In der Villa Flavia | Der Botschafter einer hochstehenden Kultur oder: Ein parthischer Sklave

  • Lichtflecken tanzten über den Boden. Streiften die Gestalten, die in der Sklavenunterkunft waren, es waren nicht viele und so hatte der Medicus kaum Zuschauer. Erst als Cassim der Anweisung des Griechen nach kam, wandte Hannibal den Blick von dem parthischen Rücken ab und betrachtete ein schmales Fenster, durch das das wenige Sonnenlicht in die Unterkunft der Servi hinein fiel. Ein unbestimmtes Lächeln war auf Hannibals Gesicht zu sehen. Hannibal betrachtete die grünen Blätterflecken, die sich vor dem schmalen Fenster abzeichneten. Die eines Baumes, der davor wuchs und ihnen noch mehr von dem Licht stahl. "Die einzige Möglichkeit?" Der Grieche lachte. Es klang ziemlich schrill und gackernd. "Aber natürlich ist das nicht die einzige Möglichkeit, Sklave!" Der dicke Grieche beugte sich etwas nach vorne und fixierte Cassim. "Die andere Option wäre, das wuchernde und mit bösen Säften angefüllt Fleisch sich selber zu überlassen. Eventuell wächst es sich hinaus, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass der Weg Dich über den letzten Fluss führt, den die Menschen zu Gesicht bekommen in Anwesenheit des Fährmannes. Mir scheint, dass Du Deinem Herrn wohl teuer genug bist, dass ich Dich behandeln soll. Schließlich sind meine Dienste nicht kostenlos, nicht so wie bei Sklaven. Pfff! Zu einem Sklaven werde eigentlich nicht gerufen." Atheus schüttelte indigniert den Kopf. Atheus war natürlich nur einer von vielen Medici in Rom und jeder Medicus propagierte seine eigene Meinung und sein eigenes Vorgehen bei der Behandlung. Aber es waren nicht die Methoden, die zählten, sondern der Erfolg. Der in mancher Hinsicht bei Atheus gegeben war, selbst wenn er bei solchen chirurgischen Eingriffen durchaus mehr als die Hälfte der Patienten verlor. Dennoch war Atheus sehr von sich eingenommen, was 'seine' Schule der Heilkünste an ging. Gerade kam der Junge wieder herein und schleppte einen kupfernen Kessel mit sich, aus dem es heiß dampfte.


    Sorgfältig begann Atheus alles vorzubereiten, er tauchte die Instrumente in das heiße Wasser, legte sie auf ein Leinentuch, er wusch sich sogar noch die Hände und betrachtete kurz den Sklaven. Etwas Opium zum betäuben? Atheus schüttelte den Kopf. Zu viel Ausgaben, die Atheus zudem für einen Sklaven als unnötig erachtete, würde der Flavier sicherlich nicht schätzen. Und eigentlich hoffte Atheus, dass er weiterhin in diesen Haushalt gerufen würde, schließlich waren gut bezahlende Kunden für Atheus unschätzbar wichtig und er wollte sie sich möglichst warm halten. Atheus sah auf und zu Hannibal. "Halte ihn an den Schultern fest!", wies er Hannibal herrisch an. Dieser erhob sich schweigend und trat von hinten an das Lager heran, um seine Hände auf die blossen Schultern von Cassim zu legen. Wobei Hannibal sich bemühte, einen vollkommen neutralen Ausdruck zu behalten. Atheus beugte sich vor und langsam näherte sich das Skalpell dem wuchernden Fleisch. Ohne Vorwarnung schnitt Atheus in das eitrige Fleisch hinein.

  • Cassims Antlitz verfinsterte sich. Der Grieche machte sich auch noch lustig über ihn. Dieses schrille Lachen, am liebsten hätte er ihm den fetten Hals umgedreht! Wenigstens sehnte sich seine Faust, Atheus´ Gesicht zu deformieren. Doch dazu war keine Zeit mehr. Ehe er sich versah, hatte ihn der Grieche angebunden. Um ihn ruhig zu stellen, redete er weiterhin unvermindert auf ihn ein. Allerdings war diese Methode alles andere als beruhigend. Im Gegenteil! Aus seiner liegenden Position konnte er die Vorbereitungen des medicus beobachten, was ihn noch mehr irritierte. Er spürte in sich jenen unbändigen Drang, sich aufbäumen zu wollen und davonzurennen. Alleine das Wissen, dadurch das Gesicht zu verlieren und hinfort als Memme zu gelten, hielt ihn zurück. So ergab er sich seinem Schicksal. Wie bei einer Folterprozedur zeigte Atheus seinem Opfer noch einmal sämtliche Instrumente, mit denen er ihn zu quälen gedachte. Beim Anblick der metallenen Gegenstände wurde es ihm kalt und heiß zugleich. Er hoffte darauf, sogleich in einen tiefen Schlaf zu fallen, nachdem der medicus ihn betäubt hatte. Er betäubte ihn doch noch, nicht wahr? Gänzlich fassungslos verfolgte Cassim jeden Handgriff des Griechen, der alles andere tat, als Anstalten zu machen, ihn zu narkotisieren.
    Dann spürte er den kräftigen Griff von Hannibals Händen auf seinen nackten Schultern. Vergeblich versuchte er, sich noch rechtzeitig aus dem Griff zu befreien. Die Chance auf ein Entkommen war längst verstrichen. Dann nahm er plötzlich den bestialischen Schmerz in seiner Brust wahr, als Atheus sich an ihm zu schaffen machte. Ein markerschütterndes Schreien folgte. Seine Finger gruben sich fest in das Laken, auf dem er lag. Es war, als wollte der Wahnsinn sich ihm bemächtigen. Dann, nach unendlichen Qualen fiel Cassim in eine tiefe Ohnmacht. Sein Schreien verstummte jählings.

  • Was noch geschah, was noch passierte? Dies wurde vom Schleier der Bewusstlosigkeit verdeckt, in die der parthische Sklave fiel, nachdem nun das Skalpell in das orientalische Fleisch schnitt, um die üblen Säfte und die schwärenden Stellen zu entfernen. Gnädig war da wohl eine solche Schwärze, die keinen Schmerz mehr zulassen würde. Wieviel Zeit verging? Auch das verschwamm an jenem Tag....


    Etwas später und immer noch in der Unterkunft der Sklaven:
    Mit einem Putzlappen in der Hand und auf seinem eigenen Lager saß Hannibal. Er tunkte den Lappen in ein kleines Holzbehältnis, das mit einem schmierigen Ölfett gefüllt war. Mit dem Lappen strich er langsam über die Klinge seines Dolches entlang und wischte all die Spuren hinfor, die Zeit und Tat daran hinter lassen hatte. Selbst wenn er den Dolch nicht oft brauchte, so pflegte er ihn doch gut. In manchen Nächten brodelte es in der Stadt. Die Klinge glänzte im Sonnenlicht. Zufrieden drehte Hannibal den Dolch hin und her und betrachtete die Schneide. Schärfen würde er sie vielleicht später noch. Notwendig war es im Moment nicht. Er liess den Dolch sinken und seine Augen wanderten zu dem Parther, der nun verbunden auf dessen neuen Lager lag. Nachdenklich betrachtete Hannibal den Orientalen. Mit Sicherheit würde jener Mann noch Ärger machen. Der unbeugsame Stolz eines in Freiheit geborenen Mannes. Der Widerwille vor dem Sklavendasein. Hannibal zuckte mit der Schulter. Nicht sein Problem. Hoffentlich. Er senkte wieder den Blick und strich mit dem Lappen noch einmal über den Dolch. Er meinte, dass der Atem von Cassim sich veränderte. "Wieder unter den Lebenden?" Hannibal faltete den Lappen und legte ihn zur Seite, ebenso den Dolch. "Der Medicus sagt, dass Du am Leben bleibst, wenn Du die nächsten Tage überstehst." Jetzt sah Hannibal doch auf und wieder zu dem Parther.

  • Tiefe schwarze Nacht hatte Cassim umschlossen. Traumlos und frei von jeder Pein. Stunde um Stunde war vergangen, in der der gequälte Körper nach dem verlangte, was ihm zustand. Gleichmäßig atmend, von den Bändern, die ihn fixiert hatten, befreit, lag er nun friedlich da. Langsam lichteten sich die Schleier und ein heller Punkt in der Ferne durchbrach die Dunkelheit. Jener helle Punkt bewegte sich auf ihn zu. Bald war er so nah, dass er blinzeln musste. Vorsichtig öffnete er einen Spalt breit die Augen. Gedämpftes Licht, welches er als angenehm empfand, machte es ihm leichter, die Augen aufzuhalten.
    Ein Bild ging hinein. Es war noch immer die Sklavenunterkunft, in der er sich befand. Ein frisches Laken umschlang seine Nacktheit. Ein dezentes Geräusch drang an sein Ohr. Er war nicht allein. Suchend drehte er seinen Kopf zur Seite und bald schon erkannte er den Sklaven, der ihn hergebracht hatte- Hannibal. Ein Schmerz durchzuckte seinen Körper, der ihn aufstöhnen ließ. Cassims schmerzverzerrter Blick blieb an Hannibal haften. Teilnahmslos nahm er wahr, womit sich der Sklave beschäftigte. Ein Dolch, ein Lappen. Nichts was ihn aus seiner momentanen Lethargie hätte reißen können. Schleichend überkam ihn aber der Gedanke, was mit der Klinge geschehen sein musste, die er beim Rasieren gestohlen hatte. Er hatte sie versteckt unter seiner Tunika getragen. Diese Tunika lag nun ordentlich zusammengefaltet auf der Truhe neben seinem Lager. Die Klinge war mit hoher Wahrscheinlich entdeckt worden, während er schlief, dessen war er sich sicher.
    Hannibals Stimme drang an Cassims Ohr. Seine Lippen versuchten einen Satz zu formen, die Stimme jedoch wollte ihm versagen. Seine Kehle war zu ausgetrocknet. Nur ein Krächzen konnte er sich entlocken, nur schleppend entwickelten sich verständliche Worte daraus. "Wssr.. Wassr!"

  • Vor der Tür hörte Hannibal Schritte auf und abgehen, als jemand vorbei kam. Wohl einer der Sklaven, die geschäftig ihrem Tageswerk nach gingen. Er steckte den Dolch wieder in die Lederumhüllung zurück. Dann legte er ihn zur Seite und erhob sich von seinem nicht oft genutzten Lager. Das Wasser gluckerte aus dem tönernen Gefäss in einen einfachen Holzbecher, den Hannibal umgriffen hielt. "Zäh im Nehmen scheinst Du immerhin zu sein, Cassim." Hannibal drehte sich um und trat an die Seite von dem anderen Nachtlager, um sich herunter zu beugen und Cassim das Wasser hin zu halten. "Kannst Du alleine trinken oder soll ich Dir helfen?" Verletzt zu sein war einfach übel. Ab und an hatte Hannibal es am eigenen Leib erfahren. Und er hatte die Untätigkeit und die Hilflosigkeit gehasst, die er dabei verspürte. Hannibal zog einen hölzernen Schemel heran, der auf drei Beinen neben dem Lager stand und nahm darauf Platz, falls der Parther doch noch Hilfe beim Trinken brauchte. Bei der Verletzung war Cassim auch übel dran. Es schien Hannibal ein Wunder, dass er nicht auf dem Transport vom fernen Orient bis hier her verstorben war.


    Nachdenklich musterte Hannibal den Parther. Selbst wenn durchaus Neugier in Hannibal brannte, so zügelte er diese. Hannibal winkte einen anderen Sklaven in der Unterkunft heran, sagte leise etwas zu ihm. Der verschwand und nicht lange danach kam eine Sklavin herein, die ein Tuch um ihre Haare geschlungen trug, eine breite Schürze und ein hölzernes Brett in der Hand. Darauf stand eine Holzschale, aus der es dampfte. "Der Medicus hat Dir erst mal flüssige Sachen verordnet, die ersten Tage. Fleischbrühe. Ansonsten wird er nicht noch mal nach Dir schaun. Lydia hier wird sich darum kümmern, dass Deine Verbände gewechselt werden." Die Sklavin, die mehr bäuerlich wirkte, sah unter ihren Wimpern Cassim scheu an und stellte schnell die Suppe neben dem Lager ab. Zögernd legte sie ihre Hände auf ihre nicht mageren Hüften ab und sah fragend zu Hannibal und Cassim. "Danke, Lydia!" Lydia, die Sklavin nickte und sah noch mal mit ihren moosgrünen Augen zu Cassim, ehe sie sich umdrehte und aus der Sklavenunterkunft verschwand.

  • Sim-Off:

    Oh, das habe ich leider übersehen! Man möge mir verzeihen!


    Das Geräusch des ersehnten Wassers, welches in einen Becher gegossen wurde, weckten seine Sinne. Vorsichtig versuchte er seinen Kopf anzuheben. Jedoch die kleinste Bewegung verursachte einen schneidenden Schmerz in seiner Brust. Der Parther versuchte ein lautes Stöhnen zu unterbinden. Sein Gesicht verzerrte sich zusehends. Der Schmerz flammte wieder auf und wollte ihn nun verzehren.
    Hannibal war an sein Lager getreten und hielt ihm, den mit Wasser gefüllten Becher hin. Dem Parther war es nicht möglich, ohne Hilfe zu trinken. Er schaffte es nicht, sich alleine aufzustemmen. Diese Hilflosigkeit machte ihm schwer zu schaffen. Sie wollte so gar nicht zu ihm passen. Er hatte allerdings keine andere Wahl, wollte er noch in den Genuss des Wassers kommen.
    Diese Wunde hatte ihn in den letzten Wochen einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Wie ein schwelender Brand war sie da gewesen. Nach seiner Gefangennahme hatte man die Wunde versorgt und beinahe wäre sie auch gut verheilt, hätte man sich hernach noch um sie gekümmert. Dies war jedoch nicht der Fall gewesen. So entzündete sie sich von Neuem und machte ihm seither zu schaffen. Sollte sie nach diesem Eingriff letztendlich doch noch verheilen, so wollte er alle Schmerzen und Bürden auf sich nehmen.


    "Bitte, hilf mir! Hilf mir auf!", stöhnte er leise. Wenn es Hannibal gelingen wollte, ihn aufzusetzen, dann konnte Cassim selbst trinken. Ja, das musste gehen!
    Durch seine liegende Position, war sein Blickfeld eingeschränkt. Dadurch war es ihm entgangen, wie Hannibal einen Sklaven heranwinkte und diesem etwas zuflüsterte. Erst die herantretende Sklavin, die von Hannibal Lydia gerufen wurde, entzog sich nicht mehr seinem Gesichtskreis. Er musterte die Frau mit den grünen Augen, während sie die Suppenschale neben seinem Lager abstellte. Er sah in ihr eine einfache Magd, die nie die Ambitionen zu höherem besessen hatte. Sie wirkte müde und verbraucht. Der verblasste Glanz, vergangener Schönheit haftete ihr noch an. Cassim sah ihr noch nach, als sie sich umdrehte und schließlich verschwand.

  • Sim-Off:

    Man tut. Kein Problem, da er (Hannibal) selber immer etwas länger braucht. ^^


    Die Augen von Hannibal ruhten auf dem Parther, den er unverhohlen musterte. Als selbiger der Magd hinter her sah. Die Züge waren vom Schmerz noch verzerrt, dennoch zeigte sich erneut dieser Stolz. Der selbst in der Ohnmacht unter dem Messer des Medicus nicht gewichen war. Vielleicht war das auch der besondere Reiz, dem diesem Parther anhaftete und den durchaus schon attraktiven und markanten Gesichtszügen noch etwas besonderes verlieh. Nun gut, werte Leser, die sich bemühen, diese Zeilen zu verfolgen, mancher wird sich noch erinnern, dass Hannibal nun mal etwas für die störrischen Rebellen übrig hatte. Doch Hannibal gedachte nicht, Cassim länger zappeln zu lassen und ihm das Wasser zu verwehren. Er griff nach Cassims Oberarm und an seiner anderen Schulter und half ihm, sich aufzusetzen, mit einer Hand stützte er ihn und zog das mit Stroh gefüllte Kissen heran, um es in den Rücken von Cassim zu stopfen, damit jener etwas erhöhter sitzen konnte. Gleichzeitig verfolgte Hannibal mit seinen Augen die Gesichtsregungen von dem Parther. Das musste ganz schön höllisch weh tun, aber der Mann behielt eine bewundernswerte Fassung. Eben ein Mann mit Stolz. Hannibal lächelte schief und griff nach dem Becher, um ihn an Cassim weiter zu reichen.


    "Du wirst die Verwundung bestimmt gut überstehen!" Obwohl sie in den letzten Wochen so schlecht versorgt worden war. Aber Cassim schien ihm ein Mann zu sein, der robust war und einiges vertragen konnte. Somit war Hannibals Optimismus nicht nur geheuchelt, sondern ehrlich. Hannibal lehnte sich etwas zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Augen immer noch unverwandt auf dem Parther gerichtet. Hannibal sah zwar nicht dorthin, wo er eben den Becher ergriffen hatte, aber er wusste, das genau dort auch das Rasiermesser lag. Was er bei Cassim vor wenigen Stunden gefunden hatte. Wahrscheinlich hatte es Cassim bei seiner Bewegung vorher auch gesehen. Vielleicht auch nicht. Jetzt sah Hannibal doch hinüber und musterte die scharfe Klinge etwas länger. "Du kannst sie später wieder in das Badezimmer bringen. Oder auch nicht. An Waffen wirst Du hier überall heran kommen, Cassim. Ob es ein Fleischermesser aus der Küche ist, das Fallbeil vom Hinterhof oder das Messer aus dem Bad. Aber ob das zu einer Flucht reicht, wage ich zu bezweifeln." Hannibal zuckte mit der Schulter. So wie er den Mann einschätzte, vermochte Cassim auch den Sklaven, die sich ihm in den Weg stellten, ohne Waffen schwer zu verletzen. Schließlich schien Cassim ein Soldat zu sein, wenn Hannibal auch nicht ganz verstanden hatte, was für eine Einheit gemeint war. "Wenn Du sie behälst, ist mir das auch egal." Hannibal sah gelassen und ruhig zu dem Parther und betrachtete dessen Gesichtszüge.

  • Ein schmerzerfüllter Seufzer entfuhr dem Parther, als Hannibal nach seinem Oberarm gegriffen hatte und ihm auf half. Er war dem Sklaven überaus dankbar, auch wenn ihm diese Aktion Schmerzen verursacht hatte. So konnte er wenigstens selbst trinken und war selbst bei dieser elementaren Tätigkeit nicht aud fremde Hilfe angewiesen. Cassims Augen folgten Hannibals Hand, die nach dem Becher griff. Ihn durchfuhr ein Schrecken, als er das Rasiermesser neben dem Becher liegen sah. Es war also entdeckt worden. Er hatte es entdeckt!
    Dieser Hannibal, er war schon ein seltsamer Geselle. Wie er ihn so ansah. Man hätte meinen können, der Sklave sei nun, nachdem er sein Messer gefunden hatte, hinter alle Geheimnisse des Parthers gekommen. Vielleicht war er das ja auch. Wer konnte schon mit Gewissheit sagen, was noch alles während seiner Bewusstlosigkeit geschehen war.
    Cassim nahm einen hastigen Schluck. Das kühle Wasser rann überstürzt seine Kehle hinunter und verursachte dem Parther einen Hustenreiz. Wie zu erwarten war, rief der Husten neue Schmerzen in Cassims Brust hervor. Er verzog das Gesicht und übergab Hannibal den Becher wieder. Beim nächsten Mal sollte er nicht so überstürzt trinken.


    Hannibal sah optimistisch in die Zukunft, zumindest was Cassims Wunde betraf. Er selbst hatte seine Wunde zwar als störend jedoch nicht als lebensbedrohlich empfunden. Wenn er nun darauf bedacht war, sie zu pflegen, dann wäre sie in einigen Wochen wieder verheilt und seine Kräfte, die jetzt noch geschwächt waren, wieder zurück. Dann konnte er damit beginnen, Pläne zu schmieden, die ihn wieder von hier fort bringen würden. Er hatte nicht vor, den Rest seines Lebens als Sklave zu verbringen. Wie das bei Hannibal war, konnte er nicht so richtig einschätzen. Anfänglich hatte er den Sklaven für einen, seinem Herrn treuergebenen Lakaien gehalten. Der Sklave verwirrte ihn aber zunehmend, was dazu führte, dass Cassim ratlos schien, wenn er beschreiben sollte, wie Hannibal war. Daran änderte sich auch nichts, als der Sklave das Rasiermesser ansprach. Cassims Blick schnellte sofort wieder zu dem Messer. "Du wirst mich demnach nicht verraten?" Die Gleichgültigkeit, die Hannibal suggerierte, verunsicherte Cassim nur noch mehr. "Hast du jemals an eine Flucht gedacht, Hannibal?" Vielleicht hatte er in dem Sklaven bereits einen geeigneten Mitsteiter gefunden. Auch wenn er in selbst nicht begleiten sollte, so konnte ein Helfer immer nützlich sein.

  • Der Nachmittag an jenem Tage zeigte sich schon nicht mehr von seiner jüngsten Seite. Die Sonne war schon hinter der nächsten Baumgruppe weiter gezogen und beleuchtete nicht mehr die schmalen Fenster des Sklavenunterkunft. Die düsteren Ecken in der Unterkunft waren größer geworden. Die Öllampen erhellten den Raum nur mässig. So flackerte der Schatten auf dem Gesicht von Hannibal. Just als er die Frage von Cassim vernahm und ihn ausdruckslos musterte. Der Glanz in seinen Augen war von dem Zwiellicht in dem Raum verborgen. Flucht? Flucht wovor? Vor der Sklaverei, die er immer so gekannt hatte? Hannibal schwieg und betrachtete die Gesichtszüge des Parthers. Der Mann hatte etwas von einem der wilden Raubtiere, die gefangen genommen worden waren. Gerade in der ersten Zeit waren sie gefährlich. Jeder Hieb konnte tödlich sein und sie versuchten immer wieder zu flüchten. Indem sie ihre schweren Körper unaufhörlich gegen die Gitterstäbe warfen. Egal, ob es sinnlos war oder nicht. Doch selbst nachdem sie sich scheinbar nach langer Zeit beruhigt hatten, würden sie nicht aufgeben und waren nicht minder gefährlich. "Das werde ich nicht. Dich verraten. Es ist Dir oblassen, zu fliehen oder nicht. Zumindest, es zu versuchen. Wie auch Du die Verantwortung für Dein Tun tragen musst. Und wenn Dich der Weg an das Kreuz führt." Was nicht unwahrscheinlich war, wenn man als flavischer Sklave floh. Das erste Mal vielleicht noch nicht gleich, aber ein zweites Mal würde das wohl nicht toleriert werden. Zumindest nicht, als Hannibal noch in Baiae gelebt hatte. Dort waren die geflohenen Sklaven sogar schon beim ersten Versuch an das Kreuz gehängt worden.


    "Ich war schon mein ganzes Leben lang ein Sklave. Ich bin in Baiae aufgewachsen, wo auch unser Herr gross geworden ist. Natürlich habe ich mir schon oft gewünscht, auch ein anderes Leben zu erfahren." Hannibal fixierte einen flüchtig umher tanzenden Schatten an einer der Wände. "Er hat es mir früher einmal versprochen. Dass ich eines Tages die Freiheit erhalte. Ich glaube mittlerweile nicht mehr daran." Es war das erste Mal, dass Hannibal das aussprach. Aber in den letzten Monaten war es für ihn zur Gewissheit geworden. Zur scheinbaren. Er sah von der Wand zu Cassim zurück. "Wohin sollte ich fliehen, Cassim? Was bringt mir eine Flucht? Vermagst Du mir das zu beantworten? Müsste ich nicht mein Leben lang auf der Flucht sein?" Keine Vorstellung, die ihm sonderlich behagte. Er war nun mal in Italien geboren worden und hier wollte er auch gerne weiter bleiben. Es war seine Heimat. Eine Andere hatte Hannibal nicht.

  • Der Blick des Parthers lag angespannt auf Hannibal. Wie würde er sich entscheiden? Für Cassim stand es außer Frage, den Rest seines Lebens in Sklaverei zu verbringen. Die Sklaverei sollte lediglich eine kurze, wenn auch schmachvolle Episode in seinem Leben sein. Er wusste, warum er nach der Freiheit strebte. Er hatte es stets vor Augen gehabt und besonders in den Momenten, in denen er zu Ruhe kam, übermannte ihn seine Sehnsucht nach der Heimat, seiner Familie und seinem Besitz. Dies alles rechtfertigte eine Flucht. Hätte er all das bereits verloren, wäre es ihm wahrscheinlich leichter gefallen, sein Schicksal zu akzeptieren. Doch Cassim war sich gewiss, zu Hause erwartete man ihn bereits ungeduldig und er sah es als seine Pflicht, nicht nur als Soldat, auch als Sohn, Ehemann und Herr über seine Sklaven, zurückzukehren.


    Erleichtert atmete Cassim auf, als ihm Hannibal versicherte, er würde ihn nicht verraten. Im gleichen Atemzug machte er ihn allerdings auch darauf aufmerksam, welche Konsequenzen es mit sich zog, wenn man ihn im Falle einer Flucht wieder aufgreifen würde. Er war sich bewusst, eine gescheiterte Flucht konnte sein Leben kosten. Der Römer hatte ihm dies auch in aller Deutlichkeit mitgeteilt. Doch das nahm er in Kauf.
    "Lieber einen elenden Tod am Kreuz sterben, als auf ewig Sklave sein zu müssen! Ich habe eine Familie, Hannibal! Sie warten auf mich! Du kennst nichts anderes. Hast in deinem Leben nichts anderes erfahren, was es heißt, Sklave zu sein und doch ist es dein Wunsch, einmal frei zu sein."
    Trotz seiner Schmerzen, die die Wunde verursachte, versuchte sich der Parther aufzustemmen. Sein schmerzerfüllter Blick blieb fest an Hannibal haften. "Komm mit mir mit, Hannibal! Zusammen werden wir es schaffen! Verlasse dich nicht auf irgendwelche Versprechen, die eh niemals eingelöst werden! Diese Römer sind doch nur verlogene und ehrlose Hunde! Du fragst mich, was dir eine Flucht bringt? Sie bringt dir die langersehnte Freiheit, mein Freund! Komm mit mir mit nach Parthia! Dort kannst du ein neues Leben in Freiheit beginnen und mußt nicht fürchten, jemals entdeckt zu werden!" Wenn er mit ihm kommen würde, dann wollte Cassim alles tun, um ihn zu unterstützen. Er konnte ein zufriedenes und freies Leben leben in Duras Europos. Dafür würde Cassim Sorge tragen. Hannibal musste es nur wollen!

  • Es war nicht das erste Mal, dass ihn jemand zur Flucht überreden wollte. In der Villa in Baiae waren immer wieder Sklaven gewesen, die, ähnlich wie Cassim, schon die Freiheit gekostet hatten. Und vielen erging es so wie Cassim. Sie hatten den Drang, dort zurück zu kehren, wo sie wieder frei sein konnten. Ihr altes Leben fortführen. Bisher hatte das Hannibal jedoch kalt gelassen. Er war ein flavischer Sklave in der siebten Generation und bisher immer treu gewesen. Flucht? Wohin? Weder die Kelten, noch die Germanen hätten Hannibal überzeugen können mitzukommen. Auch nicht die Nubier, die wieder in den Süden der afrikanischen Provinzen zurück kehren wollten. Doch hier? Hier war es mit einem Mal anders. Natürlich lagen die üblichen Worte auf Hannibals Lippen. Eine Absage und ernüchternde Worte über eine Flucht. Wie viele Sklaven hatte er in Baiae am Kreuz enden sehen ihres Traumes wegen? Es waren zu viele gewesen. Gerade im Süden wurde keine Gnade gezeigt bei soetwas. " Ich..." Hannibal sprach ein Wort und verstummt. Er sah von dem Parther weg und auf eine flackernde Öllampe, die die Dunkelheit des Abends durchbrach. "Italia ist meine Heimat! Es ist nicht nur die Sklaverei, Cassim, die mich hier hält." Schatten wanderten über Hannibals Gesicht. " Es gibt ein paar Menschen hier in Italia, die mir viel bedeuten." Nadia, die er immer noch nicht aufgegeben hatte, dann Faustus, der ihm doch so überschwänglich seine Liebe gestanden hatte, aber auch die kleine Dido, die er unmöglich alleine zurück lassen würde. "Ich habe eine Tochter. Sie ist auch Sklavin bei den Flaviern, wie alle Kinder von uns flavischen Sklaven. Ich könnte sie nicht zurück lassen."


    Mit einem Mädchen zu fliehen, würde sich noch schwieriger gestalten. Mit Dido auf jeden Fall, die fanatisch den Flaviern diente und wohl nicht so einfach mitkommen und wahrscheinlich sogar ihre Flucht sabotieren würde. Moment mal, Hannibal ertappte sich selber schon dabei, tatsächlich ernsthaft über eine Flucht nachzudenken. Denn ganz unmöglich war so eine nicht, das wusste er. Es war einem Sklaven in der Vergangenheit von Hannibal auch gelungen. Es brauchte nur die richtigen Verbindungen und eine gute Organisation, zudem eine Portion Glück. Hannibal rieb sich die Knöchel seiner Hand und runzelte nachdenklich die Stirn. Drei Bande hielten Hannibal noch hier, die er noch nicht lösen konnte. " Du hast eine sehr überzeugende Art, Cassim." Hannibal grinste schief, was jedoch sofort wieder schwand und einem ernsten Ausdruck Platz machte. " Ich...ich muss darüber nachdenken. Parthia soll sehr schön sein, aber Italia ist meine Heimat, ich müsste viel aufgeben. Ich denke darüber nach und Du erholst Dich besser jetzt erstmal, so wirst Du sicherlich nicht fliehen können." Hannibal lächelte matt und erhob sich. Der Keim war jedoch in ihm gepflanzt. Zum ersten Mal in seinem Leben. "Wenn Du etwas brauchst, dann rufe die Sklavin von vorhin. Sie soll sich darum kümmern dann, so lange Du noch verletzt bist." Hannibal nickte Cassim zu und drehte sich um, doch noch ehe er die Sklavenunterkunft verliess, warf er noch mal einen nachdenklichen Blick auf Cassim. Eine Flucht? Weg von Italia und Rom? Einen Neuanfang wagen? Grübelnd wandte sich Hannibal um und ging.

  • Der Parther beobachtete gespannt die Züge des Sklaven. Hannibal musste erst einmal Cassims Angebot verarbeiten. Es war eine Entscheidung fürs Leben, das wusste er und er hatte Verständnis dafür, wenn Hannibal sich nicht gleich entscheiden konnte.
    Was der Sklave aber dann antwortete, versetzte den Parther in Erstauenen. Er hatte damit gerechnet, dass Hannibal im Laufe seines Lebens Wurzeln geschlagen hatte, von denen er nicht so einfach trennen konnte. Doch als er hörte, Hannibal habe eine Tochter, die er nicht zurücklassen könne, war Cassim erst einmal wie gelähmt. Darauf konnte er im ersten Moment nichts erwidern. Wie alt war das Mädchen? Konnte sie die Strapazen einer Flucht überstehen? Cassim wusste, eine Flucht war kein Zuckerschlecken. Doch er brauchte jemanden, der ortskundig war und der sich mit den örtlichen Gegebenheiten besser auskannte, als er selbst. Sehr gerne hätte er ihm zugerufen, nimm sie doch mit! Doch er ließ es dabei. Das war Hannibals eigene Entscheidung. Nur er konnte darüber befinden.
    "Denke darüber nach, Hannibal! Mein Angebot steht. Ich werde wieder gesund werden. Lass uns dann weiter sprechen. Ich danke dir für alles!"
    Der Parther erwiderte Hannibals nicken und sah dem Sklaven noch nach, als er die Sklavenunterkunft verließ. Cassim schloss die Augen und versuchte ein wenig Ruhe zu finden. Innerlich war er aufgewühlt, denn die Chancen, bald von hier weg zu kommen, standen nicht schlecht. Er würde Hannibal noch dazu bewegen können, ihm zu helfen. Auch wenn er nicht mitkommen wollte, in diesem Sklaven war der Keim der Freiheit gesät worden. Nun war nur noch abzuwarten, wie sich dieses zarte Pflänzchen entwickelte.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!