[Pontis et Rhenus] Die Brücke und der Rhein

  • Etwas verhangen waren der Morgen noch, der Tau und Nebel auf die Wiesen und Wälder rund um Mogontiacum zauberte. Dennoch war es an der Zeit, ein Opfer für die Götter darzubringen, denn die Bürger Mogontiacums brauchten ihren Schutz zu dieser Zeit besonders. Der Rhenus durfte nicht über die Ufer treten, anonsten gäbe es erhebliche Beieinträchtigung auf Seiten des Handels, zudem es auch noch gefährlich war was andere Dinge anbelangte, aber welcher Gott würde die Gemeinde Mogontiacums besser in Schutz nehmen als Rhenus selbst?
    So hatte sich die Gemeinde Mogontiacums an der Rhenusbrücke eingefunden, um an dem öffentlichen Opfer teilzunehmen.


    Phelan, der als Pontifex der Stadt für die Organisation und durchführung verantwortlich war, hatte beschlossen das Opfer direkt auf der Brücke - somit schwebend über dem Wasser - das Opfer zu vollziehen.
    Er hatte sich einige Ministri, vor allem jüngere Knaben, beordert, die ihm dabei zur Hand gehen würden. Natürlich hatte er sich auch um die musikalische Begleitung gekümmert, nämlich die Flöten- und Lautenspieler.


    Ein reges Gebrabbel herrschte in der großen Menschenmenge, so ergriff der junge Duccius kurz das Wort, um Ruhe zu schaffen und die Zeremonie einzuleiten. Nach der rituellen Reinigung seiner Hände folgte das Voropfer, bei dem die Bitten der Gemeinde vorgetragen wurden - nämlich das der große Rhenus sie vor dem übertreten des Rhenus auf die Ufer schützen solle - und kleine Dankesgaben wie Wein, Brot und Weihrauch dargebracht wurden. Nachdem der Pontifex das Voropfer mit der Drehung nach rechts abgeschlossen hatte, prozessierte er mit seinen Ministri und den Musikanten zu dem provisorischen Podest, auf dem ein einfacher Altar aufgebaut worden war.
    Auf dem Altar war ein Ziegenbock, den ein Bauer der umliegenden Höfe gespendet hatte, angekettet und fieberte unruhig seinem ehrenvollen Ableben entgegen.
    Als alle Opferhelfer ihren Platz eingenommen hatten sprach der Pontifex "Oh großer Rhenus, nimm diesen prachtvollen Ziegenbock an als dein gerechtes Opfer der Gemeinde Mogontiacums, lass den Rhenus nicht zum unkontrollierten Biest werden, welche die Ufer unter ihre Klauen zieht."
    Während seinen Worten trafen die Ministri alle weiteren Vorkehrungen, damit der Victimarius "Agone?" verlauten lassen konnte, worauf Phelan dramatisch mit "Age!" antwortete und ihn somit aufforderte den tödlichen Schnitt an der Kehle des Ziegenbocks zu vollziehen. Das Blut floß zu seinem gerechten Zwecke..
    Als es ausgeblutet war wurden die Vitalia entnommen und wurden nach Verus Gutachten in die Obhut des Haruspex gegeben, welcher nach gründlichen Prüfen "Litatio!" verkündete.
    "Rhenus hat unsere Gebete erhört und das Opfer angenommen!" rief Phelan der Gemeinde entgegen, welche sich mit freudige Rufen äußerte. Jetzt galt es nur noch das Fleisch zu verteilen.

  • Selbstverständlich war Lando ebenfalls anwesend, wie viele andere aus seiner Sippe wie seiner Munt ebenso. Mit den Familien der Menschen, für die Lando die Verantwortung trug stand er inmitten einer Gruppe von mehr als dreissig Menschen. Nicht viel verglichen mit dem was er hätte ansammeln können, hätte er Wert darauf gelegt den Einflussbereich seiner Sippe durch personale Präsenz darzustellen. Wie er sowieso generell wenig wert auf Statuspräsentation legte, was vor allem daran lag, dass selbst nach Jahren im für seine Verhältnisse unermesslichen Wohlstand nichts an den Eindrücken eines Lebens änderten, dass er schon lange hinter sich gelassen hatte. Sein Weib kam da definitiv aus einer anderen Welt, ihr sah man die Frau von Stand beim ersten Blick an, was sie so zum Zentrum der duccischen Bagage machte, die auf der Brücke stand und das Opfer für den Rhenus beobachtete.


    Lando hörte kaum hin, seine Gedanken steckten seit Tagen in einer Sackgasse. Wie die FMQ wieder aufrichten? Wie Balbus den Tod seiner Verwandten beibringen? Was mit seiner Schwester anfangen?
    Seine immernoch stark angeschlagene Gesundheit spielte dabei nicht einmal eine Rolle, würde sie aber, wenn es nach seinem Weib ging. Bei den Massen an Kräutern, die ihm auf die eine oder andere Art und Weise aufgezwungen worden waren, hätte er mittlerweile wie ein Wiesengeist aussehen müssen... grüne Haut, Ohren die sich drehen wie es Ringelblumen tun und gelben Haaren. Tat er aber nicht, was er sich allerdings auch nicht erklären konnte.


    Das Opfer fand sein Ende, und Lando nickte zufrieden über das Werk seines Vetters, tauschte hier und da Kleinsprech aus, was er noch nie wirklich konnte, und wartete darauf, dass sich die ersten in Bewegung setzten.

  • Herge, Sohn des Balduin
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    Herge war mit seiner kleinen Sippe natürlich auch gekommen. Allerdings weniger, weil ihn das Verhalten des mächtigen Rhenus interessierte, oder das Schicksal. Nein. Er wollte die Duccii leiden sehen.
    Mit Genuss hatte er davon gehört, dass die Römerin, die der Kerl Witjon zur Frau genommen hatte, im Kindbett verreckt war. Kein unübliches Schicksal dieser Tage, aber ihm deshalb nicht weniger willkommen. Dass ein weiteres Mündel der Duccii ein paar Tage später vorher ins Gras gebissen hat, war dabei schon fast Beiwerk. Und dann der Erfolg seines kleinen Brandanschlags: ein Meisterstück!
    Er hatte damit gerechnet den Dachstuhl ein wenig anzuzünden... den reichen Säcken einen Denkzettel zu verpassen. Aber dass es ihm gelingen würde, die wirtschaftliche Grundlage der Duccii zu zerstören, das wäre ihm selbst in seinen kühnsten Träumen nicht eingefallen. Und man sah es Lando an. Herge genoss den Anblick wie man die ersten warmen Sonnenstrahlen nach einem langen Winter genoss.


    Herge war kein großer Politiker, eher dümmlich in seinem Wesen. Und das führte er dazu, dass er es für eine gute Idee hielt, seine Schadenfreude auch offen zu zeigen: "Na, Duccius.. wie es scheint, haben die Götter etwas gegen deinen kleinen Laden unternommen. Du kannst dir garnicht vorstellen, wie sehr ich dieses Unglück be...grüße."
    Beide Fäuste in die Hüfte gestemmt stand Herge mit seiner Sippe im Rücken wenige Schritte von Lando und seiner Truppe entfernt, sich absolut sicher glaubend.

  • "Und ich dachte schon, dass es nach Aas riecht...", meinte Lando scheinbar zu seiner Frau als er sich zu dem Menschen umwandte, der ihn auf so unverhohlene Art und Weise angesprochen hatte. Der Anblick des selbstgefällig grinsenden und sich breit präsentierenden fetten Herge hatte schon etwas abstraktes.


    "Hergen, natürlich.", seufzte Lando, als wäre er gerade in einen Kuhfladen getreten, "Was treibt dich eigentlich hier her? Normalerweise machst du doch einen Bogen um den Fluss, als hättest du Angst, man würde in deiner Abwesenheit deine mickrige Ernte stehlen."
    Ein Lachen machte die Runde, als Lando auf die Ausrede des Bauern anspielte, sich aus Sorge um seine Felder für kein Amt in der Civitas, oder gar den Ordo Decurionum zu bewerben. Der Grund lag eher in der sehr begrenzten Intelligenz des Mannes, und in seinem Unvermögen auch nur einigermaßen annehmbares Latein zu lernen.

  • Herge, Sohn des Balduin
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    Das Lächeln Herges gefror einen kurzen Moment, aber diesen Moment des Triumphes würde er sich durch die Frechheiten des Ducciers nicht zunichte machen lassen.


    "Jaja, red du nur... das wird dich und die deinen auch nicht retten. Ihr habt bekommen was ihr verdient. Ihr opfert Rhenus, wir werden Loki danken, dafür dass er euch einen Denkzettel verpasst hat! Die Zeit deines Hochmuts ist vorbei, Lando, Sohn des Irgendwer..", das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch breiter. Er kostete wirklich jeden Satz aus, und die Tatsache, dass es Lando offensichtlich so schlecht ging, machte den Moment umso schöner..


    Marcus Tudicius Pudens
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    Pudens hatte aus politischer Korrektheit an dem Opfer teilgenommen, als Decurio mit Ambitionen musste man aus reiner Einflusspflege Präsenz zeigen, und so auch an diesem Tag. Auch wenn er mit nicht ganz so großem Anhang angereist war, der Rest pflegte den Hof und die Felder und tat, was Bauern nunmal den lieben langen Tag machten.
    Er hatte gerade ein paar Hände geschüttelt, als ihm Herge auffiel, der gerade lauthals Spott über jemanden ausschüttete. Mit wenigen Schritten war er bei dem dicken Idioten, und als ihm auffiel, WEN der Mann da gerade beschimpfte stockte er. Es war Lando.


    "Duccius.", klinkte er sich in die Konversation ein, ohne auf Herge zu achten, "Mein Beileid für den Verlust deiner Familie. Und mein Bedauern für den Verlust des Handelshauses. Sollte deine Familie Hilfe brauchen, könnt ihr euch unserer Unterstützung sicher sein.. hör übrigens nicht auf die Worte Herges, du weißt ja, er ist recht unbeherrscht in solchen Dingen!"


    Pudens war kein guter Schauspieler, aber auch kein schlechter. Er machte eine Miene, die zumindest Bemühung um das Mitgefühl ausdrücken sollte.


    Herge, Sohn des Balduin
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    Als er Pudens so reden hörte, wandte Herge unweigerlich den Kopf zu diesem um, und blickte ihn verblüfft an. Kroch der gerade wirklich dem Duccier in den Arsch? Das durfte doch nicht wahr sein.. Herge schnappte nach Luft und sah abwechselnd vom Tudicier zum Duccius und wieder zurück.


    "Was redest du da? Natürlich soll er auf mich hören! Dieser aufgeblasene Sack kann sich ruhig einmal anhören, was er für mich ist... und dass er das abgebrannte Haus und die tote Römerin durchaus verdient hat!", giftete er und ruderte dabei wild mit dem Arm in Richtung des Duccius, "Ich finde, wir haben da ganze Arbeit geleistet."
    Er verschränkte die Arme und nickte trotzig, bis ihm auffiel, dass er wohl gerade einen großen Fehler begangen hatte.
    "Ich meine... die Götter haben ganze Arbeit geleistet."

  • Lando ließ die Tirade des Herge über sich ergehen. Es war nicht das erste Mal, dass sich die in Menschenform gepresste Dummheit an einem Wortgefecht versuchte, allerdings bewunderte Lando die Sturheit, mit der sich der Kerl weigerte seine Niederlagen zur Kenntnis zu nehmen. Gerade als er etwas entgegen wollte mischte sich jedoch Tudiscius Pudens ein, dessen Anteilnahme er beiläufig lächelnd entgegennahm, ohne jedoch den drohenden Blick von Herge zu nehmen.


    Und dann geschah es: Herge verplapperte sich. Aber nicht auf irgendeine Art und Weise, nein, er redete sich selbst so tief in den Mist, den seine Tiere fabrizierten, dass er Jahre darin stecken würde. Wenn Lando ihn nicht vorher umbrachte.


    "Sag das nochmal...", zischte er, auf einen Schlag in Menschenform gepresste Wut, "..Herge.. sag das noch mal. Die Götter also, richtig? Ich würde eher sagen, ein kleiner Wurm wie du hat mit dem Feuer gespielt. Dafür wirst du dich verantworten müssen, du Made von einem Mann. Wenn du ein Problem mit mir hast, dann regel es verdammt nochmal wie ein Mann, und nicht wie ein Weib."
    Er hatte sich von Elfleda und den anderen gelöst, und war auf den dicken Germanen zugegangen, der sich gerade um Kopf und Kragen geredet hatte, um diesen nicht einmal eine Hand breit entfernt in Grund und Boden zu starren. Alle Gespräche ringsum waren verstummt, man roch Krieg, und das sorgte dafür, dass Lando und Herge die komplette Aufmerksamkeit sicher war.

  • Noch immer war es Elfleda ein wenig suspekt, wie Phelan diese Gratwanderung zwischen germanischen und römischen Ritualen meisterte. Einiges von dem, was er tat, war ihr beinahe zuwider, anderes wiederum war sehr vertraut und damit wohlgefällig. So auch dieses Opfer hier. Den Göttern an einem Fluss zu opfern, damit dieser nicht alles überschwemmte, erschien ihr logisch und richtig. Diese seltsame, strikte Abfolge, in der er das Opfer dann ausführte, und dieses künstliche Nachfragen wiederum, das erschien ihr wiederum abwegig und sie beobachtete skeptisch das Ableben des Bockes.


    Schließlich war es vollbracht, und eigentlich könnten sie wieder nach Hause gehen. Eigentlich. Uneigentlich aber entwickelte sich die Situation etwas anders. Elfleda wusste natürlich, dass es hier in der Stadt zwischen einigen Sippen Spannungen gab. Nun, es gab immer Spannungen zwischen verschiedenen Sippen. Nur dass die in Elfledas Welt normalerweise weiter auseinander wohnten als hier. Im Grunde war so eine Stadt so etwas wie ein andauerndes Thing, wo viele verschiedene Interessengruppen beständig aufeinander trafen. So zumindest war auch nach der langen Zeit hier in der Stadt Elfledas Meinung.
    Und eben eine solche Spannung baute sich nun weiter beständig auf. Elfleda kannte den Krawallmacher nicht persönlich. Allerdings hatte sie durchaus von ihm und seiner Sippe gehört. Sie waren den Kindern Wolfriks nicht wohlgesonnen, wenn sie es euphemistisch ausdrücken wollte. Man konnte auch sagen, beide Seiten hassten einander mit tiefer Verachtung auf den Lippen. Kein Wunder also, dass Herge diese Gelegenheit hier nutzt, um sich unbeliebt zu machen.


    Lando löste sich von Elfleda, und diese blieb eisern wie ein Eichenbaum stehen. Fiel ihr nicht im Traum ein, zurückzuweichen und sich in Sicherheit zu begeben. Nicht jetzt und nicht hier. Sollten ruhig alle sehen, dass sie sich gut geschützt fühlte von der Sippe ihres Mannes und es nicht für nötig befand, den Rückzug anzutreten. Wenngleich der Teil von ihr, der sich des Kindes in ihr sehr bewusst war, das für keine so gute Idee hielt.


    Und dann verplapperte sich Herge. Er war das mit dem Handelshaus gewesen? Er hatte es angezündet? Kurz sah Elfleda sich nun doch nach den anderen Männern in der Sippe um, während Lando sich schon bedrohlich aufbaute. Jetzt lag Kampf in der Luft, denn sollte es wahr sein, gab es darauf nur eine passende Antwort. Und ein furchtbar mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.

  • Marcus Tudicius Pudens
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    Mit aufflammender Panik registrierte Pudens, wie der Hornochse von Herge seinen schönen Plan mit seiner Dummheit in tausend kleine Stücke schlug. Es würde nichtmehr lange dauern, und er würde natürlich in die Sache mit reingezogen. Was blieb ihm anderes übrig, als noch einmal verzweifelt zu intervenieren?


    "Meine Herren..", hob er beschwichtigend die Arme, "ich glaube, hier gibt es ein großes Missverständnis." Er selbst würde sich kein Wort glauben, aber vielleicht geschah ja noch ein Wunder.


    Herge, Sohn des Balduin
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    Die Erkenntnis, sich gerade in unendlich tiefe Scheisse geritten zu haben ließ Herge einen Moment lang verstummen. Und dann die Erkenntnis, dass Lando ihn umbringen würde. Oder umbringen lassen. Was so ziemlich auf das gleiche hinauslaufen würde, denn irgendwann würde man ihn einfach auf einem seiner Äcker finden. Oder in. Es lief ihm eiskalt den Rücken runter, der Gedanke gerade einen Krieg vom Zaum gebrochen zu haben brüllte ihm quasi entgegen, jetzt etwas tun zu müssen. Und dann kam Pudens.. und versuchte zu beschwichtigen!


    "Er war's...", stammelte er, den zitternden Finger auf Pudens richtend, "...es war alles seine Idee! Ich habe es nur ausgeführt. Aber Pudens hat es sich ausgedacht!! Jawoll!! Die Tudicii sind daran schuld!"


    Marcus Tudicius Pudens
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    Und da war sie auch schon, die Katastrophe. Pudens wusste nicht, wie er sich aus der Sache retten sollte, also blieb ihm nichts anderes, als Farbe zu bekennen. Auch wenn sein Blick sich stets nach unten zu senken schien, und seine Stimme nichtmehr ganz so souverän wie zuvor klang.


    "Eh... ja... nun ist es wohl raus... eh... ja. Ich übernehme die Verantwortung für das, was geschehen ist."

  • Im Kreise seiner Familie verfolgte Witjon gelangweilt das Opfer an Rhenus. Oder weniger gelangweilt, als vielmehr abgelenkt. Denn in seinem Kopf war Witjon in letzter Zeit praktisch durchgängig in weit entfernten Sphären seines Geistes unterwegs und driftete dort durch sinnlose Gedankengänge und Überlegungen, die die Vergangenheit nicht ändern konnten. Irgendwann war das Opfer dann vorbei und er wollte sich schon aus dem Staub machen, um wieder Ablenkung in der Arbeit zu finden, als er sah wie Herge - dieser unselige Störenfried - seinen Vetter von der Seite anmachte. Witjon hielt inne und stellte sich dazu, während sich ein kleiner Kreis aus Schaulustigen und Anhängern der beiden Parteien bildete. Der Schlagabtausch zeugte von offener Feindseligkeit, doch das war ja nichts neues. Die Tudicii und die Sippe des Herge hatten sich seit der letzten Stadtratssitzung offen gegen die Duccii gestellt. Witjon positionierte sich neben Elfleda und beobachtete besorgt und zugleich von Herges Provokationen gereizt die Szene, die sich nun abspielte.


    Und dann beging Herge einen Fehler, der alles änderte. Er gab - unfreiwillig - offen zu, Brandstifter am Handelshaus gewesen zu sein. Besorgnis schlug um in Hass, Gereiztheit in Wut. Witjon spürte Hitze auf seinen Wangen, während sein Herz schneller schlug. Jetzt würde es hart auf hart kommen. Seine Muskeln spannten sich an, als er endlich realisierte was hier eigentlich vorging. Pudens mischte sich ein und machte alles noch schlimmer, denn nun schob Herge ihm auch noch die Schuld in die Schuhe. Witjon warf einen Blick in die Runde. Zeugen gab es genug, niemand würde jetzt mehr abstreiten können, wer das Handeslhaus niedergebrannt hatte. Witjon ballte die Fäuste. Vor Zorn traten seine Knöchel weiß hervor und er schnaufte, um an sich zu halten. Er hatte aus seinem Handeln gelernt und würde nicht wieder wie ein wildgewordener Keiler auf seine Feinde losgehen - wie damals, als sie gen Osten gezogen waren, jenseits des Limes. Witjon wollte nicht wieder Grund sein für die Verletzung eines Familienmitglieds und so regte er sich nicht, sondern begnügte sich mit einem Knurren und tödlichen Blicken. Jetzt kam es auf Lando an, denn er war der, mit dem die FMQ begonnen hatte und der in dieser Sache das letzte Wort haben sollte.

  • Auch wenn die antike Welt der mediterranen Region es nicht wahrhaben wollte: die Stämme des Nordens fundierten ihre Gesellschaft auf einem komplexen System an Werten und Gesetzen, die zwar von Stamm zu Stamm variierten, im großen und ganzen jedoch durchaus auf einen Nenner zu bringen waren.
    Auch in der römischen Welt des Nordens hatten diese Gesetze durchaus ihre eigene Kontinuität, eine Beharrlichkeit, die für die Erschaffung eines Paralleluniversums zu dem der römischen Wirklichkeit sorgte. Oder einfach für die Erhaltung der Traditionen noch über das Ende des römischen Reiches hinaus.
    Nicht wenige wussten in dieser Situation, dass bei einem derart feigen Angriff der Katalog an Strafen und Ahnungen sehr klein ausfiel. Und noch mehr wussten, was das bedeuten würde. So auch Lando.


    "Wenn dem so ist...", sprach Lando mit eisiger Stimme, "..dann werde ich dich Ort und Zeit wissen lassen."


    Das war alles, was er zu der Sache zu sagen hatte. Er wandte sich um, und ging, die seinen im Schlepptau, keine weiteren Worte wurden gewechselt. Man ging in Stille..

  • Stetig fließt der Rhein gen Norden. Seine Wellen umspielen die Kais des Hafens, mal streicheln sie die Frachtschiffe sanft, dann wieder würden sie sie am liebsten mit voller Wucht zum kentern bringen. In diesen Tagen wehten kühle Herbstwinde über die Stadt hinweg. Das rotgoldene Blattwerk rissen sie von den Baumwipfeln, ließen Zweige brechen, schüttelten die Bäume unerbittlich. Und sie brachten den Regen. Tagelang schon hingen dunkle Wolken schwer über Mogontiacum, um sich in unablässiger Bosheit auf Mensch und Tier, Häusern und Äckern zu entleeren. Sämtliche ungepflasterte Wege außerhalb der Stadt bestanden lediglich aus Schlamm, die Kanalisation wusch unablässig weiteren Dreck aus dem Herzen der Stadt. Der Herbst war in seiner schönen unangenehmen Art über das Land gekommen, während die Tage immer kürzer wurden. Das satte Grün der Laubbäume hatte sich zu tristem Braun gewandelt, der Himmel in tiefes Grau getränkt.


    Hinter der Rhenusbrücke, dort wo der Rhein die Brückenpfeiler umsäuselte, war eine kleine Bucht mit etwas Sandstrand. Der Sand war grobkörnig und über und über mit Treibgut bedeckt. Witjon störte das nicht. Er stand am Ufer, die schlammbeschmierten Stiefel kamen hier und dort mit den Wellen in Berührung. Eine Handvoll Kiesel hielt er, die er nach und nach in verschiedenen Wurfvariationen in den Fluß beförderte. Während dessen ließ er seine Gedanken schweifen. Das Gespräch mit Elfleda hatte ihn sehr aufgewühlt. So oft musste er noch an Callista denken. Besonders, wenn er seinen Sohn ansah. Audaod sah seiner Mutter ähnlich. Insbesondere die Augen hatte er von ihr geerbt. Es war tröstlich, in diese Augen blicken zu können. Dann wusste Witjon, dass Callista da war, ihn im Auge behielt, auf ihn acht gab. Audaod war jetzt zwei Jahre alt. Witjon liebte den Jungen. Er war kräftig und gesund, lebensfroh und wissbegierig und Witjon liebte ihn.
    Und dann war da Elfleda. Seine Schwägerin, die ebenfalls verwitwet war. Seine Schwägerin, die ausgesprochen hatte, was er nicht zu denken gewagt hatte. Konnte er Elfleda heiraten? War das richtig? Oder sollte er sich wirklich dieses junge Ding von Ulbert holen? Ihr Götter, er hasste es! Mit voller Wucht schmiss er einen Stein von sich, der mit einem dumpfen Plopp im Fluss landete. Witjon war ratlos. Was hätte Lando getan? Die Frage stellte er sich oft, viel zu oft. Lando war tot. Er saß jetzt an Wodans Tafel und fraß und soff mit all den anderen Kriegern. Witjon aber war hier, in Midgard, und musste selbst Entscheidungen treffen lernen! Verdammte Axt, was sollte er nur tun?!
    Sollte er Elfleda zur Frau nehmen? Zugegebenermaßen, sie war eine äußerst begehrenswerte Frau. Witjon erwischte sich oft genug selbst dabei, wie er ihr hinterherschaute, ihren Körper betrachtete und sich dabei vorstellte wie es wäre, sie für sich zu haben. Herrje, er konnte sich nur zu gut vorstellen, sie zur Frau zu nehmen! Doch würde Lando das gutheißen? Witjon war verunsichert. Er hasste es verunsichert zu sein! Ein weiterer Stein wurde mit voller Wucht weggeschleudert. Mit einem Mal fühlte Witjon sich sehr müde. Er warf die letzten Steine lustlos in den Fluss und ließ sich etwas abseits auf den Boden plumpsen. Dort saß er, die Arme um die Beine geschlungen, und seufzte tief. Welch jämmerliches Bild er wohl abgeben musste. Langsam begann es wieder zu nieseln, verflucht. Witjon zog geräuschvoll Schnodder hoch und erhob sich ächzend. Ab nach Hause vor den warmen Kamin, da würde ein Humpen Met vielleicht helfen. Oder vielleicht auch nicht. Hauptsache er kam langsam zu einer Entscheidung...

  • Sie hatte ihn erkannt... sein Gesicht hätte sie unter tausenden Gesichtern erkannt. Mit verschränkten Armen stützte sie sich auf den Rand der Brücke und beobachtete sein Treiben: Steine in den Fluß schmeissen konnte jeder. Doch er wandelte seine Würfe in verschiedene Wurfarten ab. Er schien nachzudenken... joar, sollte er das ruhig mal tun. Schweigend sah Sontje ihm zu und verbrachte somit eine gewisse Zeit mit ihm.. wenn auch auf Abstand.


    Endlich kam Bewegung in den jungen Mann, der jetzt der der Sippenführer der Duccier war. Mit ungerührter Miene bahnte sie sich den Weg von der Brücke und stellte sich ihm in den Weg die Arme unterm Mantel verschränkend. "Heilsa, Numerius Duccius Marsus, Oberhaupt aller Duccier." grüßte sie ihn und lupfte die Kapuze von ihrem blonden Haar. Ihr Haare war gewachsen, zierte die schmalen Schultern, die vom dunkelgrauen Mantel umrahmt wurden. "Du siehst schlecht aus... viele Denkfalten zieren in meinen Augen deine Stirn. Ich möchte dich ein Stück begleiten... Übrigens, ich gratuliere Dir zu den Kindern."

  • Einen Augenblick lang starrte Witjon die Person einfach nur an, die sich ihm da in den Weg stellte. War das etwa...nein, nicht ernsthaft! "Heilsa...Sontje." Ihren Namen sprach er mit einer Mischung aus Verblüffung und Missbilligung aus. Ihre Worte quittierte er zunächst einmal mit einem Stirnrunzeln. Was wollte sie hier? Sie hatte nichts in Mogontiacum verloren, sondern sollte vielmehr in Germania Magna weilen. Bei ihrer Mutter! Er verwehrte ihr seine Begleitung dennoch nicht, sondern ging erstmal wortlos weiter, sie an seiner Seite duldend. Nach einige Schritten bekam er zumindest einen Dank heraus. "Danke. Ein Sohn ist es. Audaod." Mehr sagte er zunächst nicht, zu überrascht war er, Sontje zu treffen. Dann hakte er nach. "Was tust du hier? Du solltest bei deiner Mutter sein." Tadel schwang in seinen Worten mit. Er hatte ihr noch lange nicht erlaubt einfach zurückzukehren, nachdem man sie zurückgeschickt hatte über den Limes.

  • "Hübscher Name für einen Jungen." kommentierte sie den Namen und fand es gut, dass er einen Sohn hatte. Die Reaktion abwartend ging sie neben ihn her und wartete auf seine Worte, die mit Sicherheit kommen würde. Sontje sah ihn an und musste unvermittelt lachen. Aber nur kurz. "Bei den Göttern! Ich? Bei Mutter sein? Nein, Witjon, ich bin nicht bei ihr geblieben. Ich habe auf einem Hof alles wichtige über Pferdepflege gelernt, bin hierher zurück gekommen und habe mich als Pferdepflegerin durchgeschlagen." Sontje liess offen, was sie zur Zeit machte, wie sie derzeit Münzen verdiente. "Ich bin nie wieder zur Casa Duccia gelaufen. Phelan habe ich nicht gesehen noch getroffen, obwohl er mein Bruder ist. Nicht mal Callista habe ich gesehen. Es ist traurig, dass sie nicht mehr unter uns weilt." Vom Tod Landos hatte sie sehr wohl erfahren, denn Klatsch und Tratsch erfuhr man auch im Stall.

  • Sontje mochte den Namen. Schön. Witjon nickte schmal lächelnd. Dieses Zusammentreffen kam ihm höchst seltsam vor. Sontjes Reaktion auf seine folgenden Worte, auf seine Ermahnung quasi, entrüsteten ihn jedoch ungemein. Sie lachte ihn ernstlich aus? Witjon blieb abrupt stehen und hörte sich mit wachsender Verärgerung Sontjes Rede an. Nicht nur, dass sie sich unglaublich respektlos verhielt. Nein, sie gab auch noch offen zu, dass sie ihre Mutter jenseits des Limes im Stich gelassen und sich allein 'als Pferdepflegerin' durchgeschlagen habe. Das war ja nicht zu fassen! Als wäre sie in der Lage gewesen, selbstständig ihr täglich Brot zu verdienen. Mit ehrlicher Arbeit? Kaum vorstellbar. Vermutlich war sie in der nächstbesten Taberna im Hinterkämmerchen auch noch als Freudenmädchen abgestiegen. Wer hatte schon ein Pferd in Germania, für das er sich eine PflegerIN anstellte? Davon hatten Männer doch viel mehr Ahnung. Und überhaupt, wenn man eine Frau anstellte, eine römische Bürgerin, dann doch nicht als Stallburschen! Wobei das Wort ansich in dem Fall schon paradox klingen mochte. Witjon jedenfalls rastete letztendlich aus, als Sontje quasi im selben respektlosen Wortschwall auch gleich noch auf Callista zu sprechen kam. Das war zu viel.
    "Ich glaub's ja nicht. Sag mal, wofür hälst du dich eigentlich? Du bist deiner Mutter davongelaufen und jetzt glaubst mich so verhöhnen zu können?" Aus seinen Worten sprach gerechtfertigte Entrüstung und Zorn. So etwas konnte er sich nicht gefallen lassen. Nicht als Sippenführer und erst recht nicht von Sontje! "Sontje, ich verbiete dir in einem solchen Ton mit mir zu reden! Was erlaubst du dir eigentlich, dich dem Willen deiner Sippe zu wiedersetzen? Ich habe es satt, deinem ungehörigen Lebenswandel weiter zuzusehen! Du solltest gar nicht hier sein und erst recht nicht als Pferdepflegerin!" Das letzte Wort spie er regelrecht aus, wobei er fast lachen musste, so irre erschien ihm dieser Gedanke. "Du hast sie ja nicht mehr alle, ernsthaft. Geh zurück nach Hause, lern Kochen, Weben und den Haushalt führen und heirate endlich einen Mann, der deinen Acker bestellt! Du bist eine verdammte Schande für die Familie." Er hatte es einfach satt mit diesem Mädchen, das ständig aus der Reihe tanzte. Von Eila war er das ja gewöhnt, sie war eben Landos Schwester. Aber alle anderen duccischen Frauen waren verheiratet oder tot. Und letzteres wollte er Sontje wahrlich nicht wünschen. "Geh' mir aus den Augen," blaffte er zuletzt kopfschüttelnd, als er sich zum gehen wandte.

  • Ein strömender Regen wühlte die Fluten des Rhenus auf, als Marcus Petronius Crispus die Brücke betrat, die er vor einigen Jahren selbst gebaut - oder vielmehr repariert hatte. Heute war sie nass und glitschig und die beiden Pferde, die den kleinen Reisewagen zogen, rutschten ein oder zweimal aus. Der alte Petronier spuckte vom Wagen hinunter auf die Planken und sah dann hinüber zu seinem Sohn, dem Grund seiner Rückkehr. Lucius war älter geworden und musste nun die Rhetorenschule besuchen und dann ebenfalls in den Ordo Decurionum aufgenommen werden - er sollte einmal bessere Startbedingungen haben als Crispus selbst!

  • ...so kann er was erzählen,
    drum nehm ich meinen Stock und Hut
    und tät das Reisen wählen.


    - Matthias Claudius


    In gleichmäßigem Takt klapperten die Hufe über das Straßenpflaster. Von Osten kommend näherte Einar sich der beeindruckenden Brücke, die den Rhenus überspannte. Als er von seiner Versetzung erfahren hatte, war er ohne Zögern aufgebrochen. Bei der Cohors III Brittannorum equitata hatte er viele Jahre verbracht, manche gut, manche schlecht. Er hatte verloren geglaubte Verwandtschaft wiedergefunden und zwischenzeitlich sogar eine wundervolle Frau gehabt. Aber nicht alles Glück hielt ewig und so war es Einar letztlich nicht unendlich schwer gefallen, das Castellum in Abusina zu verlassen. Immerhin winkte die Ala II Numidia!


    Das Castellum Mattiacorum ließ er hinter sich und reihte sich in den Verkehr ein, der sich in diesen frühen Morgenstunden über die Rheinbrücke schob. Händler, Handwerker, Bauern, Soldaten, sie alle hatten in Mogontiacum etwas zu erledigen oder verließen die Stadt nach getaner Arbeit. Einar genoss den Ritt über die Brücke. In der Mitte des Flusses verweilte er einen Augenblick und ließ seinen Blick schweifen. Im Süden stieg Rauch aus den Kaminen des Vicus Victoria und des Vicus Novus, dahinter erkannte er das Castellum, in dem er fortan Dienst tun würde.


    Einar gab sich einen Ruck. Er trieb seinen Gaul wieder an und überquerte die Brücke, um das Stadttor zu passieren. Von dort führte ihn sein Weg einmal quer durch den Vicus Apollinensis. Vorbei an der Regia Legati Augusti Pro Praetore kam er auf das Forum, wo er sich eine kurze Mahlzeit gönnte. Anschließend verließ er Mogontiacum durch das südliche Stadttor, durchquerte die Canabae und nahm die gräbergesäumte Via Borbetomaga in Richtung Castellum.

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