Eigentlich hatte ich darauf gefreut, im Kreise meiner neuen Familie einen netten Abend zu verleben. Gerade noch hatte ich mir eine Komposition aus Austern, Venusmuscheln und Garnelen auf meinem Teller zusammen gestellt. Mit den verschiedenen Tunken rundete ich das Bild ab. Meine Geschmacksknospen verfielen bereits in freudiger Erwartung des köstlichen Mahls. Doch was sich nun zwischen Gracchus und meinem Bruder hier auftat, ließ mich vorerst nicht mehr an Nahrungsaufnahme zu denken. Das Gespräch ging immer hin und her und wurde von mal zu mal immer schärfer. Ich fragte mich schon, ob ich nicht eingreifen sollte, damit der Abend, der so hoffnungsvoll begonnen hatte, nicht zu kippen drohte. "Äh...!" Zu mehr sollte es nicht kommen. Zu sehr waren die beiden ineinander verbissen. Gespannt folgte ich der Diskussion.
Als Lucanus nun unser erstes aufeinander treffen beichtete, wollte ich einen zweiten Versuch wagen. "Äh, bitte..!" Doch vergebens! Gegen diese maskuline Streitfreudigkeit konnte ich nichts ausrichten.
Als ich nun endlich wieder etwas Beachtung fand nutze ich die Gunst der Stunde!
"Aber bitte streitet euch doch nicht! Natürlich schmerzt uns die Vergangenheit! Doch ist nun nicht die Gegenwart und Zukunft viel wichtiger! Ich werde nie vergessen können, was passiert ist und warum es passiert ist. Doch letztlich ist liegt es nun an uns, eine freudigere Zukunft zu gestalten!"
Onkel Gracchus´ Wunsch, die Familie zu überraschen, war vorerst nach hinten losgegangen.
Triclinium | Hilfe, ich habe eine Familie!
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"Ach, Celerina, wir streiten uns nicht - ich bin nur nicht mit Onkel Gracchus in einer Angelegenheit nicht gleicher Meinung. Das trübt unser gegenseitiges friedvolles Verhältnis nicht im entferntesten!", lächele ich. Wenn Flavier streiten, verderben Herrscher, gehen Königreiche unter, waten Völker in ihrem und fremdem Blute, berühren sich Himmel und Erde.
"Und zweifellos ist unsere Zukunft, da uns die Gegenwart mir eine Schwester geschenkt hat, umso strahlender und so gut wie untrübbar, aber Dinge anzusprechen und im Gespräch zu behandeln heißt auch, für die Zukunft hier vorzusorgen." Schließlich machen intelligente Menschen niemals denselben Fehler mehrmals, sondern jedesmal und immer wieder neue ...
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Na, dann konnte ich ja wirklich beruhigt sein! Wieso beschlich mich das seltsame Gefühl, dass dies nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Streitgespräch zwischen den beiden war? Nun, wie auch immer, dachte ich, zurück zum eigentlichen Zweck des Abends!
Ich lächelte meinem Bruder freundlich zu. Es war wirklich angenehm, solch nette Komplimente zu hören! So etwas war ich gar nicht gewohnt! Ob er sich wirklich freute, eine neue Schwester gefunden zu haben oder nicht, würde sich mit der Zeit noch erweisen. Spätestens dann, wenn eine Beziehung auf die Probe gestellt wurde, zeigte sich letztendlich, wie stark oder wie schwach sie war. Doch davon, so hoffte ich, waren wir an diesem Abend noch weit entfernt. Da sah es eher schon anders aus, wenn ich daran dachte, was passieren würde, begleitete mich mein Bruder zu einem ausgedehnten Einkaufsbummel.
"Ach Lucanus! Auch ich danke den Göttern, mit einem solchen Bruder, wie du es bist, beschert worden zu sein!" Ich erhob meinen Becher und wollte einen Tost ausbringen. "Auf die Familie und daß sie uns ewig verbinden möge!" -
Als ich das triclinium betrat, konnte ich die aufgeladene Stimmung förmlich spüren - aber ich war mit eigenen Gedanken so bewegt, dass es mir erst nach dem Eintreten wirklich bewusst wurde. Vier Menschen in einem Raum für neun, und doch war die Luft zumindest gefühlt zum Schneiden - das konnte nur ein heiterer, angenehmer und gelassener Abend mit der Familie werden, soviel war sicher. Am liebsten hätte ich mir einen Fladen Brot und ein paar Oliven geschnappt und dann in Richtung meines Arbeitszimmers abgewandert, aber dafür war es schon zu spät, man hatte mich gesehen und jetzt musste ich die Sache durchstehen, egal wieviel Lust ich dazu nun hatte oder nicht. "Salvete," eröffnete ich mein ganz persönliches Verhängnis und trat näher, den Anwesenden zunickend. Gracchus wirkte verstimmt, Antonia so ruhig und distanziert wie meist, Lucanus erinnerte mich gerade ein bisschen mehr an einen Jungen denn an einen erwachsenen Mann und die vierte Person kannte ich gar nicht - aber ein hübsches Gesicht und ein anziehendes Lächeln hatte sie allemal. "Ich hoffe, ihr habt noch Platz für einen müden Magistraten?" Damit steuerte ich jene Kline an, auf der Lucanus die Beine baumeln ließ und rückte die toga zurecht, in der ich noch steckte - das nächste Mal würde ich um das triclinium einen weiten Bogen machen, wenn ich müde nach Hause kam, soviel war sicher.
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Genau in jenem Moment, als ich einen Schluck Wein zu mir nehmen wollte, betrat ein mir bis dato unbekannter Mann das Triclinium. Nein, eigentlich mußte es heißen, ein besonders gutaussehender Mann.Aber hallo! Wer war denn das? Meine Blicke hafteten an ihm und beobachteten jede seiner Bewegungen. Aber offensichtlich war er auch ein erwartetes Mitglied dieser Familie, sonst hätte er wohl kaum so zwanglos die Kline angesteuert, auf der er sich schließlich nieder ließ. Schade eigentlich!
Ich nickte ihm dennoch freundlich zu. Offenbar wartete dieser Abend doch noch mit so mancher Überraschung auf, auch wenn diese ganz unbeabsichtigt war.
Mein Blick fiel wieder zurück zu meinem Onkel, der es sich sicher nicht nehmen ließe, uns miteinander bekannt zu machen. Wenigstens dieses mal sollte Onkel Gracchus seinen Spaß ausleben dürfen, wenn er mich vorstellte! -
"Salve, Onkel Aquilius!" rufe ich freudig und winke zum Eingang. Ein wenig Ablenkung kann Wunder wirken. Ich ziehe mich wieder auf die Kline zurück und rutsche ein wenig näher an meine Schwester, weil sich wohl auch Onkel Zwei zu uns gesellen will. "Flavisches Blut ist wie opus caementitium - uns kriegt keiner mehr auseinander. Wie sind quasi aneinander festbetoniert." Meine letzten Worte, etwas leiser gesprochen, gelten meiner Schwester, der ich einen kurzen gespielt-ernsten Blick zukommen lasse.
Während ich mich genüßlich räkele und in den von Onkel Gracchus so genannten Thron aus Kissen einmummele, spinne ich den Faden fort. "Komm her, hier auf der hispanischen Kline ist noch Platz - tres faciunt collegium, wie man so schön sagt. Darf ich vorstellen? Flavia Celerina - Onkel Flavius Aquilus", mein und Dein Onkel, Schwesterchen ... Bei der Vorstellung wende ich den Kopf lächelnd hin und her - und zwinkere auch Onkel Gracchus leicht zu.
Ich bin zwar beileibe noch kein Erwachsener, kein Mann (aber das vertiefen wir nun nicht) und nur dem Blute nach ein Patrizier, aber ich bin der Bruder meiner Schwester (natürlich, was sonst - der Neffe meine Schwester wohl kaum) und darum fühle ich mich verantwortlich. Man glaubt kaum, was einige Monate, fast nun ein Jahr 'Leben in Rom' ausmachen können: hätte ich es früher je gewagt, auch nur Widerspruch gegen Onkel Gracchus zu denken oder ihn, wenn auch nur in Kleinigkeiten, herauszufordern? Di Boni!
"Mit Flavia Celerina hat unser hispanischer Zweig neues Gewicht bekommen, mußt Du wissen. Aber ruh' Dich erst einmal von des Tages Mühen aus, erfrische Dich und mach' den müden Magistraten munter."
Hoffentlich tölpelt und poltert Onkel Gracchus nicht wieder gleich mit der Tür ins Haus. Und - bitte - stellt mal jemand die Eier außerhalb seiner Reichweite?
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Hatte Lucanus etwa eine neue Begleiterin aufgetan? Ich hatte ihn doch nicht etwa umsonst in Richtung Aurelia Helena geschanzt, oder etwa doch? Aber selbst dann wäre er nicht so idiotisch gewesen, sie unter Gracchus' und denen seiner Gemahlin mit an den Familientisch zu bringen. Zumindest schätzte ich meinen Neffen anders ein, und seine Worte erklärten das gedankliche Problem dann auch ein wenig. Sie war also eine Verwandte, und zudem noch aus meinem Familienzweig? Ich betrachtete sie ein wenig genauer, die klare Linie des Kinns, die intelligenten Augen, den weichen Mund, ja, eindeutig, eine Flavierin. Aber auch eine hispanische Flavierin? Ich hatte diese Frau eindeutig noch nie zuvor gesehen, an ein solches Gesicht hätte ich mich zweifelsohne erinnert. Man mochte so manche Frau vergessen, aber nicht ein solches Gesicht.
"Nun denn, dann freue ich mich natürlich, Dich kennenzulernen, Flavia Celerina," sagte ich schließlich und nahm auf der Kline Platz, ihr ein freundliches Lächeln zugedenkend - man konnte nicht wissen, ob nicht noch jemand zum Essen dazu kommen würde, war Lucullus gerade überhaupt im Haus? Ich musste zu meiner Schande gestehen, dass ich es nicht einmal genau wusste, so viel hatte ich die letzte Zeit zu tun gehabt. Alles andere ließ ich jetzt erst einmal auf mich zukommen, im Zweifelsfall würde Gracchus sicherlich das alles aufklären. So nickte ich auch Lucanus für die prompte Information dankend zu und genoss es für den Moment, einfach nur liegen zu können. Der ganze Tag lastete mir schwer auf den Schultern und ich konnte seit einigen Wochen sehr genau nachfühlen, wieso viele der alten gewesenen Magistrate krumm gingen.
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Keinesfalls war Gracchus verstimmt von Zorn oder Wut, obgleich der leise Klang seiner Selbst noch immer ein wenig unharmonisch schwang ob der Derangierung und Missbilligung des bisherigen Verlaufes des Mahls. Den Disput in all seiner Couleur hatte er gelernt, studiert, geübt, doch trotz allem war nie ein streitbarer Mensch aus ihm geworden, ließ ein jeder Streit ihn nicht nur unbefriedigt, sondern gleichsam mehr nur ratlos zurück. Caius' Nahen indes wischte Hader, Sorge und Missstimmung hinfort, bereits sein Anblick gereichte dazu, die Mundwinkel Gracchus' zu heben, eine Woge warmen, wohligen Schauers ihn umspülen zu lassen, an welchem selbst die offensichtliche Erschöpfung seines Vetters kaum nur konnte etwas ändern. Während Gracchus noch in der Degustation des Anblickes seines Geliebten gefangen war, stellte Lucanus bereits seine Schwester vor, und da Gracchus in diesem Augenblicke es an der notwendigen Aufmerksamkeit mangeln ließ, war im Nachhinein er sich nicht mehr gänzlich sicher, ob sein Neffe die genaue Art der Verwandtschaftsbeziehung bereits erwähnt hatte oder nicht. Noch einmal hob Gracchus den Becher, diesmalig im Ansinnen, Lucanus' Prosit auf die Familie noch einmal aufzugreifen.
"Da wir nun vollzählig sind, auf die Familie, anwesende, wie auch jene in der Ferne und jene, welche bereits uns verlassen hat."
Nach einem Schluck Wein drehte Gracchus das Gespräch einmal um sich selbst und wandte es in eine gänzlich andere, arbiträre Richtung, als wären sie eben erst zusammen gekommen.
"Nun, da die Amtszeit bald vorüber ist, hast du dir bereits Gedanken darob gemacht, wie es weiter geht, Lucanus?"
Dass Aquilius seinen Weg bereits vorausgeplant hatte, stand für Gracchus außer Frage. -
Und so stimmen wir alle, fröhlich die Pokale scheppernd aneinanderstoßend, bis die inhaerenten Flüssigkeiten schwappen, an und stimmen den alten Schlachtruf Fla- Fla- Fal-vi-a! Fla- Fla- Fal-vi-a! mit Begeisterung an. Onkel Gracchus schlägt mit einem langen Löffel im Takt, Onkel Aquilius knödelt ein Jie-ha! nach jedem Ruf, Tante Antonia und meine Schwester werfen Blumenkränze immer wieder in die Höhe und ich wirbele einen Caduceus wie einen Taktstock in der Luft. Fla- Fla- Fal-vi-a! Fla- Fla- Fal-vi-a!
("Einen Toast! Einen Toast" - "Das Brot ist aber noch nicht aufgeschnitten!")
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Nunja, das ist nicht die Taverna Flavia, sondern das Triclinium Flavium, in dem die traute Runde tafelt, ich hebe meinen Becher leicht um wenige digitus, denke fromm an meine verstorbenen Vorfahren, blicke meine lebenden, dero bei weitem zu wenige sind, anerkennend an, erlaubte mir eine kleine libatio und trinke dann einen Schluck auf An- wie Abwesende.
Meine Amtszeit ist bald vorbei? Welche Amtszeit? Habe ich irgendwas verpaßt? Ist "scriba" ein Amt? Im Kosmus Gracchus muß man auf alles gefaßt sein.
"Nun ja" was sage ich jetzt möglichst Unverbindliches? "ich habe meine grundständigen Kurse an der Schola abgeschlossen, nun werde ich die Aufbaukurse belegen, meine ich. Ich arbeite, äh, seit einigen Wochen, äh, an einem Forschungsprojekt, äh, nebenher, sozusagen. Mir wird leicht warm, was meine Onkel davon wohl halten, daß sich ihr Neffe in der Bibliothek zwischen Rollen verbarrikadierte?
"Außerdem habe ich mich zum Priesteramt im culutus Iunonis beworben. Die praktische Opferprüfung wird demnächst abgehalten werden." Und ich der Zwischenzeit werde ich mit Kaninchen, Ferkeln, Tauben und anderem eßbaren Getier Trockenübungen abhalten müssen. Hamster könne man nicht essen, beschied mir Attalus, als ich ihm das Ergebnis ein ersten Versuchs vorbeibrachte. Natürlich hatte ich mich dabei übergeben und erst der gezielte Hammerschlag des Stallburschen auf den Kopf des Hamsters beendete das Marytrium des Tieres - und damit auch meines.
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Mit innerer Besorgnis und äußerer Gleichmut hatte Antonia den kurzen Disput zwischen Onkel und Neffe verfolgt.
Aquilius' Eintreffen indes schien alle wieder zu beruhigen und so schenkte sie ihm ein dankbares und ehrlich erfreutes Lächeln. Umgehend bereute sie, heute nicht jenes Armband angelegt zu haben, welches er ihr auf ihrem letzten Marktbesuch geschenkt hatte. Naja, beim nächsten Mal.
Nicht minder erfreut war sie, endlich ein wenig weibliche Gesellschaft in der Villa zu haben. Die Flavier waren zwar allesamt mehr oder minder umgänglich, doch für typische Frauengespräche war keiner wirklich geeignet.Ein wenig unwohl fühlte sie sich noch, so nah bei ihrem Gatten. Wie lange waren sie sich körperlich nicht mehr so Nahe gewesen? Sah man von der Umarmung an jenem schicksalhaften Tage vor einiger Zeit ab, wohl seit Monaten nicht mehr. So lag sie mehr steif als entspannt auf der Kline, bemüht, die claudische Eleganz und Würde auszustrahlen. Aus dem Gesprächsthema, welches nun aufkeimte, hielt sie sich zunächst vornehm heraus.
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Mein Fingerschnippen rief einen der Sklaven herbei, der mir auch sogleich einen Becher Wein einschenkte - ohne Wasser, der Tag war für mich zumindest geschäftsmäßig vorbei und ich konnte mich dem Genuss hingeben, da wurde der gute Wein nicht mehr gepanscht. Wahrscheinlich wieder eine unfreiwillige Leihgabe aus Felix' Weinkeller, aber letztendlich war das im Grunde die bessere Verwendung seiner gesammelten Schätze. Irgendwann hätte er die Weinamphoren ohnehin vergessen, so viel Wein, wie im flavischen Keller lagerte, war wohl kaum für einen einzigen Menschen bestimmt.
Antonias Lächeln erwiederte ich offen und freundlich - im Grunde reichte ihr Lächeln schon, mir die Müdigkeit ein wenig auszutreiben, ihre physische Gegenwart war schon genug dazu angetan, jeden halbwegs normal gearteten Mann wieder hellwach zu machen - und nickte ihr sachte zu, bevor ich Gracchus und den anderen ebenfalls zuprostete. Also würde Lucullus heute nicht anwesend sein, oder aber er war gar nicht mehr zugegen - ich würde Gracchus später danach fragen, es war mir wirklich peinlich, davon nichts zu wissen."Du willst Iuno-Priester werden?" Das überraschte mich etwas - nicht, dass er Priester werden wollte, aber ausgerechnet Iuno? Für einen Mann war es wohl kaum erstrebenswert, sein Leben unter zänkischen Matronen zuzubringen, und Lucanus war dann doch noch recht jung, um sich das antun zu wollen ... "Das ist eine wirklich gute Nachricht. Ein weiterer Flavier im cultus deorum ist sicherlich eine Bereicherung." Auch wenn ich Männer, die weiblichen Göttinnen dienten, ein bisschen seltsam fand, wenn er es unbedingt so wollte. "Was die Opferprüfung angeht, solltest Du am besten mit Ferkeln üben, zu kleine Tiere bereiten Dich auf Staatsopfer nicht genügend vor."
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Kaum hatte ich meinen Blick erwartungsvoll zu Gracchus gerichtet, vernahmen meine Ohren auch schon die Stimme meines Bruders. Er hatte Gracchus wieder vorgegriffen, indem er mich Aquilius vorstellte. Doch hatte er wenigstens nicht alles verraten! Zwar hatte er preisgegeben, welchen Zweig ich entstammte, daß ich allerdings seine Schwester war, behielt er vorläufig für sich.
Aquilius indes lächelte mir freundlich zu und richtete einige begrüßende Worte an mich.
"Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite!" entgegnete ich ebenso freundlich.
Doch dann begann sich allmählich das Tischgespräch auf Lucanus Zukunftspläne zu konzentrieren. Sicher war das interessant, doch mit der Zeit auch etwas fad. Mein Blick fiel auf Claudia Antonia und mich überkam der Gedanke, daß es ihr nicht anders erging. Ich lächelte ihr aufmunternd zu. Eine erste Kontaktaufnahme! -
Divergent zu seinem Vetter hatte Gracchus keinerlei Bedenken in Hinsicht auf Lucanus' Entscheidung, sich vorwiegend dem cultus Iunonis widmen zu wollen, denn nicht nur, dass die Ausübung des Kultes seiner Ansicht nach ohnehin sich nicht auf einen einzigen Kult ließ beschränken - weshalb ihm stets widersinnig erschien, dass dies eben so wurde gehandhabt -, war Iuno gleichsam zudem Teil der göttlichen Trias, welcher vor allen anderen stets die größte Aufmerksamkeit des Staates zukam, so dass Lucanus Teil eines der prestigeträchtigsten Kulte würde werden und sicherlich das ein oder andere gewichtige Opfer würde leiten können - geradezu mehr als sicher war Gracchus sich dessen, da das Collegium Pontificium nicht unerheblichen Einfluss auf solcherlei konnte nehmen.
"Eine äußerst begrüßenswerte Entscheidung."
Ein wenig hatte Gracchus befürchtet, Lucanus würde bereits in den Cursus Honorum streben wollen, doch schien er ihm hierzu noch etwas zu unkonzentriert und gleichsam fremd im öffentlichen Leben Roms, so dass es nicht einfach wäre gewesen, die übrigen Senatoren von ihm zu überzeugen, gleichwohl im Falle des Falles Gracchus keine Kosten und Mühen hätte gescheut, denn bisherig hatte sich bei Lucanus nicht ergeben, dass jegliche Hilfe er geneigt war abzulehnen, wie sein Onkel Aquilius dies nur allzu gerne tat.
"Welche Thematik beinhaltet dieses Forschungsprojekt, welchem du dich widmest?"
Es war dies der Vorzug der unbeschwerten Jugend, sich solcherlei hin zu geben, denn sobald ein Mann erst in den Mühlen seiner Ämter war gefangen, so blieb selten Zeit und Muse extensive Forschung zu betreiben, ein Umstand, welcher nach Gracchus' Auffassung weit mehr als desolat, ja geradezu deplorabel musste betrachtet werden, denn was konnte sub specie aeternitatis neben dem intensiven Studium epischer Wortmelodien den Geist mehr reizen, denn etwa die Betrachtung der Solözismen im Schriftbild sarmatischer Gedenkschriften oder die Expertise gesammelter vorsokratischer Werke bezüglich paleographischer Details und kodikologischer Finessen? -
Die Andeutung eines Schmunzelns fand sich in Antonias Gesicht wieder, als sie Celerinas Blick einfing. Das erste Essen mit der Familie und dann sogleich ein solches Thema. Fürchterlich. Sie erinnerte sich noch sehr gut, wie unangenehm ihr selbst immer derlei Zusammenkünfte waren, als sie fremd (beziehungsweise fremder als jetzt) in der Villa Flavia war. So beschloss sie, es der jungen Frau ein wenig einfacher zu gestalten, blendete im Innern die anwesenden Herren völlig aus und wandte sich Celerina zu.
"Du bist also gerade erst in Rom angekommen?", mutmaßte sie. "Kennst du denn die Stadt?"
Nun gut, sie war eine Flavia, das ein oder andere Mal war sie gewiss in der Urbs Aeterna gewesen. Doch die Stadt wuchs und veränderte sich so schnell, dass bereits ein Jahr Abwesenheit genügte, um nicht mehr zu wissen, was wo war und wie man dorthin gelangte. Nebenher nippte sie an ihrem mit Wasser verdünnten Wein.
"Ich muss gestehen, von deiner Existenz wusste ich bislang gar nichts, wie mir auch dein Bruder erst vor Kurzem über den Weg lief."
Dass sie zuerst angenommen hatte, bei Lucanus handele es sich um einen der Sklaven ließ sie an dieser Stelle wie so oft unausgesprochen.
"Erzähl doch bitte ein wenig über dich. Wo hast du gelebt, wie ist es dir ergangen, was treibt dich nach Rom?" -
Unter anderen Umständen, hätte ich mich vielleicht mit einer Freundin, die mit bei der Cena lag, an einen ruhigeren Ort verdrückt, wenn die Männer langweilten. Doch hier war das nicht möglich! Denn schließliech war es ja meine Ankunft, die diese gemeinsame Cena veranlaßt hatte und zum anderen, war ich mit Claudia Antonia noch nicht so vertraut, um sie bereits eine Freundin nennen zu können.
Doch glücklicherweise lagen wir nicht weit voneinander entfernt, so daß eine Unterhaltung möglich war.
"Ja, heute Nachmittag bin ich in der Villa eingetroffen und bin sehr glücklich, so freundlich empfangen worden zu sein." Ich lächelte ihr freundlich zu und sprach weiter. "Nun, ich muß gestehen, dies ist mein erster Aufenthalt in Rom. Ich bin in Hispania aufgewachsen und lebte dort in Tarraco. Nach meiner Vermählung zog ich dann mit meinem Gemahl nach Lutetia. Nach seinem Tod vor einigen Wochen, beschloß ich, nach Rom zu reisen, um meine Familie kennenzulernen. Ich selbst erfuhr erst vor wenigen Monaten von meiner Herkunft. Das ist eine sehr mysteriöse Geschichte!" Ich griff nach einigen Oliven und ließ sie nacheinander in meinem Mund verschwinden.
"Ich bin sehr froh, jetzt hier zu sein! Die Zeit in
Lutetia war ein Graus!" Zum ersten mal hatte ich mich ansatzweise mit einer anderen Person über meine Ehe unterhalten. Vielleicht war es ja möglich, ihr noch mehr anzuvertrauen. -
'Irgendwas läuft hier schief - auch wenn eigentlich alles prima läuft', schießt es mir durch den Kopf. Ist nicht meine Schwester der Grund für unser gemeinsames Abendessen? Es scheint aber vielmehr, daß Onkel Gracchus selbst sich gerne mal wieder mit Menschen unterhalten will und nicht in Sololoquien kreiselnd in seinen Fluchten herumwandern möchte. Wir Männer trennen uns inhaltlich von den Frauen - vielleicht ein Zeichen von Normalität? Vielleicht sind wir Flavier ja gar nicht so exzeptionell, sondern wie jede beliebige Durchschnittsfamilie, bei der die Frauen über Frauenthemen und die Männer über Männerthemen nebeneinanderher sprechen können.- Und was soll ich jetzt sagen? Daß ich im Grunde nur ein dünnes Blatt Papier gefunden habe, das mich so gereizt hat, zu komplettieren? Und die Annalen des Fabius Pictor, haben in manchem das, was die kurze Beschreibung hergab, nicht bestätigt? Was würde mein Onkel davon halten, wenn ich mit einem Spaten bewaffnet in die Regia marschieren wollte, um unter den Steinböden nachzusehen? Und erst der rex sacrorum? Wäre das ein sacrilegium, nachzuweisen, daß in der Regia nie ein König gelebt hat?
"In der Tat - äußerst mysteriös, diese Geschichte", werfe anzüglich ich einen Satz zwischen meine Tante und meine Schwester. "Und selbst, wenn sie nicht wahr, ist, so ist sie grandios erdichtet, nicht wahr, Flavia Celerina?!" Ich kann es nicht lassen - ich weigere mich, ihr nicht zu glauben, und im Grunde - ist es nicht einerlei. Das war nur eine Sache von ein, zwei Atemzügen, ich wende mich nun ganz meinen beiden Onkel zu:
"Ich interessiere mich für die Geschichte der Regia, dem Amtshaus unseres rex sacrorum", versuche ich es kurz zu machen. "Es ist ein zentraler Ort der pietas unseres Volkes und des cultus Deorum und ich möchte mich nicht nur praktisch dem Dienst an den Göttern widmen."
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Mein Hunger trieb mich schließlich dazu, mir einige glücklicherweise garum-lose Eier nacheinander in stetiger Reihenfolge einzuverleiben, und ich bedauerte es nicht, dass bei diesem familiären Zusammensein Felix nicht anwesend sein konnte, er hatte mir schon einmal enorm den Appetit damit verdorben, als er seine Eierhälften vor dem Verspeisen in garum ertränkt hatte. Glücklicherweise schien sich diese abartige Vorliebe nicht durchgesetzt zu haben und ich konnte ungehindert von unappetitlichen Vorgängen das leise Gurgeln meines Magens besänftigen, der sich an seine letzte Mahlzeit vorgeblich nicht einmal erinnern konnte. Die Tatsache, erst einmal an das Verspeisen der Eier gefesselt zu sein, ließ mir auch nach und nach weitere Informationen über Flavia Celerina zukommen, ohne dass ich danach fragen musste - sie war offensichtlich Lucanus' Schwester, also hatte ich zum Großneffen nun auch unverhofft eine Großnichte hinzu bekommen, die ich nie zuvor getroffen und von deren Existenz ich auch nichts geahnt hatte. Ich war zwar auch in Tarraco aufgewachsen, aber wie ich sie einschätzte, waren wir knapp zehn Jahre auseinander und so war sie wohl erst für die Familie interessant geworden, als ich längst die Reise nach Achaia angetreten hatte und außer Landes gewesen war.
Und vielleicht würde die Anwesenheit von Celerina auch Antonias Leben ein wenig aufhellen - Frauen sprachen nun einmal gerne über Frauenthemen, da konnte ein Mann kaum oder gar keinen passenden Ersatz bieten. Zumindest schienen sie sich bisher zu verstehen, was in meinen Augen ein gutes Zeichen war.
"Wie bist Du ausgerechnet auf die regia gekommen, Lucanus? Hat das vielleicht eine Vorgeschichte? Ich meine, man bewegt sich durchaus durch die regia, ohne eine besondere Lust auf Forschungen zu bekommen, und so muss ich gestehen, dass mich Dein gewähltes Themengebiet etwas erstaunt." Noch ein Ei fiel meinen Zähnen zum Opfer, irgendwie konnte ich mich heute nicht zu den Austern überwinden, zumindest nicht in der Anwesenheit meines Vetters und Geliebten - jetzt Austern zu schlürfen wäre für ihn wohl zur Tortur geworden. -
"Magst Du keine Austern, Onkel Aquilius?" frage ich so beiläufig wie möglich und bewege mich auf der Kline schleichend und zügelnd näher an das Tablett, auf dem noch einige der vor Flüssigkeit glänzenden weißen Schalen mit grauem Bauch auf einem Meer aus gesalzenem Eis schwimmen.
"Ich fand interessant, daß Vitruv überhaupt nichts von der Regia schreibt, dabei ist sie ja doch zeimlich ungewöhnlich. Es war nur Zufalle, daß ich gemerkt habe, es gibt so gut wie überhaupt nichts dazu in der Bibliothek der Schola."
Aus Sicht eines Händlers habe ich eine Marktlücke, einen Bedarf entdeckt bin nun daran, genügend Mittel bereitzustellen, diese Nachfrage, die ich zugleich selbst erzeuge und anfache mittels geschickter Werbung, dann als Monopolist zu decken. Ich sollte aufhören die Memoiren des publicanus' M. Avarus Crassus zu lesen, da steht lauter solches Zeug drin.
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Wieder glitt ein Blick meinerseits auf die verlockenden Austern - letztendlich mochte ich Austern, aber ... nein, heute mal nicht. "Nimm sie ruhig, ich möchte keine," sagte ich und umschiffte vorrausschauend eine der übelsten Klippen der flavischen Abendgestaltung.
"Bei Vitruv sollte man aber auch bedenken, dass es für ihn wichtiger war, einen generellen Abriss über die Architektur und alle ihr artverwandten technae zu liefern denn wirklich allzu historisch zu agieren. Letztendlich wäre das bei einem Schreibstil wie dem seinen auch nicht unbedingt zu empfehlen, für historische Betrachtungen gibt es bessere Autoren. Hast Du senator Germanicus Avarus schon einmal deswegen angesprochen? Er ist, wenn ich nicht irre, der Beauftragte der Schola für alle Architekturbelange, falls es also irgendwelche Aufzeichnungen zur regia gibt, sollte er das wissen." Noch ein Schluck Wein folgte den Eiern, dann schöpfte ich mir einige Garnelen in meine Schale und probierte die erste. Annehmbar, aber jene, die ich als Kind im Hafen von Tarraconensis gegessen hatte, waren besser gewesen, garniert mit dem Geschmack des Abenteuers und einer Freiheit, die man als Erwachsener allzu früh verlor. -
Ein Sklave kündete den Anwesenden Familienmitgliedern mit lauter Stimme die Ankunft von Lucius Flavius Serenus an. Im selben Augenblick schepperte irgendwo in unmittelbarer Nähe eine Vase. Wütendes Gebell und Katzenfauchen war zu hören. Nur Herzschläge später sprinteten 3 Hauskatzen durch den Raum und suchten ihr Heil in der Flucht. Der Katzen folgte mit beängstigender Geschwindigkeit der gewaltige und wütend bellende Molocherkampfhund von Serenus, welcher auch noch an einer Leine einen vor Angst jammernden Sklaven hinter sich über den Boden schleifte. Jener hatte das Pech, dass er es wohl nicht wagte die Leine vor Schreck loszulassen, obgleich er mit seinem Gewicht das kräftige Ungetüm nur unmerklich verlangsamte. Dann stoppte der Hund, wedelte beim Anblick von Flavius Gracchus kurz mit dem Schwanz, knurrte Flavius Aquilius dagegen kurz an und setzte seinen Weg fort. Katzen, Hund und ein sich aufrappelnder Sklave verschwanden aus dem Raum in einen Gang.
Serenus betrat lachend den Raum, während er einen Umhang aus Leopardenfell auszog und einem Sklaven kommentarlos zuwarf. Dieser besaß die Geistesgegenwart den Umhang zu fangen und so sein Weiterleben zu sichern. Seine grün gefärbten Sandalen aus edelstem Gazellenlederer harmonisierten mit seiner moosgrünen Seidentunika und dem grünlichen Krokodilledergürtel. Hinter Serenus kam Dido, seine kleine Leibsklavin in den Raum.
„Salve liebe Familie! Es ist schön wieder hier zu sein. Wie ich sehe hat sich die Einrichtung nicht verändert.“
Innerlich schwirrten andere Gedanken durch den Kopf von Serenus: Jetzt kommt endlich mal wieder etwas Leben in dieses Mausoleum. Die Inneneinrichtung ja immer noch recht „deplorabel traditionell“. In Baiae hatte Oma gerade erst wieder alles komplett neu eingerichtet und streichen lassen. Bunte Wände, neue Mosaiken und Fresken hier und da.
„Grüße von Oma Agrippina an alle, insbesondere an dich Onkel Gracchus. Ich soll Dir ausrichten, dass sie dich noch stets in guter Erinnerung hat.“
Serenus musterte höflich die Anwesenden. Da war der böse Onkel Aquilius, welcher den letzten Platz in der Liste der Lieblingsonkel belegte. Lieblingsonkel Gracchus, oha, hatte der das letzte Mal nicht besser ausgesehen? Er wirkte irgendwie etwas gestresst und sah gar nicht gut aus? Onkel Lucullus fehlte, der war sicher mal wieder krank. Tante Antonia, uiui, deren Hintern war aber dick geworden. Und zwei weitere Besucher, die er noch nicht kannte.
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