Der Frühling hielt Einzug in Rom. Überall grünte und blühte es, allenorts kitzelte die Sonne frische Triebe aus den Pflanzen. Es war eine Freude, die kiesbestreuten Wege des kleinen Parks nahe des Tempelbezirks entlangzuschlendern, den Blick von den bunten Krokussen über die pelzigen Kätzchen der Weiden schweifen zu lassen und ihn schließlich auf das zarte Weiß von Schneeglöckchen zu lenken. Den Stoff der zartblauen Tunika ein wenig raffend, hockte sich Epicharis an den Wegesrand und zupfte behutsam einige der wohlriechenden Blütenstängel ab. Es war so wunderbar, wenn man sich so zwanglos an Kleinigkeiten erfreuen konnte. Und Epicharis war schon immer Optimistin gewesen, auch wenn ihr zusehends mehr zerrüttetes familiäres Verhältnis sie hierbei auf eine harte Probe stellte.
Versonnen spazierte sie die Wege entlang, sich an den zaghaften Sonnentrahlen erfreuend und das kleine Sträußchen ab und an sich unter die Nase haltend, um daran zu schnuppern, als schnelle Schritte hinter ihr auf dem Kies laut wurden. Sie drehte sich herum, um dem Geräusch auf de Grund zu gehen, wie auch die sie begleitenden drei Sklaven. "Herrin", japste der Mann, den sie als einen der claudischen Cursores erkannte. Er kam vor ihr zum Stehen, rang keuchend nach Atem und beugte sich leicht vor, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. Epicharis wandte sich vollends um und bedachte den Boten mit einem fragenden Blick. Sie hatte seinen Namen vergessen, was angesichts der Größe der Sklavenschaft aber nicht weiter verwunderlich war. "Ja?" fragte sie ihn nach einer ihr angemessen erscheinenden Verschnaufspause. "Da...da ist ein...Brief", brachte der Mann hervor und hob eine Hand. Erst jetzt erkannte Epicharis, dass er das Behältnis einer Schriftrolle mit sich führte, und augenblicklich beschleunigte sich ihr Herzschlag. Sie hatte Anweisung erteilt, augenblicklich über Briefe aus Parthien benachrichtigt zu werden, und das Siegel dieses Briefes war ihr in den vergangenen Monaten nur allzu vertraut geworden. Nahezu gierig riss sie dem Boten den Behälter aus der Hand - das Sträußchen ward vergessen und achtlos fallen gelassen - und entwand ihm die Schriftrolle. Mit fliegenden Fingern brach sie das Siegel und wollte soeben mit dem Lesen beginnen, da merkte der Bote noch etwas an. "Da wäre noch etwas." "Ja? So sprich schon!" bekam er als Antwort. "Ich habe auf dem Weg aufgeschnappt, dass die Legionen sich angeblich auf den Heimweg machen, Herrin. Natürlich weiß ich nicht, inwieweit-" "Wie? Aber das ist... Das ist....ja...wunderbar!" fiel Epicharis dem armen Kerl euphorisch ins Wort und strahlte über das ganze Gesicht. So sehr, dass der claudische Cursor sich fragte, ob sie ihn wohl auspeitschen lassen würde, wenn sich herausstellte, dass es nur ein unwahres Gerücht war... Aber nein, schließlich war die junge Dame des Hauses dafür bekannt, Milde walten zu lassen. Auch, wenn es nicht angebracht und wohl nur eine glückliche Fügung für fehlbare Sklaven war. "Man kann nicht sicher sein, dass es stimmt", wandte er pflichtbewusst ein und sah Epicharis zerknirscht an. "Papperlapapp, natürlich stimmt es. Dieser Krieg dauert schließlich schon viel zu lange. Nordwin? Du wirst dich jetzt gleich aufmachen und herausfinden, wann mit dem Eintreffen der Legionen zu rechnen ist. Und dir danke ich für die Botschaft", wandte sie sich an ihren Leibwächter und danach wieder an den Boten, der Dank und Gruß murmelte und sich wieder trollte.
Nun hatte sie endlich Zeit zum Lesen. An den gefallenen Schneeglöcklich trat sie vorbei und auf eine marmorne Bank zu, die passenderweise von einer Statue des Amor bewacht wurde. Gespannt ließ sie sich darnieder sinken und begann zu lesen...
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