Ein kleiner Park | Frühlingserwachen

  • Der Frühling hielt Einzug in Rom. Überall grünte und blühte es, allenorts kitzelte die Sonne frische Triebe aus den Pflanzen. Es war eine Freude, die kiesbestreuten Wege des kleinen Parks nahe des Tempelbezirks entlangzuschlendern, den Blick von den bunten Krokussen über die pelzigen Kätzchen der Weiden schweifen zu lassen und ihn schließlich auf das zarte Weiß von Schneeglöckchen zu lenken. Den Stoff der zartblauen Tunika ein wenig raffend, hockte sich Epicharis an den Wegesrand und zupfte behutsam einige der wohlriechenden Blütenstängel ab. Es war so wunderbar, wenn man sich so zwanglos an Kleinigkeiten erfreuen konnte. Und Epicharis war schon immer Optimistin gewesen, auch wenn ihr zusehends mehr zerrüttetes familiäres Verhältnis sie hierbei auf eine harte Probe stellte.


    Versonnen spazierte sie die Wege entlang, sich an den zaghaften Sonnentrahlen erfreuend und das kleine Sträußchen ab und an sich unter die Nase haltend, um daran zu schnuppern, als schnelle Schritte hinter ihr auf dem Kies laut wurden. Sie drehte sich herum, um dem Geräusch auf de Grund zu gehen, wie auch die sie begleitenden drei Sklaven. "Herrin", japste der Mann, den sie als einen der claudischen Cursores erkannte. Er kam vor ihr zum Stehen, rang keuchend nach Atem und beugte sich leicht vor, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. Epicharis wandte sich vollends um und bedachte den Boten mit einem fragenden Blick. Sie hatte seinen Namen vergessen, was angesichts der Größe der Sklavenschaft aber nicht weiter verwunderlich war. "Ja?" fragte sie ihn nach einer ihr angemessen erscheinenden Verschnaufspause. "Da...da ist ein...Brief", brachte der Mann hervor und hob eine Hand. Erst jetzt erkannte Epicharis, dass er das Behältnis einer Schriftrolle mit sich führte, und augenblicklich beschleunigte sich ihr Herzschlag. Sie hatte Anweisung erteilt, augenblicklich über Briefe aus Parthien benachrichtigt zu werden, und das Siegel dieses Briefes war ihr in den vergangenen Monaten nur allzu vertraut geworden. Nahezu gierig riss sie dem Boten den Behälter aus der Hand - das Sträußchen ward vergessen und achtlos fallen gelassen - und entwand ihm die Schriftrolle. Mit fliegenden Fingern brach sie das Siegel und wollte soeben mit dem Lesen beginnen, da merkte der Bote noch etwas an. "Da wäre noch etwas." "Ja? So sprich schon!" bekam er als Antwort. "Ich habe auf dem Weg aufgeschnappt, dass die Legionen sich angeblich auf den Heimweg machen, Herrin. Natürlich weiß ich nicht, inwieweit-" "Wie? Aber das ist... Das ist....ja...wunderbar!" fiel Epicharis dem armen Kerl euphorisch ins Wort und strahlte über das ganze Gesicht. So sehr, dass der claudische Cursor sich fragte, ob sie ihn wohl auspeitschen lassen würde, wenn sich herausstellte, dass es nur ein unwahres Gerücht war... Aber nein, schließlich war die junge Dame des Hauses dafür bekannt, Milde walten zu lassen. Auch, wenn es nicht angebracht und wohl nur eine glückliche Fügung für fehlbare Sklaven war. "Man kann nicht sicher sein, dass es stimmt", wandte er pflichtbewusst ein und sah Epicharis zerknirscht an. "Papperlapapp, natürlich stimmt es. Dieser Krieg dauert schließlich schon viel zu lange. Nordwin? Du wirst dich jetzt gleich aufmachen und herausfinden, wann mit dem Eintreffen der Legionen zu rechnen ist. Und dir danke ich für die Botschaft", wandte sie sich an ihren Leibwächter und danach wieder an den Boten, der Dank und Gruß murmelte und sich wieder trollte.


    Nun hatte sie endlich Zeit zum Lesen. An den gefallenen Schneeglöcklich trat sie vorbei und auf eine marmorne Bank zu, die passenderweise von einer Statue des Amor bewacht wurde. Gespannt ließ sie sich darnieder sinken und begann zu lesen...


    Sim-Off:

    vorgemerkt :)

  • Fiona war neben Nordwin eine der drei Sklaven in Epicharis´ Begleitung. Sie hatte sich sehr darüber gefreut, als man ihr mitgeteilt hatte, sie solle die junge Herrin begleiten. Das Wetter lud auch direkt dazu ein, nach draußen zu gehen. Der Winter war endlich auf dem Rückzug und der Frühling wollte an allen Ecken Einzug halten.
    Ihr Weg führte sie in einen kleinen, netten Park. Es war ein Fest für die Augen! All die kleinen zarten Blumen, die bereits in wunderschönen Farben zu blühen begonnen hatten. Die Bäume trieben schon aus. Die ersten zarten Blätter in einem zarten frischen Grün hatten sich gebildet. Die Natur war zurückgekehrt und erwachte nun zusehends.


    Fiona beobachtete lächelnd die junge Claudierin dabei, wie sie schönsten Blümchen pflückte und sie zu einem kleinen Strauß in ihrer Hand zusammenfügte.
    Die Idylle würde jäh durch die eilig herannahenden Schritte eines Mannes unterbrochen, der nach Epicharis rief. Fiona blickte auf. Es war doch hoffentlich nichts passiert! Sie wußte, wie sehr die junge Frau unter der Trennung von ihrem Verlobten litt.
    Der Mann überbrachte ihr einen Brief, wahrscheinlich von Flavius Aristides, ihrem Verlobten. Fiona spitze die Ohren, um zu erfahren, welche Neuigkeiten es noch gab. Die Legionen sind angeblich auf den Heimweg. Das wäre schön, jedenfalls für die Herrin, dachte Fiona.
    Die Claudia schickte sofort Nordwin los. Er sollte herausfinden, ob dieses Gerücht wahr war. Dann ließ sie sich auf einer Bank nieder, um zu lesen.
    Fiona trat vorsichtig an sie heran. "Es wäre schön, wenn es wahr wäre, Herrin!"

  • In mannigfach bunter Couleur kündete die Natur von ihrem Bestreben, das starr gefrorene Innere der dunklen Erde zu verlassen und die Welt mit lebendigem Wandel, frischem Hauch und vollkommener Idylle zu überziehen. Von einer honigfarbenen Silhouette sonnigen Lichtscheines waren die kahlen Äste der Bäume umrahmt, streckten sehnsuchtsvoll erste Knospen zum Himmel empor und wiegten sich sanft im unscheinbarem Hauch, welcher die Hügel der Stadt lieblich umschmeichelte. Erste Blumen räkelten sich unter der warmen Berührung der Sonne, Singvögel zirpten freudig ihr Lied und hießen den Frühling willkommen. Doch längst nicht alles Leben in Rom wurde ob dessen von leichter Seichtigkeit erfasst, hatte Blick für die sich erhebende Ästhetik der Natur. Es war einer jener Tage, an welchen Gracchus nicht mehr ein, noch aus wusste, an welchen zu viel in seinem Kopfe umeinander wirbelte, so dass es ihm schien, dass mit jedem weiteren Gedanken, mit jedem weiteren Worte oder nur einem Namen jener müsse platzen. Die Gänge der Regia schienen ihm drückend, erdrückend, als würden die Mauern langsam sich enger und enger um ihn herum ziehen, gleichsam die Decke hinab sich senken, mit endlos quälender Langsamkeit, doch beständig, so dass irgendwann nichts mehr half, denn der Aufgaben sich zu entledigen und die Flucht ins Freie hinaus an zu treten. Tief schien der Morast der Straße, längst verklungen die schwingende Harmonie, welche den Körper stets im Einklang hielt, klamm und düster waberten Schwaden aus eisiger Desperation durch die Gassen, ließen kahle Äste zittern wie furchterfüllte Gestalten am Wegesrand, welche gierig die Hände streckten nach jedem vorbeiziehenden Geist. Das flüsternde Gemurmel der Passanten erfüllte die Luft, andächtiger Gesang, vergilbtes Geleit für einen sterbenden Gedanken, sich aus der lautvollen Stille schälende Sonate der vollkommenen Verkommenheit. Bis zu seinen Ohren hin konnte Gracchus das Pochen seines Herzens vernehmen, zäh fließend, gleichsam berstend in sich selbst und aus sich heraus, die Hand seines Sklaven auf der Schultern war nur mehr gestaltloses Geleit, welches willenlos ihn durch die Menge schob. Grünfarben war die Hoffnung, grünfarben die Erlösung, blumig der Odeur der Stille, welche jedes Wort, jeden Laut verschluckte. Manches mal vergaß er, wo er war, manches mal vergaß er, wer er war, manches mal in tiefer Nacht konnte er vergessen. Schneeglöckchen schoben sich in Gracchus' Blick, geknickt, gebrochen auf der Mitte des Weges, von graufarbenem Stein umrahmt, beraubt ihres Lebens für einen vergänglichen Augenblick der Schönheit. Umsichtig kniete er sich hernieder und hob die sterbende Kostbarkeit in seine Hände, ohne zu ahnen, was hernach mit ihnen sollte geschehen, doch als seinen Blick er wieder hob, sich aufrichtete, blickte er Claudia Epicharis voraus - epiphane Gestalt aus gleißendem Lichte, Leichtigkeit mit transluzenten Schwingen, welche in allen Farben des Regenbogens beliebten zu schimmern. Ihr Wesen war ihm so fremd, so unverständlich, doch gleichsam ob dessen so faszinierend, dass entgegen jeglichen Drängens er sich selbst überwand und zu ihr trat.
    "Salve, Claudia."
    Vorbei war es mit der Überwindung, vergangen der auflodernde Mut, denn kaum, dass die Begrüßung gesprochen war, fehlten Gracchus jegliche weitere Worte, fehlte ihm jedes Gespür, wie dieser Beginn eines Anfangs fortzusetzen war, um dem Augenblick einen beständigen Anschein von Dauer zu geben.
    "Ein äußerst vorzüglicher Tag, um tiefsinnige Schriften zwischen den Schätzen der Natur zu goutieren"
    , deutete er mit einem Wink auf die Schriftrolle in ihrer Hand an, doch plump schienen die Worte über seine Lippen zu poltern, ungelenk und grave, vergleichen mit ihrem grazilen Wesen, welches so zerbrechlich anmutete, dass Gracchus manches mal sich die Frage stellte, ob nicht Aristides es mit dem ersten übermütigen Griff würde devastieren.

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  • Auch Minna gehörte zu den Sklaven, die an jenem Frühlingstag die junge Claudia in den Park begleitete. Es war an diesem Tag wirklich besonders schön. Die Sonne strahlte hell vom blauen Himmel und überall wo man hinschaute schien der Frühling zu erwachen. Während sie zusammen mit Fiona und Nordwin in gebührenden Abstand ihrer Herrin folgte, atmete sie immer tief wieder die angenehme Frühlingsluft ein. Es tat so gut mal wieder aus der Villa zu kommen und dann noch bei diesem herrlichen Wetter. Beinahe vergaß Minna, wo sie sich eigentlich befand und was sie hier tat. Aber auch nur beinahe. Dennoch fühlte sie sich heute sehr gut und genoss den Ausflug in den Park. Wie idyllisch es hier doch war. Sie hätte nicht gedacht, dass es solche wunderschönen Plätze in Rom gab, in dieser sonst so lauten, dreckigen Stadt.


    Da erschien plötzlich ein Bote mit einem Brief für Epicharis und auch die germanische Sklavin wurde mit einem Mal ganz neugierig. Er schien gute Neuigkeiten für sie zu haben, so fröhlich die Römerin reagierte. Minna freute sich für die junge Patrizierin, denn auch ihr war es nicht entgangen, wie sehr die Claudia ihren Verlobten vermisste. Doch noch mehr freute sie sich für sich selbst und Fiona. Denn sie wusste, waren die Herrschaften glücklich, so erging es den Sklaven meistens auch sehr gut. Sie sah unauffällig zu Fiona hinüber und versuchte ihren Blick zu erhaschen. Ob sie wohl so ähnlich dachte?


    Während Epicharis sich auf einer Bank nieder ließ, trat Minna dezent in den Hintergrund und beobachtete jeden ihrer Gesichtszüge, in der Hoffnung man könne aus ihnen etwas herauslesen. Doch auf einmal wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als eine männliche Stimme erklang. Erschrocken schaute sie auf und erblickte den Römer vor ihnen. Nanu, wo ist der denn so plötzlich aufgetaucht? Sie musste so konzentriert gewesen sein, dass sie seine herannahenden Schritte nicht gehört hatte. Sie lächelte verhalten und verneigte sich leicht, während es zur gleichen Zeit in ihrem Hirn rotierte. Wie hieß dieser Herr noch mal? Sie hatte ihn schon einige Male in der Villa Claudia gesehen. Verstohlen musterte Minna den Herren, dessen Name ihr partout nicht einfallen wollte. Ein Patrizier, das stand außer Frage. Doch aus welcher Familie war er? Aurelier? Flavier? Jetzt lebte sie schon seit geraumer Zeit in Rom und Minna hatte immer noch so ihre Mühe die verschiedenen Familien auseinander zu halten.

  • "Ja Fiona, das wäre es wirklich. Aber es ist klüger, sich erst dann zu freuen, wenn Gewissheit herrscht, anderenfalls kann die Freude nur allzu bald in Gram sich wandeln", erwiderte Epicharis und strahlte Fiona an. Doch das Lesen duldete nun keinen weiteren Aufschub mehr, und so vertiefte sich die Claudierin ganz und gar in die säuberlich geschwungenen Buchstaben auf hellem Grund. Unterbewusst wunderte sie sich natürlich schon ab und an, dass ein Mann mit Aristides' Mentalität derart feinsinnig und ansehnlich schreiben konnte, doch es zählte schließlich, dass er schrieb und nicht wie er es tat.


    Allmählich breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, verschmitzer wie amüsierter Natur. Natürlich würde er ihr nicht schreiben, dass sie verlören, selbst wenn dem so war. Das allein verbot schon die Tatsache, dass er ein römischer Soldat war - schließlich gewann das Imperium stets. Ob der Stelle ihre persönliche Lage betreffend runzelte sie nur die Stirn, während die Mundwinkel flüchtig zuckten. Bald darauf jedoch wurde der Ausdruck auf ihrem Gescícht abermals abgelöst von einem strahlenden Lächeln - sie war bei der Versicherung angelangt, dass die Villa Flavia ihr stets würde offenstehen. Mit diesem Lächeln blickte sie auch hoch und blinzelte in die Sonne, als sie eine wohlklingende Stimme ihren Namen aussprechen hörte. Und ob es Zufall war oder nicht, dass er genau in jenem Moment aufgetaucht war, da Epicharis seinen Namen gelesen hatte - da stand Flavius Graccus vor ihr. Überrascht musterte Epicharis ihn und ihr Lächeln wurde sogar noch breiter, als er weitersprach. Nur kurz überlegte sie, entschied sich jedoch beinahe im selben Moment dagegen, die Förmlichkeiten wieder einer Mauer gleich zwischen ihnen beiden nach oben zu ziehen. Zwar ahnte sie, dass Gracchus es nicht schätzte, wenn man bestehenden Höflichkeitsfloskeln geizte, doch Epicharis war der Meinung, dass man nach alledem, was sie durchgemacht hatten, durchaus darauf verzichten konnte.


    "Gracchus!" sagte sie ergo, ließ seinen Nomen gentile unter den Tisch fallen und erhob sich, den Brief vorerst beiseite gelegt. Was folgte, war eine herzliche wie - vermutlich - überraschende Umarmung, die ebenso ungewöhnlich war wie.. nun, wie Epicharis' Wesen selbst. Manch einer fragte sich, wie sie bei diesem Vater sich so hatte entwickeln können, doch keinesfalls vergaß sie ob der guten Manieren und üblichen Floskeln, wenn es erforderlich war. Doch Gracchus, nun, den zählte sie inzwischen schon längst zur Familie, ob er sich dessen bewusst war oder nicht. "Das stimmt, er wäre bestens für ein paar philospophische Zeilen geeignet. Das allerdings ist ein Brief von Marcus." Es war ihr nicht möglich, das schalkhafte Blitzen ihrer Augen zu verbergen, und so suchte sie es zu überspielen, indem sie auf die Bank deutete. "Möchtest du dich vielleicht zu mir gesellen? Oder wollen wir ein Stück gemeinsam gehen?" schlug sie vor und setzte einen prüfenden Blick nach. "Ich halte dich doch nicht auf, oder doch?"

  • Claudia Epicharis zog stets als eine reißende Bö hinweg über Gracchus, brach die Stämme seines Waldes gleich Strohhalmen, bis dass kein einziger mehr seine Nadeln in die Höhe reckte, sie zog um ihn wie ein heftiger Wirbelsturm, riss jeden Fetzen ihm vom Leibe, bis dass er nackt im Regen stand. Und doch, am Ende stand Gracchus bisweilen hernach auf weiter Ebene und entdeckte die schillernde Welt um sich herum, welche stets von den dunkelfarbenen Stämmen des Forstes und seiner Schatten war ihm verborgen geblieben, am Ende spürte er die sanften Tropfen des warmen Sommerregens seine Haut umschmeichelnd, jeden Schmutz von ihm waschend. Die reinigende Entblößung jedoch kam in diesem Augenblicke, inmitten Roms, inmitten des geschäftigen Tages, zu unvermittelt, zu plötzlich, als dass Gracchus sich in der Lage sah, darauf eine Reaktion zu erwidern, abgesehen davon, dass er nicht im mindesten auch nur den Schimmer einer Ahnung hatte, wie diese hatte auszusehen. So versteifte nur sein Körper instinktiv sich unter der Umarmung, seine Augen weiteten sich marginal, sein Herzschlag beschleunigte sich und pumpte vermehrte Mengen an Blut durch seine Adern, was zu leichter Erhöhung der Temperatur in seinem Leibe führte, dazu, dass seine Lippen ein wenig auseinander drifteten und schlussendlich er mit einem Blinzeln versuchte all dies wie ein ins Auge geratene Insekt von der Oberfläche seiner Pupille zu entfernen, so als würde sich das unangenehme, da unkonventionelle Geschehen damit in Wohlgefallen auflösen. Doch weder Epicharis, noch die Umarmung existierten nur als Abbild in seinem Auge, so dass sie durch solcherlei Aktion nicht im geringsten wurden tangiert. Mühsam unterdrückte Gracchus den drängenden Reflex, sich umzusehen, ob irgendwer in der Nähe Zeuge dessen war geworden, doch jene verstohlene Reaktion hätte nurmehr dem Geschehen eine Art von unrechtmäßiger Vertrautheit anhaften lassen. Nicht oft geschah es, dass Gracchus sich in mehr oder minder enger Berührung eines anderen Menschen wiederfand, einzig Aquilius' Umarmung war ihm traut, doch selbst seine Schwester hatte nach anfänglichen Versuchen von solcherlei familiärem Gebaren wieder Abstand genommen. Es schien ihm, als würde er ein Gut empfangen, welches nicht für ihn bestimmt war, als würde er seinen Vetter Aristides um dessen Umarmung betrügen, denn in seinem Weltbild gehörte solcherlei intimer Kontakt zwei Menschen, welche eng miteinander verbunden waren, sei es durch die Ehe, allfällig auch durch jenes bisweilen derangierende Konstrukt der Liebe - doch obgleich auch Gracchus Epicharis bereits in den Kreis der Familie hatte mehr oder minder eingeschlossen, so bot solcherlei Verbindung keinen Raum für derart intensiven körperlichen Kontakt, der zu rapide dem Gegenüber allfällig alle eigenen Schwächen zu offenbaren wusste, weshalb die einzig mögliche Erklärung dessen war, dass in Epicharis' Sinnen er als Vetter dessen stellvertretend für ihren Verlobten stand, sie ihre Sehnsucht und Emotionen stellvertretend auf ihn darob projizierte.
    "Nein, du ... nicht ... ich ..."
    , stammelte er ob der Intensivität ihrer Aktion völlig aus seiner Contenance gerissen, stockte als dies ihm bewusst wurde, schloss seinen Mund und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, um zu verhindern, dass mehr einsame Wortbrocken noch daraus hervorquollen. Er sog die Frühlingsduft behaftete, milde Luft durch seine Nase ein, dass es ihm die Sinne ein wenig klärte und begann hernach noch einmal von vorne, nicht ohne zuvor sich dessen bewusst zu machen, wie am Ende seines Satzes jener sollte aussehen.
    "Du hältst mich in keinster Weise auf. Einige Schritte an deiner Seite wären mir zudem äußerst agreabel, ausgiebiges Sitzen ist mir bereits in übermäßiger Dauer in der Curia Iulia und der Regia vergönnt, ebenso wie hinter dem heimischen Schreibtisch."
    Nachdem Epicharis sich von ihm hatte gelöst, mühte sich Gracchus, die Falten der Toga zu korrektem Sitz zu ordnen, ehedem er auf den Brief deutete, welcher beinahe den Anschein einer achtlos beiseite gelegte Ausgabe des Informationsblattes mit den fünf großen Buchstaben gab, welche dort auf den nächsten zufälligen Leser harrte.
    "Ich hoffe, Marcus schreibt nur Erfreuliches?"
    Da Epicharis und Gracchus gemeinsamer Bekanntschaftskreis - zumindest soweit beide sie sich dessen bewusst waren - nicht eben übermäßig viele Personen zählte, ging Gracchus davon aus, dass mit Marcus niemand sonst gemeint sein konnte denn sein Vetter. Er versuchte einen Blick auf den Schriftschwung der Zeilen auf jenem Schriftstück zu erhaschen, doch ohnehin wäre dies vermutlich nicht eben aussagekräftig, da Aristides in einem Brief ihm hatte anvertraut, dass all jene Briefe an Epicharis er von einem Scriba niederschreiben ließ.

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  • Der Schalk sprühte förmlich aus Epicharis' Augen, als sie Gracchus aus ihrer Umarmung löste und ihn anblickte. Allzu deutlich war ihm anzusehen, dass ihm diese Art der Zuneigungsbekundung nicht gerade zusagte, doch wenn Epicharis ehrlich mit sich selbst war, machte es ihr genau deswegen solchen Spaß, Gracchus zu zeigen, dass sie ihn mochte. Selbstverständlich resultierte das keinesfalls aus der Ursache, die der Flavier vermutete - Gracchus wäre Epicharis ohnehin zu mürbe und zu steif gewesen - sondern einzig in ihrer Art und ihrem Lebensgefühl. Gracchus würde das über kurz oder lang wohl selbst noch merken, denn wenn Epicharis erst einmal in der Villa Flavia wohnte, würden sie sich zwangsläufig öfter über den Weg laufen, und das bedeutete, dass Gracchus noch viele Male in prekäre Situationen kommen sollte.


    Mit strahlenden, kohleumrandeten Augen lächelte sie ihn an, als er zu stammeln begann. Hatte es das schon einmal gegeben! Der sonst so unnahbar wirkende Gracchus verhaspelte sich und schien sich sogar noch dafür zu schämen! Wenn sie Aristides sah, würde sie ihm erzählen, was für eine ausgesprochen süße Seele seinem Vetter innewohnte. Er mochte sich ja noch so viel Mühe geben, ernst und ehrfurchtgebietend und grave zu wirken, doch solche kleinen Situationen wie diese hier zeigten doch ganz deutlich, dass auch in Gracchus ein wenig Unbeschwertheit steckte. Epicharis dachte an den Tag, an dem er ihr von der Fehlmeldung in der Acta berichtet hatte. Gracchus war witzig gewesen. Das hatte die Claudierin nicht vergessen. Sie würde ihn schon noch hinter dem dunklen Vorhang hervorzerren, und zwar ohne sich dabei sonderlich zu verstellen. Beinahe liebevoll musterte sie seine Gesichtszüge, ein marginales Schmunzeln umspielte ihre Lippen.


    "Du mutest dir zuviel zu, lieber Gracchus. Zu den zahlreichen Stunden in Senat und Collegium werden mit dem Aedilat noch viele weitere hinzukommen", gab sie zu bedenken. Wie es Epicharis' Art war, strich sie eine widerspenstige Togafalte auf seiner Schulter glatt, legte gekonnt eine zweite in ihre angestammte Bahn zurück und zwinkerte ihm schließlich zu. Dann folgte sie seinem Blick, nahm das Pergament wieder an sich und rollte es sorgsam mit verschmitztem Seitenblick auf den schmulenden Flavier wieder zusammen. "Größtenteils", erwiderte sie und deutete mit der Schriftrolle den kiesbestreuten Weg entlang, ehe sie selbst weiterging. Minna und Fione würden ganz bestimmt folgen. "Der Bote berichtete mir, dass die Legionen auf dem Heimweg seien. Weißt du vielleicht mehr? Marcus hat nichts Derartiges geschrieben."


    Sonnenstrahlen durchbrachen knospenbesetzte Zweige und malten eigentümliche Muster auf den Weg, den Flavius und Claudia gemächlich beschritten. Hie und da war ein Vogel zu hören, zu sehen oder beides, und eine Amsel zerrte links des Weges einen fetten Wurm aus dem grünenden Boden. "Wie geht es dir dieser Tage?" erkundigte sich Epicharis interessiert und wandte den Kopf Gracchus zu. Die schreckliche Vestalinnentragödie hatte auch sie erreicht, und sie wusste ebenso um Leontia, die sie sehr gern gemocht hatte.

  • Den Worten Epicharis' konnte Gracchus kaum etwas entgegen setzen, denn bisweilen beschlich ihn selbst dieser Gedanke, dass übermäßig viel Arbeit nicht immer adäquat war, sondern eher dazu führte, dass sie nur mit unbefriedigendem Ergebnis wurde erledigt. Ohnehin, wäre er stets seinem freien Willen gefolgt, so säße er weder im Senat, noch hätte um das Aedilat kandidiert, denn im Grunde glaubte er sich gänzlich ungeeignet für Politik und fühlte sich stets mit den komplexen Korrelationen darin überfordert, doch obgleich er sich bisweilen innerlich ein Stück weit von familiären Zwängen hatte lösen können, so gab es Dinge im Leben eines Flavius, welche ein Flavius ohne Zögern musste tun, so er nicht von den Larven seiner Vorväter wollte zerrissen werden, und dazu gehörte der politischen Laufbahn zu folgen.
    "Nun, neben der Verpflichtung ob der eigenen Familie muss ein Patrizier seine Person stets dem Staate zur Verfügung stellen, nicht wahr? Es ist dies nicht nur das Vorrecht, sondern gleichsam Aufgabe unseres Standes, auf welche letztlich jeglich anderes Vorrecht sich begründet. Wir genießen die Freiheit in Kindheit und Jugend unseren Kopf in wissenschaftliche, philosophische und andere intellektuelle Sphären zu stecken, Moral und Wahrheit in ihrem Wesen zu durchdringen und die hoch komplexen Zusammenhänge des Lebens zu ergründen, doch nur darob, dass wir hernach all dies dazu können nutzen, das Imperium zu Wohlstand und Prosperität zu führen, denn wenn nicht wir, wer sollte dies denn tun, und wenn nicht hierzu, wozu sollte es sonstig gut sein?"
    Obgleich dies oftmals nur vordergründige, patrizische Beweggründe mochten sein, so konnte Gracchus sich mit diesen sehr wohl identifizieren, denn das Streben nach Macht und die Gier nach Reichtum lagen ihm fern, wenn auch bisweilen sein flavisches Erbe ihn diesbezüglich einzuholen wusste, vor allem in kultischen Belangen. Mit größter Aufmerksamkeit bedachte Gracchus Epicharis mit seinem Blicke als jene die Falten der Toga auf seiner Schulter sortierte, quittierte ihr Zwinkern mit einem marginalen Lächeln, welches ohne sein bewusstes Zutun seine Lippen kräuseln ließ, ehedem es wieder sich verflüchtigte und stattdessen feine Furchen sich über seine Stirne zogen.
    "Im Senat ist nichts über Dislozierungen im Osten bekannt, doch vermutlich ist der Senat ohnehin das letzte Gremium, welches von den Bewegungen der Truppen erfährt. Der Legat Tiberius schwor seine Truppen auf den legitimen Nachfolger des Augustus, Ulpius Aelianus Valerianus ein, doch weder von diesem unserem neuen Imperator, noch von Tiberius erreichte hernach Rom eine Nachricht, wie das weitere militärische Vorgehen im Falle Parthia aussehen wird. Es scheint nicht, als hätte Aelianus mit viel Widerstand in Rom zu rechnen, darob könnte er sich durchaus leisten, die Truppen weiterhin an der Front im Osten kämpfen zu lassen, doch allfällig hat er auch andere Pläne, wer weiß dies schon."
    Gracchus' Blick wandte sich den graufarbenen Kieseln unter ihnen zu, die trüben, devastativen Gedanken holten ihn ein, verdrängten die Sonnenstrahlen, welche durch die lichten Baumkronen den Weg beschienen.
    "Ich wünschte, es ist wahr und Marcus würde zurück nach Italia und endlich nach Rom kommen."
    Natürlich war dieser Wunsch nicht aus rein uneigennützigen Gedanken geformt, denn seit jeher war es Tradition, dass der älteste Flavier der ältesten im Hause lebenden Generation übergreifend für das Wohl der Familie Sorge trug, und mit Aristides' Rückkehr wäre eben jener dieser Flavier. Gracchus sehnte sich danach, diese Verantwortung abzugeben, gleichsam war sein älterer Vetter Aristides ihm stets als Sinnbild der Standhaftigkeit, der Männlichkeit und der Stärke erschienen, so dass jener ohnehin viel geeigneter hierfür schien. Epicharis' Frage indes brachte Gracchus erneut leichthin aus seinem Konzept, denn kaum je fragte irgendwer nach seinem Befinden, gleichsam nicht auf solch tatsächlich scheinbar interessierte Art und Weise, höchstens allfällig Caius, weshalb er nicht eben sicher war, was darauf zu antworten.
    "Es geht mir gut,"
    sagte er darum, nicht gerade wahrheitsgemäß, doch ohnehin war sein Befinden kaum von Belang.
    "Die politische Lage bereitet mir ein wenig Kopfzerbrechen, die Ungewissheit der Zukunft unter unserem neuen Kaiser."
    Ein kleiner Spatz flog vor ihnen an den Wegesrand, pickte dort nach seiner Beute und eilte sich, erneut in die Luft sich zu erheben, bevor sie ihm zu nahe kamen.
    "Und dir"
    , Claudia lag ihm bereits auf der Zunge, doch im letzten Augenblicke noch zwang er sich, ihren Cognomen zu nutzen.
    "Epicharis, wie geht es dir?"
    Nicht die geringste Ahnung hatte Gracchus, was eine Frau dieser Tage in Rom tat, wie die Zeit sie sich vertrieb, welchen Beschäftigungen sie nachging, denn mit jener einzigen Frau, welche er hätte danach fragen können - seine Gemahlin, sprach er noch immer kaum.

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  • Fiona vermied es, die Unterhaltung der beiden Herrschaften zu belauschen. Nur ab und an drangen einige Wortfetzen an ihr Ohr. Der heutige Tag war einfach zu schön, um sich mit Politik zu beschäftigen. Sie genoß es einfach, außerhalb der ungeliebten Mauern der Villa zu sein. Auch wenn dies nicht die grünen Wiesen und Haine Cymrus war, wo sie sich befand.
    Sie lächelte Minna zu, der es wohl auch Freude bereitete, die Herrin begleiten zu dürfen. An solchen Tagen verblaßten die Gedanken an eine Flucht, denn sie gaben Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben und vielleicht auch eines Tages Hoffnung auf Freiheit.
    Ihr Blick fiel auf einige Gänseblümchen, die am Wegesrand blühten. Sie bückte sich und pflückte einige Blüten. "Hier sieh mal, Minna! Sie blühen schon!" Sie ging auf Minna zu und steckte ihr eine der Blüten ins Haar. "So, jetzt bist du die hübscheste Frühlingsfee in ganz Rom!" erklärte sie grinsend. Sie selbst steckte sich dann auch noch eine Blüte ins Haar. "Na, wie seh ich aus?"
    Doch bevor Minna antworten konnte, setzten sich Epicharis und der Flavier bereits in Bewegung. Fiona gab Minna ein Zeichen, daß es weiter ginge. Die beiden Sklavinnen folgten ihrer Herrin.

  • Im Gegensatz zu ihrer keltischen Mitsklavin schenkte Minna den beiden Patriziern sehr viel Aufmerksamkeit. Sie hatte es schon immer geliebt die Menschen um sie herum genau zu beobachten und sie war auch immer wieder davon fasziniert, wie unterschiedlich sich die Menschen verhielten. So war es auch bei diesen beiden römischen Herrschaften. Während ihre Herrin Epicharis vor Lebensfreude nur so strotzte, wirkte der Flavier eher zurückhaltend. Als Epicharis ihn so stürmisch umarmte, war aber auch sie ein wenig erstaunt. War das denn für eine junge Claudia wie sie angemessen? Wenn das nur ihr Vater sähe! Nun gut, das war nicht ihre Angelegenheit und mit den römischen Gepflogenheiten kannte sie sich ja auch nicht so genau aus. Daher warf sie einen flüchtigen Blick zu Fiona um zu schauen, wie sie darauf reagierte. Diese schenkte dem Ganzen allerdings nicht allzu viel Beachtung, stattdessen schien sie sich viel mehr mit der Natur, die sie umgab, zu beschäftigen. Minna dagegen wandte sich wieder um, schließlich wollte sie mitbekommen, wie die Reaktion des Römers auf die herzliche Begrüßung aussah. Und natürlich, Minna hatte es schon geahnt, fiel diese eher versteift aus.


    So vertieft wie sie in diesem Moment war, bemerkte sie erst spät, dass sich Fiona ihr näher gekommen war und ihr plötzlich eine Blume ins Haar steckte. "Oh..." Vollkommen überrascht fasste sie sich instinktiv an den Kopf um nach dem Pflänzchen in ihrem Haar zu tasten. Sie spürte es unter ihren Fingern, ließ es aber letztendlich an seinem Platz. Auf Fionas Schmeichelei hin fing sie an zu kichern und als sie hochsah, fiel ihr auf, dass auch Fiona mittlerweile eine Blüte in ihrem Haar hatte. "Das sieht wunderschön aus!" Und das meinte sie wirklich. Hach ja, wie gerne würde sie jetzt aus den ganzen Gänseblümchen kleine Kränze flechten und sie ihrer rothaarigen Freundin umhängen. Aber jetzt ging es erst einmal weiter. Mit einem Lächeln auf den Lippen folgte auch sie schließlich den Herrschaften.

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