Der Tag, an dem die Erde still stand

  • Ein sonniger, kalter Tag schickte sich an, sein Ende in einer noch kälteren Nacht zu nehmen, überdeckt von Sternenklarem Firmament und garniert mit einem Hauch von Frost. Im Inneren der Villa Flavia jedoch war hiervon nicht sonderlich viel zu bemerken, denn die Dämmerung wurde verschwenderisch vertrieben durch den warmen, orangefarbenen Schein unzähliger Lampen und der Kälte wurde der heiße Dampf der Hypocaustheizung entgegen gestellt, welcher die Räume in behagliche Wärme tauchte. Keinen Augenblick verschwendete Gracchus einen Gedanken an dieser gar wundervolle Errungenschaft der Technik, welche unter seinen Füßen am Werke war, als unbewusst mit diesen er auf den Boden wippte. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen fein säuberlich aufgereiht Wachstafeln, Griffel und eine dünne Stange Siegelwachs, daneben stand eine Öllampe. Seitdem er am Tisch hatte Platz genommen, starrte er auf jene Utensilien, ohne eine einzige davon zu berühren - er saß bereits so lange, dass jene Zeit gut und gerne als verschwendet hätte betrachtet werden können, wenn nicht in seinen Gedanken er überaus aktiv sie hätte genutzt. Gracchus wandelte durch das Innere seines Gedankengebäudes, goutierte sich am adorablen Anblick vergangener Wochen, wälzte sich in einem Bad aus Lavendel und Mauve, welchem der Odeur Caius' anhaftete, und lauschte andächtig dem Klang des Herzschlages ihrer dispergierenden Leiber. Anfänglich hatte er darüber sinniert, Aquilius erneut in dessen Gemächer aufzusuchen, doch er fühlte sich in den seinen ein wenig mehr gefeit den Umständen, obgleich nur wenig darin auf ihren Bewohner hinwies, kaum persönliche Gegenstände sie zierten. Gerade jedoch diese Kargheit gereichte Gracchus zu einem Gefühl der Geborgenheit, denn die Absenz kakophonischen Chaos' barg eine wohltuende, stille Harmonie in sich, welche er beinahe ebenso goutieren konnte, wie jene Harmonie tatsächlich ästhetisch wohlgefällig arrangierter Räumlichkeiten. Völlig in sich selbst versunken versuchte er den Augenblick zu verdrängen, welcher unweigerlich sich ihm näherte, sich allmählich ankündigte durch den fester und fester würgenden Griff um seine trockene Kehle - bereits nach dem Gespräch mit Antonia hatte er Sciurus angewiesen, ihm ein wenig Zeit noch zu lassen, um sodann Aquilius zu ihm zu bitten.

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  • Der frühe Morgen brachte das altgewohnte Ritual mit sich, dem ich seit Wochen folgte - aufstehen, ankleiden, Besuch des tonsors, Anlegen der toga, karges Frühstück, salutatio meiner Klienten und dann der Aufbruch zur Basilica Ulpia, um meinem Amt nachzukommen, einzig und allein erfuhr dieser Rhytmus seine Unterbrechung in den Feiertagen, an denen keinerlei Amts- und Gerichtsgeschäfte getätigt werden durften, um den Zorn der Götter nicht zu erregen. Dann war der Tag irgendwann vorüber, und ich kehrte müde und ermattet nach Hause zurück, lieb abermals den tonsor kommen, der mir den Bart ein zweites Mal beseitigen musste, da er über den Tag hinweg gerne unkontrolliert wucherte, legte mich für ein Schläfchen nieder, begab mich zur cena und setzte mich nach dem Essen schließlich nieder, um mich den Akten zu widmen, die ich mir vom officium mitbrachte. Der Sklave meines Vetters erwischte mich nach der abendlichen cena - und ich sagte ihm, dass ich meine Akten noch vorbereiten würde, und dann bei Gracchus vorbeischauen würde, denn wenn ich die Arbeit sortierte, die noch zu erledigen war, wollte ich nicht gestört werden, gehörte dies doch zu den Punkten meines abendlichen Programms, bei denen ich noch die Gedanken schweifen lassen konnte. Da Bridhe nun in ihrer eigenen Kammer schlafen konnte, würde ich diese Nacht wohl alleine verbringen, sie musste ohnehin gesund werden, und war recht erschöpft und nicht mehr allzu frohen Mutes - wollte Gracchus seinen Tag etwa mit einem kleinen Vergnügen beenden? Ich beschloss, auf die Akten Akten sein zu lassen und machte mich auf den Weg zu Gracchus' Räumlichkeiten, nicht ohne im tiefsten Inneren darauf zu hoffen, jenes Zusammensein in meinem Arbeitszimmer würde sich auf angenehmste Weise wiederholen.


    Einen Tag so zu beenden würde ausgesprochen perfekt sein, und auch wenn mir klar war, dass Perfektion sich ausgesprochen selten ereignete, hinderte mich das doch nicht daran, in gewisser freudiger Erwartung die Gänge der villa Flavia entlang zu schreiten, meinem Geliebten entgegen. Einigermaßen frisch hergerichtet war ich mir auf jeden Fall sicher, einen Teil seiner Sinne durch meine Erscheinung fesseln zu können, und wenn er dann erkennen musste, dass ich auch nicht abgeneigt war ... mhm. Gerade der Gedanke, dass es zu dieser Stunde mehr als ein Risiko sein würde, gemeinsam ein wenig Leidenschaft kosten zu können, machte doch einen nicht unbeträchtlichen Reiz aus an der ganzen Sache.
    Als ich seine Tür erreicht hatte, kämpfte ich die Aufregung nieder und hob die Hand, um anzuklopfen - wenige Augenblicke später öffnete ich die Türe und trat ein, ihm ein sonniges Lächeln zugedenkend. "Salve, Manius - was ist denn so dringend, dass Du mich um diese Zeit sprechen willst? Ist irgend etwas passiert?" Bei unserer Familie konnte man das schließlich nie wissen. Die Flavier waren für alle Arten Katastrophen gut. Zudem, inzwischen wusste er, wann ich meine Arbeit erledigte, wenn es überzählige Akten gab und bisher hatte er dies zumeist respektiert.


    [SIZE=7]/edit: Kleinere Zeit-Errata beseitigt.[/SIZE]

  • Leise schloss sich die Türe hinter Caius, gleichsam hinter Gracchus, welcher sie in seinem Gedankengebäude hinter sich zu zog, sorgsam verschloss und zurück kehrte mit seiner Aufmerksamkeit in die trostlose Welt der Wirklichkeit um ihn herum. Wie so oft war Aquilius das Leben in all seiner Fülle, all seinem Strahlen, mehr noch, seit Gracchus wusste, wie es war, eins mit ihm zu sein, und doch konnte diesen Anblick er an diesem Tage nicht ertragen, denn zu deutlich barg er den Verlust, welcher vor ihm lag.
    "Nichts ist passiert, Caius. Nichts."
    Er erhob sich von seinem Stuhl und trat ans Fenster hin, kehrte Aquilius den Rücken zu, suchte Halt im Garten hinter der Villa, doch die winterliche Kargheit bot nur dürres Geäst, farbloses Gras und kahle Beete. Es drängte ihn danach, die Zeit zu füllen mit blumigen Worten, rotfarbene Rosen an den Himmel zu malen und leuchtend grünfarbene Blätter an die Zweige der Tristesse zu heften, doch die Wahrheit pochte zu laut in seinen Sinnen, als dass sie zu ignorieren war.
    "Nichts, das ist passiert."
    Farblos war der Klang seiner Stimme, ein Hauch nur in der Unendlichkeit, marginal und unbedeutend wie er selbst, verdammt dazu, in Vergessenheit zu vergehen. Nur halb drehte schlussendlich er sich zu Aquilius wieder um, suchte einen Moment lang nur seinen Blick.
    "Ich erzählte dir von der Sklavin, Salambó, jener, welche des nächtens bei mir lag. Monate ist es her, womöglich erinnerst du dich. Jeden Abend war sie bei mir, Caius, jeden Abend."
    Er schluckte einen gewaltigen Kloß seine Kehle hinab und fuhr etwas leiser fort.
    "Jeden Monat folgte sie dem Zyklus der Weiblichkeit. Zuletzt vor wenigen Tagen. Es ist nichts geschehen. Folgenlos, dies alles. Bis auf die daraus resultierende Gewissheit nutzlos."
    Nutzlos wie er selbst. Mit einem Male fühlte sich Gracchus fürchterlich schäbig, wertloser noch als je zuvor. Sein gesamtes Leben verlor seine Bedeutung mit der Erkenntnis, seine Linie nicht fortsetzen zu können, denn was blieb somit übrig von ihm? Natürlich war es bei den Caesaren üblich, sein Erbe an Männer weiter zu reichen, welche nicht unbedingt gleichen Blutes mussten sein, doch er war kein Caesar, er hatte kein Imperium weiter zu geben, er hatte einzig seinen Ursprung, sein Blut. Wo lag letztlich noch all der Sinn in seinem Leben, wenn ein anderer selbst besser dazu geschaffen war, seine Kinder zu zeugen? Wäre nicht adäquater, statt für einen Vater seiner Kinder direkt für einen alternativen Ehemann Antonias Sorge zu tragen? Und doch stand er hier, im Ansinnen, seinen besten Freund, seinen Geliebten zu hintergehen, ein Kind ihm zu rauben, aus purem Egoismus, um eine Farce aufrecht zu erhalten, eine gewaltige Lüge - die Lüge seines Lebens. Er hatte dies alles viel zu wenig überdacht, blind lief er durch einen Wald voller Bäume und verfing sich in ihrem Geäst, stieß gegen ihre Stämme, wohin er sich auch wandte. Ohne Ausweg, und er wünschte, der Orcus würde sich unter ihm öffnen, um ihn zu verschlingen.

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  • Die Türe fiel zu, und mit diesem leisen, kaum hörbaren Klicken überflutete mich die Atmosphäre des Raums einer Welle gleich, die über meinen Kopf schwappte und versuchte, mir den Atem zu nehmen. Es war wie so oft, wenn ich den persönlichen Bereich Gracchus' betrat, seine Persönlichkeit füllte diesen Raum so überbordend aus, dass für wenig anderes Platz blieb, und somit konnte ich mich auch seiner derzeitigen Stimmung kaum entziehen. Nach einigen Tagen des vollkommenen Glücks, in denen ich mich an seiner heiteren Miene kaum hatte sattsehen können, war wieder eine Talsohle erreicht und ich konnte dies deutlich an seiner Haltung erkennen. Er ließ, wenn ihn etwas traurig machte, den Kopf auf eine besonders mutlose Weise hängen, die mir jedes Mal die Kehle zuschnürte, wenn ich es sah und doch hilflos bleiben musste. Es war also wieder die Sache mit dem fehlenden Erben, die ihn niederdrückte, und langsam gingen mir auch die guten Ratschläge aus. Wenn schon ein kleines Sahnestückchen wie Salambó nicht schwanger wurde, dann war es recht eindeutig, an wem der fehlende Nachwuchs liegen musste, und einer solchen Tatsache in die Augen blicken zu müssen hätte wohl jeden Mann deprimiert.


    Langsam schritt ich näher, unfähig, etwas tröstliches zu sagen, denn welchen Trost gab es schon für einen Mann, der sich sehnsüchtig einen Erben wünschte und nicht einmal eine Tochter zeugen konnte? "Das ....das tut mir leid, Manius ... bei allen Göttern, es gäbe keinen Menschen, dem ich mehr einen Sohn wünschen würde als Dir. Ich habe mir niemals einen gewünscht und habe doch, was Dir vorenthalten bleibt, als gefiele es dem Schicksal, über uns zu lachen, wo es nur kann." Ein wenig Bitterkeit mischte sich auch in diese Worte, aber weniger wegen dem Spiel des Schicksals, als darüber, dass es immer Manius traf, wenn Dinge schwer waren, wenn sie unerträglich waren - denjenigen, der am meisten von uns allen Glück verdient hatte und doch nichts als Sorgen erhielt, die schwer auf seinen Schultern lasteten.
    "Hast Du ..." Ich atmete tief ein und musste mich überwinden, diesen Gedanken weiterzuspinnen, bedeutete er doch, fremdes Blut in die Familie zu holen, ohne es durch Heirat zu binden. "Hast Du schon an die Adoption gedacht, Manius? Einen herausragenden jungen Mann an Deines Sohnes Statt anzunehmen wäre ... auch eine Möglichkeit." Langsam legte ich ihm meine Hand auf die Schulter, und auch wenn ich wusste, dass diese Geste das Gewicht nicht von seinen Schultern nehmen konnte, konnte ich doch nur hoffen, sie würde ihn etwas trösten.

  • Kurz zuckte Gracchus unter der Berührung seines Vetters zusammen, jener Berührung, welche seit jeher stets so tröstlich gewesen war für ihn, mit einem Male jedoch sich seltsam fremd, weit entfernt und fehl anfühlte. ... als gefiele es dem Schicksal, über uns zu lachen, wo es nur kann. Gleichsam lachte Caius mit ihm, über es. Er würde alles erreichen, alles haben, was jemals er sich erträumte, er würde seiner Frau alles geben können, was jene sich wünschte, was jene verdiente, er würde der perfekte Ehemann sein, der perfekte Vater, zudem war er auf dem besten Wege seine Ziele in der Politik, der Gesellschaft zu erreichen, ein perfekter Römer, wie dies Erwartung an einen jeden Flavier war. Was auch kam, Caius lachte nur stets das Schicksal aus, er duldete nicht, dass es ihm spottete. Kein einziges Quäntchen dieses Glückes neidete Gracchus seinem Geliebten, doch es quälte ihn sehr, dass er sich dazu anschickte, ihm ein Fragment dieses Glückes zu rauben.
    "Wen, Caius, sollte ein Mann wie ich adoptieren? Wir sind keine Kaiser, welche aus den fähigsten Männern könnten ihre Nachfolger wählen. Ein junger Mann, welcher alt genug ist, wird nicht sich unter die patria potestas stellen, ein solcher, welcher jung genug, nicht aus jener entlassen. Es bliebe einzig ein Kind, welches die eigenen Eltern würden verstoßen, verkaufen gegen Sesterzen, Zuwendungen oder Einfluss, doch wie könnte ein solches Kind ich als das meine, als Flavier akzeptieren? Bedenke zudem die Schmach eines solchen Schrittes, wäre doch dies ein öffentliches Eingeständnis meiner eigenen Unzulänglichkeit. Nein Caius, in diesem Falle kann ebenfalls ich ohne einen Nachkommen diese Welt verlassen, nicht minder beschämend wäre dies."
    Eine halbe Drehung brachte Gracchus seinem Vetter in dessen Angesichte, den Blick fest, da Aquilius ebenso gut wie er musste wissen, dass eine solche Adoption keine Lösung jenes Problemes war, dessen ein Flavier sich in seinem Falle gegenüber sah.
    "Es geht nicht um die Annahme des Kindes eines anderen, keinen Augenblick würde ich zögern, im schlimmsten Falle des Todes die Nachkommen eines meiner Vettern in meiner Familie aufzunehmen, gleich meinen eigenen würden sie erwachsen, gleichsam würde niemals der Makel des Fremdseins auf ihnen lasten, denn sie wären Flavier vom Blute durch und durch. Doch fremdes Blut meine eigene Linie fortführen zu lassen, dies hast keinen Sinn, du weißt es."
    So war dies in der Flavia, und man mochte dies als deplorabel erachten oder auch nicht, es war dies unumstößlich.
    "Die ... die einzige Möglichkeit ..."
    Er stockte, konnte, wollte dies nicht aussprechen, sein Blick senkte sich herab, wanderte ziellos durch den Raum ohne Halt zu finden, nur immer in Bewegung, um nicht dem seines Geliebten begegnen zu müssen..
    "Antonia ... sie kann trotz allem ... die Mutter meiner Kinder ... [size=7]werden ..."[/size]
    Seit dem ersten Aufflackern jener Idee war dies ein ungeheuerliches Vorhaben, doch ausgesprochen mit seiner eigenen Stimme, einem anderen, in all diese Dinge nicht involvierten Menschen - nicht wissentlich involvierten -, dies ließ noch weit ungeheuerlicher es erscheinen, als ohnehin es bereits war.

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  • Warum war er zusammengezuckt? Meine Gedanken kreisten um jene so willkürliche Reaktion meines Vetters und Geliebten, die mir doch so fremd war, lag doch darin stets auch ein Hauch der Ablehnung, der beginnenden Distanz - so hatte er noch nie auf mich reagiert, ausser es hatten sich Sorgen am Horizont abgezeichnet, und ich ahnte, dass die Kinderlosigkeit ihn weitaus mehr bedrückte, als sie mich beschäftigt hätte. Für Gracchus war es einfach viel wichtiger, dass alles so funktionierte, wie es funktionieren sollte - von uns beiden war er immer derjenige gewesen, der mehr am korrekten Lebensweg eines Patriziers gehangen hatte und hängen würde - ich fügte mich dem äußeren Wunsch nur, weil es mir sinnvoller erschien als dauernde Opposition, um mein Ziel zu erreichen.
    "Wir sind immernoch Flavier, auch wenn wir keine Kaiser mehr stellen, unser Blut ist alt und von edler Natur. Ich bin mir sicher, würdest Du rufen, gäbe es einige, die diesem Ruf folgen würden, ist doch Dein Ansehen in der Öffentlichkeit makellos, dein Weg in den Senat erfolgte früh und Du gibst zu allen prächtigen Hoffnungen Anlass. Welcher junge Mann sollte dieses Angebot nicht zu schätzen wissen? Ein Octavian erkannte seine Chance und nutzte sie, und ich denke doch, dass Du ruhigeren Blutes bist als Caesar es jemals war, und von ebenso kluger Natur."


    Dennoch, es würden sich nicht viele finden lassen, soviel war sicher - die meisten Männer wollten alles alleine erreichen, und wenn man ehrlich war, dann war dies ein Weg, den wir beide wohl auch eher beschreiten würden denn die Adoption in eine blutsfremde Familie. Hätte es irgendein gutes Argument gegeben, mit dem ich ihm hätte widersprechen können, ich hätte es mit Freuden getan, aber es wollte sich keines finden lassen, das mich und ihn hätte beruhigen können.
    "Ich weiß," gab ich schließlich zu und atmete tief durch. Ich hätte nicht anders entschieden, auch wenn ich das Blut der Flavier eins ums andere Mal verdammte, über unsere Makel und Unpässlichkeiten fluchte, uns für zu hochfahrend hielt, um überhaupt einen Weg finden zu können, weniger zu werden, als wir waren, es gab keinen Weg hinab für einen Flavier, immer nur hinauf. Es war unser Schicksal, zu den Sternen streben zu müssen, um uns nicht zu verleugnen.
    "Aber wie sollte sie ... wenn es nun einmal .. nicht ... [SIZE=7]geht[/SIZE] ..." Während ich sprach, die Ungeheuerlichkeit seiner Worte in mein Herz einsickerte und mir den Atem nahm, eröffnete sich mir das ganze weite Feld der unendlichen Möglichkeiten, die er vielleicht ins Auge gefasst haben mochte. Ein flavisches Kind, gezeugt von einem der unsrigen, der Same gelegt in Antonias Schoß, und geboren als Gracchus' Kind, als Erben seiner Linie, ohne jemals zu erfahren, wer der Vater gewesen war.


    Immer hatten wir uns verstanden. Immer im Gleichklang geliebt. Immer einander die Hand gereicht, was immer es auch gewesen war, das geschehen war, letztendlich waren wir dem doch gemeinsam begegnet, soweit es möglich gewesen war. Es stand für mich außer Frage, dass ich ihn auch in dieser schweren Stunde unterstützen würde, musste, nicht nur als Vetter, als Freund, als Vertrauten. Wie sehr hing sein inneres Glück doch davon ab, ein Kind zu haben, wenigstens vor der Welt als richtiger Römer zu gelten, der Haushalt, Weib, Landbesitz und Erben vorzuweisen hatte.
    "Es müsste einer von uns sein ... pater semper incertas," sagte ich schließlich ruhig, gelassen fast, denn auch wenn ein anderer Mensch von einer solchen Idee wohl abgestoßen gewesen wäre, ich dachte in solchen Dingen pragmatischer. "Aristides hat seine Fruchtbarkeit bewiesen, auch wenn ich fürchte, das Blut der Mutter hatte einen schlechten Einfluss, was Du diesmal nicht befürchten müsstest. Furianus würde ich diesen Triumph allerdings nicht gönnen, er würde dies Wissen gegen Dich verwenden, sobald er das kann, ohne sich selbst zu schaden, Lucanus ist zu jung, und ..." Und dann blieb noch ich. Langsam wandte ich mich ihm zu, suchte in seiner Haltung zu erkennen, ob er wirklich mich gemeint hatte. Ob er diesen Wunsch wirklich in sich trug. "... und dann wäre da noch ich."

  • Ohne dass er auch nur es aussprach, wusste Aquilius, was sein Begehr war, denn sie kannten sich bereits zu lange und zu genau, als dass dies notwendig war, und Gracchus war froh darum, es nicht aussprechen zu müssen. Dennoch wirkte es befremdlich auf ihn, wie distanziert und pragmatisch Aquilius auf all dies hinab sah, wie er leichthin die Optionen aufwies, schlussendlich sich selbst. Und doch, war es aus seiner Sicht nicht eben auf diese Weise zu sehen? War denn der Unterschied so groß, einem Vetter ein Kind zu ermöglichen, welcher selbst dazu nicht in der Lage war, oder das Kind eines Vetters anzunehmen, welchen die Welt würde verloren haben? Würde nicht Gracchus auf der anderen Seite der Misere stehend gleichermaßen Aquilius diesen Dienst erweisen, ohne auch nur einen Herzschlag lang zu zögern, ihm jenen Wunsch erfüllen, welchem sehnlichst er würde nachhängen? Alledem ungeachtet, auf dieser, seiner Seite der Misere stehend, brach es Gracchus das Herz, von seinem Geliebten dies zu verlangen, so gierig von ihm zu rauben, was selbstverständlich er gab. Die Pflicht hallte in seinem Gewissen wider, wieder und wieder, überschattete jede Emotion, jede Freiheit, die in den letzten Wochen er ihr mühevoll hatte entrissen. War es dies, was er seinem Nachkommen eines Tages würde mit in sein Leben geben? Aus Pflicht bist du geboren, um eine Pflicht zu erfüllen. Er war noch nicht Vater, würde niemals leiblicher Vater sein, und doch war er bereits ein schlechter Vater.
    "Ich habe mit Antonia diesbezüglich gesprochen. Wegen all ... dem."
    Mit einer flüchtigen Handbewegung umfasste er die Welt, sein Leben, die Misere.
    "Sie war äußerst ... konnivent. Sie ... wir ... nun, es gab wohl einiges, was zwischen uns stand, ohne dort seinen Platz haben zu müssen, und ich ... wir haben ein wenig mehr zueinander gefunden. Ich kann wahrlich nur mich glücklich schätzen, sie als meine Gemahlin zu wissen."
    Während all der Worte war Gracchus erneut Aquilius' Blick ausgewichen, doch letztlich musste er ihm in die Augen sehen, in jene wundervollen, unendlich tiefen, braunfarbenen Augen, in welchen in seinen Träumen er schwamm, in welche er eintauchte, um darin unter zu gehen, sich verschlingen zu lassen von ihrer warmen Couleur.
    "Es muss ein Mann sein, welchem ich vertraue, welchem mein Leben ich würde anvertrauen, denn nichts anderes tue ich."
    Womit nur zwei Männer blieben, was auch Caius würde wissen, er selbst und Aristides.
    "Es kann Monate, Jahre noch dauern, bis Marcus zurück kehrt, zudem hegt Antonia Bedenken Epicharis' wegen. Es ist auch ihre Entscheidung."
    Obgleich er es nicht hatte ausgesprochen, wünschte sich Gracchus, dies nie auch nur angesprochen zu haben. Er wollte seinem Vetter auf die Schultern klopfen, lachend, ihm einen Scherz eröffnen, doch er wusste, dass dies ein sinnloses Unterfangen war, denn Aquilius würde diesem Trug nicht Glaube schenken, da er ebenso gut wie er selbst wusste, dass er solcherart nicht war. Mit einem Male schien das Zimmer kalt, als wäre das Feuer im Ofen des Hypokaustensystemes erloschen, und Gracchus konnte sich nicht eines marginalen Zitterns erwehren, welches von seinem Körper Besitz ergriff. Aquilius hatte längst nicht zugestimmt, nur Möglichkeiten genannt, und im Zweifel an sich selbst, im Zweifel, ob er würde präferieren, dass jener ablehnte oder zustimmte, wollte Gracchus am liebsten zerbrechen, in Tausende Stücke zerfallen, zu einem unbedeutenden Häuflein Asche, welches in den Fugen des Bodens versickerte und darin würde festgestampft werden, auf immer Teil dieses Hauses, doch längst vergessen. Er wusste die Antwort bereits, wusste, dass er sich dessen gewahr war, doch kämpfte er sie in sich hinab, kämpfte gegen sie an als würde sein Leben davon abhängen. Und vielleicht tat es dies. Sein Leben.

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  • Mit einem Mal fröstelte ich. Gracchus' karge Inneneinrichtung war mir nie unangenehm aufgefallen, letztlich waren die klaren, schlichten Linien, dieser Mangel an allzu vielen persönlichen Gegenständen, die stetige, verlässliche Ordnung ein direkter Spiegel seiner Persönlichkeit, mein Geliebter mochte seine Welt einfach lieber geordnet und mit jedem Stück und jedem Ding am richtigen Platz. Aber jetzt, da ich umso mehr und umso deutlicher vor Augen geführt bekommen hatte, wie leer es sich zwischen all dieser sauberen, distanzierten Ordnung anfühlen musste zu leben, konnte ich mich eines Gefühls innerlich aufsteigender Kälte nicht erwehren. War das eine Welt, die er mir zu verbergen gesucht hatte, diese wirklich tiefe Verzweiflung über seine Kinderlosigkeit? Was musste es für ihn bedeutet haben, wochenlang jede Nacht bei dieser Sklavin zu liegen? Ihm, der doch die Festigkeit eines männlichen Körpers der sanften Weichheit einer Frau bei weitem vorzog. Und jedes Mal eine vergebliche Hoffnung, das Ausbleiben der erhofften, Klarheit schaffenden Schwangerschaft. Dass er bereits mit Antonia gesprochen hatte deswegen offenbarte das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung, ich wusste nicht, ob ich meinerseits damit hätte so bewusst umgehen können.


    Unsere Blicke trafen sich endlich, und ich konnte meine Vermutungen im Glanz der seinen bestätigt sehen, in jenem unruhigen Flackern, in dieser aufrechten Begegnung mit dem Unausweichlichen. Gab es in unserer ganzen verlotterten Sippe einen Mann, der stärker gewesen wäre als er? Mehr denn je schien mir mein ewig an sich und seinen Qualitäten zweifelnder Manius als der sichere Hafen nach einer stürmischen Fahrt auf einem ungewissen Lebensmeer. Was musste ihn dieses Gespräch mit Antonia gekostet haben, die für ihn stets die unerreichbare, perfekte Frau gewesen war? Wie musste sie sich bei diesem Geständnis gefühlt haben, die doch ganz ebenso Manius für einen perfekten Mann gehalten hatte? Es waren seltsame Spiele, welche die Götter mit uns trieben, und für einige, sich wie eine Ewigkeit hinziehende Momente schwieg ich voller Gedanken.
    "Sie ist eine besondere Frau, Manius, das habe ich Dir immer gesagt. Wahrscheinlich erkennt man den wahren Menschen immer erst in Momenten der Not, der Qual, des Schmerzes, in allen anderen kann man sich zu leicht hinter dem verstecken, was einem anerzogen ist." Wenigstens schien die Krise diese beiden so ungleichen und doch sehr ähnlichen Eheleute nicht ganz auseinander gebracht zu haben - und das gönnte ich beiden, dass sie wieder besser miteinander zurecht kamen. Durfte ich mich da dann überhaupt dazwischen drängen, selbst wenn beide es wollten?


    "Ihr habt euch also für mich entschieden." Es war die logische Schlussfolgerung - Furianus hätte ich selbst niemals gefragt, weil ich ihm gerade einmal so weit traute, wie man ihn hätte werfen können, und da ich mich weigerte, ihn auch nur zu berühren, würde es nie ein allzu weiter Wurf werden - und Aristides war verlobt, würde bald mit seiner neuen Frau eigene Kinder zeugen, da blieb nur ich. Wie absurd der Gedanke doch war! Nie hatte ich über Kinder nachgedacht, war Vater geworden, ohne mich meiner Herkunft zu erinnern und er, der nichts mehr verdient gehabt hätte als einen Erben, er musste sich mühen und demütigen, um diesen zu bekommen. Plötzlich konnte ich nicht mehr anders, ich musste mich von ihm abwenden, schritt zu jenem kargen kleinen Tischchen, das wohlweislich einen Krug Wein bereithielt, und Becher, um mir einen einzuschenken, dann trank ich wie ein Verdurstender, ohne auf die Qualität zu achten, einfach nur, um den Kopf wieder halbwegs klar zu bekommen. Selbst der Wein bot mir in diesem Moment keine Hilfe, er schmeckte seltsam schal und bitter auf meiner Zunge, auch wenn ich mir fast sicher war, mir das nur einzubilden.
    "Manius ... ich ... ich muss gestehen, das ... nunja, das überrascht mich ein wenig. Versteh mich nicht falsch, ich ... ich werde Dir immer helfen, wenn Du Hilfe brauchst, also auch in dieser Sache. Aber ..." Ich schloss die Augen und atmete tief und mühsam ein. "Aber man wird nicht jeden Tag gefragt, ob man Vater des Erben des Menschen werden will, den man liebt. Es ist... wie eine dieser absurden griechischen Komödien, man weiss nicht so recht, ob man lachen oder weinen soll."

  • Die Schlussfolgerung aus Aquilius' trockener Kehle klang wie der Vorbote der Verderbtheit, wie ein unsäglicher Plan, der erste Schritt hin zur Verdammnis, welcher er war. Zwischen ihnen tat sich eine Kluft auf, ein unendlich tiefer Abgrund, ein Spalt bis in die Unterwelt hinab, über welchen einzig ein dünner, kaum sichtbarer Faden war gespannt, jenes ungeborene Kind, welches sie in diesem Augenblicke zusammen hielt und gleichsam voneinander entfernte. Gracchus hatte geglaubt, glauben wollen, gehofft, dass eine Frau mehr oder weniger für Caius keinen Unterschied würde machen, doch erst in diesem Augenblicke wurde er gänzlich sich dessen gewahr, was er von seinem Geliebten verlangte. Sich selbst hatte er längst für die ihm stets so drängend erscheinende Pflicht aufgegeben, seine eigene Scham verleugnet, da er Aquilius ein Kind wollte rauben, im graven Wissen darob, dass beide er niemals wieder würde mit reinem Gewissen ansehen können - doch wie musste Aquilius dem gegenüber stehen, der ein Kind würde zeugen, sein Kind würde aufwachsen sehen, ohne jemals seine Verbundenheit ihm gestehen zu können? Es war eine Sache, ein abweisender, strenger Vater zu sein, wie ihre eigenen Väter dies gewesen waren - obgleich Gracchus gerade in letzter Zeit auch darüber hatte sinniert, ob er jenen Männern der vorigen Generation nicht unrecht tat, denn wer konnte wissen, welche Kämpfe sie selbst in ihrem Inneren hatten ausgefochten? - oder ein Vater zu sein, ohne dies sein zu dürfen. Pater semper incertas - doch was war es, wenn die Vaterschaft sicher war, doch gleichsam unaussprechlich? Auch Gracchus drehte sich fort, dem Fenster zu, ohne zu blicken, welch Leben sich davor in der anbrechenden Dämmerung tummelte. Fest presste er die Kiefer aufeinander, kniff die Augen zusammen, um in sich zu blicken, während er den zögerlichen, zweifelnden Worten seines Vetters lauschte, der sein Wohl über das eigene würde stellen. Er konnte dies nicht tun, er konnte nicht Caius in dieser Weise benutzen. Gracchus' Herz raste, dass er das Pochen in seinen Ohren konnte vernehmen, die Desperation verschluckte ihn wie das Meer allabendlich die rotfarbene Sonne, doch gegensätzlich zu jenem hatte sie nicht vor, ihn je wieder zu entlassen. Caius oder er. Noch immer hielt das Zittern seines Körpers an, seine Hände ballten sich zu Fäusten, dass die Nägel ihm in die Haut stachen, langsam schüttelte er den Kopf.
    "Nein ... nein, ich kann das nicht, ich kann nicht dies von dir verlangen. Verzeih, es war töricht auch nur darüber nachzudenken. Vergiss dies alles, Caius, vergiss alles, um was ich dich bat, rühre sie nicht an, nicht einmal in deinen Gedanken, nicht, um mir einen Gefallen zu tun. Dieses ... Paradigma eines Lebens ist dies alles nicht wert. Du und Antonia ... dies ist mein Makel und ich werde dafür Sorge tragen, dass er einzig auf meinen Schultern lastet, niemandes sonst."
    Aquilius war von all dem nicht betroffen, doch um Antonias Wohl war es die einzige Möglichkeit, dies publik zu machen, nicht lauthals, nicht mit Fanfaren, doch auf eine solche Weise, dass Antonia selbst letztlich über jeden Verdacht würde erhaben sein. Wenn dies leise genug vonstatten ging, musste es letztlich nicht einmal seine Karriere schwerwiegend tangieren - selbst wenn, er würde dies ertragen, denn die Familie, die Gens würde von all dem unbehelligt bleiben, einzig er würde seine Linie brechen, was er ohnehin würde tun, auf diese oder jene Weise, gleichsam würde es sie alle vor der lebenslangen Farce bewahren, seinem Kind die Lüge seines Lebens ersparen. Er wagte nicht, sich umzuwenden, denn er konnte Caius nicht in die Augen sehen, wollte nicht ihm in die Augen sehen, nicht blicken den Vorwurf, nicht die Abkehr, nicht das Mitleid darin. Er war stets den Fußstapfen eines vorgeprägten Weges gefolgt, doch an dieser Schlucht stehend würde er nicht springen, denn er konnte diese Kluft nicht überbrücken, nur jene mit ins Verderben reißen, welche ihm bedeutsam waren, welche bereitwillig mit ihm sprangen - wegen ihm. Er würde seinen Weg auf dieser Seite des Abgrundes fortsetzen und zu Ende bringen, ohne Anschluss für eine nächste Generation, doch mit einem Selbst, welchem er konnte ohne Vorwürfe und Abneigung gegenüber treten.

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  • Seine Worte kamen wie aus einer anderen Welt mit Wucht über mich. Und wieder war er es, der mich beschämte, der mich von seiner wahren Größe einmal mehr überzeugte, und gegen den ich mich klein und unbedeutend, ja nicht einmal ausreichend fühlte. Hatte ich seine Liebe überhaupt verdient? Er, der sich für so fehlerbehaftet hielt, war bereit, seine Schande aller Welt zu offenbaren, nur um mir keinen Dienst abzuverlangen, der mich etwas kosten könnte, vielleicht Schmerz bereiten. Wäre ich bereit gewesen, mich so zu entblößen? Allein die Tatsache, dass ich in meinen Gedanken zögerte, dass ich mich nicht freimütig sofort auf eine solche Gelegenheit gestürzt hätte zu verzichten, ließ es mir klarer sehen, wie es war: Ich war seiner nicht wert, war es wohl nie gewesen. Unsere Liebe war auf Sand gebaut und nicht auf dem sicheren Felsen, den ich dort immer erhofft hatte, ohne genau nachzusehen - und ich war der Sand im Getriebe dieses Räderwerks, nicht er. Irgendwann würde diese wohlgeformte und vollendet gefügte Maschine, dieses Zeugnis wunderbarer Baukunst unserer Empfindungen zu stocken beginnen, und es wäre meine Schuld, nicht die seine. Hatte ich noch das Recht, zu zögern? Dieses Recht hatte ich verwirkt, ein für allemal.


    "Manius, nun fasse Dich erst einmal. Ich werde keinesfalls zulassen, dass Du Dich auf diese Weise vor irgendwem entblößt, eher nähme ich die größte Schande der Welt auf meine Schultern, als dass ich Dich im Stich ließe in dieser Stunde der Not. Du wünscht Dir schon lange eine Familie, die durch einen Erben abgerundet wird, und ich werde Dir helfen, diesen Wunsch zu erfüllen. Wenn es nur das ist, dann gebe ich Dir gern jede Hilfe, die ich zu geben vermag!" Meine Stimme erklang mit Nachdruck, vielleicht auch etwas heftiger, als ich es gewollt hatte, der Moment des Zögerns war vorüber, ein für allemal, ich hatte mich entschieden. Abgewandt hatte er sich, und das konnte ich nicht mehr ertragen, ich musste sein Gesicht sehen, seine Augen, ich musste sehen, wie er auf mich reagierte, ob er mir diesen Moment der Schwäche übelnahm. Bis ins tiefste Mark hatte er sich mir offenbart, und ich hatte nicht sofort zugestimmt - was war ich für ein Schwert meinem Schild, wenn ich zauderte!
    Ich trat an seine Seite, berührte seinen Arm und versuchte, ihn zu mir zu drehen, endlich sein Gesicht zu sehen, dieses so vertraute Gesicht, dessen Linien, dessen Form ich auch im Dunklen hätte erkennen, selbst als Blinder vollkommen vorhersagen hätte können, so sehr stand es vor meinen Augen, wann immer ich allein mit meinen Gedanken war.


    "Erinnerst Du Dich, was ich Dir einst schwor, mein Manius? Dass ich Dein Schwert sein würde, wenn Du mir der Schild bist? In den letzten Wochen hat allein Deine Gegenwart mir die Verzweiflung ferngehalten, diese Sucht nach der Nähe anderer, die mir doch niemals diese Erfüllung geben konnte, die ich spüre, wenn Du bei mir bist. Morgens wache ich auf und weiss, es wird ein guter Tag, denn Du bist irgendwo in der Nähe, auch wenn wir uns nicht sehen ... Manius, Du hast mich von einem Wanderer zu einem sesshaften Mann gemacht, und ich verdanke Dir mehr als jedem anderen Menschen auf dieser Welt. Wenn Du Dir diese eine Sache wünscht, zu Deinem und Antonias Glück, so stehe ich bereit, Dir diesen Wunsch zu erfüllen, wann immer Du es willst. Wenn es Dir ... leichter fällt ... dann ... liege zuerst ich bei ihr - oder Du zuerst - und in derselben Nacht der andere. Dann ist es allein den Göttern überlassen, welcher Same sich entwickelt, woraus das Leben entsteht, und es wird immer Dein Kind sein, und mein ... Neffe, dem ich zur Seite stehen werde, wie ich es auch bei Dir tue." Mein Blick suchte den seinen, aufrichtig, offen, ich verhehlte nichts von dem, was ich empfand - und vor allem war ich von dem Wunsch erfüllt, ihm zu beweisen, dass ich ihn liebte. Ihn allein.

  • Die Worte seines Vetters umspülten ihn wie ein warmer, angenehmer Sommerregen, perlten in zarten Tropfen auf seine Haut und strichen sanft über sein Gemüt. Doch mit jedem Wort, je fester Caius' Entschluss wurde alles für ihn zu tun, desto klarer sah Gracchus vor Augen, was er zu tun hatte, was er an seinem Leben, an Aquilius und Antonia, an seiner Familie, an der Welt hatte. Bestimmt schüttelte er den Kopf.
    "Und wenn ich hunderte Male bei ihr läge und du nur ein einziges Mal, ich würde genau wissen wer der Vater dieses Kindes ist, du würdest es wissen, und sie würde es wissen. Es wäre zu jener Frace, welche der Welt wir würden vorspielen, nur eine eigene, kleine für uns selbst, an die wir doch nicht würden glauben. Dieses Kind, dieses Kind wäre eine einzige Lüge. Was soll aus diesem Kind werden, das sein Leben bereits mit einer solch abominablen Lüge beginnt? Eine Lüge, welche es sein Leben lang auf seinen Schultern würde tragen, ohne je zu wissen, woran es so schwer trägt. Es wäre gleich eines Fluches, nur weitaus schlimmer, denn obgleich es nicht dazu geschaffen wäre, ihm zu schaden, so würde es unweigerlich es erdrücken. Nein, Caius, zum Wohle dieses Kindes, vergiss dies alles."
    Eindringlich war nun sein Blick in Aquilius' Augen, selten je war er sich eines Gedanken, eines Entschlusses mit einem Male solchermaßen gewiss gewesen. Es war die Nähe seines Freundes, seines Geliebten, die ihm stets Klarheit hatte verschafft, eine Stärke in ihm zu Tage förderte, welcher er sonst so oft verlustig war. Er war sein Schwert, geradlinig und scharf, mehr als er je dies würde erahnen.
    "Dies muss endlich ein Ende finden, all diese Lügen, dieser Trug, diese Täuschung. Ich bin diesem Leben gefolgt, weil es nichts anderes für uns zu tun gibt, ich habe mich in diese Form hinein gewunden, wurde förmlich in sie hinein gepresst seit mein Bruder die Familie enttäuschte, und erinnere dich, was daraus geworden ist, ein deformierter Mensch, ein deformierter Geist, uneins mit sich selbst, der nicht nur die Welt um sich herum, sondern gleichsam auch sich selbst mehr als nur einmal mit seinen Lügen betrogen hat. Ich will nicht klagen, Caius, es gab genügend Punkte in diesem Leben, an denen ich hätte aufstehen und dem ein Ende setzen können. Mögen wir auch als Kinder den Worten blind folgen, die man uns vorgibt, so wurden wir doch früh erwachsen, und seit diesem Zeitpunkt hätte ich mich anders können entscheiden. Ich habe es selten getan, doch letztlich habe ich trotz allem meinen Weg gefunden, und nun da ich weiß, dass Antonia nicht nur ein Monster in mir sieht, da ich weiß, so sicher wie nichts anderes, dass du immer ein Teil von mir wirst sein, so ist es doch nicht wahrlich schlecht, was aus mir geworden ist, oder, Caius? Es ist wahr, ich wünschte mir diese Familie so sehr, ich wollte meinen Kindern so viel mehr geben als wir selbst hatten, doch nun ein Kind auf diese Weise in die Welt zu bringen, dies würde alles, was ich für mich selbst erreichte ad absurdum führen, denn ich wäre erneut an einem Punkte angelangt, an welchem ich morgens aufstehen und nicht in den Spiegel könnte blicken, da ich dieses Gesicht, welches mir daraus entgegen blickt, nicht könnte ertragen, ganz zu schweigen davon, dass ich weder in das Gesicht dieses Kindes, noch in deines oder jenes Antonias je wieder könnte mit ruhigem Gewissen blicken."
    Langsam aber bestimmt legte seinem Vetter er die Hände auf die Schultern.
    "Du bist ein wahrer Freund, Caius, weit mehr als das, und ich danke den Göttern zutiefst, dass sie mir einen Menschen wie dich an meine Seite gaben. Sei mein Schwert, Caius, doch nicht jenes, welches ich mir selbst ins Herzen treibe."
    Er zog ihn an sich und presste seinen zitternden Körper an den Aquilius', nicht begierig, nicht fordernd, nur ihn zu spüren. Er würde dies alles ertragen, tragen, irgendwie, doch nicht durch eine Lüge, denn letztlich konnten sie nur alle daran ersticken.

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  • Langsam erhoben sich die Worte meines Geliebten, und sie prasselten erst eine Weile auf mich ein, bis mir ihr Sinn klar wurde, bis ich überhaupt in jenem Rausch der Selbstanklage und Selbstbeschuldigung merkte, dass er mir anscheinend weder etwas vorwarf noch überhaupt meinen Vorschlag ernsthaft in Betracht zu ziehen schien, für ihn den Leihvater zu spielen. Sollte ich mich davon nun zurückgewiesen fühlen? Ein gewisser Teil in mir war davon verletzt, keine Frage. Letztendlich war ich zu einem Opfer bereit gewesen, einem Leiden auf Raten, denn letztendlich hätte ich einem Kind beim Aufwachsen zugesehen, das die Frucht meiner Lenden gewesen wäre, und doch in allem sein Sohn - oder seine Tochter. War er sich dessen bewusst, wie sehr ich in diesem Augenblicken bereit gewesen war, mein Glück hinter das seine zu stellen? Aber gleichzeitig ahnte ich auch, dass er sich dessen wahrscheinlich klarer war als ich es jemals hätte sein können. Gracchus' Intellekt war immer der geradlinigere und deswegen auch in vielem schärfere gewesen, ich bevorzugte andere Wege als den allzu direkten.
    "Siehst Du Dich wirklich so? Als jemanden, der vor allem eine Lüge gelebt hat? Ich denke nicht, dass es das ist, und dass es das jemals sein wird."


    Ich erwiederte seinen Blick, konnte gar nicht anders als ihn anzublicken, dieses Starren zu erwiedern, diesen forschenden Blick, der bis auf den Grund der Seele zu dringen vermochte und mich als einen Menschen zurückließ, der seinem Geliebten weniger als nichts verbergen konnte. Vor ihm würde ich innerlich stets nackt sein, und er würde wohl immer der einzige Mensch sein und bleiben, vor dem ich mich nicht mit wohlgesetzten Worten oder einem Scherz verbergen konnte. Bei so vielen anderen klappte das hervorragend - aber nicht bei ihm.
    "Du warst bisher stets der einzige unserer verkorksten Familie, auf den wirklich Verlass war, der die Werte unserer Ahnen in einer bewundernswerten Weise hochgehalten hat, auch wenn es ihm noch so schwer fiel - bitte, Manius, tue mir den einen Gefallen, und sei es nur dem Leben zuliebe, das Dich bislang makellos über alle anderen erhoben hat: Wenn Du Dich auch dafür entscheiden magst, mein Angebot abzulehnen, dann schweige darüber, und lass der Welt nicht den Triumph darin, dich besiegt zu haben mit dem Fehlen eines Kindes. Es ist eine Sache, kein Kind zu haben - aber eine ganz andere, in aller Öffentlichkeit zu erklären, woran es liegt. Die Götter zürnen Rom derzeit, und wer weiss, ob es nicht daran liegt, dass sich Dein Wunsch nicht erfüllt, Manius."


    Als er sich an mich drückte, legte ich schließlich schweigend die Arme um ihn, den Kopf übervoll mit Gedanken. Wie sollte es jetzt weitergehen? Es wäre eine Schande, würde er ewig ohne Kinder bleiben, nicht, weil die Öffentlichkeit längst darauf lauerte, Antonia schwanger zu sehen, sondern weil es mir schien, dass kein Mensch vorzüglicher war als mein Vetter, und dieses Erbe nicht weitergegeben zu sehen war schmerzlich.
    "Du willst nicht wissen, wie oft ich neulich ein Opfer an Mars wiederholen musste, so sehr liegt Rom im Dunkel der Verzweiflung. Hast Du jemals daran gedacht, dass es am Zorn der Götter allgemein liegen könnte, dass diese Sklavin nicht empfing? Hast Du in den letzten Wochen überhaupt bei Deiner Frau gelegen? Denn wenn es an der Sklavin liegt, oder an der Götter Zorn, dann ist noch nichts verloren, dann sind für Dich noch alle Möglichkeiten offen. Letztendlich ist die Aussage, dass die Kinderlosigkeit an Dir liegt, eine sehr absolute - und sollte es dann doch klappen, dann werden die Spekulationen Dir jede Freude verderben." Behutsam legte ich meine Rechte auf seine Schulter, berührte ihn wie er mich berührt hatte, und blickte ihn dann nur an. Sein Schwert ... ja, das würde ich wohl immer sein. Und immer versuchen, den Schmerz fernzuhalten, der ihn berühren mochte.

  • Je näher sie körperlich sich kamen, desto mehr wurde sich Gracchus einmal mehr dessen bewusst, dass er keinem Menschen je würde näher kommen, dass kein Mensch je konnte für ihn wichtiger sein denn sein über alles geliebter Vetter. Weshalb hatte die Natur nur solcherlei vorgesehen, während gleichsam dagegen sie sich wehrte?
    "Es war dies so, Caius, eine Lüge seit ich Athen verließ, seit ich versuchte dem Leben zu entkommen, welches mir vorbestimmt war, gleichsam wie auch mir selbst. Als dieses Leben in Rom seinen Anfang sollte nehmen schob ich meinem Vater weitere Studien vor, dir selbst schrieb ich nur ennuyante, sinnentleerte Nichtigkeiten, während auf Creta ich mein Vermögen verschleuderte und versuchte ein Bildnis zu geben, welches nicht im geringsten mir entsprach, noch je wird entsprechen. Es fand dies seine Spitze schlussendlich in einem Desaster, welches mich letztlich dennoch nach Rom hin trieb, da es keinen anderen Ausweg mehr gab, doch selbst hier fand der Trug nicht sein Ende, fand nurmehr seine Fortführung in dieser Ehe und der Politik dieses Reiches. Weder für das eine, noch für das andere sehe ich mich sonderlich befähigt, und doch folgte ich stets den Erwartungen, trieb ich stets diese Lüge voran, denn was bleibt uns sonst, Caius? Allmählich gewinne ich einen gelösten Blick über all dies, allfällig schleicht sich Einsicht und Erkenntnis doch mit dem zunehmenden Altern in unseren Geist, doch gerade ob dessen möchte ich nicht all dies von neuem wieder beginnen. Ich bin es leid, meine Energie darauf zu verwenden, zu verschwenden, eine Illusion um mich herum zu erschaffen. Meine Ziele sind noch immer die selben, doch sie sind längst nicht mehr der einzige Sinn dieser Existenz, betreffen sie doch längst nicht mehr nur mich selbst."
    Er hatte gehofft, sie würden eines Tages seine Söhne und Töchter betreffen, und obgleich er sie aus seinen Worten vertrieb, so war die schmerzliche Qual der Endgültigkeit längstens nicht aus ihm entwichen. Doch er würde nicht diesen Schmerz auf Caius und Antonia abladen, nicht auf Caius, niemals wieder.
    "Wohl hast du recht, Caius. Das Schweigen allein und die Tatsache, dass Antonia weiter an meiner Seite wird harren, wird ohnehin der Welt Beleg dafür sein, dass dies nicht ihre Unzulänglichkeit ist. Doch mir liegt sehr viel daran, dass sie nicht dies mehr ertragen muss als ohnedies, denn trotz allem haben wir dieser Ehe vor den Göttern geschworen und mehr denn je ist es meine Pflicht, ist es mein Wunsch, sie zu schützen vor allen Widrigkeiten. Die Liebe erwächst in der Ehe - heißt es nicht so? Leidenschaft wird kaum je Teil dessen sein, womöglich gereicht es nicht einmal dazu die Bezeichnung Liebe zu verdienen, und doch ist es ein Gelöbnis, eines jener, welchen ein Mann ohne Hader folgen muss."
    Beinahe fühlte sich Gracchus an die philosophischen Stunden mit seinem Vetter erinnert, endlose Überlegungen, tiefgründige Ideen, theoretische Betrachtungen, und so er verdrängte, dass er es war, von dessen Ehe sie sprachen, so wollte er all die Gedanken wortreich mit Aquilius teilen, welche sonstig so tief in ihm verborgen blieben.
    "Wenn die Götter uns würden zürnen, so zürnten sie bereits von Beginn dieser Ehe an, doch erinnere dich, dass dies nicht der Fall war. Ich bin nicht einfältig diesbezüglich, mag gegenteilig die Praktiken des Cultus Deorum besser kennen als viel andere, doch der Flamen Dialis selbst führte das Opfer bei unserer Eheschließung durch und er war nicht angewiesen, die vitalia schön zu lesen."
    Zumindest Gracchus selbst hatte nicht dafür Sorge getragen, obgleich bei näherem Nachsinnen womöglich Felix seine Hände im Spiel gehabt haben mochte. Dennoch, Antonia und er hatten auch hernach noch gemeinsam geopfert und kein Widerwillen der Götter entdecken können.
    "Was soll ich noch tun, Caius? Wahllos Frauen begatten und warten bis eine von ihnen ein Kind mir gebiert, an welchem ich dennoch würde Zweifel hegen, denn wie sollte ich sicher sein, dass sie dies nicht mir unterschiebt aus diversen Gründen? Oder Antonia bedrängen, Abend um Abend, bis allfällig sie ein Kind in sich trägt, von welchem ich sodann nur würde bezweifeln, dass nicht einem Sklaven sie es abgerungen hat? Glaubst du nicht, dass bereits zu viel Zeit verstrichen ist, in welcher nichts geschah?"
    Auch die Endgültigkeit betreffend hatte Aquilius gewiss recht, doch gleichsam war es längst zu spät. Gracchus' Chance war vertan, letztlich würden je nur Zweifel in ihm bleiben. Ob dessen wandte er seinen Blick von den Augen seines Vetters, an ihm vorbei dem Grund zu, der wie stets einem endlosen Abgrund glich.
    "Ich will nicht Antonia noch unnötig plagen, da ich niemals ihren Körper in solcher Art werde wertschätzen können, wie sie dies verdient hätte."
    Es war nicht, dass er sich selbst dies wollte ersparen, denn er hatte nie Aversion gegen den Körper einer Frau verspürt, war stets der Erwartung nachgekommen, ohne doch je jenes unbändige Verlangen zu spüren, jenes elysäische Vergnügen, welches ihn im Angesicht eines männlichen Körpers überkam. Doch Antonia hatte besseres verdient als einen pflichtschuldigen Körper und einen weit abschweifenden Geist. Sie würde Alternativen sich suchen, wie so viele andere Frauen vor, mit und nach ihr, Sklaven und Liebhaber, und er würde nicht einmal dabei wegsehen müssen, obgleich er längstens nicht sich darob sicher war, mit welchem Gefühl er würde solcherlei begegnen. Vordergründig würde kaum ihn dies tangieren, doch letztlich würde es ebenso seinen Stolz treffen, wie er dies beständig selbst Antonias Ehre widerfahren ließ.

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  • Langsam strich ich ihm mit einer Hand über sein Haar, diese dichten und weichen Strähnen, die ich so gern berührte, wenn wir beieinander waren, schienen sie mir doch so ungleich edler als mein oftmals gern struppig werdendes blondes Haar, das unter der Sonne zu leicht ausbleichte und darob rauh wurde. In jedem Zoll seiner Größe war er ungleich mehr Patrizier, als ich es jemals sein würde, und auch, wenn ihm so vieles als falsch und Trug vorkommen mochte, das er lebte, ich wusste doch, dass die meinige Lüge größer war, auch wenn ich sie besser versteckte.
    "Du hast vielleicht Fehler gemacht, Manius, bist in die falsche Richtung gegangen, hast Dich dem falschen Weg verschrieben, aber das kommt doch vor. Habe nicht auch ich mein ererbtes Vermögen verprasst, ohne ein Ziel haben zu wollen? Schlimmer noch, ich sehe es auch heute längst nicht so klar vor mir, wie ich es andere glauben zu machen versuche, und verfolge dennoch diesen wie für so viele andere vorgezeichneten Weg. Ach Manius, denkst Du denn, irgendeiner in unserer Lage könnte tun, wonach ihm verlangt? Ich denke, die wenigsten können es, wollen es noch, da sie sich längst daran gewöhnt haben, der Meinung anderer zu entsprechen. Es ist nichts verwerfliches daran, im Irrtum zu sein ... auch wenn ich nicht weiss, ob Dich dieser neue Weg glücklicher machen wird."


    Immer hatte er die Sicherheit seiner Existenz gehabt, immer auch die Zustimmung und den Beifall seiner Umgebung für seine Handlungen. Wie würde er reagieren, wenn dies ausblieb? Ich konnte mir Manius schwer als einen Rebellen vorstellen, der gänzlich vom ausgetretenen Pfad der Erwartungen anderer abwich. Dafür waren wir alle zu sehr an das Echo der Umgebung gewöhnt, als Patrizier wuchs man mit diesem Maßstab auf und hatte nur zwei Möglichkeiten - entweder sich radikal zu lösen oder eben es zu akzeptieren.
    "Mit Antonia hast Du eine besondere Frau an Deiner Seite, und dass sie bei Dir bleiben will, obwohl Du ihr vielleicht niemals das Kind schenken kannst, das sie sich wünscht, beweist einmal mehr, wie besonders sie ist. Die wenigsten Frauen würden dies tun, wenn doch die Möglichkeit einer Scheidung einen eventuell anderen Mann einbringen würde, und ich glaube auch nicht, dass sie sich mit Sklaven trösten würde, oder mit irgendwelchen Liebhabern. Sie ist tugendsam, und in jedem kleinsten Teil ihrer Selbst eine Patrizierin, für sie gibt es diese Alternativen nicht. Welchen Mann sollte sie schon wählen, der neben Dir bestehen könnte, mein Manius?" Für mich würde es einen solchen Menschen wohl niemals geben, nicht einmal, sollten wir voneinander getrennt werden, uns niemals wieder nahe sein dürfen. Manche Entscheidungen traf man für sein Leben, oder besser, das Leben traf sie für einen.


    "Ich weiss auch nicht ... was zu tun ist, Manius," sagte ich schließlich auf seinen Vorschlag der wahllosen Begattung irgendwelcher Frauen. "Du weisst, ich habe mir nie Kinder gewünscht, und Du weisst auch, wieso. Letztendlich ... ich bin mir sicher, dass sich auch Antonia nach der Umarmung eines Mannes sehnt, vielleicht gar nach der ihres Mannes - und sollte sie auf Dich zukommen, dann darfst Du sie nicht abweisen. Vielleicht solltest Du erst einmal herausfinden, ob es für sie wirklich eine solche Plage wäre, sich mit Dir zu vereinen, und ... dann wäre es vielleicht ... eine Erleichterung für sie, von Dir in dieser Weise wertgeschätzt zu werden, auch wenn kein Kind dabei entstehen kann." Nun wieder zur Ruhe gekommen, betrachtete ich ihn schweigend und nachdenklich. Was war wichtiger zu sehen? Das Glück meines Vetters, den ich liebte, dem ich von Herzen wünschte, er könnte endlich Vater werden, oder das Glück Antonias, die nun einmal mit einem Mann vermählt war, der wohl keine Kinder zeugen konnte und dennoch an ihm festhielt? Durfte ein Glück eines Menschen wichtiger sein als das eines anderen? Eine der Fragen, die wir in Achaia mit einem guten Becher Wein stundenlang hätten erörtern können, aber hier war es real, war es ein Thema, das wirklich existierte und eine Antwort, wenn nicht gar eine Lösung verlangte.

  • Wie so oft bereits zuvor, in unzähligen Gesprächen, an zahllosen Tagen, zu ungezählten Gelegenheiten, relativierten Aquilius' Worte nicht nur ein Leben, sie gaben ihm den Sinn, die Berechtigung des Daseins und ließen jeglichen Zweifel und Hader zu diffuser Unkenntlichkeit verwischen. Mochte das Leben eine Lüge sein, mochte es ein Spiel sein, solange nur Caius ein Teil davon war, so lange war es wert, gelebt zu werden, dessen war Gracchus sich ein jedes Mal mehr als nur sicher, und ein schmales, beinahe glückliches Lächeln kräuselte ob dessen sein Lippen, zumindest so lange, bis dass sein Vetter ihm vor Augen führte, was er seit jeher wusste und gleichsam fürchtete, die sittsame Tugendhaftigkeit seiner Gemahlin. Welchen Mann sollte sie schon wählen, der neben Dir bestehen könnte, mein Manius? Welchen von all den Tausenden, welche weit besser dazu geeignet waren als er, welchen aus der Masse, welche Antonias Körper von den kleinen Zehen an bis in die Haarspitzen würden begehren und würdigen, welchen von all jenen, welche sich nach ihr würden verzehren wie er stets sich nur nach einem konnte verzehren?
    "Schließe nicht von dir auf sie, mein Caius, sie hat mitnichten nur halb so viel Wohlgefallen an mir wie du selbst. Ist es nicht ein Unterschied, ob eine Frau dich begehrt oder sie bei dir liegt, weil dies ihre Pflicht ist? Ich kann nicht mir ihren Körper einverleiben, kann nicht ihn unter meinen Händen zum Beben und Erzittern bringen, kann nicht mit allen Sinnen sie verschlingen und Teil ihrer werden, wie mir dies bei dir möglich ist. Sie hat so viel mehr verdient als das."
    In aller Fasson verstand es Aquilius, sein Schwert Stück um Stück in Gracchus' Körper hinein zu treiben, ihm Ausflucht um Ausflucht zu zerstören, und letztlich keinen Ausweg denn die Akzeptanz der Wahrheit zu bieten. Es ging nicht darum, ob er glaubte, dass Antonia besseres würde verdient haben, es ging einzig und allein darum, was seine Gemahlin brauchte, was sie sich wünschte. Er wusste dies nicht, noch immer nicht. Langsam ließ er seinen Kopf nach vorne hin sinken, auf Aquilius' Schulter hinab, und ließ ihn auf dem Körper des Geliebten ruhen.
    "Oh, Caius, warum nur, warum? Wie viele unzähligen Ehen werden geschlossen, welche weit schlimmer sind als die unsere, wie viele zahllosen Ehemänner huren tagein, tagaus in fremden Betten, während ihre Gemahlinnen Kind um Kind austragen? Warum kann nicht ich dich lieben und dennoch ..."
    Er kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, während er mit sich kämpfte, den Wallungen der langsam sich empor drückenden Emotion Einhalt zu gebieten.

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  • "Ich war nicht in eurem Schlafzimmer, Manius, und war auch nie Zeuge, in sofern kann ich nur annehmen, dass sie wohl Gefallen an einem leidenschaftlichen Mann fände - und dass Du zur Leidenschaft fähig bist, weiss ich sehr wohl, wenngleich ich dabei fast bedaure, dass Du einer Frau nicht denselben Genuss abgewinnen kannst, wie ich ihn empfinde - aber für seine Wünsche und Sehnsüchte kann man nichts, man ist eben, wie man ist. Dass wir einander lieben, ist ebensowenig etwas, das man hätte bewusst steuern können wie die Tatsache, dass es auch Menschen gibt, die wir verabscheuen," sagte ich sinnierend und berührte seinen nun bloßgelegten Nacken mit den Fingerkuppen, strich langsam darüber, ohne Hast, im Grunde hätte ich dieses Streicheln eine halbe Ewigkeit weit fortführen können, ohne mich dabei jemals zu langweilen, durfte ich dabei doch seinen Geruch einatmen, seine Nähe fühlen, wissen, dass er willentlich und wissentlich ganz bei mir war, ohne es bereuen zu müssen. Waren wir uns früher Halt und Stütze gewesen, wohl um den feinen Stich der Unerreichbarkeit wissend, war dies nun ein fester Untergrund geworden, auf dem ich glaubte, mein Leben bauen zu können. Er war da, und mehr brauchte es nicht für mich. Ich musste nicht Kaiser werden, nicht berühmt, nicht übermäßig reich, denn den wahren Reichtum hielt ich in meinem Arm.


    "Du kannst mich lieben, Manius, in jedem Deiner Worte erkenne ich Deine Liebe - wir werden dies nie leben können, aber lieben dürfen wir uns. Hat es uns bisher zu schlechten Menschen gemacht? Hat es uns anderen schaden lassen? Ich denke, dass es nicht im Sinne der Götter ist, eine Liebe zu verdammen, die schon durch so viele schlechte Zeiten gegangen ist und doch noch immer besteht, unverbrüchlich, stark. Dass unser Volk bei der Eheschließung nicht immer glückliche Entscheidungen trifft, ist eine andere Sache, man ordnet meiner Ansicht nach die Ehe viel zu sehr der Politik unter - und doch geschieht es immer wieder, zum Wohl der Familien. Aber wie ist es, wenn man aus Liebe heiratet? Auch dann gewinnt man in den seltensten Fällen, denn die Liebe ist flüchtig und die wenigsten Liebesbeziehungen sind von dauerhaftem Bestand," versuchte ich ihn irgendwie zu beruhigen, denn auch wenn er sich im Griff hatte, sich zu beherrschen wusste, fühlte ich doch die Anspannung seines Körpers und konnte nur zu deutlich wahrnehmen, wie sehr ihn dieses Thema gefangen hielt. Wahrscheinlich würde es niemals einen wirklichen Trost für ihn geben, aber ich konnte es jedenfalls versuchen. Ich musste es versuchen.

  • Jene überaus profane Korrelation der Leidenschaft, welche Leiden schafft, schoss Gracchus bei Aquilius' Worten durch den Sinn, und wohl hätte dies dazu gereichen können, ein schmales Lächeln ob der Belanglosigkeit dieses Gedankens um seine Lippen zu legen, wäre nicht dies seine eigene Leidenschaft, welche ihm selbst Leiden schuf, und darob nicht im Geringsten belanglos war aus seiner Sicht der Dinge, welche stets seine einzige blieb. In einem gemächlichen, zuverlässigen Fluss stetiger Treue umspülten die Worte seines Vetters Gracchus' Geist, suchten mit ihren klaren, schimmernden Fluten jenen Hader hinfort zu spülen, welcher fortwährend im sich zu kleinen Dämmen verheddernden Geäst seiner Selbst verfing, und doch blieb Gracchus stets am anderen Ufer, blickte sehnsuchtsvoll in eine ferne Welt, welche mehr nur als unverständlich ihm war, und glaubte sich stets einer Qualität verlustig, welche unbezweifelt zum Glück vonnöten war. Dennoch, wie konnte am jenseitigen Ufer irgend etwas auch nur annähernd gereichen, mit jenem vergleichbar zu sein, was zwischen ihnen lag, was sie verbunden hielt, in einem zärtlichen Hauch explosiver Couleur, in einer adorablen Symphonie delektabelsten Odeurs, in sublimer Komposition weicher Klangkaskaden? Die Schulter unter seiner Stirn fühlend, so traut, so nah, die Berührung in seinem Nacken, behutsam, dies wollte ihn vergessen lassen, hinfort tauchen in die endlosen Tiefen der schattigen Naivität, des blaufarbenen Trostes, doch nichts konnte ihn vergessen machen, nicht einmal Caius an diesem Tage.
    "Halte mich fest, Caius, halte mich nur fest."
    Wenn nicht das Vergessen ihm seinen Zuspruch wollte gewähren, so wollte er ob dessen auch nicht vergessen, was ihm blieb. So hielt Aquilius ihn, mehr Schild denn Schwert in dieser Stunde, Augenblicke, Herzschläge, Ewigkeiten, Zeitalter während, bis irgendwann Gracchus sich von ihm löste, die Sinne gefestigt, wenn auch längst nicht alle wieder beieinander.
    "Ich danke dir, Caius. Für deine Worte, deinen Zuspruch ... für dich. Wohl werde ich noch einmal mit Antonia ob dessen sprechen müssen ... danach ..."
    In Ratlosigkeit hoben sich seine Schultern und sanken wiederum herab.
    "Was danach kommt, weiß nur das unbegreifliche Schicksal."

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  • Ich hielt ihn, auch wenn ich ahnte, dass meine Worte niemals würden jenes Problem lösen können, mit dem er sich konfrontiert sah - dieses Leben einer Liebe, die man nur verstecken durfte, die niemand ahnen, niemand sehen durfte. Irgendwann würde er daran zerbrechen, manchmal glaubte ich ihn fast als zu feinsinnigen Mann zu sehen, dessen innere, sensible Natur ihn dieser Welt nicht ausliefern durfte. Aber was konnte ich für ihn mehr tun als zu versuchen, seine Sorgen zu zerstreuen, ihm einige Stunden des süßen Vergessens zu schenken, und vor allem ihm einen Grund zu geben, das Leben dennoch irgendwie schön zu finden. Sein Körper war so warm, so vertraut, und meinetwegen hätte es jetzt ewig dauern können, bis er mir wieder entrissen würde durch die Zwänge des Ablaufs täglicher Pflichten -hätte nicht einfach die Welt daraus bestehen können, dass wir einander hielten, miteinander Freude an einfachen Dingen empfanden wie zu früheren Zeiten? Aber Achaia war so weit fort, und mit ihm auch die Zeit der Unbeschwertheit und der Unschuld, in der wir vielleicht geahnt hatten, was uns verband, es aber niemals gewagt hätten, es auch auszusprechen oder auszuleben.


    "Was danach kommt, Manius," sagte ich, nachdem er eine halbe Ewigkeit später das Wort wieder ergriffen hatte, "ist die Zukunft, und es wird eine Zukunft sein, in der wir uns Stütze und Halt sein werden. Wenn ich nur Dich haben kann, dann kann es in der Zukunft nichts geben, das mich ängstigt oder wünschen lässt, sie könnte sich in eine bestimmte Richtung entwickeln. Schimpfe mich ruhig einen Narren, Manius, aber ich weigere mich zu glauben, dass eine Liebe wie die unsere existiert, um uns beständig unglücklich zu machen. Etwas Gutes wird die Zukunft mit sich bringen, da bin ich mir ganz sicher." Es schien, als sei wieder eine vage Distanz zwischen uns eingetreten, jener Augenblick, an dem sich unsere Wege für einige Stunden, Tage trennen würden, um danach wieder zusammenzufinden. Letztlich hätten wir einander wohl auch ohne Worte verstanden, dennoch sprach ich sie.
    "Ich lasse Dich jetzt allein, denn ich habe noch zu tun an diesem Abend - wenn Du ... noch einmal sprechen möchtest, dann weisst Du, wo Du mich findest ..." Auch für anderes als Sprechen, aber irgendwie war ich mir recht sicher, dass ihm danach heute nicht mehr der Sinn stehen würde. An manchen Tagen war dies passend, an anderen eben weniger.


    So zog ich ihn noch einmal enger an mich und berührte dann mit den Lippen seine Stirn - kein aufdringlicher Kuss, keiner, der um Leidenschaft gebuhlt hätte, aber doch eine fühlbare Bekundung meiner Zuneigung - dann wandte ich mich ab und zur Türe, um seinen privaten Raum zu verlassen, jene Sphäre seines Selbst von meiner Anwesenheit bereinigend.

  • Lange noch schwang die Präsenz seines Vetters im Raume nach, subliminaler Odeur bernsteinfarben klingender Epen im nebligen Morgendunst, harmonische Tonspuren im pastellfarbenen Sand einer verklärten Seele, der zarte, warme Hauch, eingebrannt auf der Stirne wie das Mal eines Sklaven - Sklave eines Narren oder Narr eines Sklaven? Wie die weichen, schaumigen Wogen zur Ebbe hatte er sich aus dem Raum zurück gezogen, wie die milde, orangefarbene Sonne vom abendlichen Himmel, doch sie würden wieder kommen, die Flut, der Tag. Nachdenklich wanderte Gracchus zum Fenster und blickte in die Dunkelheit hinaus, deren weiche Schemen von Öllampen aus dem Inneren der Villa wurden beleuchtet, und hob seine Blick zum Himmel empor, an welchem funkelnde Sterne wie Ideen blitzten. Ein einzelner von ihnen fiel in diesem Augenblick vom Firmament herab, hinterließ einen Herzschlag lang eine gleißende Spur, um auf ewig im Dunkel der Nacht zu verglühen. Eilig versuchte Gracchus, einen Wunsch zu formulieren, doch kein Laut drang über seine Lippen. So fand letztlich einzig ein schimmernder Tropfen seinen Weg in Freiheit, welcher bereits seit Tagen danach drängte, sich zeigen zu dürfen, und suchte dort verzweifelt nach einem Sinn dieser Existenz, ohne eine Spur von Hoffnung auf Erfolg.


    ~ finis ~

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