab und an.
    "Schon gut.", sagte er schließlich, als sie verstummte. Wer wusste schon, was man mit ihr auf der Reise gemacht hatte. Ein kurzes Kopfschütteln verdrängte diese Überlegungen wieder.


    "Was hätte ich denn davon?", entgegnete er schulterzuckend. "Ich wüsste nicht einmal, wohin ich gehen, geschweigedenn was ich mit mir anfangen sollte."
    Er machte sich nie besonders viele Gedanken über Gefangenschaft oder Freiheit. Doch er war sich sicher, dass, wäre er kein Sklave, sein Leben weitaus unangenehmer verlaufen wäre.

  • Ich konnte schon verstehen, dass er so dachte. Mir wäre es wahrscheinlich nicht anders ergangen, wäre ich an seiner Stelle gewesen. Doch wenn man einmal die Freiheit gekostet hatte, wollte man sie nie mehr missen, selbst wenn das Leben noch so entbährungsreich war.


    Ich kann dich verstehen! Du kennst es nicht anders, doch ich sehne mich jeden Tag danach.

    Ich lächelte wieder. Eigentlich war ich jetzt doch froh, dass er sich zu mir gesetzt und mich angesprochen hatte. Wieso hatte ich Youenn vorher nie wahrgenommen? Severus hatte immer wieder mit den anderen Sklaven gehadert. Diejenigen, die als Sklaven geboren wurden, nannte er immer verächtlich, die Gezüchteten. Wenn ich jemals Kinder haben würde, waren das dann auch Gezüchtete?
    Ob er jemals mit Youenn gesprochen hatte?


    Wie bist du in Britannien aufgewachsen? Ich meine, wie war dein Leben dort? Hast du dort mit deiner Mutter zusammengelebt?


    Er hatte mich jetzt neugierig gemacht. Wie war das, wenn man als Sklave aufwuchs? Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen! Ob er die Bräuche seines eigenen Volkes kannte? Oder hatte man ihm die Religion und Traditionen seiner Herren aufgezwungen?

  • Wie oft hatte er sich schon gefragt, wie es wäre, frei zu sein. Jedesmal war er zum gleichen Schluss gelangt: Furchtbar. So versuchte er ein Gesicht zu machen, als verstünde er, warum Bridhe die Freiheit vermisste, konnte es jedoch, aus rein logischen Gesichtspunkten, nicht nachvollziehen. Auf der Gefühlsebene pflegte er nicht zu denken.
    Dennoch blitzte ein kurzes Grinsen auf, als sie nach seiner Vergangenheit fragte.
    "Zu Beginn, als ich noch jünger war, habe ich mit meiner Mutter zusammen gelebt, ja.", begann er zu erzählen. "Es war eigentlich ganz schön, ich bekam Unterricht im Lesen, Rechnen, Geschichte... all solche Dinge eben. Nunja, ich hatte allerdings auch das Glück, nicht für ein Gladiatorenleben ausgewählt worden zu sein. Mein damaliger Herr hatte wohl einen Narren an mir gefressen."
    Schmunzelnd zuckte er mit den Schultern.
    "Frag mich nicht warum. Der hat mich jedenfalls zu jeder größeren Feier mitgeschleppt. Die Gäste durften Gedichte oder Geschichten aussuchen, ich las sie einmal und ratterte dann das ganze wieder herunter."
    Er tippte sich kurz an die Schläfe.
    "Liegt an meinem Gedächtnis. Einmal gehört oder gelesen, kann ich es nie mehr vergessen. Seltsame Sache. Kommt sicher von der griechischen Seite. Recht praktisch, meistens. Es hat mir zumindest ein recht angenehmes Leben beschert."
    Es folgte ein verlegenes Lächeln. Vielleicht hätte er das doch nicht erwähnen sollen, wie oft hatten andere Sklaven ihn deshalb schon gemieden. Und wie oft hatte er deswegen schon das Zeichen zur Abwehr des bösen Blicks gesehen. Aberglaube war ungünstigerweise recht verbreitet unter Sklaven.
    "Das ist allerdings kein Fluch... hoffe ich zumindest.", fügte er daher schnell hinzu. Besser gleich das Thema wechseln.
    "Aber meine Kindheit ist recht langweilig, verglichen mit deiner, denke ich. Ich könnte mir vorstellen, du hast viele spannende Dinge erlebt, bevor du Sklavin wurdest?!"

  • Ich hörte Youenn zu, als er damit begann, über seine Kindheit und Jugend zu sprechen. Es klang gar nicht so furchterregend, wie ich erst dachte. Offensichtlich hatte er eine ganz annehmbare Jugend gehabt. Seine Fähigkeit, eimal gehörtes rezitieren zu können,ließ mich erstauenen. Bislang hatte ich niemanden getroffen, der derlei Fähigkeiten besaß. Manchmal wünscht ich mir, ich könnte mir auch viel mehr behalten und nicht hin und wieder etwas vergessen.


    Warum sollte es auch ein Fluch sein? Ich finde, es ist eher ein Segen! Ich wollte, ich könnte das auch!


    Natürlich wollte er jetzt auch etwas über meine Kindheit erfahren. Im Gegensatz zu seiner, war sie nicht so langweilig, wie er selbst sagte. Nein, meine Kindheit war von ungezwungener Fröhlichkeit aber auch vom Verlust, geliebter Menschen geprägt. Jeden Tag auf´s Neue war es ein Überlebenskampf gewesen. Doch ein Umstand, den ich als normal empfand.


    Nun, ich war das zweitälteste von fünf Kindern. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Mein Vater ist Schmied. Aber es hat uns immer zum leben gereicht. Oft habe ich mit meinen Geschwistern und meinen Freunden draußen, am Fluß, am Meer oder in den Feldern gespielt. Das war immer sehr abenteuerlich und schön.
    Als ich acht war, ist meine ältere Schwester gestorben. Es war ein Unfall. Sie ist beim Spiel ertrunken.


    Einen Moment verfiel ich wieder der Erinnerung an diesen schlimmen Tag, der doch so fröhlich begonnen hatte. Es war der Tag, an dem ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Tod gemacht hatte.


    Somit war ich dann die Älteste. Als ich älter wurde, mußte ich meine Mutter natürlich helfen. Da hatte ich dann nicht mehr soviel Zeit zum spielen und toben. Doch wir haben viel gesungen und und Geschichten erzählt.
    Meine Mutter ist dann im Kindbett gestorben, als mein jüngster Bruder zur Welt kam. Da war ich dreizehn. Von da an, war ich sozusagen der Mutterersatz für meine jüngeren Geschwister. Da war meine Kindheit zu Ende.


    Das war meine Kindheit. Schön, aber kurz. Doch niemals würde ich sie missen wollen, auch die Zeit nach Mutters Tod nicht.

  • Ihre Reaktion erstaunte ihn. Ein Segen? Kaum.
    "Naja, vielleicht kein Fluch. Aber auch kein Segen. Stell dir vor, du kannst nichts vergessen. Selbst, wenn du es wolltest. Jede Kleinigkeit spukt in deinem Kopf herum. Es gibt ja nicht nur angenehme Erinnerungen."


    Den Erzählungen über ihre Kindheit lauschte er anschließend aufmerksam. Ihr Leben war gänzlich anders verlaufen als das seine. Frei geboren, aufgewachsen in einer großen Familie. Und dennoch schien ihm seine eigene Kindheit behüteter als die ihre. Sorgen hatte er als Kind nicht gekannt. Selbst jetzt waren sie ihm großteils fern.
    "Hm... siehst du, ich weiß nicht einmal ob ich Geschwister habe. Wenn ja, sind sie auf jeden Fall sechs Jahre jünger als ich.
    Es klingt auf jedenfalls nach einer recht schönen Zeit."

    Mit sechs hatte man seine Mutter 'verlegt'. In ein Stadthaus seines Herrn, soweit er gehört hatte. Vermutlich Londinium. Was mittlerweile aus ihr geworden war wusste er nicht. Allzu sehr kümmerte es ihn auch nicht, viel mit ihr zu tun hatte er in den ersten sechs Jahren seines Lebens ohnehin nicht.
    "Und... wie alt warst du, als... nunja, als du gefangen genommen wurdest?"

  • Nun, vielleicht hatte ich seine Fähigkeit nur von der praktischen Seite betrachtet. Seine Einwände hingegen, ließen mich auch die andere Seite der Medallie erkennen. Sicher, es gab immer Dinge und Situationen, derer man sich ganz und gar nicht gerne erinnerte. Das wußte ich nur zu gut.


    So habe ich es gar nicht gesehen. Ja sicher, wenn man sich dann immer auch an das Schlechte erinnern muß, ist das auf die Dauer sehr belastend.


    Ich beobachtete ihn, als ich meine Geschichte zu erzählen begann. Er verfolgte sie auch mit Interesse. Ob er sich vorstellen konnte, was es hieß, wenn jeder Tag nicht wie der andere war, wenn man tagtäglich auf sein eigenes Geschick vertrauen mußte? Doch als er mir erzählte, dass er nicht wußte, ob er Geschwister hatte oder nicht, war ich sehr erschüttert.


    Warst du denn nicht mit deiner Mutter zusammen? Hat sie dir nichts erzählt?, fragte ich bestürzt. So etwas konnte ich mir nicht vorstellen. Das wäre furchtbar für mich gewesen, nichts über die eigene Familie zu wissen.


    Seine Frage, wann man mich von meiner Heimat verschleppte, rüttelte mich wieder aus meinen Gedanken. Ich zögerte einen Augenblick mit der Antwort und besah erst meinen Schälchen, dessen unangerührter Inhalt mittlerweile kalt sein mußte.


    Ich war siebzehn, fast achtzehn schon! Es ist noch nicht allzu lange her.


    Meinen achtzehnten Geburtstag mußte ich gefesselt auf einem Schiff erleben. Wenn ich an meinen neunzehnten Geburtstag dachte, hatte ich keine große Hoffnung, das sich bis dahin etwas an meinem Schicksal ändern würde.

  • "Glücklicherweise", wandte er lächelnd ein, ""Halten sich die schlechten Erinnerungen bei mir in überschaubaren Grenzen."


    Auf ihre Frage hin zuckte er einmal mehr mit den Schultern.
    "Nur bis ich etwa sechs war. Alles was ich weiß ist, dass, falls ich Geschwister habe, ich der Älteste sein muss, denn meine Mutter war kaum 20, als wir getrennt wurden. Und mein Vater... naja, den habe ich nie zu Gesicht bekommen. Wer weiß, wie viele Kinder der noch gezeugt hat."
    Beziehungsweise zeugen 'musste'. Vielleicht war es gar nicht so dumm, sich seine Sklaven zu züchten. Wie konnte man schließlich besser kontrollieren, was man am Ende bekam?
    "Es ist schon ein seltsames Gefühl, allein aufgrund der Kombination zweier Menschen zu existieren, die sich, gäbe es die Römer nicht, wohl niemals getroffen hätten."


    "Siebzehn... hm.", brummte er schließlich. "Dann bist du jetzt Achtzehn? Neunzehn?"
    Viel älter konnte sie unmöglich sein. Allerdings konnte man das bei Frauen nie wissen. Die sahen nie so alt aus, wie sie waren. Aber sie hatte ja gesagt, es wäre noch nicht allzu lange her.
    Du sprichst auf jeden Fall schon sehr gut Latein... "

  • Das tut mir wirklich leid, sagte ich betroffen. Also mußte es doch schlimm sein, als Sklave geboren zu werden. Meine ersten Bedenken hatten mich also nicht irren lassen. Das wäre auch für mich ein Grund, auf Kinder zu verzichten, wenn ich ihnen damit diese Belastung mit auf den Weg geben müßte.


    Dann war deine Mutter erst vierzehn, als sie dich geboren hatte? Nun, das ist selbst für mich unvorstellbar.
    Ich war noch siebzehn als sie mich raubten, doch zwei Monate später wurde ich achtzehn.


    Wenigstens tat ich mich mit der Sprache nicht allzu schwer. Das war vielleicht meine Gabe, dass es mir doch leicht gefallen war, diese fremde Sprache zügig zu lernen. Das mußte ich auch, sonst hätte ich hier nicht überleben können.


    Es fällt mir recht leicht, Sprachen zu lernen und die Wörter zu verinnerlichen. Das war mein Glück. Ich hoffe nur, dass ich meine eigene Sprache niemals vergessen werde.


    Was war mit ihm? Sprach er die Sprache der Briten? Diese Sprache war zwar anders als meine, doch waren die beiden Sprachen miteinander verwandt.


    Dann ist dir sicher auch das Erbe deines Volkes völlig unbekannt! stellte ich nebenbei fest. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er dann jemals etwas von den vier großen Festen wußte, die unseren Jahrweslauf bestimmten. Ob er jemals etwas von seinen Göttern gehört hatte?

  • "Muss es nicht, es ist nicht weiter schlimm.", meinte er kopfschüttelnd.


    "Vierzehn, ja, so in etwa. Wie alt genau sie war wusste sie wohl selbst nicht. Naja... Zeit ist Geld."
    Ein schiefes Grinsen signalisierte, dass diese Aussage nur halbernst gemeint war.
    "Also bist du jetzt Achtzehn? Hast du dich denn wenigstens einigermaßen eingelebt? Dich damit abgefunden, dass du zumindest eine Weile als Sklavin wirst leben müssen?"
    Eines musste man den Römern lassen - es gab auch für Sklaven die Chance auf spätere Freiheit. Freilassungen waren auch bei Patriziern nichts ungewöhnliches... vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren...


    "Ach, ich glaube, eine Sprache verlernt man nie ganz. Wie Schwimmen. Vielleicht muss man sich erst eine Weile wieder einhören, wenn man sie lange nicht gesprochen hat, aber... wobei, da kann ich natürlich auch wieder nur für mich sprechen und ich bin wohl nicht gerade der Normalfall, was das Erinnern angeht."
    Das Erbe seines Volkes... nachdenklich legte er den Kopf schief.
    "Welches ist denn mein Volk? Britannier oder Griechen?", fragte er zunächst schmunzelnd. "Aber nein, wirklich kennen tue ich die britannischen Bräuche nicht. Nur aus Erzählungen der anderen Sklaven."

  • Ja, ich bin noch achzehn. Doch ich erwarte nicht mehr viel von meinem Leben. Ich muß es akzeptieren, so wie es ist. Ob ich will oder nicht.


    Ich antwortete ihm und meinte es auch so wie ich es sagte. Mein Leben lag in Scherben. Da konnte ich nicht mehr viel erhoffen. Das einzige, worauf ich hoffte, war, dass es nicht allzulange währen würde.
    Nachdem mich Straton darüber aufgeklärt hatte, dass es noch mindesten zwölf Jahre dauern würde, um an eine Freilassung überhaupt einen Gedanken zu verschwenden, dachte ich nicht mehr darüber nach. Es würde mich nur noch mehr schmerzen.


    Manchmal singe ich Lieder von zu Hause. Ich habe sie mit lateinischen Lettern aufgeschrieben. Damit ich mich an sie erinnern kann.


    Das war eine Möglichkeit, meine Erinnerungen für mich zu bewahren.
    Er hingegen hatte selbst das nicht. Nichts, hatte er, außer das Leben als Sklave, was er von seinen Erzeugern auf den Weg mitbekommen hatte. Das machte mich etwas traurig. Doch ich hatte da so eine Idee.


    In wenigen Wochen ist Imbolc. Ich hatte eigentlich vor, es in aller Stille zu feiern. Ich würde mich freuen, wenn du mit mir feiern würdest. Vorausgesetzt du möchtest.

  • Ein wenig erstaunt über ihre Aussage, runzelte Pallas die Stirn. 18 und schon mit dem Leben abgeschlossen? Was, bei allen Göttern, hatte sie nur erlebt?
    "Sag das nicht. Du bist noch jung, dein ganzes Leben liegt doch erst noch vor dir."


    Imbolc... ja, das kannte er. Er erinnerte sich, wie eine riesige (sowohl in der Höhe als auch in der Breite) Küchensklavin den Kindern im Haushalt mit glänzenden Augen davon berichtet hatte.
    "Ich würde sehr gerne Imbolc mit dir feiern.", erwiderte er daher. "Wenn ich auch nicht wirklich weiß, wie das vonstatten geht."

  • Verbittert über seine Worte, schaute ich ihn an. Genau das war es doch! Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir. Ein Leben ohne Heimat und Freiheit.


    Gerade das ist es doch, wovor ich Angst habe! Weil das ganze Leben noch vor mir liegt!
    Angenommen, ich hätte einmal Kinder. Ständig müßte ich in der Angst leben, dass man mir sie wegnehmen könnte. Sie wären dann auch Sklaven! Das wünsche ich meinen Kindern nicht! Niemals! Wofür hat also mein Leben noch einen Sinn?


    Was sollte das Leben für einen Sinn machen, wenn man sich nicht mit ruhigem Gewissen für Kinder entscheiden konnte? In meinen Augen machte es gar keinen Sinn!
    Traurig sah ich einen Moment in die Leere. Sicher konnte Youenn meine Argumentation nicht verstehen, war er doch schließlich selbst ein Produkt dieses Dilemmas.


    Doch was mich wieder aus meiner Tübseligkeit zurückholte, waren seine glänzenden Augen, als ich ihn zum Imbolc Fest einlud.


    Imbolc ist für mich persönlich ein wichtiges Fest. Es wird zu Ehren meiner Göttin gefeiert, Brigid. Mein Name im Übrigen, ist eine Ableitung davon. Brigid bringt das Licht und das ewige Feuer in die Dunkelheit. Sie läßt wieder alles erblühen und wachsen.
    Imbolc ist eigentlich ein familiäres Fest, das ohne großen Lärm auskommt.
    Ich würde mich freuen, wenn du dabei sein könntest. Allerdings weiß ich noch nicht, wo wir das feiern könnten. Außerdem weiß ich nicht, ob so ein Fest hier geduldet wird. Was meinst du?

    Meine Augen mußten mindestens genauso geglänzt haben, wie seine. Bevor der Winter immer zu Ende ging, war Imbolc für mich immer ein wichtiges Ereignis gewesen.

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