Versuch eines Sühneopfers

  • Der Rest der Opferhandlung glitt wie ein stetiger Fluss an mir vorüber, ich hatte das Ritual einfach schon zu oft ausgeführt, um noch dabei zu denken, ich handelte einfach. "Agone?" - "Age!" erklangen die traditionellen Worte, die aus einem lebendigen, kräftigen Widder ein Opfertier machten, das sein Blut zu Ehren des Mars verlor, ich hatte abermals gut getroffen (Übung zahlt sich aus!) und ließ den Widder ausbluten, wie es sich gehörte, inzwischen waren meine Sandalen eindeutig ruiniert, auch die toga würde ich nach diesem Tag wegwerfen können, aber solche Trivialitäten bewegten mich nicht sonderlich im Augenblick, viel wichtiger war die Eingeweideschau, um den Willen des Mars ergründen zu können.
    Ich ließ mir dabei Zeit, und handelte sorgfältig, denn einen aus Hast geborenen Fehler wollte ich nicht machen, diesmal war alles so glatt und gut gelaufen, dass es eigentlich nur noch eine Anerkennung pro forma sein konnte, die hier ausstand und von uns ihre Vermeldung verlangte. Stillschweigend beobachtete die Menge, was ich tat, aber glücklicherweise war ich vom Herausschneiden der Organe aus dem Inneren des Tiers so abgelenkt, dass es mir nicht wirklich auffiel, wahrscheinlich wäre ich ansonsten doch langsam nervös geworden.


    Die Galle hatte ich zuerst betrachtet, und sehr genau, doch ließ sich kein Makel entdecken, was mich innerlich aufatmen ließ - ungefähr so lange, bis ich die Leber in Händen hielt, die von einem eigenartig milchigweißgelben Geschwür überwuchert war und halb zerfressen schien. Konnte das denn möglich sein? Ein zweites Mal wurde das Opfer zurückgewiesen? Das durfte doch nicht möglich sein, im Grunde war das unmöglich, davon hatte ich noch nie gehört. In den Annalen mochte es so etwas gegeben haben, irgendwann vor vielen Jahren, aber doch nicht heute, nicht hier und vor allem nicht jetzt. Hatte ich auch wirklich nichts falsch gemacht? Schnell rekapitulierte ich die verschiedenen Schritte des Opfers, und konnte doch keinen offensichtlichen Fehler entdecken. Der Wein als Fehlerquelle schied aus, die mola salsa war frisch gemischt ... nein, daran konnte es nicht liegen. Die Menge wurde langsam unruhig, und als ich aufblickte, zu Purgitius Macer gewandt, musste ich mich sehr beherrschen, dass meine Stimme nicht zitterte.
    "Mars hat auch dieses Opfer nicht angenommen, senator - und der Wille der Götter scheint sich in diesen Tagen nicht wohlgesonnen zu erweisen. Ich sehe, was dies angeht, nur eine Möglichkeit außer einem schnellen und umfassenden Sühneopfer des Senats: Wir opfern so lange weiter, bis Mars unsere Gaben akzeptiert."

  • 'Jetzt krieg' ich wirklich die Krise, wie man Masern, Pest oder Durchfall kriegt. Ungebeten wie'ne häßliche alte Jungfer ohne ein As Mitgift, der man aber in einem Vollrausch einen Heiratsantrag gemacht hat - und deren Vater das dann eilfertig und mit riesiger Erleichterung als rechtsverbindliche Erklärung einem am nächsten morgen vor den hämmernden Brummschädel hält. Was denkt sich dieser Herr Mars eigentlich? Ist das hier ein Spiel, oder was? Soller doch seine Speere und seine Schilde klappern lassen bis sie umfallen! Glaubt der, wir machen uns hier zum Deppen oder was? Kann uns vorführen, der feine Herr Sohn? Diesmal bist Du zu weit gegangen, einmal, okay, aber den Widder hab' ich mit ausgesucht, das nehm' ich persönlich. Weiß schon, warum mir Soldaten suspekt sind, denken nicht positiv, lauter Verbote, "nein" hier, "nein" da, "nein" von links, "nein" von rechts. Tja, Pech, mein Junge, dann geh'n wir halt zu einem anderen Gott, kannste schaun, ob Du noch Post bekommst, kein Schwein opfert Dir, keine Sau interessiert sich für Dich, wenn Du so herumzickst, ist doch klar. Oder sollen wir jetzt Herdenweise aufkaufen, "Age!" am laufenden Band mit pontifex Rudolphus Carrellis? Oder ist das hier eine "wir-üben-das-blutige-Opfer"-Schau für camilli, discipuli und scribae? Darf ich dann auch mal? Oder bekommt hier nur ein "teilnehmender Beobachter"-Schein? - Armer Onkel Aquilius, wahrscheinlich hält ihn jetzt sein patronus für einen rechten Blindgänger, und mich für den blindgängerischten scriba eines Blindgängers. Ubi terrarum sumus? Wo zum Kuckuck sind wir hier hineingeraten?'


    Ich schaue mich vorsichtig um und mustere die Menschen. Irgendjemand dabei, der nicht dazugehört? Ein Judäer oder vielleicht sogar ein Christ? Ist das der Grund für dieses Debakel?

  • Macers Stimmung verdüsterte sich merklich, als ihm sein Klient davon in Kenntnis setzte, dass auch dieses Opfer nicht angenommen worden sei. Einen Augenblick starrte er in den Himmel, dann warf er über die Schulter des Priesters einen Blick auf die Eingeweide. Kein Zweifel, diese Leber war nicht in Ordnung, sein Klient wollte ihn nicht betrügen. Warum auch immer er ihn damit hätte betrügen wollen, ein eigentlich angenommenes Opfer für nicht angenommen zu erklären. Es sei denn, er bekam auf dem Markt einen Anteil am Erlös aus den Opfertieren, aber das wollte Macer lieber ausschließen.


    "Wir können...", begann er, setzte den Satz dann aber doch nicht fort, da er einfach zu ehrlich war, dieses Opfer trotzdem als akzeptiert deklarieren zu lassen. Sicher wäre das die einfachste Möglichkeiten gewesen, aber immerhin war das hier sein ganz privates Opfer und kein öffentliches Staatsopfer. Wer sich an den Fehlschlägen störte, brauchte ja nicht zuschauen.


    "Wir werden es ein drittes Mal versuchen", entschied er mit fester Stimme und gab das negative Ergebnis abermals dem Publikum bekannt. Auf ihre Reaktionen wartete er nicht, sondern wandte sich gleich wieder an seinen Klienten und dessen Scriba. "Es wird klappen. Müssen wir wieder einen Widder nehmen oder können wir wechseln?" Durchaus auf Dauer auch eine Frage des Geldes, falls Mars auch weiterhin vorhatte, die Gaben abzulehnen. Aber vermutlich durfte man in einem laufenden Opferprozess nur von einem kleineren Tier auf ein größeres umsteigen, nicht umgekehrt. Aber dafür hatte man ja einen Priester, der sich mit den Regularien auskannte.

  • Jede andere Entscheidung hätte mich auch sehr überrascht - mein patronus wusste, was sich gehörte. Und wenn ein Gott ein Opfer nicht akzeptierte, dann musste man eben so stur und stark sein, es so lange zu versuchen, bis das positive Ereignis endlich eintrat. Auch wenn es an meinem Selbstverständnis als Priester ganz gewaltig kratzte, dass nun schon das zweite Opfer nicht angenommen worden war, bisher hatte ich immer Glück gehabt, und ausgerechnet von Mars so zurückgewiesen zu werden, schmerzte doch. Mamarce, wenn das eine Prüfung sein soll, dann sei Dir sicher, ich nehme die Herausforderung an, und wenn wir morgen früh noch dastehen und den halben Markt geopfert haben! dachte ich grimmig und nickte zu den Worten Macers. Die Menschen um uns herum wurden unruhig, als der Senator das negative Ergebnis verkündete, und ich konnte die Blicke auf uns geradezu körperlich fühlen, neugierig, aber auch entsetzt starrten die Leute zu uns, zu dem mangelhaften Opfertier, das seine nicht vorhandene Eignung erst nach dem Öffnen seines Körpers preisgegeben hatte.


    "Wir können auch wechseln, natürlich," sagte ich nach einer Weile und überlegte, was wohl angebracht wäre - ein Stier wäre sicherlich überdimensioniert, aber wenn Mars wirklich zürnte, durfte man ihm nicht mit Ferkeln kommen. "Allerdings gibt es nicht viele Steigerungen, die über der Größe eines Widders liegen würden, da bliebe nur noch der Stier, alles andere wäre kleiner, und somit wohl kaum die beste Wahl, um einen erzürnten Gott zu versöhnen." Vor allem würden Stiere teuer werden, und ich war mir nicht sicher, wie weit mein patronus bereit war zu gehen. Kurz überzeugte ich mich mit einem Seitenblick davon, dass Lucanus noch aufrecht stand und nicht etwa mit grünlichem Gesicht seinen Mageninhalt wieder von sich gab - tapfer war er ja, mein Neffe, und es war großes Pech, dass es ausgerechnet heute so schiefgelaufen war, ich hätte ihm lieber ein perfektes Opfer ohne irgendwelche Makel präsentiert. Aber vielleicht wäre diese Lektion eine umso wertvollere - dass man mit Beharrlichkeit irgendwann auch ein schweres Ziel erreichen konnte. Falls wir es erreichen würden.

  • Missmutig verzog Macer den Mund. "Stier? Nein, also ohne es Mars missgönnen zu wollen, wäre mir das für ein privates Opfer doch schon eine Nummer zu groß. Sowas muss doch auch sicher länger vorbereitet sein, oder? Das würde die Zeremonie zu lange unterbrechen." Immerhin wollte Macer schon noch vor Einbruch der Dunkelheit fertig werden. Außerdem wäre ihm eine weitere Fortsetzung nur noch mit Stieren definitiv zu teuer geworden, wenn der kommende Versuch auch wieder fehlschlagen sollte. Ihn beschlich der Gedanke, dass er mit dem Opfer nicht nur privat zu Mars beten konnte, sondern dieser von ihm gleich Sühne für mindestens halb Rom erwartete. Macer fand das nicht ganz fair, nahm sich aber vor, diesen Gedanekn für sich zu behalten und nicht in sein nächstes Gebet mit einfließen zu lassen. Nachher wäre er noch Schuld, wenn Mars die Legionen in Parthia untergehen lassen würde.


    "Also, gehen wir einen neuen Widder kaufen. Sollen wir gleich zwei nehmen? Oder wäre das ein schlechtes Omen?" Fragend blickte er seinen Klienten an, während er sich wieder in Richtung Markt in Bewegung setzte.

  • Noch konnte man die Zahl der Versuch dieses Opfers bequem an einer Hand abzählen, aber die Gefahr wuchs, dass man sich dabei bald schon ziemlich die Finger verknoten würde. Der dritte Widder wurde auf den Platz geführt und wenn er nicht eine total verstopfte Nase hatte, hätte er eigentlich riechen müssen, dass hier schon zwei seiner Artgenossen ihr Leben und Blut gelassen hatten. Der Altar war zwar wieder aufgeräumt und irgendjemand hatte sogar ein wenig Wasser über den Boden gegossen, um das Blut zu verdünnen, aber es war eindeutig zu erkennen, dass dieser Platz noch heftig in Benutzung war.


    Auch die Menschenmenge hatte sich nicht zerstreut und kam wieder etwas dichter zusammen, wie die Zuschauer in einem Theater, die auf den nächsten Akt gespannt waren. Für Macer und seine Begleiter hieß das, wieder die altbekannten Plätze einzunehmen und das Schauspiel von vorne zu beginnen.

  • Der Widder wurde auch prompt unruhig, als die Witterung des geflossenen Bluts in seine Nase drängte - selbst ich roch das Blut nunmehr unangenehm stark, und ich war den Geruch von den Opfern her gewöhnt - und die Sklaven des Händlers hatten sichtliche Mühe, das Tier in Richtung des Altars zu zerren, wobei die umstehenden Gaffer natürlich nicht unbedingt hilfreich waren, denn sie standen schlichtweg immer genau dort, wo sie im Weg waren. Einige Tempelsklaven mussten die Sklaven des Händlers bei der Auslieferung unterstützen, und bis der Widder endlich sicher angekettet war, verging doch einiges an Zeit, bei der es nicht nur einmal so aussah, als würde das Tier, welches zusehends unwilliger wurde, über den Menschen triumphieren. Aber ich konnte es dem Widder nicht verdenken, ich hatte angesichts der bisherigen katastrophalen Opfer auch langsam aber sicher einen gewaltigen Unwillen im Bauch.


    Rom war gottlos geworden, und nun mussten wir bezahlen, genauso wie die virgo vestalis maxima hatte bezahlen müssen. Sollten denn stets nur wir Flavier Opfer bringen müssen zum Wohle Roms? Die Lippen aufeinandergepresst, verfolgte ich den Fortlauf der Anstrengungen, den Widder zumindest halbwegs zu schmücken - da er den Kopf unwillig hin und her warf, wurde es aus dem Kopfschmuck nichts, aber zumindest sein Rücken erhielt einiges an Zierrat in Blütenform.


    "Derselbe Ablauf noch einmal?" fragte ich, mich versichernd, in die Richtung meines patronus - er musste sich langsam auch dumm vorkommen, ausgerechnet beim ersten Opfer mit mir, seinem Klienten, so aufzulaufen, ich hätte es durchaus verstehen können, hätte er nach einem anderen Priester verlangt, auch wenn ich nicht schuld am Ergebnis war. Dennoch, andererseits, ich hatte, wenn ich den Ablauf rekapitulierte, alles richtig gemacht, und ich war mir sicher, der Fehler hatte nicht im Ablauf des Opfers gelegen, auch nicht in der mangelnden Gesundheit unserer Opfertiere, denn wir hatten sie sorgsam geprüft. Vorher probehalber aufschneiden ging nun einmal nicht.

  • Dieser Widder musste einfach gut sein, davon war Macer plötzlich überzeugt. Die beiden vorherigen hatten sich lange nicht so gewehrt, als hätten sie gewusst dass sie sowieso ein nutzloses Opfer waren. Aber dieser hier stellte für die Opferhelfer eine echte Herausforderung da. Die Zeremonie war zwar ohnehin schon spannend genug, aber der kleine Kampf mit dem Widder fügte ein weiteres dramatisches Element ein. Macer fragte sich, ob man in Jahren oder Jahrzehnten vielleicht eine Methode entwickelt haben würde, mit der man Opfertiere vor dem Opfer zuverlässig auf ihre Tauglichkeit prüfen konnte. Wenn man ins Bad ging konnte man ja auch erst einmal nur die Hand ins Wasser halten, um die Temperatur zu prüfen und musste sich nicht gleich ganz nass machen. So etwas für Opfertiere zu erfinden wäre sich eine ganz grandiose Sache, dachte sich Macer. Zumindest wurde das Fleisch von verdorbenen Opfertieren auch nicht den Göttern dargeboten, so dass diese auch gar nichts davon hatten, wenn sie Opfer ablehnten und das Tier trotzdem tot war.


    Die Frage seines Klienten riss Macer wieder aus diesen Gedanken. "Ja, sicher, derselbe Ablauf wie jedes Mal", bestätigte er und wartete darauf, nach den üblichen Waschungen das Opfermesser gereicht zu bekommen. In Gedanken baute er noch einmal seinen Gebetstext um, auch wenn seine Kreativität diesbezüglich langsam an ihre Grenzen stieß.

  • Tres faciunt collegium - und den dritten Widder werden die beiden anderen im Widderelysium sicherlich freundlich schnaubend begrüßen und gleich darauf einen Verein gründen.


    Die Menge ist ein wenig unruhig. Im Grunde hat sie recht, es wird langweilig. Genauso langweilig wie ein Gladiator, der jeden Kampfplatz siegreich und unverletzt verläßt, irgendwann in der Publikumsgunst sinkt. Immer dasselbe. Warum nicht etwas anderes? Eine andere Tierart? Ein anderer Gott? Mars ist gerade zickig, also vielleicht ein Zicklein? Oder lustlos: einen Esel, das wäre vielleicht ein deutliches Signal an den gnädigen Herrn.


    Aber jetzt? Die einzige Lösung: mehr desselben. Hat eine Lösung nicht geklappt, wird doch sicher die Potenzierung des Mittels zur Lösung hinhauen. Ich bin skeptisch, Mars sollte, wenn er klug ist und sich auf seine nicht-militärische emotionale Intelligenz verläßt, jetzt das Opfer annehmen, auch unsere Geduld ist nicht grenzenlos. Irgendwann, wenn das so weitergeht, werden sich die Menschen von Mars abwenden und vom Mars-Ultor-Tempel werden nur noch das Podest, die Rückwand und ein paar Säulenreste herumstehen. Und über den Vorplatz führt man eine via, auf der die Pferdewagen nur so vorbeisausen. So schaut's aus.

  • Mars schien heute wirklich außerordentlich schlecht gelaunt, und irgendwie verlor ich langsam jede gute Hoffnung, heute noch nach Hause zu kommen. Letztendlich kam ein Aufgeben nicht in Frage, und so musste eben so lange geopfert werden, bis das gewünschte Ergebnis in Form eines angenommenen Opfers da war. Gracchus würde mir wohl kaum glauben, wenn ich ihm erzählte, was heute geschehen war, ein solches Opfer hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Wenigstens hatte ich Lucanus als meinen Zeugen, sodass es nicht ganz seltsam klingen würde. Ich blickte mich in der eifrig schnatternden Menge um und räusperte mich, um dann ein extralautes "FAVETE LINGUIS!" herauszubringen, das die ärgsten Klatschbasen hoffentlich auch weiterhin davon abhalten würde, mit der Nachbarin über den dicken Hintern der Römerin schräg vorne links zu plaudern. Als es stiller geworden war, wandte ich mich dem festgezurrten Widder zu, dessen Augen sich panisch rollten - dass dieses Tier eindeutig nicht geschlachtet werden wollte, war klar, es roch auch zu sehr nach Blut, dass ein anderer Ausgang der Unternehmung hätte noch in Betracht kommen können. Während des Händewaschens und dem anschließenden Abtrocken mit dem malluium latium kreisten meine Gedanken um das Gebet, das noch folgen würde, und ich hatte langsam wirklich Schwierigkeiten, das passende zu finden, damit die Worte nicht abgestanden klangen.


    Langsam und sorgfältig bestrich ich den Rücken des Tiers mit der mola salsa - langsam kam ich mir wirklich vor, als sei ich in einer sich stets wiederholenden Schleife der Wahrnehmung meiner Realität gefangen - und räusperte mich abermals, damit die vielen Umstehenden auch gut hören konnten, was ich zu sagen hatte. "Hiermit weihe ich Dir, O Mars, diesen Widder, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten des Spurius Purgitius Macer Gehör schenkst!" So weit, so gut, ab jetzt konnte es nur noch abwärts gehen. Was würden wir tun, wenn das Opfer wieder nicht angenommen werden würde? Aber diese Gedanken musste ich aus meinem Kopf vertreiben, als könnte Mars meine Unsicherheit spüren, ich versuchte zuversichtlicher zu wirken, als ich mich letztendlich fühlte. Langsam reichte ich meinem patronus das Opfermesser, auf dass er das Tier, wie es das Ritual verlangte, damit symbolisch entkleiden konnte ... und weiter ging das von der Menge eifrig beäugte Schauspiel. Wahrscheinlich schlossen weiter hinten stehende Mitbürger inzwischen schon Wetten ab, zutrauen würde ich es meinen Mitbürgern allemal.

  • Mit leicht zusammengepressten Lippen und einem ganz leichten Nicken nahm Macer das Messer entgegen und fuhr dem Tier über den Rücken. Es war ein komisches Gefühl, wie vertraut ihm diese Bewegung inzwischen war, obwohl es doch nur das dritte Mal war. Und andererseits kam es ihm doch immer noch alles so neu und unbekannt vor, dass er vor jedem Schritt und jeder Bewegung überlegte, ob sie nun so zum Ritus gehörte oder nicht. Schließlich gab er das Messer wieder zurück und wartete darauf, sich mit seinem Gebet an das des Priesters anschließen zu können. Hoffentlich würde er ihm nicht zu viele der ohnehin schon nur noch spärlich vorhandenen passenden Worte aus dem Mund nehmen, sonst hätte er fast gar nichts mehr zu sagen.

  • Ich nickte meinem patronus zu, als er seine Schuldigkeit getan hatte, und wandte mich in der traditionellen Gebetspose mit den zum Himmel emporgewandten Handflächen sowohl an die wartende und neugierige Menge wie auch an Mars, dessen Aufmerksamkeit inzwischen hoffentlich halbwegs geweckt war und der vielleicht auch langsam dann doch geneigter war, unseren Bemühungen ein wenig entgegen zu kommen. Was würde passieren, wenn nun auch noch ein drittes Opfertier abgelehnt würde? An ein solches Geschehen konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern, weder aus meiner Zeit als Priester noch davor, und so wie ich meine Kollegen inzwischen kennengelernt hatte, waren sie die ersten in der Reihe, wenn es darum ging, ein missglücktes Opfer zu tarnen und den Opferherren eine üble Geschichte zu erzählen. Man musste nur an die heiligen Gänse der Iuno Moneta denken, die vor ihrem wichtigsten Tag schlichtweg hungern mussten, um sich dann umso segensreicher und gieriger auf das Korn stürzten. Relighion war in Rom oft genug einfach nur ein amüsantes Schaustück, bei dem die Zuschauer vorher schon wussten, was passieren würde - und umso weniger erstaunlich war das große Interesse, wenn dann doch einmal etwas schiefging.


    Ich verbannte die trüben Gedanken aus meinem Kopf und hob abermals mit meinem Gebet an, laut genug sprechend, dass es auch die Gaffer aus den hinteren Reihen der Zuschauer verstehen konnten.
    "O Mamarce, Du Speer und Schild Roms, mächtigster Lenker aller Schlachten, Du Schützer der ewigen Stadt seit Anbeginn, Du Schenker unseres Schildes, Du starker Waffenarm, der unsere Feinde zerbricht, der Du die Frauen und Schwachen in Deiner männlichen Kraft zu schützen gelobt hast! O Mamarce, höre die Worte Deines unbedeutenden Dieners, der an diesem Tag im Blut der geopferten Tiere steht, auf dass Du die Worte eines vortrefflichen Mannes vernimmst, der Dich um eine Gunst anfleht! Ein starkes und gesundes Tier hat er Dir zum Opfer dargebracht, Weihrauch und Wein mit sich geführt, die Dir allein gelten, und tritt vor Dich als ein Mann, der in Deinem Namen vieles vollbracht hat, um Volk und Stadt von Rom zu schützen und vor Feinden zu bewahren. Lausche seiner Bitte und gewähre sie ihm, da er nicht für sich, sondern für alle Menschen bittet, und lasse Deinen Zorn über die Feinde Roms hereinbrechen, auf dass unsere Truppen in ihrer Stärke und Gewaltigkeit Deinem Namen Ehre machen können. Du zorneserfüllter Rächer, mächtigster Speer und stärkster Schild Deines Volkes, ich rufe Dich an, lausche den Worten dieses Mannes des Kriegs und gewähre ihm Deine Gunst!"

  • Meistens war es so, dass einem Dinge, die man zum ersten Mal tat, sehr langwierig vorkamen während mit steigender Routine die Arbeit immer leichter von der Hand und die Zeit daher wie im Flug verging. Bei diesem Opfer schien das anders zu sein. Je länger es dauerte, umso mehr dehnten sich für Macers Empfinden die Zeiträume aus. Das schlimme daran war nicht, dass er warten musste, sondern dass ihm für sein Gebet in dieser Zeit trotzdem nichts kreatives Neues einfiel.


    Mars, mächtigster aller Feldherren, größter aller Schlachtenlenker, stärkster aller Rächer. Deine Rache für die Schuld, die Rom auf sich geladen hat, ist uns gewiss und wir erwarten sie in Demut. Wir haben Schuld auf uns geladen, indem wir dir und allen anderen Göttern nicht die Reverenz erwiesen haben, die euch gebührt. Ich stehe hier als Mann des Senates, dessen Pflicht es gewesen wäre, mit gutem Beispiel voran zu gehen und tätig den Pflichten nachzukommen. Ich stehe hier als Mann des Militärs, der weiss, dass die Pflichtvergessenheit eines Einzelnen ein großes Unglück für alle bedeuten kann. Ich stehe hier, um dir zu zeigen, dass ich unsere Strafe erwarte und sie aufrecht entgegen nehme, wie hart sie auch sein möge. Ich stehe hier und opfere dir, um dir zu zeigen dass wir unsere Pflichten annehmen und nicht gegenseitig in der Masse der Menschen und Stimmen verstecken, damit ein anderer zuerst betroffen sein möge. Ich opfere dir, um für eine gerechte Strafe zu bitten, die nur uns trifft, die wir die Schuld auf uns geladen haben. Ich opfere dir, um um ein Zeichen zu bitten, dass uns den Weg weist, unsere Kraft stärkt und unseren Mut hebt, allen Göttern stets demütig aber ohne Furcht und aus freien Stücken das zu geben, was ihnen zusteht für all die guten Taten, die sie an uns vollbringen."


    Langsam fiel Macer wirklich nicht mehr viel mehr ein, was er Mars noch erzählen konnte. Aber er hatte es sich ja selber ausgesucht, mit diesem Opfer hier zum Tempel zu kommen, jetzt musste er da durch.

  • Auch mein patronus fing, was die Kreativität seiner Texte anging, eindeutig an zu schwächeln - aber kein Mensch konnte an einem Tag gleich dreimal hintereinander ein anspruchsvolles Gebet aus den eigenen Fingern saugen, die meisten Gläubigen scheiterten schon an nur einem einzigen Gebet und brauchten dafür noch die Hilfe des betreuenden Priesters. In sofern hatte er sich bisher wacker geschlagen, aber ich musste zugeben, langsam ging auch mir der gut klingende Zündstoff für die Gebetsvorbereitung aus. Für jeden Gott gab es eben nur eine bestimmte Anzahl an beschreibenden und angemessenen Synonymen und ich hatte, wenn ich mich zurückerinnerte, fast alle benutzt, die mir eingefallen waren. Wenn Mars also wieder dieses Opfer nicht annahm, hatten wir wirklich ein Problem und ich wusste nicht mehr weiter. Und ein ehrenvoller Selbstmord mit einem Opferhammer war auch für einen Priester nicht unbedingt das leichteste der Welt - Opferschwerter gab es leider nicht, in die ich mich hätte stürzen können. Als ich nun zum Widder schritt, um die letzten Opferhandlungen zu vollziehen, flehte ich innerlich Mars an, uns diesmal nicht wieder im Regen stehen zu lassen. Irgendwann musste es einfach klappen!


    "Agone?" fragte ich, "Age!" war die rituelle Antwort, die mich ermächtigte, die Drecksarbeit zu erledigen, dann schwang ich den Hammer und löschte damit das Leben in unserem Widder aus, der schon zuvor unruhig gewesen war, weil er angesichts des nun auf dem Platz lastenden Blutgeruchs sicher sein musste, dass auch sein Leben sich dem Ende zuneigte. Die Vorderläufe des Tiers brachen ein, ein schneller Schnitt mit dem culter, dem Opfermesser, öffnete die Schlagader, damit das Blut fließen konnte, der emporsteigende dumpfe Blutgeruch ließ auch meine Sinne für einige Momente nicht wirklich los. Inzwischen stand ich in einer Blutlache, die Sandalen würde Bridhe heute abend wegwerfen müssen, ob die toga praetexta noch zu retten war, bezweifelte ich nun ziemlich, und so blieb mir nichts anderes, als zu warten, bis genug Blut geflossen war, um wenigstens diese Fehlerquelle auszuschließen. Es würde gleich daran gehen, die Innereien anzusehen und davor war mir der Magen inzwischen ziemlich flau geworden ..was, wenn es wieder abelehnt würde? Drei Fehlversuche waren dann schon wirklich legendär, aber nicht im positiven Sinne.

  • Nach dem Verstreichen der angemessenen, kleinen Wartezeit, in der man den Göttern Zeit gab, sich ihr Wohlwollen nochmals zu überlegen, griff ich zum Messer und öffnete die Schlagader des Widders am Hals, ein dicker Schwall Blut spritzte mir entgegen und lief über die am Altar dafür eingelassene Rinne in die angebrachte Schale. Bisher sah alles ganz gut aus, das Blut floss reichlich und schnell, eine sofortige Ablehnung war also erst einmal nicht zu erwarten - indes, Mars hatte mir jetzt schon zweimal einen Tritt dann versetzt, als es gut begonnen hatte, also blieb ich vorsichtig. Langsam öffnete ich den Bauch des Tiers und begann, die inneren Organe herauszutrennen, wie ich es schon zweimal heute getan hatte. Es war eine blutige, glitschige Angelegenheit, und wer hier keinen starken Magen besaß, war als Priester denkbar ungeeignet - aber normalerweise gehörte das auch zu den Dingen, die einem Spaß machen konnten, vor allem, wenn man ein angenommenes Opfer verkünden durfte. Nicht, dass mir heute dieses Vergnügen schon einmal geschenkt worden wäre, aber man konnte schließlich hoffen. Sorgsam betrachtete ich ein Organ nach dem anderen kritisch, vor allem die Galle, die mir nun zweimal einen Streich gespielt hatte, aber offensichtlich hatte sich dieser Widder während seines Lebens noch nicht zu viel über seine Mitwidder geärgert, das Organ war makellos, ebenso die anderen.


    Fast konnte ich mein Glück nicht fassen, als mir klar wurde, dass zwischen mir und dem Feierabend nicht noch eine unendliche, zu tötende Anzahl von Widdern stand, sondern nur noch eine gründliche Reinigung von Kopf bis Fuß. Während die Menge murmelte und schätzungsweise neue Wetten über den Ausgang des Opfers in den letzten Momenten vor der Verkündigung abgeschlossen wurden, wurde es in mir endlich wieder ruhig. Mars hatte sich nicht abgewandt, er würde die Bitte meines patronus ernst nehmen - und die Truppen, zu denen mein Vetter Aristides zählte, konnten auf göttliche Unterstützung hoffen. Schlagartig ging es mir besser, und als ich mit meiner Suche nach etwaigen Fehlern schließlich fertig war, hob ich meine blutigen Hände und verkündete es gleich lauthals allen, die zum Gaffen gekommen waren mit freudiger Miene:
    "Mars hat das Opfer angenommen!" Im folgenden Tumult fiel glücklicherweise niemandem die wahre Steinlawine auf, die mir gerade vom Herzen fiel.

  • Ein unvergleichliches Gefühl der Erleichterung jagte durch Macers Körper, auf der einen Seite rauf und auf der anderen runter, als würden unter seiner Toga ein paar Ratten Nachlaufen spielen. Eine Freudengeste wie beim Wagenrennen verbot sich in dieser Umgebung selbstverständlich, aber ein herzliches Händeschütteln und Schulterklopfen für seinen Klienten, auch stellvertretend für einen Dank an den Kriegsgott zu sehen, musste einfach sein. "Danke Mars. Danke Aquilius. Danke, dass dieser Tag nicht endlos sein wird."


    Er atmete einmal tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen. Dann schaute er abwechseln in den Himmel, auf den Altar, zu den Zuschauern und wieder zum Sacerdos. "Das Fleisch lassen wir verteilen an die Umstehenden, die so lange ausgehalten haben? Oder reicht es dafür heute nicht mehr, um es vorher zu kochen? Was macht ihr sonst damit?" Wieder wanderte sein Blick, dann machte er eine wegwischende Geste. "Achwas, lass erstmal Mars seine Anteil nehmen." War die Zeremonie jetzt eigentlich schon komplett beendet? Oder erst wenn der Gott seinen Anteil genommen hatte? Plötzlich war sich Macer nicht mehr ganz sicher. Das ging sonst immer alles so schnell bei den gelungenen Opfern und als Zuschauer war man ohnehin nur bis zur Verkündung der Litatio aufmerksam.

  • Die Worte meines patronus hätten von mir kommen können - denn einen endlosen Tag mit ungefähr zwanzig wiederholten Opfern hatte ich auch vor meinem inneren Auge auftauchen sehen - und es war sicher kein Bild, auf das ich mich in irgendeiner Weise gefreut hätte. Ich war nicht minder erleichtert als er, und als er mir die Hände schüttelte und ein Schulterklopfen folgen ließ, nahm ich die Geste gerne an. Vor allem war ich froh darum, dass uns eine weitere Peinlichkeit erspart blieb - dass ein opfernder Senator so lange keine Antwort erhalten hatte, war lange nicht geschehen, war es überhaupt jemals geschehen bisher? Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern.
    "Zuerst werden alle Teile des Tiers, die Mars zustehen, vom Rest getrennt, und dann werden die camilli das gebratene Fleisch verteilen, wenn es Dein Wunsch ist," sagte ich und war heilfroh drum, dass ich nur noch die richtige Verteilung der Organe würde überwachen müssen. Jede Faser meines Leibes sehnte sich nach Sauberkeit und einem entspannenden, heißen Bad, und ich war mir ziemlich sicher, dass ich es mir heute auch redlich verdient hatte. Was war dieses Opfer doch für eine schwere Geburt gewesen - sprichwörtlich natürlich nur.

  • "Ja, das ist mein Wunsch", bekräftigte Macer noch einmal. Schon deshalb, weil er für heute genug aufgeschnittene, blutende und durchwühlte Tiere gesehen hatte, um sich nicht auch noch Fleisch mit nach Hause nehmen zu müssen. "Das betrifft aber nur das angenommene Opfertier, oder? Die anderen beiden können wir ja niemandem anbieten." Damit blieb dann letztlich auch gar nicht so viel übrig, immerhin hatten sie kein Rind geopfert.

  • "Die beiden nicht angenommenen Opfertiere werden vom Tempel natürlich entsorgt, ohne dass ihr Fleisch ausgegeben wird," sagte ich und wusste genauso gut wie er auch, dass es bedeuten würde, dass sich die ärmsten der armen Familien alsbald auf dem Schlachtabfallhaufen um die guten Stücke balgen würden. So wurde eben alles verwendet, und wer hungerte, fragte in der Regel nicht mehr allzu lange nach, woher das Fleisch stammte, das der Familie eine Woche lang kräftige Nahrung geben würde. "Ich kann Dir also nun die frohe BNotschaft verkünden, dass Deine Arbeit hiermit getan ist, patronus - und wir uns sicher sein können, dass Mars den Truppen wohlgesonnen gegenübersteht." Zumindest stand das zu hoffen, wenn jetzt nicht in allerletzter Sekunde noch ein Blitz auf uns herunterzucken und Iuppiter seine Zweifel am Opfer damit kundtun würde. Aber ich hatte nach wie vor einen winzigen Rest Optimismus bewahrt, der laut in meinem Inneren davon sang, dass ich nicht bis spät in die Nacht immer wieder neue Widder würde töten müssen.
    Ich traf in Richtung der camilli meine Anweisungen, die auch schon fleißig damit begannen, das Tier fachgerecht zu zerteilen - auch das musste ein camillus lernen, irgendwann würde aus diesen stacksbeinigen Burschen kräftige Priester werden, dann durften sie keine Berührungsängste vor gerade erschlagenem Vieh mehr haben.

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