hortus | Das Refugium des C' Flavius Aquilius

  • Manchmal hatte es seine Vorteile, wenn man sich in der Gegend ein wenig umsah, in der man wohnte. In Hispania hatte mir das eine recht genaue Kenntnis aller freundlichen Nachbarshausfrauen eingebracht, die gern bereit waren, einem Jungen und seinem Spielgefährten (der zufällig auch sein Sklave war) ein bisschen Naschwerk zuzustecken. Hier in Rom hatte es mich im weitläufigen hortus der villa Flavia an einen Ort geführt, an dem wohl Flavius Felix, mein rühriger Vetter, bisweilig einige ruhige Stunden genossen hatte. Die kleine Laube mit efeuumrankten Stützssäulen für das Dach befand sich gut versteckt hinter einer Weide, deren Äste schon so lang gewachsen waren, dass sie den Boden fast berührten. Es sah so friedlich aus, wenn durch einen lauen Wind etwas Bewegung in dieses Meer aus Blättern kam, ein vages Rauschen zu vernehmen war, welches das An- und Abschwellen der Meereswogen so treffend imitierte. Die Laube war verlassen gewesen, einige Schriftrollen mit Aufzeichnungen Ciceros hatte ich unter der kleinen, gepolsterten Sitzbank gefunden, die sich hier ebenso befand wie ein kleiner Beistelltisch, wohl ein geeigneter Ort, um ab und an Getränke darauf zu deponieren, oder vielleicht auch einen Teller mit Häppchen.


    Man konnte meinen, an diesen Ort käme niemand sonst, verzaubernde Stille, die das Leid der Welt für einige Momente lang auszuschließen imstande war. Selbst eine Kline befand sich hier, ausreichend für zwei Personen, einige weiche Kissen lagen darauf, und der Schnitt der die Laube umgebende Hecke wies darauf hin, dass hier zwar regelmäßig gearbeitet, aber ansonsten alles andere getrost vernachlässigt wurde. Vielleicht der beste Ort für mich, mit all den Dingen herzukommen, die mich belasteten, mit all dem Schmerz allein zu sein, über den ich mit niemandem sprechen konnte.
    Das einzige Zugeständnis an meinen persönlichen Geschmack war eine Statuette des Mars, die seit meiner stillen Inbesitznahme dieses Refugiums auf dem Beistelltisch zu finden war und mir half, meine Gedanken zu fokussieren. Noch immer fühlte ich mich müde, leer und kalt, obwohl es eigentlich recht warm war, bedachte man die Jahreszeit. Das Wetter war wirklich nichts, worüber ich hätte klagen können, und doch wirkte auch der strahlende Sonnenschein dieses Tages trübe und grau auf mich.


    Auch wenn ich es versuchte, ich bekam dieses Bild nicht aus dem Kopf, dieses Bild, das sich in mein Innerstes eingebrannt hatte wie mit einem Brandeisen gesetzt: Manius auf den Stufen des Vestatempels, während Corvinus bei ihm stand, eine Hand auf der Manius', sich gegenseitig Trost und Halt spendend. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus. Jeder Herzschlag sprudelte die beiden Namen durch meine Adern, hinterließ eine brennende Spur des Leids in meinem Inneren. War das die vielgerühmte Liebe? Sie hatte mir nur immer Leid gebracht, immer nur eine Sehnsucht, die mir nicht erfüllt wurde. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mich nie an Flavius Aquilius, den Patrizier erinnert. Caius der Fischer hatte glücklicher gelebt, einfacher gelebt, er hätte eine Familie gehabt, eine Frau, einen Sohn. Und weglaufen konnte ich jetzt nicht mehr, nicht mit der Aussicht auf eine politische Karriere, auf eine Hochzeit, auf all die Dinge, die mein Vater niemals zu seinem Vorteil hatte wenden können. Der Schaden für die Familie wäre noch viel größer, würde ich nun den einfacheren Weg gehen. Aber es half alles nichts: Der jetztige Weg schmerzte, als wollte ich mich in zwei Teile zerreißen, der bittere Klumpen in meinem Hals wollte und wollte nicht herunterrutschen.


    So saß ich auf der Kline, starrte auf die sich bewegenden Zweige der Weide und ließ die Zeit vergehen, denn die Welt stand ohnehin für mich still. Gracchus und Corvinus, Gracchus und Corvinus. Niemals hätte ich gedacht, dass es so enden würde. Niemals. Und ich wusste nicht einmal zu sagen, welcher Verrat sich schlimmer und bitterer anfühlte, der meines Manius oder der meines einstmals besten Freundes. Einen Kuss hatte ich mit Marcus getauscht, und viele Gedanken, aber nicht mehr, ich hatte auch nicht mehr gekonnt, war die Nähe Manius' in meinem Herzen doch stets übermächtig gewesen. Und nun? Mich floh er, und trug seine Liebe an einen anderen Ort, der ebenso verboten wie verpönt war.
    Stumm blieb ich, und keins der Worte, die sich an die Oberfläche drängten, konnte ich aussprechen, fürchtete ich doch, es würde dieses Mal mehr Konsequenzen haben als nur zerstörte Möbel. Dieses Mal war auch in mir alles zerstört.


    Sim-Off:

    Wer will, der kann :]

  • In letzter Zeit nutzte ich jede freie Minute dazu, um draußen an der frischen Luft zu sein. Es war sehr erfreulich, daß es trotz des fortgeschrittenen Herbstes noch immer recht warm und angenehm war. Zu Hause in Éirinn stürmte es oft schon zu dieser Zeit, das Meer schickte immer noch mehr Regenwolken auf die Insel und es war an den meisten Tagen recht kalt und ungemütlich.
    Auch heute nutzte ich meine Zeit dazu, ein wenig im Garten herum zu streunern und zwar möglichst dort, wo man mich nicht gleich bemerkte. Ich liebte es, zu sehen wie die Natur sich Tag für Tag veränderte, wie alles, was war ging und irgendwann später wieder neu erstand. Das war der Kreislauf des Lebens, der sich immerzu drehte und niemals stillstehen würde. Ich hatte schon früh in meinem Leben begreifen müssen, daß auch auch ich, meine Familie und alle Menschen Teil dieses Kreislaufes waren. Spätestens an dem Tag andem meine Mutter starb und mein Vater mich damit tröstete, daß irgendwo ein neues Leben für das Leben meiner Mutter entstanden war, wurde mir klar, daß unser Dasein von stetigen Veränderungen geprägt war.
    Völlig in meinen Gedanken versunken, ließ ich mich schließlich irgendwo im Gras nieder, eine Melodie summend, ohne zu wissen, daß ich in das Refugium eines Anderen eingedrungen war.

  • Ganz fernab von Bridhes Kontemplation, die ich weder bemerkt, noch in meinem Schmerz sonstwie wahrgenommen hatte, führte ich dieselbe stumme Konversation mit mir selbst, die ich bereits schon am vorherigen Abend geführt hatte und die um immer dasselbe Thema kreiste, aus dem sie sich nicht befreien konnte, geschweige denn eine Antwort finden. Dass ich meinen Tempeldienst ganz unfein geschwänzt hatte, mochte man mit mit der Ausrede durchgehen lassen, ich müsste meine Kandidatur vorbereiten, und ich fühlte mich auch derzeitig nicht fähig, auch nur einen Moment lang den Sorgen anderer zu lauschen, ohne wie ein Verrückter zu brüllen und meine toga zu zerfetzen.
    Es war lange her, dass ich mich so ohnmächtig, so hilflos und zugleich so verloren gefühlt hatte wie an diesem Tag, und alles zusammen machte diese Stunden nicht gerade lebenswert. Warum ich mich erhob, in einer schnellen Bewegung, und mit der geballten Faust gegen eine der Holzsäulen donnerte, auf denen das Dach der Laube ruhte, wusste ich nicht, aber für einen Moment gab mir der heftige Schmerz in meiner Hand, der unweigerlich auf den lauten Hieb samt wackelnder Laube folgte, ein gewisses Maß an Linderung meiner inneren Pein. Das darauf folgende, aus tiefstem Herzen kommende Seufzen würde ja niemand hören ...

  • Ein Geräusch, wie der eines Schlages, gefolgt vom Herabrieseln einer Unmenge von Blättern, ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ängstlich sah ich mich um, ob man wohl meinen vermeintlichen Müßiggang bemerkt hatte.
    Mein Blick fiel zu einer Laube, die sich ganz in meiner Nähe befand. Von dort mußte wohl das Geräusch seinen Anfang genommen haben. Die letzten Blätter, die der Erschütterung nicht Stand gehalten hatten, fielen zu Boden. In der Laube erkannte ich schließlich Aquilius und ich wunderte mich über seine Anwesenheit. Wollte er nicht längst im Tempel sein? Ärgerte er sich jetzt womöglich über mich oder meine Abwesenheit? Man konnte nie wissen, was in diesen Römern vor sich ging. So sehr anders waren sie in ihrer Art.
    So beschloß ich, mich ihm zu nähern. Leise, wie eine Katze ging ich zur Laube hin. Er nahm mich gar nicht wahr. Zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt.
    Als ich direkt vor der Laube stand räusperte ich mich schließlich, um ihn nicht aufzuschrecken.


    Kann ich dir helfen, dominus?

  • Ich drückte die schmerzende Hand an die Säule, den Kopf dagegen lehnend, und es bedurfte einiger Augenblicke Zeit, bis mein Kopf überhaupt bemerkte, dass dort jemand war, dass mich dieser jemand angesprochen hatte und dass dieser jemand Bridhe war. In einem zum Scheitern verurteilten Versuch, wieder etwas Haltung zurück zu gewinnen, richtete ich mich auf, doch es konnte nichts in meiner Statur darüber hinwegtäuschen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.


    "Nein, Bridhe, Du kannst mir nicht helfen," sagte ich tonlos, fast ohne jegliche Modulation, auch wenn ich mir, als der Satz heraus war, fast auf die Zunge hätte beißen wollen ob der fehlenden Verschleierung meines Zustandes. Im Augenblick kann mir niemand helfen, dachte ich stumm und wandte den Blick wieder der Weide zu. Die Lippen aufeinander pressend, starrte ich auf den Baum, dessen Zweige sich im Wind wogten, als sei nichts geschehen, als wäre die Welt noch in Ordnung, auch wenn sie für mich in tausend Scherben lag. "Ich brauche Dich jetzt nicht, Du kannst ruhig wieder gehen." Es wäre besser, Du würdest gehen. Lass mich allein. Die Gedanken pulsierten in meinem Kopf, nahmen an Stärke und Intensität zu. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus.

  • Von der villa her kommend, wo Straton den Besucher samt seines begleitenden Sklaven aufgelesen hatte, ging der Grieche dem Aurelius Corvinus in großen, aber nicht zu schnellen Schritten voran. Der begleitende Sklave war elegant in Richtung der culina umdirigiert worden, denn für die meisten Gespräche brauchte ein Patrizier seine Begleitung nicht, aufgrund der Statur war ohnehin zu vermuten, dass der Sklave eher dem Schutz des Besuchers gedient hatte denn anderen Zwecken. Am ersten Ausläufer des Gartens, eines schön anzusehenden Zierbrunnens, umgeben von Rosenrabatten, die einen verlockenden Duft verströmten, hielt der Grieche inne.


    "Ich habe den dominus vorhin in den Garten gehen sehen, aber wo genau er sich befindet, kann ich Dir leider nicht sagen. Ich kann Dich natürlich noch hindurch führen, wenn Du es wünscht, doch besteht auch die Möglichkeit, einfach dem Weg zu folgen, der durch sämtliche Gartenbereiche führt - Du kannst ihn so im Grunde kaum verfehlen." Er überließ dem Patrizier die Entscheidung, und blieb abwartend stehen, den Aurelier dabei unauffällig musternd, sowohl die stattliche Gestalt, als auch das helle Haar.

  • Mittlerweile kannte ich ihn schon etwas und ich wußte genau, daß etwas nicht stimmte. Da konnte er mir nichts vormachen. Doch offensichtlich war nicht ich der Grund seiner Verstimmung. Eigentlich hätte ich jetzt gehen können, doch er machte mir wirklich Sorgen, wie er so da stand. Ich bemerkte, wie er immer noch seine Hand hielt. Sie mußte wohl immer noch schmerzen, denn damit hatte er wohl das Geräusch verursacht. Ich wußte zwar, daß dies nicht der Grund für seinen Schmerz war. Dieser Schmerz saß nicht äußerlich, sondern tief in ihm selbst.
    Seinen letzten Satz ignorierend ging ich, statt fort, direkt zu ihm hin und sah auf seine Hand.
    Du hast dich verletzt!,
    stellte ich erst fest. Dann ergriff ich seine Hand.
    Darf ich?

  • Heute hatte ich kaum ein Auge für die Erhabenheit des flavischen Anwesens. Der Schönheit des Gartens konnte ich ebensowenig etwas abgewinnen wie dem ansprechenden Ambiente des Interieurs. Das einzige, was mich abgesehen von meinem Vorhaben des Hilfsangebots tangierte, war die Betrübtheit, welche ich in den Augen meines Freundes abgelesen hatte. Daher schüttelte ich auch den Kopf, als der Sklave anbot, mich zu führen. Ich war hier schon einmal gewesen, und Aquilius in dem aufgeräumten Gartenstück zu finden, wäre einer der leichteren Dinge an diesem Tag. "Das wird nicht nötig sein. Hab Dank", erwiderte ich also bündig und nickte dem servus zu, ehe ich mich auf den Weg durch den Garten machte.


    Lange musste ich wirklich nicht suchen. Nahe einer aufragenden Weide, deren tiefhängende Zweige sachte im Wind hin und her pendelten, erspähte ich eine Sklavin, die vor einer Liege stand. Darauf musste Aquilius liegen, denn seine leise Stimme hatte ich eben vernommen, auch wenn der ansehnliche Körper der Sklavin die Sicht weitestgehend verdeckte. Ungeachtet der Möglichkeit, dass ich ein beginnendes Techtelmechtel stören könnte, räusperte ich mich vernehmlich und trat hervor. Mit langsamen Schritten näherte ich mich der Liege, die Sklavin ignorierend, und setzte mich, nicht zuletzt in Ermangelung einer weiteren Sitzgelegenheit, schlicht an den Rand der cline, auf weächer tatsächlich Aquilius saß. Ernst musterte ich ihn. "Salve, mein Freund. Ich hatte gehofft, du hättest etwas Zeit", grüßte ich, als ich bereits saß.

  • "Es ist nichts," sagte ich auf Bridhes Worte, als sie von einer Verletzung sprach. Die eigentliche Wunde liegt viel tiefer, viel tiefer. Gracchus und Corvinus. Ich konnte einfach an nichts anderes mehr denken und wehrte mich auch nicht, als sie meine Hand in die ihre nahm, ihre Finger die schmerzenden Stellen berührten, die ein dumpfes Echo in meinem Arm hinterließen. Aber ich zuckte nicht einmal, als sei alles in mir taub und leer geworden. "Es tut nicht weh, Bridhe. Du siehst, alles ist in Ordnung." Wieder gelang es mir nicht, das übliche, von meinen Gedanken ablenkende Lächeln zu fabrizieren, selbst dieses Lächeln, das man wie eine Maske tragen konnte, war am gestrigen Abend zerbrochen. Wie ein Techtelmechtel sah das hier nicht wirklich aus, und als mein Blick der Bewegung von Bridhes Fingern folgte, sah ich auf meine Hand herab, genauso starr und unbewegt wie zuvor auf die Weide, ohne wirklich zu erkennen, was ich sah.


    Dann erklang diese Stimme, die meine Welt zerstört hatte, und ich konnte nicht anders, ich zuckte zusammen und mein Blick raste zu Corvinus. Wieso war er hier? Was wollte er denn noch, hatte er mir nicht alles genommen, was ich jemals geglaubt hatte zu besitzen? Das einzige, was wirklich etwas bedeutet hatte für mich, hatte er sich doch längst gesichert. Wollte er sich an meinem Leid weiden, zusehen, wie ich mit diesem Schmerz zu leben versuchte? Wieso hatte man ihn hierher gelassen, an diesen letzten, einsamen Ort meiner Zuflucht, der nun gar nicht mehr einsam war? Warum jetzt, warum er? Die Fragen rasten durch meinen Kopf. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus. Die cline bewegte sich, als er sich setzte und ich musste mich sehr bezähmen, nicht aufzuspringen und mich aus seiner Nähe zu bringen.
    "Salve, Corvinus ... was führt Dich denn hierher?" Meine Stimme funktionierte noch, auch wenn mein Kopf über die Worte nicht nachgedacht hatte. Wenigstens war Bridhe da. Wenigstens war ich nicht allein mit ihm.

  • Immer noch hielt ich seine Hand in der meinen. Doch es war mir klar, sein Schmerz steckte nicht in der angeschlagenen Hand, sondern saß fest im Herz. Seiner Reaktion nach zu urteilen, scheute er sich offenbar mit mir darüber reden. Was ich in gewisser Weise auch verstehen konnte. Doch irgendetwas in mir wehrte sich, ihn sich selbst hier zu überlassen.
    Manchmal ist es besser, über den Schmerz zu sprechen, der einem plagt.


    Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, hörte ich, wie sich plötzlich Schritte näherten. Ich drehte mich um und erkannte, diesen Aurelier, in dessen Haus wir vor einiger Zeit waren.
    Einfach so, ließ er sich auf der zweiten Kline nieder und begann zu erzählen, so als ob er hier zu Hause wäre. Mich ignorierte er natürlich dabei.
    Doch noch erstaunlicher war, wie Aquilius sein Erscheinen quittierte. Es war etwas eisiges in seiner Stimme. Nichts deutete in diesem Moment darauf hin, daß die beiden Männer Freunde waren.
    In dieser Situation begann ich mich dann doch etwas unwohl zu fühlen.


    Ich gehe dann wohl besser, dominus. Soll ich noch etwas bringen?

  • "Für manche Wahrheiten gibt es keine Worte, Bridhe, und für diese ist es wohl besser, wenn niemals wieder darüber gesprochen wird," sagte ich langsam, ohne sie anzublicken, um dann den Kopf zu schütteln. Ich konnte mich nicht erleichtern, nicht hier, nicht bei ihr, bei keinem Menschen mehr, denn der Mensch, bei dem ich geglaubt hatte, viele Sorgen lassen zu können, war mir mit einem Mal unendlich fremd und fern geworden. Meine Hand in ihren warmen Fingern kam mir eiskalt vor, und ich zog sie langsam zurück, damit sie das Zittern nicht bemerkte, das mir durch den Arm glitt. Es war besser so, diese letzte Schwäche für mich zu behalten, bis es mir irgendwann nicht mehr weh tun würde. Irgendwann, wann immer dies auch sein mochte.
    "Bring mir noch frischen Wein und einen zweiten Becher - und dann kannst Du ... kannst Du Dir für heute frei nehmen," antwortete ich ihr fast mechanisch, denn Corvinus war hier, und ich was immer gesprochen werden würde, es würde mich bloßstellen und schmerzen, das sollte sie nicht hören, wenigstens mein eigener Haushalt sollte den Respekt vor mir nicht verlieren, wenn es schon mein Geliebter und mein einstmals bester Freund getan hatten. So blickte ich zu Corvinus und gleichzeitig durch ihn hindurch, denn im Grunde war er als der Mann, den ich einmal gekannt zu haben geglaubt hatte, nicht mehr vorhanden.

  • Die kaum verhohlene Eisigkeit im Blick Aquilius' machte mich auf Anhieb stutzig. Er hatte doch nie von seiner Base gesprochen, wenn wir zusammen waren, wie konnte ihr Tod ihn da nun so treffen? Andererseits traf der Tod eines Familienmitgliedes wohl jeden mehr oder weniger, sagte ich mir und verzieh ihm sogleich die Art, mit der er mich ansah. Ich schenkte ihm ein kurzes aufmunterndes Lächeln, das wohl aber seine Wirkung verfehlte, denn der abweisende Ton in seiner Stimme war kaum zu überhören. Erst jetzt musterte ich, froh über einen kurzen Aufschub der Unterhaltung, die Sklavin, die sich scheinends aus dem Staub machen wollte. Ob sie sich mit der gleichen Intensität fehl am Platze fühlte wie ich plötzlich? Ich wartete, bis Aquilius ihr eine Weisung gegeben hatte, ehe ich auf seine seltsame Frage antwortete.


    "Ist die Sorge um meinen besten Freund und seinen Vetter denn nicht Grund genug für einen Besuch?" stellte ich mit ihm zugewandtem Gesicht eine Gegenfrage. Meine braunen Augen bohrten sich forschend in die seinen. War da mehr als der Schmerz über den Verlust einer Base? "Wie geht es dir, Caius? Und wie geht es Gracchus?" fragte ich. Als Bruder der Verstorbenen musste ihm dieser Mord förmlich ein Loch in die Seele gerissen haben. Ich dachte an meine Eltern - ich wusste, wovon ich sprach. "Ich war heute morgen bereits im Tempel der Vesta, noch vor der salutatio. Die Vestalinnen halten eine Ehrenwache am Lager Agrippinas. Sie wirkt jetzt sehr friedlich." Schneeweiß war sie, wie das Hemdchen, das sie trug. Die Jungfrauen hatten sie gewaschen und ihr Haar gerichtet. Eine duftende Hibiscusblüte hatte darin gesteckt. Ich hatte diesem Anblick nicht lange standhalten können, bis ich der kleinen Kammer mit der weihrauchgeschwängerten Luft wieder entflohen war. Obwohl mich mit ihr als Mensch nichts verband, so hatte Gracchus mit seinen Worten am gestrigen Tage doch recht gehabt. Diese Frau hatte die Unschuld Roms und die pax deorum per se so verkörpert, wie kein anderer Mensch. Es war nicht nur ein frevelhafter Mord, sondern gleichsam ein Streich gegen die Götter selbst, den der Mörder geführt hatte.

  • Was war nur mit ihm? Ich konnte es mir nicht erklären. Könnte ich doch nur in sein Innerstes schauen! Doch diese Gabe blieb mir leider verwehrt.
    So machte ich mich auf den Weg, um einen zweiten Becher und einen Krug, frischen Weins zu besorgen. Es dauerte nicht lange, bis ich wieder zurück zur Laube kam. Die Stimmung schien immer noch eisig zu sein. Schnell reichte ich dem Besucher den Becher, gefüllt mit Wein, schenkte meinem Herrn ebenfalls noch einmal nach und stellte den Krug ab.
    Dann verließ ich die Laube wieder. War es etwa das Gehühl, sich Sorgen um ihn machen zu müssen, was mich dann endlich dazu bewog nur aus der Sichtweite, nicht aber aus der Hörweite der Laube zu treten?
    Ich versteckte mich hinter einem Busch, der so dicht gewachsen war, so das man mich nicht sehen konnte. Gespannt wollte ich dem Gespräch lauschen.

  • Bridhes Kommen und Gehen entglitt meiner Aufmerksamkeit fast vollständig, genauso wie die Umgebung zusehends um mich herum verblasste und die Welt sich auf nur einen einzigen Dreh- und Angelpunkt fokussierte: Corvinus. Er musste gekommen sein, meiner auch noch zu spotten, genau deswegen saß er nun hier und bohrte einmal mehr in meiner Wunde, dieser Wunde, die ich schon ohne seine Boshaftigkeit alleine kaum ertragen konnte. Immer hatte ich darunter gelitten, dem einzigen Menschen, dem meine Liebe galt, nicht nah sein zu können, und dass er nun Gracchus dauernd erwähnte, sogar gesondert zu betonen schien, ließ mich fast atemlos zurück, in einer Welt, die nur noch von Dornen und Spitzen angefüllt war. "Es geht mir gut," sagte ich mechanisch, ohne darüber nachgedacht zu haben, auch wenn dies offensichtlich eine Lüge war. Was sollte man auch sonst sagen? Du hast mich betrogen, belogen, und ich verabscheue Dich! Auch wenn meine Lippen sich nicht bewegten, meine Augen mussten mich verraten, und so wandte ich den Blick ab, einen Schluck Wein aus dem Becher nehmend, der für mich bereitstand. Selbst der Wein schmeckte sauer und bitter, genau, wie ich mich fühlte. "Wie es Gracchus geht, weiss ich nicht, das weisst Du sicherlich besser als ich, wir haben uns seit gestern nicht gesehen."


    Wie konnte er es auch nur wagen, mich das zu fragen? Spott, dein Name ist Aurelius! Die Weide bewegte ihre Zweige, unbeeindruckt von all den unausgesprochenen Dingen, die förmlich in der Luft knisterten, unbeeindruckt von dem Leid, das ich mit aller Gewalt unterdrückt hielt, um mich nicht zu sehr zu offenbaren.
    "Der Mord an der virgo vestalis maxima ist das entsetzlichste Verbrechen der letzten Monate hier in Rom, und ich befürchte das Schlimmste für das Imperium, vor allem für den Krieg in Parthia," sagte ich nach einer Weile mühsam, um überhaupt ein Gespräch in Gang zu halten. Ich wollte nichts von Agrippina hören, deren schönes Gesicht im Tod so abscheulich verzerrt gewesen war, befleckt vom dunklen Blut, das den Tempel und ihren reinen Körper gleichermaßen befleckt hatte, wie auch der Verrat meines Freundes und meines Geliebten diese Welt befleckt hatte, in der ich bisher wie ein dummes Kind gelebt hatte. Ein blindes, dummes Kind. Im Augenblick war ich nichts weiter als eine Puppe, ein Schauspieler im endlosen Drama des Lebens, der mit dem Menschen unter der Maske nicht mehr viel zu tun hatte.

  • Flink holte die Sklavin Wein herbei und schenkte ein, was mir ein wenig Zeit verschaffte, um erneut kurz über Aquilius und die kürzlich geschehenen Dinge nachzudenken. Seine Antwort auf meine Frage mochte einen Fremden täuschen, aber jeder, der ihn nur ein wenig näher kannte, würde die Funktion des Satzes Es geht mir gut in genau diesem Moment erkennen können. Ich mochte ihn zwar nicht so gut kennen wie seine Familie, doch ich erkannte den Versuch hinter seinen Worten, einer weiteren Befragung zu entgehen. Mit nachdenklichem Ausdruck sah ich zu, wie er sich seinem Wein widmete, während ich selbst den Becher vorerst nur in der Hand drehte. Es gab so vieles, dass ich hätte loswerden können, angefangen bei der Trennung von Deandra über das Resümee der Meditrinalia bis hin zu meiner Ernennung zum septemvir und dem gestrigen heftigen Streit mit Ursus. Doch ich stellte dies alles hintenan, denn ich sah, dass es Aquilius nicht gut ging, und sein Wohlbefinden war mir schlicht wichtiger. Man mochte Männern auch in späterer Zeit noch nachsagen, sie seien gefühlskalte Klötze aus starrem Eis, doch dass er mich nicht ansah, bemerkte ich genau, und ich konnte nicht leugnen, dass mich dieser Umstand in gewisser Weise schmerzte.


    Das sachte Wogen der Weidenzweige, begleitet von einem kühlen Luftzug, passte zur Situation wie Kohle in eine Opferschale. Die Stimmung war angespannt und seltsam, ich fühlte mich unwohl und konnte nicht einmal genau sagen, das der Grund hierfür war. Schweigend studierte ich das Verhalten des Mannes, der dort auf der Liege lag, auf deren Rand ich saß. Der Streit mit Ursus hatte mir schon schlimmer zugesetzt, als ich jemals vermutet hätte - seine Anschuldigungen waren verletzend gewesen - ich wollte nicht auch noch mit Aquilius im Clinch liegen. Als er nach einer Weile von Agrippina sprach und von den Konsequenzen, die ihr Tod für das Reich bedeutete, dachte ich nochmals über die gestrige Situation nach. Aquilius war zu Gracchus und mir gestoßen, als sie die Vestalin gerade heringetragen hatten. Sicherlich hatte er mein blutbesudeltes Gewand gesehen, meine blutverschmierten Hände. Unschuldiges Blut, das an meiner Haut klebte. Nun war ich es, der den Kopf abwandte, ich starrte jetzt hinüber zur Weide.


    "Es geht dir nicht gut, Caius" stellte ich nüchtern fest. "Ist es, weil ich ihr Blut an meinen Händen hatte? Denkst du gar, ich selbst hätte mich an ihr vergangen?" Ich drehte den Kopf und sah ihn an, die Lippen aufeinander gepresst. Das Ende der Freundschaft schien mit dem Windhauch in greifbare Nähe gekommen zu sein. Aber ich würde mich nicht davon einschüchtern lassen, noch von der falschen Annahme, welche Agrippina betraf und welche Aquilius' Denken auszufüllen schien.

  • Er hakte nach. Natürlich. Denn sonst wäre das falsche Spiel herausgekommen, das er trieb. Er musste sich als der gute Freund erweisen, derjenige, der sich Gedanken über mich machte, um dann unschuldig und arglos zu wirken, wenn irgendwann einmal etwas von seiner Liebe zu Gracchus herauskommen würde. Wahrscheinlich, um mich am Ende noch als Leumundszeugen aufbieten zu können, sollte sein Ruf unter diesem desaströsen Verhältnis leiden. Meine Finger streckten sich, ballten sich zur Faust, die Fingerknöchel wurden weiß und zeichneten sich gegen meine braune Haut überdeutlich ab - am liebsten hätte ich ihm die Faust in sein falsches Gesicht gerammt, dieses verdammte heuchlerische Getue aus ihm herausprügeln, damit er mich niemals wieder anlügen würde!
    Wenig gab es, was ich wirklich hasste, was mich an einem Menschen abgrundtief abstieß, und eins der wenigen Dinge war Unehrlichkeit, war das falsche Lächeln, während die Lüge ausgesprochen wurde und der Lügner noch glaubte, damit durchkommen zu können. Hatte ich mich denn so sehr in ihm getäuscht?


    "Warum sollte ich glauben, dass Du es gewesen wärst?" Das war doch wohl der größte Blödsinn, den ich jemals gehört hatte. "Es gibt doch keinen Grund dafür. Und die Menge hätte wohl jeden, der irgendwo im Verdacht stünde, ihr dies angetan zu haben, bereits zerfetzt und durch die Stadt geschleift." Ja, in Fetzen, blutend ... das Bild vor meinen Augen schien mir einen Moment lang unglaublich verlockend, ihn einfach nur auf dem Boden zu sehen, Genugtuung für meinen Schmerz erhalten zu haben, triumphierend über ihm zu stehen - und gleichzeitig mischte sich dieses Bild mit dem der Leiche Agrippinas, das Gesicht im Todesschmerz verzerrt, ihr Körper blutig, die dunkelrote Lache auf dem hellen Marmorboden der Tempelstufen ... nein. Ich kniff die Augen zusammen, atmete schwer und schwerer, nicht einmal dazu war ich fähig, diesen Mann tot sehen zu wollen, ich konnte es nicht. Wahrscheinlich geschah mir das alles Recht. Wer schwach war, konnte sich auch nicht anmaßen, einen Menschen wie Gracchus halten zu dürfen, er hatte anderes verdient. Einen stärkeren Mann. Der Wind fuhr mir eisig durch das Haar, ließ die Bäume um uns herum rauschen, als flüsterten sie ein Todeslied.


    "Wenigstens konntest Du Gracchus beistehen," sagte ich tonlos, und das Messer meiner eigenen Worte fuhr bei diesen Worten umso tiefer in meine Eingeweide, als müsste ich mir durch eigene Hand all diesen Schmerz irgendwie herausbrechen, damit es enden würde, egal, wie es dann endete. Gracchus. Mein Manius. Ich war zu schwach gewesen, das musste es sein. Vielleicht hätte ich ihn irgendwann verführen sollen, entgegen seiner Worte, entgegen seiner Taten, und seinen Willen brechen durch den meinen, durch diese nie endende Sehnsucht, die uns beide verkrüppelt hatte. Selbst jetzt, da ich wusste, was sie nun teilten, konnte ich nichts anderes tun als seinen Namen zu nennen, wie ein Verlorener.

  • Ich antwortete nicht sofort auf seine Gegenfrage. Vielmehr bohrte ich meinen Blick in seinen, zu ergründen suchend, was es war, das ihn zermürbte, denn dass ihn etwas zermürbte, hätte selbst ein Blinder bemerkt. Seine Worte klangen platt und emotionslos, gleichgültig und leblos, kurzum: gar nicht so, wie er hätte klingen sollen. Dennoch erleichtert, seufzte ich erneut, um dann mit einer Schulter zu zucken und die Falten meiner toga halb zu Fall zu bringen. "Ich habe nicht die leiseste Ahnung", erwiderte ich und schwenkte den Wein im Becher herum. Die dunkelroten Miniaturwogen zogen mich in ihren Bann, wie sie an den Seiten des Gefäßes hinaufleckten, sie benetzten und doch trocken zurückließen. Ich riss den Blick los und nahm einen Schluck. Von Aquilius' körperlicher Anspannung bemerkte ich nichts.


    Stumm lauschte ich dem Wind um uns herum. Minuten mussten wohl so vergangen sein, bis endlich wieder einer von uns die entstandene, befangene Stille zu unterbrechen wagte. Aquilius' Bemerkung verriet mir, dass auch er über den gestrigen Tag nachdachte, über die Situation auf den Stufen des Tempels. Nachdenklich neigte ich den Kopf hin und her, was man mit viel gutem Willen als Nicken bezeichnen konnte. "Ja", sagte ich schlicht, und wieder entstand die Stille zwischen uns, zwischen zwei Männern, die doch Freunde waren und sich dennoch nichts mehr zu sagen wussten. Das musste doch zu ändern sein! Nur wie? Er verbarg vor mir den Grund, aus dem es ihm schlecht ging. Wie sollte ich ihm da helfen können? Meine Brauen zogen sich missmutig zusammen. "Caius", begann ich, stellte den Becher fort und legte eine Hand auf sein Schienbein, neben dem ich saß. "Ich weiß nicht, was es ist, dass dich zerfrisst, aber wenn du es mit mir teilst, vermag ich dir vielleicht zu helfen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man. Daran muss doch etwas dran sein, also lass es uns herausfinden." Ich kratzte das letzte bisschen Zuversicht zusammen und brachte es in einem Lächeln zum Ausdruck. Wie gut das gelang, wusste ich nicht, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass es sonderlich überzeugend gewesen war. Mir wurde kalt, abgesehen von jener Hand, die auf seinem Bein ruhte. Es ist lange her gewesen.

  • Ich konnte nicht einmal mehr sprechen, selbst dazu fehlte mir die innere Kraft. Leblos saß ich da, auf dieser cline, an jenem Ort, an dem ich mich wenigstens für einige Stunden hatte vor der Welt sicher gewähnt, die nun in der Gestalt meines einstigen Freundes wieder über mich hereingebrochen war. Wie sehr wünschte ich, Severus hätte gerade mal wieder jemanden entführt, auf dass ich diesem Moment hätte entfliegen können, fort reiten, und dann niemals wieder zurückkehren. Nicht einmal Bridhe mit ihrer oft vorlauten, vorwitzigen Art tappte durch den Garten, laut nach mir rufend, oder irgend etwas, das die Stille zerreissen, das Verstreichen der Augenblicke weniger zäh und quälend machen würde. Meinetwegen hätte die ganze verfluchte villa einstürzen können, in der alle Bewohner doch nur unglücklich wurden, es hätte mich aus diesem Moment gerettet, vor Corvinus und seiner falschen Freundlichkeit und der Lust, mich und ihn zu entleiben, damit es vorüber war. Gracchus wäre frei dann, könnte endlich leben, vergessen, mich vergessen, und ich wäre gestorben, indem ich wüsste, dass er niemals wieder von Corvinus berührt würde.


    "Du kannst mir nicht helfen," würgte ich mühsam hervor und musste den Drang unterdrücken, ihn mit meinem Fuß wegzustoßen, dieser Hand zu entkommen, die mir klebriger und widerlicher schien als eine Qualle frisch aus dem Meer auf der nackten Haut. "Und es gibt auch nichts mehr herauszufinden, denn wo es nichts mehr gibt, gibt es auch nichts zu finden," fügte ich an, die Stimme monoton geblieben, doch mit einer Andeutung der Qual, die mich jedes Wort kostete. "Was willst Du, Marcus? Willst Du Dich an dem weiden, was Du siehst? Reicht es nicht, dass es alle Welt sehen konnte? Musst Du mich nun auch noch ... besuchen .. und mir vorführen, wie gut es Dir dabei geht? Geh, und komm nicht wieder, ich will Dich nicht mehr sehen!"
    Die letzten Worte hatte ich ihm nur noch entgegen gezischt, ohnmächtig vor Wut starrte ich ihn an, denn auslachen würde ich mich nicht lassen, so tief war ich noch nicht gesunken, wenigstens diesen letzten, kleinen Rest meiner verloren gegangenen Würde raffte ich zitternd an mich und presste ihn im Geiste an meine Brust. "Hast Du mir nicht genommen, was ich ... geliebt habe ... den einzigen Menschen, der es für mich auf dieser verdammten Welt wert war ... und es mir und Rom gleichermaßen auch noch vorführen müssen? Es reicht, Marcus, es reicht! Ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr."

  • War ich zu Anfang noch recht zuversichtlich gewesen, dass sich seine Missstimmung bald legen oder er mir zumindest offenbaren würde, was ihn betrübte, so blieb mir bei seiner Abweisung nurmehr übrig, enttäuscht zu sein. Der Wind zog kalt durch den Garten, fuhr raschelnd durch die Blätter und strich geräuschlos um die Stämme der Bäume, die mit der zunehmenden Abwesenheit des Lichts immer bedrohlicher wirkten. Es war nicht der Impuls, der Aquilius durchströmte und in ihm den Wunsch aufflammen ließ, so weit als möglich von mir fort zu kommen, der mich dazu brachte, die Hand fortzunehmen, sondern mein Respekt vor seiner abwehrenden Haltung. Ich hatte ihm niemals etwas aufgezwungen oder entgegen seines Willens getan, und das würde ich auch jetzt nicht tun. Unsere Freundschaft war aus einer mehr oder minder verzwickten Konstellation heraus erwachsen, und mein Weggang nach Germanien hatte diesen rein freundschaftlichen Umgang noch einmal gefestigt, allein schon ob meiner Abwesenheit und der Reduktion auf briefliche Korrespondenz. Sie hatte stets aus einer ausgewogenen Mischung beidseitigem Gebens und Nehmens bestanden. Es wäre ein Fehler, jetzt etwas zu geben, obwohl er es nicht annehmen wollte. Schon wollte ich etwas erwidern, als mir das respektierende Wort sprichwörtlich im Halse stecken blieb.


    Wie ein Fisch auf dem Trockenen stand der Mund einen Moment offen, ehe ich ihn zuklappte und Aquilius einfach nur anstarrte. Wo ist nichts mehr gibt, ist nichts zu finden. Ich starrte. Auch die Hand war nun eisig wie der Körper selbst. Immer noch starrte ich. Er meinte es nicht so. Irgendetwas hatte ihn verletzt, und es hatte mit mir zu tun, weswegen er mir gram war. So zumindest argumentierte der rein logische Verstand. Ursus fiel mir ein, der Streit mit ihm. Deandra, die ich verstoßen hatte. Alles zerbricht! kicherte eine wahnwitzige Stimme irgendwo hinter meiner Stirn. Wie einen Schlag ins Gesicht nahm ich den Ton war, mit dem er meinen praenomen aussprach, ausspuckte, als wäre er ein widerwärtiger Batzen grünen Schleims. Jedes Wort klingelte in meinen Ohren, sein Mund verzog sich zu harten Zischlauten und fügte sich auf eine absurd harmonische Weise ins Gesamtgefüge der Welt dieses Gartens ein, während ich steif wie ein Brett neben Aquilius auf der cline saß und nichts weiter tat als ihn einfach nur anzustarrten, denn bewegen konnte ich mich nicht.


    Das Funkeln seiner Augen war so angefüllt mit Zorn, dass ich den vagen Schimmer der Verzweiflung dahinter um ein Haar nicht wahrgenommen hätte, und doch gewahrte ich ihn, starrte ich doch noch immer. Geh und komm nicht wieder, ich will dich nicht mehr sehen. Ein Frösteln ließ mich kurz erzittern und löste die Starre, die mich erfasst hatte. "Ich", begann ich, brach dann jedoch ab, als ich hörte, wie seltsam meine eigene Stimme klang. Irritiert blinzelte ich und wollte einen erneuten Versuch starten, als Aquilius bereits weitersprach. Erneut starrte ich, nun aber fassungslos, unverständlich, sprachlos.


    Bis es mir dämmerte.


    Agrippina! Nein, das konnte nicht sein...oder doch? Tumb schüttelte ich den Kopf, als würde ich damit den absurden Gedanken fallen lassen können. Ein Marspriester und eine Vestalin? Nicht nur eine Vestalin, sondern die Vestalin? Und doch glaubte er, dass ich sie der Welt entrissen hatte, er gab mir die Schuld an diesem Verlust. Und doch... Ich stand da wie ein Ochs vorm Berg. Etwas übersah ich, etwas Wichtiges, doch was nur? Der Drang nach Bewegung würde übermächtig, ich musste aufstehen, herumgehen, nachdenken. Das hatte ich von Vater geerbt, auch er war stets umhergewandelt, wenn er hatte nachdenken müssen. Geh und komm nicht wieder! Es reicht, Marcus, es reicht! Ich kann nicht mehr. Ich will dich nicht mehr sehen! Es schmerzte, oh ja. Und zwar mehr, als ich jemals zugegeben hätte. Nahe der Weide blieb ich stehen, den Rücken ihm zugewandt. "Du und.... Ihr....?" fragte ich matt und nicht minder tonlos als er. Meine Stimme schwankte, ich begriff nicht, warum er mich verbannte. Ich hätte ihr geholfen, wenn ich es vermocht hätte, doch ihr Leben war durch meine Finger geronnen wie Sand durch die Hände eines Dürstenden in der Wüste.

  • "Es gibt kein ihr .." Jetzt hatte ich gebrüllt, sicher weithin durch den Garten hörbar, auch für irgendwelche versprengten Sklaven, die sich mit der Aufgabe herumschlagen durften, Felix' wuchernden Garten zu bändigen. An jedem anderen Tag hätte ich meine Stimme gemäßigt, den Zorn gebändigt, der in mir pulsierte, aber heute war mir das nicht mehr möglich, verkauft, verraten. Und abermals verraten und verkauft. Hatte Gracchus ihm denn gar nichts von mir erzählt? War ich ihm so wenig wichtig gewesen, dass er nicht einmal seinem neuen Geliebten gegenüber irgend etwas gesagt hatte, nicht auch nur ein einziges Wort? Ich wusste ja, dass er den Namen der Familie um jeden Preis rein halten wollte, vielleicht hatte er mich sogar schützen wollen, aber dieses verletzte und überraschte Gesicht meines ehemaligen Freundes gab mir einfach den Rest. Es war der letzte Hieb einer zerstörerischen Schlägeserie, und dieser letzte Hieb durchtrennte den schützenden Maskenschild endgültig, den ich so oft zwischen mich und den Rest der Welt erhob.


    "Du kannst Dir nicht vorstellen, wie es ist ... ein Leben lang zu hoffen. Zu ersehnen. Immer genau zu wissen, ich müsste nur eine Hand ausstrecken, um diese Haut zu berühren. Nur einen Schritt tun zu müssen, um nur einen einzigen Kuss zu erspüren. Nur einen einzigen Schwur zu brechen, um endlich alles so sagen zu können, wie man es fühlt ..." meine Stimme brach vor Anstrengung, die tausendfachen Dinge in Worte zu fassen, die ich sagen wollte und doch nicht konnte, das ganze Elend der verstrichenen Jahre zum Ausdruck zu bringen, dieses ewige Schwanken zwischen Selbstbeherrschung und enttäuschter und immer wieder enttäuschter Hoffnung, die einem nur das Herz weiter zerreissen konnte. "Hast Du nicht Deandra? Sagtest Du nicht, ihr liebtet euch? Warum hast Du es nicht dabei belassen, Marcus, ich frage es Dich! Warum musstest Du mir das wenige nehmen, worauf ich hoffen konnte? Ich wünschte, ich wäre tot! Wie konntest Du ihn nur in der Öffentlichkeit so berühren? Wie konntest Du nur?! Willst Du euch beide bloßstellen, das Verbotene in die Öffentlichkeit tragen, damit es jeder sieht?"


    Ich hatte mich ruckartig von der cline erhoben, war einige Schritte durch die Laube gegangen, die für mich jetzt jegliche Ruhe eingebüßt hatte, die ich mir dort erhofft hatte. In einem zwischen Schmerz und Leid knirschenden Stöhnen griff ich nach dem kleinen Tischchen, das dort unschuldig und zierlich in der Ecke stand, und schleuderte es gegen eine der freien Säulen der Laube, wo es zersplitterte und krachend zerstört wurde, die Holzfetzen prasselten um uns herum zu Boden und ich atmete tief durch, blieb mit heftig klopfendem Herzen stehen, auf die Trümmer starrend, die so gut versinnbildlichten, wie ich mich gerade fühlte. "Du solltest gut überlegen, ob Du Deine Verwandte an die Flavia verheiraten willst, denn alles, was wir haben, was uns bleibt, ist der verdammte Tod!" Dieser Schrei gellte nun wirklich über den einst friedlichen hortus, und es war auch der Moment, in dem ich auf meine Knie sank, auf einige der Holztrümmer herab, und nur noch sitzen blieb, als sei sämtliches Leben aus mir gewichen.

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