Frischer Wind in alten Blättern

  • Ein Park im Frühling. Funkelnde Sonnenstrahlen suchen sich ihren Weg durch lichtes Geblätt und zeichnen verschlungene Muster in unterschiedlichsten Schattierungen auf dem Boden, auf zitternden Grashalmen, an deren Spitzen noch blitzender Morgentau hängt.


    Seiana saß auf einer Bank in einem kleinen Park nahe der Thermen. Sie hatte sich zwei neue Ausgaben der Acta besorgt und eine davon an Aelius Archias geschickt, mit einem kurzen Gruß dazu. Danach hatte sie eigentlich wieder nach Hause gehen wollen, aber Elena hatte eine bessere Idee gehabt: sie hatte vorgeschlagen, in eben diesen Park zu gehen und den Frühlingstag zu genießen. Die Sklavin hatte sich noch einmal auf den Weg gemacht, um etwas zu essen zu besorgen, so dass sie später hier picknicken konnten. Währenddessen hatte Seiana es sich bequem gemacht und wollte gerade anfangen zu lesen, als der Wind ein weiteres Blättchen herbeitrieb. Die Decima hob es auf und ihr Blick flog über die Worte, während ihre Augenbrauen sich leicht zusammenzogen.


    Sim-Off:

    reserviert

  • An den Thermen vorbei führte unser Weg vom Saturntempel zurück zur villa Aurelia. Wieder war ich zu Fuß unterwegs. Einerseits, um die Sonne zu genießen, andererseits, um ein wenig Bewegung zu haben. Seit Appius in Ägypten war und Ursus in Germanien weilte, hatte ich nicht mehr viel Abwechslung, was das Ringen angeht oder Thermenbesuche anbelangte. Aquilius war oft zu beschäftigt gewesen während seiner Zeit im cursus honorum, und nun steckte ich selbst wieder darin. Freizeit hatte ich während der Quästur seltsamerweise mehr als zur Zeit meines Vigintivirats. Die Bücher der Staatskasse zu prüfen war eine recht angenehme Arbeit, verglich man diese Tätigkeit mit dem Schreiben der Briefe die Erbschaften betreffend.


    Um dem Dreck der römischen Straßen zu entgehen, schlug ich mit meinen zwei Leibwächtern und Pyrrus im Schlepptau einen kleinen Umweg ein, der durch einen grünenden Park führte. Hier war es angenehmer zu gehen, das Zwitschern der Vögel wurde nicht durch das Geräusch krakeelender Händler oder torkelnder Trunkener überdeckt - und auch die schlanke Gestalt einer mir bekannten jungen Frau blieb nicht unentdeckt. Ich steuerte Decima Seiana an, die lesend auf einer Bank saß und ganz vertieft in ihre Lektüre schien. Das Knarzen der Kieselsteine verriet mein Näherkommen, und schließlich grüßte ich sie. "Ah, ja, in der Sonne sitzen und lesen ist recht angenehm. Salve, Decima Seiana. Darf ich?" Und ich wies auf die Bank neben ihr, während sich die Sklaven dezent und Pyrrus leise maulend etwas zurückzogen.

  • Der Papyrus, den ihr der Wind zugetrieben hatte, entpuppte sich als eine Ausgabe der Imago, und Seiana schwankte, ob sie es sofort wieder fallen lassen sollte. Die Überschrift machte sie dann aber doch neugierig, und so überflog sie die Seite. Ein Kopfschütteln konnte sie unterdrücken, ein zweifelndes Stirnrunzeln nicht. Als enge Verwandte eines aus parthischer Hölle Zurückgekehrten konnte sie sich mit dem Artikel über eben jene nicht sonderlich anfreunden, und als sie zur Rubrik puer diei kam, wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Ob Meridius davon wusste? Nicht dass es etwas bringen würde, irgendwelche Schritte einzuleiten, aber für den Fall dass ihn jemand mit einem dummen Spruch bedachte irgendwo in Rom, wäre es wohl besser wenn er überhaupt wusste, worum es ging…


    Als Seiana dann mitten in diesen Betrachtungen Schritte auf dem Kies hörte, ordnete sie diese einem Spaziergänger zu, der vorübergehen würde. So war sie doch etwas überrascht, als sie dann angesprochen wurde. Sie ließ die Imago sinken, hob den Kopf und beschattete ihre Augen mit einer Hand, dann lächelte sie, als sie den Mann erkannte. „Salve, Aurelius Corvinus. Gerne, ich freue mich über angenehme Gesellschaft.“ Sie nahm die Acta zur Hand, die noch unberührt neben ihr lag, legte sie zusammen mit der Imago auf ihren Schoss und machte so Platz für den Aurelier. Während dieser sich setzte, musterte sie ihn kurz. Sie hatte ihn im Grunde nur flüchtig kennen gelernt, auf der kleinen Feier, die ihr Onkel im Zusammenhang mit der Versammlung der Factio Aurata gegeben hatte, aber ihr Eindruck war positiv gewesen, und sie freute sich, ihn wieder zu treffen, und möglicherweise Gelegenheit zu haben, sich ausgiebiger mit ihm zu unterhalten. „Wie geht es Aurelia Prisca und Minervina? Ich hoffe, euch hat die kleine Feier neulich gefallen.“ Hatte sie selbst doch auch zumindest einen Teil dazu beigetragen.

  • Mehr beiläufig als gewollt fiel mein Blick auf das schreiend bunte Pergament in den Händen der Decima, und fragend blickte ich darauf hinunter, ehe sie es mit der Acta verdeckte und an einen Ort legte, den ich besser nicht so intensiv betrachtete wie eben noch die Abschrift der Staatszeitung. Decima Seiana hatte etwas Kindliches an sich, das jedoch nicht fehl am Platze war, sondern vielmehr zu ihr passte und ihr Liebreiz verlieh. Ich setzte mich und wandte mich ihr zu, als sie mich musterte. "Beide sind wohlauf und plündern vermutlich soeben die Märkte", erwiderte ich scherzend und blinzelte in die helle Sonne. "Ich werde sie gern von dir grüßen, wenn du möchtest."


    "Ja, es war doch recht angenehm. Allerdings kann ich mich an keine Begebenheit im Hause Decima erinnern, die nicht angenehm gewesen wäre. Senator Meridius ist ein ausgesprochen guter Gastgeber." Erneut huschte mein Blick zu den zwei Gegenständen auf ihren Oberschenkeln. Kurz sah ich ihr in die Augen, dann deutete ich mit daraufgerichtetem Blick und einem dezenten Wink meiner Rechten wieder auf die beiden Pergamente. "Das obere sagt mir etwas, aber was ist das darunter?" fragte ich sie. Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit wusste sie, dass ich der auctor der Acta war, und wenn nicht, so würde sie meinen Namen gewiss im Impressum gelesen haben. Neugierig musterte ich Seianas Gesicht und harrte der Auflösung des Rätsels.

  • Beiläufig wie der Blick des Aureliers war, fiel er Seiana nicht wirklich auf, und so war auch die Tatsache, dass sie die Imago mit der Acta verdeckte, von ihr unbeabsichtigt passiert. Sie las dieses Blatt normalerweise nicht, und tat es jetzt nur, weil es ihr zufällig in die Hände gefallen war und die Überschriften sie doch neugierig gemacht hatten – das war allerdings nichts, wofür sie sich schämte oder was sie bewusst verborgen hätte. So schmunzelte sie nur über den Scherz des Aureliers und dachte dabei an Elena, die die Gelegenheit gerade sicher nutzte, um selbst über die Märkte zu schweifen – obwohl Seiana die Idee gut gefunden hatte, im Park zu lesen, wussten sie doch beide, dass dieser Vorschlag von ihrer Leibsklavin nicht rein selbstlos gemeint gewesen war. „Wie gut, dass meine Leibsklavin gerade nicht hier ist. Ich glaube, sie wäre vor Neid gelb angelaufen, und spätestens heute Abend hätte ich mir wieder anhören dürfen, wie arm sie dran ist mit einer Herrin wie mir.“ Seianas Schmunzeln wurde ein Stück breiter und wurde zu einem aufrichtigen Lächeln. „Ja, richte ihnen bitte Grüße aus.“


    Ihr Lächeln blieb bestehen, als Aurelius Corvinus weitersprach. „Das wird meinen Onkel freuen zu hören – aber ich denke, mit angenehmen Gästen fällt es leichter, ein guter Gastgeber zu sein. Ich habe den Abend ebenfalls genossen.“ Der folgende Blick fiel ihr dann, im Gegensatz zum ersten, auf – und kurz darauf kam der Wink auf die beiden Blätter und ein entsprechender Kommentar. Seiana blickte kurz auf ihren Schoss hinab, wo die Titelseite der Acta zu sehen war. Dass der Mann neben ihr der Auctor war, war ihr in der Tat bekannt, las sie die Acta doch regelmäßig. Wieder verzog sich ihr Mund zu einem Schmunzeln, und in ihren Augen stand ein Funkeln, als sie das bunte Pergament hervorzog, das bisher verborgen gewesen war. „Imago. Man muss sich doch auf dem Laufenden halten, was die Konkurrenz so zu bieten hat.“

  • Ihren Kommentar sollte ich erst sehr viel später verstehen, nachdem ich ausreichend Zeit gehabt haben würde, nochmals darüber nachzudenken. In jenem Moment allerdings erschloss sich mir nicht, dass eine Sklavin neiderfüllt auf die Einkaufsgelüste zweier Patrizierinnen blicken könnte, weil ihre eigene ein wahrer Muffel war, wenn es um exzessives Geldausgeben ging. "Das werde ich gern tun", erwiderte ich daher also auf die Worte und überging den ersten Teil somit schlicht, bis auf das Lächeln, das ich erwiderte, zumal sie soeben ein Kompliment aussprach.


    Dann war mein Interesse auch schon geballt auf die Schriftstücke gerichtet, das eine prall gefüllt mit Informationen und dem Neuesten aus Rom und der Welt, das andere ein einzelnes Blättchen mit - wie ich jetzt bemerkte - einem großflächig dargestellten, halbnackten Mann. Schon weiteten sich meine Augen im Unglauben, und ich hob den Blick, um Seiana sprachlos anzusehen, da präsentierte sie mir eine Erklärung. Mit gerunzelter Stirn warf ich erneut einen Blick auf das Papierchen - anders war es wirklich nicht zu bezeichnen - und nahm es dann, um es genauer anzusehen. Eine meiner Brauen wölbte sich bereits, als ich den Namen unter dem Bild las, die andere, als ich den so genannten 'Verlierer der Woche' studierte. Nun zierte auch mein Gesicht ein breites Grinsen, und ich reichte Seiana das Pergament zurück, ohne noch einen weiteren Blick darauf zu werfen. "Das da würde ich nicht als Konkurrenz bezeichnen. Das ist vielmehr ein billiger Abklatsch, wenn überhaupt, und allenfalls etwas für ausgiebige Latrinennutzer", sagte ich und verkniff mir ein Lachen. "Es wurde schon oft versucht, die Acta Diurna zu kopieren, doch bisher hat sich keines dieser Schmierblätter länger gehalten als ein paar Monate. Meistens so lange, bis den Beitreibern das Geld ausgeht und sie sich doch lieber für die Miete ihrer insula oder häufigere lupanarbesuche entscheiden als für die Publikation solcher Mätzchen. Beim nächsten Mal - sollte es eines geben - kannst du dir die zwei Asse sparen."

  • Seiana musste schmunzeln über den ungläubigen Ausdruck, der sich auf dem Gesicht des Aureliers für einen Moment ausbreitete, kaum dass er einen Blick auf das Blatt geworfen hatte. Ein entsprechender Kommentar lag ihr auf der Zunge, aber wie so oft biss sie sich stattdessen darauf, um nichts zu sagen, was ungebührlich gewesen wäre. Der Mann neben ihr war weder einer ihrer Brüder noch ein guter Freund, also wartete sie nur grinsend, bis er das Blatt überflogen hatte und sich dann wieder an sie wandte. Das Pergament nahm sie entgegen, und auch auf ihrem Gesicht lag ein leichtes Grinsen. „Nein, als Konkurrenz würde ich das auch nicht bezeichnen – nicht nachdem ich es überflogen habe.“ Sie lachte leise und faltete das Pergament, um es neben sich auf den die Bank zu legen. Weder über das Bild noch über den Verlierer verlor sie ein weiteres Wort, stattdessen lauschte sie Corvinus und nickte anschließend, erneut mit einem Lachen. „Der Versuch, etwas zu kopieren, kann nur schief gehen – will man etwas Ebenbürtiges schaffen, muss man sich an etwas Eigenem versuchen. Im Übrigen sollte man sich bessere Schreiber suchen, als dieses Blatt offenbar zu Verfügung hat. Und mehr Zeit in Recherche stecken.“


    Kurz flog ein Schatten über ihr Gesicht, als sie an ihren Bruder dachte, und wie sehr der Krieg ihn verändert hatte – sicher waren es weitgehend positive Veränderung, fand sie, aber er hatte auch einiges von seiner früheren Unbedarftheit verloren, von dieser Weichheit, die ihn auszeichnete, und sie wusste nicht, ob sie das gut finden sollte. In jedem Fall hätte sie es ihm Kriegserlebnisse lieber ersparen wollen. Gleichermaßen bezog sich ihr Kommentar aber auch auf das angebliche Bildnis ihres Onkels, dessen Authentizität sie ebenso anzweifelte wie die Tatsachengrundlage der übrigen Artikel. Hernach schlich sich wieder ein Schmunzeln auf ihr Gesicht. „Ganz ehrlich, ich denke das Geld der Betreiber ist in die Miete und sogar in Lupanarbesuche wesentlich besser investiert. Und wer auch immer zwei Asse hierfür“, sie deutete auf das Pergament neben sich, „ausgegeben hat, ich war es zum Glück nicht. Es lag schon hier, als ich kam, und ich nutze gerne solche Gelegenheiten – man weiß nie, was sich findet.“ Sie schwieg einen Moment und musterte den Aurelier. „Macht es Spaß? Der Auctor der Staatszeitung zu sein? Oder überwiegt die Arbeit?“

  • Amüsiert wölbte sich meine Braue ob ihrer Antwort. "Das klingt, als hättest du ein handfestes Konzept zur Hand", erwiderte ich schmunzelnd. "Hättest du denn für die Acta auch Verbesserungsvorschläge? Leider bekommen wir viel zu selten konstruktive Rückmeldungen." Rückmeldungen an sich gab es hin und wieder durchaus, auch wenn sie dann zumeist negativer Natur waren und wenig bis gar keine Vorschläge enthielten, was besser zu machen sei. Nachdenklich blickte ich das nun gefaltete Pergamentpapier an und zuckte schließlich mit der Schulter. "Immerhin weiß man dann, was man an der Acta hat, wenn solche Blätter kurz im Umlauf sind."


    Mein Schmunzeln wandelte sich zu einem Lachen, als Seiana von der beim Schopf gepackten Möglichkeit sprach. Ich deutete auf die Imago und sagte: "Naja, für zwei Asse hat man notigenfalls noch eine Alternative zu dem, was man auf öffentlichen Latrinen so nutzen kann..." zugegebenermaßen ein im wahrsten Sinne des Wortes schmutziger Witz, sonst ganz und gar nicht meine Art. "Spaß? Hmm", erwiderte ich und wog den Kopf. "Es geht eine nicht zu unterschätzende Verantwortung mit der Aufgabe des auctor einher. Das weißt du vielleicht auch schon von deiner Verwandten, Decima Lucilla - eine wirklich herzliche Frau, sie war ja auctrix, ehe man mir den Posten antrug. Teilweise ist es eine Arbeit, die mit viel Stress verbunden ist. Ich habe alle Artikel zu lesen und freizugeben, ihren Platz in den Rubriken festzulegen und darauf zu achten, dass sich niemand diffamiert fühlen wird. Zudem schreibe ich selbst den ein oder anderen Artikel - aber ja, doch, es macht auch Spaß, das kann man so sagen. Und natürlich wäre die Acta nicht halb so erfolgreich ohne die Hilfe und das Engagement der subauctores, auch wenn ich gestehen muss, dass wir derzeit erstaunlich wenige Schreiber haben, was sich auf den Umfang der Ausgaben auswirkt." Ich warf Seiana einen Blick von der Seite zu.

  • „Ein handfestes Konzept?“ Auch Seiana zog eine Augenbraue nach oben und schmunzelte. „Nein, das nicht. Nur gesunder Menschenverstand, und sehr viel davon braucht man nicht, um zu beurteilen, was an diesem Blatt zu verbessern ist.“ So ziemlich alles, fügte sie lautlos hinzu. „Verbesserungsvorschläge für die Acta… Hm, um ehrlich zu sein, nein – nicht so auf Anhieb jedenfalls. Ich bin eigentlich zufrieden damit. Ich weiß, das ist keine große Hilfe.“ Sie lächelte und lachte gleich darauf offen heraus, als der Aurelier weiter sprach. „Nun, ich glaube nicht, dass man die Imago auf der Latrine benutzen sollte. Zu viel bunte Tinte, für meinen Geschmack.“ Im Gegensatz zu Corvinus waren Witze dieser Art durchaus öfter von ihr zu hören, jedenfalls wenn sie sich unter Vertrauten wähnte – und da der Aurelier selbst einen derartigen Ton anschlug, konnte sie gar nicht anders als darauf einzugehen. Sie war in der Lage, eine ruhige Fassade zu wahren, wenn es verlangt wurde und ihre Mitmenschen ebenfalls den höflichen Maßstäben entsprechend handelten, aber wenn ihr jemand anders begegnete, dann konnte sie nicht so tun als würde sie es missbilligen, wenn sie in Wahrheit ganz anders dachte. Und im Moment genoss sie es einfach, sich lockerer geben zu können als es sonst meistens der Fall war.


    Anschließend lauschte sie gespannt, was er über seine Arbeit als Auctor zu erzählen hatte. Sie las nicht nur gern und viel, sondern interessierte sich tatsächlich für das, was hinter der Herausgabe einer Zeitung wie dieser steckte. „Nein“, gestand sie bedauernd, „ich bin noch nicht lange in Rom, und Lucilla und ich hatten bisher leider noch keine Gelegenheit für ein ausgiebigeres Treffen.“ Was sie nachzuholen gedachte, und wo sie sie vielleicht auch auf die Acta ansprechen würde. Was der Aurelier sagte, klang zwar durchaus nach Stress, zumindest zeitweise, aber in jedem Fall interessant. Als er dann meinte, die Acta hätte im Moment nur wenig Schreiber, sah sie überrascht hoch und begegnete seinem Blick. „Ich hätte gedacht, dass es genügend gibt, die für die Acta schreiben wollen. Ich würde es jedenfalls gerne tun.“ Im nächsten Moment überzog eine leichte Röte Seianas Wangen, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. Sie wollte nicht, dass er dachte sie würde die Gelegenheit nutzen oder sich gar aufdrängen, nur weil er erwähnt hatte, dass die Acta im Moment wenig Schreiber hätte. „Das heißt, es wenigstens ausprobieren. Ich schreibe gern, aber es ist natürlich etwas anderes, das für die Staatszeitung zu tun, als für sich selbst zu Hause. Aber… nun ja, ich würde es wie gesagt gerne versuchen.“

  • "Nun, relativ gesehen ist es doch eine Hilfe, wenn man sich überhaupt äußert", erwiderte ich schmunzelnd. "Es gibt viel zu viele von jenen, die sich nur beschweren, wenn ihr Name schändlich erwähnt wird oder ihnen sonst etwas nicht passt, das in der Acta veröffentlicht wurde. Meistens haben sie allerdings keine Vorstellung davon, was man besser machen soll, und so verlaufen sich die Beschwerden dann allmählich im Sand. Ein gewisser Didius Gordianus ist so ein Beispiel." Besagter Didier hatte wiederholt angedroht, selbst etwas schreiben zu wollen, doch nie war etwas bei der Redaktion eingegangen.


    Überrascht wandte ich Seiana meinen Blick zu. Solche Scherze war ich von Frauen nicht gewohnt, erst recht nicht, wenn ich sie kaum mehr als flüchtig kannte. Mit Deandra oder Prisca war das etwas anderes, nun, im ersteren Falle gewesen, denn ich wusste nicht einmal mehr, ob sie überhaupt noch in Rom weilte oder ob Menecrates sie inzwischen sogar anderweitig versprochen hatte. Einen kurzen Moment in Gedanken versunken, nahm ich die Worte Lucilla betreffend nur am Rande wahr und kommentierte sie lediglich mit einem schlichten Nicken, bis Seiana mich mit ihrer raschen Bewegung wieder in die Realität holte und ich ihren überraschten Blick gleicher Natur erwiderte. "Ich wage zu behaupten, dass es niemals genug Schreiber geben wird. Früher gab es viel mehr freie Schreiber, doch scheinbar hat sich eine Lethargie ausgebreitet, was das angeht. Inzwischen ruht die Staatszeitung auf den Schultern einiger weniger fest engagierter Autoren, was einerseits beachtlich ist, andererseits desolat." Ich wiegte den Kopf hin und her und zuckte schlussendlich mit den Schultern. "Umso besser, wenn man Interessen fördern und neue Mitarbeiter bekommen kann. Wenn du mitwirken möchtest, empfehle ich dir den Einstieg als freie Autorin. Nach ein paar tatsächlich publizierten Artikeln besteht dann die Option, fest in die Redaktion aufgenommen zu werden, wenn du dann immer noch möchtest. Wie klingt das?"

  • Seiana fiel durchaus auf, dass ihre Erwiderung auf seinen Scherz eher Überraschung auslöste, und sie unterdrückte ein Seufzen und ermahnte sich nur stumm, sich zurückzuhalten. Im Grunde hatte sie sich daran gewöhnt, wohlerzogen und anständig zu sein, aber es gab Tage, an denen verfluchte sie die Tatsache, dass sie sich selten so geben konnte wie sie war, weil anderes von ihr erwartet wurde. Trotzdem ging sie nun einfach darüber hinweg und sprach weiter, als ob nichts gewesen wäre – jetzt noch darauf einzugehen und sich etwa zu entschuldigen hätte sie vermutlich erst wirklich in eine peinliche Lage gebracht.


    Seiana warf einen kurzen Blick auf die Sklaven des Aureliers, zu denen sich inzwischen Elena gesellt hatte und dort geduldig wartete. Eine Augenbraue zuckte kurz nach oben, als Seiana ihre Leibsklavin sah, die dieses Mal offenbar tatsächlich nur das auf den Märkten getan hatte, was sie wollte, und nicht noch herumgeschlendert war. In Gedanken nahm sie sich vor, irgendwann in der nächsten Zeit mit Elena wirklich einkaufen zu gehen – Rom bot tatsächlich viele Möglichkeiten, die sie bisher noch kaum genutzt hatte, und zumindest Elena tat sie damit einen Gefallen. Der Blick auf die Sklaven währte aber nur kurz, dann wandte sie sich wieder dem Mann neben ihr zu. „Ich muss gestehen, dass ich das nicht ganz verstehen kann. Für die Acta schreiben zu können ist doch… ich weiß nicht, natürlich ist es Arbeit, aber es ist doch auch eine Ehre. Und es ist leicht, sich zu beschweren, aber dann nichts zu tun, um es zu verändern.“ Seiana musterte den Aurelier, und langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sie sein Angebot hörte. „Das klingt sehr gut. Wann ist immer der Redaktionsschluss? Und wo erfahre ich, welche Themen frei sind?“

  • Ich folgte dem Blick Seianas und betrachtete flüchtig meine Sklaven, die sich ziemlich für die decimianische Sklavin zu interessieren schienen und sie in ein Gespräch verwickelten. Amüsiert wandte ich hernach den Kopf und schmunzelte Seiana an. "Vermutlich wirst du es anders sehen, wenn der erste Brief eines Lesers kommt, der sich über einen Artikel aus deiner Feder beschwert, sagte ich und ahnte nicht, dass dies schon sehr bald der Fall sein sollte. "Artikel kann man bis zum Tag vor der Veröffentlichung der neuen Ausgabe einreichen. Die Acta erscheint zweiwöchentlich, also am dritten Tag jeder zweiten Woche. Der Redaktionsschluss ist damit der zweite Tag jeder zweiten Woche. Und kennst du die domus der Acta? Von der via Flaminia zweigt die via Rosa ab, dort findest du das Redaktionsgebäude. Alle vergebenen Themen hängen dort am Schwarzen Brett aus, damit wir nicht zwei Artikel zu einem Thema haben. Deine fertigen Artikel gibst du ebenfalls dort ab, denn ehe sie veröffentlicht werden, müssen sie noch an unserer lectrix und an mir selbst vorbei. In der domus findest du auch die Liste aller subauctores und der anderen Redaktionsmitglieder. Falls du Fragen haben solltest, stelle sie ruhig. Es ist immer jemand im Actagebäude, die lectrix - Claudia Epicharis - und ich selbst sind am Tag der Veröffentlichung den ganzen Tag über anwesend, ebenso Ion, das ist unser Actasklave. Und neuerdings lungert Caius Columnus auch fast immer herum. Er ist subauctor. Falls du tatsächlich niemanden erreichen solltest, besteht immer noch die Möglichkeit, mich oder einen der anderen privat aufzusuchen."

  • Seiana neigte den Kopf leicht zur Seite, während sie dem Aurelier lauschte. Der Gedanke, für die Acta zu schreiben, faszinierte sie. Es wäre eine Möglichkeit, das, was sie ohnehin gerne tat, auf eine andere Ebene zu heben – es nicht nur für sich selbst zu tun, als Zeitvertreib, der von manchen vielleicht sogar belächelt werden würde, wüssten sie davon. Nicht dass Seiana viel auf derlei Meinungen gab, aber es machte eben doch einen Unterschied, und wenn es nur der war zu wissen, dass das, was sie geschrieben hatte, ungleich mehr Leute erreichen würde… Dass es auch Schwierigkeiten geben konnte, war ihr durchaus klar, vor allem weil sie jetzt schon wusste, dass sie eher Meinungsartikel denn neutrale Berichte schreiben würde.


    „Nein, beim Domus der Acta war ich noch nicht. Allerdings dürfte es nicht schwer sein, es zu finden.“ Die Via Flaminia kannte sie, die Via Rosa zu finden sollte also kein Problem darstellen. Und Elena und sie gemeinsam waren noch überall hingekommen, wenn auch die Kombination ihrer völlig unterschiedlichen Orientierungsweisen – sie selbst durch vorige Beschreibungen und Logik, Elena nach Gefühl, wobei Seiana sich fragte, wie um alles in der Welt man sich in einer Stadt wie Rom nach Gefühl zurecht finden konnte… bei Elena funktionierte es aber tatsächlich – zu regelmäßigen, mal mehr, mal weniger hitzigen Diskussionen führte. Manchmal fragte die lebhafte Sklavin auch irgendjemanden, was Seiana meistens gar nicht gefiel – nicht weil sie ein Problem damit hatte, nach dem Weg zu fragen, sondern weil es meistens damit endete, dass sie sich, dank Elena, die großen Spaß dabei hatte sich mit allen möglichen Menschen zu unterhalten, oft die halbe Lebensgeschichte des Befragten anhören konnte, bevor sie Wegbeschreibungen bekamen. „Wie gesagt, ich würde mich sehr freuen, wenn ich für die Acta schreiben könnte.“ Sie lächelte, nach wie vor erfreut über diese Gelegenheit, die sich da so spontan ergeben hatte. „Auch auf die Gefahr hin, dass es dann Beschwerden gibt. Damit kann ich umgehen – so lange das für die Acta oder für dich kein Problem ist, heißt das.“

  • "Solltest du es gar nicht finden, frag einfach danach. Die meisten Römer kennen die domus. Sogar die, die nicht lesen können - über der Tür prangt ein großes Kupferschild", erzählte ich und zwinkerte Seiana erheitert zu. "Bisher verlief sich noch alles im Sande, was es an Beschwerden gab. Mach dir darüber mal keine Gedanken", fuhr ich fort und dachte daran, dass Aelia und ich ohnehin alles lasen und absegneten, ehe es veröffentlicht wurde.


    Ein Räuspern ließ mich über die Schulter sehen. Pyrrus sah mich vielsagend an und blickte hernach bedeutungsvoll in den Himmel. Ich folgte seinem Blick - die Sonne stand bereits beträchtlich tief am Himmel, was auf den späten Nachmittag hindeutete. Und in der Tat verspürte ich langsam einen nur bald noch schwer zu überspielenden Hunger. Ich nickte meinem Schreiber zu und wandte mich wieder an Seiana. "Nun, ich werde mich jetzt verabschieden. Ich würde mich freuen, bald etwas von dir zu lesen, Seiana, und ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen werden", sagte ich und erhob mich von der Bank. Sie war eine angenehme Gesprächspartnerin. "Möge Minerva dich beim Verfassen der zukünfigen Artikel leiten", scherzte ich und zwinkerte ihr zu. Und nach einer angemessenen Verabschiedung verließen Pyrrus und ich den kleinen Park.

  • Seiana grinste, als der Auctor ihr zuzwinkerte. „Irgendwie werde ich es schon finden.“ Dann nickte sie. „Nun ja, ich denke, man kann es nicht jedem Recht machen. Man kann es nur versuchen.“ Sie musterte den Aurelier aufmerksam und lächelte schon wieder, als sie daran denken musste, wie schnell das gerade gegangen war – sie war in den Park gekommen, um in Ruhe zu lesen, und jetzt konnte sie, mit der offiziellen Erlaubnis des Auctors, für die Acta schreiben.


    In Gedanken bereits mit Worten spielend, sah sie auf, als hinter ihnen ein Räuspern erklang. Corvinus’ Begleiter hatte sich bemerkbar gemacht und schien andeuten zu wollen, dass es spät wurde. Der Aurelier nickte und begann, sich von ihr zu verabschieden, und Seiana erhob sich ebenfalls. „Das hoffe ich auch. Und noch einmal danke."“ Erneut lächelte sie, als sie seinen letzten Kommentar hörte. „Ich werde jedenfalls versuchen, sie mir gewogen zu stimmen – sollte sie es nicht sein, dürften Beschwerden nicht lange auf sich warten lassen.“ Ihr Tonfall und ihr Gesichtsausdruck machten deutlich, dass sie ebenso scherzhaft geantwortet hatte. Nach einem letzten Gruß entfernte sich der Aurelier von ihr, und auch Seiana blieb nicht mehr lange in dem Park. Elena hatte zwar ihren Auftrag erfüllt, aber es jetzt war es zu spät, um im Park noch etwas zu essen, also gingen die beiden nach Hause.


    ~~~ finis ~~~

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