Peristyl | Periculum in mora

  • Brauchte ein Mensch ungeheueren Reichtum? Alles umfassende Macht? Besitz, nach dem sich ein jeder andere sehnen würde, seien es nun Sklaven, seltene Dinge, literarische Meisterwerke in der Erstausgabe, die Gelegenheit, das Wetter selbst zu beeinflussen, oder mit einer wahrhaft goldenen Zunge die Herzen anderer zu erreichen und somit alles zu erringen, was man sich nur wünschen konnte? In diesen träge vorbeistreichenden Momenten, in denen ich den Geruch meines Geliebten in der Nase hatte, seine Wärme fühlte und die zarte Mattigkeit meiner Glieder vernahm, die von unserem leidenschaftlichen wie zärtlichen Spiel herrührte, hätte ich jede dieser Fragen wohl aus vollstem Herzen verneint. Ich war durchaus wohlhabend, ich konnte es mir leisten, gute Dinge zu speisen, feine Stoffe zu tragen und Feste zu feiern, wenn mir danach war, ich konnte mir andere Menschen kaufen, wenn mir danach gelüstete - aber dies alles verblasste vor einem Geschenk, das es niemals zu kaufen geben würde, das man einfach nur bekam, wenn es einem gegeben werden wollte: Unbezahlbare Momente, in denen es nichts anderes geben würde, geben konnte, als seine Nähe, seine Wärme, seine Liebe.
    "Ich kann es nicht ermessen, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt habe, und doch war dies ein Sehnen, das mich trotz eines verlorenen Gedächtnisses zu Dir zurückgebracht hat, Manius. Es würde mich immer zu Dir zurückbringen, auch aus den tiefsten Öden der Welt heraus."


    Seine Worte vibrierten, hinterließen tief in mir einen vagen Nachklang, und ich wusste, ich würde mich ewig daran erinnern, diese Worte in meine Seele einbrennen, damit ich sie nicht mehr vergessen würde, niemals wieder. "Weisst Du, wann es für mich begann, Manius? In Achaia, in dieser sonnenüberfluteten Landschaft, die den Göttern immer näher sein wird als jeder andere Ort der Welt. Ich kann sie heute noch riechen, die würzigen Gräser des ewigen Sommers, die Zikaden kann ich heute noch hören, wenn sie allein für uns singen, und das leise Rascheln der Blätter hoher Bäume - wir haben die Oliven damals von den Bäumen gestohlen und jeden Blödsinn gemacht, den man als junger Mann eben machen möchte. Wahrscheinlich hatten wir damals keinen guten Einfluss aufeinander, aber heute erscheint mir diese Zeit meines Lebens als die goldenste." Keine Pflichten, keine Sorgen, keine Wünsche ausser einen weiteren Tag leben und genießen zu dürfen. Wir hatten ein Glück gehabt, das wenigen Menschen nur vergönnt war, und wahrscheinlich waren die darauf folgenden Jahre der Einsamkeit nur die gerechte Bezahlung für so viel Glück gewesen, so schien es mir jedenfalls, wenn ich mich an das Damalige entsann.


    "Wir waren auf diese dumme Idee gekommen, uns unter die Bergjugend zu mischen, bei einem Ausflug aufs Land, und einige der sanfteren Hügel zu erklimmen, und beide waren wir es nicht gewöhnt, so hoch zu steigen. Ich wusste, ich würde es nicht schaffen, und habe mich doch immer gezwungen, voran zu gehen, weil ich vor Dir nicht schwach erscheinen wollte. Was haben wir an diesem Tag unter de heißen Sonne geschwitzt und gelitten! Jeder Muskel tat mir am folgenden Tag weh, und Du hast Dich am Berg besser gehalten als ich, denn ich rannte voraus, wo ich konnte, und Du hast Deine Kräfte schon immer besser eingeteilt als ich es tat. Und endlich, erreichten wir den Gipfel dieses Hügels, ich total durchgeschwitzt, Du auch angestrengt, aber bei weitem nicht so keuchend wie ich - Du warst schneller oben als ich und botest mir die Hand für den letzten Schritt, lächelnd, ich sehe es noch heute, wie Dein Haar an der Stirn klebte, und Deine Augen von der Anstrengung glühten. Und als wir oben waren, gabst Du mir Dein letztes Wasser, verzichtetest darauf, weil ich meinen Trinkschlauch vergessen hatte, und Du hattest Deinen natürlich bei Dir ... niemals hat mir Wasser besser geschmeckt als an diesem Tag, als Du es mir freigiebig schenktest, obwohl Du selbst gedürstet hast. An diesem Tag wünschte ich mir, ich könnte Dir ebenso ein Halt und eine Stütze sein wie Du es mir gewesen warst, und ... ab diesem Tag konnte ich Dich nicht mehr mit den Augen eines unschuldigen Jugendfreundes ansehen, Manius. Ab damals habe ich Dich geliebt." Das Licht flackerte, dann ging es aus, und als wir uns umarmten, war dieser letzte Beweis unserer Vertrautheit das ersehnte Ende eines langen Weges, den wir zueinander hatten nehmen müssen. In ihm würde ich ruhen ...

  • Wie ein buntes Bild, wie ein perfektes Wandgemälde erhob sich Caius' Erinnerung vor Gracchus' Augen, wie die köstliche Brise des Zephyrus stieg der Odeur der Felder und Wiesen ihm in die Nase, wie das Spiel eines Musikanten hörte er die Natur um sich herum rascheln - goldenes Achaia, güldene Jugend, schimmernde Reminiszenz in trübem Geist. Gracchus selbst war kein Mann sentimentaler Worte, doch er sog diejenigen seines Geliebten tief in sich auf, verschlang sie mit all seinen Sinnen und badete darin wie in einem Meer aus Rosen, bis dass der Oceanos des Somnus ihn verschlang.


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Es waren die fruchtbaren Länder Achaias, goldfarbenes Gras unter ihren Füßen, schimmernde, honigfarbene Steine säumten ihre Wege, warm leckten die güldenen Strahlen der Sonne über ihre Körper, trieben Schweißperlen aus ihrer Haut. Wie ein junger Bock sprang sein Vetter vor ihm den Hügel empor, erklomm Stein um Stein des harten Felsen und schien dabei nicht müde zu werden. Schon immer war Aquilius ein wenig größer gewesen als er, ein wenig stärker und ein wenig schneller dazu, doch sein größtes Problem dieser Zeit bestand darin, dass er seinen Füßen nicht vertraute, da seine Aufmerksamkeit stets mehr seinen Gedanken galt denn seinem Körper. Doch als die Welt um ihn herum kippte, oben zu unten wurde und reziprok Tal zu Gipfel, stand er schlussendlich an der Spitze, während Caius sehnsüchtig die letzte Hürde nahm, seine Hand ergriff und er ihn nah an seinen Körper heran zog. Das Wasser des Lebens rann durch ihre Kehlen, rann vom Himmel hinab und umspülte sie mit dem zarten Hauch einer jenseitigen Melodie. Ihre Körper indes verschmolzen miteinander, kaum dass sie sich berührten, ineinander umschlungen fielen sie vom Gipfel hinab in die unendliche Tiefe des Tales, fielen höher und höher in endlosem Fall, bis dass sie schließlich ihre Schwingen ausbreiteten und flogen, sich wälzten in einem Meer aus klingendem Sternenschimmer, moosfarbenen Blütenkelchen und orangefarben schimmernden Sonnen.

    ~~~


    Orangefarben schimmerten die ersten Strahlen der Sonne durch die Läden vor dem Fenster und rissen ob ihrer Existenz ihn aus dem Schlaf. Instinktiv spürte er, dass etwas anders war, und dies gereichte ihm zur Furcht. Ein warmer Körper lag an seiner Seite, nicht der einer Frau, nicht der seines Sklaven, ein starker Körper, dessen muskulöser Brustkorb sich neben ihm hob und senkte. Blinzelnd hob er seinen Kopf, blickte sich suchend im Raume um, doch die Welt war konturlos, verschwommen, und es gab nichts, an dem sein Blick sich konnte festhalten, nichts, was darauf hätte hingewiesen, was dieses Leben war. Furcht kroch seinen Körper hinauf, drückte ihm die Kehle zu, hinderte nur noch mehr ihn daran, sich zu erinnern. Vorsichtig und doch drängend fasste er die Schultern des Leibes neben sich, begann leicht daran zu rütteln.
    "Caius! Caius, wach auf!"
    Ein Flüstern waren seine Worte und doch schien es Gracchus, als würden sie laut von den Wänden widerhallen.

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  • Nach der Beendigung meiner Erzählung hatte sich die süße Umarmung des Morpheus ebenso an mich herangeschlichen und hinterrücks überrascht - aber wie gern hatte ich mich doch fallen lassen, das leise Atmen meines Geliebten neben mir vermochte die Welt in die richtigen Bahnen zu rücken und verschonte mich in dieser Nacht vor allen Träumen, die mich hätten berühren können. Es war ein ruhiger, erholsamer Schlaf, der für mich selten war, gerade seit dem Tode der Agrippina hatte ich nur schwerlich Erholung und Ruhe gefunden, und so konnte sich mein Leib endlich an der lange entbehrten Entspannung sättigen, die ihm gefehlt hatte, genau wie sich meine Seele zuvor hatte an Gracchus' Gegenwart sättigen dürfen.
    Wieviel Zeit verstrichen war, hätte ich nicht sagen können, als mich etwas am Arm rüttelte und die wabernde Dunkelheit, in der ich mich so bequem verkrochen hatte, gänzlich auseinander gerissen wurde. Was war das? Unwillig öffnete ich die Augen, doch seine Stimme machte mich mit einem Mal hellwach und erinnerte mich daran, wo ich mich noch immer befand.
    "Manius? Was ist los?" murmelte ich noch schlafesverhangen und blinzelte mehrere Male, bevor sich das Bild vor meinen Augen klärte und ich meinen Geliebten sah, mit noch etwas zerzaustem Haar und einem sehr privaten Blick. "Hast Du schlecht geträumt?"

  • Sein Name erklang, merkwürdig fremd und doch so vertraut, und mit einer erlösenden Sturmflut wurde die Ungewissheit hinfort gespült. Ergeben ließ sich Gracchus zurück sinken, den warmen Körper seines Vetters beruhigend neben sich spürend, blickte zur Decke hinauf, welche ob des trüben Lichtes unendlich weit fort schien.
    "Kennst du dieses Gefühl, wenn du morgens erwachst und vergessen hast, wer du bist? Wenn du nicht mehr weißt, wo du bist und was geschehen ist, was deine Existenz ist? Denn du bist niemand, du bist nichts, völlig belanglos, dein Leben zu unwichtig und marginal, sich daran zu entsinnen. Doch du spürst in dir, dass du dich etwas erinnern musst, etwas unermesslich wichtigem, doch so sehr du dich bemühst, es will dir nicht gelingen. Irgendwann dann holt die Realität dich ein, dein Name, deine Person, der Raum und dein Leben, all dies wird dir in seiner Alltäglichkeit gewahr. Doch das Wichtige, das, was sich zwischen Verlassen und Betreten des Alltäglichen zutrug, dies hast du in diesem Augenblick endgültig vergessen, auf ewig."
    Zur Seite hin drehte er sich, hob eine Hand und strich zärtlich durch das vom Schlaf zerzauste Haar seines Geliebten.
    "Jeden Moren erwache ich mit diesem Gefühl, dass die bedeutsamsten Augenblicke meines Lebens unbemerkt an mir vorüber ziehen, ich ihrer vergesse. Doch heute gabst du mir meinen Namen zurück, mein Ich, und die Erinnerung an etwas unermesslich Bedeutsames, etwas, dessen ich mich in jeder Einzelheit erinnere, in jedem euphorischen Detail, real und gleichsam dabei wichtiger als alles, was je war."
    Langsam beugte sich Gracchus über Aquilius, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, die morgendliche Erregung in sich hinab kämpfend, denn er wollte, er konnte nicht die Alltäglichkeit zwischen sie treten lassen.
    "Mein Leben."
    Rasch drehte er sich fort von ihm, schlug die Decke zurück und floh aus dem Bett. Das Wasser in der Waschschale auf dem schmalen Tisch am Fenster war kalt, vom Vortage noch dort, doch entgegen seiner üblichen Abneigung ob dessen, genoss Gracchus die kühlen Tropfen an diesem Tage in seinem Gesicht, welche die Sinne im klärten. Er befreite die Fenster von ihren Läden, entriss den Raum der Dunkelheit und stand schlussendlich in seiner natürlichen Blöße im lichtdurchfluteten Raum.
    "Es ist schon spät."
    Rasch streifte er sich die Tunika vom Vortag über den Leib, welche achtlos zu Boden geworfen auf diesem die Nacht über hatte ausgeharrt, kehrte zum Bett zurück, beugte sich noch einmal zu Aquilius hin, mochte sich nicht von dem unschuldigen Anblick des Verschlafenen lösen.
    "Ich werde den Tag im Balneum beginnen. Bleibe hier, solange du möchtest, ich schicke nur Sciurus herein, mir ein neues Gewand zu holen, und weise ihn an, hernach niemanden sonst ein zu lassen."
    Ein zufriedenes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen, noch einmal musste er dem Geliebten einen Kuss abzwingen, da er glaubte sonstig in seiner Person zerspringen zu müssen.

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  • Wieder blinzelte ich, jetzt erst langsam und voller stillem Glück realisierend, dass es tatsächlich Manius war, mein Manius, der hier neben mir lag, dessen Hand ich über mein Haar streichen fühlte und dass wir gemeinsam geschlafen hatten. Nebeneinander. Es roch noch alles nach ihm, meine Sinne waren erfüllt von seiner Nähe und Wärme, und zum ersten Mal in meinem ganzen verdammten bisherigen Leben blieben mir die morgendlichen Gedanken fern, die mich meist gleich nach dem Aufwachen bestürmten. Sorgen, Überlegungen, allgemeine Gedanken, Zukunftsplanungen .. nichts davon war da, nichts davon wagte sich in die intime Stille dieses so spartanisch eingerichteten Raumes, der dennoch für mich nicht schöner hätte sein können. "Ich weiss, wie es ist, wenn man nicht ahnt, wer man ist, und doch weiss, dass da mehr ist, als man im Augenblick erahnen kann. Und wenn man diese Erkenntnis wieder hat, wenn man weiss, wohin man gehört, ist man oftmals nicht glücklicher als zuvor, eher trauriger, da man weiss, wie leer es letztendlich sein kann, einen Namen zu besitzen, eine Tätigkeit, eine Aufgabe und doch nicht mehr als das ..." Seine Lippen begegneten den meinen, und ich schloss genießend die Augen, hoffend, der Moment würde noch ein wenig länger verweilen, als er angedauert hatte. Mein Herz war in diesem Augenblick so übervoll, dass ich hätte singen und tanzen können - aber im Hinblick auf eine absolut fehlende musikalische Begabung ließ ich das lieber sein.


    "Meine Liebe," flüsterte ich rauh, denn als er sich abwandte, etwas zu überspielen versuchte, das ich längst bemerkt hatte, erging es mir doch kaum anders nach unserer ersten, leidenschaftlichen Nacht. Das Licht umspielte seinen schönen Leib mit weicher Helligkeit, und ich fühlte meine Kehle ob seiner berückenden Präsenz trocken werden. Er hätte ewig so stehen können, nur damit ich ihn betrachten konnte, versunken in die Tatsache, dass er es war, dass wir endlich zueinander gekommen waren, uns gehörten, wie sich Liebende gehören sollten. Und ich war glücklich damit, hätte es nicht in Worte fassen können, selbst wenn mich jemand gebeten hätte, dies zu versuchen. "Das ist der erste Morgen von Bedeutung in meinem Leben," die Worte glitten schneller über meine Lippen, als ich es geglaubt hätte, und wahrscheinlich würden sie niemals das ausdrücken können, was ich sagen wollte, und doch ... allein ihn dort stehen zu sehen, noch von der Welt unberührt, ganz privat, ganz menschlich, mit diesem leichten Lächeln auf den Lippen, das ich lieben gelernt hatte, machte meine kleine Welt schon vollkommen. Durfte man einen Menschen denn so sehr lieben? Aber wir hatten nicht um Erlaubnis gefragt, hatten jahrelang den Preis dessen bezahlt ...


    "Wir sehen uns heute abend zur cena, mein Manius," sagte ich und lächelte schließlich, sein Gesicht mit einer Hand berührend, als er mich abermals küsste, bevor ich mich aufsetzte und ihn noch einmal mit meinen Händen zu mir zurück zog, ihm nun meinerseits einen Kuss stehlend. Ein langer Tag lag vor mir, aber ich wusste, er würde mir wie ein Sommertag erscheinen, konnte ich doch von einer Erinnerung zehren, die so stark war, dass sie wohl auch einen Gott noch glücklich gemacht hätte. So ließ ich ihn gehen, und kuschelte mich danach noch einmal in das Bett, das so wundervoll nach ihm roch, und nach mir, bevor ich mich endgültig aus den Laken quälte und nach meiner tunica tastete, die irgendwo auf dem Boden gelandet war.


    * FINIS *


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