Wenngleich Asny jenes mahnend gen Himmel aufragende Holzkreuz auch durchaus kannte, so hatte sie bislang dessen eigentlicher Nutzung noch nicht beiwohnen dürfen. Ein Umstand, den sie, wann immer sie dieses Gerät passierte, ein wenig bedauerte. Es war weniger die sadistisch geweckte Absicht, jemand anderen leiden zu sehen und schreien zu hören - dies brächte ihr für gewöhnlich keinerlei Vorteil -, sondern die Beobachtung der körperlichen Reaktion, der Wirkung auf Haut und Muskeln und der Verlauf der Vernarbung. Dass man nun an ihr selbst eine solche Studie durchführte, war auf der einen Seite selbstredend sehr positiv und praktisch, doch besaß sie leider keine Augen am Hinterkopf, so dass es ihr unmöglich sein würde, die Anwendung und die Abheilung aus nächster Nähe beobachten zu können. Ein leiser Seufzer des Unmuts verließ ihre Lippen, während man sie an das Kreuz band. Anscheinend konnte man von Aristides doch nicht so ohne Weiteres verlangen, dass er von sich aus sinnvolle Entscheidungen fällte, die ihren Erwartungen entsprachen. Im Grunde blieb ihr auf diese Weise nur der Grad des Schmerzes und wie bereits bekannt war dieser Index überaus ungenau und trügerischer als eine Moorlandschaft. Eine Einteilung in gefühlte Schmerzen gerade am Rücken verlangte eine Konzentration und ein Bewusstsein, die sie erst noch beide würde entwickeln müssen. Andererseits kannte sie ihren Körper ausgezeichnet, wusste um seine Stärken und Grenzen, die sie auch gerne einmal zu überwinden versuchte. Er musste sich freilich stets dem Geist beugen, doch Asny verlangte nichts Nachlässiges oder Verrücktes von ihm. Gut funktionieren sollte er, gesund und trainiert sein. Schließlich war er ihr Körper und wie alles, was sie als ihr Eigentum deklarierte, musste er besonders sein. Im Gegensatz zu Aristides hatte er diese Besonderheit bereits hinlänglich bewiesen. Doch vermutlich sollte sie mit dem Flavier ein wenig geduldiger sein. Schließlich hatten sie sich gerade erst kennengelernt und wie es den Anschein hatte, war sein Geist eher schwächlich und ergab sich lächerlichen Sehnsüchten nach seiner Tochter. Wenn er ihr allerdings bei ihrem Training half, würde sie ihm umgekehrt auch diesen Gefallen tun, von dem sie am Ende selbst profitieren könnte. Natürlich durfte sie nicht aus den Augen verlieren, dass er niemals ihren Wert erreichen könnte, dafür war bereits die Basis zu angeschlagen und sein Optimum zu tief angesetzt. Doch man konnte nie wissen. Immerhin besaß er einen Teil ihres Interesses und dies hatte schon mehr aus einem Menschen heraus geholt, als dieser Mensch selbst von sich gedacht hätte.
Ihren Atem zu gleichmäßigen Luftzügen zwingend starrte Asny auf die grobe Holzmaserung direkt vor ihrem Gesicht und prüfte mit einem kurzen Ruck und einer leichten Drehung der Handgelenke die Befestigung der Fesseln, die sie nicht unbedingt als notwendig erachtete. Wenn sie hinfiele, wäre es ihre eigene Schuld und ein Eingeständnis von Schwäche, welches sie von sich aus nach Kräften zu verhindern suchte. Doch vielleicht fiel dem Auspeitscher mithilfe des Kreuzes und der genauen Justierung des daran geschnürten Körpers das Zielen ein wenig einfacher.
Am Rande ihres Bewusstseins bekam die Sklavin noch flüchtig mit, dass Aristides irgendeine dumme Rede hielt, die ihn selbst wohl am meisten aufbauen sollte, ehe sie sich der Außenwelt und ganz besonders einer bereits jetzt schluchzenden Asa verschloss, und sich auf ihren Körper und dessen Wahrnehmung fokussierte. Die raue Berührung der Fesseln an ihrer Haut, das von der Sonne aufgewärmte Holz vor ihr, eine leichte Brise, die sich in ihren Haaren verfing und ihren nackten Rücken streichelte, eine Vielzahl von Düften, die sie umgaben, ihr eigener Atem, den sie auf ihren Bauch konzentrierte und das leichte Pochen ihres Pulses in den Schläfen. Sie deklarierte diesen Punkt als 0, frei von Schmerz. Notgedrungen und bar einer anderen Erfahrung würde sie die Schmerzgrade erst einmal mit der Anzahl der Schläge gleichsetzen müssen, obgleich sie zweifelte, dass diese Gleichung so einfach aufgehen würde. Nicht jeder Schlag brächte den gleichen Anteil an Schmerz wie der andere. Anfänglich vielleicht, der erste Schlag wirkte womöglich wie der stärkste, doch einfach nur deshalb, weil er bei 0 ansetzte. Ob der achte Schlag noch dieselbe Wirkung besaß war fraglich.
Andererseits befand sie sich aus genau jenem Grunde, ihrer Unwissenheit, an diesem Ort. Sie musste lernen, wie sie es immer tat. Und auch Aristides musste lernen. Endlich. Ein derart leichtgläubiger und labiler Herr war untragbar für sie. Allerdings würde es gewiss merklich schwerer werden, ihm etwas beizubringen als sich selbst. Immerhin wollte sie lernen. Um jeden Preis.
Das Verhalten ihres Körpers unter Schmerzeinwirkung war überdies wirklich erstaunlich. Es schien, als wollte er sich dabei von der Herrschaft des Geistes befreien, ihn niederringen und übertreffen, wie ein kleines Kind, das aufbegehrte und sich von Mutters Hand loszureissen versuchte. Was umso unsinniger war, als dass gerade die Mutter ihm doch hätte helfen können. Doch in derartigen Ausnahmesituationen schienen gebräuchliche Herrschaftsverhältnisse ins Wanken zu geraten, ausgerechnet dann, wenn alles viel leichter würde, ließe man auch weiterhin den Verstand an der Macht. Asny wusste, dass ein paar Schläge sie nicht umbrächten sondern lehrreich wären, dennoch reagierte ihr Körper derart überzogen und albern, dass sie beinahe geneigt war, sich für ihn zu schämen. Die Haut zerriss, es floss Blut - ach, wie furchtbar. So ein armer Körper. Doch wenn sie all die auftretenden Merkmale nicht genau zur Kenntnis nahm, würde sie beim nächsten Mal nicht anders reagieren. Am Besten gewöhnte man sich an etwas, wenn man es oft und intensiv wiederholte. Und ihr Körper musste sich definitiv daran gewöhnen, wenn sie verhindern wollte, dass er sich ihrem Geist derart rücksichtslos in den Weg stellte. Dann würde sie auch daran arbeiten, die Auswirkungen des Schmerzes besser bekämpfen können. So hatte sie bemerkt, dass zwischen dem eigentlichen Schlag und dem bewussten Aufflammen der Auswirkungen einige Zeit verstrich, als bräuchte die Botschaft ein Weilchen, bis sie vom Rücken zu ihrem Verstand vorgedrungen war. Wie ein kleiner Bote, der ein wenig Zeit benötigte, um seine Nachricht zu verbreiten. Würde man ihn an der Auslieferung hindern, wäre es dann möglich, gar nichts mehr zu spüren? Sich ihm zu verschließen? Die Peitschenhiebe folgten zu rasch aufeinander, doch Asny legte diesen Gedanken sorgsam ab, ehe sie sich wiederum auf das Gegenwärtige konzentrierte und die Reaktionen ihres Körpers verfolgte. Ihre Atmung und ihr Herzschlag beschleunigten sich als wäre sie eine weite Strecke über Berg und Tal mit aller Macht gelaufen. Ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern und Tränen schossen ihr in die Augen, obgleich sie überhaupt keinen Anlass dazu besaßen. Sie war nicht traurig und es mussten inzwischen schon viele Jahre vergangen sein, seit sie zuletzt geweint hatte. Es war kein Schmutz auf ihren Augapfel gelangt, der fortgespült werden müsste. Insofern bestand kein regulärer Grund für diese Tränen. Wollte ihr Körper etwa einen mitleidvollen Eindruck erwecken, damit die brennenden Qualen ein Ende fanden? Ein instinktiver Täuschungsversuch? Wahrscheinlich hätte er sogar versucht zu schreien, hätte sie ihm nicht die Stimme genommen. Ihr Atem ging zu panisch für einen entsprechenden Seufzer, doch Asny war mit dieser Entwicklung alles andere als zufrieden. Ihre Muskeln sollten ihr gehorchen und nicht irgendeinem Lederriemen. Der Verstand wusste, was geschah, selbst wenn die Augen es nicht sehen konnten. Es mochte für den normalen Begriff der Schönheit nicht hübsch anzusehen sein, wie ihr die Haut in Streifen vom Rücken gerissen wurde, aber es war auch kein Weltuntergang, keine Katastrophe. Viel schlimmer und nachhaltiger war der Aufstand, den ihr Körper deswegen machte. Dort liefen Vorgänge ab, zu unkontrolliert und schnell, die ihr um einiges mehr schadeten. Es war höchste Zeit daran zu arbeiten, bevor sie noch tatsächlich so armselig zu wimmern und zu flehen begann, wie die ganzen Sklaven, deren Bestrafung sie auf den Märkten manches Mal beigewohnt hatte. Diese waren tatsächlich Sklaven gewesen, Sklaven vor sich selbst.
Nach dem zehnten Schlag gaukelte Asnys Leib ihr in seiner Blindheit ein pulsierendes Feuer vor, wie es nicht zu übertreffen sein konnte. Vollkommen unsinnigerweise, schließlich gab es immer noch eine Steigerung zu einem Gefühl. Peitschenhiebe auf den Rücken waren dahingehend nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ihr Herz schlug wild und schnell in heller Aufregung und ihre Atmung wollte sich nur sehr widerwillig dem von ihrem Verstand aufgezwungenen Muster unterwerfen. Doch hart biss sie die Kiefer aufeinander und starrte auf die verlaufenden Muster des Holzes vor ihr. Sie musste diesen zitternden Bann abwerfen. Es durfte nicht sein, dass sie sich von ein paar Schlägen so beeindrucken ließ. Knapp schüttelte sie den Kopf und blinzelte ungehalten gegen die alles verwaschenden Tränen an. Wirklich, eine solche Behandlung war mehr als überfällig gewesen. Sie musste abgehärtet werden, sonst würde sie bald ächzen und humpeln gleich dem alten Krüppel, den ein einfältiges Schicksal ihr als Herr zugespielt hatte.
"Die Schläge waren.. vollkommen unregelmäßig.. Anfang und Ende waren... viel heftiger als die mittig gelegenen.. so ein Dilettantismus...", stieß Asny zunächst zwischen immer noch zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit jedem unangemessen japsenden Atemzug wuchs die Wut auf sich selbst mehr an. Ihre zitternden Lippen formten ein grimmiges Lächeln, ehe sie mit einem trockenen Anflug unerbittlichen Zynismus' fortfuhr:
"Aristides... was hat dir das hier gebracht? Kam deine Tochter strahlend angelaufen.. um dich von aller Schuld freizusprechen?" Sie hustete trocken und schüttelte neuerlich den Kopf. Nichts behinderte augenblicklich ihre Atemwege, was ein solch peinliches Röcheln begründen konnte. Natürlich durfte sie den Blutverlust nicht vergessen. Die Wärme des Tages würde die Gefäße nicht so rasch zusammenziehen, wie Kälte es vollbrächte, andererseits könnte sie die Wundverkrustung eher unterstützen. So ein Pech, dass sie ihre Wunden nicht zu sehen vermochte! Auf die Beschreibungen irgend eines anderen konnte sie sich auch nicht verlassen, kaum jemand in dieser Villa wäre in der Lage, sie ihr angemessen und objektiv genug zu beschreiben. Und die Menschen, welche dazu womöglich in der Lage wären, würden es nicht tun, aus welchen dummen Gründen auch immer. Wohl oder übel bliebe ihr nichts anderes übrig, als ihren alten Lehrmeister aufzusuchen. Dieser fahndete schließlich auch permanent nach Studienobjekten.