[Officium] Tribunus Laticlavius Titus Aurelius Ursus

  • Die Tür öffnete sich, doch es wurde nichts gesagt. Unregelmäßige Schritte kamen näher. Und das war mehr als ungewöhnlich, so daß Ursus nun doch aufschaute. Er war nicht wenig erstaunt, Louan hier zu sehen. Was man ihm vermutlich ansehen konnte. Spontan wollte er Louan darauf aufmerksam machen, daß man grüßte, wenn man einen Raum betrat. Doch er schluckte diese Zurechtweisung schnell noch hinunter, bevor sie ihm entschlüpfen konnte. Es wäre wahrlich kein guter Anfang für ein Gespräch. "Bitte setz' Dich doch, Louan", sagte Ursus nicht unfreundlich und zeigte auf einen der Besucherstühle.


    "Es ist schön, daß Du von alleine zu mir kommst. Wir haben eine Menge zu besprechen. Und ich möchte Dir vorneweg sagen, daß Du Dich jetzt und hier in keinster Weise entscheiden mußt. Denke erst über alles gründlich nach, wenn Du willst, besprich Dich mit Deiner Schwester - oder mit wem immer Du möchtest." Er griff nach dem Wasserkrug und füllte zwei Becher, von denen er einen Louan hinstellte.


    "Magst Du mir erst einmal erzählen, was überhaupt vorgefallen ist? Was waren das für Banditen, die Dich entführt hatten? Was wollten sie von Dir? Was ist Dir widerfahren, seit Caelyn fort war?" Je mehr er über den Jungen wußte, umso besser würde er ihm helfen können. Wenn er das überhaupt wollte.

  • Dann sah der Tribun doch noch auf und schaute ganz schön überrascht. Mit mir hatte er nicht gerechnet. Das hatte sich bei Caelyn ganz anders angehört. Mit der musste ich auch noch ein Wörtchen reden.
    Er bot mir einen Stuhl an. "Hallo, öhm salve!" sagte ich, als ich mich setzte. Dann fing der Tribun auch schon an, auf mich einzureden. Er meinte, wir hätten viel zu besprechen und ich müsse mich noch nicht gleich entscheiden. Jetzt musste ich ganz schön dumm aus der Wäsche geschaut haben, denn ich wusste nicht, worum es eigentlich ging.
    Er reichte mir einen Becher mit Wasser und fragte weiter, was in Augustodunum so alles passiert war.
    "Meine Schwester hat mich geschickt. Sie hat behauptet, du würdest mich schon erwarten," antwortete ich, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
    "Ja, es stimmt! Zwei von diesen Mistkerlen haben mir aufgelauert und haben mich zusammengeschlagen. Sie haben mich dann drei oder vier Tage in meinem Versteck festgehalten. Sie wollten, dass ich für sie arbeite. Aber ich wollt nich.
    Als Caelyn auf einma weg war, musste ich mir was einfallen lassen. Ein Freund hat mir geholfen und dafür hab ich ihm in seine Laden geholfen. Bei uns zu Hause gibt´s ´ne Bande, die ihr Unwesen treibt und jeden unter Druck setzt. Die haben mir mein ganzes Geld geklaut und gedroht, meinem Freund was anzutun.Die zwei Typen, die mich festgehalten hatten, war´n auch von der Bande.
    Wieso is Caelyn hier?"

  • So, hatte sich der Junge doch noch einen Gruß abgequält. Ursus erwiderte ihn nur kurz, denn viel wichtiger war, was er zu sagen hatte. Und natürlich, was der Junge zu berichten hatte. Die Banditen hatten also gewollt, daß er für sie arbeitete. Es sprach für den Jungen, daß er abgelehnt hatte. Und es sprach auch für ihn, daß er in diesem Laden gearbeitet hatte. Es war also wohl durchaus nicht so, daß er nicht ein ehrenhaftes Leben führen wollte.


    Die spontane Frage am Ende seines Berichtes, war für Ursus eine Überraschung. "Hat Caelyn es Dir nicht erzählt? Ich hätte doch angenommen, daß sie Dir von ihrem Schicksal berichtet hat? Nun, ich kenne auch nur die Kurzform. Daß sie erwischt worden ist beim Stehlen und es muß wohl um mehr als einen Apfel gegangen sein, wenn sie dafür zur Sklaverei verurteilt wurde. Ein Händler brachte sie nach Rom, wo ich sie kaufte. Sie dient mir seit dem und erhält dafür regelmäßige gute Mahlzeiten, ordentliche Kleidung und natürlich hat sie auch eine anständige Unterkunft."


    Er machte eine kurze Pause. Damit das Gehörte bei dem Jungen sacken konnte und damit er selbst einen Schluck Wasser nehmen konnte. "Wenn sie schon so wenig von sich erzählt hat, dann hat sie bestimmt gar nichts über mich berichtet, nehme ich an? Nun, mein Name ist Titus Aurelius Ursus. Wie Du schon meinem Namen entnehmen kannst, bin ich Patrizier. Was das ist, brauche ich Dir sicher nicht zu erklären. Ich beschreite den cursus honorum, das bedeutet, daß ich die politische Laufbahn gewählt habe, daß ich öffentliche Ämter bekleide, um irgendwann hoffentlich in den Senat berufen zu werden. Zur Zeit bin ich Tribun hier bei der Legio II, das gehört zur Laufbahn. Das bedeutet, daß wir nur für meinen Dienst hier in Mogontiacum sind. Sobald mein Tribunat beendet ist, und das wird schon sehr bald der Fall sein, werden wir nach Rom zurückkehren." Er sah sich den Jungen prüfend an. Begriff er, wovon er sprach? Oder hatte er noch Fragen?

  • Eine richtige Stimmungskanone war der Tribun ja nun nicht gerade. Wie er da an seinem Schreibtisch saß wirkte er noch um einiges steifer, als am Abend zuvor. Den Rest des Abends hatte ich mit Caelyn alleine verbracht. Natrürlich hatte sie mir erzählt, was mit ihr geschehen war und sie hatte auch gebeichtet, was sie geklaut hatte. Ich musste sogar zu meiner Schande gestehen, dass sie es auch wegen mir getan hatte, damit sie Essen und Kleidung kaufen konnte. Mit dem Geld, dass sie gestohlen hatte, wollte sie sich nicht bereichern. Es war für unser nacktes Überleben gedacht.
    "Sie hat ´ne größere Summe an Geld geklaut, hat sie mir erzählt. Damit wir nich verhungern mussten und für Kleidung, weil der Winter bevorstand. Wir beide haben niemanden, der sich um uns kümmert. Das war schon so, seit ich ´n kleiner Junge war. Meine Schwester war auch erst zehn oder zwölf, als unsere Mutter starb." Ich war noch ganz ruhig geblieben. Aber was mich trotzdem immer noch fuchste und ich auch so schnell nicht akzeptieren konnte, war, dass meine Schwester Eigentum von diesem Mann sein sollte.
    Dann begann er über sich zu erzählen. Wer er war, was er war und was er noch alles anstrebte. Pah, widerlich, wie eingebildet der war! Caelyn hatte es geschafft einen dicken Fisch an die Angel zu bekommen, kam mir dabei in den Sinn.
    Aber das, was er zum Schluß sagte, haute mich fast um. Er wollte wieder nach Rom. Schon bald! Und Caelyn?
    "Was is mit meiner Schwester? Muss sie auch mit, nach Rom? Und lässt du sie irgendwann auch wieder frei?"

  • Ursus nickte bedächtig. "Weißt Du, Louan, ein Unrecht bleibt ein Unrecht, auch wenn die Motive lauter sind. Es gibt immer jemanden, der unter dem Unrecht leidet. Und auch wenn ihr glaubt zu wissen, wer das Geld leicht entbehren kann, so könntet ihr euch auch irren und ihn in großes Unglück stürzen. Diebstahl ist Unrecht. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelungen ist, das Deiner Schwester klarzumachen." Er hoffte es allerdings. Und zuletzt hatte sie sehr schuldbewußt und reuig gewirkt.


    "Ja, sie wird mich nach Rom begleiten. Wenn Du möchtest, kannst Du das auch. Das ist allein Deine Entscheidung. Ob ich Caelyn eines Tages freilasse, liegt ganz bei ihr. Du wirst diese Aussage schwammig und ausweichend finden. Deshalb möchte ich Dir sagen, was ich Deiner Schwester noch nicht gesagt habe: Ja, ich habe eigentlich schon vor, sie eines Tages freizulassen. Ich halte sie für eine intelligente junge Frau und ich glaube, daß sie durchaus in der Lage ist, ihr Leben auf anständige, produktive und gute Weise zu meistern, wenn sie dafür eine ordentliche Grundlage hat - und es wirklich will. Doch versprechen möchte ich es jetzt nicht. Ich verspreche nicht leichtfertig, Louan. Mein Wort hat Wert und so soll es bleiben. Ich weiß nicht, was die nächsten Jahre bringen, deshalb lege ich mich, was Caelyn angeht, nicht fest."


    Louan war kein einfacher Mensch, das war kaum zu übersehen. "Was ist eigentlich mit Deinem Bein geschehen, Louan? Hat sich das schon mal ein Medicus angesehen?" Das bezweifelte Ursus ganz stark. "Und was würdest Du von Deinem Leben erwarten, wenn Du die Wahl hättest?"

  • Welche Ahnung, vom Leben ganz unten, hatte denn dieser feine Pinkel? Der war doch als Patriziersöhnchen aufgewachsen und hatte wahrscheinlich keinen einzigen Tag seines erlauchten Lebens Hunger leiden müssen. Den Vortrag des Tribuns hatte ich, fest in meinen Stuhl gedrückt, über nich ergehen lassen. Es hatte keinen Sinn, ihm unsere Situation klar zu machen. Er hätte das niemals verstanden. Aber dann ließ ich mich doch zu einer Äußerung hinreißen."Du hast nie Hunger leiden müssen, was?" fragte ich spöttisch.
    Als er nun auf meine Frage, hinsichtlich Caelyns Freiheit und seiner Rückkehr nach Rom einging, musste ich wirklich mit mir kämpfen, ruhig zu bleiben. Sollte ich jetzt auch noch dankbar sein, dass er es wenigstens vielleicht, in einigen Jahren, in Betracht ziehen würde, meine Schwester gehen zu lassen? Nein, niemals! Ich hatte große Lust, einfach aufzustehen und zu gehen.
    "Was soll´n das heißen, in den nächsten Jahren? Wenn sie ´ne alte Frau is und sie nix mehr von ihr´m Leben hat?" Nein, das reichte mir! Ich wollte nur noch weg!
    Gerade wollte ich aufstehen, als er mein Bein ansprach. Er faselte etwas von einem Medicus. Den hätte ich schon vor Jahren gebraucht! Ich war zornig und verbittert zugleich. Der hatte wirklich keine Ahnung vom Leben außerhalb seines golden Käfigs.
    "An meinem Bein kann kein Medicus mehr was machen! Das hat mir einer schon vor´n paar Jahren gebrochen und weil wir kein Geld hatten für´nen Medicus, is es nich wieder richtig zusammen gewachsen. Ich hab keine Wahl, also mach ich mir auch keine großen Gedanken darüber. Ich nehm mir das, was ich bekomme, so wie ich´s schon seit jeher gemacht hab" antwortete ich ihm verächtlich und stand dann auf. Ich war bereit, zu gehen.

  • Ursus runzelte die Stirn. "In einigen Jahren bedeutet in einigen Jahren, Louan. Sie hat ein kleines Vermögen gekostet." So war es nun einmal und der Junge war nicht so dumm, solche Zusammenhänge nicht zu verstehen. "Ich bräuchte ihr nicht einmal Freiheit in Aussicht zu stellen. Außerdem ist sie noch sehr jung und wird viel Zeit haben, sich ein Leben aufzubauen. Die Soldaten der Legionen schenken dem Reich zwanzig Jahre ihres Lebens und selbst danach gelingt es ihnen noch, ein Leben aufzubauen." Für die Übertreibungen, die Ursus sehr an die Händler aus dem fernen Osten erinnerten, die auf den Märkten feilschten, was das Zeug hielt, hatte Ursus wirklich kein Ohr.


    "Wenn Du gehen möchtest, kannst Du das tun. Jederzeit. Du kannst aber auch einfach erst zuende zuhören und Dich dann entscheiden, ganz wie Du willst. Alles, was ich bisher gesagt und gefragt habe, dient nur als Grundlage für die Angebote, die ich Dir machen möchte, um Dir eine echte Chance im Leben zu geben. Du kannst Dir diese Angebote jetzt anhören. - Oder es lassen. Ganz wie Du möchtest. Ich werde Dir nicht hinterherlaufen, Louan." Schließlich hatte er ja nichts davon, dem Jungen zu helfen. Wenn der Junge die helfende Hand, die ihm geboten wurde, ausschlug, dann sollte es eben so sein.

  • Das wollte ich mir nicht mehr länger anhören! Das war einfach widerlich! Er sprach über meine Schwester wie über einen Gegegnstand. Aber das war sie nicht! Sie war meine Schwester! Und die Angebote, über die er sprach, interessierten mich nicht! Das würde zwar wieder mächtig Ärger mit Caelyn geben, aber das war´s mir wert. Ich erwiderte gar nichts mehr auf das, was er noch sagte. Ich ging einfach oder besser gesagt, ich hinkte zur Tür!
    Als ich mit Schwung die Tür öffnete, lief ich meiner Schwester in die Arme, die sich vor der Tür postiert hatte. Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit nicht! Spionierte sie mir hinterher? Hatte sie kein Vertrauen mehr zu mir? So kannte ich sie gar nicht.
    "Caelyn!" rief ich erschrocken. "Was machst du denn hier?
    Sie schaute mich fragend an, versuchte dann aber einen Blick in das officium zu werfen. "Na, und?" frage sie mich erwartungsvoll. "Nix!" antwortete ich ihr angebunden. "Wie nix?" "Nix!"

  • Jetzt begriff ich gar nix mehr! Wieso nix? Ursus wollte ihm doch was anbieten! Das hatte er doch gesagt. Ich hatte ja überhaupt nicht mit dem Sturkopf meiness Bruders gerechnet. Mir wa ja bereits am Abend zuvor aufgefallen, dass Louan so seine Probleme mit Ursus hatte. Er sah in ihm sowas wie ein Konkurrent. Einer der ihm seine Schwester wegnehmen wollte.
    "Das musste mir jetzt aber ma erklären!"
    Ich trat einen Schritt näher an die Tür heran und sah Urus. Der saß noch en seinem Schreibtisch. "Hey! Was geht denn hir ab? Hast du dir angehört, was er dir anbieten möchte?"
    Langsam schwante mir, dass er sich rein gar nix angehört hatte.
    Ich wurde richtig sauer und wollte schon loslegen. Dann hielt ich mich aber doch vorerst zurück.

  • Ursus runzelte die Stirn, während er sich das kleine Zwischenspiel zwischen Bruder und Schwester so anhörte. Eigentlich war er ziemlich erstaunt, daß Caelyn offenbar verstanden hatte, welche Möglichkeiten er ihrem Bruder eröffnen konnte. Das wertete er als weiteren Fortschritt bei ihr. Sie schien ja doch inzwischen recht vernünftig geworden zu sein.


    Von ihrem Bruder konnte man das nicht gerade sagen, doch ganz verdenken konnte Ursus dem Jungen das auch wieder nicht. Er mußte erst einmal mit der Situation klarkommen, in der sich Caelyn befand. Und das war sicher nicht leicht. "Caelyn, laß ihn. Du kannst ihn nicht zwingen, er muß es selbst wollen. Schick ihn wieder zu mir, wenn er sich beruhigt hat und bereit ist, meine Vorschläge anzuhören." Sie wollte Louan in ihrer Nähe haben. Doch was wollte Louan? Bisher hatte er sich darüber nicht geäußert. Vermutlich wußte er es selbst noch nicht, weil er noch nie darüber nachgedacht hatte. Wer dachte schon gründlich über so etwas nach, wenn es doch weit jenseits seiner Möglichkeiten lag?

  • Jetzt hatte ich aber echt die Faxen dicke! Ursus´ Worte ignorierend, verfinsterte sich mein Blick und ich sah meinen Bruder scharf an. "Sag ma, so bescheuert, wie du, kann doch einer alleine gar nich sein! Hast du eigentlich ´ne Ahnung davon, dass es nur sein´m guten Willen zu verdanken is, dass du jetzt hier bei mir bist? Aber gut, wenn dir das alles ja so furchtbar egal is, dann verzieh´ dich doch einfach wieder! Na los, die Gosse hier is garantiert genauso schön, wie die in Augustodunum! Aber glaub ja nich, dass du mich dann noch einma seh´n wirst! Du bist so dumm! So dumm, ach..." Mir tat das selber so weh, mit ihm so sprechen zu müssen. Mein Frust musste aber auf einma raus! Ich hatte mich so aufgeregt, das mein Geischt ganz rot war und mir die Tränen die Wangen herunter kullerten.
    Das Elend konnte ich mir nich länger geben. Ich drehte mich auf der Stelle um und wollte schon wieder abdampfen.

  • Ihre Gardinenpredigt kam früher als erwartet! Mit dieser Taktik hatte sie es auch früher schon geschafft, mir ein schlechtes Gewissen einzureden und mich dazu zu bringen, was sie wollte. Sie war eben meine große Schwester, die sich um mich sorgte, so wie es unsere Mutter getan hatte. Und ich wusste ja auch, dass sie Recht hatte. Wenn ich jetzt gehen würde, dann hätte ich sie wirklich für immer verloren. Zu Hause hatte ich wenigstens noch Iustus. Hier hatte ich dann niemanden mehr.
    Sie war richtig sauer und ließ mich einfach stehen. "He, Caelyn, jetzt wart doch ma! Ich...du hast ja Recht! Ich will dich doch nich nochma verlier´n. Jetzt bleib doch ma steh´n!"
    Jetzt stand ich da, wie´n begossener Pudel. Vor mir, meine Schwester, die stinkesauer auf mich war und hinter mir, der Tribun, der naja, weder sauer noch sonst was war. Vielleicht war er ein bisschen genervt. Aber das zeigte er nicht. Das war eben Körperbeherrschung! :D
    Ich drehte mich wieder zum Tribun um und ging wieder zurück zu meinem Stuhl. "Na schön! Dann öhm... ´tschuldigung!" Mit diesen äussert geistreichen Worten nahm ich wieder Platz.

  • Was für eine Szene. Innerlich schüttelte Ursus den Kopf und wußte nicht, ob er amüsiert oder ärgerlich darüber sein sollte, daß die beiden sich hier so angifteten und den Legionären eine wunderbare Show lieferten. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken und griff einfach nach einer der Wachstafeln, um sie zu prüfen und abzuzeichnen. Irgendwann würden die beiden wohl zu einem Ergebnis kommen und wenn es nur das war, daß sie beide zur Casa zurückgingen.


    Doch erstaunlicherweise kam Louan zurück und setzte sich. Ursus musterte ihn kurz, während er die Wachstafel wieder beiseite legte. "Du bist Deiner Schwester unglaublich ähnlich." Was für eine Feststellung! Doch sie rutschte ihm einfach so raus, immerhin hatte er mit Caelyn ja auch schon so einiges durch.


    "Also gut. Hör es Dir einfach an, Louan. Und dann denke gründlich darüber nach. Zum Nachdenken hast Du Zeit, bis wir nach Rom abreisen, bis dahin mußt Du eine Entscheidung getroffen haben. Also, das beste Angebot, das ich Dir machen kann, ist folgendes: Du wirst mein Klient mit allen Rechten und Pflichten. Und ich kann nur sagen, daß es nicht viele Peregrini gibt, die einen Patrizier zum Patron haben. Du begleitest uns nach Rom und ich sorge dafür, daß Du eine Ausbildung erhältst und eine Arbeit, die Dir nicht nur die Zukunft sichert, sondern mit entsprechendem Fleiß Deinerseits echten Wohlstand bescheren kann. Bedingung dafür ist, daß Du mir hin und wieder den einen oder anderen Gefallen tust. Und vor allen Dingen darfst Du nicht mehr stehlen oder betrügen, denn das würde meinen Namen beschmutzen, wenn Du verstehst, was ich meine."


    Er ließ Louan einen Moment Zeit, diese Dinge sacken zu lassen. Immerhin waren das alles Dinge, die bis jetzt fern aller Vorstellung für den Jungen gelegen hatten. "Wenn Dir das zu einengend ist, kannst Du uns trotzdem nach Rom begleiten und unter der Bedingung, daß Du nicht stiehlst und nicht betrügst, werde ich Dir ein Empfehlungsschreiben geben, das Dir sicher die Suche nach Arbeit und einer ordentlichen Unterkunft erleichtern wird."


    Der Junge wäre absolut dumm, das erste Angebot auszuschlagen, doch immerhin sollte er seine eigenen Entscheidungen treffen. "Wenn Du lieber hier bleiben möchtest, in Mogontiacum, dann wird sich gewiß auch hier für Dich Arbeit finden lassen. Aber wenn wir erst abgereist sind, werde ich hier kaum etwas für Dich tun können. Außerdem wirst Du dann Deine Schwester sehr lange, oder vielleicht gar nicht mehr sehen. Denn ich weiß nicht, ob und wann es mich wieder nach Germanien verschlägt."

  • Caelyn war wirklich gegangen und ich war allein, mit dem Tribun. Ein bisschen blöd kam ich mir ja schon vor. Der Tribun verzog allerdings keine Miene. Den konnte anscheinend nichts aus der Fassung bringen.
    Nachdem ich wieder auf dem Stuhl Platz genommen hatte, begann er gleich ohne Umschweife, mir seine Angebote kund zu tun.
    Mir war noch nicht ganz klar, was für mich am Besten war uns was meinte er mit den einen oder anderen Gefallen tun? Der wollte mich doch nicht über den Tisch ziehen?
    Naja, in Mogontiacum wollte ich nicht bleiben. Da hätte ich auch wieder zurück nach Augustodunum gehen können. Aber von dem Gedanken, nach Rom zu reisen, war ich auch nicht so begeistert.
    "Was meinst´n mit dem einen oder and´ren Gefallen?"

  • Eine gute Frage, die auch Ursus nicht im Detail beantworten konnte. Schließlich ergab sich so etwas normalerweise aus der Situation. Diese ganze Geschichte war so oder so für ihn ein Verlustgeschäft, denn daß Louan ihm mal wirklich nützlich sein könnte, bezweifelte er denn doch sehr stark. Eigentlich fragte er sich, warum er es dann eigentlich tat. Doch irgendwie... Vielleicht hatte er einfach das Bedürfnis, diesem Jungen, dem Bruder Caelyns, einen Platz im Leben zu ermöglichen und ihm und Caelyn damit zu beweisen, daß es auch gute Menschen gab. Und daß man immer Hoffnung haben sollte, egal wie finster die Welt auch gerade scheinen mochte.


    "Nun, ein Klient hat seinen Patron zu unterstützen. Also in der Öffentlichkeit gut über ihn zu reden, um ein Beispiel zu nennen, oder bei ihm sein, wenn es gerade nötig ist zu demonstrieren, wie einflußreich man ist. Ein Gefallen könnte zum Beispiel so aussehen, wie das, was die beiden Männer für mich getan haben, indem sie nach Augustodunum geritten sind: Jemanden zu suchen. Vielleicht auch mal ein Botengang oder daß Du auf jemanden oder ein Haus oder was auch immer aufpaßt, das sich in meinem Besitz befindet. Daß Du jemanden aus meiner Familie irgendwohin begleitest oder etwas besorgst. Nichts ungesetzliches, Louan. Und auch nichts, was für einen freien Menschen unzumutbar wäre. Ein Klient sollte immer danach streben, seinem Patron nützlich zu sein, das ist praktisch das Geschäft, eine Hand wäscht die andere. Der Patron fördert den Klienten und sorgt für sein Fortkommen und der Klient unterstützt und hilft seinem Patron dafür, wo er nur kann." Es war nicht so einfach, das auf möglichst einfache Weise zu erklären. Immerhin wollte Ursus, daß Louan verstand, worum es dabei ging, da er sich damit ja schließlich verpflichtete. Ob seine Worte schon einleuchtend genug gewesen waren?

  • Diese Gefallen, die er ansprach, waren ja durchaus machbar. Darum machte ich mir eigentlich die wenigsten Sorgen. Über jemanden gut zu reden oder auf ein Haus aufzupassen, da brach ich mir wirklich nichts ab. Vielmehr das Drumherum machte mir Sorgen. Klient, Patron, das hörte sich zu sehr nach Abhängigkeit an. Ich sah mich da in meiner Freiheit beschnitten. Was hatte ich aber davon, frei und hungrig zu sein? So konnte ich es so zu etwas bringen und ich wäre in Caelyns Nähe. Dann könnte ich eines Tages auch meine Schwester freikaufen. Eigentlich gab´s da nicht viel zu überlegen. Trotzdem kostete es mich einiges an Überwindung. Aber was tat man nicht alles, um seine Schwester wieder zu besänftigen.
    "Na gut! Dann werd ich mit nach Rom komm´n und dein Klient werd´n. Aber bild dir bloß nich ein, dass ich dominus zu dir sag!"
    Ehrlich gesagt, konnte ich mir das noch gar nicht vorstellen. Ich würde wieder in einer menschenwürdigen Behausung wohnen, immer ordentliche Kleidung tragen und jeden Tag zu Essen haben. Ich musste wirklich ein Glückspilz sein!

  • Das war ja mal eine spontane Entscheidung. Ursus mußte unwillkürlich schmunzeln. "Du mußt Dich nicht sofort entscheiden. Vielleicht möchtest Du vorher nochmal mit Caelyn darüber sprechen? Und nein, Du mußt nicht dominus zu mir sagen. Du bist nicht mein Sklave. Wie sieht es eigentlich aus, kannst Du lesen und schreiben? Falls nicht, wäre es vielleicht sinnvoll es zu erlernen. Die besseren Berufe erfordern diese Fähigkeit." Noch dazu würde es einfacher sein, einen Schreibkundigen mit einer Laufbehinderung in eine ordentliche Arbeit zu bringen.


    Ursus überlegte schon, ob sich vielleicht sogar in der eigenen Familie eine Tätigkeit für Louan finden würde. Aber dafür mußte er wohl erst wieder in Rom sein, um sich einen Überblick zu verschaffen, wie es dort aussah. Ein Jahr Abwesenheit war eben doch nicht zu unterschätzen. Aber selbst wenn sich bei den Aureliern nichts fand, so würde sich gewiß etwas anderes finden lassen, wenn Louan erst gelernt hatte, sich besser auszudrücken und eine gewisse Grundbildung erlangt hatte.

  • Oh ja! Mit Caelyn musste ich wirklich noch sprechen! Nach der Szene, die sie mir gemacht hatte. Aber ich hatte ja jetzt etwas, womit ich sie wieder besänftigen konnte. Sie war garantiert aus dem Häuschen, wenn sie erfuhr, wie ich mich entschieden hatte.
    "Ja das werd ich wohl oder übel mach´n müss´n! Sie war ja richtig sauer auf mich!" Ich schmunzelte verlegen, weil ich ja wusste, dass er alles mitbekommen hatte. Wenn Caelyn eben in Fahrt war, war sie nicht mehr zu überhören.
    Bei der Frage nach dem lesen und schreiben können, brachte er mich noch ein bisschen mehr in Verlegenheit. Das war schon eine Ewigkeit her, dass ich das gelernt hatte. Damals war ich noch ein Kind. Aber nach Mutters Tod brachte mir lesen und schreiben nicht mehr viel. Da musste ich ums nackte Überleben kämpfen.
    "Öhm, gelernt hab ich´s ma, aber das is schon lange her. Ich bin mir nich sicher, ob da so viel hängen geblieben is. Aber rechnen kann ich gut!" Rechnen hatte mir auch bei Iustus geholfen. So konnte ich ihm richtig gut in seinem Laden helfen und durfte zum Schluss sogar an die Kasse.

  • Ursus nickte und lächelte nun geradezu freundlich. "Was man einmal gelernt hat, ist schnell wieder gelernt. Caelyn liest und schreibt mittlerweile ganz ordentlich. Sie kann Dir sicher helfen, Deine Kenntnisse aufzufrischen. Du kannst natürlich hier bei mir wohnen. Vorerst erwarte ich nicht viel von Dir. Allerdings schon, daß Du Dich darum bemühst, zu lernen. Und vielleicht auch Deine Sprache zu verbessern. Umso besser wird die Stellung sein, die ich Dir verschaffen kann. Gut rechnen zu können, ist schon eine gute Voraussetzung, doch allein das wird nicht genügen."


    Erst jetzt, als etwas Ruhe eingekehrt war, bemerkte Ursus, was für eine Tunika der Junge da trug. Seine Augenbraue hob sich, sonst ließ er sich nichts anmerken. "Richte bitte Deiner Schwester aus, daß ich mich beizeiten mit ihr über Deine Kleidung unterhalten möchte." Das konnte alles bedeuten, zumal er nicht bedrohlich gesprochen hatte. Doch Caelyn würde schon wissen, was er meinte. Denn immerhin hätte auch eine Tunika von Sertorio genügt. "Wir unterhalten uns heute Abend noch einmal, ja?" Bis dahin hatte sich das Gehörte auch bei dem Jungen gesetzt. Und auch Ursus hatte sich bis dahin noch ein paar Gedanken machen können, was er mit dem Bengel denn nun eigentlich anfing.

  • Das konnte ich mir gar nicht so richtig vorstellen. Caelyn konnte lesen und schreiben? Na dann! Da konnte sie mir sicher beim lernen helfen.
    "Ja, lernen will ich auf jden Fall!" Aber was hatte er denn gegen meine Sprache? Verstand er mich nicht richtig?


    Jetzt lächelte er sogar und sah gar nicht mehr so grimmig aus. Ich war jetzt auch etwas gelassener geworden, da sich das Gespräch seinem Ende zu neigte.
    Bevor ich ging, bat er mich, meiner Schwester wegen meiner Kleidung noch etwas auszurichten. Ich machte mir da gar keine großen Gedanken, warum er das sagte. "Geht klar! Kein Problem! Bis heut Abend!"
    Dann stand ich auf und verließ lächelnd das officium.

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