Peristyl | Nächtliche Sehnsucht - Hemmungslos

  • Leise knisternd tauchten die flackernden Flammen in den aufgestellten Feuerkörben das Peristyl in ein tanzendes, orangefarbenes Licht, welches zart über eine kleine Klinengruppe strich, ihr die harten Konturen nahm und weiche Schatten auf den Boden warf. Der mauvefarbene Himmel über der Villa Flavia war durchzogen von gräulich schimmernden Wolkenschlieren, welche der sanfte Abendwind allmählich zerfranste. Bereits auf dem Weg in das Peristyl hin waren Aquilius und Gracchus dessen Sklaven Sciurus über den Weg gelaufen, welcher sich anschickte, die Abendruhe seines Herrn vorzubereiten, doch kurzerhand nun wurde geschickt, den besten Wein aus den Vorräten im Keller der Villa Flavia hinauf zu holen und im Peristyl zu kredenzen. Noch hatte die Ausgelassenheit Gracchus nicht in solchem Maße eingeholt, dass er es würde wagen, neben seinem Vetter auf der Kline Platz zu nehmen, so dass sie sich auf zwei nebeneinander stehende Bänke nieder ließen, um eine Kaskade an freudigen Ereignissen zu Fetieren.

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  • Gemächlich und zufrieden ließ ich mich auf der einen Kline nieder, während Gracchus die gegenüberstehende nahm - vielleicht war es auch besser so, denn seine körperliche Nähe hätte gerade an diesem Tag meine Gedanken und Wünsche in Richtungen ausgeschickt, die ich seit unserer letzten gemeinsamen, schmerzlichen Begegnung zu vermeiden versuchte. Was nutzte es schon, ewig etwas nachzutrauern, das niemals sein würde? Es war ein dumpfer Schmerz, der nie endete, wenn ich an ihn dachte, aber er schnitt mir nicht mehr so sehr das Herz in Streifen wie früher. Ein wenig hatte ich mich damit abzufinden gelernt, lernen müssen, um nicht daran zugrunde zu gehen, was er Iuppiter gelobt hatte - und was ich einst ebenso geschworen hatte.
    "Du wirst es nicht glauben, Manius, aber ich denke, was Aristides angeht, habe ich ein Omen gesehen," hob ich an, meine Erzählung zum Besten zu geben, die sich mit dem aktuellen Thema befasste.


    "Als ich für sein Wohl im templum des Mars opferte und bat, mir ein Zeichen zu schicken, ob er wahrhaftig tot sei oder noch lebe, hörte ich Kinder vor dem Tempel spielen. Sie spielten 'Römer gegen Parther' und hatten sogar eine kleine Maskierung - und sie trennten sich mit den Worten 'Wir sehen uns morgen'. Keiner der ihren war zurück geblieben, sie gingen einhellig vom Platz ... und seitdem war ich mir sicher, er würde noch leben, um am nächsten Tag wieder gegen die Parther ins Feld zu ziehen. Mars scheint wahrhaftig mit unserem Vetter zu sein, denke ich, und seine Gnade, mir dies als Zeichen zu senden, verbindet sich auf das vortrefflichste mit dem Brief. Sag, was hat Aristides alles geschrieben? Wie ergeht es ihm dort?" Am liebsten hätte ich den Brief selbst gelesen - ich würde Aristides schreiben müssen, diese Pflicht hatte ich wirklich zu lange vernachlässigt - um alle Neuigkeiten aus erster Hand zu erfahren, doch gleichzeitig war mir auch bewusst, dass es ein privater Brief war und eine Frage danach unhöflich.

  • Nicht weit war die Distanz, durch welche sie getrennt waren, doch gleichsam schien Gracchus der Spalt zwischen den Klinen wie eine unendlich tiefe Schlucht, eine deletäre Kluft, welche durch nichts zu überbrücken war, doch selbst dies konnte seine Euphorie nicht trüben, denn Caius war nah, sein Anblick bot sich präsentabel und mehr als der Anblick war ohnehin nicht geblieben, seitdem sie hatten feststellen müssen, dass selbst die physische Vertrautheit sich verbot, wenn nicht im Unheil ihr Ende sie wollten finden. Erstaunt lauschte er den veritablen Worten seines Vetters bezüglich des Omen und nickte hernach mit süffisantem Lächeln.
    "Die Welt ist eine beständig, temporär indifferente Wiederholung der sie durchdringenden Prinzipien und offenbart uns tagtäglich wie es war, was ist und wie es sein wird. Einzig wir verstehen selten, was uns so deutlich vor Augen scheint. Es ist gut, Mamarce unserem Vetter nahe zu wissen, und auch Duellona glaube ich fest an seiner Seite, denn wie könnte sie sich seinem Mut und seinem Streben verwehren, der er doch aus tiefster Überzeugung allem zum Trotz seiner Hundertschaft voran schreitet? Manches mal glaube ich, Marcus ist sich nicht einmal dessen bewusst, welche Fäden um ihn herum sein Leben spinnen, unbeeindruckt prescht er voran, kappt dabei Leinen und durchtrennt das Garn ohne dies überhaupt zu bemerken, doch anderentags wiederum zweifle ich daran, denn dann scheint er mir mit einem Male so berechnend, als wäre alle offenherzige Direktheit nur Spiel, als wäre jeder Schritt, jeder Schnitt penibel bemessen."
    In längst vergangenen Tagen hatte es eine Zeit gegeben, da Aristides Gracchus' Vorbild gewesen war, ein älterer Vetter, an welchem es sich zu orientieren galt, während er selbst noch mit Caius gemeinsam versucht hatte herauszufinden, wer, was und wie sie waren. Obgleich Aristides vordergründig noch nie dem Bilde eines tadellos vorbildlichen Patriziers hatte entsprochen, so war es doch die Leichtigkeit, mit welcher er das Leben nahm, seinem Stande gerecht wurde und sich dabei dennoch nicht selbst verlor, welche Gracchus seit jeher hatte beeindruckt, welcher er jedoch im Gegensatz zu Aquilius niemals selbst hatte habhaft werden können.
    "Natürlich ist der Krieg hart, Marcus selbst ist ein wenig angeschlagen, doch es geht ihm gut. Über den genauen Fortlauf konnte er wenig berichten, dürfen doch keine Details die Legionslager verlassen. Vorwiegend war es ihm Bedürfnis, uns mitzuteilen, dass er entgegen der offiziellen Meldung sich wohl befindet, und sich nach dem Befinden der Familie zu erkundigen."
    Es drang Gracchus in die Sinne, dass er selbst die Antwort darauf noch schuldig war, denn bisweilen hatte er die unliebsamen Zeilen aufgeschoben, da noch immer er nicht wusste, was in Hinsicht auf Arrecina er deren Vater berichten solle. Agrippina hatte angewiesen, dass nichts diesbezüglich Aristides zu melden sei, doch er konnte kaum diesem die Antworten auf seine Fragen verweigern, so er ohnehin schon um das desolate Ereignis aus anderer Quelle wusste.
    "Wie ist die Arbeit dir im Tempel? Dieser Tage ist sicherlich vor allem das Haus des Mars gut besucht. Hast du noch immer Discipuli zu unterrichten?"
    Indes traf der Wein ein, nicht Sciurus selbst schenkte ihn ein natürlich, doch er schritt dem Sklaven voran, welcher Gläser und Kanne trug und gesellte sich hernach zu den Schatten der Säulen.

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  • "Aristides lebt, er ist gesund - und die Götter sind bei ihm, beschützen ihn beständig, was will man sich mehr wünschen? Letztlich ist er nicht derjenige von uns, der zuviel nachdenken würde, und ich glaube auch, einem Soldaten, der erfolgreich sein will, steht während der Schlacht das zuviele nachsinnen über Möglichkeiten nicht an, will er dadurch nicht zu sehr behindert und aufgehalten werden. Dass ein Feldherr taktieren muss, ist selbstverständlich, aber der Feldherr steht auch höchst selten inmitten der Feinde und muss um sein Leben kämpfen," ergänzte ich Manius' Einschätzung unseres ungestümen, aber sympathischen Vetters, und ich konnte eine gewisse Sehnsucht nicht verhehlen, wieder mal ein paar Becher Wein zuviel mit Aristides zu leeren und danach um die insulae zu ziehen. Mit keinem meiner Verwandten konnte man so gut feiern und Spaß haben wie mit Aristides, ohne das Gefühl haben zu müssen, er verliere an Bodenhaftung. Wahrscheinlich war er in seiner Art der beständigste aller Flavier des Augenblicks. Ich entsann mich noch zu gut der heiteren Stunden, in denen wir gemeinsam Sklavinnen ausgewählt hatten und uns schließlich für Nefertiri entschieden, nachdem wir beide ihrer Künste gefröhnt hatten .. es war viel zu lange vorüber.


    "Wie auch immer die acta zu dieser Meldung kam, bin ich doch mehr als erfreut zu hören, dass sie nicht der Wahrheit entspricht ... noch ein Flavier verloren, noch ein Leichenbegängnis, ich hätte es nicht ertragen. Unsere Familie hat zu vieles verloren in den letzten Monaten," fügte ich an und nahm einen Schluck des Weins aus meinem Becher, den mir der Sklave gereicht hatte - nachdem ich auch für Mars ein Trankopfer auf den Boden geschüttet hatte.
    "Es geht, Manius ... viel zu tun, wie immer im Krieg, und ich muss gestehen, ich zweifle immer mehr daran, dass dies wirklich der Sinn meines Lebens sein soll. Sicherlich, der Dienst an Mars ist an sich erfüllend und auch zweckvoll, aber ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, mehr als das zu wollen. Mehr als das erreichen zu wollen, und mehr zu sein als ein einfacher sacerdos, der Opfer leitet, begleitet und discipuli unterrichtet." Damit wandte ich ihm meinen Kopf zu und blickte ihm so direkt wie möglich in die Augen: "Ich möchte in die Politik gehen, Manius, und es gibt niemanden sonst außer Dir, den ich darum bitten würde, mich bei der nächsten Wahl im Senat einzuführen. Würdest Du mir diesen Gefallen tun?"

  • Auch Gracchus hob das Glas und gab ein wenig vom kostbaren Inhalt für die Götter hin, mehr jedoch in allumfassender Weise, war nicht einzigst Mars für das Wohl eines Soldaten zuständig, wenn auch primär, gleichsam war es eine Opfer die Zukunft betreffend, das Wohl der Familie, die Bitte Unheil von ihr abzuwenden, wie es so oft Ansinnen seiner Gaben war, wiewohl notwendig. Er lauschte den Zweifeln seines Vetters, viel zu bekannt schienen diese ihm selbst, und obgleich Aquilius nicht in dem Übermaß an sich selbst und seinem Leben haderte wie er dies selbst so oft wieder und wieder tat, so wusste Gracchus, dass auch sein geliebter Freund in sich mehr barg als das unprätentiöse Leben, welchem er sich gerne hin gab. Das Lächeln, welches sich um Gracchus' Lippen legte, war stille Freude über Aquilius' Erkenntnis, die sich nahtlos in sein eigenes Entzücken hin einfügte, denn was könnte mehr zur Freude ihm gereichen denn das wohlergehende Fortschreiten seines Geliebten?
    "So fügt sich denn eines zum anderen, mein Freund. Du hast lange genug versucht, dieses Leben von dir fern zu halten, doch letztlich bist auch du mehr Flavius als du je zugeben willst. Du magst dich hinter der Lethargie deiner Familie verstecken, deine römische Verwandtschaft akzeptiert dies mehr als nur bereitwillig - ist es doch das, was sie möchte sehen - und ich werde der letzte sein, welcher dich in dein Schicksal treibt, denn du weißt, zu solcherlei tauge ich nicht. Doch vor dir selbst und deinem Erbe kannst du dich nicht verstecken, Caius."
    Ein nun beinah strahlendes Lächeln zog Gracchus' Lippen auseinander, bis dass sie sich schließlich mussten öffnen und selbst seine Zahnreihe im Lachen sich entblößte.
    "Ich liebe dich, Caius."
    Mit einem langen Schluck spülte er die Worte aus seiner Kehle, zurück in sich hinein, auf dass sie niemals würden in ihm fehlen. Auch hernach wich nicht die Freude aus seinen Zügen, die Euphorie aus seinen Augen, die Entzückung, die in Anwesenheit seines Freundes mehr geduldet war als sonst.
    "Du hast es also bereits erfahren? Oh, ich sage dir, Caius, es ist ein trister Verein. Kein einziges Wort habe ich bisherig gesprochen, in der letzten Reihe habe ich meinen Platz gefunden und versuche zu verstehen, wie diese Politik sich voran treibt, erstaunt und verwundert zugleich, wie dies tagtäglich funktionieren soll und kann, auf den Moment lauernd, in welchem ich selbst einen sinntragenden Satz werde beisteuern können, dauert es mich doch, so viele leere Worte in der Pracht des Saales verschwendet zu sehen. Vielleicht wird es somit indes dein Name sein, welchen zu allererst ich werde in die Curia entlassen, was könnte schöner, was könnte prächtiger, was sinntragender sein, was könnte ich lieber tun wollen? Oh, Caius, bitte mich nicht um einen Gefallen, da du weißt, ich würde dich auf Händen hinein in die Curie tragen. Dein Wort und ich werde dich tragen, soweit mein Atem anhält. Auf dich, mein Freund, auf deine Zukunft!"
    Er erhob erneut den Becher und prostete Aquilius in heiterem Frohsinn zu.

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  • Er lächelte viel zu selten, und ein warmes, ehrliches Lächeln nun auf den Lippen meines lebenslangen Freundes zu sehen, auf den Lippen des Mannes, den ich mehr als jeden anderen Menschen in meinem Herzen trug, ließ es auch mir alles leichter erscheinen, angenehmer wirken, als es vielleicht war. Gerade vor einiger Zeit hatte ich mit Severus über die Liebe gesprochen, und doch war ich selbst nicht frei davon, von Venus' stetigem Zugriff auf meine Entscheidungen und Wünsche, auf mein aussichtsloses Begehren und alles, was einen Menschen für wenige Stunden vollkommen machen mochte. Ihn lächeln zu sehen war mehr, als ich mir in stillen Stunden wünschen konnte, mehr, als ich mir ausgemalt hatte, und seine Worte ließen mich für wenige Momente lang eine tiefempfundene, stille Freude fühlen, die ich in wenigen Augenblicken überhaupt zu finden imstande war.
    "Vielleicht habe ich zu lange gegen die Pläne meines Vaters rebelliert, Manius, ich weiss es nicht. Mit dem Hintergedanken aufgezogen zu werden, die angeschlagene Ehre der Familie aus dem Dreck zu ziehen, ist nicht unbedingt etwas, das ich meinen Kindern mitgeben wollte oder würde."


    Ich blickte ihn lange an, ohne etwas erwiedern zu können, diese drei Worte gehört zu haben, nach denen sich jede Faser meines Innersten zutiefst sehnten, war ungleich mehr, als ich nach unserem letzten gemeinsamen Sein, abgeschieden von anderen, noch erwartet hätte. Noch immer, es hatte sich nichts geändert zwischen uns, keine Ehe, keine Geliebte, nichts hatte es wandeln können. Und ich glaubte auch nicht, dass es sich jemals wandeln würde.
    "Ich liebe Dich gleichermaßen, Manius," bekräftigte ich seine Worte, und gestattete mir einige Momente, in denen er meinem Gesicht nicht nur die Freude über seine Zustimmung würde ablesen können. Wenig spiegelte mein Gesicht sonst wider, was ich dachte, aber in diesem Augenblick hätte wohl jeder meine Gefühle lesen können wie in einem offenen Stück Schriftrolle. Nein, es hatte sich nichts geändert, und mehr musste ich dazu wohl auch nicht sagen, mehr konnte ich nicht sagen, ohne ihn nicht sofort in meine Arme ziehen zu wollen, um ihm so nah wie möglich zu sein.


    "Lass uns lieber Seite an Seite schreiten, Manius, denn das und nichts anderes wünsche ich mir zu tun - an Deiner Seite zu stehen, gemeinsam an dem Prozess beteiligt zu sein, der das imperium lenkt, der dieses Volk so groß gemacht hat. Und eines Tages auch an Deiner Seite in der curia zu sitzen, und wenn es dann immernoch so vor sich geht, langweilen wir uns zumindest nicht allzu sehr alleine, sondern gemeinsam." Der Gedanke, dann den fettesten Senator zu küren oder ähnliche lästerliche Spielchen auszuhecken, damit man nicht vor Müdigkeit von den hintersten Rängen kippen musste, hatte etwas sehr verführerisches an sich, ließ meine Augen schalkhaft aufblitzen. Ich war mir sicher, dass er verstand, was ich meinte. "Auf unsere Zukunft, Manius, auf unsere Zukunft!" erwiederte ich seine Worte und hob ebenso meinen Becher, das Prosten erwiedernd, um dann einen großen Schluck zu nehmen.

  • Verstehend nickte Gracchus, auch er suchte nichts mehr zu meiden denn die Diskrepanz zwischen pflichtgetränkten Worten, unerreichbaren, pathetischen Erwartungen und dem eigenen, minder tugendhaften Abbild, denn wenig war mehr ihm zuwider denn Heuchelei, war doch auch jene nur eine Abart der abominablen Unwahrheit, welche er so sehr despektierte. Zum Vorteile seiner Umwelt jedoch, betrachtete Gracchus diese aus anderen Augen, denn aus jenen mit denen er auf sich selbst hinab blickte, würde doch kaum je sonstig ein Mensch vor seinen Ansprüchen bestehen können, und so er an sich selbst konnte ob seiner Unzulänglichkeiten permanent desperieren, so gab es doch kompensierend um ihn herum immer jene, welche beständig durch ihre Existenz das Gefüge des Equilibrium rekonstruierten, allen voran Aquilius - kaum einer würde sich mehr über all jenes hinweg setzen können, was Gracchus als sakrosankt erachtete, und dennoch nur seine Exkulpation oder gar Affirmation ernten. Gerade hinsichtlich dieser speziellen Chose wusste Gracchus nur allzu genau um seine Insuffizienz, und obgleich er dieser womöglich ohnehin gar wäre haltlos ausgeliefert, so war es doch das Wissen darum, welches ihm die Entscheidung, ihr zu verfallen, erst möglich, und sie so mehr als tolerierbar machte. Er delektierte diese Schwäche, tauchte in sie hinein, badete darin, verzehrte sie mit allen Fasern seines Lebens, so wie sich danach sehnte, dies mit seinem Vetter tun zu können. Bereits dessen Anblick ließ Gracchus in Verzückung schwelgen, so denn er sich die Pläsier dessen, die intensive Betrachtung gestattete, denn schmerzhaft war es jeden digitus auf Caius' Körper berühren, jede Faser riechen und jede Pore schmecken zu wollen.
    "Seite an Seite, Caius. Auf unsere Zukunft."
    Kühl und unverdünnt rann der herbe Wein Gracchus' Kehle hinab - Sciurus wusste um seine Aversion gegen süßlichen Speisen und Getränke, so dass er hinsichtlich des kredenzten Weines darauf Acht hatte - und wohlig agreabel breitete sich die klandestine Hitze von seinem Magen ausgehend über den gesamten Körper hin aus, gleichsam mit ihm die schweifenden Gedanken in eine Zukunft an Aquilius' Seite in der Curie. Wo Gracchus seinen Vetter und sich selbst anfänglich das weiche Wachs aus den Schreibtafeln kratzen, kleine Kügelchen daraus formen und nach vorne auf die zielscheibenförmigen, haarumkränzten, kahlen Hinterköpfe altehrwürdiger Senatoren werfen sah - ein Treffer auf die Platte zählte fünf, verfing sich die Kugel dagegen im Haarkranz, zählte dies nur einen einzelnen Punkt - schob er diesen Gedanken hastig mit einem panurgischen Lächeln bei Seite und sah alsbald das weiche Wachs in ihren Händen zu eindeutigen Formen sich gestaltend, was nicht weniger unangemessen für die Ernsthaftigkeit der curia würde sein. Er bedurfte pressant anderer, weniger verfänglicher Gedanken.
    "Du wirst einen Patron brauchen."
    Eine kurze Pause entstand, in welcher Gracchus mit sich haderte, ob der Empfehlung wegen, welche er angedachte, auszusprechen. Letztlich jedoch ging es um das Vorankommen der Familie, selbst wenn der ein oder andere dabei auf der Strecke blieb, es ging um Zukunft, welcher die dahinziehende Vergangenheit nicht durfte im Wege stehen.
    "Jedoch nicht Felix. Er ... ist nur mehr unzulänglich in der Lage, seinen Patronats-Pflichten nachzukommen, was die gegenwärtige Politik betrifft. Er ist zu fern dieser Politik."

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  • An manchen Abenden dachte ich darüber nach, wie unsere Zukunft bestellt gewesen wäre, wäre er als Frau auf die Welt gekommen - oder wäre ich weiblichen Geschlechts. Hätten wir uns desgleichen dann geliebt? Hätten wir uns in einen ebensolchen Strudel des Verlangens hinabstürzen lassen, ohne Hoffnung auf Erfüllung? Es wäre eine skandalbehaftete Verbindung gewesen, auch wenn wir weit genug voneinander entfernt verwandt waren, es hätte stets Geschwätz und Gerede gegeben. Aber solche Gedanken waren müßig, ich hätte ihn, meinen Manius, nicht als Frau vorstellen können, und noch weniger mich selbst mit diesen Attributen ausgestattet, die eine Frau erst begehrenswert machten.
    Anders als so, wie er war, wollte ich ihn mir nicht wünschen. Manchmal so unendlich fern, als trennten uns nicht nur unsere gegenseitigen Gelöbnisse, sondern auch Welten, undurchdringlich durch zu lange und zu schreckliche Wege, und in manchen Augenblicken näher, als ich ihn jemals auf körperliche Weise hätte zu mir bringen können. Seine Augen sagten mir auch ohne Worte, dass er meine Freude teilte, und vielleicht stellte er sich ebenso wie ich vor, wie es wäre, morgens gemeinsam in die curia zu gehen.


    "Ich weiss," antwortete ich auf seine Bemerkung, den Patron betreffend, und seufzte dann etwas. "Felix würde ich nicht fragen, nicht zuletzt, weil er bereits Furianus so hoch gehoben hat. Der Gedanke, man könnte mein Fortkommen Felix zuschreiben und dessen Einfluss, nicht aber meinen eigenen Verdiensten, hat wenig anziehendes für mich, Manius. Nicht zuletzt, weil ich vorhabe, den schlechten Ruf der hispanischen Flavier durch meinen Werdegang zu tilgen. Es sind außer mir keine mehr übrig, und ich habe nicht weiter vor, mit diesem Makel, den ich selbst nicht der Familie auferlegte, zu leben. Mein Kandidat für das Patronat ist ein gänzlich anderer Mann - Spurius Purgitius Macer. Senator Vinicius Hungaricus wäre auch noch in Frage gekommen, aber nachdem ich seinen Ruf kenne und er, was Frauen angeht, kein Kostverächter zu sein scheint, will ich vermeiden, mit meinem Patron ins Gehege zu kommen. Was mir über Macers Arbeit im Senat berichtet wurde, war durchweg positiv, er stellt die richtigen Fragen, ist kein Schwätzer, und ich sehe ihn mit angemessener Regelmäßigkeit bei Marsfestivitäten ... was mir fast noch wichtiger ist, er ist jemand, der sich eigentlich zurücklehnen und sich auf seinen Verdiensten ausruhen könnte, aber er tut es nicht und setzt sich weiter ein. Kurzum, durchaus ein Mann, der Bewunderung für seine Arbeit verdient."
    Ich machte eine kurze Pause, um meinen anerkennenden Worten für einen anderen Mann ein Lächeln folgen zu lassen, das Manius deutlich machen mochte, dass meine tiefste, innere Schwärmerei aber stets nur einem gelten würde. "Hast Du schon darüber nachgedacht, Dir einen Patron zu suchen?"

  • Es war das erste, leise Seufzen, welches an diesem Abend Gracchus' Kehle echappierte, doch es tat dies. Er wusste darum, glaubte darum zu wissen, dass sein eigener Verdienst längst nicht dazu hatte gereicht, ihn dorthin zu heben, wo augenblicklich er sich befand, dass die Ernennung zum Senator Roms kaum aleatorisch so kurz nach Felix' Abreise und dessen Ausscheiden aus dem Senat war verkündet worden. Eine Lücke war entstanden und er war nur der Pfropfen, welcher sie sollte schließen, eine Gefälligkeit, welche der Imperator einem scheidenden Mitglied seines Beraterstabes hatte gewährt.
    "Niemand ist makelloser denn du."
    Erneut fand das sanfte, milde Lächeln zurück auf Gracchus' Lippen als er seinen Vetter mit zärtlichen Blicken bedachte. Mochten sie beide wissen, dass dies nicht der tatsächlichen Wahrheit entsprach, es war Gracchus' eigene Wahrheit, seine inwendige Überzeugung, denn dies war es, was sein Caius war - makellos, indes sein einzig möglicher Makel war er selbst. Nichts konnte die Ernsthaftigkeit ihrem Gespräch rauben, Politik, Familie und Zukunft wurden geplant mit höchster Konzentration, doch gleichsam konnte nichts die zarten Bande zwischen ihnen zertrennen, welche darum bei jedem Wort, jeder Geste und jedem Blicke subliminal zwischen ihnen oszillierten. Leicht legte den Kopf er schief, nickte jedoch schlussendlich antizipierend.
    "Eine durchaus favorable Relation, Purgitius Macer scheint auch mir ein überaus integerer Mann zu sein. Eine gute Wahl."
    Ein verschmitzter Zug touchierte Gracchus' Antlitz.
    "Du wirst Serenus mit zur Salutatio nehmen und ihn Senator Purgitius vorstellen müssen. Der Senator ist Princeps der roten Factio und unser Neffe ein glühender Verehrer der Wagenlenker selbiger."
    Schlussendlich hob Gracchus jene Hand, mit welcher er nicht sich auf der Kline abstützte, zur Unterlippe und knetete diese ein wenig, hielt darin auch nicht inne als er fortfuhr zu Sprechen, eine überaus schlechte Angewohnheit, welche irgendwann einmal zwischen Reflektion und Kontemplation hatte in seinen Habitus sich eingeschlichen und welche nie wieder war daraus gewichen.
    "Ich konnte noch nicht mich dazu durchringen, Felix einen Brief zu senden. Doch ich habe bereits darüber nachgedacht und meine Entscheidung steht fest, obgleich ich sie ob fehlender Dringlichkeit noch ein wenig werde retardieren. Auch ich beendete meine Überlegungen letztlich bei Vinicius Hungaricus. Ein äußerst honorabler Mann, immens potent ..."
    Sich der Ambiguität seiner eigenen Wortwahl bewusst werdend, hielt Gracchus inne, ließ schmunzelnd die Hand endlich wieder sinken.
    "In Hinsicht auf seine imperialen Machtbefugnisse, nicht auf ... nun, darüber kann ich kein Urteil mir erlauben, obgleich, so er tatsächlich ein solcher Connaisseur ist, wie man sagt, so hat er entweder ein festes Abkommen mit Iuno oder aber versteht es auf äußerst dezente Art, sich seiner Bastarde zu entledigen. Doch, wie dem auch sei, er ist zudem verheiratet mit einer Tiberia, so dass allzu gravierende Einschnitte an den letzten verbliebenen Vorzügen des patrizischen Standes er ob dessen vermutlich nicht wird mittragen, was nicht minder bedeutsam ist. Nun, und du musst zugeben, für sein Alter ist er tatsächlich äußerst ansehnlich, nicht wahr? Durchaus ein Anblick zum Goutieren."

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  • "Ach Manius," seufzte ich leise. Solche Dinge aus seinem Mund zu hören, ließ mich immer wieder glauben, er spreche von einem anderen Mann, jemandem, der vielleicht wie ich aussah, aber um so vieles besser war, als ich es jemals sein würde. Manchmal schien mir seine Sicht auf mich reichlich umwölkt, aber letztendlich ging es mir mit ihm wohl nicht viel anders. Wir sahen beide zu leicht nur das Gute des anderen, und verleugneten die wohl eher unangenehmen Details unserer Charaktere - und die gab es, denn das flavische Blut ließ niemanden davon unberührt.
    "Nun, wenn Serenus das möchte, werde ich das natürlich tun, ich denke, es tut dem Jungen auch einmal gut, wenn er ein bisschen was anderes sieht als nur patrizische Villen und patrizische Umgebung. Er hat zu lange in einem goldenen Käfig gelebt, es wird Zeit, dass er erfährt, dass die Welt keineswegs sein Untertan ist, ohne dass er sich dafür wird anstrengen müssen." Aristides' Entscheidung, seinen Sohn bei dessen Großmutter aufwachsen zu lassen, empfand ich immernoch als den falschen Weg, aber zu ändern war es auch nicht mehr.


    Die Lobeshymne auf Vinicius Hungaricus ließ mich, in Verbindung mit der allbekannten Geste meines Vetters ein wenig schmunzeln. Was auch immer er sich für Gedanken machte, die seinen zukünftigen Patron betrafen, ich zweifelte nicht daran, dass auch einige darunter waren, die er Hungaricus niemals gegenüber aussprechen würde, weil sie zu einem handfesten Skandal auswachsen konnten. Ja, ein gutaussehender Mann war Hungaricus durchaus, aber ... er war nicht ganz der, den ich in meine geheimen Sehnsüchte aufgenommen hätte. Vielleicht, weil seine Vorlieben den meinen in gewissen Punkten zu ähnlich waren. Beute, die sich von einem selbst unterschied, war so viel amüsanter zu jagen.
    "Solange er seine toga anlässt, stimme ich Dir zu, über alles andere will ich mir einstweilen keine Gedanken machen, sonst könnte ich ihm keinesfalls mehr in irgendeiner Form ernst gegenüber treten. Was die Ehe und das nebeneheliche Vergnügen angeht - ich kann mir kaum vorstellen, dass sich ein Mensch durch eine Hochzeit grundlegend ändert, in sofern dürfte er sich sicherlich den ein oder anderen Leckerbissen abseits der stets gedeckten ehelichen Tafel genehmigen. Solange seine Gattin ihn nicht kauen sieht ..."


    Ich hob schmunzelnd die Schultern und überlegte kurz, ob mir diese Form des Versteckspiels auch bevorstehen würde. Wahrscheinlich schon. Wer konnte schon von einer Frau, die wegen politischer Überlegungen geheiratet wurde, erwarten, dass eine brennende Liebe entstünde? Und mein Herz war vergeben, schon seit vielen Jahren. "Manius ... ich muss Dich um etwas bitten. Wenn wir schon beim Thema Bastarde sind ... sollte mir irgend etwas zustoßen, bitte sorge für meinen Sohn. Ich werde ihm etwas hinterlassen, aber ... es ist besser, wenn ein kluges Auge sicher über sein Fortkommen wacht. Er soll es gut haben im Leben." Noch immer hatte ich nicht ganz realisiert, dass ich Vater war. Der Gedanke fühlte sich auch immernoch sehr fremdartig an. Aber es war eine unbestreitbare Tatsache, ich hatte einen Sohn, einen gesunden, kleinen Erdenbürger, der mein blondes Haar ebenso hatte wie die grünen Augen seiner Mutter.

  • Für einen Moment lang zog Gracchus die Lippen zwischen seine Zähne, kaute auf der unteren - Surrogat, da seine Hände sich endgültig um das Glas hatten wieder gelegt - sah vor seinem inneren Auge eine Szenerie, welche dazu führte, dass das Schmunzeln immer weitere Teile seines Antlitzes eroberte.
    "Du hast wohl recht, auch ich könnte Vinicius nicht ohne seine toga gegenüber treten, wobei ich weniger um meine Ernsthaftigkeit würde fürchten denn um meine Contenance."
    Das schelmische Blitzen verflog schlussendlich, ein wenig Trübsal legte sich über Gracchus' Stimme.
    "Und auch deinen weiteren Überlegungen kann ich nur Affirmation entgegen bringen. Ein Mensch ändert sich nicht durch eine Hochzeit, weder grundlegend, noch, so möchte ich behaupten, in geringem Maße. Eine Ehe ... verkompliziert das Leben nur unnötigerweise."
    Erneut zog die Ernsthaftigkeit durch den Raum, gleich des warmen Hauches der Flammen in den Feuerschalen, welche ab und an durch den zarten Windhauch des herbstlichen Abend wurden durch das Peristyl geweht. Obgleich Gracchus die Entscheidung seines Vetters, seinen Bastard als Sohn zu akzeptieren, nicht konnte goutieren, so respektiere er sie und würde darob den jungen Mann in Zukunft niemals in Frage stellen. Zudem war es ein Abkömmling seines Geliebten und er würde im schlimmsten aller möglichen Fälle Sorge für das Kind tragen wie für seinen eigenen, noch nicht vorhandenen, Sohn. Bedächtig ließ Gracchus einen weiteren Schluck des Weines seine Kehle hinab rinnen, ehe er in nachdenklicher Manier zu einer Antwort ansetzte.
    "Ich werde Sorge für ihn tragen als wäre er mein eigen Fleisch und Blut, dessen sei assekuriert. Hast du dir bereits Gedanken über seine Erziehung gemacht? Wann wirst du ihn fort schicken, wirst du dies überhaupt tun? Ich wünschte, wir könnten unsere Söhne gemeinsam in die Welt entsenden, wie einst unsere Eltern dies taten. Diese Zeit, niemand kann sie uns mehr nehmen. Lebten nicht auch wir in einer goldenen Welt? Kein goldener Käfig, die goldene Vergangenheit ist es, welche auch Agrippina Serenus hat angedeihen lassen, welche fern der ewigen Stadt, in Achaia oder den patrizischen Domizilen Baiaes noch existiert, doch spätestens beim Überschreiten der Stadtgrenze Roms in rasender Geschwindigkeit vergeht und eingeholt wird von Gegenwart. Manches mal wünschte ich, wir könnten wieder Teil ihrer sein, doch dann wieder wünsche ich, wir könnten Teil einer zukünftigen Welt sein, fern der heutigen. Wie das wohl sein mag, Caius, in der Zukunft zu Leben? Wird die Welt ein Ende finden oder werden wir Römer Land um Land erobern bis in alle Zeit? Nichts habe ich je in meinem Leben gesehen außer Athen und das umwärtige Land, ein paar Städte, Teile der Insel Creta, den Weg von Athen bis Rom und das hiesige Umland, Baiae und unsere Güter in Oberitalia, und doch verspüre ich kaum in mir den Hunger, mehr zu sehen. Wozu nur wird die Welt immer größer?"
    Ganz unbeabsichtigt war Gracchus in philosophische Gedanken verfallen, doch war es kaum überraschend, endeten doch so viele ihrer Gespräche auf diese Weise und waren gerade ob dessen so wertvoll.

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  • "Findest Du, dass es so viel komplizierter wird? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Antonia Dir so oft bei Deinen Interessen im Wege steht, mein Ge ... guter Freund." Uff, gerade noch einmal die Kurve bekommen. Es gab Dinge, die ich einfach derzeitig nicht aussprechen wollte, die es nur schwerer machten, als es ohnehin war, und ihn so zu nennen, wie es mein Herz gern tun wollte, war eines dieser Dinge.
    "Ich stelle es mir gar nicht so schrecklich vor, bestimmte Sorgen und Nöte mit jemandem teilen zu können. Zu wissen, dass einen abends jemand erwartet, wenn man spät zurückkehrt, weil man den ganzen Tag seiner Pflicht nachgekommen ist. Du wirst lachen, ich habe mir extra dafür eine Sklavin gekauft, eine Keltin, wenn ich mich nicht irre, und ich habe sie bisher nicht einmal angerührt ... solange sie mir nachts das Bett wärmt und dieses Gefühl der vollkommenen Stille nicht zurückkehrt, wenn ich nachts aufwache."
    Das wusste ausser ihm niemand, und wem hätte ich diesen Gedanken auch anvertrauen können? Nur Manius selbst, nur ihm, und niemandem sonst wollte ich diese Schwäche gestehen, die mich wahrscheinlich vor anderen lächerlich machen würde. Bridhe war weder ein Spielzeug noch eine Geliebte für mich, sie war einfach nur da, wärmte mein Bett, und so sollte es bleiben. Verstehen würde er es wahrscheinlich nicht, aber ich hatte auch nicht um Verständnis gebettelt. Nur gehofft, er könnte den Gedanken nachvollziehen.


    "Vielleicht bist Du glücklicher aufgewachsen, Manius, ich habe mich schon als Kind danach gesehnt, dem gegenseitigen Wüten meiner Eltern irgendwie zu entkommen. Als mein Vater entschied, mich nach Achaia zu senden, damit ich rhetorisch ausgebildet würde, war es die reinste Erlösung aus dem dauernden Streit, den gegenseitigen Intrigen, mit denen sie sich unserer Liebe und Zuneigung zu versichern suchten. Vielleicht ist auch deswegen aus meinen Geschwistern wenig mehr als nichts geworden. So etwas zerbricht einen Menschen irgendwann." Langsam führte ich meinen Weinbecher zu den Lippen, nahm einen Schluck daraus und atmete tief ein. "Nichts wäre mir lieber, als unser beider Lenden Spross gemeinsam erziehen zu lassen, Manius, und ich bin mir sicher, Du wüsstest ihm eine Richtung zu geben, wenn ich es nicht mehr kann. Er soll alle Möglichkeiten erhalten, denn seine Mutter ist eine kluge Frau, sodass die Hoffnung besteht, dass er irgendwann einmal mehr sein wird als ein Fischer. Wenn er jemals Politiker werden will, soll er die Möglichkeit dazu erhalten, und wenn er Fischer bleiben will, dann auch das. Er soll die freie Wahl haben, die wir niemals hatten, Manius ... und selbst wenn dies wahrscheinlich ein Hirngespinst ist, dann träume ich es jetzt gerade gern. Ich weiss noch nicht einmal, wie ich ihn nennen soll."


    Ich wandte ihm wieder den Blick zu, als seine Worte die goldenen Tage unserer Jugend wiedererstehen ließen, die Stunden, in denen wir uns einfach nur selig hatten treiben lassen, ohne Sorgen, die Gedanken auf die nächste Diskussion, die nächste Erkenntnis gerichtet und nichts sonst außer auf unsere gegenseitige Gesellschaft .. ich musste hart schlucken, als ich mit einem Mal einen wehmütigen, bitteren Kloß im Hals hatte, und trank ihn mit mehr Wein herunter. "Wer weiss das schon, wann diese Welt ihre endgültigen Grenzen erreicht hat? Ich hoffe doch, wir haben sie bald, denn zu fern sind unsere Soldaten der Heimat. Hat nicht Augustus dem Tiberius befohlen, die Grenzen des Reiches nicht mehr auszuweiten? Ich fürchte, eines Tages werden wir an allen Grenzen Krieg führen müssen, sobald irgendwo ein Punkt der Schwäche entsteht, werden die alten Feinde wiederkehren. Manchmal wünsche ich, wir wären noch immer in den Zeiten der Republik, all dies stünde uns noch bevor, und wir könnten diese glänzenden Tage miterleben, die wir nur aus Erzählungen kennen und ihnen nachtrauern müssen. Vielleicht wird dies Welt größer, weil die wenigsten noch verweilen können, genießen können, was sie haben, was ihnen geschenkt wird. Ein unseliger Hunger, der uns immer weiter treibt, von einer Eroberung zur nächsten, und doch bekommen wir niemals, was wir uns eigentlich wünschen - Frieden."

  • Erneut echappierte Gracchus ein Seufzen, tief und lang gezogen, war seine Ehe doch etwas, was in Gedanken beständig auf sein Gemüt zu drücken wusste.
    "Den gesamten Tag und nicht selten in der Nacht steht Antonia mir im Wege und dies, obgleich sie mir kaum je von Angesicht zu Angesichte gegenüber steht. Immer habe ich geglaubt, ein patrizische Ehe würde nicht mehr bedürfen als des stillen nebeneinander Existierens, des Existieren-Lassens. Respekt ist es, was eine Ehe braucht, doch ich habe nicht das Gefühl, dass es das ist, was sie mir entgegen bringt. Immer scheint sie mir so perfekt, nichts kann in ihrem Angesichte bestehen, ich selbst erscheine dann nur um so unwürdiger und ungenügend, und dies verfolgt mich, Caius, des Tages wie in der Nacht. Glaube nicht, dass ihr Unglück mir entgeht, denn wenn einen Sinn ich habe für irgendetwas auf dieser Welt, so für das Unglück. Meinetwegen ist es, doch ich weiß nichts, was dagegen ich unternehmen soll, was unternehmen ich kann, da diese Ehe bei allem, was wir tun uns im Wege steht, sie letztlich uns sogar daran hindert, sie zu lösen. Diese Ehe ist ein Gräuel, Caius, ein wahrhaftes Gräuel, mehr noch auf diese Weise wie sie ist, in ihrer Ignoranz, als wenn Antonia mich den ganzen Tag lang würde ob meiner Unzulänglichkeit beschimpfen. Es wäre immerhin etwas. Doch nichts teilen wir, mitnichten Sorgen und Nöte, nur vollkommene Stille."
    Aquilius war ohnehin der einzige Mensch, mit welchem Gracchus seine Sorgen und Nöte teilte, nicht einmal Sciurus offenbarte er sein tiefstes Innerstes, und Aquilius war jener Mensch, welchen Gracchus des Nachts an seiner Seite misste. Womöglich hätte Antonia zumindest die Leere neben ihm hätte ausfüllen, zumindest seinen Körper wärmen können, wäre nicht ein jedes Mal das klandestine Entsetzen in ihrem Blicke, sobald er ihr Cubiculum betrat.
    "Doch womöglich wirst du besser es treffen. Meine Eltern haben sich schlussendlich wohl tatsächlich geliebt, mehr noch als respektiert zumindest, und dies erwuchs aus einer politisch arrangierten Ehe. Es ist möglich, und niemandem würde mehr ich dies wünschen denn dir, Caius."
    Gleichsam es würde bedeuten, dass er selbst würde niemals mehr auch nur einen Hauch vager Hoffnung verspüren können, doch war nicht ohnehin diese Hoffnung bereits tief begraben, musste begraben sein?
    "Acht Tage bleiben dir noch, bis dass du dich entscheiden musst. Caius sollte er heißen, gleich seinem Vater. Im Grunde sollte ohnehin er gleich seinem Vater heißen, ich war immer ein Verfechter dieser alten Tradition, sie gefällt mir ob ihrer Simplizität wegen. Ich würde Caius ihn dann nennen, mit der gleichen ..."
    Liebe, wollte er sagen, Wärme und Sehnsucht.
    "... Intention, mit der ich den Namen seines Vaters ich nenne."
    Gracchus' eigene Söhne würden eben nach diesem Muster ihren Namen erhalten, der erste Manius Gracchus, der zweite Caius oder Quintus, dessen war er sich nicht mehr gänzlich sicher, doch da es ohnehin mindestens drei werden müssten, so würde der nachfolgende mit der Alternative benamt. Doch sie alle würden Gracchus heißen und jenen plebeisch angehauchten, in Misskredit gezogenen Namen reinwaschen, eine neue Ära der Gracchen auferstehen lassen, wie es an Quintus und ihm wäre gewesen, wie das Schicksal es ihnen hatte verwehrt. Seit den Geschichtsstunden hatte Gracchus an seinem Namen schwer getragen, hatte seinem Vater nie verziehen, dass er ihn mit einem solchen hatte belegt, dass er ihm seinen eigenen hatte verwehrt, ihn damit abgeschnitten von seiner Linie, ihm nicht gegönnt hatte, den Namen eines Kaisers zu tragen. Selbst am Namen war ihre völlig desolate Beziehung gescheitert. Leise lachte Gracchus indes auf, von Geschichtsstunden und den Worten seines Vetters eingeholt.
    "Die guten alten, goldenen Zeiten der Republik? Die Standeskämpfe, die Proskriptionslisten, die Bürgerkriege? Wahrlich, wie der Mensch seine eigene Vergangenheit verklärt, so tut er dies ebenso mit jener der Menschheit. Dennoch, ich glaube, wir leben in einer äußerst guten Zeit, Caius. Iulianus hat uns viele Jahre schon den Frieden bewahrt in Rom und auch in den meisten Teilen des Reiches. Der Vorstoß nach Parthia mag ein Dorn in unserem Fleische sein, doch wird er dauerhaft den Wohlstand bewahren, an welchen wir uns so sehr schon gewöhnt haben. Serenus mag den Kaiserthron erstrebenswert finden, doch ich selbst beneide unseren Augustus mit keiner Faser meines Lebens ob seiner Verantwortung. Dieses Reich ist so endlos, und allein den Überblick darüber zu wahren erscheint mir bereits eine wahrhaft meisterliche Leistung, zudem schon das kleine Fleckchen, welches der Mensch sein eigen Leben nennt, mir bereits in fortwährend turbulenten Irrungen gefangen scheint."

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  • Das Seufzen verriet mir alles, jede Nuance seines still gehegten Leides ob dieser wenig befriedigenden Ehe. Sicher, in einer Hinsicht würde sie für ihn wohl niemals wirklich befriedigend sein - lieben würde er Antonia wohl nicht mit seinem Herzen, denn dieses lag bei mir wie das meine bei ihm. Mit diesem Erbe würde ich in meine Ehe gehen müssen, auch wenn es mir wahrscheinlich leichter fallen würde, mit meiner Frau zusammen zu leben - den Umgang mit Frauen schätzte ich eindeutig mehr als er es jemals tun würde. Dennoch erschien es mir geradezu grotesk, dass beide voneinander dasselbe dachten - nur eben mit vertauschten Rollen. Beide hielten sich für unzulänglich, für nicht ausreichend, und beide litten unter der Kälte ihrer Beziehung.
    "Du hast eine Frau für Dich gewählt, die intelligent ist, was in unseren Kreisen meist eher ein Hindernis denn ein Vorteil ist, Manius. So viele sind damit zufrieden, sich mit Kleidung und Haushalt zu beschäftigen, aber ich denke doch, sie ist es nicht. Jeder Mensch sehnt sich doch insgeheim nach einer gewissen Anerkennung, nach jenen Dingen, von denen er weiss, dass er sie gut kann und dabei Zufriedenheit empfindet, wenn er sich dem widmen kann. Vielleicht ist nicht das eigentliche Problem, dass ihr nebeneinander her lebt, Manius, sondern, dass ihr niemals versucht habt, wirklich gemeinsam zu leben. Sie schätzt die Mathematik, und ich bin mir sicher, würdest Du ihr eure haushaltliche Buchführung überlassen, würde es sie erfreuen. Du regelst derzeit alles, nicht wahr? Lass sie doch ihre Stelle wirklich einnehmen, die der matrona im Haushalt. Diejenige, die Dir den Rücken freihält, damit Du mit Deinen Ämtern der Familie Ehre machen kannst. Bisher scheint sie sich zu langweilen, und wie alle Frauen ist sie zu stolz, um etwas zu bitten ... versuche, ihr in diesem Punkt Vertrauen zu zeigen, sie hätte nichts davon, würde sie Dich betrügen. Einen besseren vilicus als eine gut rechnende Ehefrau gibt es nicht."


    Dann lächelte ich leicht zu ihm und legte den Kopf schief: "Wer sagt Dir denn, dass sie Deinen Nöten kalt gegenüber stünde? Frauen reden für ihr Leben gern, und auch wenn Dich das Thema absolut nicht interessiert, tu so, als wäre es zumindest grundlegend von Wichtigkeit. Im Grunde unterscheidet sich das alles nicht wesentlich von einer Versammlung der Salier, nur ist es dann nicht der Iulier, der stundenlang über irgendein Thema spricht, sondern die Frau, die Dein Leben teilen sollte. Eines habe ich zumindest in den letzten Jahren gelernt - egal, wie schlecht Du Dich selbst fühlen magst, wenn Du einer Frau ein Lächeln und Aufmerksamkeit schenkst, wird sie es Dir lohnen. Jede Frau fühlt sich gern einzigartig und wichtig. Hast Du Dich nie gefragt, warum es mir gelingt, in so viele Schlafzimmer einzutreten? Ein gutes Aussehen haben auch andere, und es gibt sicherlich stärkere oder soldatischer wirkende Männer als mich. Aber ich höre ihnen zu, und das ist etwas, was die wenigsten tun. Jeder Mensch äußert gern seine Meinung zu wichtigen Themen, warum also nicht auch Antonia?" Am Ende würde ich ihn noch zu einem 'wie verstehe ich Frauen richtig' Kurs an der Schola zwingen müssen, falls es so etwas überhaupt gab.


    Als er jedoch seine Wünsche für meine Ehe aussprach, schüttelte ich den Kopf, wieder lächelnd, wenngleich ein gewisser Hauch Wehmut darin lag. "Manius, vielleicht werde ich sie schätzen, sympathisch finden, vielleicht sogar sehr mögen. Aber lieben ... dieses einzige, große Gefühl, das alles umfasst und selbst in der tiefsten Hoffnungslosigkeit weiterexistiert ... lieben werde ich immer nur einen Menschen, und ich denke, diesen Menschen kennst Du. Es dauert mich, eine Frau zu einer solchen Ehe bewegen zu müssen, aber es bleibt mir kaum eine andere Wahl, ich bin im passenden Alter, und unverheiratet zu bleiben würde nur Fragen aufwerfen, die ich nicht beantworten will." Aurelia Prisca - vielleicht würde sie mich eines Tages für dieses Wissen hassen. Vielleicht liebte sie selbst einen anderen, vielleicht würde sie mich niemals schätzen, ich wusste es nicht. Die Zeit würde es alles zeigen müssen. Selbst meinen ersten Sohn konnte mir meine künftige Ehefrau nicht mehr gebären, war er doch längst am Leben.
    "Caius ..." murmelte ich, den Blick auf ihn gerichtet, denn die Betonung seiner Worte schwang noch im Raum nach. "Caius Flavius Aquilius? Ich weiss nicht, ob meinem Sohn dieser Name jemals Glück bringen wird, Manius, und ich fürchte den Zorn der Götter, so ich fehlgehen sollte, auch für ihn. Caius mag er heißen, aber es wird ein anderes cognomen sein müssen."


    Sinnierend lehnte ich mich zurück, schmeckte dem Echo des Weins auf meiner Zunge nach, während ich ihm lauschte, meine Gedanken in seinen Worten treiben ließ. "Die Bürgerkriege hatten auch ein Gutes - es hat sich vieles bewegt. Gute Männer zeigten ihre Stärken, schwache Männer wurden entlarvt. Der Frieden ist zweifelsohne erstrebenswert, aber ich fürchte doch, dass er uns in einer trügerischen Sicherheit wiegt. Man kann sich leicht im Frieden verstecken, seine Schwächen verhehlen, und dennoch zu höchsten Ehren steigen, und dies ist etwas, das mich stets nachdenklich wird bleiben lassen. Schau Dir unseren Senat nur an, fett und faul sind viele geworden in der langen Zeit des Friedens. Was den Thron angeht - wir Flavier tragen das Blut dreier Kaiser in uns, und das sollten wir niemals vergessen. Die Macht an sich würde ich mir nicht ersehnen, aber doch die Möglichkeit, Dinge zu bewegen, zu verändern, Entwicklungen zu beginnen ..." Die Worte mündeten in ein amüsiertes Lächeln, ich wäre wohl der schlechteste Kaiser seit Caligula - aber ein nettes Gedankenspiel war es doch.

  • Während er Schluck um Schluck die Kühle des Weines goutierte, gleichsam die wärmende Aura des sanften Feuers über seine Haut strich, versuchte Gracchus den Ausführungen seines Vetters in Hinsicht auf seine Gemahlin zu folgen, wollte eben schon in zustimmendes Nicken sich ergeben, als sein Gedankenfluss abrupt erstarb.
    "Nein, Caius, du irrst. Jetzt da du es erwähnst, ich hatte es längst vergessen ... Als ich aufbrach, um Leontia und Quintus ... nun, ich bat Antonia darum, für die Administration des Haushaltes Sorge zu tragen, die Anlagenwertführung zu übernehmen, bis wieder ich zurück gekehrt bin. Sciurus hatte ich bei mir und mitnichten hatte ich geglaubt, so lange fort zu sein, zudem ging ich davon aus, sie würde mir dies wieder antragen, sobald ich einen Fuß in die Villa setze, doch ..."
    Erstaunt schüttelte Gracchus den Kopf, blickte Aqulius fragend an.
    "Sie tat es nicht. Gleichsam, ob all der Geschehnisse habe ich völlig darüber vergessen und doch weiß ich, dass alles in bester Ordnung ist. Die arcae sind gefüllt, ich habe die Zahlen gesehen ... mehercule, ich habe sie gesehen, Caius! Ich habe geglaubt ... ich weiß nicht, was ich geglaubt habe, doch mitnichten habe ich an sie gedacht."
    Mit einem kräftigen Schluck suchte Gracchus seine Confusion ob dessen die Kehle hinab zu spülen. All die Zeit wirkte seine Gemahlin in seinem Rücken und er bemerkte dies nicht einmal - er wusste nicht, ob ihn dies erfreute, oder ob mehr darob er Furcht sollte verspüren.
    "Du meinst also, ich solle sie drängen, darüber zu sprechen?"
    Obgleich Gracchus nicht glaubte, dass es Antonia nach Gespräch sehnte - war sie doch immer sprachlos in seinem Angesicht, kurz angebunden und wenig kommunikativ - so wollte er doch seinem Vetter vertrauen in dieser Hinsicht, denn wer würde dies besser wissen denn er, der er nicht nur durch die Betten der Sklavinnen zog, sondern gleichsam sich liebend gern in jenen respektabler Frauen räkelte.
    "Und doch, immer, wenn ich mit ihr spreche, hat sie nichts zu sagen. Wie sollte ich ihr zuhören, wenn sie nicht zu sprechen bereit ist? Erteile dem Iulier das Wort und nichts denn deine Zurechtweisung oder das Ende der Sitzung wird ihn davon abhalten, in endlosen Tiraden über die Götter und die Welt zu lamentieren, doch selbst eine Frage entlockt Antonia kaum mehr denn ein marginales Nicken, ein kurzes 'Ja' oder 'Nein' wenn gar nicht anders es geht. Wenn nicht eben wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, wo solcherlei von uns erwartet wird, hat kaum je mehr denn einen Satz sie mit mir gesprochen."
    Bedauernd zog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne, kaute auf ihr herum, mit kummervollem Blick, desperat, spülte alsdann den unangenehmen Geschmack in seinem Munde - Fäulnis, mit welcher seine Ehe belastet war - erneut mit Wein hinfort.
    "Selbst wenn - du kannst nicht dir vorstellen, mit welchem Blicke sie dies tut, mit welcher Intention sie meinen Namen dabei spricht - als würde sie mich unter der Sohle ihres Schuhes wähnen und in genüsslicher Weise ihren Fuß hart auf den Boden pressen, ein Insekt zerquetschen mit maliziöser Freude."
    Erschrocken noch einmal umfasste er fester den Becher in seiner Hand, trank erneut, schnell, ohne die Güte der Flüssigkeit zu bemerken, geschweige denn zu würdigen.
    "Bei Iuppiter Fulgur, Caius ... ich ... ich glaube, ich ... "
    Er konnte nicht es aussprechen, wollte es nicht, denn wenn erst es ausgesprochen war, so gab es kein zurück mehr vor der Erkenntnis, indes, wem sollte er sonstig sich anvertrauen, wenn nicht seinem geliebten Vetter? Mit einem langen Schluck leerte Gracchus den Becher, ließ den Wein in sich wirken, seine Adern wärmen, seine Sinne erstarken.
    "Ich glaube, ich fürchte mich vor ihr."
    Beschämt senkte er den Blick. Sie war ihm fremd, unverständlich, dabei an ihn gebunden, es mochte irrational sein, und doch war es eine völlig natürliche Reaktion sie zu fürchten - wie er sich selbst zu persuadieren versuchte - gleich einem übermächtig scheinenden Feind, dessen Sprache man nicht beherrschte und von welchem man nie wissen konnte, ob und wann er über die Grenzen in das Herz des Reiches würde streben.
    "Oh, Caius, und vermutlich hat sie zudem Recht, wenn sie mich solcherweise betrachtet. Einen fürsorglichen Ehegatten hat sie verdient, welcher sie umgarnt, ihre Person zu würdigen weiß, ihre ... Weiblichkeit, wenigstens den Funken einer Chance. Nicht mich. Ich wünschte, ich könnte auf einer fernen Insel sitzen, meine Worte und Gefühle in den nassen Sand schreiben, aus welchem sie die Flut jeden Tag erneut hinfort schwemmt, auf dass Platz für neues entsteht, fern der Welt, fern all derer, denen meine Anwesenheit doch nur zum Schmerze gereicht."
    Sehnsucht hatte Einzug gehalten in seine Miene, der Hauch einer Reminiszenz an vergangene Tage, vergessene Tage, während Sciurus dafür Sorge trug, dass die Becher voll Wein blieben.
    "Erinnerst du dich an die Welt, die wir uns schufen, verborgen in den Nischen der Bibliothek, verloren auf den grünfarbenen Wiesen, verirrt in den Gassen Athenaes, versteckt unter einer Decke mit einer Öllampe und einem Pergament? Wie sicher, wie überzeugt waren wir damalig, dass nichts uns von dieser Welt könnte abhalten, dass nichts uns je würde auseinander reißen können, dass keine Pflicht, keine Erwartung uns nach Rom würde ziehen, unseres Lebens entfremden. Doch sieh uns an, verheiratet und kurz davor, verloren in einer Welt, welche die unsrige sein muss und es doch niemals sein wird, die Menschen um uns herum in eben jene Bahnen zwingend, welche so sehr wir fürchten. Caius Aquilius, nicht dieser Name ist es, welcher deinem Sohn schwer auf den Schultern wird lasten, nicht dein Erbe ist es, einzig die Launenhaftigkeit der Götter, welche einen Flavius in die Welt entsenden, welcher solchermaßen nicht geschaffen sein sollte."
    Mehr und mehr Wein floss Gracchus' Kehle hinab, zu viel für die letzten Wochen, hatte er doch kaum je einen Abend solcherlei goutiert, zu viel um seinen elegischen Gedanken Einhalt zu gebieten, doch mochte der schimmernde Rebensaft auch die Barrieren aufweichen, der Inhalt Gracchus' Worte war noch immer wohl bedacht, mehr noch womöglich als sonst.
    "Wärst du nur ein Fischer geblieben, Caius, hättest dein Weibe geliebt, deinem Sohn ein Leben geschenkt ohne diese Last. Ich wäre ein Fisch geworden, für dich, Caius, im endlosen Oceanos, glücklich, in deinem Netze zu landen, von dir verzehrt zu werden, in Ahnungslosigkeit, und Teil zu werden deines Leibes, wie niemals ich Teil werden darf. Ein Glück, mein Freund, dass nicht die Bürgerkriege auf mich warten, denn was gäbe es mehr als Schwäche zu entlarven in mir, endlose Schwäche in deinem Angesicht."

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  • Bona dea. Diese beiden Menschen, durch die ehelichen Schwüre aneinander gebunden, litten an fast derselben Sache, unfähig, es einander zu sagen oder einander in irgendeiner Form nahe zu kommen, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Und beide vertrauten mir genug, um mir ihre wechselseitigen Sorgen zu eröffnen, das Unvermögen, sich vor dem Partner wertvoll und besonders zu fühlen, die Furcht davor, dem jeweils anderen unwert und primitiv zu erscheinen. Wäre es nicht eine so unglaublich verzwickte Situation zweier Menschen, die ich beide aus sehr unterschiedlichen Gründen schätzte, ich hätte ob der Ironie dieser Gefühlsregungen beiderseits gelacht, so etwas hätte sich wohl nicht einmal ein Ovidius Naso ausgedacht, auch wenn er wirklich ein sehr findiger und kreativer Kopf gewesen sein musste.
    "Ähm ... also das mit dem drängen würde sie wohl eher negativ auffassen, keine Frau wird gern gedrängelt, etwas zu tun. Eher würde ich ihr die Anerkennung aussprechen, die sie für ihre geschickte Verwaltung Deiner Finanzen verdient. Ganz offensichtlich tut sie bereits etwas, um Dir zu zeigen, dass sie an einer ehelichen Gemeinschaft und einem gemeinsamen Erfolg im Leben interessiert ist - nur die wenigsten Menschen tun dies plakativ und sprechen stundenlange Liebesschwüre. Sie scheint mir eher jemand zu sein, der im Stillen wirkt und dann hofft, dass es registriert wird. Warum lässt Du sie nicht für euch beide einen Ausflug auswählen, etwas, bei dem ihr euch abseits der Augen der Öffentlichkeit einmal unterhalten könnt, bei dem niemand sonst stört? Und wenn das finanzielle das einzige ist, worüber Dir mit ihr zu sprechen einfällt, dann tu es. Frag sie um ihre Meinung zu diesem und jenem Geschäft, diskutiere Karrierepläne mit ihr. Sie ist klug und vor allem, sie ist eine Claudia."


    Ich holte ein wenig Schwung für den nächsten Gedankenstrang. "Letztendlich wird ihr ein Leben nicht fremd sein, bei dem die Frau ihren Gemahl in allem unterstützt, denn das ist nun einmal der Weg fast jeder Patrizierin. Sie wird wissen, worauf es bei einem Fest ankommt, das Dich bekannter machen soll. Sie wird wissen, wie man mit anderen Frauen umgeht, deren Männer wichtige Positionen bekleiden - sie kann wahrhaftig eine Stütze für Dich sein und ich denke, dass sie das auch würde." Und nun, ein Schluck Wein für den letzten Anlauf auf den eigentlichen Gedanken hin: "Im Grunde hegt sie ähnliche Befürchtungen wie Du. Dass sie nicht perfekt genug für Dich ist. Dass Du sie verabscheust. Dass Du sie vielleicht sogar hasst, weil sie noch nicht schwanger bist. Glaubst Du denn, Du bist der einzige Ehemann der Welt, der Schwierigkeiten mit seiner Frau hat, vor allem bei solch einer Konstellation? Charakterlich einfach zu handhaben sind weder die Claudier noch die Flavier." Das Geständnis meines Vetters war gleichsam erschreckend wie doch auch mein Mitfühlen erregend, denn letztendlich war er derjenige von uns beiden, den das Schicksal wohl schlimmer geschlagen hatte - er bevorzugte Männer und konnte mit Frauen nicht viel anfangen, und gleichwohl war er mit einer Frau vermählt, die sicherlich sehr zur Leidenschaft fähig war und die wohl nur darauf hoffte, er würde sie entzünden.


    "Es ist nun einmal, wie es ist, ihr seid Mann und Frau, Manius ... und wenn Dich dieses Arrangement so sehr dauert, wenn es wirklich keinen anderen Weg für euch beide gibt als nur miteinander zu leiden, dann solltet ihr vielleicht irgendwann auch erwägen, getrennte Wege zu gehen. Es kann doch nicht sein, dass zwei besondere Menschen aneinander nichts zu finden wissen als nur Leid, und dieser Zustand eine Ewigkeit anhält. Besuchst Du sie überhaupt noch nachts?" Ich kam mir vor wie ein Idiot, der dem Menschen einen guten Ratschlag anbot, den ich liebte, um eine Frau glücklich zu machen, die ich schätzte und begehrte - und eine solche Ehe würde mir vielleicht auch bevorstehen, wenn ich mir nicht irgendwie etwas einfallen ließ, um meine zukünftige Frau glücklich zu machen. War es das, was mein Vater damit gemeint hatte, als er mir einmal gesagt hatte, dass in einer Ehe kein Weg ohne Steine sei und meistens mehr Steine vorhanden wären als Weg? Aber an die wirklich unglückliche Ehe meiner Eltern wollte ich jetzt nicht unbedingt denken.
    Dann doch lieber träumen ...


    "Diese sonnigen Tage werde ich niemals vergessen, Manius, als wir noch glaubten, die Welt sei durch die Kraft unserer Wünsche und Vorstellungen veränderbar. Das stundenlange Diskutieren, die vielen Gespräche, unsere Spaziergänge durch Athen, um das Leben dort kennenzulernen - es ist eine Erinnerung, die mir kostbar ist, und doch, wir sind nun hier, im weit weniger strahlenden Rom, und ein jeder von uns hat Erfahrungen gemacht, die uns verändert haben. Vielleicht ist es unser größtes Geschenk, dass wir uns aus dieser Zeit die Nähe zueinander bewahrt haben. Auch heute begleitet uns noch diese Zeit der Sonne, und wann immer ich Dich sehe, sehe ich auch einen jungen Manius, der noch ungleich mehr Träume mit sich herumschleppte. Als meine Erinnerung zurückkehrte nach diesem einfachen Leben als Fischer, war es nicht das Wissen um meinen Platz in dieser Welt, das mich zurückkehren ließ, es war das Wissen darum, wo ich mein Herz wiederfinden würde, und es war stets bei Dir." Ich lächelte ihn warm an, als ich ihm dieses Geständnis gemacht hatte, und es fühlte sich einfach richtig an. Es tat gut, es ihm sagen zu können, wenigstens einmal nicht alles in mir verschlossen zu halten, was mich bewegte. "Du wärst ein Fisch, den ich freilassen würde, auf dass er leben kann, auch wenn ich Dich damit verlieren würde, Manius, und im Bürgerkrieg wärst Du mein Schild, wie ich Dein Schwert wäre. Du kannst nicht schwach sein, wenn ich bei Dir bin, und ebenso kann ich nicht schwach sein, wenn ich Dich nahe wähne."

  • Dem Fluss des Weines entsprechend versuchte Gracchus sich all dies zu merken, was sein Vetter empfahl, nicht zu drängen - kein Wort würde Antonia in solchem Falle freiwillig aus sich entlassen, dies befürchtete er trotz alledem, Anerkennung auszusprechen - als Hohn nur würde sie dies auffassen, als versteckte Ironie gar, und niemals würde sie als Ausflugsziel für sie beide einen Ort fern der Publizität wählen, keinesfalls einen solchen an welchem sie beide gemeinsam allein würden sein, doch Gracchus notierte umsichtig jedes Wort in Gedanken, ritzte sorgfältig es ein in eine wächserne Tafel und verbarg diese in jenem Raume seines Gedankengebäudes, welcher seiner Ehe gebührte - eine kahle, kleine Kammer, mit bloßen Wänden, festgestampftem Boden und schmalen Fenstern, karg in ihrer Einrichtung, nur ein Schrank und ein Brett auf zwei Felsbrocken - um hernach eilig von dort zu entfliehen, nur, um gerade rechtzeitig zurück, eine Augenbraue zu heben in stillem Erstaunen.
    "Wie könnte ich sie verabscheuen? Bei allen Göttern, sie ist mir so fremd, so unglaublich fremd. Dennoch, ich habe Felix einst darum gebeten, eine favorable Verbindung mir anzuraten, und dies ist sie ohne Zweifel, mehr als favorabel. Ich brauche sie, Caius, und ich kann nicht sie ziehen lassen ohne mein eigenes Leben, meine eigene Zukunft ziehen zu lassen, gerade nun da endlich sich einige Lücken in den übermächtig erscheinenden Mauern sich haben aufgetan. Untadeligkeit, Caius, ein Pontifex muss über jeden Zweifel erhaben sein, und dies fängt bei der Ehe an. Eine Scheidung würde alles zerstören, was noch vor mir liegen mag."
    Zögerlich goutierte Gracchus noch einige Schlucke Wein ob der prekären Thematik, welche die Worte seins Vetters hatten tangiert. Noch weniger gereichte ihm zum Wohlbefinden darüber zu sprechen denn über die Gefühle gegenüber seiner Gemahlin, waren doch es Taten, unumstößlich, unleugbar und unangenehm dazu.
    "Eine andere Frau liegt an meiner Seite des nächtens."
    Einige Herzschläge lang hing die Wahrheit wie ein seidenes Tuch in der Luft, welches sich über die Szenerie legte, sie bedeckte und unter sich zu ersticken drohte.
    "Eine Sklavin. Ich ..."
    Er senkte den Blick, erneut voller Scham, leise wogten seine Worte durch die spätabendliche Luft, verloren sich im dunklen Himmel über Rom.
    "Sie wird mein Kind austragen. Womöglich. Ich muss ... ich muss wissen, in wessen Verantwortlichkeit das Säumnis eines Erben liegt, um zu entscheiden, was weiter geschehen muss. Wir ... ich ... brauche dieses Kind, wie ich sie nicht ziehen lassen kann. Ich wünschte, wir könnten ... aber ... es fruchtet nicht ... vielleicht ihretwegen ... vermutlich meinetwegen. Ich muss es wissen."
    Nicht mehr lange und er würde die dritte Dekade seines Lebens hinter sich lassen. Ein Erbe war unumgänglich, längst säumig. Zaghaft hob Gracchus den Blick, den seines Vetters zu suchen, Missbilligung darin fürchtend, Unmut und Unverständnis.
    "Ich kann nicht schwach sein, solange du bei mir bist, Caius, doch deplorablerweise kannst nicht immer du bei mir sein. Ohne dich ertrinke ich Fisch im Meer."

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  • Da taten sich ja wirklich Abgründe auf - aber Abgründe, die durchaus nachzuempfinden waren. Es musste schrecklich sein, an der eigenen Zeugungsfähigkeit zweifeln zu müssen, ein Gedanke, der sich für mich noch nie ergeben hatte - sicher, einen Sohn hatte ich nun, aber dass ich früher nie wegen Kindern behelligt worden war, störte mich nicht. Wenn man allerdings einen Erben brauchte, sah alles schon ganz anders aus, und gerade Gracchus, der so viel Wert darauf legte, dass sein Umfeld so funktionierte, wie er sich das dachte, dass es funktionieren sollte, musste durch einen solchen Gedanken besonders leiden.
    "Ich hätte wohl, um sicher zu sein, denselben Weg gewählt wie Du, Manius, in sofern schäme Dich nicht dessen. Selbst für Antonia dürfte es dann tröstlich sein, den Grund zu erfahren, wieso es mit einem Kind nicht klappt, an wem es liegt - eine ewige Ungewissheit, ewige Fragen nach dem Warum lassen einen Menschen nur verbittern. Vielleicht ist es dann auch besser für eure Ehe, eine gewisse Klarheit zu haben, sonst gebt ihr beide euch nur wechselseitig die Schuld, ohne jemals der Wahrheit nahe gekommen zu sein."


    Nein, in keinem Fall missbilligte ich, was er getan hatte, und er konnte mir das sicher auch ansehen, ich wich seinem Blick nicht aus, lächelte ihm nur still entgegen und hob dann den Becher in seine Richtung an, stumm auf sein Wohl trinkend. Die folgenden Worte jedoch ließen mich mühsamer atmen, denn die Zärtlichkeit im Klang seiner Stimme schnürte mir die Kehle zu, es war unglaublich schwer, ihm jetzt zu antworten, ohne ihn mir nahe zu wissen, ohne ihn berühren zu dürfen, seine Gestalt nur liebkosend mit Worten, mit Sehnsüchten und Wünschen. Warum nur war es uns verboten, unseren Herzen zu folgen?
    "Dann sollten wir beieinander sein, Manius, so gut es eben geht. Ohne Dich macht das alles keinen Sinn für mich, den hatte es nie." Diese schlichten Worte drückten zwar nicht aus, was ich für ihn empfand, aber es hätte wohl aller Worte der Welt bedurft, um dies zu fassen, und ich hatte nur so wenige, konnte ihn nicht glücklich machen, obwohl ich es wollte ...

  • Der Zuspruch seines Vetters konnte nicht dazu gereichen, all die Gewissensbisse aus Gracchus zu vertreiben, welche er ob seines Vorgehens hatte, gerade und insbesondere gegenüber Antonia, doch ein wenig milderte er das gefühlte Ausmaß der Tat und immerhin, so Caius ihm nicht ob dessen würde Vorwürfe angedeihen lassen, so war alles devastierendes Reuegefühl noch zu ertragen. Dennoch mochte Gracchus kein weiteres Wort ob dessen verlieren, hob nur in stummer Dankbarkeit und stiller Übereinkunft ebenfalls den Becher, Caius zuzuprosten und sich am ehrlichen Lächeln seines Gegenübers gütlich tuend, längst in ein wenig verklärter Atmosphäre gefangen, ob des Weines, ob der späten Stunde, ob der greifbaren Nähe seines Geliebten.
    "Beieinander"
    , ließ Gracchus sich auf der Zunge zergehen.
    "Welch ephiphanes Wort. So simpel und doch gereicht es dazu, mich darin schwelgen zu lassen, darin zu baden, tief in es einzutauchen, mich damit einreiben zu wollen von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln, es um mich zu legen wie eine wärmende Decke des nächtens. Ist es nicht ergötzlich, welch unglaubliche Macht einem solch einfachen Wort kann inne wohnen? Wenn je es etwas gab, was den Sinnen zur Ebenbürtigkeit gereichte, so ist dies das Wort, kunstvoll inszeniert, symphonisch komponiert und harmonisch in den Äther gezeichnet. Verschlingen kann ich dich, Caius, begehren kann ich dich, Caius, adorieren, liebkosen, dich mir einverleiben, goutieren, vergöttern und dir in unsterblicher Liebe verfallen bis zur letzten Konsequenz, denn so mächtig das Wort auch ist, manches Mal ist es gleichsam so filigran zerbrechlich, verflüchtigt sich innerhalb von Herzschlägen und ist bereits verloren in dem Moment, da die letzte Silbe noch verklingt."
    Ein panurgisches Lächeln umschmeichelte Gracchus' Lippen.
    "Wer könnte jetzt noch beweisen, was ich getan habe? Du allein, doch vielleicht warst nur einem Trug du erlegen, geboren aus deiner eigenen Sehnsucht und was ich sagte, war gänzlich anderes als was du vernahmst."
    Den Weinbecher auf dem Tisch abstellend ließ sich Gracchus hin sinken in die Kissen der Kline, legte seinen Kopf zurück und starrte hinauf in das Dunkel der Nacht, in welchem endlos weit entfernte Sterne glimmten wie kleine Diamanten.
    "Beieinander"
    , echappierte noch einmal ihm mit einem verträumten Unterton, glücklich ob der Schönheit Caius' Wortes, gleichsam spürte Gracchus, wie die Schwärze der Nacht und die Schwere des Weines langsam auf ihn hernieder zu drücken suchte und ihn zu übermannen drohte.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Es war so leicht, mich in diesen warmen, weichen Worten zu verlieren, einer Landschaft aus Klängen, denen meine sehnsüchtigen Sinne nur zu folgen brauchten, um sich daran zu goutieren. Vielleicht war es der Wein, der mich heute leichter träumen ließ, oder aber das Gefühl, ihm in diesen Stunden des gemütlichen Beisammenseins besonders nahe zu sein, ohne ihn berühren zu müssen, ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen - aber in diesem Moment fühlte ich mich wohl, geborgen und wohl. Wie leicht war es da, mich von seinen Worten umhüllt zu fühlen, gleichwohl zu genießen, auch wenn es mir selbst wohl niemals möglich sein würde, meine Empfindungen auf so köstliche, einzigartige Weise in Worte zu bannen. In solchen Dingen fühlte ich mich ihm stets unterlegen, aber nicht auf unangenehme Weise, denn ich konnte seine herausragende Könnerschaft auf diesem Gebiet ohne Neid akzeptieren, sie vielmehr mit Bewunderung genießen. Ihn so sprechen zu hören über das, was wir gemeinsam teilten, war gleichsam auch Hoffnung spendend, dass es zwischen uns niemals einen Schatten geben würde. Nichts, das uns letztendlich voneinander trennen mochte - eine verwegene Hoffnung, aber eine, an die ich mich klammerte.


    "Ich kann mir Deine Worte im Herzen bewahren, und sollte dies ein aus dem Rausch geborener Traum sein, mein Manius, so ist es doch ein schöner Traum, der viele andere Dinge aufzuwiegen weiss, mit denen wir uns herumschlagen müssen. Doch nimm mir nicht die Hoffnung, dass dies vielleicht auch wahrhaftig gesagte Worte waren, an denen ich mich festhalten kann, wann immer ich es muss," gab ich lächelnd zurück und beobachtete ihn bei einem Schluck Wein aus seinem Becher. Er vertrug keinen Wein, eine bisweilen im Familienstammbaum jäh aufblitzende Schwäche, aber das Vermögen, viel zu trinken, war stets mehr den hispanischen Flaviern gegeben gewesen denn den italischen. Während ich mich angenehm angeheitert fühlte durch Felix' ausgezeichneten Wein, schien Gracchus mir um einiges voraus zu sein, und wohl schon dem Stadium seliger Umnachtung nachzueilen. Ich konnte nicht anders, als ihn lange zu betrachten, die Gesichtszüge entspannt, der Welt entrückt, wie er es selten war, zu wenig ließ er sich Zeit, auch einmal er selbst zu sein, immer rief er sich zur Ordnung. Ich wusste in diesem Moment, wie kostbar er war, denn oft hatte ich ihn so in den letzten Jahren nicht gesehen. "Vielleicht ist es Zeit, schlafen zu gehen, was hältst Du davon?" sprach ich in seine Richtung, und einen Moment lang gaukelte ein höchst verlockendes Bild vor meinen Sinnen herum.

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