Versuch eines Sühneopfers

  • Der Widder hat seinen Auftritt, schlendert mit dem Hinterteil wackelnd neben den camilli zum Altarbezirk, wo er, an einen Bodenring angekettet, wartet. Er ist von einer Warteschleife in die nächste gewechselt.


    Ich wandere einige Schritte mit, aber nicht zu nah. Jetzt bleibt mir zunächst nur, mich auf meine natürliche Gabe zu besinnen, dekorativ in der Gegend herumzustehen. Die Leute geben endlich Ruhe, hie und da ist die Stimme eines Kindes hörbar, die über den Platz schallt und gleich darauf von beruhigenden oder leicht genervten Worten eines Erwachsenens eingedämmt wird. 'Hoffentlich läßt der Widder keine Köttel fallen, das würde das ganze feierliche Bild ruinieren', denke ich plötzlich. Ich zwinge mich zu erhebenden Gedanken, starre aber gebannt auf den Hintern des Widders. Auch der Senator steht herum, als habe ihn ein Umzugstrupp gerade mal eben abgestellt und dann gleich darauf ins neue Haus zu schaffen. Ich lenke meinen Blick auf meinen Onkel, um seine Bewegungen zu verfolgen.

  • Das Geschwätz verstummte, sei es, weil ich die Menge so zornig angesehen hatte, sei es, weil sie das Gebet nicht verpassen wollten - wenn ein Senator ein blutiges Opfer darbrachte, was nicht allzu häufig geschah, war damit immer ein besonderer Umstand verbunden, und die Neugierde der Menge war geweckt - sei es, dass sie sehr genau wussten, dass der Zorn des Opferherrn sie treffen würde, wenn sie nicht schwiegen und damit das Opfer unmöglich machten - es war mir ganz gleich, Hauptsache, sie waren ruhig. Nichts war schlimmer als eine durch eine stetig brabbelnde Geräuschkulisse abgelenkt zu werden, ich hatte das immer schon gehasst.
    Mit dem nötigen Ernst ließ ich mir nach der rituellen Handwaschung und der Trockung unserer Hände durch das malluium latum einen Krug Wein reichen - natürlich hätte es für die Weihung auch mola salsa geben können, aber ich bevorzugte den Wein, da Mars Wein schätzungsweise lieber mochte als diese ekelhafte Salzlakedinkelschrotpampe, zumindest schätzte ich meinen Gott so ein - und es ging heute darum, Mars zu gefallen. Es war zudem ein sehr guter Wein, ein teurer Falerner, aber nicht ich musste das Opfer zahlen, sondern mein patronus, und ich war mir sicher, in seinem Sinne gehandelt zu haben.


    Langsam goss ich den Wein über das zottelige Haupt des Widders, der mir kauend entgegenblickte, irgendwer musste ihn gefüttert haben, um ihn ruhig zu stellen, dann über den Rücken und sprach dabei die Weiheformel:
    "Mit diesem Wein aus roten Reben weihe ich Dir, O Mars, diesen Widder, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten des Spurius Purgitius Macer Gehör schenkst!" Einige der Leute in der Menge, die zwar gesehen hatten, dass ein Senator opferte, aber nicht, welcher, murmelten leise vor sich hin, wohl eine nur zu verständliche Reaktion auf die Befriedigung des Triebes der Neugierde, welcher jeden Menschen bewegte. Ich trat, nachdem der letzte Tropfen Wein vergossen war, an die Seite des Senators und reichte ihm mein Opfermesser - er als Opferherr hatte nun die Aufgabe, das Tier rituell zu entkleiden.

  • Rechtzeitig zum Beginn der Zeremonie hatte Macer ein Stück seiner Toga über den Kopf gezogen, um sein Haupt zu verhüllen. Gelegentlich fragte er sich schon, wer dieses Ritual erfunden hatte, denn die Toga war schon so kein ganz einfach zu tragendes Kleidungsstück, aber mit einer über den Kopf gelegten Stoffbahn musste man noch vorsichtiger sein. Dementsprechend langsam und würdevoll schritt er nun nach vorne, um das Opfermesser entgegen zu nehmen, um den Bock rituell zu entkleiden. Erst einmal musste dazu die kurz vorher mühevoll aufgesetzte Girlande abgenommen werden und der Bock fragte sich vermutlich auch, was dieses Spiel sollte. Während die Menschen sich vor dem Opfer umzogen und ihre Köpfe bedeckten, wurden die Tiere entkleidet. Religion war schon eine verrückte Sache, wenn man sich versuchte, logisch zu erklären.


    Zum Glück war Macer dafür nicht gekommen und mit diesen Riten aufgewachsen, so dass er nicht weiter nach ihrem Sinn fragte, sondern einfach mit dem Messer langsam vom Kopf bis zum Schwanz über den Rücken des Widders fuhr, um seiner Pflicht als Opferherr nachzukommen.

  • Nach der symbolischen Entkleidung des Widders - der übrigens ein wirklich sanftmütiges Tier zu sein schien, oder mit genügend Mohnsaft betäubt, um seinem nahenden Ende nicht allzu klaren Sinnes entgegen zu blicken - trat ich vor, nachdem einer der camilli das Messer von Purgitius Macer in Empfang genommen hatte, hob die Arme gen Himmel und konzentrierte meinen Blick in die Höhe, zu jenen rasch voran ziehenden, vereinzelten Wolken, die heute zwar keinen besonders schönen Tag, aber immerhin einen trockenen Tag beschert hatten.
    "O Mamarce, Schlachtenlenker, Du Beschützer Roms in friedlichen wie in kriegerischen Zeiten! O Mamarce, höre die Worte Deines Dieners, der Dich an diesem Tage anruft, weil ein ausgezeichneter Mann eine Gunst von Dir erbitten will! Ein prächtiges Tier hat er Dir gebracht, feinsten Wein für Dich vergossen, auf dass Deine Sinne erfreut werden, edelster Weihrauch wurde gegeben, um Deine Aufmerksamkeit zu erwecken. Dunkles ist in Rom geschehen, und nur Du, Schlachtenlenker, Beschützer der Wehrlosen, Rächer derer, die ihre beschmutzte Ehre nicht aus eigener Kraft wiederherstellen können, Du mächtigster Speer und stärkster Schild, ich rufe Dich an! Widme diesem Mann Deine Aufmerksamkeit und höre seine Worte!" Meine Stimme trug laut über den Platz und ich spürte wie stets das Starren der Menge - aber inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt und man hörte mir nicht mehr an, dass eine gewsse Nervosität dabei immer vorhanden war und bleiben würde. Nun war die Reihe an meinem patronus, sein Gebet zu sprechen.

  • Macer hatte versucht, sich einige Worte für das Gebet zurecht zu legen, trotzdem kamen einige der folgenden Sätze eher spontan als ausgiebig vorformuliert.


    "Mars, Feldherr und Rächer, ich trete vor dich als Mann des Senates und Mann des Militärs. Rom hat Schuld auf sich geladen und erwartet aufrecht deine gerechte Rache. Ich möchte nicht um Gnade bitten für einen Tat, für die nur wenig Milde zu erwarten ist, denn ich weiß, dass du ein gerechter Rächer bist. Ich bitte dich zu strafen wie ein guter Offizier, der stärkt statt zu brechen und der erniedrigt, um die Moral zu stärken. Wir haben unsere Pflichten vernachlässigt und müssen schmerzhaft an diese erinnert werden, doch wir möchten diese Pflichten danach freudig und mit geschärften Sinnen wieder aufnehmen. Nimm dieses Opfer an als Zeichen, dass wir erwacht sind und uns unserer Pflichten erinnern, dass wir bereit sind, die Strafen zu tragen und dass wir nicht wollen, dass unsere Truppen in Parthia, unsere Truppen in Germania, unsere Truppen an allen Grenzen des Reiches durch deinen Zorn in Bedrängnis geraten." Wen er dabei alles mit "wir" meinten, würde Mars schon wissen. Sein Klient hatte jedenfall einen guten Wein beigesteuert, da war er mit Sicherheit inbegriffen.

  • Ich wartete geduldig ab, bis mein patronus sein Gebet zuende gesprochen hatte - gut formuliert fand ich es allemal, nicht zu kriecherisch, nicht zu fordernd, daran gab es im Grunde nichts auszusetzen. Jetzt musste nur noch das eigentliche Opfer laufen, wie es sollte und die Sache wäre erledigt - hoffte ich, denn jetzt kam der blutige Teil des Ganzen und dabei konnte wirklich viel schiefgehen. Ich blickte zu Purgitius Macer und fragte, ganz wie es das Ritual vorgab: "Agone?"


    Auf sein "Age!" hin ließ ich mir den malleus, meinen Opferhammer geben, und griff mit der anderen Hand das culter, jenes scharfe Messer, mit dem ich die Halsschlagader des Widders durchtrennen würde - es war im Grunde eine klare, eindeutige Handbewegung, und doch beendete ich damit ein Leben. Konzentriert holte ich mit dem schweren Hammer Schwung und ließ ihn krachend gegen den Schädel des Tiers fahren, der Widder knickte auf den Vorderläufen ein, wie es sein sollte, sei es wegen der Wucht oder der Tatsache, dass der Schlag sein Gehirn zerstört hatte und das Tier damit betäubt - der finale Schnitt gelang mir recht gut, ich zog das Messer klar durch und das Blut begann aus dem langen Schnitt auf den Boden zu schwappen.


    Für zarte Gemüter waren die blutigen Opfer in jedem Fall nichts - und ich wusste, ich würde sehr bald neue Kleidung brauchen, das Tier blutete sehr gut, zu wenig Blut war ein schlechtes Omen, soweit, so gut. Einer der camilli kniete sich mit einer Schale zur Blutrinne um den Altar und begann, das ablaufende Blut zu sammeln, und als ich zurücktrat, um darauf zu warten, dass der Widder ausblutete, fühlte ich mich erleichtert. Es war gut gegangen, und ich hatte die gute Hoffnung, dass auch die Eingeweide makellos sein würden, das Tier war gut gewachsen, man hatte keinerlei Mängel sehen können - was sprach also noch gegen den Opfererfolg?


    Es dauerte eine ganze Weile, bis das Tier endlich soweit war, dass es losgebunden und auf den Altar gewuchtet werden konnte, und während die Menge ein wenig zurückwich (der geöffnete Bauchraums eines Lebewesens roch eben niemals wie eine blütenfrische Blumenwiese), vollführte ich die Schnitte, die nötig waren, um das Tier so weit zu öffnen, dass ich die Eingeweide herausholen konnte, die für eine Anlayse notwendig waren. Ich ließ mir die nötige Zeit und arbeitete sorgfältig, und schließlich lag alles, was ich brauchen würde, in der patera. Mich über jene neigend, studierte ich die Innereien des Opfertiers genau und hoffte natürlich auf makelloses Aussehen...

  • Freundlicherweise werden die Teilnehmer an blutigen Opfern stets gewarnt: Bei der Frage "agone?" hatt man seine Blicke schweifen lassen - oder sich auf das gleich folgende Spektakel konzentrieren. Ich bin mir noch kurz unschlüssig, ob ich den Wolken, die am Himmel gemächlich dahinschweben, folgen und Figuren herauslesen soll, oder ob ich ...


    Age! Zack. Wwtsch. Der Senator hat schneller reagiert und mein Onkel noch schneller. Noch ehe ich den Blick abwenden kann, werde ich Zeuge der Opferung. Ich bemühe mich, genau hinzuschauen, nicht feige zu kneifen. Ein wenig würgt es ich, ich balle die Hand zu lockeren Faust und halte sie mir vor den Mund. Ein wenig wird es mir flau, ich hüstele und kämpfe den aufsteigenden Käse vom Frühstück wieder zurück in den Magen. Als der Bock geöffnet wird, atme ich durch den Mund, die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht.


    Die Eingeweideschau beobachte ich nicht weiter, sondern betrachte interessiert einen Salamander oder eine Eidechse (oder ist das dasselbe?), die über den Platz huscht, einige Fußlängen nach vorne - stehen - einige Fußlängen nach vorne - stehen - einige Fußlängen nach vorne - ... man muß es nicht ausreizen und den kleinen Fortschritt wieder aufs Spiel setzen.

  • Sorgsam prüfte ich die Eingeweide des Widders und hatte schon das Herz, die Leber und die Milz durchgesehen, als mir die Galle in die Hände geriet - schwarz durchwuchert von irgendeinem seltsamen Gewächs, das ziemlich bösartig aussah. Unwillkürlich schluckte ich und rekapitulierte. Hatte ich irgendeinen Fehler gemacht? Etwas vergessen? Ein Gebet nicht ausführlich gesprochen? Aber auch bei längerem Nachsinnen, währenddessen ich die Galle beiseite legte und mir das nächste Organ zur Hand nahm, damit es nicht zu sehr auffiel, konnte ich mich an keinen Fehler entsinnen. Verdammt! Das war das erste Opfer, das ein so katastrophales Ergebnis zeigte, der Widder hatte von außen gut gewachsen und gesund gewirkt, wie konnte die Galle also so furchtbar aussehen?


    Und warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, wenn ich das erste Mal für meinen patronus opferte? Ich hatte ungefähr tausend lästerliche Flüche auf der Zunge, aber ich schluckte sie herunter, dieses Zeichen war zu eindeutig, um daran herum zu deuten. Mars hatte das Opfer nicht angenommen und was ich befürchtet hatte, war eingetreten - die Götter schienen Rom derzeit nicht gesonnen zu sein. Oder besser, Mars war derzeit schlechter Laune und würde es vielleicht auch noch an den Truppen auslassen, für die der Senator gebetet hatte.


    Mir brach der Schweiß aus, und ich hoffte inständig, dass es keiner gemerkt hatte - verdammt, verdammt, verdammt. Das hatte mit im atrium Baden gehenden panischen Ferkeln nun wirklich nichts mehr zu tun, kein Priester mochte so ein Ergebnis. Die meisten verschwiegen es nur gekonnt, denn zumeist konnte der Opferherr nicht sehen, was man aus den Tieren herausholte und wie die Organe genau aussahen. Gerade bei Staatsopfern stand die litatio schon lange im Voraus fest. Würde meine Lüge auffallen? Ernst starrte ich auf die Schale mit den Eingeweiden herunter und wühlte weiter darin, die Finger dunkelrot vom Blut des Tiers. Es stank zum Göttererbarmen und nur ein gewisses Training verhinderte, dass mein Magen Kapriolen schlug. Wahrheit oder Lüge?


    Ich hob den Blick wieder, sah zu Purgitius Macer und sprach ernst: "Mars hat dieses Opfer nicht angenommen, Senator, ich befürchte, der Zorn der Götter gilt Rom weitaus intensiver, als wir dies bisher vermutet haben. Ich würde vorschlagen, ein zweites Opfer darzubringen, und notfalls so lange, bis Er das Opfer annimmt." Wenn wahrhaftig Sühne verlangt wurde, dann würde ich heute in Blut waten, bevor der Tag vorüber war - und zum ersten Mal empfand ich ein gewisses Maß Furcht. Was, wenn es schlimmer war, als ich es mir ausmalen wollte?

  • Einen Augenblick lang war Macer sprachlos. Er erlebte nicht zum ersten Mal, dass ein Opfer nicht angenommen wurde, aber es waren bisher immer die Opfer der anderen gewesen, nie seine eigenen. Auch wenn man es kennt, trifft es einen dann doch unvorbereitet. "Ja, das werden wir wohl tun müssen", stimmte er leise seinem Klienten zu. Eigentlich stand es sogar außer Frage, eine begonnene Zeremonie musste auch zum Abschluß gebracht werden.


    Macer warf nur noch einen kurzen Blick auf den aufgeschnittenen Bock, er hatten am Urteil des Priesters keinen Zweifel und er war auch froh, dass dieser ehrlich seine Einschätzung abgegeben hatte. "Was sagt man in solchen Fällen den Zuschauern?" fragte er etwas verlegen, besann sich dann aber doch darauf, dass er Senator und ehemaliger Statthalter war und wandte sich selbst dn die Zuschauer. "Bürger, Mars hat das Opfer nicht angenommen. Wir werden ein weiteres darbringen."


    Dann begab er sich zurück zum Altar und blickte zwischen Aquilius und dessen Scriba hin und her. "Ich gehe dann mal ein neues Opfertier kaufen. Kommt jemand mit?"

  • Offensichtlich laufen die Dinge nicht nach Wunsch. Onkels kritischer Blick in den roten Glibber rutscht vom Indignierten ins Unsichere, von da ins Enttäuschte. Seine Gesten werden langsamer, er wendet sich ab. Operation gelungen, Patient tot. Ancilla, zunähen, danke. Der nächste bitte.


    Was war mit dem Tier nicht in Ordnung? Oder waren die Götter nur mal wieder schlecht gelaunt? Schwebten sie nicht glückselig über den Wolken, sondern verbrachten nörgelnd ihre Ewigkeit, auf der Suche nach Abwechslung, indem sie ein wenig Unglück auf die Erde brachten? Nichts ist so unterhaltsam wie das Unglück anderer.


    Nun gut, den Bogen Papyrus hatten wir verschrieben, nehmen wir einen neuen. Probieren wir's erneut - und wenn Mars nicht will, vielleicht ein anderer Gott. Zu sehr zieren schickt sich auch für Götter nicht.


    Ich schaue Onkel Aquilius und den Senator an - "Benötigst Du mich hier? ... " frage ich meinen Dienstherren - etwa, um dabei zu helfen, die Schweinerei zu beseitigen? "Oder ...?"

  • Glücklicherweise nahm es mein patron auf sich, den Zuschauern das unangenehme Ergebnis mitzuteilen, und ich konnte mir einige Momente des tiefen Durchatmens gönnen, die ich nun wahrlich nötig hatte. Wie hatte das nur passieren können? Einer der camilli reichte mir eine Schale mit Wasser, dass ich meine Hände reinigen konnte, in jenem Augenblick sah ich wohl einem blutgeifernden Massenmörder ähnlicher als einem gesetzten Priester, aber der Opferausgang hatte mich dann doch etwas geschockt. So etwas durfte einfach nicht passieren, man rechnete auch nie damit, und dann geschah es doch. Während ich das Blut abrieb und sich das Wasser in der Schale langsam verfärbte, kündigte mein patronus an, er wolle einen neuen Widder einkaufen gehen - und ich nickte dazu.


    "Gehen wir alle gemeinsam, sechs Augen sehen mehr als zwei, das zweite Opfertier muss absolut makellos sein," stimmte ich zu und winkte einige der Tempeldiener heran, dass sie das aufgeschnittene Tier beiseite bringen mochten. Verschmähte Opfertiere konnte man schlecht verkaufen, wahrscheinlich würde der Widder auf der Müllkippe landen, wo sich dann die Ärmsten der Armen ihren Anteil holen würden. Ich traf die Anordnungen, die in einem solchen Fall nötig waren, der Altar musste uns nach der Rückkehr sogleich wieder zur Verfügung stehen, damit die Opferhandlung nicht unterbrochen würde - und die Menge teilte sich auf. Einige blieben am Altar, um dabei zuzusehen, wie wieder alles vorbereitet wurde, einige andere setzten sich in Bewegung, uns zu den Opfertierhändlern zu folgen, um den nächsten Akt unseres kleinen privaten Dramas nicht zu versäumen.

  • "Gut, gehen wir gemeinsam", stimmte Macer zu und winkte seinen Sklaven herbei, der sie ebenfalls begleiten sollte. Der geliehene Sklave, den ihm der Opfertierhändler zum Treiben des Widders mitgegeben hatte war ebenfalls noch da und Macer nahm ihn auch mit. Vermutlich wäre er ohnehin von selber zurück gelaufen, auch wenn sein Herr nicht erfreut sein dürfte, dass die von ihm verkaufte Ware dem Gott nicht gefallen hatte.


    Macer schlug einen flotten Schritt an, denn er hatte nicht vor, allzu viel Zeit mit dem zweiten Einkauf zu verbringen.

  • Nach einer kleinen, erfrischenden Runde über den Markt kam die Gruppe ohne den Sklaven des Händlers aber dafür mit einem frischen Widder wieder auf dem Tempelvorplatz an. Die Menschenmenge hatte sich ein wenig zerstreut oder zumindest in kleinen Gruppen über den Platz verteilt. Einige waren sicher auch gegangen, andere angesichts der Menschansammlung vielleicht auch hinzu gekommen.


    Macer ging zielstrebig dahin, wo auch das erste Opfer seinen Beginn genommen hatte, denn Wartezeiten zum Umziehen oder sonstige einmalige Vorbereitungen sollten ja nun entfallen.

  • Und das ganze Procedere nochmal - als wir den Tempel wieder erreichten, mit dem inzwischen deutlich weniger humpelnden Widder im Schlepptau, winkte ich die Tempeldiener erneut herbei, dass sie das Opfertier zuerst kurz abschrubben mochten, um es dann mit Blumenschmuck zu bekränzen, wie es sich gehörte - die Menge der Gaffer war leider nicht geringer geworden, aber damit musste man bei einem abgelehnten Opfer durchaus rechnen. So etwas passierte nicht oft - zumindest gaben es die wenigsten Priester wirklich zu, wenn es geschah - und deswegen war das öffentliche Interesse natürlich größer, als man es sich wünschen würde. Der Altar war inzwischen sauber gemacht worden, und einer der camilli brachte mir frischen Weihrauch und neue Opfergaben, die wir klugerweise für den Fall des Falles im Tempel vorrätig hatten - so ein peinlicher Zwischenfall sollte schließlich nicht in einem Desaster enden, bezahlen würde ich die Waren später.


    Die rituelle Reinheit, derer wir uns vor dem letzten Opfer versichert hatten, bestand noch immer, und ich blickte zum langsam etwas trüber werdenden Himmel hinauf, um nach etwaigen Regenwolken Ausschau zu halten - noch schien uns der Zorn des Himmels vor nassem Opfer zu verschonen, aber wenn man die heraufziehenden Wolken bedachte, würde es sicherlich irgendwann nicht mehr der Fall sein. Seufzend verabschiedete ich mich innerlich von dem Gedanken, dass dieser Tag noch irgend etwas erfreuliches für mich bieten würde, und trat wieder an die Seite meines Patrons.
    "Dasselbe nochmal? Also das Anfangsgebet von mir, die Fortsetzung von Dir?" Ich machte nicht mehr viele Worte, denn zweifelsohne hatten wir heute noch einiges an Arbeit vor uns, wenn Mars schon das erste Opfer nicht akzeptierte, wie würde es dann dem zweiten ergehen? Aber gewillt, meine Zweifel nicht zu sichtbar zu machen, machte ich gute Miene zum bösen Spiel und versuchte, zuversichtlicher zu wirken als ich mich fühlte.

  • Macer betrachtete die Vorbereitungen, die wieder so abliefen wie beim ersten Mal. Er deutete dies als Zeichen, dass auch schon beim ersten Versuch alles richtig abgelaufen ist, denn zweifellos würden die erfahrenen Gehilfen am Marstempel keinen Fehler zweimal machen, selbst wenn es ein unbewusster Fehler war.


    "Können wir denselben Text nehmen?" fragte er, denn selbst wenn er schon einmal wiederholte Opfer erlebt hatte, wusste er das nun wirklich nicht. Andererseits hatte er seinen Text eben auch erst recht spontan zusammengebastelt und natürlich direkt darauf wieder vergessen und in der folgenden Aufregung um das abgelehnte Opfer ohnehin bessers zu tun, als sich um die Pflege seines Kurzzeitgedächtnisses zu kümmern. "Ach, egal, ich weiss ihn sowieso nicht mehr", stellte er folgerichtig fest. "Du fängst an und ich schließe mich dann wieder an."


    Irgendwie würde er die Widerholung des Opfers in dem Text mit unterbringen müssen, dachte er sich. Nur leider fielen ihm da keine Parallelen zum Militär ein - wer bei der Musterung durchgefallen war, der bekam keine zweite Chance. Und wer nach einem Wachvergehen die Todesstrafe bekam, wurde auch in den allerseltensten Fällen nochmal rückfällig.

  • 'Bis repetita non placent kann es beim Opfer nicht heißen' sage ich mir; eine Reihe kleiner Wiedererinnerungen, gleiches procedere wie beim letzten Mal. Vielleicht ist ja Mars auch der Ansicht, daß der junge scriba des Marspriesters seinen Rückstand an Opferteilnahme schleunigst aufholen solle. Aber bitte nicht heute mit einer Wiederholung der Wiederholung. Sonst würde ich sehen, daß ich Iuno-Priester werde, dann stehe ich auch bei Mars am längeren Hebel. Mütter sagen ihren Söhnen ja immer, wo ihr Weg langgeht.


    Gerade diese Analogie zwischen den Himmlischen und den Irdischen, die Menschlichkeit des Göttlichen und die Göttlichkeit des Menschlichen erschien und erscheint mir bis heute das einzig richtige? Was sollen nie sichtbare Götter? Sprechen Götter aus brennenden Misthaufen, wie der Gott der Judäer es wohl getan hat? Die Welt der Götter und die der Menschen war eine, die Philosophen wie Epikur irren, wenn sie die Götter für entrückt und glückselig halten, glückselig vielleicht, entrückt aber nicht, das ist eine Art Atheismus, eine Leugnung der Wirklichkeit. Man macht die Augen zu und sagt: 'Bähbäh, ich seh' Euch nicht!'


    In dererlei tiefschürfendsten theo-philosophischen Gedankenwolken mit meinem Kopf hängend hörte ich dem Gespräch zwischen dem Senator und meinem Onkel nicht weiter zu, ich hatte auf Selbststeuerung geschaltet und stand ein ums andere Mal dekorativ herum, in der Erwartung dessen, was nun unweigerlich kommen muß.

  • Ich nickte leicht zu den Worten Macers und meinte: "Dann wie gehabt - ich muss gestehen, es ist mein erstes nicht angenommenes Opfer, und es ist mir fast ein bisschen peinlich, dass es so gekommen ist. Dieses Mal muss einfach alles klappen, sodass Mars zufrieden gestellt ist." Und wenn ich darauf kam, dass irgendeiner der camilli auch nur unkeusche Gedanken gehabt hatte, während ich den Widder getötet hatte, dann mochte sich jener schon einmal ganz heftig vorsehen, vorausgesetzt, er wollte seine einzelnen Körperteile behalten. Die Tempeldiener gingen routiniert und schnell vor, und als der Widder ordnungsgemäß im feinsten Festschmuck vor uns stand, hob ich beide Hände an, bedeutete der Menge, sie möge mir ihre Aufmerksamkeit zuwenden, und rief weithin tönend abermals die rituellen Worte: "FAVETE LINGUIS!" Erwartungsgemäß wurde es stiller, und nun hatten die Menschen wieder das sichere Wissen, dass das Schauspiel weitergehen würde, in sofern glotzten sie auch zu uns, ohne allzu viel nebenher zu murmeln.


    Der Widder war festgebunden worden, und das altbekannte Ritual nahm wieder seinen Lauf. Ich wusch meine Hände, wie es die Tradition bedeutete, trocknete sie mit dem malluium latum, bevor ich mir die Schüssel mit der eilends angemischten mola salsa reichen ließ - vielleicht hatte Mars im ersten Durchgang der Wein nicht gefallen, es galt also alle Unsicherheitsfaktoren nun auszuschließen - und bestrich den Rücken des bekränzten Tiers mit der Salzlake-Dinkelschrotmischung, um es dem Gott angemessen zu weihen. Oder doch lieber Wein? Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich beim Opfern eine gewisse Unsicherheit, was, wenn auch dieses Opfer abgelehnt würde? Ich vertrieb die Gedanken mit Gewalt aus meinem Kopf und machte weiter.
    "Hiermit weihe ich Dir, O Mars, diesen Widder, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten des Spurius Purgitius Macer Gehör schenkst!"


    Hoffentlich hörte man mir nicht an, dass ich mir Gedanken machte, es durfte in keinem Fall aussehen, als sei ich mir der Wirkung meiner Handlungen unsicher war. Wie schon einmal zuvor reichte ich dem Senator mein Opfermesser, auf dass er das Tier damit rituell entkleiden konnte, und fuhr, nachdem er die Geste abgeschlossen hatte, fort. Wieder vor die Menge tretend, die Hände hoch erhoben, um mein folgendes Gebet anzudeuten, blickte ich gen Himmel und konzentrierte mich auf den sicheren Klang der Stimme.
    "O Mamarce, Du mächtiger Schlachtenlenker, Du Beschützer Roms in den goldenen und friedlichen, wie auch den roten und kriegerischen Zeiten, der Du Deine Hand über unser Heer, aber auch die Frauen und Schutzlosen hältst! O Mamarce, höre die Worte dieses Deinen Dieners, der an diesem Tag um Dein Gehör bittet, weil ein unter den Menschen herausragender Mann eine Gunst von Dir erbitten will! Ein kräftiges und gesundes Tier hat er Dir gebracht, den süßen Weihrauch geopfert, auf dass er Dein Gemüt erfreue, und steht in der Blüte seines Lebens und mit dem Gelübde, dass er für unser Volk als sein Diener erfüllt, vor Dir. Schreckliches geschah in Rom, und nur Du, unser Beschützer, der Lenker unserer Schlachten, der den Zorn und die Wut des römischen Volkes wie einen Speer in die Reihen der Feinde zu schleudern vermag, Du, der Rächer des Unrechts, mächtigster Speer und stärkster Schild Deines Volkes, ich rufe Dich an! Lausche der demütigen Bitte dieses Mannes und schenke seinen Worten Aufmerksamkeit!" Laut schallte meine Stimme über den Platz, und jetzt schwiegen auch die letzten Leute, weil sie auf das Gebet des Purgitius Macer neugierig waren.

  • Die nötigen Handgriffe einschließlich der rituellen Entkleidung des Tieres waren durchaus ein wenig Routine, auch wenn Macer es nicht allzu häufig tat. Vielleicht sollte er häufiger opfern, dann würde es sicher gleich beim ersten Mal klappen. Aber auf die Dauer ging sowas schon ins Geld, immer wieder lebende Tiere, auch wenn es nur Widder oder andere kleinere Tiere waren.


    Dann folgte er schweigend dem Gebet seines Klienten und sortierte seine eigenen Gedanken und Worte. Man müsste einer Erfindung haben, mit der man den zuletzt gesprochenen Gebetstext einfach kopieren könnte, dachte er sich. Den müsste man dann nur ein wenig anpassen und schon hätte man einen neuen. Leider gab es so eine Erfindung nicht und als sein Klient verstummte, musste Macer sich wieder im Kopf etwas zusammenbasteln. "Mars, mächtiger Feldherr, großartiger Schlachtenlenker, gnadenloser Rächer. Rom hat Schuld auf sich geladen und wir erwarten deine Rache. Ich bin ein Mann des Senates, der sich sicher viel hat zu Schulden kommen lassen, indem er den Göttern nicht huldigte, wie es geboten war und ich bin eine Mann des Militärs, der die Strafen kennt, die man über schuldige Soldaten verhängt. Ich opfere daher nicht, um Gnade zu erbitten, denn eine harte Strafe wird sicher eine gerechte Strafe sein. Auch uns hast du eben schon gezeigt, dass es keine leere Phrasen sein dürfen, mit denen wir zu dir sprechen. Strafe uns gerecht und zeige und den richtige Weg. Fordere unsere Kraft und unseren Mut, um uns zu stärken und aufzubauen im Blick auf unsere Pflichten. Ich opfere dir, Feldherr und Rächer, um zu zeigen dass ich unsere Strafe erwarte und sie annehmen werde, damit wir in Rom die Schuld sühnen und dein Zorn nicht noch andere trifft, ob nun unsere Truppen in Parthia oder Germania, in Britannia oder Africa, denn ihre Kräfte sind schon durch Feinde gebunden und wir können ihnen nur helfen, indem wir die Götter achten."

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