interludium | Matho und der Übermut

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    "...und was soll das eigentlich schon wieder hier? So ein Scheiß. Ich hab euch doch gesagt, dass ihr die Dinger wegräumen sollt! Mannmannmann, alles muss man selber machen..." Dass Matho ganz und gar nicht bester Dinge war, konnte man wahlweise hören oder an der pochenden Ader an seiner zornesroten Schläfe ablesen. Wutend stapfte er aus dem Speisezimmer - das ohnehin nicht gebraucht werden wurde, da außer Aurelius Ursus kein Aurelier anwesend war, der es hätte nutzen wollen, und Ursus zudem im Kastell nächtigte. Die Sklaven begnügten sich mit der culina oder der exedra, zum Draußenessen war es definitiv noch zu kalt, und somit gab es eigentlich keinen Grund, die zum Schutz der Möblierung aufgespannten Tücher fortzuräumen. Das würde nur dem Schmutz neue Nahrung bieten.


    Doch Matho fand schnell ein neues Ziel, hielt irgendwen an und schnauzte: "Und wo ist Siv eigentlich schon wieder? Hier denkt wohl auch jeder, dass er machen kann, was er will. Das wird euch eines Tages mal Kopf und Kragen kosten, sowahr ich hier stehe, und dann kommt bloß nicht an und bittet mich um Hilfe. Ich zieh eure Köpfe ganz sicher nicht aus der Schlinge!" Abschließend nickte er grimmig und verschränkte die Arme vor der Brust. "Also, weißt du nu was von Siv oder nicht?" Konnte ja nicht angehen, dass sie auf dem Markt herumlungerte, nur um wieder mal ihrer Arbeit hier zu entgehen. Das war aber auch ein Kreuz mit diesen Sklaven. Wenn sie doch nur alle Mathos Mentalität hätten, da wär vieles einfacher. Aber so? Faulheit und Hochmut trieb sich um, und Matho sah sich quasi als persönlichen Verfechter von Recht und Ordnung innerhalb der aurelischen Mauern. Ob die nun römisch oder germanisch waren. Ungedildig musterte er den Befragten.

  • "Huhu, is einer da?" Hinter mir schloß ich die Tür und ging weiter. "He, wo steckt ihr denn alle? Ich bin´s Caelyn!" Komisch, endweder hatten die alle ´nen Betriebsausflug gemacht oder Matho hatte jeden einzelnen zum Latrine putzen abkommandiert.
    Ich ging noch ´n Stücken weiter und sah mich um. Dann hörte ich von fernem ´ne ziemlich vertraute Stimme herumgröhlen. Das war Matho in Bestforn, wenn ich mich nich irrte! Klar doch, so nervte nur Matho. Mit wem schrie r denn so rum? Ich hörte Sivs Namen heraus. Hatte sie wieder was angestellt? Echt schade, dass ich hier nich wohnte! Matho in den Wahnsinn treib´n, war´n echter Spass!
    Ich ging einfach ma in die Richtung, aus der Mathos Stimme hallte.
    "Moin! Hallihallo, hier bin ich! Na, alles locker im Schritt, Matho?" Es war echt ´ne Freude, wieder hier zu sein!

  • Kurz hinter Siv betrat Ursus das atrium. Er legte seinen Mantel ab und wartete darauf, daß ihm jemand den Mantel abnahm. "Wo steckt Matho?", donnerte er einfach in das Haus hinein und hoffte, daß der Genannte sofort herbeieilen würde.


    Ja, Ursus war zornig. Und mit jeder Minute war dieser Zorn größer geworden, seit Raetinus ihm die Sklavin ins officium gebracht hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie gut, daß sie aufgegriffen worden war! Die Vorwürfe, die Corvinus ihm gemacht hätte, wenn ihr die Flucht gelungen wäre, wollte Ursus wahrhaftig nicht hören! "Wärest Du meine Sklavin, würde ich wohl nach dem Warum fragen. Doch Du gehörst Corvinus. Er soll entscheiden, was mit Dir zu geschehen hat. Es ist nur die Frage, was wir mit Dir machen, bis ihr nach Rom zurückkehrt." Am liebsten würde er sie solange irgendwo im Keller einsperren. Aber eine größere Strafe war vermutlich, sie unter strenger Aufsicht hart arbeiten zu lassen.

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    Matho bedachte Caelyn mit einem missmutigen Blick. Die hatte ihm nun echt noch gefehlt, mit ihrem treulosen Verhalten und der Klappe, die eindeutig eine Nummer zu groß für sie war. Was machte sie überhaupt hier - wieso war sie nicht im Kastell? "Nein, es ist nicht alles locker", presste der maiordomus der römischen villa zwischen den Zähnen hervor, mit bekannt hochrotem Gesicht. "Es gibt schließlich auch Leute, die ihre Arbeit gewissenhaft verrichten und nicht mal eben bummeln gehen, wie andere!" schnauzte er sie grob an, ehe er davondampfte und sowohl Caelyn stehen ließ als auch denjenigen, den er angebrüllt hatte.


    In der nächsten halben Stunde war Matho unauffindbar. Nicht, dass überhaupt jemand freiwillig nach ihm gesucht oder sich über seine Abwesenheit beschwert hätte. Zumindest bis jetzt, denn just in diesem Moment quäkte eine Stimme nach ihm, hallte im atrium wider und drang ein wenig später an das noch gerötete Ohr des Sklaventreibers. Eher gemächlich als eilend bahnte er sich seinen Weg zu dem Schreihals, sichtlich Haltung annehmend, als er erkannte, wem die Stimme gehörte. "dominus?" fragte er verwundert, denn zum einen hatte er Ursus nicht erwartet, zum anderen wirkte Siv...seltsam. Eine Aura umgab sie, die irgendetwas zwischen zornig und schamerfüllt war. Und als Matho näher darüber nachdachte, fiel es ihm siedendheiß ein - sie hatte etwas angestellt! Vorerst noch verhalten triumphierend musterte er Siv, dann wieder Ursus. "Was ist denn passiert?" fragte er, während er sich insgeheim bereits hohntriefend die Hände rieb.

  • Siv betrat das Atrium, immer noch mit starrem Gesicht, Kiefer und Lippen fest aufeinander gepresst. Sie vergrub sich gerade wieder in ihren Zorn, konnte aber nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte, als Ursus sie plötzlich doch wieder ansprach, nachdem er ebenso wie sie den Weg hierher keinen Ton von sich gegeben hatte. Ja, sie gehörte Corvinus, das wusste sie nur zu gut – und sie befürchtete, dass er im Gegensatz zu Ursus nicht nach dem Warum fragen würde. Dass er gar nicht würde wissen wollen, was genau passiert war und was sie bewegt hatte in diesem Moment, in dem sie sich mit der Menge hatte treiben lassen. Vermutlich konnte er es sich im Ansatz sogar vorstellen, immerhin hatten sie kurz vor der Abreise einen Zusammenstoß gehabt, was genau dieses Thema betraf – aber es würde ihn vermutlich gar nicht interessieren. Und wieso auch, hatte sie doch sein Vertrauen missbraucht. Sie würde sich auch nicht dafür interessieren, welche Gründe es dafür gab. Sie schloss die Augen und sah für einen winzigen Moment wieder den Wald vor sich, angestrahlt von der Nachmittagssonne, getaucht in warmes, weiches Licht, so nah, so wirklich, so verlockend… Bis Corvinus’ Bild sich dazwischen schob, und Siv ärgerlich die Augen wieder aufriss. Sie wusste, jetzt, was ihr wichtiger war – wusste es seit dem Traum, auch wenn sie es nach wie vor nicht wahrhaben wollte und seit jener Nacht nicht mehr darüber nachgedacht hatte. Aber selbst wenn sie noch nicht bereit war, auch nur sich selbst einzugestehen, was Corvinus wirklich für sie war, wusste sie doch, dass er – und die meisten anderen der Villa – ihr viel bedeuteten, und dass sie inzwischen Wert legte auf ihre Meinung. Warum nur hatte sie daran erst so spät gedacht? Warum war sie durch dieses Tor hindurch gegangen, war vor den Soldaten geflüchtet, hatte erst danach, als es zu spät war, realisiert, was sie im Begriff war zu tun, was es letztlich bedeutete?


    Aber die Fragen, die Zweifel und Selbstvorwürfe halfen ihr auch nicht mehr weiter. Sie konnte nicht ändern, was geschehen war, und noch während sie grübelte, ob – und was – sie Ursus antworten sollte, tauchte auch schon Matho auf. Zuerst wirkte er etwas verwundert, aber schon bald hatte er einen Gesichtsausdruck, den Siv ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte – er wirkte ganz wie der verantwortungsvolle und vertrauenswürdige Maiordomus, der er irgendwie ja auch war, wenn man nur Wert darauf legte, dass alles erledigt wurde. Aber Siv konnte das Glitzern in seinen Augenwinkeln sehen. Und sie war gereizt, ihre Stimmung, ihr Temperament ohnehin schon dem Siedepunkt nahe – zwischendurch war es etwas abgekühlt, aber jetzt spürte Siv regelrecht, wie es in ihr wieder zu brodeln anfing. Zu viel wirbelte durch ihren Kopf, zu viel, womit sie nur schwer fertig werden konnte, allen voran Corvinus und ihre Schuldgefühle. "Nicht dein Interesse", fauchte sie ihn daher an, obwohl sie wusste, dass es ihn – im Gegensatz zu den anderen Sklaven – als Maiordomus sehr wohl etwas anging.

  • Siv war so verstockt wie man nur sein konnte. Was erwartete sie denn? Daß er sie auspeitschte und anschließend ans Kreuz nageln ließ? Ganz abgesehen davon, daß sie nicht sein Eigentum war, würde er so etwas ohnehin nicht tun. Aber was sollte er dann mit ihr tun?


    "Da irrst Du Dich gewaltig, Siv. Das geht Matho sehr wohl etwas an", berichtigte Ursus sie in finsterem Tonfall. Dann wandte er sich wieder an Matho. "Sie hat versucht zu fliehen und wurde von den Soldaten am Stadttor aufgegriffen. Ich wünsche, daß Du dafür sorgst, daß so etwas nicht wieder passiert. Wenn Du sie arbeiten läßt, dann sorge auch für die entsprechende Aufsicht. Was schätzt Du, wie lange ihr für die Arbeiten hier im Haus noch brauchen werdet? Ich werde Corvinus schreiben müssen, um ihn über den Vorfall zu informieren. Dabei würde ich gerne eine Schätzung abgeben, wann ihr wieder in Rom eintrefft." Je eher er diese unangenehme Aufgabe hinter sich brachte - und diese ganze Bande loswurde - umso besser.


    Dadurch, daß er nicht ihm Haus wohnte, fehlte ihm der direkte Kontakt zu den Sklaven. Er konnte überhaupt nicht einschätzen, was hier vor sich ging und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Er hatte gerne den Überblick und die Kontrolle, wenn er die Verantwortung für etwas trug. Gut, diese Gruppe von Sklaven wäre auch hierher geschickt worden, wenn er nicht nach Germanien versetzt worden wäre. Trotzdem hatte er die Verantwortung, so als einziges anwesendes Familienmitglied.

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    Eine gehässige Antwort lag Matho auf der Zunge, als Siv ihn anfuhr, doch er war klug genug, in Ursus' Gegenwart die Klappe zu halten. Später würde er noch genug Zeit haben, um Siv zu verhöhnen. Vorerst ließ er also einen beflissentlich ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht erscheinen, musterte Siv mit missbilligend erhobener Braue und sparte sich jeden Kommentar. "Sehr wohl, dominus", intonierte er, ganz der vernünftige Sklave, der er meistens war.


    Besonders freute ihn Ursus' beiläufige Bemerkung, er werde Corvinus schreiben, denn natürlich grassierte in der Sklavenschaft die Meinung, dass der Herr wohl eine Lieblingssklavin hatte, was sich nicht in Bevorzugung äußerte, sondern von den vielen Nächten herrührte, in denen Siv nicht in ihrem Bett lag, sondern in einem anderen. "Wir erwarten morgen einen Handwerker wegen des defekten impluvium. Zudem soll der Wein geliefert werden, den du bestellt hast, dominus. Je nach dem, wie lange der Handwerker benötigt, wäre ein Aufbruch in etwa einer Woche recht realistisch, sofern du uns nicht mehr benötigst." Matho hatte inzwischen die Arme auf den Rücken gelegt und stand sozusagen Spalier. Er konnte es gar nicht erwarten, Siv unbeaufsichtigt in die Finger zu kriegen.

  • Siv biss sich – sie wusste schon gar nicht mehr zum wievielten Mal an diesem Tag – auf die Unterlippe, die prompt wieder aufplatzte. Die Germanin verzog das Gesicht, als ein scharfer Schmerz sie durchzuckte, sie etwas Warmes ihr Kinn hinunterlaufen fühlte und gleichzeitig der metallische Geschmack von Blut ihren Mund füllte. Sie ließ ihre Handgelenke kreisen, da das Gefühl in ihre Hände immer noch nicht komplett zurückgekehrt war, und verzog erneut – für Ursus unsichtbar, dafür umso klarer für Matho – das Gesicht, als der Aurelier sie in die Schranken wies, Matho dafür aber auf ihre Provokation nicht weiter reagierte. Ihren Zorn schürte das nur noch mehr, und sie wollte gerade mit der nächsten Beleidigung herausplatzen, als Ursus etwas sagte, was sie, beinahe schon erschrocken, inne halten ließ. Er wollte Corvinus schreiben?


    Einen Moment lang starrte Siv ihn nur an und sagte gar nichts, während ihr Gehirn kurz auszusetzen schien. Dann fing es an, in ihrem Kopf zu arbeiten. Sie wusste, welchen Fehler sie gemacht hatte – so sehr sie sich auch hinter einer Mauer aus Zorn und Trotz verkroch, im Grunde ihres Herzens wusste sie es. Und sie würde, letztlich, dafür gerade stehen. Aber dazu gehörte auch, dass sie selbst Corvinus davon erzählte. Er hatte es verdient, dass er es von ihr, aus ihrem Mund erfuhr. Ohne Matho zu beachten oder Ursus’ Antwort auf dessen Bericht abzuwarten, schob sie sich dazwischen und sah den Aurelier an, mit einer seltsamen Mischung aus immer noch vorhandenen Gefühlen wie Starrsinn, Wut, Uneinsichtigkeit – und Bitten. "Nicht schreibst Corvinus. Nicht, nicht von… von mich, von laufen weg. Ich…" Sie presste für einen Moment die Lippen aufeinander. Sie hatte keine Ahnung, ob Ursus ihrer Bitte entsprechen würde, ob er überhaupt verstehen würde, warum sie das wollte. "Ich nehme Brief, mit mir. Ich gebe Corvinus Brief, aber… ich mögen, möchten sagen, was ich tun, getun habe. Ich möchte sagen. … Bitte."

  • Ursus nickte bedächtig, während er Mathos Ausführungen zuhörte. "Ja, der Wein, das ist sehr gut. Und eine Woche klingt auch hervorragend." Das war dann ja nicht mehr lange. Zum Glück. "Und nein, ich denke, ihr könnt dann abreisen, wenn alle Reparaturen durchgeführt sind. Ich komme mit Caelyn und Sertorio gut zurecht und Corvinus wird euch in Rom dringend erwarten." Schließlich war die Hälfte des Hauspersonals hier.


    Als dann Siv doch endlich den Mund aufbekam, glaubte Ursus schon, seinen Ohren nicht trauen zu können. Was sollte er? Ihr den Brief geben? Wie kam sie denn auf das schmale Brett? Corvinus erwartete von ihm, daß er ihm ordentlich Bericht erstattete über die Vorgänge hier in Germanien. Und ausgerechnet ihr sollte er trauen? Ausgerechnet ihr, die gerade das Vertrauen der Aurelier mißbraucht hatte, sollte er glauben, daß sie den Brief auch abliefern würde?


    "Warum, Siv? Warum sollte ich Dir den Brief mitgeben und Dir vertrauen? Nach dem, was Du getan hast, soll ich annehmen, daß Du den Brief nicht vernichten würdest? Sag mir, warum ich Dir glauben sollte." Natürlich konnte er verstehen, daß sie Corvinus lieber selbst beichten würde, als daß er es von jemand anderem erfuhr. Es war immer besser, wenn man seine Sünden selbst gestand und bereitwillig dafür gerade stand. Dann wurden die Folgen meistens nicht so schlimm.

  • Siv verschwendete keinen Blick auf Matho, obwohl sie sich seine Reaktion nur zu gut vorstellen konnte. Sie musste Ursus irgendwie dazu bringen, ihr zu vertrauen, einmal noch, wenigstens so weit, dass er ihr den Brief gab. Sie wollte es Corvinus selbst sagen, weil sie dafür einstehen wollte, was sie getan hatte. Auch wenn sie versucht hatte zu fliehen, auch wenn sie störrisch sein könnte und widerspenstig, änderte sich doch nichts an der Tatsache, dass sie ein grundehrlicher Mensch war. Und Corvinus hatte Ehrlichkeit von ihr verdient, nichts anderes. Natürlich war ihr, irgendwo, auch klar, dass dadurch die Chance bestand, dass ihre Strafe geringer ausfallen würde. Aber das war nicht der Grund, und daran dachte sie im Moment auch gar nicht – höchstens noch daran, dass die Chance größer war, dass er ihr zuhören, dass sie vielleicht doch die Möglichkeit haben würde zu erklären, warum sie zum Tor hinausgegangen war. Wenn er vorher schon Bescheid wusste, bevor sie überhaupt in Rom eingetroffen war, dann würde er ihr diese Chance mit Sicherheit nicht mehr geben.


    "Matho weiß. Wenn ich der Brief mache kaputt, er sagt Corvinus. Corvinus weiß, … wird wissen, was ich getun. So oder so." Die Germanin holte tief Luft. Es fiel ihr nicht leicht, weiterzureden. "Ich… ich weiß, das ist Fehler gesein. Weglaufen. Ich… will… sagen. Will… ich will dafür gerade stehen, was ich gemacht hab, ich… Ich will… Verantwortung übernehmen. Verantwortung, meine Verantwortung, sein das. Dafür, für weglaufen."

  • Es war schon recht erstaunlich, daß sie überhaupt so viel dazu sagte. Bisher hatte sie zu der Sache ja beharrlich geschwiegen. Verantwortung für ihr Tun wollte sie also übernehmen? Nun, da würde ihr ohnehin nichts anderes übrig bleiben, denn gerade stehen dafür mußte sie auf jeden Fall. Eigentlich war Ursus sogar ziemlich neugierig darauf, was Corvinus mit ihr tun würde nach dieser Sache. Wie würde er reagieren? Irgendwelche Grausamkeiten schloß Ursus eigentlich aus, denn Corvinus war kein Unmensch und würde sich kaum auf so eine niedrige Stufe begeben. Aber gerade das machte es interessant zu erfahren, wie er mit ihr verfahren würde.


    Ursus tat sich mit der Entscheidung nicht leicht. Er selbst hatte schließlich auch eine Verantwortung. Und die Pflicht, Corvinus von allem zu berichten, was hier an wichtigen Dingen vor sich ging. Während er darüber nachdachte, betrachtete er Siv prüfend. Natürlich hatte sie in einem recht: Matho würde auf jeden Fall dafür sorgen, daß Corvinus davon erfuhr, auch wenn sie den Brief vernichtete. Überhaupt fragte sich Ursus, wie sie schneller sein wollte als Matho. Aber das war ja nicht sein Problem.


    "Nun gut. Ich werde Dir den Brief mitgeben. Wir werden sehen, ob Du wirklich wenigstens soweit vertrauenswürdig bist. Und was die Verantwortung angeht: Ja, die wirst Du übernehmen müssen. Er wird enttäuscht sein, Siv. Gerade von Dir..." Nicht, daß Ursus auch nur die geringste Ahnung davon hätte, daß Siv das Bett mit Corvinus geteilt hatte, so etwas interessierte ihn auch gar nicht. Doch er hatte den Eindruck gehabt, daß Corvinus ihr eine gewisse Vertrauensstellung einräumte. Nun, er hatte sie geprüft - und sie war durchgefallen. "Caelyn wird Dir in den nächsten Tagen den Brief bringen, Siv. Und ich erwarte, daß Du ihn so versiegelt, wie Du ihn erhältst, bei Corvinus abgibst."


    Er war sich nicht sicher, ob das wirklich der richtige Weg war. Aber er hatte ihn nun gewählt. Einen Augenblick lang musterte er noch Siv, dann wandte er sich wieder an Matho. "Sorge dafür, daß eine Flucht unmöglich ist, aber sei nicht unnötig grausam." Eigentlich war es überflüssig, so etwas zu erwähnen. Doch sicher war sicher, damit hier auf keinen Fall Mißverständnisse aufkamen.

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    Matho hätte ja beinahe aufgelacht, als Siv sich so anbiederte und, ja, beinahe flehte, dass man Corvinus nicht über die Untreue seiner Sklavin informierte. Und Ursus reagierte, wie Matho es erwartet hatte. Er konnte sich eines flüchtigen, zufriedenen Ausdrucks nicht erwehren, als Ursus Siv fragte, warum er ihr dahingehend vertrauen sollte. Es war einfach zu herrlich, wie Siv sich danach einen abstotterte. Matho hatte Mühe, nicht hämisch zu grinsen, daher wirkte sein Gesicht sehr ernst und gezwungen unbewegt.


    Als Ursus dann jedoch nachgab, traute Matho seinen Ohren nicht. Versteinert sah er zuerst Sivs Kehrseite an, dann das Gesicht des Patriziers. Wie denn, die kleine Fluchtgefährdete sollte plötzlich die Möglichkeit bekommen, sich persönlich zu rechtfertigen? Matho blinzelte irritiert, Ursus' restliche, an Siv gerichtete Worte rauschten förmlich an ihm vorbei. Wie könnte er guten Gewissens zulassen, dass dem Hausherrn in Rom Informationen vorenthalten wurden? In Mathos Geist braute sich etwas zusammen, und erfreulichwar es nicht, zumindest nicht für Siv. Gut, für Corvinus wohl auch nicht, aber wenigstens konnte Matho hinterher reinen Gewissens behaupten, er hätte seine Arbeit so gemacht, wie man es von ihm erwartete. Und von einem maiordomus erwartete man doch, dass er die ihm übertragenen Aufgaben verantwortungsbewusst überblickte....


    Ursus' Anweisung riss ihn zurück ins atrium. "Ja, dominus", erwiderte Matho. "Sie wird das Haus bis zur Abreise nicht mehr verlassen." Und den Keller auch nicht, dachte er bei sich.

  • Siv tat sich nicht im Geringsten leicht damit, Ursus um etwas zu bitten, erst recht nicht in der Lage, in der sie sich befand – und noch schwerer fiel es ihr, weil sie dafür zugeben musste, etwas falsch gemacht zu haben, obwohl sie noch lange nicht bereit dafür war. Aber ihr blieb keine andere Wahl. Corvinus selbst die Wahrheit zu sagen, dieser Wunsch war dringender als das Bedürfnis, sich zu verkriechen, nicht nachzugeben, den eigenen Stolz zu bewahren. Es war fast schon seltsam, dass Siv, die so aufrichtig war, dass sie um fast nichts in der Welt eine wirkliche Lüge über die Lippen gebracht hätte, sich beinahe leicht damit tat, sich selbst so zu belügen – einfach in dem sie sich hinter Wut verschanzte. Aber wenn es darum ging, dass andere etwas gerade rückten, was sie verbockt hatte, an ihrer Statt einstanden, für sie etwas übernahmen, zeigte sich, dass ihre Aufrichtigkeit doch stärker war als ihr Stolz und ihr Eigensinn.


    Sie zuckte zusammen, kaum merklich, als Ursus davon sprach, dass Corvinus enttäuscht sein würde. Sie wusste, dass er das sein würde. Ursus ahnte vermutlich nicht einmal, wie sehr. Gerade von dir… Siv schloss für einen Moment die Augen, aber sie antwortete darauf nichts. "Danke", war das einzige, was sie sagte. Anschließend nickte sie, als Ursus das weitere Vorgehen erläuterte. "Corvinus wird Brief geben. Äh, haben. Kriegen. So wie du schreibst, wie du… ver…siegst…" Mit dem Wort versiegeln konnte sie nicht wirklich etwas anfangen, noch weniger es aussprechen, aber sie konnte sich denken, was Ursus meinte – bei einem Brief gab es nicht viele Möglichkeiten, und wie die Römer ihre Briefe kennzeichneten, um sicherzustellen, dass der Empfänger zumindest Kenntnis davon hatte, dass ein anderer ihn gelesen hatte, wusste sie. Danach wurde es wieder unangenehm. Ursus wandte sich Matho zu und gab sie in seine Obhut – wo sie sowieso gelandet wäre, aber dass Ursus es noch einmal so ausdrücklich betonte, dass Matho von nun an für sie verantwortlich war, ließ es in Sivs Ohren nur umso schlimmer klingen. Sie brauchte nicht sonderlich viel Phantasie oder Vorhersehungskraft, um zu ahnen, was in Mathos Kopf gerade vor sich ging. Oder was sie erwartete, sobald Ursus das Haus verlassen hatte. Wovon sie nichts ahnte war, dass der Maiordomus nicht daran dachte, ihr bei Corvinus den Vortritt zu lassen, was ihre Beichte anging – und ihr kam auch kein Gedanke daran im Moment. Hätte sie auch nur den leisesten Verdacht gehegt, hätte sie nicht einen Schritt zurück getan und mit einem fast schon ergebenen Gesichtsausdruck abgewartet, was als nächstes passieren würde.

  • Wie hinterhältig Matho wirklich war, davon hatte Ursus nicht die geringste Ahnung. Er ging davon aus, daß der maiordomus ganz in seinem Sinne handeln würde. Was den Brief anging, so würde Ursus in seinem nächsten Brief ohnehin von dieser Angelegenheit berichten. Spätestens dann würde Corvinus davon erfahren. Aber er würde mit dem Brief warten, bis sicher war, daß er nach den Sklaven in Rom ankommen würde.


    "Gut, dann ist ja soweit alles geklärt. Wenn noch irgendetwas ist, dann schick mir einen Boten ins Castellum, Matho. Ich muß nun wieder zurück. Ich vertraue darauf, daß etwas derartiges nicht noch einmal vorkommt. Vor eurer Abreise werde ich nochmal vorbeischauen. Vale." Ernst blickte er die beiden Sklaven noch einmal an, dann wandte er sich ab, um das Haus zu verlassen und ins Castellum zurückzukehren. Mit dem guten Gefühl, alles getan zu haben, was nötig war. Und mit dem guten Gefühl, alles in fähige Hände gelegt zu haben. Hätte er auch nur im Geringsten geahnt, welche Gedanken Matho so hegte, wäre dies nun etwas anders abgelaufen.

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    Noch einmal nickte Matho gewissenhaft. Man reichte Ursus seinen Mantel zurück, dann sah Matho hinterher, als der Aurelier das Haus verließ. Das Geräusch der Tür hatte etwas Endgültiges.


    Als er Siv dann ansah, gab er sich keine Mühe mehr, die Häme zu verbergen, die aus jeder Pore seiner Haut zu kriechen schien. "Sooo", sagte er und grinste breit. Sivs Haltung war ziemlich unüblich für die vorlaute Sklavin. So...schicksalsergeben. Matho ging langsam um Siv herum, bereits, sie jederzeit am Arm zu ergreifen und am Fortgehen zu hindern, sollte sie es versuchen. "Abgehauen ist sie also, die Lieblingssklavin? Na da wird aber jemand schwer enttäuscht sein. Wie dumm bist du eigentlich, hm? Oder könnt ihr Germanen nicht denken, bevor ihr was tut? Hm, muss ja so sein, sonst wär dein Volk jetzt nicht solche Speichellecker", höhnte Matho und blieb vor Siv stehen, um ihr ins Gesicht zu schauen. Dabei beugte er sich ein wenig nach unten und sah zu ihr auf.


    "Du wirst noch dein blaues Wunder erleben, das verspreche ich dir. Ich hab ja gleich gewusst, dass man so einem Germanenweib nicht einen digitus weit trauen kann, aber auf mich hat keiner hören wollen...jetzt sind sie selbst Schuld. Und du kommst jetzt mit." Matho richtete sich abrupt auf und griff Siv barsch ab Oberarm. Mehr zog er sie, als dass er sie führte - und der Weg führte zur area und dort eine schmale Treppe hinunter in den Keller, den Siv vor ein paar Tagen gesäubert hatte. "Ich wünsch dir viel Spaß hier unten, Siffilein", meinte Matho süffisant und wollte schon gehen...

  • Siv holte einmal tief Luft, als Ursus noch einmal bestätigte, dass es so laufen würde. Dass sie den Brief bekam. Dass Corvinus von ihr erfahren würde, was passiert war, mit ihren eigenen Worten, bevor er Ursus’ Bericht bekam. Sie konnte in diesem Moment noch nicht einmal genau sagen wieso, aber die Zusicherung beruhigte sie etwas, und noch nicht einmal die Tatsache, dass sie bald allein sein würde mit Matho, konnte ihr dieses Gefühl nehmen. Allerdings sollte das nicht lange so bleiben.


    Kaum war die Tür hinter Ursus ins Schloss gefallen, veränderte Mathos Gebahren. Siv meinte die Häme regelrecht sehen zu können, die von ihm ausströmte. Sie starrte ihn an, und ihr Temperament begann wieder zu brodeln – allerdings half ihr, für den Moment jedenfalls noch, die Tatsache, dass Ursus offenbar gewillt war, ihr ein bisschen zu vertrauen, und dass sie Corvinus berichten würde. So blieb sie stehen, folgte Matho nur mit ihren Augen, soweit es ihr möglich war, ohne sich zu bewegen, als er um sie herum ging. Ihre Zähne begannen zu knirschen, als der Maiordomus anfing, sie zu beleidigen – und als er ihr Volk angriff, war es um ihre Selbstbeherrschung erneut geschehen, wie schon so oft an diesem Tag. "Was?" Sie würde Speichellecker nicht aussprechen können, ohne sich die Zunge zu verrenken, also versuchte sie es gar nicht erst – aber sie wusste was es bedeutete, mehr oder weniger. Schimpfwörter waren mit das erste gewesen, was sie auf Latein gelernt. Schade nur, dass viele solche Zungenbrecher waren, dass sie sie kaum über die Lippen bekam, sonst hätte Matho bereits eine wahre Flut davon ins Gesicht bekommen. "Du bist doch der, der… du bist der, der schleimt, der…" Siv brach ab. Matho auf Germanisch anzugehen hatte überhaupt keinen Sinn, das wusste sie. Er würde nur verächtlich lächeln, mehr nicht.


    Also sagte sie nichts, oder bemühte sich zumindest – ihre Selbstbeherrschung kam allerdings arg ins Wanken, als Matho weitersprach. Germanenweib… Es klang wie eine Beschimpfung, und es sollte auch eine sein, das wusste sie. Und als er sie am Arm packte, versuchte sie, sich loszureißen, obwohl sie genau wusste, dass er stärker war als sie. Sich befreien konnte sie nicht, stattdessen wurde sie auf den Keller zugezerrt, mit dem sie erst vor ein paar Tagen ausgiebig Bekanntschaft gemacht hatte. Als sie das realisierte, begann sie wirklich sich zu wehren – obwohl sie Angst nicht zeigen wollte, konnte sie nicht verhindern, dass etwas Panik in ihrer Stimme und in ihren Bewegungen mitschwang. "Nein. Nein, nicht…" Die Treppe ging es hinunter, trotz Sivs fast schon verzweifelter Gegenwehr. Als sie unten waren und Matho sich zum Gehen wandte, schrie sie auf und fasste ihn am Arm, um ihn festzuhalten. "Was, was soll das?" fauchte sie, in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Wie lange wollte er sie hier unten lassen – und was sollte sie tun? Schon die Tage, als sie hier am Putzen war, waren schwierig genug gewesen für sie, gerade für sie, die so naturliebend war, die am liebsten draußen schlief. Jetzt, wo es nichts mehr zu tun gab, würde sie hier unten durchdrehen, wenn sie länger bleiben musste. Sie war sich durchaus im Klaren darüber, dass sie sich selbst verriet, dass Matho gegenüber Schwäche zugab, aber sie konnte nicht anders. Allein der Gedanke daran, die nächsten Tage hier zu verbringen – und die Nächte auch! – ließen sie schwindeln. "Was du hast vor? Was… ich tun soll?"

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    Es war ihm von vorn herein klar gewesen, dass sie den Keller hasste, und dass sie ganz und gar nicht einverstanden damit war, dass er sie nun nach unten bugsierte. Das hatte er in Rom schon festgestellt, denn Siv hatte sich so oft es ging darum gedrückt, neuen Wein aus dem Keller zu holen. Als er nun Panik in ihrer Stimme vernahm, war das gleichzeitig Genugtuung für die entzogene Aufmerksamkeit seitens Corvinus, wie auch Musik in seinen Ohren. Frohlockend wandte sich Matho noch einmal um. Selbstgefällig grinste er sie an.


    "Warten", sagte er lächelnd. Dann schloss sich die Tür und nur wenig später der Riegel, der sie zuverlässig verschlossen hielt. Mit Matho hatte auch die Helligkeit den Keller verlassen.

  • Siv starrte Matho ein, und obwohl sie seine Züge kaum erkennen, ihn nur als Umriss wahrnehmen konnte, weil er schon in der Tür stand und das Licht in seinem Rücken hatte, meinte sie doch sein höhnisches Grinsen sehen zu können. Sein Tonfall war in jedem Fall deutlich genug. Warten. Siv war für einen Moment wie gelähmt, als sie begriff, dass der Maiordomus Ernst machte – dass er tatsächlich vorhatte, sie hier im Keller zu lassen, vermutlich so lange, bis sie abreisen würden. Und als sie ihren Schreck überwunden hatte und einen Satz nach vorne machte, war die Tür bereits hinter Matho ins Schloss gefallen. Die Germanin prallte schmerzhaft gegen das Holz, während sie gleichzeitig hörte, wie von außen der Riegel vorgeschoben wurde. "Nein. Nein!" Sie hämmerte gegen das Holz, ignorierte das Brennen, als sie sich einen Splitter einzog, hämmerte weiter, trat schließlich sogar dagegen, während sie gleichzeitig nach Matho brüllte. "Lass mich wieder raus! Matho, lass mich… Bei Hel, lass mich Tag und Nacht schuften, wenn du willst, aber lass mich nicht hier unten!"


    Siv steigerte sich einen regelrechten Wutanfall hinein. Sie wollte sich nicht umdrehen, wollte sich nicht dem stellen, was sie erwartete – Kellergewölbe, unter der Erde, ohne Licht und ohne frische Luft. Es war einfacher zu toben, als die beklemmende Stimmung aufkommen zu lassen, die sie jedes Mal ergriff, wenn sie in engen, dunklen Räumen war, von denen sie noch dazu wusste, dass sie unter der Oberfläche lagen. Das Unwohlsein, dass sie anfangs in gemauerten Häusern ergriffen hatte, hatte sich mit der Zeit etwas gelegt – sie hatte sich daran gewöhnt, sie konnte inzwischen sogar einigermaßen gut schlafen, selbst in den Sklavenunterkünften, wenn sie allein im Bett lag und nicht jemanden – Corvinus – neben sich spürte. Aber alle Räume, die eng waren und dunkel und schlecht gelüftet, lösten immer noch Beklemmung und beinahe Panik in ihr aus, und daran würde sie sich auch kaum gewöhnen können. Der Gedanke an Corvinus aber löste etwas in ihr aus, dass sie dazu brachte, schließlich aufzuhören. Mit einem fast schon verzweifelten Laut, der verdächtig an ein Schluchzen erinnerte, ließ sie sich an der Tür zu Boden sinken. Corvinus… Sie konnte sich noch zu gut an die ersten Wochen erinnern, als sie im Grunde jede Nacht schlecht geschlafen hatte, bis auf die, die sie im Garten verbracht hatte – oder bei ihm. Das Haus… die Mauern waren ihr so erdrückend erschienen, und jetzt… Sie starrte in den Keller hinein, und obwohl es so dunkel war, dass sie kaum die Hand vor Augen sehen konnte, meinte sie die Wände zu sehen. Siv presste schließlich die Handballen auf die Augen, um nicht mehr sehen zu müssen, wo sie war, sie wollte sich davor verschließen, wollte sich etwas vormachen – aber sie konnte nichts dagegen tun, dass die Luft schal und abgestanden roch, und sie konnte nichts gegen ihre blühende Phantasie tun, die ihr noch viel lebhafter vorgaukelte, wie schlimm es hier unten war, viel schlimmer als es tatsächlich war, und die mit Visionen davon aufwartete, wie sie hier unten verrotten würde, ohne jemals wieder Licht zu sehen, wenn Matho sie völlig unbeabsichtigt hier unten 'vergaß'.

  • Die Kunde von Sivs Vergehen hatte sich rasant unter den Sklaven verbreitet. Kein Wunder, schließlich ließ Matho nicht eine Gelegenheit aus, jedem zu erzählen, dass er immer schon gewusst hatte, dass man Siv nicht trauen durfte. Matho schmückte Sivs Fluchtversuch in geradezu theatralischer Weise aus, erschien in seiner Version der Geschichte als der strahlende Rächer auf einem weißen Pferd - und ödete spätestens beim zweiten Mal des Erzählens jeden Sklaven in der villa an.


    Es hatte seine Zeit gebraucht, bis auch Merit-Amun davon erfahren hatte, was geschehen war. Sie vermisste die Besuche der Germanin, die sonst regelmäßig zu ihr gekommen war, und fragte am Abend schließlich Hektor aus. Was sie erfuhr, machte sie wütend und verängstigte sie zugleich. Zwar hatte sie bereits mitbekommen, dass Matho so gut wie niemand leiden konnte, aber dass er Siv einsperrte, wo er doch sicher auch wusste, dass sie genau das nicht mochte, machte ihr Angst. Brav aß sie den Puls, den man ihr zum Abend brachte, dann wartete sie still in der kleinen Kammer, bis die Geräusche im Haus abnahmen und schließlich alles ruhig war. Das Warten war grässlich und regte den Geist nur zu Schauergeschichten an, was Siv betraf. Aber Merit-Amun konnte nicht umhin, Siv weiterhin als liebelswert einzustufen, genau wie die meisten anderen auch, von Matho einmal abgesehen. Im Dunkel schlich sie sich schließlich baren Fußes aus dem Kämmerlein und in die Küche, wo sie ein großes Stück Käse und einen halben Laib Brot stibitzte. Sie klemmte sich beides unter den Arm, nahm einen kleinen Krug Wasser mit und zog auf ihrem Weg zur Treppe auch einen Blumenstängel aus irgendeiner Vase. Derart bewaffnet stahl sie sich die Kellertreppe hinunter und stellte ihre Gaben auf eine Stufe, damit sie beide Hände frei hatte, um den Riegel zurückzuziehen. Langsam und scharrend - in Merits Ohren klang es unglaublich laut und alarmierend - zog sie den Riegel zurück und schob die Tür einen Spalt weit auf. "Siv?" flüsterte Merit-Amun und erschrak im nächsten Moment über das laute Geräusch ihrer Stimme, das eigentlich kaum hörbar gewesen war. Schnell sammelte sie ihre Mitbringsel wieder auf und schlüpfte in den Keller.


    Hier war es noch dunkler als dunkel, und Merits Augen mussten sich erst noch an die penetrante Abwesenheit von Licht gewöhnen. "Du hier, Siv?" wisperte sie ein weiteres Mal. "Ist Merit-Amun. Giben Essen." sie hätte noch eine Lampe mitbringen sollen.

  • Siv lehnte mit dem Rücken an der Tür, die Hände fest auf die Augen gepresst, und bemühte sich um einen ruhigen Atem – allerdings war sie nicht sonderlich erfolgreich. Ihre Brust hob und senkte sich in unregelmäßigem Abstand, mal atmete sie flach und schnell, dann wieder gezwungen langsam und tief. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und sprang auf, in der Absicht durch den Keller zu laufen, um sich abzulenken – aber als sie stand, als sie die Augen offen hatte und in die Dunkelheit starrte, verließ sie der Mut. Sie schämte sich vor sich selbst, aber sie traute sich nicht. Die Finsternis schien eine stoffliche Qualität zu haben, die ihr das Atmen schwer machte und nach ihr zu greifen schien. Siv holte tief Luft, schloss erneut die Augen und konzentrierte sich, drängte die Panik zurück, die von ihr Besitz zu ergreifen drohte. "Komm schon. Beruhig dich", murmelte sie. Die eigene Stimme zu hören half ein bisschen, obwohl sie sich auch dafür schämte, dass sie das brauchte. Aber immerhin konnte sie – noch – das Bedürfnis unterdrücken, irgendwelche Lieder zu summen, die sie von früher kannte. "Du kannst das. Immer mit der Ruhe. Das ist nur ein Keller, mehr nicht." Langsam streckte sie eine Hand aus, bis sie die Mauer unter ihren Fingern fühlte, tastete sich behutsam vorwärts und machte schließlich einen Schritt, bevor sie endlich auch die Augen wieder öffnete. Noch einen Schritt tat sie, fühlte ihren Weg weiter an der Mauer entlang. Sie wusste nicht, warum sie überhaupt weiter in den Keller hinein ging, aber es war Bewegung, es war Ablenkung – wenn sie tatenlos sitzen geblieben wäre, hätte sie die Panik nicht mehr aufhalten können.


    Allerdings gelang ihr das auch so nicht. Siv machte noch einen Schritt und noch einen, stolperte über eine Kiste, stieß sich die Stirn an einem Regal und zuckte erschrocken zusammen, als eine Weinamphore mit einem Klirren zu Boden fiel und zerbrach. Sie ging in die Knie und tastete nach den Scherben – etwas zu tun, irgendetwas zu tun. Ihre Finger wurden nass, und im nächsten Moment fluchte sie aus tiefstem Herzen, als sie sich an einer Scherbe schnitt. "Auch keine Lösung", murmelte sie unverständlich, während sie den Finger in den Mund steckte und die Zunge auf die Wunde presste, die zwar klein, dafür aber tief war und heftig blutete. Sie richtete sich wieder auf, starrte in die Dunkelheit, versuchte sich zu orientieren und stellte fest, dass sie es nicht konnte. Sie konnte nicht mehr sagen, wo die Tür war. Und sofort schlug die Panik zu – so plötzlich, so heftig, dass die Germanin nicht die geringste Chance hatte, sich zu wehren. Einen winzigen Moment blieb sie noch stehen. Ihre Augen weiteten sich, ihr Puls stieg an, und ihr Atem beschleunigte sich schlagartig, so sehr dass ihr schwindelig wurde. Dann machte sie ein paar Schritte rückwärts, stolperte erneut über eine Kiste, und begann schließlich durch den Keller zu laufen. Ein Ausgang, sie musste irgendeinen Ausgang finden, irgendeinen… irgendeinen! Sie bemerkte gar nicht, wie Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen, während sie rannte, stolperte, gegen Wände und Regale stieß, auf der Suche nach dem Ausgang. In der Panik, die sie übermannt hatte, kam ihr der Keller vor wie ein riesiges Gewölbe, und die Angst, nie den Weg zur Tür zurück zu finden, hier unten bleiben zu müssen, mochte irrational sein, hatte sie in diesem Moment aber nichtsdestotrotz in festem Griff und gaukelte ihr diese Möglichkeit in fürchterlicher Eindringlichkeit vor.


    Irgendwann kam sie wieder an die Tür, hämmerte erneut dagegen und rief, nach Matho, nach irgendjemandem, zerrte an dem Knauf und hielt überrascht inne, als die Tür sich öffnete – als dahinter aber nur noch mehr Dunkelheit auf sie wartete, begriff sie, dass es nur eine Tür in einen weiteren Kellerraum war. Einen Augenblick stand sie nur da und starrte verzweifelt in den Raum dahinter, dann sank sie zu Boden und schluchzte. "Ich will hier raus. Oh ihr Götter, Hel, bitte, ich will hier raus, ich kann das nicht, ich kann einfach nicht…" Sie zog die Beine an, schlang die Arme darum und vergrub ihren Kopf zwischen den Knien – so saß sie auch noch da, als sich erneut eine Tür öffnete, die andere, richtige diesmal, und Merit-Amun hereinkam. Zuerst glaubte Siv, ihre völlig überreizte Phantasie spiele ihr einen Streich, als sie die leise Stimme hörte, die dennoch durch den Keller trug, bis zu ihr. "Merit? Bist du das? Merit, du? Du bist da, hier?" Siv sprang auf und tastete sich vorwärts, ging in die Richtung, aus der sie die Stimme gehört hatte. Nur mühsam konnte sie das erleichterte Schluchzen unterdrücken, das sich Bahn brechen wollte. "Oh bitte, sag, sag, weiter, was, bitte…"

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