Dunkle Zeiten | Teil II: Eine lichtscheue Botschaft

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    Mit den Fingerknöcheln pochte Severus gegen die Türe von Aquilius' Gemächern. Als keine Antwort erklang, pochte er nochmal, öffnete dann die Türe. Dunkel war es dahinter, unordentlich lagen die Papyri kreuz und quer auf dem Schreibtisch. Keiner da.
    Am liebsten hätte Severus den komischen Zettel einfach kommentarlos auf dem Schreibtisch liegen lassen. Aber zu der Botschaft gehörte ja wohl auch die dubiose Weise dazu, in der man sie ihm übergeben hatte. Also wandte er sich ab, ging den Gang entlang, und machte sich pflichtbewusst aber nicht gerade enthousiastisch in Haus und Garten auf die Suche nach Aquilius. Die führte ihn schliesslich sogar die Kellertreppe hinunter, mit einem Windlicht in der Hand. Licht- und Schattenzungen beleckten die nahe aneinander stehenden Wände. Severus Blick wurde starr. War da nicht...? Nein, da war nichts. Nur ein Wasserfleck auf dem groben Mauerwerk. Der Fluch war gebrochen, die Unterirdischen waren fort...
    Die Treppe endete in einem Gang. Rechts ging es zu irgendwelchen Lagergewölben voller Gerümpel. Und auch zum Carcer. Ein kalter Schauer lief dem Germanen über den Rücken, als er wieder die erdig modrige Luft atmete, den klammen Mief einer endlosen Gefangenschaft.


    Aber von links war es, dass er einen Lichtschein sah, und Geräusche hörte. Schnell schlug er diese Richtung ein, folgte ihnen bis zum Eingang des Weinkellers. Hier war die Luft besser, roch nach Holz und nach den edlen Tropfen die hier in unzähligen Fässern und Amphoren lagerten. Und da war auch der Gesuchte.
    Am Eingang des weiten Gewölbes blieb Severus stehen, verschränkte die Arme und betrachtete ihn. Unbewegt war seine Miene, doch der Zorn wegen Bridhe schwelte in ihm, brannte in seinen Augen und hätte sich nun, da er den Flavier vor sich hatte, nur zu gerne einen Weg nach aussen gebahnt.
    "Flavius." sagte er frostig. "Ich habe mich da etwas gefragt. Vielleicht kannst Du mir Antwort geben. Es sind ja bald Saturnalien... Sind wir da wirklich alle gleich?"

  • Die Schreibarbeit war mir zusehends auf die Nerven gefallen, die alljährliche Rechnungsrevision meiner Landgüter stand an und dies war das einzige, was ich Straton nicht vollständig aufbürden wollte - er hatte derzeit ohnehin genug mit den Vorbereitungen der Saturnalienfeier zu tun. So hatte ich mich Stund um Stunde, vor allem nach einem anstrengenden und langen Tag in Rom noch damit abgequält, meinem Kopf irgendein Verständnis für die Zahlentabellen abzuringen, das sich so gar nicht einstellen wollte - mit Papierkram würde man mich wohl immer jagen können bis an mein Lebensende. Es war mir einmal mehr unverständlich, dass es Menschen gab, die darin etwas wie Vergnügen fanden - beispielsweise Straton, der sich unglaublich gern mit Rechnungen beschäftigte, um die Fehler darin zu finden. Nun, ich hatte zumindest den ein oder anderen Weg, mich selbst allein für das Durchhalten zu belohnen, und die Gedanken wegen Furianus ließen mich seit Tagen nicht mehr los. Nicht zu wissen, aus welcher Richtung ein Angriff kommen würde, verursachte mir Magengrimmen. Auf vieles konnte man sich vorbereiten, aber nicht auf einen Gegner, der tausend Wege finden konnte, einen zu treffen.


    So hatte mir eine der älteren Flaschen von Felix' Falerner herhalten müssen, in dem stillen und ruhigen, irgendwie modrig riechenden Weinkeller der Flavier, und ich hatte meine Gedanken schweifen lassen, den Eventualitäten folgend, die mir mein Vater in meiner Jugend eingebläut hatte und welche essentiell für das Überleben eines Patriziers waren. Die Schriftrolle, die ich auf meinen Knien balanciert hatte, um darin nebenher zu lesen, wäre fast herabgefallen, als mich Severus ansprach - er war wirklich leise geworden, und für einen Moment überlegte ich, ob er dies immer zu meinem Vor- und nicht zu meinem Nachteil einsetzen würde.
    "Severus." Seine Frage ließ mich eine Braue heben, dann nickte ich. "Vor dem Gesetz ja. Wir gelten alle als Menschen ohne Rang, egal welcher Geburt - und einander gleich. Warum fragst Du? Willst Du über das Fest reisen?"

  • Es sah ein wenig so aus, als ob der Flavier sich hier versteckt hätte. Mit Wein und einer Schriftrolle... Vor der Verwandtschaft? Vor der Arbeit?
    Nachdenklich legte Severus den Kopf schief und musterte ihn. Seine Finger spielten mit der erhaltenen Botschaft, dem schmutzigen, zerknitterten, noch immer versiegelten Briefchen.
    "Ja. Ich werde in den Apennin reiten. Jagen... - Es gelüstet mich wahrlich nicht, mich zu einem frohen Fest derer zu gesellen, die mich den Rest des Jahres als Dreck unter dem Stiefel Roms ansehen.", fügte er sarkastisch hinzu, zuckte dann die Schultern. Unablässig liess er das Papyrus durch die Finger gleiten, dass er Aquilius gleich geben wollte. Wenn er eine wichtige Sache geklärt hatte.
    "Aber ich frage nicht deshalb. Wir gelten als gleich vor dem Gesetz sagst Du. Hmm... gelten. Aber wie gleich sind wir wohl in diesen Tagen? Nicht gleich genug, dass ihr in dem Dreckloch nächtigt in dem wir schlafen, nicht gleich genug dass ihr den Frass esst, den uns die Küche Tag für Tag vorsetzt."
    Eindringlich richtete er die zornglimmenden Augen auf Aquilius und trat Schritt für Schritt näher an ihn heran, sprach dabei, ohne die Stimme zu heben.
    "Was meinst Du, Flavius - sind wir gleich genug in jener Zeit, dass Du Dich meiner Herausforderung stellst? Am ersten Saturnalientag. Nur wir beide. Auf der Wiese hinten im Garten. Du hast die Keltin gevögelt, als sie noch meine Gefährtin war. Diese verlogene Hure. Dafür schlage ich Dich kurz und klein. So Du kommst."
    Direkt vor Aquilius blieb er stehen. Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen.
    "Wenn Du meinst, dass Du nicht "gleich" genug dafür bist, und es lieber nicht wagst, hab ich dafür natürlich vollstes Verständnis."

  • Nun legte ich sie doch beiseite, die Schriftrolle, und richtete den Blick gänzlich auf Severus. Man hätte blind sein müssen, um zu verneinen, was in ihm vorzugehen schien, und in dieser Stunde, in der meine Sinne ohnehin vom dauernden Grübeln überreizt waren, schien mir der unterdrückte Zorn Severus' ungleich augenfälliger und agressiver zu Bewusstsein zu kommen als je zuvor. Aus alter Gewohnheit überhörte ich seine herausfordernden Worte - es würde ohnehin wenig bringen, mit ihm über die Tradition der Saturnalien zu diskutieren, soviel war mir klar, von einer einmal gefassten Meinung war er schwer abzubringen - und schenkte den darauf folgenden ungleich mehr Beachtung.
    "Gleich genug, um an jenen Tagen dafür zu sorgen, dass ein jeder im Haus bedient wird, die besten Speisen erhält und tun und lassen kann, wonach ihm oder ihr ist. Gleich genug, um an solchen Tagen Beleidigungen und Zorn zu ertragen im Austausch gegen ein Jahr klaglosen Dienst. Gleich genug, an jenen Tagen die Hand immer und immer wieder zur Versöhnung zu reichen, gleich was auch geschehen sein mag. Die Saturnalien brechen jede Grenze auf, zwischen Mann und Weib, zwischen Sklave, peregrinus, Bürger, Ritter und Senator, zwischen Schmarotzern und Amtsträgern. Gleich genug, dass in diesem Haus jeder willkommen ist, der willens ist, den Festtagsfrieden zu achten," gab ich nach einigen Augenblicken des Überlegens zurück.


    "Wenn Du so vieles an Deiner Unterkunft auszusetzen hast, oder an der Speisung, so steht es Dir frei, mir davon zu berichten. Ich halte wenig davon, irgendein Mitglied meines Haushalts unwürdig leben zu lassen, und ich werde auch solchen Worten nachgehen." Aber schätzungsweise war es leichter, eine solche vermeintliche Schmach in sich hinein zu fressen, und sie als Anklage zu nutzen, solange es den eigenen Hass nährte - aber das sagte ich wohlweislich nicht laut, noch nicht.
    "Ich denke, wir sind gleich genug, wenn Du wirklich meinst, es würde etwas an dem ändern, warum sie zu mir kam und warum Du einen solchen Zorn auf sie und mich hegst. Dann soll es mir Recht sein." Die Frage nach einem Ausweichen stellte sich mir nicht. Du hast die Keltin gevögelt ... wieviel Hass lag darin. Wieviel Schmerz.

  • Versöhnung? Severus verzog das Gesicht. Was für ein weichliches Wort. Rache war die edelste Pflicht eines Mannes.... eigentlich. Aber wieder einmal hatte er das befremdliche Gefühl, dass Aquilius wirklich glaubte was er sagte. Jedem denkenden Menschen musste doch klar sein, dass die Saturnalien die abgeschmackteste Heuchelei waren, die man sich nur vorstellen konnte.
    "Ich verstehe. Einmal im Jahr Austern essen, in dem grotesken Possenspiel das ihr da zu eurer Belustigung veranstaltet, das wiegt natürlich ein weiteres Jahr elender Knechtschaft vollkommen auf. Keine Frage.", gab er zynisch zur Antwort, verbiss sich dann aber weitere Kommentare. Er wusste ja, Aquilius war ein kluger Mann aber leider gefangen in seinem Römer-Horizont, über den er nicht hinausblicken wollte, konnte, wagte oder durfte.
    Und wieder zuckten seine Mundwinkel verächtlich. Du Scheinheiliger., dachte er, Als ob das nicht gewollt wäre, dass in einem Palast wie diesem wir doch im Dreck wohnen und zum Essen die Abfälle bekommen.


    "Gut...", sagte er langsam, angenehm überrascht dass Aquilius sich nicht drückte, aber dann folgte ein langer, doppelbödiger Satz, mit einer Klausel und einer hässlichen Botschaft darin verpackt. Bridtha war zu Aquilius gekommen?? Und so keusch getan hatte sie noch kurz zuvor!
    "Diese niederträchtige kleine..." Der Zorn erstickte seine Stimme. Wie eine dunkle Gewitterfront umwölkte er ihn. Seine Nasenflügel bebten, seine Lippen waren fest aufeinandergepresst. Doch dann wich die Wut, ganz schlagartig, und an ihrer Stelle breitete sich ein hohles, wundes Gefühl in ihm aus. Er atmete scharf ein. Warum traf ihn das so? Er hatte sich doch losgesagt von ihr. Seine Schultern sanken herab. Mit schleppenden Bewegungen setzte er sich auf den Rand eines Fasses, das da aufrecht an der Kellerwand stand.
    "Ändern kann man da gar nichts.", sagte er dumpf. "Getan ist getan. Sie war ein nettes und anständiges Mädchen als sie herkam. Du hast sie zu Deiner Metze gemacht. Jetzt ist sie eine. Rom hat sie verdorben. Oder die Verderbnis in ihr nach aussen gekehrt, wer weiss das schon... Was Treue heisst, das wisst ihr hier im Süden nicht ... Also dann am ersten Saturnalientag."
    Er starrte auf den Boden, und fragte sich, ob man - falls es wirklich wahr war - es Aquilius verdenken konnte, dass er sein "Eigentum", wenn es sich ihm anbot, nicht verschmähte. Wohl kaum. Severus schluckte. Ohne den Zorn war da nur noch eine Masse von schwerer, zäher Traurigkeit und Ausweglosigkeit.
    Den Brief hielt er noch immer in der Hand, fiel ihm auf. Der kam gerade recht, um seine Hände zu beschäftigen. Fahrig glättete er ihn ein bisschen, streckte ihn dann Aquilius hin.
    "Hier. Hat mir einer für Dich mitgegeben. War'n bisschen dubios."

  • Er wollte es wohl nicht verstehen, und bei einer so konsequenten Weigerung, auch einmal die andere Seite zu betrachten, würde er es wohl auch nie verstehen - inzwischen hatte ich es ehrlich gesagt aufgegeben, Severus die Feinheiten unserer Gesellschaft und deren Ordnung zu erklären, und so beließ ich es auch dieses Mal dabei, mir seine verächtlichen Worte anzuhören und sie nicht weiter zu kommentieren. Letztendlich war es die immer gleiche Diskussion über Freiheit und Sklaverei, die ich auch mit Bridhe nun fast bis zur Erschöpfung geführt hatte, und die niemals ein wirkliches Ergebnis aufzuweisen hatte, da unsere Standpunkte naturgemäß sehr unterschiedlich waren. Und - im Moment hatte ich auch andere Sorgen, um mich wieder und wieder über dieses alte Thema aufzuregen, das sich ohnehin nicht ändern würde. Dafür waren wohl sowohl Severus als auch ich viel zu stur.
    "Wir wissen Treue anders zu bemessen als rein nach den Kriterien der Körperlichkeit," sagte ich schließlich. "Die Treue des Herzens ist weit wichtiger, die Treue des Geistes noch mehr. Wofür haben uns die Götter denn sonst Körper gegeben, wenn man nicht ab und an solchen Freuden fröhnen dürfte? Aber ich sehe, wir werden auch in dieser Sache sehr unterschiedliche Ansichten haben. Eine Frau wird nicht zu einer Hure, wenn sie nach ihrem Vergnügen handelt - ebensowenig wie ein Mann."


    Nach einigen Momenten nickte ich abermals. "Am ersten Saturnalientag, sobald die Gäste begrüßt sind. Denn diese Pflicht werde ich nicht vernachlässigen, um mich zu prügeln. Danach kannst Du mit mir rechnen." Den Brief, den er mir schließlich reichte, nahm ich langsam entgegen - seine Worte dazu ließen mich eine Braue fragend erheben. "Ein bisschen dubios? Wie meinst Du das? Wer hat Dir diesen Brief gegeben?" Das alles machte mich noch ein wenig neugieriger, und so brach ich das unangetastete Wachssiegel und öffnete das Schreiben, um es langsam durchzulesen.

    Salve, tresvir capitalis!


    Du als Adressat aller Denunziationen wirst Dich sicherlich auch auf diese schreckliche Angelegenheit stürzen müssen, da sie doch den Staat betrifft. An der Verschwörung der Flavia Messalina Oryxa, von welcher Du gewiss genug weisst, hat zur damaligen Zeit auch ein Mann teilgenommen, der Dir wohlbekannt sein dürfte: Aulus Flavius Atticus, der sich größten Einfluß versprach, sollte der Plan gelingen. Verdorben ist das Blut der Flavier, und verdorben das neue Blut, das sie schaffen.
    Es muss vernichtet werden, dieses schmutzige Verräterblut, und jeder neue Tropfen, der in einen fruchtbaren Schoß fällt, sollte dasselbe Schicksal erleiden wie die Verräterin.


    Ein Freund, der es gut mit Dir meint


    Vom Donner gerührt, ließ ich den schmutzigen Zettel sinken, blickte einige Momente lang starr gerade aus, bleich geworden wie die Wand. Verdorben das neue Blut, das sie schaffen. Wieso schickte man ausgerechnet mir einen solchen Zettel, vor allem, warum? Ich war ebenso Flavier, und einer aus der Familie der Verräterin noch dazu. ann durchzuckte mich die Erkenntnis wie ein plötzlicher Schlach in die Lendengegend.
    "Mein Sohn ... es geht gegen meinen Sohn. Wir müssen sofort nach Ostia!" Der Weinbecher klirrte zu Boden, zerschellte auf den Steinen und hinterließ eine rote Lache des Weins, das für mich wie getrocknetes Blut aussah.

  • 'Treue des Herzens', 'Treue des Geistes'? Treue zerlegt in kleine Scheibchen. Der Germane verzog das Gesicht. Was für eine faule Ausrede!
    "Dass ich nicht lache.", gab er bitter zurück, "Treue ist ganz oder gar nicht. Und ein Weib das schamlos kreuz und quer herumhurt, ist nun mal ehrlos. Nicht besser als eine läufige Hündin."
    Das die Römer lose Sitten hatten war ihm ja nun wirklich nicht neu. Und auch nicht dass Aquilius alles Edle mit vielen wohlklingenden Worten zu zerreden versuchte. Aber das hier war doch absolut der Gipfel. Er schüttelte fassungslos den Kopf und wiederholte langsam: "Nein, ihr wisst wirklich nicht im Geringsten was Treue ist."


    Aber gut, Aquilius hatte angebissen. Severus nickte stumm, voll grimmiger Genugtuung endlich mal eine Gelegenheit zu haben, den Flavier so richtig zu verdreschen. Er setzte sich auf dem Fass zurecht, zog ein Bein an sich, und betrachtete gelangweilt einen blauen Fleck an seinem Schienbein, während Aquilius sich mit dem Brief beschäftigte.
    "So ein dreckiger kleiner Hänfling hat ihn mir zugesteckt. Ziemlich verstohlen. Der kannte mich, obwohl ich den Kerl nie zuvor gesehen hatte. Er wollte nicht sagen woher der Schrieb kommt, meinte sein Herr würde lieber im Schatten bleiben. Da will wohl einer den anderen anschwärzen bei Dir. Ich verstehe ja nicht warum ihr sowas gelten lasst, wenn der Ankläger nicht den Schneid hat selbst gegen seinen Feind zu sprechen. Jedenfalls hab ich dann aber doch noch einen Namen aus dem Boten rausbekommen: Crassus. Oder nein, nein nicht Crassus - Crannus war es."
    Aquilius Reaktion auf den Brief verblüffte ihn. Der Römer, sonst die Selbstbeherrschung in Person, schien ja völlig ausser sich zu sein. Schade um den Wein, dachte der Germane, und Seit wann hat der einen Sohn??
    "Was ist los?", fragte er, "Was steht denn drin?", und rutschte von dem Fass, bewegte sich schon zum Ausgang des Weinkellers, bereit sofort aufzubrechen.

  • "Und was ist ein Mann, der viele Frauen in sein Bett holt? Ein Lustknabe? Oder ein wirklicher Mann? Warum sollte eine Frau weniger das Recht auf ihr Vergnügen haben als ein Mann dies besitzt? Wir mögen andere Ansichten haben als Dein Volk, Severus, aber die Ansichten Deines Volkes sind nicht im Mindesten logisch, was Körperlichkeiten angeht ..." gab ich trocken zurück, wohl wissend, dass ich es genausogut einer Wand hätte erzählen können. Dass er vieles durchgestanden hatte, war ein Produkt einer gewissen Sturheit und sicherlich eines noch größeren Zorns auf uns Römer, und in vielem war Sturheit sicherlich ein Vorteil - wenngleich nicht in Diskussionen philosophischer Natur. "Für mich ist eine Frau eine lupa, die ihre Ehre für Geld verkauft, vorher nicht. Tut sie es aus Vergnügen, tut sie es freiwillig, werde ich sie sicherlich niemals als Hure ansehen und ansehen können."


    Eine zusammengebrochene Welt später blickte ich auf meine Hand herab, die den Brief hielt, diese dreckige Verräterepistel, die ich am liebsten in den Dreck geworfen hätte, aus dem sie stammte - aber ich würde den Brief brauchen, später, um Gracchus die Sache auseinander zu setzen. Falls ich ihn überhaupt einweihen würde. Das war eine Sache der hispanischen Flavier - vorerst noch. Und er würde wohl auch nicht verstehen, wie es mir gerade erging ... er hatte noch keinen Sohn, kein Kind, das mit seinen kleinen Fingerchen meinen Zeigefinger umfasst hatte, das mich angeblinzelt hatte, als ich es vom Boden aufgehoben hatte, um es anzuerkennen. Ich schluckte hart und blickte dann zu Severus, den Brief zusammenfaltend, um ihn in meinen Gürtel zu stecken.


    "Dieser Brief bezichtigt meinen Vater eines Verrats, den er nie begangen hat, und bedroht meine Familie mit dem Tod ... vor allem die Kinder meines Hauses ... und ich habe einen Sohn, einen Sohn, der fern diesem Haus aufwächst, um ihn vor dem Gift meiner Verwandten zu schützen, das allzu reichlich fließt, wenn man aus Hispania stammt." Ich ließ alles liegen, was mit meiner nächtlichen Kontemplation zu tun gehabt hatte, und schritt zum Korridor, um mich noch einmal nach meinem Sklaven umzublicken. "Crannus ... nun, wenigstens einer meiner Feinde scheint einen Namen zu haben." Dann ging ich in den Gang, eilige Schritte führten mich durch die Dunkelheit, aber ich kannte den Weg, die Treppe hinauf, hinaus auf den Hof, hin in Richtung der Ställe. Ostia. Mein Sohn ...

  • "Nein. Ein Lustknabe ist etwas anderes. Nämlich ein Mann der sich so sehr erniedrigt, dass er sich von anderen Männern zum Weib machen lässt.", klärte Severus den Flavier auf, der, obschon ein Ausbund an Sittenlosigkeit, auf diesem Gebiet nicht so recht Bescheid zu wissen schien. "Und ein Weib, das schamlos seiner Brunst folgt, aus reinem Trieb heraus die Treue verrät, das ist sogar noch viel schlimmer als eine Lupa. Die macht das ja nur, weil sie auch von was leben muss!"


    Doch der Brief beendete dieses unergiebige Gespräch, was wahrscheinlich auch ganz gut so war. Von der Schwelle des Weinkellers aus sah der Germane zu Aquilius zurück, den es in der Tat zum sofortigen Aufbruch drängte, und nahm seine Enthüllung schweigend hin. Zügig durchschritt er dann mit ihm die Kellergänge. Ein Sohn also, ein Bastard. Ja, der Germane konnte durchaus verstehen, dass man ein Kind nicht hier in diesem Schlangennest aufwachsen lassen wollte. Es war ungewohnt, Aquilius so erschüttert zu sehen. Ungewohnt, nichts weiter. Der Germane verspürte keine Spur von Mitgefühl. Eher die Hoffnung, endlich mal etwas richtiges zu tun zu bekommen. Ausserdem fand er, dass es dem Flavier nur gut tun konnte, wenn in dessen beschauliches Leben mal eine wirkliche Bedrohung einbrach, ihn zum Handeln herausforderte, und vor allem ein einziges Mal die dicke Schicht blasierter Dünkelhaftigkeit, mit der der Römer sich wie eine zweite Haut umgab, durchbrach.


    Flink sattelte er sich ein schnelles Pferd, verbarg seine Waffen unter der Kleidung und holte ein paar Fackeln für den nächtlichen Ritt. Und nach kürzester Zeit schon verliessen zwei Reiter die Villa und sprengten, das Reitverbot in der Stadt nicht achtend, durch die Strassen des abendlichen Roms, und dann die Via Ostiensis entlang...

  • Nichts als einige verwirrt blickende Sklaven, die uns die Pferde gebracht hatten, blieben im Hof zurück, nicht einmal eine Botschaf für Gracchus oder sonst jemanden im Haus, selbst Straton hatte von unserem eiligen Aufbruch nach Ostia nichts erfahren - aber die Zeit drängte, und nicht wenige Fuhrleute fluchten ganz ungemein, als sie uns beiden eiligen Reitern ausweichen mussten, die durch die nächtlichen Straßen Roms rasten, als seien sie hinter Daimonen her ...

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