Manchmal hatte es seine Vorteile, wenn man sich in der Gegend ein wenig umsah, in der man wohnte. In Hispania hatte mir das eine recht genaue Kenntnis aller freundlichen Nachbarshausfrauen eingebracht, die gern bereit waren, einem Jungen und seinem Spielgefährten (der zufällig auch sein Sklave war) ein bisschen Naschwerk zuzustecken. Hier in Rom hatte es mich im weitläufigen hortus der villa Flavia an einen Ort geführt, an dem wohl Flavius Felix, mein rühriger Vetter, bisweilig einige ruhige Stunden genossen hatte. Die kleine Laube mit efeuumrankten Stützssäulen für das Dach befand sich gut versteckt hinter einer Weide, deren Äste schon so lang gewachsen waren, dass sie den Boden fast berührten. Es sah so friedlich aus, wenn durch einen lauen Wind etwas Bewegung in dieses Meer aus Blättern kam, ein vages Rauschen zu vernehmen war, welches das An- und Abschwellen der Meereswogen so treffend imitierte. Die Laube war verlassen gewesen, einige Schriftrollen mit Aufzeichnungen Ciceros hatte ich unter der kleinen, gepolsterten Sitzbank gefunden, die sich hier ebenso befand wie ein kleiner Beistelltisch, wohl ein geeigneter Ort, um ab und an Getränke darauf zu deponieren, oder vielleicht auch einen Teller mit Häppchen.
Man konnte meinen, an diesen Ort käme niemand sonst, verzaubernde Stille, die das Leid der Welt für einige Momente lang auszuschließen imstande war. Selbst eine Kline befand sich hier, ausreichend für zwei Personen, einige weiche Kissen lagen darauf, und der Schnitt der die Laube umgebende Hecke wies darauf hin, dass hier zwar regelmäßig gearbeitet, aber ansonsten alles andere getrost vernachlässigt wurde. Vielleicht der beste Ort für mich, mit all den Dingen herzukommen, die mich belasteten, mit all dem Schmerz allein zu sein, über den ich mit niemandem sprechen konnte.
Das einzige Zugeständnis an meinen persönlichen Geschmack war eine Statuette des Mars, die seit meiner stillen Inbesitznahme dieses Refugiums auf dem Beistelltisch zu finden war und mir half, meine Gedanken zu fokussieren. Noch immer fühlte ich mich müde, leer und kalt, obwohl es eigentlich recht warm war, bedachte man die Jahreszeit. Das Wetter war wirklich nichts, worüber ich hätte klagen können, und doch wirkte auch der strahlende Sonnenschein dieses Tages trübe und grau auf mich.
Auch wenn ich es versuchte, ich bekam dieses Bild nicht aus dem Kopf, dieses Bild, das sich in mein Innerstes eingebrannt hatte wie mit einem Brandeisen gesetzt: Manius auf den Stufen des Vestatempels, während Corvinus bei ihm stand, eine Hand auf der Manius', sich gegenseitig Trost und Halt spendend. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus. Jeder Herzschlag sprudelte die beiden Namen durch meine Adern, hinterließ eine brennende Spur des Leids in meinem Inneren. War das die vielgerühmte Liebe? Sie hatte mir nur immer Leid gebracht, immer nur eine Sehnsucht, die mir nicht erfüllt wurde. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mich nie an Flavius Aquilius, den Patrizier erinnert. Caius der Fischer hatte glücklicher gelebt, einfacher gelebt, er hätte eine Familie gehabt, eine Frau, einen Sohn. Und weglaufen konnte ich jetzt nicht mehr, nicht mit der Aussicht auf eine politische Karriere, auf eine Hochzeit, auf all die Dinge, die mein Vater niemals zu seinem Vorteil hatte wenden können. Der Schaden für die Familie wäre noch viel größer, würde ich nun den einfacheren Weg gehen. Aber es half alles nichts: Der jetztige Weg schmerzte, als wollte ich mich in zwei Teile zerreißen, der bittere Klumpen in meinem Hals wollte und wollte nicht herunterrutschen.
So saß ich auf der Kline, starrte auf die sich bewegenden Zweige der Weide und ließ die Zeit vergehen, denn die Welt stand ohnehin für mich still. Gracchus und Corvinus, Gracchus und Corvinus. Niemals hätte ich gedacht, dass es so enden würde. Niemals. Und ich wusste nicht einmal zu sagen, welcher Verrat sich schlimmer und bitterer anfühlte, der meines Manius oder der meines einstmals besten Freundes. Einen Kuss hatte ich mit Marcus getauscht, und viele Gedanken, aber nicht mehr, ich hatte auch nicht mehr gekonnt, war die Nähe Manius' in meinem Herzen doch stets übermächtig gewesen. Und nun? Mich floh er, und trug seine Liebe an einen anderen Ort, der ebenso verboten wie verpönt war.
Stumm blieb ich, und keins der Worte, die sich an die Oberfläche drängten, konnte ich aussprechen, fürchtete ich doch, es würde dieses Mal mehr Konsequenzen haben als nur zerstörte Möbel. Dieses Mal war auch in mir alles zerstört.
Wer will, der kann