Sprachlos beobachtete Siv die Szenerie, die vor ihren Augen ablief. Wie immer in Situationen, in denen ihr Temperament die Oberhand gewann und sie einfach handelte, hatte sie auch diesmal nicht darüber nachgedacht, welche Folgen ihr Tun haben könnten, und sie hatte sich auch nicht sonderlich dafür interessiert. Als der Römer sich wieder ihr zuwandte, mit einem überraschten Ausdruck, der ihm in Sivs Augen so viel besser zu Gesicht stand als der hochnäsige und herablassende zuvor, sah er kurz zu dem Becher, der auf dem Boden landete, und dann zu ihr. Auch in diesem Moment war ihr völlig egal, wie er reagieren mochte und welche Konsequenzen sich für sie ergeben würden. Aber genau das war der Punkt: womit sie durchaus rechnete war, dass sie die Folgen zu spüren bekommen würde. Und es war ihr egal, oder besser: die Genugtuung, die ihr der Gesichtsausdruck des Römers und seine befleckte Tunika boten, wogen einen Schlag auf. Aber sie hatte nicht gedacht, dass sie nicht sie es sein würde, die die Strafe abbekam.
Ihr Mund öffnete sich um eine Winzigkeit, während sie, nun zu einem weit größeren Teil Fassungslosigkeit denn Wut im Blick, zusammenzuckte, als der Schlag den anderen Sklaven traf – den Sklave musste er sein, sonst hätte der Römer ihn kaum geschlagen für etwas, das sie getan hatte. "Was… warum… warum hast du getan?" Siv schwankte zwischen neuerlicher Wut auf den Römer, Fassungslosigkeit über dessen Ungerechtigkeit sowie Betroffenheit und beginnende Schuldgefühle wegen des Sklaven. "Das… er nichts getan!" Siv wusste, dass bei weitem nicht alle Römer so waren wie Corvinus und die meisten der Aurelier. Aber ein derartiges Verhalten hatte sie direkt noch nicht mitbekommen – und nun war sie gar die Verursacherin. Sie, die trotz oder gerade wegen ihrer Art immer ehrlich war, immer für das einstand, was sie getan hatte, und dafür auch die Konsequenzen akzeptierte, traf die Situation jetzt daher umso schlimmer. Ein anderer hatte für etwas einstecken müssen, was sie getan hatte, und das war für Siv eine schlimmere Strafe als jede Ohrfeige, jeder Schlag es hätte sein können. "Das ist nicht gerecht!"