Cubiculum | Gracchus & Antonia - Wenn Schweine fliegen

  • Feine Schweissperlen rannen die claudische Stirn hinab, als sie, samt den anderen Körperteilen, an diesem Tag durch die Gänge der Villa Flavia wandelte. Zum einen war hierfür das warme Wetter verantwortlich, zum anderen die Tatsache, dass das Ziel ihres Ausflugs das Gemach Antonias Gatten Gracchus war. Ihren Sklaven Pallas hatte sie vorgeschickt, um zu erfahren, ob Gracchus denn überhaupt in der Verfassung war, mit ihr zu sprechen. Fast hatte sie gehofft, die Antwort wäre nein, doch jenen Gefallen wollten die Parzen ihr heute wohl nicht tun. Es weiter hinauszuschieben hatte vermutlich ohnehin keinen Sinn, würde jene Nachricht, die zu überbringen sie gedachte, doch schon bald im ganzen Haus, wenn nicht in halb Rom bekannt sein. Besser er hörte es von ihr selbst, als einem dahergelaufenen Sklaven oder gar der Acta.
    Zwei Seelen trug sie mit sich herum. Die eine drohte bald zu explodieren vor Freude, die andere wollte sich in einem tiefen Loch verkriechen, aus Angst vor Gracchus’ Reaktion. Niemals würde er glauben, das Kind sei von ihm. Nicht nachdem er sich so sicher war, unfruchtbar zu sein. Und beweisen konnte Antonia nicht, dass es keinen anderen Mann in ihrem Leben, beziehungsweise in ihrem Bett, gegeben hatte.
    Nur allzu schnell war sie vor der Tür ihres Ehemannes angelangt und stand nun zögerlich davor, wie er selbst so oft zögerlich vor ihrer Tür gestanden hatte. Ihr Herz schien in einen zu engen Mantel gesperrt zu werden, ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie die Hand hob, um zu klopfen. Als sie glaubte eine Reaktion aus dem Inneren des Raumes zu hören, schob sie die Tür auf und trat ein. Der Anblick ihres noch immer geschwächten Gatten indes ließ sie gleich am Eingang verharren. Nie hatte sie ihn so gesehen, noch sehen wollen. Krank, matt, geradezu hilflos. Nichtsdestotrotz kämpfte sie das aufkeimende Unwohlsein nieder und trat mit langsamen Schritten näher, irgendwie noch ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubernd.
    „Manius.“, grüßte sie ihren Mann, wie schon so oft. „Manius, wie geht es dir? Ich war so in Sorge.“
    Dies war nicht einmal gelogen, denn obwohl sie nicht ein einziges Mal seit seinem Anfall sein Cubiculum aufgesucht hatte, war kaum eine Stunde vergangen, in der sie sich nicht gefragt hatte, ob er wieder auf die Beine kommen würde. Nur selbst einen einfachen Krankenbesuch, wie ihn wohl jede treusorgende Gattin absolviert hätte, hatte sie nicht über sich gebracht. Zu sehr hatte sie jenen Anblick gefürchtet, den sie nun vor Augen hatte. Ihr Bild vom stets vor Energie und Kraft strotzenden, unverwüstlichen Manius Flavius Gracchus war dahin.
    Um Fassung bemüht wartete sie nicht erst, bis ein Stuhl für sie gefunden war, sondern ließ sich, gänzlich untypisch für sie, auf dem Boden neben dem Krankenbett nieder, ergriff sogar die Hand ihres Gemahls. Um Trost zu spenden oder um Sicherheit zu suchen? Wer vermochte dies schon zu sagen.

  • Draußen vor den Fenstern der Villa lag der Garten in hellem Sonnenschein, Hitze stand über der Stadt, doch innerhalb der Mauern war es auch am Tage erträglich. Allmählich begann die Untätigkeit Gracchus zu Frustrieren, doch es fiel ihm noch immer schwer, seinen Körper in Bewegung beieinander und vor allem bei sich selbst zu halten, gleichsam wie er noch immer an der einen Hälfte aller Wörter zu stolpern, an der anderen direkt hängen zu bleiben schien. Er hatte versucht zu lesen, doch sobald er über die Hälfte eines Satzes war hinaus gelangt, so hatte er bereits den Anfang dessen vergessen. Er hatte Sciurus vorlesen lassen, doch auch am Ende dessen Sätze hatte er die Anfänge bereits vergessen, so dass er bald dazu war übergegangen, sich nurmehr von dem auf und ab der Stimme seines Sklaven berieseln zu lassen. Seit Stunden, wie es Gracchus schien, war es doch nun wieder still, er allein mit seinen Gedanken, als ein Sklave anklopfte und leise mit Sciurus sprach. Gracchus mochte nicht, dass er übergangen wurde, und sobald er wieder Herr seiner Stimme würde sein, würde jener Sklaven seinen Lohn für dies erhalten, sofern er dies nicht längst würde wieder vergessen haben. Sein Leibsklave trat zu ihm und unterrichtet ihn davon, dass seine Gemahlin ihn sehen wolle. Panik stieg in Gracchus auf, denn er wollte nicht, dass Antonia ihn in jener deplorablen Situation vorfand, doch letztlich blieb ihm wenig übrig. Sie war seine Ehefrau, nicht nur durch die getroffene Vereinbarung zu ihrer Hochzeit hatten sie sich hierfür entschieden, sondern letztlich, um einiges später, auch durch ihrer beider Wahl. So sehr auch er sich wünschte, es zu können, so konnte er sie jetzt nicht abweisen, nicht nach allem, was geschehen war. Er nickte Sciurus zu, welcher dies an den Sklaven weiter gab, und die Zeit schien Gracchus noch zäher zu verrinnen als zuvor, gleichsam ertönte nur allzu bald das erneute Klopfen an der Türe. Er saß auf seinem Bett, zwei Kissen im Rücken, eine leichte Sommerdecke über den Füßen, den Blick erst leer in die Ferne gerichtet, sobald Antonia eintrat sie fixierend. Unwillkürlich zuckte sein Mundwinkel als sie bei seinem Anblick stockte, seine Kiefer pressten sich aufeinander ganz ohne dass er dies in seinem Willen formte, und er fragte sich insgeheim, wie viele Erniedrigungen vor ihr er noch würde konnivieren müssen, gleichsam da er längst hatte geglaubt, dass es nach seinem Eingeständnis schlimmer nicht mehr hätte werden können. Das Schicksal hatte ihn eines besseren belehrt, wie allzu oft.
    "...'nto...nia ..."
    , erwiderte er halbwegs ihre Begrüßung, wurde sogleich hernach überrascht durch ihre so unvertraute Berührung.
    "... Gut ..."
    Natürlich war es unübersehbar, dass es ihm nicht gut ging, doch es gab kaum Menschen, welchen gegenüber er solcherlei würde eingestehen, und insbesondere gehörte zu jenen nicht seine Gemahlin. Noch im Sterben würde er sie von seinem Wohlbefinden zu überzeugen suchen, war es doch seine eheliche Pflicht, für sie Sorge zu tragen, zumindest sie nicht in Sorge zu stürzen.
    " ... d ... dir?"
    Es quälte ihn, sich selbst zu hören, und gleichsam zu wissen, dass sie in eben dieser Art und Weise seine Sätze, was davon übrig blieb, vernahm. Vorsichtig strich er mit dem Daumen über ihre Hand, welche die seine hielt, als zärtliche Geste oder um sie bei sich zu halten - wer vermochte dies schon zu sagen.

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  • Bei allen Göttern, nicht einmal einen zusammenhängenden Satz, ganz zu schweigen von einem vollständigen Wort brachte er hervor. So verblüfft, ja bestürzt, war Antonia, dass sie ihren Gemahl nur einige Sekunden lang stumm anstarren konnte. Sich dessen bewusst werdend, durchging sie ein Zucken, welches ein mehr als gequältes Lächeln zur Folge hatte.
    Umgehend bereute sie, dass sie ihn aufgesucht hatte. Er hatte andere Sorgen, musste zunächst einmal zusehen, wieder gesund zu werden. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie sollte sie ihm sagen, was sie zu sagen gedachte? Andererseits, konnte sie dadurch seinen Zustand noch verschlimmern? Wohl kaum. Innerlich mit sich ringend, brachte Gracchus schließlich das nächste Wort hervor. Gut ginge es ihm. Sie glaubte es ebenso wenig, wie er annehmen musste, dass irgendjemand dies würde glauben.
    „Das freut mich.“, erwiderte die Claudia, aus demselben Grund, aus dem er jene Unwahrheit kundgetan hatte. Keinesfalls wollte sie zu seinen körperlichen Beschwerden nun auch noch die Tortur einer klagenden und weinenden Ehefrau hinzufügen. Sofern ihm dies überhaupt etwas ausmachte. Dass er sich schließlich noch nach ihrem eigenen Wohlbefinden erkundigte, überzeugte die Patrizierin schließlich davon, dass tatsächlich ihr Gatte in jenem Körper steckte. Keinen anderen Menschen kannte sie, der sich, stets höflich, nach anderen erkundigte, wenn er selbst mehr tot als lebendig zu sein schien.
    „Oh, ich.. “
    Eigentlich die perfekte Vorlage. ‚Es geht uns hervorragend.’ Nein, viel zu plump. ‚Wie es mir geht? Schwanger.’ Bei Iuno, das war ja noch viel schlimmer. So in ihre Überlegungen versunken, zog sie erst eine schwache Berührung an ihrer Hand wieder in die Gegenwart. Ein seltenes Ereignis durften die Menschen, welche sich im Raum befanden an dieser Stelle miterleben: Antonia hatte mit den Tränen zu kämpfen. Ob aus Rührung, oder aufgrund der Hormone war hierbei wohl nebensächlich. Wie beiläufig hob sie die freie Hand, um sich eine Träne aus dem Augenwinkel zu wischen, in der stillen Hoffnung, Gracchus möge es nicht bemerkt haben. Jene Hand fand schließlich ebenfalls ihren Platz auf der des Kranken. Fast schien es, als klammerte Antonia sich fest.
    Kaum wagte sie, ihren Blick wieder zu heben, fürchtete, was sie ihm Gesicht ihres Mannes lesen würde, sobald sie ausgesprochen hatte, was sie früher oder später doch aussprechen musste.
    „Es geht mir.. recht gut. Den Umständen entsprechend.“, begann sie stockend. „Allerdings gibt es da einen Umstand, über den ich dich informieren sollte.“
    Niemals würde er ihr glauben. Gerade jetzt nicht, wo er geraume Zeit außer Gefecht gesetzt gewesen war. Natürlich, es musste ja so wirken, als habe sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. Doch die Worte sprudelten unaufhaltsam weiter.
    „Du weißt noch, worüber wir vor einiger Zeit gesprochen hatten? Über.. nun.. unseren.. ausbleibenden Nachwuchs?“
    Sie riss den Blick nach oben, zwang sich, den Kopf nicht zu senken, wie eine Sünderin, die um Gnade flehte. Nichts Falsches hatte sie getan. Zumindest sie selbst wusste das.
    „Es scheint, als hättest du dich geirrt, Manius. Ich bin guter Hoffnung.“
    Zumindest ein Gutes hatte sein Zustand in diesem Augenblick. Eine lange Tirade angereihter Vorwürfe und Beschimpfungen würde er kaum hervor bringen.

  • Je länger seine Gemahlin im Raume verweilte, desto mehr bereute Gracchus, dass er ihrem Besuch hatte zugestimmt. Ihre Anwesenheit war ihr sichtlich unwohl, ebenso ihm die seine, so dass es um ihrer beider Wohl besser wäre bestellt gewesen, hätten sie wie sonstig eine halbe Villa Abstand zwischen sich. Zu allem Überfluss war Antonia nicht nur ihre Fassungslosigkeit anzusehen, sondern auch jene unscheinbare, schimmernde Wasserperle, welche sich im Winkel ihres Auges sammelte und eilig von ihr wurde hinfort gewischt.
    "... ni'ht ..."
    , suchte Gracchus sie von weiterem Tränenflusse abzuhalten, sie irgendwie zu überzeugen, dass dies nicht notwendig war, denn selbst in bestem Zustand war Gracchus mit weinenden Frauen heillos überfordert, selbst so sie seiner eigenen Familie entstammten, doch es wollte ihm kein einziges, weiteres Wort noch in die Sinne gelangen. Es war ein Segen der Götter, dass Antonia selbst ihrer Emotion Einhalt gebot, und als auch ihre zweite Hand sich um die seine schloss, fasste er noch fester, um ihr zu zeigen, dass er ihr stets würde halt bieten, koste es, was es wolle. Ihre einleitenden Sätze regten keinerlei Gedanken in Gracchus an, es schien ihm nicht mehr oder minder sonderbar als jedes andere Gespräch, welches sie bisherig hatten geführt. Sie war also guter Hoffnung. Diese Worte seiner Gemahlin brauchten ein wenig bis sie durch die merkwürdig diaphane Membran, welche noch immer stetig seinen Kopf umfasst hielt, hindurch gedrungen waren, hernach auch wollte bereits er sich in einem Nicken ergeben, als etwas in seinem Innersten ihn davon abhielt, er sich dessen wurde gewahr, dass an jener Tatsache etwas nicht richtig war, nicht nur deswegen, da sie vorangestellt hatte, er müsse sich geirrt haben. Es war etwas Bedeutsames, dessen war er sich gänzlich sicher, etwas, dessen er sich unbedingt musste erinnern, ein Bruchstück ihrer Ehe. Als endlich er die richtige Türe im Inneren seines Gedankengebäudes hatte öffnen können und jene so immens gravierende Information auf ihn hernieder prasselte, erschlug sie ihn beinahe unter ihrer Relevanz. Es war nicht sein Kind, welches sie austrug. Eine Augenbraue rutschte ihm empor, nicht willentlich, nicht bewusst, als gänzlich autonome Reaktion seines Körpers, während sein Geist in seinem Inneren mit sich und der wiedergefundenen Erinnerung ob ihrer Ehe, ihrer Misere rang. Sie war eine Claudia, sie würde kein Bankert mit einem Sklaven gezeugt haben und nun ihm dies eingestehen, denn Frauen aus solcherlei Häusern achteten auf das familiäre Erbe, gleichsam wie zu ihrer Erziehung das Wissen darum gehörte, sich des eventuellen, ungewollten Nebenproduktes eines Amüsements mit einem Unfreien zu entledigen. Ihm selbst war es letztlich nicht möglich gewesen, seinen Vetter bis zum Schluss um die notwendige Tat zu bitten, doch er hätte wissen müssen, dass sich Antonia ob dessen nicht würde die Möglichkeiten nehmen lassen. Während die Welt langsam um ihn herum an Bedeutung verlor, lag Gracchus' gänzliche Aufmerksamkeit auf seiner Gemahlin, jener wunderschönen, perfekten Frau, welche die Wogen des Schicksals so unverdientermaßen an seine Seite hatten gespült, welche all seine Makel auszugleichen wusste. Erneut hatte er sie unterschätzt, denn während er in Hader und Zweifel sich hatte ergossen, während er nicht Manns genug gewesen war, für diese, seine Familie Sorge zu tragen, hatte sie getan, was notwendig war, und er war sich äußerst sicher dabei, dass sie die Auswahl wohl überlegt hatte getroffen, und er sich ob der Annahme jenes Kindes kaum würde Gedanken machen müssen.
    "So ... wer...den wir ... ei...n' ... Fa...mili' ..."
    , tropften seine Worte zäh und leise ihm über die Lippen, und er wusste noch immer nicht, welche Regung würde gänzlich dem angemessen sein. Sie würden einen Nachkommen haben, Sohn oder Tochter, es war gänzlich ohne Belang, und obgleich es nicht sein Kind würde sein, so würde dieser Makel am Tage seiner Geburt von ihm abfallen, so würde es sein Kind werden in jenem Augenblicke, da er es vom Boden nahm und zu dem seinigen machte, denn das Leben, sein Leben war viel zu kostbar. Was zählte, wer der Erzeuger war, wo keiner von ihnen letztlich dessen sicher konnte sein, und nicht umsonst hatten ihre Ahnen jenes Recht der Kindesannahme geprägt, welches bis zu diesem Tage seine Gültigkeit hatte. Er würde Vater werden, und er wusste nicht, ob er ob dessen lachen oder weinen sollte, doch er glaubte, lachen zu wollen, und ohnehin hatte sein Innerstes bereits entschieden, ihm ein freudiges Lächeln auf die Lippen zu legen.

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  • Er hatte die Träne bemerkt. Natürlich hatte er, nichts entging ihm, selbst in diesem Zustand nicht. Sein Versuch, durch ein paar Worte jenen Impuls in ihr aufzuhalten hatte lediglich den Effekt, dass sie, ob seiner Schwierigkeiten das Wort auszusprechen, nur noch mehr gegen den Drang zu weinen ankämpfen musste. Es ging, irgendwie.
    Und einmal mehr musste sie feststellen, dass sie ihren Gatten völlig falsch eingeschätzt hatte. Im Grunde keine Überraschung, tat sie dies doch jeden Tag und jede Stunde, seit sie verheiratet, wenn nicht seit sie einander versprochen waren. Sie versuchte in seinem Gesicht zu lesen, zu ergründen, wie seine Reaktion ausfallen würde. Bereits vorab hatte sie über allerlei Szenarien und ihre geplante Antwort darauf sinniert. Und schien es ihr zu Beginn, als würde Gracchus nicht einmal annähernd verstehen, was sie sagte, war seine Augenbraue, welche so unaufhaltsam in die Höhe sich zog ein untrügliches Indiz dafür, dass er bereits seine Schlüsse zog. Antonias Augen weiteten sich, unbewusst zog sie ein wenig den Kopf ein, machte sich schon bereit zu beteuern, vor Iuppiter zu schwören, es sei sein Kind.
    Sie hatte sich getäuscht. Wie stets. Wie immer hatte sie ihm Unrecht getan, hatte das Schlechteste von ihm und sich selbst angenommen, nur um von ihm vorgeführt zu werden. Die Schamesröte stieg ihr ins Gesicht ob solcher Perfektion. Keinen Gedanken schien er daran verschwendet zu haben, dass er ursprünglich angenommen hatte unfruchtbar zu sein. Seine eigene Vollkommenheit ließ ihn nicht sehen, welche anderen Möglichkeiten es gegeben hätte für Antonia, um schwanger zu werden. Nichts dergleichen nahm er an, geschweigedenn dass er es ihr vorwarf. Wieder wurde ihr durch ihren Gatten vor Augen geführt, wie wenig sie ihn doch verdient hatte. Sie, die stets nur das Negative erwartete, die im umgekehrten Falle sicher völlig gegensätzlich reagiert hätte.
    Ganz offensichtlich freute er sich, was die Claudia nur noch mehr in ein inneres Chaos stürzte. Hatte sie sich auf Wutausbrüche und Vorwürfe vorbereitet, so traf sie sein Lächeln gänzlich unvorbereitet. Fast glaubte sie zu träumen, war der festen Überzeugung, so einfach könne all dies nicht vonstatten gehen. All die Ängste und all das Bangen sollten umsonst gewesen sein? Ihre eigene Unsicherheit wischte er mit einem Satz, mit einer Regung beiseite, führte ihr wie so oft vor Augen, wie unzulänglich sie doch war.
    „Das werden wir.“, bestätigte sie nach einer langen Zeit des stillen Blickwechsels seine Worte. Sich von seinem Lächeln anstecken lassend, begann die Claudia übers ganze Gesicht zu strahlen.
    Worte konnten das Felsmassiv, welches ihr in diesen Sekunden vom Herzen gefallen war, nicht umfassen. Und endlich, endlich hatte diese Ehe, ja ihr Leben, einen Sinn. Endlich würde sie tun können, wozu sie bestimmt war.
    "Ausnahmsweise scheinen die Götter uns einmal wohlgesonnen.", fügte sie hinzu, bereits das Vorhaben im Kopf, die nächsten Tage in diversen Tempeln zu verbringen.

  • Im Angesicht des freudigen Strahlens auf dem Gesicht seiner Gemahlin verwunderte Gracchus die Entscheidung der Götter nicht, denn selbst diese würden sich einer Person wie ihr auf Dauer nicht entziehen können. Es war letztlich sein Fluch, nicht der ihre, und hatte er nicht stets beteuert, für ihr Glück das seine aufzugeben bereit zu sein? Gleichsam war sie sein Glück, mehr und mehr, und da er stets an seiner Liebe würde verzweifeln, war es nur ein erwartungsgemäßes Drängen, nach ein wenig Glück zu greifen. Vorsichtig löste er die Hand aus den ihren, hob sie langsam zu Antonias Wange und strich behutsam darüber, bevor er sie um den Hals fasste und sanft zu sich zog.
    "... I'h ... lieb' ... di'h ..."
    flüsterte er leise und meinte es tatsächlich in eben jenem, wenn auch ein wenig zerstückelten, Wortlaut. Er mochte ihren Körper niemals mit Leidenschaft begehren, mochte sich in keiner stürmischen Vereinigung mit ihr gänzlich wohl fühlen, doch sie war jener Teil, welcher ihn perfektionierte, sie wusste jeden seiner Makel auszugleichen, und - was die Essenz an sich ausmachte - es war dies rechtens, vor jeglicher Instanz. Er schloss seine Augen und küsste sie - und er dachte dabei nicht an Caius, sondern nur an jene kleine Familie, an seine kleine Familie, deren größter Teil Antonia war.

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  • Die Berührung seiner Hand auf ihrer Wange spürend, wünschte sie sich einmal mehr, so sein zu können, wie er es erwartete. Wie er es verdiente. Tag für Tag war er mit ihr in einer Ehe gefangen, die weder er noch sie zu einer Glücklichen machen konnten. Ein kurzer, fast fiepender Laut entwich ihrer Kehle, hatte er es doch perfektioniert, sie mit den richtigen Worten im falschen Moment zu einem gefühlsempfindlichen Häufchen Elend zu machen.
    Noch ehe sie etwas erwidern konnte, auf sein Liebesgeständnis, von dem sie, natürlich, kein Wort glaubte, spürte sie den leichten Druck im Nacken, der sie stetig zu ihrem Gatten zog. Sie gab ihm nach, richtete sich langsam auf, Gracchus nicht aus den Augen lassend. Selbst als ihre Nasenspitze kurz vor der seinen angelangt war, suchte sie nach dem Schalk in seinen Augen, wartete darauf, dass er sie wieder zurückstoßen und sich abwenden würde. Erst als Antonia seine weichen warmen Lippen auf ihren eigenen spürte gestattete sie sich, einen Teil der Kontrolle aufzugeben und ebenfalls die Augen zu schließen.
    „Lügner.“, flüsterte sie leise, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten. Keinesfalls im verärgerten Tonfall, er glich mehr dem eines Kindes, das seinen Spielkameraden neckt, begleitet von einem nachsichtigen Lächeln.
    Oder meinte er es gar ernst? Konnte er sich nun, da sie endlich ihre Aufgabe erfüllte, doch für sie erwärmen? Würde er sie nicht länger als unnützes Anhängsel, sondern als Partner, als Stütze in seinem Leben betrachten? Für den Bruchteil einer Sekunde gab sie sich jener Hoffnung hin.
    „Sollte dich die Langeweile übermannen, kannst du dir ja schon Gedanken über einen Namen machen.“, schlug Antonia schließlich schmunzelnd vor. Daran, dass es ihm an Kurzweil mangelte, solange er ans Bett gefesselt war, zweifelte die Claudia indes nicht.

  • Allfällig konnte Antonia viel tiefer in ihn hinein blicken als er dies selbst konnte, doch ihr Flüstern entlockte ihm nur ein leises, unbestimmtes Brummen, von welchem Gracchus nicht genau wusste, was es sollte aussagen, denn letztlich bohrte seine Gemahlin nur in der nagenden Ungewissheit, jenem unentschlossenen Schwanken, der stetigen Zerrissenheit ihrer Ehe, welche sie selbst in diesem Augenblicke nicht konnte ignorieren - zu Recht vermutlich, doch Gracchus wünschte sich, es könne nur ein einziges Mal anders sein, Antonia ein einziges Mal vollkommen glücklich mit ihm. Er blickte forschend in ihre Augen, suchte zu erahnen, was sie wirklich dachte, doch sie war ihm wie stets ein Rätsel, gleichsam war er sich dessen nur allzu bewusst, dass sie im Gedanken an jenes Kind immer sein Versagen würde im Sinne haben, dass allfällig jenes Kind zwar einerseits ihr Glück würde mehren, doch andererseits für sie immer ein Makel ihrer Ehe würde bleiben. Er zwang sich dazu jenes Lächeln, welches bereits von seinen Lippen gewichen war, erneut dorthin zu legen und schüttelte schlussendlich leicht den Kopf. Es war ihm trotz allem nach einem Scherze zumute und ihr bezüglich des Namens Flavius oder Flavia zu antworten, doch jedes inhaltlose Wort war gegenwärtig ein Wort zu viel, so dass er sich schlussendlich nur auf die Essenz seiner Antwort konzentrierte.
    "... M'n ... Ma...nius ... Gra''hus ... od'r ... Le..on..ti'."
    Der Name des Kindes stand bereits seit langem fest, denn so es ein Knabe würde sein, würde er selbstredend seinen Namen erben wie es Tradition war, obgleich seine eigenen Eltern diese stets hatten ignoriert. Allfällig würde man den Jungen später Minor rufen, und dann, wenn er alt genug für die Politik war, würden man von Manius Gracchus dem Älteren und Manius Gracchus dem Jüngeren sprechen - und wenn dies soweit war, dann wäre Gracchus selbst wahrlich alt genug, um sich an solcherlei Titulatur nicht mehr zu stören. Einem Mädchen dagegen wäre der Name seiner Schwester Agrippina bestimmt gewesen, welcher das flavische Vorrecht einer Vestalin zugefallen war, ihn an ihre erstgeborene Nichte weiter zu geben, doch seit Leontias Tod hatte Gracchus entschieden jener dieses Vorrecht zu gewähren, so er je in die Verlegenheit einer Tochter sollte kommen.

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  • Sein Brummen vernehmend, wartete Antonia einen kurzen Augenblick, ob jener Ton vielleicht nur der Beginn eines Wortes war. Da jedoch ihr Gatte keine Anstalten machte, weiterzusprechen, verstand sie jenen Laut als Unmutsbekundung und lächelte schief in eben jenem Moment, da sein Lächeln erstarb. Oh, wie sie es hasste. Hasste, dass jede noch so kleine Veränderung in seiner Mimik, jedes noch so leise gesagte Wort, jeder Ton, der ihm entfleuchte sie in tiefste Unsicherheit stürzte, sie sich ständig fragen lies ‚Was habe ich nun falsch gemacht?’.
    Die scheinbar gute Laune kehrte unversehens in sein Gesicht zurück, doch blieb das ungute Gefühl, den Gatten verstimmt zu haben. Ob er doch dachte.. nein, gewiss nicht. Doch die Zweifel wurden verdrängt, überschattet von seiner Stimme.
    „Manius Flavius Gracchus Minor oder Flavia Leontia.“, wiederholte sie. Zum Einen, um den Klang zu hören, zum Anderen, um eine Bestätigung Gracchus’ zu erhalten, welcher für das ungeübte Ohr bisweilen nicht allzu leicht verständlich war. „Gut.“ Dass ein Junge seinen Namen fortführen wurde war ohnehin fast klar gewesen. Eine letzte Bestätigung für Antonia, dass er keinerlei Zweifel ob des Vaters hegte. Leontia sollte das Kind heißen, wenn es ein Mädchen würde. Der Name seiner Lieblingscousine, welche auf so unglückliche Art ums Leben gekommen war. Ohnehin hatte Antonia den Eindruck gewonnen, den weiblichen Familienmitgliedern war kein langes Leben gegönnt. Nicht allein aus diesem Grund hoffte sie selbstredend, das Kind möge ein Junge werden.
    Es hatte nun also einen Namen, was auch immer da in ihr heranwuchs. Sich dabei ertappend, die Hand auf den nur leicht gewölbten Bauch gelegt zu haben, senkte sie fast verschämt den Blick, während sie etwas rötlich um die Nasenspitze wurde.
    „Was hat der Arzt gesagt?“, fragte sie plötzlich unvermittelt und hob den Kopf. „Ich meine.. dein Arzt. Wie lange.. wird es dauern, bis du wieder völlig gesund bist?“

  • Auf Antonias Wiederholung der Namen hin nickte Gracchus zufrieden. Es klang gut, so wie sie es sagte, und der kleine Zusatz an seinem eigenen Namen verhalf jenem dazu, auf eine viel weichere Art ihren Mund zu verlassen als sonstig, allfällig, weil sie dabei nicht an ihn, sondern an das Kind in sich dachte. Für einige Augenblicke noch hing die stille, geteilte Vorfreude auf jenes kleine Wesen zwischen ihnen, um hernach um so jäher durch Antonias Frage bei Seite gestoßen zu werden. Obgleich die Luft um ihn herum mit einem Male zu erkalten schien, stieg Hitze in Gracchus empor, schnürte die Kehle ihm zu, so dass sein Atem unruhig wurde. Er wich ihrem Blick aus, suchte einen Punkt, sich daran fest zu halten, fand jedoch nichts, was diesem Drängen wollte genügen. Sciurus hatte diese Frage dem Medicus gestellt, doch die Antwort darauf war vage gewesen, im Grunde völlig ohne jegliche Essenz. Tage. Wochen. Monate. Jahre. Niemals. Je weiter die temporale Sequenz war voran geschritten, desto stärker war Gracchus' Furcht gewachsen, die Furcht davor, der desolate Zustand, nicht mehr Herr über sich selbst zu sein, könne von durabler Persistenz sein. Natürlich stand der Mensch längstens nicht sein Leben Lang in voller Blüte, früher oder später holte einen jeden noch der Verfall ein, doch Gracchus war längstens nicht in einem Alter, in welchem dies akzeptabel war, gleichsam nicht in der Position dazu, wie er glaubte.
    "'r ... konn..t' 's ... ni'ht ... sa..g'n."
    Es hatte keinen Sinn, Antonia ob dessen zu belügen, denn trotz der Tatsache, dass sie zumeist eine halbe Villa Distanz zwischen sich beließen, so war es doch noch immer ein und die selbe Villa.
    "Do'h ... ' ... w'rd ... 'll..mäh..li'h ... be..ss'r."
    Von jenem Tage aus betrachtet, da er in seinem Cubiculum erwacht und selbst hatte vergessen, wie sein Körper überhaupt zu bewegen war, stimmte diese Aussage immerhin. Nur mit reichlich Übung sei die Koordination wieder zu finden, hatte der Medicus gesagt, als hätte der Körper eine Erinnerung, welcher er sich wieder musste bewusst werden - welche allfällig wieder zu finden war, allfällig auf immer nur eine Reminiszenz würde bleiben. Gracchus wusste, dass nicht nur die Erinnerung des Körpers an sich selbst würde davon abhängen, sondern gleichsam das Selbst an sich, welches Schatten würde bleiben oder seine Konturen zurückerlangen.

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  • Kaum gestellt, bereute Antonia ihre Frage bereits wieder. Denn kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, wurde es scheinbar frostig im Raum. Gracchus schien wie erstarrt, wobei sie sich nicht sicher war, ob es an seinem Zustand oder doch an ihren Worten gelegen hatte, dass er so reagierte. Er wich ihrem Blick aus, was sie selbst die Augen senken ließ, einmal mehr bereute, ein solch ungeschickter Trampel zu sein, den ein Mann wie er wahrlich nicht verdiente. Seine abgehackten Worte ließen sie wieder aufblicken. Bitter war ihre Miene, keine Spur mehr von der Freude, die vor wenigen Augenblicken noch aus ihr gesprudelt war. Es schien einfach niemals etwas perfekt sein zu können. Irgendein Teil ihres Lebens war dazu verdammt immerzu zu scheitern.
    "Das ist gut.", hörte sie sich krächzen, während ihre Lippen erneut ein Lächeln zu formen versuchten, nicht sicher ob er wieder gelogen hatte oder tatsächlich fand, es sei schon besser geworden. Sie sah ihre Hand emporwandern, bis zum Haarschopf ihres Gemahls und andächtig, vorsichtig, ja man konnte durchaus sagen zärtlich, über seine Haare streichen. Sie wollte etwas sagen, ein 'Es tut mir so leid' oder 'Alles wird wieder gut', doch hätte dies alles sicher nur verschlimmert für ihn. Das Mitleid seiner eigenen Frau wollte er gewiss nicht.
    "Du wirst es schaffen.", war schließlich alles, was über ihre Lippen kam. Nur ein einziger Satz, jedoch im Urton der Überzeugung ausgesprochen. In der Tat, sie hegte keinerlei Zweifel daran, dass ihr Gemahl, der bislang alles mühelos zu bewältigen schien, auch diese Krankheit hinter sich lassen würde und schon allzu bald wieder auf eigenen Beinen stehen würde.

  • Obgleich die Gegenwart seiner Gattin Gracchus stets verunsichert hatte, so hatte Antonias Anwesenheit an diesem Tage nicht nur allmählich einen beruhigenden Einfluss auf sein Gemüt, sie gereichte gleichsam dazu, dass er nicht mehr nur gänzlich voller Desperation in die Zukunft zu blicken vermochte. Die Aussicht auf ihr gemeinsames Kind, ihre neuerliche Berührung, jene so fremd vertrauten Gesten zwischen ihnen, schlussendlich jene unerschütterliche Überzeugung, welche in Antonias Worten lag, bliesen einem sanften Windhauch gleich die vertrockneten, welken Blätter des Zweifels von seinen Ästen, so dass das warme Sonnenlicht der Zuversicht auf die winzigen Knospen der Hoffnung konnte hinab fallen. Womöglich war es dies, was eine Ehe im Grunde ausmachte. Nicht, dass sie an der Rostra stand, wenn er um politische Gunst warb, nicht, dass sie am Capitol harrte, so er seine Pontificatspflichten erfüllte, nicht, dass sie seine öffentliche Karriere geleitete - dass sie an seinem Leben Anteil nahm, dass sie in jenen Augenblicken bei ihm war, wenn sonstig niemand blieb, dass sie an ihn glaubte, wenn er sich selbst bereits hatte verloren, dass in tiefster Schwärze sie ein kleines Licht ihm entzündete und einen Ansporn ihm schuf, diesem zu folgen, gleichsam, dass nicht immerwährend jene leise, klandestine Furcht, jene stille Heimlichkeit zwischen ihnen schwang, wie dies bei seiner Relation zu Caius der Fall war. All der Zweifel, all die quälenden Gedanken, die zermürbende Ungewissheit hatten letztlich, in jenen graufarbenen Tagen endlich ihren Lohn, und die Gewissheit darob drohte Gracchus beinah zu überwältigen. So vieles war verwischt in seinem Inneren, lag verstreut in den Trümmern seines Gedankengebäudes, zerstört, zerfallen, so vieles im Nebel verborgen, die Würfel der Prioritäten im Fallen inbegriffen, doch längst nicht gefallen, der Weg der Zukunft entschwunden im Dämmerlicht, doch er wusste, er würde es schaffen, er würde alles schaffen, nicht ob der auferlegten Pflichten wegen, nicht ob der patrizischen oder familiären Traditionen wegen, nicht für das Imperium, nicht für Rom, nur für sie, für sie und ihr Kind, welches das seine würde sein. Es drängte ihn danach, sie an sich zu ziehen, der Nähe zwischen ihnen Körperlichkeit zu verleihen, sie noch einmal jenen merkwürdigen Bandes zwischen ihnen zu versichern, doch kein Wort drang über seine Lippen, wie auch er seinen Körper ob der aufwallenden Exaltation in sich nicht zur Aktivität konnte überzeugen. Darob schloss er stattdessen seine Augen für einige Herzschläge und drückte nur sanft seine Stirne gegen ihre Hand. Er würde es schaffen - nicht heute, doch morgen allfällig, oder am Tage danach oder dem folgenden.

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  • Das Gefühl nicht verdrängen könnend, dass ihre Anwesenheit Gracchus’ Zustand eher verschlimmerte als half schüttelte Antonia, wie so oft, innerlich den Kopf über sich selbst. Bereits nachdem sie mitgeteilt hatte, was mitgeteilt werden musste, hätte sie wieder gehen sollen, hätte ihrem Gatten die Ruhe eines Zimmers ohne aufdringliche Ehefrau gönnen sollen. Purer Egoismus war es, der sie hier hielt, der ihre Beine schwer wie Blei sein ließ und nicht gestattete, den Rückzug anzutreten.
    Wie geduldig er doch war. Nun gut, was anderes blieb ihm übrig, konnte er schließlich schlecht seine Gemahlin einfach vor die Türe setzen. Hätte sie auch nur geahnt, was im Flavier vor sich ging, sie wäre vermutlich nicht wieder gegangen, ehe er seine alte Form wieder gefunden hatte. Zum Glück für sie beide, nahm Antonia eher Gegenteiliges an. Der sanfte Druck gegen ihre Hand war es schließlich, der sie selbige langsam zurückziehen ließ. Zu deutlich war sein Zeichen, zu genau glaubte die Claudia zu erkennen, dass er ihre Nähe nicht ertrug. Er schob sie von sich weg, schloss die Augen, um mit Gesten zu sagen, was er durch Worte nicht mehr vermochte.
    Die Hände faltend, jedoch weiterhin auf seinem Krankenbett ruhen lassend, senkte sie den Blick und begann auf den Lippen zu kauen. War dies nicht der Zeitpunkt sich taktvoll zurückzuziehen? Wäre dies nicht der Moment, da sie beide wieder ihr eigenes, getrenntes Leben fortsetzten? Doch nein, die unsichtbaren Fesseln hielten sie noch immer zurück. Jede Faser in Antonia drängte es danach, erneut die Hand auszustrecken, trösten auf seinen Körper zu legen, sacht seine Haut zu streicheln um sich selbst ein wenig der Illusion eines perfekten Lebens hingeben zu können. Es war nur ihr Blick, der schließlich wieder Gracchus’ Gesicht erforschte.
    „Verzeih mir.“, sagte sie, woraufhin eine kurze Pause folgte. Einen Moment lang schien es, als entschuldige sie sich ganz allgemein. Für sich, für ihre Dummheit, ihre Unfähigkeit. Doch der Nachsatz folgte. „Du liegst hier erschöpft und brauchst Ruhe und ich rede und rede und halte dich nur davon ab, dich zu erholen.“
    War jener Ausspruch die übliche Einleitung, sich zu erheben und das Zimmer zu verlassen, machte Antonia diesbezüglich keine Anstalten.

  • Langsam schob Gracchus seine Linke über die dünne Decke, biss dass er Antonias Fingerspitzen erneut berührte. Er wollte nicht, dass dies bereits sein Ende nahm, wollte nicht, dass sie den Rücken ihm kehrte und vermutlich hernach sie erst wieder in Tagen, Wochen allfällig aufeinander würden treffen.
    "Ni'h' ... Geh' ni'ht. Ble'b' ... no'h. Bi..tt'."
    Er blickte vorbei an seiner Gemahlin, in den Raum hinein zur gegenüberliegenden Wand, an welcher Sciurus, stets aufmerksam, unscheinbar wie ein Gemälde verharrte. Ohne, dass er noch ein Wort musste aus sich heraus zwingen, löste der Sklave sich aus seiner Starre, nahm einen der Stühle, welche um jenen kleinen Tisch am Fenster waren platziert, und stellte ihn neben die Claudia vor das Bett, so dass jene darauf würde Platz nehmen können, denn obgleich sie bisherig es kaum realisiert zu haben schien, so würde sie vermutlich nicht endlos lange in ihrer Pose verharren können.
    "'r..zähl' m'r ... vo' d''..nem .. T'g. ... Tag."

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  • Eifrig begann Antonia zu nicken. Er bat sie zu bleiben, trotz seines Zustands. Es war zum Haare raufen, denn jene kleine Bitte, verbunden mit der sachten Berührung ihrer Finger, trieb erneut die Tränen nach oben.
    "Natürlich bleibe ich, wenn du das möchtest.", beeilte sie sich mit belegter Stimme zu sagen, um anschließend einen Tropfen feuchtes Nass von ihrer Wange zu wischen. Der neben ihr abgestellte Stuhl war es schließlich, der ihren Blick für einen Moment fort von ihrem Gatten lenkte. Sie hockte tatsächlich noch auf dem Boden vor Gracchus' Bett. Im Normalfall etwas Unvorstellbares. Nach einer Sekunde des Zögerns, erhob sie sich schwerfällig, waren doch die claudischen Beine ein wenig Steif vom Hocken geworden. Jedoch verkniff sich Antonia ein leises Stöhnen, hätte sie sich dadurch doch nur wie eine alte Vettel gefühlt, die keinen Schritt ohne Knirschen tun konnte. Einer alten Gewohnheit folgend strich sie zunächst die Tunika glatt, die in den Minuten auf dem Boden leicht zerknittert worden war und ließ sich letztendlich formvollendet auf ihrer neuen Sitzgelegenheit nieder.
    Von ihrem Tag sollte sie erzählen? Offenbar hatte ihr Gatte keine Ahnung davon, wie ereignislos ihre Tage gemeinhin waren. Aufstehen, stundenlang zurechtmachen lassen, ein wenig Essen, ein wenig Lesen.. und von Treffen mit Freundinnen wollte Gracchus sicher auch nichts hören. So schwieg sie zunächst, überlegte, was sie erzählen könnte, ohne den Kranken noch mehr zu langweilen.
    "Ich.. nun, da gibt es nicht allzu viel zu erzählen.", gestand sie schließlich ein wenig zerknirscht. "Ich habe heute die meiste Zeit im Bett verbracht, dein Kind scheint zu viel Bewegung nicht so sehr zu lieben, denn es bestraft sie mit Übelkeit und Schwindelgefühl."
    Ihre Lippen zuckten nach oben. Es war sonderbar nach all dieser Zeit von 'seinem' Kind zu sprechen.
    "Ich hoffe, das wird sich später noch verlieren."
    Zugleich hoffte sie, ihr Kind würde kein solches Energiebündel werden, wie Aristides' Sohn Serenus. Nein, wahrlich nicht. Sie würde wohl in Sorge um das Wohlergehen ihres Sprösslings vergehen, wenn sie ihn auf einem Mini-Streitwagen durch den flavischen Garten sausen sähe.

  • Als er den farblosen Klang ihrer Stimme vernahm, die feucht schimmernde Perle sah, welche langsam der Schwerkraft folgend ihre Wange hinab glitt, da wusste er, dass er nicht hätte tun dürfen, was er hatte getan, sie zum bleiben zu bewegen, doch in diesem Moment war es bereits zu spät, so dass wie stets außer Selbstvorwürfen nichts übrig blieb. Auch Antonias Tag indes bot kaum Zerstreuung hiervon, denn er schien gemeinhin äußerst ereignislos zu sein, was in Gracchus in der Tat zu Verwunderung führte, denn obgleich er nicht die leiseste Ahnung davon hatte, was patrizische Frauen den lieben langen Tag zu tun pflegten, so hatte er doch mehr erwartet. Sogleich wallten erneute Schuldgefühle in ihm auf, da augenscheinlich es wäre seine Pflicht als Ehemann, für Antonias diesbezügliches Wohl Sorge zu tragen, wobei er erneut hatte versagt. Ein wenig nur beruhigte ihn die Erklärung seiner Gemahlin, dass deren Passivität durch das Kind in ihrem Leibe wurde bedingt - sein Kind. Wie sie dies aussprach dagegen, dein Kind, führte dies zu einer geradezu euphorischen Gefühlswallung in seinem Innersten, obgleich er wusste, dass es nicht sein Kind war.
    "D's wird ... 's g'..wis'."
    Ein wenig nun hoffte Gracchus doch, dass ihnen ein Sohn würde beschieden sein, so dass er jenem die Welt würde zu Füßen legen können, denn eine Tochter würde er zwar stets auf Händen tragen, doch die Möglichkeiten, ihr die Welt aus seiner Sicht näher zu bringen, würden begrenzt sein. Anders, er würde alles anders machen als sein eigener Vater, denn er würde daran zu Grunde gehen, zusehen zu müssen, wie sein eiger Nachkomme ihn fürchtete oder ablehnte, gleichsam würde er all jene Dinge mit ihm unternehmen, welche junge Römer unternahmen, unbeeinflusst davon, dass jene Dinge seiner eigenen Begeisterung selten zuträglich waren. Später dann, wenn er ein wenig größer war, würde sein Sohn Serenus in das öffentliche Leben begleiten können, ganz wie dieser es dieser Tage bisweilen bei ihm tat. Sein Mundwinkel zog sich erneut ein wenig in die Höhe.
    "'s w'rd ei..n' ... gl''z..z..zn..z.."
    Als die glänzende Zukunft seines Nachkommen stockte, sich in matten Dunst auflöste und darob die Klarheit des Satzes zerstörte, vergaß Gracchus das Ende seines Gedankens. Er suchte ob dessen den Anfang erneut aufzunehmen, doch auch jene Worte verbargen sich im dichten Nebel und je mehr er sich zu konzentrieren suchte, desto weniger Worte wollten in seinen Sinn ihm gelangen, so dass er schlussendlich die gänzliche Absicht verwarf.
    "Du ... w''ßt ni'ht ... w's es ... w'rd?"
    Natürlich war Gracchus sich dessen bewusst, dass das Geschlecht des Kindes zweifelsfrei zu bestimmen im Vorhinein unmöglich war, doch Frauen hatten in solchen Dingen schon immer ihre eigenen Methoden, welche zumindest etwaige Wahrscheinlichkeiten anhand von allerlei Faktoren, von täglichem Befinden über den Umfang gewisser Körperteile bis hin zum Grade des Heißhungers konnten kalkulieren.

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  • Einen Moment gab sie sich der Vorstellung hin, ihr Gatte würde vielleicht auf ewig ans Bett gefesselt sein. Würde niemals sein Kind in Armen halten können, würde sich niemals wirklich mit ihm beschäftigen können. Sie schluckte hart. Mit kurzem Kopfschütteln verbannte sie jene Bilder in den hintersten Bereich ihres Geistes, auf dass sie niemals wahr werden sollten. Wie sich einige Zeit später herausstellen sollte, wahren jene Befürchtungen in der Tat unbegründet, würde Gracchus sich doch sogar wieder auf die Rostra begeben, wenngleich es zu Beginn sehr gezwungen aussehen würde.
    Zugleich zeigten sich Bilder von einem stolzen Vater mit einem Sohn - eine Tochter war für Antonia keine Option. Es musste ein Sohn werden. Ein Erbe. Hochgewachsen, mit markantem Gesicht, ein wahrer Römer, so sah sie ihren Sohn vor sich. Unbewusst schlich sich ein Lächeln in ihr Gesicht. Ja, genau so würde es werden.. Es musste so werden. Wenigstens dieses eine Mal sollte es nach ihrem Willen geschehen.
    Ihr Mann riss sie aus ihren Tagträumereien, versuchte etwas zu sagen, doch bis auf die ersten beiden Worte verstand die Claudia nicht, was er sagte. Glnz? Glanz? Was auch immer es war, er brach von selbst ab und ließ den Satz unausgesprochen. Was die Frage nach dem Geschlecht des Kindes anging, so zuckte sie ratlos mit den Schultern.
    "Ich habe mit diversen Hebammen gesprochen und jede sagt etwas anderes. Fünf waren der Ansicht, es würde ein Mädchen werden, aufgrund des Glanzes meiner Haare, der Lage des Bauches, meiner Symptome und meiner Stimme."
    Sie legte eine rhetorische Pause ein, um mit fast schelmischem Grinsen fortzufahren.
    "Die anderen fünf waren sich sicher, es würde ein Junge werden. Aufgrund des Glanzes meiner Haare, der Lage des Bauches, meiner Symptome und meiner Stimme.
    Ich selbst bete aber jeden Tag zu den Göttern, es möge ein Junge werden. Und ich bin mir sicher, wenn sie unsere Bitten nach einem Kind erhört haben, werden sie uns auch dies gewähren."

  • Unwillkürlich hob sich Gracchus' linker Mundwinkel ein ganzes Stück auf Antonias Bemerkung bezüglich der Hebammen hin.
    "Schl'mm'r ... 'ls ... ' ... Med'c's."
    Dass sie nicht nur ihre Überzeugung und Hoffnung auf einen Sohn lenkte, sondern gleichsam dem in Bitten vor den Göttern den Ausdruck verlieh, adelte Antonia indes in Gracchus' Augen beinah mehr noch als die Tatsache, wie sie bereits für einen Erben hatte Sorge getragen. Nie war er sich sicherer gewesen als in diesem Augenblicke, dass mochte kommen was die Tage brachten, er völlig unbesorgt in ihre Hände würde legen können, was er in ihre Hände würde legen müssen. Aus müden Augen musterte er sie wieder, das schöne, stolze Gesicht, welches von der Stärke eines kaiserlichen Geschlechtes kündete, und bei ihrem Anblick schienen all die Geschichten um ihre Ahnin Livia Drusilla durchaus plausibel, jene Claudierin, welche ihre Söhne und Enkel so unermüdlich durch die Wirren der Macht hatte geführt. Wer mochte wissen, wohin Antonia ihre Söhne und Enkel würde noch führen, beinah konnte Gracchus im Dunste vor sich sehen, wie sie beharrlich dem kleinen Manius Gracchus den Weg auf den Thron freiräumte. Allmählich wurde der Dunst zu einer verschwommenen Schwere, welche sich seiner Augenlider zu bemächtigen suchte, während er selbst gleichsam versuchte noch ein wenig sich am Anblick seiner Gemahlin fest zu halten, doch die Nachricht, die Freude ob dessen, hatten ihn ermüdet. Antonia würde ihm ein Kind in die Welt setzen, oder sie würde es auf den kaiserlichen Thron setzen - gleich welches die gute Nachricht gewesen war, sie war gut gewesen.

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  • Ein seliges Lächeln zeichnete sich im sonst so ernsten Gesicht Antonias ab. Gracchus’ friedliches Gesicht wollte nicht so recht passen zu dem holprigen und stotternden Satz, den er zuletzt sagte. Doch andererseits sahen wohl alle Schlafenden friedlich aus.
    Vorsichtig strich sie noch ein letztes Mal über seine Wange, betrachtete mit einem sonderbaren Gefühl innerer Zufriedenheit ihren Gemahl, ehe sie sich schließlich erhob und ihn den Mächten des Morpheus überließ.

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