In der Villa Flavia | Der Botschafter einer hochstehenden Kultur oder: Ein parthischer Sklave

  • Schon vor längerer Zeit hatten sie das Drängen der Menschen auf den Märkten verlaßen und sich durch die Straßen von Rom geschlagen, der Hauptstadt, aus der so manch einer der Soldaten stammte, die noch vor wenigen Wochen im fernen Parthia gegen die feindlichen Truppen gekämpft hatte. Während Hannibal einige Schritte vor jenen parthischen Kriegsgefangenen lief, der das Pech hatte dadurch in die Sklaverei gekommen zu sein, sah er immer mal wieder über seine Schulter zu dem Mann zurück. "Sprichst Du besser Griechisch oder Latein?", fragte Hannibal als er die Straße entlang schritt, die an der Villa Flavia vorbei führte. Vorbei an dem Tor ging Hannibal, das zur Porta der Residenz führte. Denn jener Eingang war etwas für die Herrschaften und Besucher. Hannibal marschierte weiter an der Mauer vorbei, die mit eisernen Spitzen versehen war. Die die Diebe der Nacht abhalten sollten, aber auch störrischen Sklaven die Flucht erschwerten. Dahinter waren die Wipfel so mancher Bäume zu sehen, die um die Villa herum gepflanzt waren, damit sie den Bewohner Schutz vor dem nächtlichen Lärm boten. Über den Seiteneingang, einer großen Hofeinfahrt, betrat Hannibal das Gelände, den Sklaven im Schlepptau und immer darauf achtend, dass jener sich nicht davon machte oder gar versuchte, ihn mit den Fesseln zu erwürgen.


    Vorbei an den Stallungen kamen sie und direkt auf den Eingang zu, der für Lieferanten, Angestellte und eben auch Sklaven gedacht war. Einige Kieselsteine knirschten unter Hannibals Sandalen, als er sich dem Nebeneingang näherte und schließlich die Tür öffnete. Erneut ging er voraus und in die weniger prachtvollen Trakte der großräumigen Villa, die mehr vorne ihre Prunkräume hatte, ebenso die Cubicula der verschiedenen Herrschaften. Hannibal führte den neuen Sklaven direkt in einer der Sklavenunterkünfte, ein Raum, der kaum schmuckloser sein konnte. Nur schmale Fensterschlitze ließen Licht von Draußen in das Innere des Raumes, in denen gut ein Dutzend Menschen schlafen konnten. Holzkisten standen hier, in denen Stroh gestreut war, das als Nachtlager für die Sklaven dienten, schlicht und schmucklos. Zwei Truhen säumten die Wände, in denen grobe Lacken aufbewahrt wurden, zu dem auch frische Sklaventuniken. Hannibal ging bis zur Mitte des Raumes und dreht sich dann zu Cassim um. Seine Hand wanderte zu seinem Gürtel, wo Pugio und Caestus steckten. Er zog den Dolch hervor, der gerade geformt war und keinerlei Verzierungen aufwies, dafür umso schärfer war. Ohne ein Vorwort zu sprechen, trat Hannibal auf Cassim zu und durchschnitt mit einer schnellen Gestik das Seil. Dann steckte Hannibal den Dolch wieder in die dunkelbraune Dolchscheide, die an seinem Gürtel hing. "Das hier wird Dein neues Zuhause sein, Cassim. Die Villa Flavia." Hannibal deutete mit seinem Kinn auf einer der Lager, die auch nur mit Stroh gefüllt waren, drei von ihnen schienen noch frei zu sein. "Du kannst Dir hier ein Lager aussuchen, wo Du nächtigst. Was mein Herr mit Dir vor hat, weiß ich auch nicht, darum werde ich Dir kaum sagen können, was Deine Aufgaben sind!" Hannibal verstummte und betrachtete den Parther aufmerksam von oben bis unten. Dabei eher auf andere Dinge achtend als die strammen Waden oder die gute Figur, die der andere Mann machte. "Du bist verletzt?", fragte Hannibal darum.

  • Endlich hatten sie sie den Markt und seinen Lärm hinter sich gelassen. Wortlos und in Gedanken versunken folgte Cassim den beiden Sklaven. Als der einen Sklave, der Hannibal hieß, das Schweigen durchbrach, hob Cassim kurz den Kopf. "Ich spreche beide Sprachen gut, dank meines römischen Sklaven!" Er hielt seine Antwort minimal. Genauso war auch sein Interesse an einer Unterhaltung mit dem Sklaven. Als der dann andeutete, das Ziel erreicht zu haben, begannen seine Augen das große imposante Gebäude zu mustern. Am Haupteingang der Villa waren sie vorbei gegangen. Stattdessen betraten sie die Villa durch einen weniger spektakulär wirkenden Hintereingang. Der Geruch von Stall drang ihm sofort in die Nase. Mit einer vorsichtigen Neugier sah er sich erst einmal um. Diese Villa musste von ihren Ausmaßen ähnlich groß gewesen sein, wie das Anwesen seiner Familie, auf dem er aufgewachsen war. Auch beherbergte es eine unüberschaubare Sklavenschar. Der einzige Unterschied war wohl nur die Architektur und der Baustil, ansonsten ähnelte diese Villa dem, was er kannte und liebte.
    Doch von den schönen Wohnräumen der Villa bekam er nicht viel zu sehen. Hannibal führte ihn direkt in den Wirtschaftstrakt, dort wo die Sklaven sich aufhielten und arbeiteten. Hannibal führte ihn in einen Raum, der mit mehr Ähnlichkeit mit einem Stall denn mit einem Schlafraum für Menschen hatte. Etwas anderes hatte er eigentlich auch nicht erwartet. Man würde ihn hier wie ein Stück Vieh behandeln. Endlich schnitt Hannibal ihm die Handfesseln durch und erleichtert rieb sich Cassim seine Handgelenke, die bereits tiefe Einschnittwunden zeigten. Er nickte nur und schritt auf das erste freie Lager zu. Zu seinem Erstaunen blieb Hannibal noch und musterte ihn von oben bis unten. Etwas stimmt mit dem Kerl nicht, dachte Cassim. Noch immer prangte die große Schnittwunde quer über der Brust und eigentlich musste es ja offensichtlich sein, dass er verletzt war. "Ja, aber das geht schon wieder! War nur ein Kratzer!" Er vermied es zu erwähnen, dass die Wunde immer noch schmerzte. Ganz besonders an den Tagen, an denen es feucht-kalt war.
    "Kann ich mich irgendwo säubern?" Wenn er schon mal da war, konnte er ihn auch gleich nach den sanitären Einrichtungen fragen. Seit Wochen war es ihm nicht mehr vergönnt gewesen, sich richtig zu waschen. Auch eine Rasur wäre nun ganz annehmlich gewesen.

  • Nur ein Kratzer? Hannibal wölbte seine linke Augenbraue in die Höhe. Solche Antworten hatte Hannibal nicht das erste Mal gehört. Aber dann wollte der Parther wohl keine Abhilfe dagegen. Der italische Sklave zuckte mit der Schulter als er die Antwort hörte. Aber immerhin, der andere Mann hatte sich nicht gleich, als er die Fesseln durchgeschnitten hatte, auf Hannibal gestürzt. Wenn er da an eine germanische Sklavin zurück dachte, die ähnlich der Freiheit entrissen wurde, war das hier doch schon mal ein Fortschritt. Zudem schien der Mann vom ganzen Verhalten her gesitteter zu sein als jene Wildkatze von damals. Und zögerlich schien Cassim ebenfalls nicht zu sein. Hannibal verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, bis Cassim sich ein Bett ausgesucht hatte. Dabei sah er den Parther nachdenklich an. Einen römischen Sklaven hatte er besessen? Und jetzt war er der Sklave eines Römers. Die Götter spielten mit den Menschen schon ihre bitteren Streiche. Die Parzen waren nun mal oft grausam und glichen das Unglück wiederum nicht mit dem Glück wieder aus.


    Dass sich Cassim die Spuren der wohl langen Reisen von sich waschen wollte, war nicht nur verständlich, Hannibal hätte das ebenfalls noch angesprochen. Mit dem Kinn deutete er auf eine der beiden schweren Holztruhen. "Dort sind frische Tuniken. Du kannst Dir eine davon nehmen, Cassim. Dann führe ich Dich dorthin, wo Du Dich waschen kannst." Hannibal wartete einen Moment, falls sich Cassim bei der Kleidung bedienen wollte, dann drehte er sich um und ging wieder aus der Sklavenunterkunft hinaus, erwartend, dass ihm Cassim bestimmt noch folgen würde.


    Nicht weit durch den Gang schritt Hannibal und in den Raum, der den Sklaven als eine Art Balneum diente. Ein hölzerner Zuber stand in der Mitte, in dem man sogar baden konnte. Waschschüsseln, Tücher, die als Handtücher dienten lagen auf einem großen Tisch. Es war ebenso bescheiden wie in der Sklavenunterkunft, aber ein doch großer Raum, denn hier wuschen sich so einige Sklaven am frühen Morgen ehe sie mit dem Tageswerk begonnen. Da es nun mitten am Tag war, befand sich außer den Beiden, Hannibal und Cassim, nun niemand in dem Raum. Hannibal ging auf einen Schrank zu, den er öffnete und alles hervor holte, was man für eine anständige Rasur brauchte, ein scharfes Rasiermesser und Öl, damit das Messer nicht so hart über das Gesicht fuhr. Alle zwei Gegenstände legte Hannibal auf den Tisch, neben einer der Waschschüsseln und dem Krug, der auch mit Wasser gefüllt war. "Du solltest ein Bad nehmen!", meinte Hannibal und sah kurz zu dem Zuber. "Ich würde zwei Sklaven aus der Küche schicken, daß sie Dir den Zuber füllen." Halb fragend sah Hannibal den Parther an.

  • Cassims Augen wanderten zu besagter Truhe. Bevor er den Schlafraum mit Hannibal wieder verließ, öffnete er die Truhe und suchte nach einer passenden Tunika. Alle Gewänder, die sich darin befunden hatten, waren aus groben, strapazierfähigen Stoff gemacht. Er entschied sich schließlich für eine Erdfarbene.


    Hannibal führte ihn in einen größeren Raum, in dem er sich waschen konnte. Auch dort war alles sehr nüchtern und zweckmäßig gehalten. Oh, wie sehr vermisste er bereits die Annehmlichkeiten seines eigenen Zuhauses. Wäre er nun zu Hause, kämen sofort einige Sklaven herbeigeeilt, die sich um das Wohlbefinden ihres Herrn kümmern würden. Wie sehr vermisste er die lieblich zarten Hände Yasminas, seiner Lieblingssklavin, die ihn nach dem Bad stets massiert hatte. All das war nun unerreichbar geworden.
    Hannibals Worte rissen ihn abermals aus seinen Gedanken und schmerzhaft musste er sich damit abfinden, dass sein früheres Leben endgültig vorbei war. "Ja, ein Bad wäre gut", antwortete er resigniert.


    Während er auf die Sklaven wartete, die den Zuber füllen sollten, sah er sich etwas genauer um. Er griff sich ein Handtuch und legte es für sich bereit. Dann sah er die Rasierutensilien auf dem Tisch, das Öl und ein scharfes Messer. Hannibal musste schon etwas Vertrauen zu im gefasst haben, sonst hätte er es wohl kaum so achtlos dort hingelegt. Auf Cassims Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Vielleicht konnte er das Messer nach dem rasieren einfach einstecken, dann könnte er, wenn es notwendig werden sollte, dem Römer ganz leicht die Kehle durchschneiden.
    Kurze Zeit später erschienen die beiden Küchensklaven und begannen den Zuber mit warmem Wasser zu füllen. Cassim begann sich, ungeachtet davon, dass Hannibal immer noch anwesend war, zu entkleiden und stieg dann mit einem Seufzer in den Zuber. Das warme Wasser tat seinem geschundenen Leib so gut. Er hätte stundenlang so verweilen können.

  • Mit einem Knappen nicken quittierte Hannibal die Antwort und trat hinaus in den Gang, um den Küchensklaven Bescheid zu sagen. Er selber blieb noch einen Moment in der Küche, schnitt sich ein Stück von einem alten und würzigen Käse ab und ging, langsam kauend, erst einige Momente später wieder zurück in den Waschraum für die Sklaven. Sich unschlüssig, ob er den Sklaven überwachen sollte, wegen dem Messer und Fluchtgefahr, verharrte Hannibal am Rande und beobachtete, wie Eimer für Eimer in den Zuber geschüttet wurde. Warmer Dampf stieg nach oben auf. Wie anders doch das Bad für die Herrschaft war, ein Marmorbecken, eine ausgeklügelte Konstruktion, damit das Wasser in einem warmen Schwall dort hinein floss. Wunderschöne Fresken an den Wänden, Mosaikböden und herrlich duftende Öle. Aber auch Hannibal war es wie den anderen Sklaven natürlich verboten, dort für das eigene Vergnügen den Fuß hinein zu setzen, geschweige denn dort zu baden. Hannibal löste den Blick von den weißen Dampfschwaden. Ein mattes Lächeln huschte über seine Gesichtszüge als er sah, was Cassim so freimütig tat. Hannibal ließ seine braunen Augen über das schweifen, was er dort sah. Das Lächeln wurde noch etwas breiter. Doch dann riß Hannibal seine Augen von dem durchaus interessanten Anblick ab und drehte sich um. "Ich komme wieder, wenn Du fertig bist, Cassim!", meinte Hannibal noch beim Hinausgehen. Womit er den Parther wieder alleine ließ.


    Somit ließ Hannibal tatsächlich Cassim lange Zeit im Bad und mit dem, voll heißen Wasser, gefüllten Zuber alleine. Erst eine Weile später kam Hannibal wieder in den Raum hinein und ging gemächlichen Schrittes auf den Zuber zu, um sich mit den Händen an dem Rand ab zu stützen. Mit einem unbestimmten und recht neutralen Gesichtsausdruck dieses Mal sah er auf Cassim herunter. "Wenn Du so langsam hier mit dem Bad fertig bist, Cassim, solltest Du Dich in Schale werfen!" Hannibal deutete mit dem Kinn auf die nicht wirklich prachtvolle Tunika. "Unser Herr möchte Dich gleich sehen!" Gleichwohl Hannibals Augenbraue erneut verdächtig zuckte, als er einen Blick auf den neuen Sklaven erhaschen konnte, beherrschte sich Hannibal, nicht allzu deutlich eine Regung zu zeigen. Er hatte schon den Germanen damit bis in die Grundfesten seines Seins wohl mit seinen Avancen verstört. Er wollte das bei dem Parther nicht gleich wiederholen. "Wenn Du willst, rasiere ich Dich. Wir haben leider keinen Spiegel hier in den Räumlichkeiten!" Was das Rasieren etwas schwieriger machte. Hannibal selber, der immer ein kleines Auskommen hatte und ein paar Sesterces sich zur Seite stecken konnte, pflegte sich ab und an bei einem Barbier rasieren zu lassen. Wer in der Stadt wusste schon, ob er ein Sklave war oder nicht? Außerdem interessierte es die wenigsten Barbiere, schließlich zahlte er sie auch für ihre Arbeit.

  • Wohlig räkelte sich Cassim in dem einfachen Holzzuber. Wenn er die Augen schloss, sah er sich wieder in seinem Hause in Dura Europos. Das nahe am Euphrat gelegene Anwesen verfügte über ein großzügiges, vornehm ausgestattetes Bad, das keine Wünsche übrig ließ. Stets hatte er nach einem langen Tag ein Bad mit aromatischen Badeessenzen genossen. Zuerst verwöhnte Djamilija ihn, indem sie ihn wusch. Dann folgte Yasmina mit ihrer Massage. Wie lange war das her und was war alles geschehen, seit er zum letzten Mal in diesen süßen Genuss gekommen war?
    Als plötzlich Schritte heran nahten, öffnete er sofort wieder seine Augen und es war Hannibal, den er erblickte. Er war wieder zurück gekommen war und mahnte ihn zur Eile. Ungern entstieg er dem Zuber und griff nach dem Handtuch. Sachte tupfte er die zum Teil verheilte Wunde ab und begann sich, nachdem er trocken war, die frische Kleidung anzuziehen. Es war gut, dass es in diesem Raum keinen Spiegel gab, denn eigentlich wollte er auch gar nicht wissen, wie er in dieser Sklaventunika ausschaute. Sie sah bereits grauenvoll aus und sicher wurde sie durch ihn nicht besser. Aber im Grunde war das gleich. Die Entbehrungen der letzten Monate, seitdem er in den Krieg gezogen war, hatten ihn genügsam werden lassen.
    Natürlich waren Cassim auch diesmal diese seltsamen Blicke Hannibals aufgefallen und so langsam dämmerte es ihm, was er womöglich damit bezweckte. Allerding störte sich Cassim nicht größer darum, sondern nahm dies mit stoischer Ruhe hin. Solange er ihn nicht berührte, konnte es ihm gleich sein, welcher Neigung Hannibal zugewandt war.
    Auch als der Sklave ihm anbot, ihn zu rasieren, ließ er sich nichts anmerken, was sein Plan bezüglich des Messers gewesen war. Selbstverständlich würde er niemals einen Fremden freiwillig so nahe an seine Kehle heranlassen. "Ach, nein danke! Das schaffe ich schon selbst! Während des Krieges hatte ich meistens auch keinen Spiegel", antwortete er abwinkend. Gleich darauf wandte er sich den Rasierutensilien zu und begann sich zu rasieren. Nach wenigen Minuten war er fast fertig. "Wie ist der eigentlich so, dieser Herr?"

  • Nur die Wunde, die Cassim noch trug, betrachtete Hannibal einen längeren Augenblick lang. Dann sah er jedoch von Cassim weg, um ihn nicht an zu starren und betrachtete die Wasserpfütze, die sich an den Füßen des Parthers bildete. Viele kleine Tropen, die sich zu einem großen und glänzenden Rund zusammen taten. Ein weiteres Mal zuckte Hannibal lediglich mit der Schulter, als Cassim das mit der Rasur ablehnte. Er machte ein paar Schritte bis zur Tür und lehnte sich dort gegen den Rahmen. Die Arme vor der Brust verschränkt, wartete er geduldig darauf, dass Cassim sich noch rasierte. Wie Aristides so ist? Hannibal schwieg einen Augenblick lang und dachte über eine Antwort nach. Wie man einen Menschen in wenigen Worten zusammen fassen sollte, darüber sann Hannibal. "Er ist wie ein Herr nun mal ist. Natürlich erwartet er Gehorsam und Respekt von den Sklaven. Ansonsten ist er ein Hedonist. Er mag das Leben, gutes Essen und schöne Frauen!" Hannibal zuckte mit der Schulter. Wirklich viel erzählen wollte Hannibal nun doch wieder nicht über seinen Herrn. Insbesondere sich über die Schwächen und die Spinnereien jenes Mannes auszulassen. "Er hat etwas übrig für Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe und die Jagd. Ganz besonders die Jagd. Aber für Theaterstücke ist er wiederum nicht zu gewinnen. Er ist recht sorglos oft, kann umgänglich sein und ist nicht von großem Jähzorn beseelt. Aber nett ist er wiederum auch nicht immer. Wie jeder Herr wohl. Zudem..." Hannibal verstummte und wollte noch etwas wegen Parthia anfügen, doch er befand, daß er genug erzählt hatte. "Nun, den Rest wirst Du selber sehen."


    Bis der Parther schließlich fertig war wartete Hannibal. Erst dann drehte sich Hannibal um und schritt aus dem Waschraum. Schweigend ging Hannibal voraus. Durch den Sklaventrakt und die angrenzenden Gänge, die immer noch recht schlicht wirkten und in so ein großes Anwesen und einer Villa nicht zu passen schienen. Doch dann fing sich die Umgebung an zu wandeln. Fresken überzogen die Wände der Gänge. Florale Muster, mythologische Darstellungen oder Heldenepen waren hier mit Farbe und von der Hand eines Meisters an die Mauern gemalt worden. Der Boden war nun mit roten, schwarzen und hellem Mosaiksteinchen oder Marmorplatten verziert. Auch an Marmorstatuen kam Hannibal vorbei. Die Gestalt eines ernsten Mannes, einer der Kaiser, schien ihm grimmig hinter her zu sehen. Schon wurde der Gang in helles Sonnenlicht getaucht als Hannibal sich seinem Ende näherte und in den Säulengang trat. Marmorne, sich nach oben verjüngende Säulen, mit goldenen Blattranken, die an ihrem Kapitel angebracht waren, hielten das Dach des Säulenganges. In der Mitte gedieh ein Garten, in dem schon zahlreiche Frühlingsblumen blühten. Aber ebenso auch ein Springbrunnen vor sich hin plätscherte. Doch auch dieses kleine Idyll ließ Hannibal ungeachtet hinter sich. Durch einen weiteren Gang und schließlich durch eine Pforte ging es hinaus in den großen Garten, der hinter der Villa lag und den Flaviern Erholung und Müßiggang bot, aber ebenso auch manch einem Sklaven, der hier schon sein Fest gefeiert hatte. Selbst ohne das Wissen der Herrn der Villa. Während Hannibal durch den Garten ging, sah er über die Schulter. "Ich habe gehört, bei euch Orientalen müssen sich die Sklaven auf den Boden vor ihren Herren werfen. Und ihre Stirn auf die Erde pressen. Stimmt das?"

  • Cassim hörte dem Sklaven aufmerksam zu, während er langsam aber sicher seine Rasur beendete. Allerdings hatte er das Rasiermesser nicht wieder an seinen Platz zurückgelegt. Da er Hannibal in ein Gespräch verstrickt hatte und der nun eifrig am erzählen war, konnte Cassim unbemerkt das Messer unter seiner frischen Tunika verschwinden lassen.
    Über Hannibals Bemerkung, hinsichtlich der Vorlieben seines Herrn, musste er kurz schmunzeln. Da hatten sie ja etwas gemeinsam, dachte Cassim. Auch er liebte das Leben, gutes Essen und schöne Frauen. Allerdings ein Leben als Sklave war undenkbar für ihn. Womöglich würde sich bereits heute sein Schicksal entscheiden. Inständig betete er zu Ahura Mazda, er möge ihm beistehen. Vielleicht würde er dem Römer die Kehle durchtrennen, vielleicht könne er dann auch fliehen und vielleicht…ja vielleicht würde er dann auch in seine ferne Heimat zurückkehren können. Doch nun galt es erst einmal, besonnen an die Sache heranzugehen. Nichts überstürzen! Wenn sich heute keine Gelegenheit bieten sollte, dann vielleicht an einem anderen Tag. Doch zuerst musste er dem Römer gegenübertreten. Je näher der Augenblick heranrückte, da er sich dem Feind stellen musste, desto angespannter wurde er, jedoch versuchte er nach außen ruhig zu wirken.
    Schließlich folgte er dem Sklaven. Beide verließen sie den Sklaventrakt und endlich bekam er das zu sehen, wovon er so oft schon gehört hatte. Die wohlgestalteten Gänge, die er durchschritt, übertrafen seine Erwartungen. Oftmals hatte ihm sein römischer Sklave davon berichtet, wie prachtvoll doch die römischen Häuser ausgestattet waren. Dies hatte er stets als Schwärmerei seines Sklaven abgetan, standen doch die parthischen Häuser dem in nichts nach. Doch diese Villa übertraf eindeutig seine Vorstellungen. Wenn selbst die Gänge so kunstvoll gestaltet waren, wie würden erst die Zimmer ausgestattet sein? Jedoch der Weg des Sklaven führte nicht in eines der Zimmer. Bald schon schritt er hinaus in den Garten. Cassim folgte ihm und beim Anblick des großen Gartens begann er zu staunen. Der Besitzer dieser Villa musste wirklich ein sehr betuchter und bedeutender Mann sein! Diese Villa und der Garten dazu, musste ein Vermögen wert sein! In Parthia bedurfte es einen großen Aufwand, einen Garten solcher Größe zu unterhalten.
    Hannibals Frage rissen ihn wieder aus seinem Staunen heraus. Bei euch Orientalen! Cassim musste erneut schmunzeln.
    Eigenartig, warum er gerade danach fragte. Aber es stimmte. Im Orient waren die Sitten und Gebräuche ganz anders, als hier. Zu Hause nannte man diese Römer Barbaren und im Vergleich zu Parthia war hier vieles anders und in Cassims Augen auch primitiver.
    Ja, die Ehrerbietung eines Sklaven gegenüber seinem Herrn, zwangen ihn in die Knie. So mancher parthische Herr verlangte die bedingungslose Unterwerfung seiner Sklaven und der beste Beweis dieser Ehrerbietung war es, indem sich ein Sklave vor seinem Herrn in den Staub warf. Allerdings hatte er das niemals von seinen Sklaven verlangt. "Ja, stimmt" pflichtete er dem Sklaven wortkarg bei.

  • Nahe des Fischteisches und auf einer kleinen Anhöhe hatte sich Marcus die gepolsterte Bank tragen laßen, damit er ein wenig Zeit an der frischen Luft und der Sonne verbringen konnte. Einige Schäfchenwolken zogen über den blauen Himmel, in den Ästen des Gartens zwitscherten die Vögel, ein paar Bienen summten an Marcus vorbei, auf der Suche nach Blütennektar, die in dem Herzen eines jeden Blütenkelches verborgen wurde, ob blau, weiß oder rot. Erst vor wenigen Minuten hatte sich Marcus auf der Bank nieder gelaßen, die Krücken hatte er gegen die Platane gelehnt, die mit ihrem mächtigen Stamm sich gen Himmel erhob, direkt an seinem Rücken. Immerhin, er mußte heute keine toga oder Rüstung tragen, er hatte noch seine rostrote tunica an und dazu einen hellen Überwurf. Das Wasser reflektierte das Sonnenlicht und Marcus konnte unter der Oberfläche die Silhouetten der Zierfische sehen, die den Teich bewohnten; einige der Gräser, die dort angepflanzt waren, wogten im lauen Wind, der immer mal wieder über den Garten hinweg strich. Angenehm ruhig und friedlich wirkte es im Garten, in dem Augenblick, sicherlich, schon in wenigen Minuten würde es Marcus mit Sicherheit langweilig werden, aber so genoß er den Frieden noch, so lange er währte und er ihm gut tat. Marcus lehnte sich gegen den Baum und spürte die schorfige und immer abblätternde Rinde des Baumes, der dadurch wie ein Mosaik aus Braun- und Grüntönen wirkte, selbst wenn die Blätter – wie zu dieser Zeit – noch nicht ganz ausgeschlagen waren, sondern erst noch ihre Knopsen öffneten. Die Sonne schien ihm warm ins Gesicht und er schloß genießerisch die Augen und verharrte einige Momente so.


    Doch schon hörte er eine Stimme, die bis zu ihm zu vernehmen war, zudem Schritte die sich näherten, Marcus öffnete seine Augen und spähte in die Richtung, aus der er das Herannahen von anderen zweibeinigen Lebewesen wähnte; er richte sich aus der entspannten Haltung aus und stützte sich mit zwei Händen auf den Polstern der Bank ab. Neugierig, aber auch mit ein wenig Groll in sich – den er schon längere Zeit verspürte – betrachtete er die Neuerwerbung von dem heutigen Tage: zivilisiert und einigermaßen menschlich sah der Sklave, der Parther aus; Marcus Gesicht, was eben noch gelöst gewirkt hatte, fast schon heiter, nahm einen düsteren Ausdruck an und seine Schultern spannten sich wie von selber an, als er den Feind, den er so lange bekämpft hatte, nun in den Garten kommen sah. Marcus' Augenbraue zuckte einen Moment, eine steile Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen, die sich jedoch glättet, als er das Wort an Cassim richtete.


    „So, Cassim ist also Dein Name!“
    Was ihm sein Sklave berichtet hatte! Marcus hatte etwas länger darüber nachgedacht, ob er dem Sklaven nicht einen neuen Namen geben sollte, vielleicht später noch, aber im Moment war Marcus schon froh, sich einen Namen zu merken. Warum es noch komplizierter machen? Marcus musterte ihn taxierend.
    „Wo wurdest Du gefangen genommen - vor Edessa oder am Chaboras?“

  • Cassim folgte dem Sklaven weiter durch den Garten und unter anderen Umständen hätte es ihn sicher erfreut, was er sah. Der Garten war eine wahre Oase des Friedens und der Ruhe, doch leider nicht für ihn.
    Bald erreichten sie einen erhöhten Platz, wo auf einer Bank der Römer saß und wartete. Unmittelbar in der Nähe befand sich ein Fischteich. Cassim wusste nicht, wem er mehr Aufmerksamkeit zollen sollte, dem Römer oder dem Teich. Das Wasser schimmerte fast golden durch die Bestrahlung der Sonne. Jetzt erkannte er auch den Zweck des Gewässers. Ein Fischteich war es, allerdings mit Zierfischen bestückt! So viel Wasser und all das nur als Zierde, dachte er. Doch auch diesmal musste er wieder feststellen, dass dies nicht Parthia war. So widmete er seine Aufmerksamkeit doch besser dem Römer.
    Düster blickte der drein. Man sollte meinen, er haderte mit etwas oder mit jemand. Cassims Blick fiel automatisch auf das verletzte Bein. Er fragte sich nur, woher die Verletzung herrühren mochte. Er konnte sich noch nicht wirklich vorstellen, dass dies eine Kriegsverletzung war.
    Der Römer richtete das Wort an ihn. Cassim sah zu ihm auf und auch er versuchte mit seinem Blick zu ergründen, was für eine Art Mensch er nun vor sich hatte. "Ja, Cassim ist mein Name" antwortete er ruhig. Mit der nächsten Frage des Römers hatte er bereits gerechnet, jedoch nicht, dass der Römer Kenntnis von den Örtlichkeiten des Kriegsschauplatzes in Parthia hatte. "Am Chaboras! Nach der Schlacht am Chaboras. Ich war verletzt und ich wurde einige Tage später aufgegriffen", antwortete er nachdenklich. Plötzlich beschlich ihn der Gedanke, dass auch der Römer in Parthia dabei war. Wenn das der Fall sein sollte, dann… Er wollte besser nicht darüber nachsinnen, welche Konsequenzen dies mit sich ziehen würde.

  • Die Friedlichkeit des Gartens, die frühlingshafte Idylle vermochte nun nicht mehr den düsteren Schatten aus Marcus zu vertreiben, der sofort bei der Erwähnung jenes Flußes in ihm geweckt wurde; denn jener Tag am Chaboras war ein schlechter Tag für die Legion gewesen, schlecht war noch untertrieben, eine Katastrophe ohne Gleichen, denn sie wurden nicht nur wie Anfänger in den Hinterhalt gelockt, fast eine ganze Legion wurde dort ausgelöscht, nein, auch noch der Kaiser wurde so schwer verletzt, daß er nur kurze Zeit später an jener Pfeilwunde verstarb, viel zu früh und mitten in einem Krieg, wo sie ihren Feldherrn und Imperator gebraucht hätten. Der düstere Glanz spiegelte sich in dem Augenblick auch in Marcus' Augen wieder, als er an jenen Tag zurück dachte, aus dem er erschöpft, niedergeschlagen und voller Ruß hervor gegangen war, ein Tag, der ihn noch viele Nächte lang in Alpträumen geplagt hatte und es immer noch tat; wer konnte es einfach so weg stecken, wenn vor den eigenen Augen hunderte von Kameraden abgeschlachtet wurden und man konnte ihnen nicht zur Hilfe eilen? Marcus holte tief Luft und taxierte den Parther, nicht unbedingt freundlich oder gutmütig – wie er es meistens war – und er schwieg einen Augenblick. Einen Herzschlag lang schoß es durch die Gedanken von Marcus: Wollte nicht sein Vetter auch Gladiatorenspiele abhalten; wäre dann nicht der Parther ideal für die Arena? Marcus Augenbrauen zogen sich zusammen, als er daran dachte, womöglich, aber das würde er jetzt gewiß noch nicht entscheiden.


    „Am Chaboras also...hmh!“
    , murmelte Marcus tonlos und ließ den Parther nicht aus den Augen.
    „Wo hast Du dort gedient? Bei der Reiterei oder bei den Söldnern?“
    Bei den folgenden Worten wurde Marcus stimme etwas kälter.
    „Oder gar bei den Bogenschützen?“
    Marcus wußte nicht, ob der Parther ahnte, woran der Kaiser letztendlich gestorben war, es war sogar sehr unwahrscheinlich, wenn er in der Schlacht schon verletzt wurde und wohl nichts von danach mitbekommen hatte.
    „Und was soll das heißen, Du wurdest ein paar Tage später aufgegriffen? Bist Du von Deiner Truppe geflohen?“

  • Cassims Vermutung schien sich zu bestätigen. Die Fragen, die nun folgten, konnten nicht die eines Zivilisten sein, der den Kriegsverlauf nur aus zweiter Hand kannte. Dieser Mann war auch dabei gewesen, auf der anderen Seite versteht sich und seine Verwundung am Bein war allem Anschein eine Kriegsverletzung! Welche Zweifel blieben da noch offen, was ihn hier zu erwarten hatte? Bei der Erwähnung des Flusses, dort wo er den Römern in die Hände gefallen, hatte sich die Mimik des Römers noch mehr verändert. Er konnte sich auch vorstellen warum! Die Schlacht am Chaboras war siegreich für die parthischen Truppen ausgegangen. Dort hatten sie den Eindringlingen gezeigt, was es hieß, Parthia zu überfallen. Niemand überfiel ungestraft Parthia!
    Die Schlacht hatte auf römischer Seite einen hohen Blutzoll gefordert. Doch auch für Cassim war dieser eine Tag ein Schicksalstag gewesen. Mitten im Schlachtgetümmel, wurde sein Pferd von einem Pfeil getroffen. Es war unter ihm tot zusammengebrochen. Wie im Blutrausch hatte er noch mit seinem Schwert um sich geschlagen. Danach konnte er sich nur noch an diesen einen festen Schlag erinnern, der ihn zu Boden gerissen hatte. Als er wieder zu sich gekommen war, war die Schlacht vorbei. Er spürte nur diesen pochenden Schmerz in seiner Brust. Überall und um ihn herum war Blut. Inmitten eines Feldes, übersät mit Leichen, römischen und paartischen, hatte er gelegen und versuchte sich dann aufzuraffen, um sich zu verstecken. In einer Felsmulde hatte er Zuflucht gefunden. Dort hatte er versucht, seine Wunde notdürftig zu versorgen. Hätten ihn die römischen Reiter nicht einige Tage später, bereits mehr tot als lebendig entdeckt, wäre ihm die Sklaverei erspart geblieben. Ein ehrenvoller Tod war ihm verwehrt geblieben.
    "Ich war bei der Reiterei", antwortete er wahrheitsgemäß. Es gab schließlich keinen Grund, dies zu verleugnen. Allerdings war ihm auch klar, warum der Römer die Bogenschützen so sehr betonte. Erst im Nachhinein, als man ihn wieder einigermaßen zusammengeflickt hatte und er in einem Holzkäfig saß um darauf zu warten, bis man ihn nach Rom brachte, war ihm zu Ohren gekommen, was mit dem Anführer der Feinde geschehen war. Wenigstens das war ein Triumph, den er unglücklicherweise nicht mehr auskosten konnte.
    Die letzte Frage des Römers, ließ sein Blut gefrieren! Auch seine Miene verdunkelte sich jetzt und wäre er in einer anderen Position gewesen, hätte er eine solche Beleidigung nicht auf sich sitzen gelassen. Er beschloss jedoch ruhig zu bleiben. Der Römer wollte ihn nur provozieren, nichts weiter!
    "Ich bin nicht geflohen! Ich wurde verletzt und hatte das Bewusstsein verloren. Als ich wieder zu mir kam, war bereits alles vorbei. Meine Leute waren weg und ich rettete mich mit letzter Kraft in eine Felsmulde. Dort hat man mich dann gefunden." Er vermied die Verwendung des Wortes "Bastarde". Auch wenn es ihm auf der Zunge lag. Er war klug genug, um seine Lage nicht noch zu verschlechtern.

  • Es ächzte und knackste in den Ästen über seinem Kopf als eine stärkere Windböe durch den Garten blies und die Gräser noch heftiger erzittern ließ, aber auch ein paar kleine, weiße Wolken am Himmel stärker vor sich her trieb, doch schon gleich darauf beruhigte sich der Garten wieder, als nur die Sonne ihn zärtlich bestrich; jedoch in Marcus' Gedanken war es nicht ruhig, er, der sowieso noch kränklich aussah wegen der Verletzung an seinem Bein, merkte, wie langsam alter Zorn in ihm aufstieg und sein Gesicht vor Wut blaßer werden ließ, selbst wenn ihm bewußt war, daß er sehr wahrscheinlich nur einer von vielen Soldaten der Parther vor sich hatte, der im Grunde auch nur Befehle entgegen genommen hatte, aber ging das Marcus auch nicht ähnlich? Und hatte er nicht mit großer Überzeugung für das Imperium gestritten und gekämpft? Marcus' Nasenflügel blähten sich auf, als er einen Augenblick lang über diese Frage nachdachte, sie jedoch beiseite schob und sich nicht zu viele Gedanken machte über Ähnlichkeiten. In dem Augenblick beschloß Marcus jedoch, daß der Parther es gewiß nicht bei ihm zu lachen hatte, nein, er sollte erfahren, was es hieß, der Feind des Imperiums zu sein – und das waren die Parther immer noch! Grimmigen Blickes verschränkte Marcus die Arme vor der Brust und stierte den Parther an, den er vor sich stehen ließ und natürlich nicht gedachte, ihn aufzufordern Platz zu nehmen. Ein wenig skeptisch ob der Geschichte von Cassim war Marcus schon, vielleicht, weil er gerne Niedertracht und Ehrlosigkeit in dem Mann erkennen wollte – der all das verkörpern sollte, was Marcus verabscheute und in den Feind, den sie so erbittert bekämpft hatte, projiziert wurde. Hatten die Parther auch nicht lieber die hinterhältige Taktik gewählt, in dem sie Überfälle und Hinterhalte legten, aber sich selten in eine offene und ehrenvolle Feldschlacht begeben hatten?


    „So, bei der Reiterei?“
    Seine Wangenknochen mahlten aufeinander, ehe er weiter nachfragte.
    „Bei den Kata...Kata...den schweren Panzerreitern oder der leichten Reiterei?“


    Ein paar Mal hatte Marcus in Parthia den Namen der Kataphraktoi vernommen, aber ihn immer wieder vergeßen, aber deutliche Rückschlüße würde ihm auch die Antwort von Cassim geben, denn er meinte mal gehört zu haben, daß bei den Kataphraktoi viele Adlige tätig waren. Natürlich wäre es Marcus lieber, wenn er einen einfachen Soldaten vor sich hätte. So fügte Marcus gleich darauf an, ehe ihn irgendeine Ehrvorstellung bei einer ungenehmen Antwort zu einer anderen Handlung zwang.


    „Damit wir uns richtig verstehen, Cassim. Du bist ein Sklave der gens Flavia, mein Sklave! Du bist weder ein Kriegsgefangener, noch werde ich Dir die Rechte eines Solchen einräumen, es wird keinen Austausch geben und auch keine Auslöse. Du bist und wirst es auch bleiben, ein einfacher servus, der von nun an jedem Flavier zu dienen hat, insbesondere natürlich mir. Du solltest nicht auf den Gedanken kommen zu fliehen!“


    Welcher gefangener Sklave hegte nicht diesen Wunsch? Wohl nur die, die nichts mehr in ihrer Heimat hatte, wohin sie fliehen konnte; das war bei dem Parther gewiß noch nicht so, obwohl, wer wußte das schon? Es kam wohl darauf an, warum der Parther in den Krieg ziehen mußte oder ob er wollte.


    „Wenn Du fliehst, wirst Du sowieso wieder eingefangen werden, mach' Dir mal keine Illusionen darüber, wir haben sogar eine eigene Einheit in Rom, die hinter geflohenen Sklaven her jagt. Solltest Du fliehen, dann werde ich Dir das Fleisch vom Rücken peitschen laßen und das wird erst der Anfang Deiner Strafe sein. Fliehst Du, dummerweise, ein zweites Mal, dann werde ich Dich den Löwen zum Fraße vorwerfen oder kreuzigen, je nachdem, ob einer meiner Verwandten gerade Spiele in Roma abhält.“


    Ein ausgesprochen untypischer Ausdruck huschte über Marcus' Gesicht, man könnte es fast als süffisant bezeichnen.
    „Aber ungnädig bin ich nicht, Cassim. Wenn Du mir demütig und unterwürfig dienst, dann werde ich vielleicht es sogar erwähnen, Dich eines Tages in die Freiheit zu entlaßen, vielleicht!“
    So manch einem flavischen Kaiser, wie überhaupt Kaisern, sagte man doch Großzügigkeit nach, was die Freilaßung ihrer Sklaven anging, doch Marcus war von je her schon damit sehr knausrig gewesen, es sei denn, ein Sklave wurde ihm lästig und er wollte ihn nicht gleich über den Jordan schicken.
    „Ach, Unverschämtheiten dulde ich auch nicht, sie werden auch Strafen nach sich ziehen, Milde kannst Du bei mir diesbezüglich nicht erwarten. Haben wir uns verstanden?“

  • Kam es Cassim nur so vor oder spitzte sich die Situation bei jedem Wort, das gewechselt wurde, mehr und mehr zu? Der aufkommende Wind ließ Cassim dazu auch noch frösteln. Er hatte sich immer noch nicht an dieses Klima gewöhnt. Nichtsdestotrotz wollte er vor dem Römer keine Schwäche zeigen. Jetzt, da er wusste, in wessen Besitz er geraten war, war so etwas ausgeschlossen.
    Genauso wie es noch immer in dem Römer zu brodeln schien, brodelte es auch in Cassim. Der Kampf war noch nicht zu Ende! Man hatte ihn zwar in Ketten nach Rom geschafft, doch sein Wille war längst nicht gebrochen. Dem Römer wäre es sicher genauso gegangen, wäre er nun an Cassims Stelle.
    "Ja, bei den Kataphrakten! Es ist eine Ehre, bei dieser Einheit dabei zu sein", antwortete er immer noch mit einer stoischen Ruhe, obwohl er innerlich bereits alles andere als ruhig war. In seinen Gedanken reflektierte er noch einmal den Tag, an dem er stolz nach Hause gekommen war und seinem alten Vater davon berichten konnte, dass man ihn bei den gepanzerten Reitern aufgenommen hatte. Doch all der Glanz ging in jenem Moment verloren, als der Römer nun endlich zur Sache kam. Er sagte, er sei kein Kriegsgefangener. Was in Ahura Mazdas Namen war er denn sonst!? Ein Sklave, nicht weiter als ein einfacher Sklave!
    Cassim presste seine Kiefer aufeinander. Ohne jegliche Regung, die man seiner Körperhaltung oder seinem Ausdruck hätte entnehmen können, nahm er zur Kenntnis, womit er im Falle einer Flucht zu rechnen hatte. Dann dieser süffisante Zug in der Mimik des Römers. Am liebsten hätte er sofort das Messer gezogen und ihm seine verdammte Kehle durchtrennt. Aber nichts dergleichen, Cassim hatte warten gelernt. Ja, er hatte es sogar zu einer seiner Tugenden gemacht. Damit konnte man so manchen Gegner in die Irre führen. Eines Nachts werde ich dir demütig und unterwürfig die Kehle durchschneiden, dachte Cassim und beinahe hätte ihn diese Vorstellung sogar amüsiert. Nichts davon, was er dachte oder was er vorhatte, dang jedoch nach außen und so sollte es auch bleiben! Der Römer würde vergeblich darauf warten müssen, bis dass er sich vor ihm in den Staub werfen würde.
    Gleich bleibend ruhig stand er noch immer vor dem Römer und wenn es sein musste, würde er hier auch noch für den Rest des Tages stehen bleiben. An ihm würde er sich die Zähne ausbeißen!
    "Ja", war letztlich alles, was er auf die Frage des Römers antwortete.

  • Jetzt, wo schon ihr Herr in Sicht kam, hatte Hannibal sich einige Schritte hinter Cassim zurück fallen lassen. Er betrachtete nachdenklich den muskulösen Rücken des anderen Mannes. Mehr gedankenverloren, wegen der Worte, die Cassim ihm erwidert hatte. Er war recht froh, dann keinen orientalischen Herrn dienen zu müssen. Wenn er sich jedes Mal, wenn der Herr auftauchte, gleich in den Staub werfen musste. Schweigend blieb Hannibal erst hinter Cassim stehen als Aristides ihn ansprach, dann wanderte Hannibal einige Schritte weiter, direkt zu dem Fischteich. Dort angekommen blieb Hannibal stehen und hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Als ob ihn die ganze Unterhaltung nichts anging, verharrte Hannibal am Rande des Wassers. Obwohl Hannibal durchaus mit Neugier dem Ganzen lauschte.


    Es interessierte ihn nämlich durchaus, wo Cassim her kam und insbesondere, wie er in Gefangenschaft geraten war. Eine Gefangenschaft, die nun in der Sklaverei endete. Ob er darüber verbittert war? Ein rebellisches Glitzern und eine stolze Haltung hatte Hannibal ihm durchaus angesehen. Oder meinte, das zu erkennen. Er drehte sich nun doch langsam um und betrachtete die Beiden. Beides Soldaten, die auf zwei verschiedenen Seiten gekämpft hatten. Da war es doch vorhersehbar, daß das nur Ärger bieten würde. Überrascht blinzelte Hannibal sogar, als er die Drohung mit der Peitsche hörte. Auch das mit den Löwen. Schweigend wartete Hannibal und ließ seinen Geist in seinen eigenen Gedanken treiben, die er sich über seinen Herrn und auch Cassim machte.

  • Grimmigen Blickes ließ Marcus die Worte an sich vorbei rauschen, wie den Wind, der ab und an mal in den Ästen spielte, denn da Cassim bei den Kataphraktoi gedient hatte, könnte die Vermutung nahe liegen, daß jener auch tatsächlich ein Adliger war, aber das wollte Marcus nicht wahrhaben wollen und er wußte ja nicht, ob alle bei der schweren Panzerreiterei auch aus der gehobenen Schicht kamen, denn womöglich hätte er dann noch mal seine Worte bedenken müßen und so handeln, wie er das einst in Edessa getan hatte, als jener Anführer der Kataphraktoi beinahe von einem Soldaten mit dem Adler getötet worden war und Marcus im letzten Augenblick das spitze Ende weg geschlagen hatte. Warum? Weil ein Adliger verhinderte, daß ein anderer Adliger so getötet wurde, schließlich erwartete Marcus selbiges von Gegnern, denen er durchaus Ehre zu sprach oder es mal getan hatte, wie man es den Parthern eigentlich auch nachsagte. Würde er auch nur im Entferntesten ahnen, was die Parther mit seinem ehemaligen Legaten taten, dann würde Marcus' schlechte Meinung noch Vernichtender werden. Bei dieser Einheit dabei zu sein, nicht gewesen zu sein, nein zu sein – Marcus sah Cassim mit andeutungsweise verengten Augen an, war dann jedoch tatsächlich etwas überrascht, nur die einsilbige Antwort von dem Sklaven zu vernehmen. Marcus zögerte und sah Cassim prüfend an, doch dieser schien es wohl tatsächlich verstanden zu haben und wagte keine Worte der Widerrede, noch die typischen rebellischen Floskeln, die man sonst von solchen Sklaven hörte, umso beßer – Marcus lehnte sich etwas zurück, deutlich zufrieden, daß er somit seine Position klar gemacht hatte und daß der Parther gewiß nicht mit Milde bei ihm rechnen konnte. Sinnend – aber immer noch mit dem düsteren Ausdruck auf dem Gesicht – betrachtete Marcus nun den Sklaven, der Sklavenhändler hatte ein wenig gegeizt mit den Angaben zu jenem Mann, daß der Sklave sich mit Literatur aus kannte, war für Marcus von wenig Belang, denn dafür interessierte sich Marcus – im Gegensatz zu seinen Vettern, wie auch seinem Sklaven – nicht sonderlich.


    „Gut!“
    , meinte Marcus noch auf das schlichte Ja als Antwort.
    „Dann sprich, was sind sonst Deine Fähigkeiten. Latein, Griechisch, Literatur...Reiten wohl auch...was sonst noch? Kannst Du jagen zum Beispiel?“

  • Cassim ahnte nichts im geringsten davon, dass unweit des Fischteiches Hannibal stand, um der Unterredung der beiden Männer zu lauschen. Selbst wenn er es gewusst hätte, hätte es ihn wahrscheinlich nicht sonderlich berührt. Dieser Hannibal war in seinen Augen ein typischer Sklave, der seinem Herrn bedingungslos und überallhin gefolgt wäre. Eigentlich eine gute Eigenschaft bei Sklaven. Doch Cassim fühlte sich nicht im Mindesten als Sklave. Er mochte sich momentan in einer schier auswegslosen Situation befunden haben, aber deswegen gleich alles aufgeben, selbst das Ehrwertgefühl? Nein! Er stammte von einer Reihe angesehener Männer ab, die vor ihm mitgeholfen hatten, das Land zu steuern oder die sich im Kampf Ruhm und Ehre erworben hatten. Hatte er diese Kette durchbrochen? Hatte er der Familie Schande zugefügt, weil er nicht ehrenvoll im Kampf sein Leben gelassen hatte? Nein, ihn hatte man in Ketten ins Land des Feindes gebracht und ihn zum Sklaven gemacht! Tröstlich war nur, dass dies nicht aus Feigheit geschehen war. Manchmal erwischte er sich dabei, wie darüber nachdachte, ob es wirklich die Feigheit war, die ihm zum Sklaven gemacht hatte. Aber nein, sagte er sich dann, er hatte bis zum letzten gekampft und war dann dummerweise verwundet worden. Nur ahura Mazda alleine, wusste, warum!


    Der Blick des Römers hatte sich keineswegs geändert. Auch für ihn würde der Kampf weitergehen, zwar nicht mehr auf dem Schlachtfeld, dafür aber in seiner eigenen Umgebung, die ihm sicher auch den einen oder anderen Heimvorteil bieten würde. Auch wenn es dem Römer so vorkommen musste, Cassim hätte sich schon voll und ganz seinem Schicksal ergeben, so war er jedoch im Irrtum.
    Als er ihn schließlich auf seine Fähigkeiten hin ansprach und besonders das Jagen hervorhob, sah Cassim überraschend auf. Wieso er gerade nach dem Jagen fragte?
    Wenn Cassim sich besann, was ihm in seinem früheren Leben wichtig war und womit er sich am liebsten beschäftigte, stand das Jagen an vorderster Stelle, gefolgt von gutem Essen und schönen Frauen. Dem Müßiggang alleine konnte er allerdings nicht so viel abgewinnen. Er musste immer etwas zu tun haben. Nur nach der Arbeit widmete er sich dann den schönen Dingen des Lebens.
    Um das Landgut kümmerte sich ein fähiger Verwalter, die Arbeit wurde sowieso von einer Unzahl von Sklaven verrichtet. Was blieb da noch viel außer der Familie? Da war die Literatur, die Musik und natürlich das Jagen! Er liebte es, oft tagelang alleine oder mit einem Freund unterwegs zu sein. Speziell für die Jagd hatte er einen abgerichteten Falken besessen.
    "Ja , ich habe früher oft gejagt, mit meinem Falken" antwortete er zögerlich. "Ansonsten kann ich natürlich reiten und weiß, das Schwert zu führen."

  • Während Marcus den neuen Sklaven taxierte, mit dem Blick, begann er schon zu überlegen, wofür der Parther nützlich sein konnte; als Leibwächter, wie der Sklavenhändler propagiert hatte, würde Marcus ihn gewiß nicht einsetzen, es sei denn, er war völlig lebensmüde oder wollte dasselbe Ergebnis wie bei dem Germanen haben, am Ende kam Cassim noch auf den Gedanken, seinen Sohn zu entführen, um Druck gegen Marcus auszuüben und seine Freilaßung zu erzwingen. Marcus Kieferknochen preßten sich bei dem Gedanken fester aufeinander, so daß sie deutlich zu erkennen waren, als sie sich unter der Haut seiner Wangen - unterhalb der Schläfen - abzeichneten; er warf Hannibal, der sich scheinbar unbeteiligt im Hintergrund hielt einen Blick zu; doch schon die nächsten Worte weckten Marcus Aufmerksamkeit und zwar schlagartig, er sah zurück zu Cassim und seine Augenbrauen wölbten sich überrascht in die Höhe; tatsächlich schwand der grimmige Ausdruck aus seinem Gesicht sogar ein ganz klein wenig, selbst wenn Marcus immer noch düster wirkte, kein Lächeln sein Gesicht zierte und seine Augen kalt waren, aber es schlich sich auch noch so etwas wie Neugier hinein und ein lebhaftes Interesse, denn wenn es etwas gab, wofür sich Marcus – neben Essen, schönen Frauen, Gladiatorenspielen und Wagenrennen! - begeistern konnte, dann war es eben die Jagd; ein ausgesprochen kurzweiliges Vergnügen, dem er in den letzten Jahren viel zu selten frönen konnte; die letzte zünftige Jagd, die er erlebt hatte, war sogar bei seinem amicus in Ägypten gewesen. Marcus beugte sich ein wenig nach vorne und ließ Cassim nicht aus den Augen.


    „Mit einem Falken?“
    , fragte Marcus noch mal nach und sah den Parther nachdenklich an.
    „Erläutere das mal genauer! Wie jagst Du mit einem Falken? Ist er ein Jagdhelfer oder nur ein treuer Begleiter?“


    Daß man mit Hunden jagen konnte, das wußte und kannte Marcus durchaus, er hatte selber einige Jagdhunde in Baiae beseßen, die wohl mittlerweile verstorben sein müßten, besonders einen treuen Jagdhund hatte er gehabt, der ihn immer mit begleitet hatte. Ein Segusier namens Zeus, ein häßlicher Wicht, aber ein treuer Hund mit einer sehr guten Nase und einem anhänglichen Wesen; Marcus hatte den Hund sehr gemocht, leider aber schon nach drei Jahren wieder verloren, als ein Hirsch den Hund angegriffen hatte und ihn mit seinem Geweih aufgespießt; der Hund war nicht mehr zu retten gewesen, gleichwohl Marcus extra einen medicus – der die Behandlung wohl nur des vielen Geldes wegen übernommen hatte – geholt hatte; Marcus war einige Wochen sehr betrübt gewesen, womöglich auch, weil seine Ehefrau damals ihm noch zusätzlich zugesetzt hatte, wenigstens hatte er damals seinen kleinen Sonnenschein gehabt. Daß mit dem Schwert und Reiten überging Marcus erstmal, die Frage nach dem Falken beschäftigte ihn viel mehr.

  • Er betrachtete den Römer und stellte fest,dass er nicht nur seine Neugier geweckt hatte. Nein, es bestand offenkundiges Interesse bei ihm. Auch sein düsterer Blick war etwas gewichen. Es verwunderte ihn schon, dass diese Art des Jagens hier nicht bekannt sein sollte. Selbst bei den Nachbarvölkern der Parther jagte man auf diese Weise schon seit Generationen. Ein Berkutschi, der mit seinem Steinadler auf die Jagd ging, konnte auf diese Art selbst Wölfe erlegen. Cassim jedoch zog dem seinen Falken vor, den er vor einigen Jahren selbst aufgezogen hatte und ihn anschließend auch für die Jagd abgerichtet hatte. Damit konnte er zwar nur kleineres Wild erlegen. Aber was gab es schöneres, als ein am Lagerfeuer zubereitetes Rebhuhn sich schmecken zu lassen, welches man zuvor selbst erlegt hatte?
    Wirklich eigenartig, dass all das nicht bekannt war! Aber was konnte man auch schon von so einem barbarischen Volk, wie dem römischen, erwarten? Er wusste zwar nicht allzu viel von diesem Volk. Nur dass, was er von seinem Sklaven erfahren hatte. Jedoch das, was er gehört hatte, war nicht sehr erstrebenswert. So befand er es jedenfalls. Wie und ob man im Land des Feindes jagte, war Cassim nicht bekannt. Nach der Frage des Römers zu schließen, war es mit dem Jagen allerdings nicht allzu weit her.
    "Ja, mit einem Falken, " sagte Cassim schließlich, um die eine Frage des Römers damit zu beantworten. "Man reitet auf einem Pferd, der Falke ruht auf der Hand seines Herrn. Man schützt dafür eigens seine Hand mit einem Lederhandschuh. Solange der Vogel ruht, trägt er eine Haube, die seinen Kopf verdeckt und nur seinen Schnabel frei lässt. So beruhigt man das Tier. Nimmt man die Haube ab, erhebt sich der Falke und folgt seinem Jagdtrieb. Aus dem Flug stürzt er sich dann auf seine Beute. So kann man Rebhühner, Hasen oder auch Kaninchen erlegen. Man benötigt auch noch einen guten Vorstehhund. Nur wenn beide Tiere gut miteinander zusammenarbeiten, ist der Erfolg der Jagd sicher." Einen solchen Hund hatte er auch besessen. Auch ihn hatte er über die Jahre selbst ausgebildet. Der Hund, der Vogel und der Jäger hatten stets eine Einheit gebildet. Fast wäre Cassim schon ins Schwärmen geraten, doch bei Zeiten erinnerte er sich wieder, wo er war und wem er von seiner Leidenschaft berichtete. Mittlerweile war ihm auch Hannibal aufgefallen, der immer noch abseits stand. Jedoch ließ er sich von seiner Anwesenheit nicht stören.
    "Um mit einem Falken jagen gehen zu können, bedarf es einiges an Übung. Nicht nur für den Falken oder für den Hund, " gab er schließlich noch zu bedenken.

  • Die mutatio laboris der venatio – die man der Jagd auch gerne nachsagte – war durchaus von Interesse für Marcus, einer seiner liebsten Beschäftigungen in seiner späten Jugendzeit und seinem Erwachsenenalter; ob in der Landschaft um Baiae oder den Gefilden von Ägypten, an vielen Stellen war er ihr schon nachgegangen, mit lebhaft interessierten Augen sah er darum den Parther an und vergaß für einige Herzschläge lang sogar, daß der Feind vor ihm stand, gegen den er so viele Monate erbittert gekämpft hatte, dem er im Grunde auch die Wunde am Bein verdankte – selbst wenn Cassim nichts dafür konnte. Marcus stützte sich mit einer Hand auf dem Oberschenkel seines gesunden Beins ab und beugte eine Nuance nach vorne, ganz als ob es was bringen würde, um das Gesagte beßer zu verstehen. Nachdenklich musterte Marcus schließlich Cassim, er zog mal die Augenbrauen zusammen, legte den Kopf etwas zur Seite und sann über die Möglichkeit mit einem Greifvogel zu jagen, wirklich großes Wild würde sich nicht damit erlegen laßen und war nicht die Eber oder Löwenjagd dem von Kleinwild vorzuziehen, die Aufregung und Spannung sehr viel packender?


    „Interessant!“
    , murmelte Marcus leise und hob die rechte Hand, um sich an der Wange zu kratzen. Die persikos tropos, die persische Art der Jagd hatte natürlich nicht nur bei den Griechen Schule gemacht, sondern auch schon lange in Italien, Marcus hatte früher auch lybische Pferde eigens für die Hetzjagd beseßen, aber das mit dem Falken war Marcus noch gänzlich unbekannt. Er ließ seine Hand sinken und bekam in dem Augenblick einen blitzartigen Einfall. Zufriedenheit glitt über seine Gesichtszüge, er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich wieder etwas zurück. Einen Moment schwieg er, um seine Gedanken auch in Worte faßen zu können.


    „Dann haben wir schon die erste Aufgabe für Dich, Cassim. Du wirst einen Falken oder einen Adler, je nachdem, was Dir beßer liegt, abrichten, um mir diese Art der Jagd zu demonstrieren. Außerdem möchte ich, daß Du drei Hunde für die Jagd vorbereitest. Entweder vertragi oder segusii. Wenn Du Dich geschickt anstellst und mich von Deinen Fähigkeiten überzeugst, kannst Du später weiterhin die Möglichkeit haben bei mir als venator tätig zu sein, wenn nicht...müßen wir wohl etwas anderes für Dich finden!“


    Marcus befand, daß er damit dem Parther durchaus eine großzügige Möglichkeit gab, sich als einer der beßeren Sklaven zu erweisen, einer, den man womöglich auch für höhere Aufgaben einsetzen konnte und der nicht die dreckigen, niedrigen Arbeiten vollführen mußte, aber als Patrizier konnten sie es sich auch eben leisten, den Sklaven spezielle Aufgaben zu zu weisen. Natürlich kam es auch Marcus zu Gute, denn er brauchte wieder Jagdhunde und hatte nicht die Zeit, sie selber aufzuziehen, außerdem wollte er unbedingt das mit dem Vogel sehen, womöglich selber lernen.


    „Du kennst Dich auch mit der Verfolgungsjagd aus?“

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