hortus | Cadhla und das Alphabet

  • Es war ein so seltsames Gefühl, von jemandem gehalten zu werden. Gleichsam fremdartig, denn immerhin kannte sie ihn kaum, hatte bisher nur wenige Male mit ihm gesprochen, einmal gegen ihn gekämpft, und andererseits vertraut. Ihre Mutter hatte sie früher so gehalten, sie vor der Welt sicher in den Armen haltend, sodass sie sich immer gefühlt hatte, als würde nichts mehr ihr passieren können, als sei sie vollkommen sicher vor allem, was als Gefahr oder Sorge auf sie einprasseln könnte. Geborgenheit. Als Schildmaid war sie es gewesen, zu der junge Mädchen mit Sorgen gekommen waren, die sie ihren Müttern nicht hatten verraten wollen. Unter Kriegern war es leicht zu leben, aber wirklich innigen Kontakt hatte sie mit keinem Menschen mehr gepflegt, nur in Gebeten, im stillen Gesang ihrer schmerzenden Muskeln nach langem Training. Aber seit sie den Speer ergriffen, die Gelübde geleistet hatte, die sie an die Götter banden, nicht mehr an die Menschen, war sie allein gewesen und hatte Abstand gewahrt. Jetzt war es fast, als sei die Cadhla, die sie gekannt hatte, gestorben, beim Angriff der Römer zu Tode gekommen, und nun musste sie erst die neue Cadhla entdecken, die sie noch nicht kannte. Die Cadhla, die sich von einem Römer trösten ließ.


    Nach einer gewissen Zeit spürte sie, dass die Tränen nachließ, die Kehle vom unausgesprochenen Schmerz nicht mehr zugeschnürt war - und das Atmen leichter vonstatten ging als zuvor. Jetzt konnte sie auch seine Wärme deutlicher fühle, seine Gestalt unter dem allzu dünnen Stoff seiner tunica, die doch breiten Schultern eines Mannes, der seine Körper nicht verkommen ließ. Kräftige Schultern, die Halt geben konnten ...
    Langsam löste sie sich aus seinen Armen, der feucht wirkende Fleck auf seiner Schulter, der von ihren Tränen stammte, wirkte wie ein Mahnmal auf Cadhla. Es war tatsächlich passiert. Sie hatte in Ursus' Armen geweint, und sie konnte darüber nicht einmal Bestürzung empfinden. Langsam, mit einer sehr ruhigen, sicheren Geste wischte sie sich den letzten Rest glitzernder Tränen aus den Augen und hob den Blick wieder zu ihm. "Danke." Nur ein Wort, aber es sagte zur gleichen Zeit alles, was sie sagen konnte.

  • Die Tränen hatten die Tunika längst durchdrungen und benetzten seine Haut. Es war schon eigenartig, wieviel anders als Regen sich Tränen anfühlten. Dabei war doch beides nur Wasser! Nichts als Wasser! Und doch war es anders.


    Langsam versiegten die Tränen. Er konnte unter seinen Händen richtig spüren, wie sie ruhiger wurde. Wie die Kraft in ihren Körper zurückströmte. Wie der Atem ruhiger und freier wurde. Schließlich löste sie sich aus seiner Umarmung, was er zutiefst bedauerte, aber in keinster Weise zu verhindern versuchte.


    Nur dieses eine Wort kam über ihre Lippen. Doch er konnte in ihren Augen lesen, daß dieser Dank tief ging, sehr tief. Dazu gab es nichts zu sagen. Es gab eben Momente, in denen Worte nur zerstörten. Und so nickte er nur, um diesen besonderen Moment nicht zu zerstören.


    Er trat einen Schritt zurück, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Nun war sie wieder ganz die starke Kriegerin, strahlte Stolz und Kraft aus, was ihr diese ganz besondere Art von Schönheit verlieh. Was für eine Frau!


    Einen Moment lang betrachtete er sie einfach, dann hoben sich seine Mundwinkeln zu der Andeutung eines Lächelns. "Bis morgen früh also." Und drehte sich weg, um sich auf den Rückweg zum Haus zu machen.

  • "Ja."


    Es war der erste Augenblick seit langen Wochen, seit fast endlos wirkenden Wochen, in denen sie sich nicht mehr wie eine Sklavin fühlte, sondern wieder wie ein Mensch. Wie jemand, der mit einem anderen auf Augenhöhe gesprochen hatte, sich über etwas ausgetauscht hatte, das wichtig war, bedeutsam für beide, ohne viel sprechen zu müssen. Und für den Moment reichte ihr das vollkommen, um sich besser zu fühlen. Sie blickte dem Römer noch einige Augenblicke lang nach, wie er sich zum Haus wandte, seine ruhigen Bewegungen, die ohne Hast schienen, ohne Eile, eine Ruhe offenbarten, die sie jetzt endlich selbst wieder gefunden hatte. Was er wohl denken mochte?
    Sie selbst dachte eigentlich nicht mehr nach. Die Unsicherheiten, die vielen Zweifel, die Bitterkeit, selbst der allgegenwärtige Zorn waren vorerst verstummt und hatten einer wohltuenden Leere Platz gemacht, einer Ruhe, die ihr endlich Zeit ließ, durchzuatmen und einen Druck von ihr genommen hatte, den sie seit ihrer Gefangennahme stets gespürt hatte. Und für einen flüchtigen Augenblick lächelte die Keltin selbstvergessen, bevor sie die Wachstafel geschlossen in ihren Gürtel stopfte und sich dem Garten zuwandte, mit schnellen, geschmeidigen Schritten auf dem Weg entlang lief und schließlich zwischen den Bäumen verschwand.


    *~* FINIS *~*

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