servitriciuum | Die letzte Nacht

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    Mit einem langgezogenen Seufzer ließ Alexandros die Hand mit dem Kamm wieder sinken und sah betrübt von Siv zu Fhionn und wieder zurück. "Ach! Wir hätten alle mal früher den Mund aufmachen sollen!" stieß er aus und drehte den Kamm in den Händen, als sei er sein letzter Anker in der Not. Da half auch Fhionns aufmunterndes Lächeln nicht besonders viel weiter. "Die and'ren fühlen sich auch ganz elendiglich deswegen", gestand er. "Aber...wenn wir alle bezeugen, dass es stimmt, dann...dann kann er doch gar nicht anders als uns glauben, nicht wahr?" fuhr er verzweifelt fort und sah Siv an. Fhionn stand auf und trat zum Fenster. "Und wenn..."


    In diesem Moment ging die Tür erneut auf, diesmal ohne klopfen. Es war Brix, und er sah bleich aus und so, als hätte auch er kein Auge zugetan in dieser Nacht. "Es ist soweit", sagte er knapp und grußlos und vermied es, irgendwen anzusehen. "Sie warten."


    Etwas klapperte. Es klang endgültig. Alexandros' Kamm war zu Boden gefallen.

  • Siv sah Fhionn traurig an, als diese ihr versicherte, es sei nicht ihre Schuld. Aber was sollte es sonst sein? Es ging ihr nicht einmal so sehr darum, dass Corvinus ihr vielleicht glauben – ihr vielleicht zuhören würde, wenn sie nicht sein Vertrauen verloren hätte durch ihren Fluchtversuch. Nein. Das war schlimm genug, aber das war nicht der einzige Grund, warum Siv Schuldgefühle hatte. Wenn sie nicht geflohen wäre, dann wäre es nie so weit gekommen, davon war sie überzeugt. Wenn sie Matho nicht die Gelegenheit gegeben hätte, dermaßen den Mistkerl raushängen zu lassen… Wäre sie nicht geflohen und hätte ihm damit Handhabe geboten, sie fast schon zu misshandeln, hätte Fhionn keinen Grund gehabt, sich für sie einzusetzen – und dann wäre Matho nicht auf sie aufmerksam geworden, nicht in dieser Form. Aber sie sagte nichts. Die Keltin klang so überzeugt und dabei so dringlich, als ob es ihr in diesem das Wichtigste wäre, dass sie, Siv, keine Gewissensbisse hatte… Fhionns Worte änderten nichts daran, dass sie sich die Schuld gab, aber sie versuchte sich nichts mehr davon anmerken zu lassen.


    Einen Moment sah sie die Keltin noch an, lächelte traurig, dann wanderte ihr Blick zu ihren Beinen und blieb dort hängen. Unverwandt starrte sie auf ihre Füße, wehrlos den Bildern ausgeliefert, die mit Macht ihren Geist zu erobern schienen. Sie hörte Alexandros sprechen und verstand doch die Worte nicht, sah seinen Blick nicht, registrierte kaum, wie Fhionn zum Fenster ging, um hinaus zu sehen. Erst als die Tür sich erneut öffnete, als Brix den Raum betrat und Alexandros den Kamm fallen ließ, regte sie sich. Nach dem Klappern herrschte für einen Moment eine Grabesstille im Raum. Niemand rührte sich, niemand schien zu atmen. Dann fuhr Sivs Kopf hoch. Jetzt zeigte sich, dass die Germanin doch gehört hatte, wenn auch eher unbewusst, was Alexandros zuvor gesagt hatte. "Er kann nicht anders…" Brix vertraute er. Wenn nicht nur die anderen Sklaven, sondern auch Brix ihre Worte bestätigte… Siv konnte nicht sagen, ob in diesem Moment tatsächlich neue Hoffnung in ihr aufgeflammt war, oder ob sie einfach nur mit aller Gewalt versuchte, die schrecklichen Bilder zu verdrängen, die in ihr tobten, aber im nächsten Augenblick war sie auf den Beinen und bei dem hochgewachsenen Germanen. Von Anfang hatte sie ihn gemocht, und im Lauf der Monate war er so etwas wie ein großer Bruder für geworden, ein Ersatz für die Brüder, die sie verloren, die sie hatte zurücklassen müssen. Sie glaubte an ihn. "Brix." Ihre Stimme klang flehentlich, und sie sprach schnell, in dem Bewusstsein, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. "Brix, du weißt doch auch, wie Matho war… Auf der Reise war es noch viel schlimmer, er hat mich die ganze Zeit im Karren festgekettet, und wer weiß schon, wie er Fhionn unter Druck gesetzt hat. Bitte, du musst uns helfen! Du musst Corvinus sagen, dass er mir glauben muss! Fhionn hat Matho getötet, aber sie hat nicht verdient dafür ans Kreuz zu kommen, wirklich nicht… Und mich trifft genauso viel Schuld, wenn ich nicht versucht hätte zu fliehen, wäre es nicht so weit gekommen…" Jetzt klang ihre Stimme gequält.

  • Früher als erwartet geschah nun das, worauf sie im Grunde die ganze Nacht gewartet hatte. Überrascht fuhr sie herum, nun die Wand mit dem Fenster im Rücken und sah mit aufgerissenen Augen, die sich öffnende Tür an. Das Klirren des zu Boden fallenden Kammes wollte sie kurzzeitig ablenken. Brix´ Erscheinen machte ihr Angst. Instinktiv wollte sie einen Schritt zurück machen, mußte aber gleich darauf feststellen, daß es nun kein Zurück mehr gab. Sie stand betreits mit dem Rücken zur Wand. Eine Fluchtmöglichkeit, um ihrem Schicksal doch noch zu entgehen, war unmöglich geworden. Ihr Atem ging schneller. Ihr Puls raßte. Sie zitterte. Sie schloß die Augen... und dann gelang ihr das Unmögliche!
    Es war, als sei sie davon geschwebt. Fort, weit weg von diesem Platz.
    Alles um sie herum hatte an Bedeutung verloren, sie hörte und sah nichts mehr. Nur noch sie alleine war da. Siv, Alexandros und auch der ansonsten so gutmütig Brix waren unendlich weit fort von ihr. So hörte sie auch nichts von der Unterhaltung, die Siv und Brix führten. Sie hätte ja sowieso nichts davon verstanden, da die beiden Germanen sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten. Aber Sivs gequälte Stimme hätte sie wahrnehmen können. Doch nichts von all dem drang zu ihr durch.
    Es wahr, als würden die einzelnen Stationen ihres Lebens an ihr vorbei ziehen. Sie sah Szenen ihrer Kindheit und Jugend an sich vorrüberziehen. Der erste Kuß, den sie dem Mann geschenkt hatte, den sie liebte. Der Moment, in dem sie ihre Kinder zum ersten Mal in Armen hielt und auch der Moment, in dem sie von ihr gegangen waren, für immer. Nein, nicht für immer! Genau jetzt fühlte sie sich ihnen so nah, wie schon lange nicht mehr, wie an dem Tag, an dem sie ihre kalten Körper an sich drückte und von ihrem Schmerz beinahe vollkommen verzehrt worden wäre. Dies war ein guter Tag zum sterben! All ihre Ängste waren jetzt endgültig von ihr abgefallen. Selbst die Angst vor dem Moment, wenn das Eisen der Nägel ihre Hangelenke durchschlagen und dabei ihre Knochen zertrümmern würde.
    Sie hatte es geschafft, für einen kurzen Augenblick, der einer Ewigkeit glich, die Zeit anzuhalten. Sie hatte der Zeit getrotzt! Nun war sie bereit, auch den letzten Schritt zu tun.
    Sie öffnete ihre Augen und schritt freimütig auf Brix zu. "Ich bin bereit!"

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    Brix sah zur Seite und vermied es immer noch, jemanden anzusehen. Auch Siv sah er nicht an, als sie sprach. Er sah sich im Zwiespalt. Wie sollte er seine neue Rolle zufriedenstellend erfüllen, wenn er gleich während der ersten Stunden aufbegehrte? Wie sollte er die anderen schützen und gerecht sein können, wenn er es sich mit den Herrschaften verscherzte? Doch wie sollte er diese neue Position innehalten können, wenn er sich nicht für diejenigen einsetzte, die ihm nun unterstanden und es verdienten? Brix' Miene war gequält, als er aufsah und Siv musterte. "Und du bist wirklich der Meinung, dass Mathos Verhalten seine Ermordung rechtfertigt?" fragte er sie traurig. Dann schüttelte er den Kopf und wechselte die Sprache. "Was Fhionn getan hat, verdient eine Strafe. Ich maße mich nicht an, zu entscheiden, welche das sein soll. Aber wie kann ich mich für sie einsetzen, wo ich doch der Meinung bin, dass es falsch war, was sie getan hat? Ich werde dem Herrn ins Gewissen reden, vielleicht überdenkt er seine Entscheidung auf dem Weg noch einmal. Mehr kann ich nicht tun." Er musterte Fhionn. "Komm", sagte er und wandte sich um, um ins atrium zu gehen. Alexandros' Augen waren derweil feucht geworden, und ab und an schniefte er auffällig.

  • Mit dunklen Ringen unter den Augen saß ich auf einer Liege im atrium und wartete. Ich hatte nicht geschlafen, wie hätte ich auch? Mathos Leiche war inzwischen in einen Kellerraum gebracht worden, ihm war die Beisetzung in der Familiengruft angedacht, wie man es mit wichtigen und verdienten Sklaven nun eben machte. Einfacher wäre die Verbrennung gewesen, doch ich hatte mich im Laufe der Nacht dagegen entschieden. Orestes war irgendwo, ob er mitkommen wollte, wusste ich nicht, die anderen schliefen vermutlich alle noch. Ich war müde und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, was zum Teil vermutlich auch an der Menge Wein lag, die ich getrunken hatte, ehe ich mich besonnen und mindestens ebenso viel Wasser hinterher gekippt hatte. Nun plagte mich ein stechender Kopfschmerz, die Müdigkeit zudem, und der nahende Barbier, der sich noch rasch um die Bartstoppeln kümmern würde, ehe sich die kleine Gruppe im Fhionn aufmachen würde, um ihr die gerechte Strafe für ihre Tat angedeihen zu lassen.


    Brix kam in Sicht und verkündete leise, dass die anderen ebenfalls auf dem Weg waren. Ich nickte nur, und das Rasiermesser wich der Bewegung gerade noch einmal rechtzeitig aus. Der Barbier warf mir einen bösen Blick zu und schabte weiter.

  • "Nein, nein, Brix, ich-" Bevor Siv noch etwas hinzufügen konnte, sprach Brix schon weiter, auf Latein diesmal. Einen Moment blieb sie wie erstarrt stehen, als sie seine Worte hörte, und sah ihm nach, wie er den Schlafraum verließ, dann hetzte sie ihm hinterher, ohne einen Blick zu Fhionn oder Alexandros zurück zu werfen. "Warte, Brix!" Sie holte ihn erst ein, als er das Atrium schon erreicht hatte – und sah Corvinus dort sitzen. Wieder erstarrte sie. Dann riss sie ihren Blick mit Gewalt los und hielt Brix am Arm fest. "Brix, bitte!" Ihre Stimme war leise, aber nichtsdestotrotz drängend. "Ich sag nicht, dass Fhionn keine Strafe verdient hat. Ich find’s furchtbar, was passiert ist, ich hab’s g e s e h e n, ich war d a b e i…" Siv schluckte mühsam, und diesmal lief ein unkontrollierbares Zittern über ihren Körper, als sie die Bilder für einen Moment nicht mehr zurückdrängen konnte. Aber sie bemühte sich. "Aber nicht das Kreuz. Brix, nicht das Kreuz…" Sie wandte sich zu Corvinus um. Sah ihn an. Und fand, was ihr selten genug passierte, keine Worte. Was sollte sie auch sagen? Was konnte sie sagen, wo doch alles in ihr verrückt zu spielen schien im Moment, wo sie solche Mühe hatte, sich zu beherrschen und nicht nachzugeben, nicht zu schreien und um sich zu schlagen, was sie am liebsten getan hätte nach dem, was sie gesehen hatte? Als sie in der Nacht mit Fhionn hier gewesen war, war es still und beinahe friedlich gewesen, und sie selbst hatte sich in einer Art Schock befunden. Jetzt, durch Alexandros’ und Brix’ Worte, war alles wieder aufgewühlt. Aber sie musste etwas sagen. Sie konnte nicht schweigend abwarten. Sie wartete noch nicht einmal darauf, dass Brix etwas sagte. "Corvinus." Sie bemühte sich, ruhig zu sein, aber sie konnte ein Zittern nicht verhindern, nicht in ihrer Stimme und nicht in ihren Händen, ihrem Körper. Die Bilder ließen sich nur noch schwer zurückhalten. "Matho nicht… ist gut gesein. Er ist tot, von Fhionn, ja, aber nicht Kreuz ist, ist Strafe, für richtig für sie. Bitte…" Das letzte Wort war nur noch gewispert.

  • Ohne noch länger zu zögern, folgte sie Brix´ Aufforderung. Es gab keinen Hinderungsgrund mehr, der sie noch aufhalten konnte. Ihr war es gelungen, der Zeit zu trotzen, nur einen Herzschlag lang, aber lang genug, um mit sich ins Reine zu kommen. Sie stand zu dem was sie getan hatte und sie würde es auch immer wieder tun, wenn dies notwendig war. Sie hatte es als einzigen Ausweg gesehen. Matho hatte ihr keinen Ausweg gelassen. Er hatte letztlich selbst zu verschulden, was ihm widerfahren war, so wie sie es nun zu verschulden hatte, was ihr nun bald geschah. Sie empfand keine Wut mehr, gegenüber dem Römer, der vor ihr, im Atrium wartend saß.


    Die kleine Gruppe, bestehend aus Sklaven hatte nun das Atrium erreicht und kam vor Corvinus zum Stehen. Ganz vorne stand Brix, der die Gruppe angeführt hatte, dann folgten Fhionn, Siv und noch andere Sklaven ,die sich unterwegs teils aus Anteilnahme, teils auch aus reiner Neugier, der Gruppe angeschlossen hatten. Fhionn wirkte wie apathisch. Auch sie sah übernächtigt aus. Doch sie zwang sich, sich nicht gehen zu lassen. Nicht vor dem Römer! Diesen letzten Gang wollte sie noch meistern und dann blieb ihr die Ewigkeit, um Ruhe zu finden.
    Noch bevor Brix, der neue maiordomus, das Wort ergreifen konnte, stürmte Siv zu Corvinus und beschwor ihn noch einmal. Die Germanin hatte also immer noch nicht aufgegeben. Sie hatte Fhionn noch nicht aufgegeben. Das war sehr lobenswert, doch zwecklos. Fhionn empfand mit einem Mal Trauer. Deswegen, weil sie in der Zeit, in der sie es gekonnt hätte, Siv gar nicht richtig kennengelernt hatte. Wahre Freundschaft erwies sich auch hier erst in der Not.

  • Orestes war nach den Ereignissen in sein Cubiculum gegangen und hatte stumpfsinnig an die Decke geschaut. Vielleicht hatte er auch sekundenweise geschlafen, aber davon spürte er jetzt nichts, als er sich aus pietas Corvinus gegenüber, dem Orestes - obwohl unerfahren und jung - nun beizustehen gedachte.


    Als er das Atrium betrat lag Corvinus auf der Liege und Siv redete auf ihn ein flehend um Gnade. Vor vielen Stunden nach der Tat, hatte er ja auch Zweifel an der Notwendigkeit der Kreuzigungn gehabt, jetzt aber schien sie ihm unausweichlich. Dennoch wollte er nicht in Corvinus' Haut stecken. Sprachlos blickte Orestes zuerst zu Corvinus, dann zu Fhionn, dann wieder zu Corvinus. Doch er entschied sich an genau dieser Stelle neben dem Eingang zum Atrium stehen zu bleiben. Was hätte er auch tun oder sagen sollen?

  • Ich musterte den näherkommenden Orestes aus den Augenwinkeln, denn wenn ich den Kopf gewandt hätte, so wäre vermutlich der Barbier nicht eben begeistert gewesen und ich selbst hätte wohl eine unschöne Schramme davongetragen. Von dem, was ich sehen konnte, wirkte Orestes auch nicht gerade wie das blühende Leben. Aber natürlich, die Ereignisse des vergangenen Abends hatten uns wohl alle mitgenommen.


    Siv und Brix stritten sich scheinends kurz, wobei eigentlich nur Siv Brix anfauchte und ihm irgendetwas entgegenfeuerte, das ich nicht einmal viertels verstand. Doch Brix erwiderte ihre Worte nur mit einem Blick und sah Alexandros auffordernd an. Der Grieche verstand dieses eine Mal wortlos und legte Siv beruhigend eine Hand auf den Unterarm, ihr gut zuredend. Ich sah zu Fhionn, die inmitten des Trubels stand und auf eine kuriose Art ruhig und erhaben wirkte. Dann stand plötzlich Siv vor mir, zitternd, und sah zu mir hinunter, und sie redete erneut auf mich ein. Ermüdet und gemartert vom dröhnenden Kopfschmerz schloss ich die Augen, Sivs Worte verschlimmerten den Druck in meinem Schädel nur noch weiter. "Und was soll ich dann mit ihr tun? Sie hat meinen maiordomus umgebracht, und sie war nicht einmal in Bedrängnis, Siv!" Den letzten Satz hatte ich ihr entgegengefaucht. Ich war es müde, darüber zu diskutieren, und ich war froh, dass Brix neben die Germanin trat und ihr eine Hand auf die Schulter legte. "dominus, ich war nicht in Germanien dabei, aber Matho hatte schon eine ganze Weile vor der Abreise keinen guten Stand im Haus." Mein Kopf ruckte herum und ich sah Brix an, da passierte das Malheur und der Barbier ritzte meine Haut. Schnaubend fuhr ich mir über meine Wange und schüttelte dann den Kopf. Nun auch noch Brix. "Was wird das nun, Brix? Du weißt so gut wie ich, dass ich nicht anders handeln kann. Bin ich ein Unmensch, dass ihr nicht zu mir kommen könnt, wenn ihr Probleme untereinander habt? Ihr habt nicht das Recht, über einander zu richten. Ich hätte erwartet, dass zumindest du das weißt!"


    Zum Missfallen des Barbiers stand ich nun auf und blaffte einen Sklaven an, mir einen Becher Wasser zu holen. Mein Kopfschmerz war unerträglich. Vielleicht war ich doch ein wenig zu maßlos mit dem Wein gewesen. Brix verfolgte mit den Augen, wie ich die Arme vor der Brust verschränkte und mir mit der Rechten übers Kinn strich. Der Germane hatte sich noch nie angemaßt, mich anzulügen. "Er hat Siv wohl in den Keller gesperrt", sagte Brix. Sonst nichts weiter. "Das hat sie dir gesagt, was?" schnappte ich augenblicklich zurück. "Ja", entgegnete er schlicht, griff nach ihrem Arm und hielt ihn halbhoch. "Und er hat sie während der Heimreise an den Karren gebunden. Man sieht es sogar noch, dominus."

  • Siv bemerkte nicht, wie Fhionn ihr folgte. Und sie schüttelte Alexandros’ Hand ab, seine Worte ignorierend. Wollte hier denn keiner begreifen, dass mit Fhionns Kreuzigung nur ein noch viel größeres Unrecht geschehen würde, als mit Mathos Ermordung passiert war? Siv war die erste, die für Gerechtigkeit einstand – aber das hieß in diesem Fall, sich wenigstens darüber klar zu werden, was dieser Tat vorangegangen war, bevor über Fhionns Strafe entschieden wurde! Wenn Corvinus wusste, was Matho sich alles geleistet hatte, und immer noch der Meinung war, die Keltin hätte den Tod am Kreuz verdient – nun, dann mochte Siv anderer Meinung sein als er, und er würde in ihrer Achtung ein großes Stück sinken, aber dann wusste sie wenigstens, dass es vergebens war auf ihn einzureden. Aber solange er noch nicht alles wusste, solange er dachte, Matho sei ein guter Maiordomus gewesen, konnte sie nicht einfach stillschweigend zusehen, wie ein Fehler dem nächsten folgte, wie ein Menschenleben für das andere genommen wurde…


    "Aber sie-" war in Bedrängnis, hatte Siv antworten wollen. Genauso wie sie selbst es gewesen war. Aber Brix legte seine Hand auf ihre Schulter, und was diese Geste von Alexandros nicht geschafft hatte, bewirkte sie, als sie von Brix kam. Siv verstummte, wenigstens für den Moment. Im nächsten Augenblick war sie froh und dankbar, dass sie verstummt war, ergriff doch Brix im selben Augenblick das Wort und tat, worum sie ihn gebeten hatte. Und er machte es besser als sie – er verteidigte Fhionn mit keinem Wort, sondern sagte nur ruhig, was Matho getan hatte. Und es sprudelte auch nicht alles auf einmal aus ihm heraus. Er klang ruhig, bedächtig. Viel eher so, dass Corvinus ihm Gehör schenken würde. Allerdings wirkte es zunächst nicht so, denn er fauchte Brix genauso an wie sie zuvor. Aber der Germane gab nicht auf, sondern konterte ebenso ruhig wie zuvor – und Siv wäre am liebsten im Boden versunken. Was sie selbst betraf, hätte sie am liebsten geschwiegen über das, was Matho mit ihr gemacht hatte. Sie schämte sich dafür, dass sie so wehrlos gewesen war, und sie schämte sich dafür, wie oft sie im Keller die Beherrschung verloren, wie oft sie zugelassen hatte, dass die Verzweiflung sie übermannte. Unwillkürlich schauderte sie, als sie an diese Woche zurückdachte, die eine der schlimmsten in ihrem Leben gewesen war. Und die anschließenden Wochen der Heimreise waren nur wenig besser gewesen. Siv wusste, dass das nicht ihre Schuld gewesen war, dass es nichts gegeben hatte, was sie hätte tun können. Und doch schämte sie sich dafür. Brix hatte sie davon erzählt, ein einziges Mal, als dieser von ihr wissen wollte, was in Germanien vorgefallen war, und sie hatte ihm nichts vormachen wollen. Aber sie hatte deutlich gemacht, dass sie nicht vorhatte, noch mal darüber zu reden, weder mit ihm noch mit sonst jemandem. Und so sagte sie immer noch nichts, als Brix nach ihrem Arm griff und die breiten, noch dunkel verfärbten und teils verschorften Male vorzeigte, die um ihr gesamtes Handgelenk herumführten, dort, wo der Eisenring über Wochen hinweg ihre Haut wundgerieben hatte. Sie trug absichtlich langärmelige Tuniken, damit die Male nicht zu sehen waren und sie niemand darauf ansprach. Aus der selben Absicht heraus trug sie weitere Tuniken, die dennoch nicht verbergen konnten, wie schmal sie geworden war in diesen Wochen, in denen sie kaum etwas zu essen bekommen hatte – zumal Corvinus’ abweisende Haltung nicht dazu geführt hatte, dass sie hier in Rom sonderlich viel Appetit entwickelt hätte. Und jetzt stand sie nur da und starrte an Corvinus vorbei, um nicht zu sehen, wie er auf das reagierte, was ihr so peinlich war.


    Unterdessen kam Dina mit dem Wasser für Corvinus zurück. "Hier, dominus", meinte sie, reichte es ihm und machte dann wieder einen Schritt zurück. Aber sie blieb nicht ruhig stehen, sondern trat vielmehr von einem Fuß auf den anderen. "Nicht jetzt", murmelte sie leise. "Nein, bitte, Rollo, nicht…" Sie legte den Kopf auf die Seite und machte den Eindruck, als lausche sie. Dann hob ein Seufzer ihre Brust. "Ja, ich weiß ja…" Sie tat wieder einen Schritt nach vorne und sah Corvinus scheu an. "Dominus… Hektor hat dasselbe erzählt." Mehr sagte sie vorläufig nicht. Auch wenn Rollo sie dazu drängte, sie weigerte sich standhaft, hatte sie doch zu viel Angst davor, sie könnte damit zu weit gehen.

  • Fhionn hatte nicht ihren Blick gesenkt, wie man es vielleicht von einer überführten und verurteilten Mörderin, oder gar einer Sklavin erwartet hätte. Allerdings vermied sie es auch, einen der Anwesenden direkt anzusehen. Ihr Blick ging vielmehr ins Leere. Sie hatte die Anwesenheit Aurelius Orestes bemerkt, der am Eingang zum Atrium stehen geblieben war. Er war der Einzige, zu dem sie Vertrauen gefaßt hatte, seitdem sie hier war, der ihr aber doch nicht helfen wollte oder nicht helfen konnte.Doch sie nahm es ihm nicht übel. Sie konnte ihn gut verstehen. In seinen Augen hatte sie das Vertrauen mißbraucht.
    In seiner Macht hätte es vielleicht gestanden, Corvinus um Gnade zu bitten. Ihm hätte er vielleicht Gehör geschenkt, nicht aber einer Sklavin.
    Und doch, Siv hatte es wiederversucht. Ohne Erfolg zwar, aber sie wollte Fhionn nicht einfach so gehen lassen. Als nun Brix sich das Wort erkämpft hatte, wurde sie kurz aufmerksam. Brix wußte doch von all dem nichts, was in Germanien vorgefallen war. Aber er wußte, wie Matho war. Er kannte ihn und hatte, wie die anderen auch, unter ihm zu leiden gehabt. Nein, auch das würde ihr nicht helfen. Sie horchte wieder in sich hinein, um das, was um sie herum geschah, nicht wahrnehmen zu müssen. So entging ihr völlig Brix´ Verteidigung und auch Dina, die Corvinus mit Wasser versorgt hatte und in einem ihrer lichten Momente davon berichtete, daß Hektor die Vorfälle in Germanien bestätigt hatte.
    Nein, Fhionn bekam davon nicht allzu viel mit. Sie stand einfach nur da, um zu warten, bis man sie zur Hinrichtung führte. Daran zu denken, wie lange es dauerte, bis endlich der Tod eintrat, vermied sie in diesem Augenblick. Sie wußte, wie lange es dauern konnte. Sie hatte es gesehen, damals in Britannia und sie hatte sich gewünscht, niemals so enden zu müssen. Die Realität hatte sie eingeholt.

  • Im Atrium fand sich nun langsam ein großer Teil der Sklavenschaft ein. Viele brachten etwas gegen Matho vor. Sogar Brix, der damit eigentlich nur seine neuerworbene Stellung als Maiordomus in Gefahr bringen konnte. Das ließ in Orestes die alten Gedanken wieder hochkommen. Was wenn Fhionn einen Grund gehabt hätte. Was wenn es ein Tyrannenmord gewesen wäre. Oder war das jetzt nur der verzweifelte Versuch Fhionns Leben zu retten?


    "Corvinus?", in Orestes hatte es lange hin und her gewogt, er hatte Corvinus mit seiner Anwesenheit en Rücken stärken wollen, nun schickte er sich an ihm in den selben zu fallen. Das konnte er nicht, andererseits wollte er dass Gerechtigkeit getan würde. Und das war nicht so einfach wie es schien. Ich will Fhionns Tat nicht entschuldigen. Doch wenn es der Mord an einem Tyrannen war, wenn Matho sich wirklich als Herr über die Sklaven aufgespielt hat, dann...
    Ja was eigentlich dann..., dachte er bei sich, dann wäre die Kreuzigung unverhältnismäßig."


    Sein Blick ging wieder von Corvinus zu Fhionn zu Siv und wieder zurück zu Corvinus. Dann setzte er sich in Bewegung und ging auf Corvinus zu. Gehend sprach er. "Aber, ich meine, ich kann natürlich die Aussagen Deiner Sklaven nur hören, bewerten musst Du sie. Und entscheiden musst Du auch alleine.". Wahrscheinlich waren diese ganzen Aussagen doch nur erstunken, um in Solidarität einer von ihnen das Leben zu retten. "Andererseits, hast Du ja Matho vertraut, hat denn keiner von uns etwas bemerkt? Was ist mit Ursus hat der irgendetwas von irgendwelchen Vorfällen in Germanien berichtet?"

  • Ich sah hin. Natürlich tat ich das. Und es waren tatsächlich Male an ihrem Handgelenk zu sehen. Kurz flackerte Entrüstung in meinem Blick auf, dann runzelte ich ärgerlich die Stirn. Wer wusste schon, was Siv angestellt hatte, um diese Schürfwunden zu erhalten. Vielleicht hatte Matho keine andere Möglichkeit gesehen als die, Siv anzuketten, um einem erneuten Fluchtversuch vorzubeugen. Ja, so musste es gewesen sein. Ich setzte mich wieder, und der Barbier haderte mit sich, ob es klug wäre, seine Arbeit wieder aufzunehmen und die Rasur zu vollenden. Er ließ es vorerst bleiben.


    Dann brachte Dina mir Wasser, brabbelte etwas Unverständliches und bestätigte noch einmal Brix' Worte. Ich schürzte die Lippen. Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Matho war stets so zuverlässig und korrekt gewesen. Wie sollte das mit so einem Verhalten zusammenpassen? Hier musste es nur um Fhionn gehen. Matho konnte ohnehin keiner mehr helfen, aber bei Fhionn bestand jetzt noch die Möglichkeit. Warum also nicht Matho post mortem verleugnen und sein Andenken beschmutzen? Ich bedachte Dina mit einem süffisantes Lächeln. Zugegebenermaßen benahm ich mich nicht gerade umgänglich. Später sollte ich nur ungern diesen Tag zurückdenken. In jenem Moment aber schien mein Schädel bersten zu wollen, ich sah mich konfrontiert mit einer scheinbar geschlossenen Sklavenfront - und Orestes, der meinte, mir hineinreden zu müssen. Es fing bereits mit seiner Anrede an, die mir gehörig gegen den Strich ging, doch da beherrschte ich mich noch. Ebenso bei der Erwähnung meiner Sklaven. Viel eher aus der Reserve lockten mich allerdings seine Folgeworte. Ich schürzte die Lippen und blickte ihn finster an. "Es ist einfach, jemanden zu diskreditieren, der keinen Einspruch mehr erheben kann. Und um deine Frage zu beantworten, nein, Titus hat nichts dergleichen erwähnt", konterte ich und machte damit deutlich, was ich von seinen Fragen hielt. Zumindest hatte Ursus nichts mündlich erwähnt, doch der Brief, den er geschickt hatte, lag noch mit unversehrtem Siegel irgendwo unter tabulae und Papyri auf meinem Schreibtisch. Ich machte eine unwirsche Geste, und mein Kopf dankte sie mir mit einem stechenden Schmerz, sodass ich einen Moment innehielt und die Augen schloss. Die Kopfschmerzen an diesem Morgen waren unbekannten Ausmaßes, später für mich aber nur eine vage Entschuldigung für mein ruppiges Verhalten.


    "Fhionn", sagte ich dann plötzlich barsch und sah sie an. "Du hast Matho getötet, hinterrücks und ohne Skrupel, wie es scheint. Allein dafür verdienst du ebenfalls den Tod. Du hast diesen Mord in meinem Haus begangen, du hast Blut in dieser villa vergossen, und das, obwohl ich dir vertraut habe. Was macht man in deiner Heimat mit Fremden, die auf diese niederträchtige Art und Weise das Vertrauen des Hausherrn missbrauchen?" Schlagartig richteten sich mehrere sklavische Augenpaare auf Fhionn, die einfach nur dastand und teilnahmslos wirkte.

  • Siv starrte an Corvinus vorbei, und so bemerkte sie seine Reaktion nicht – aber sie bemerkte, dass er nichts dazu zu sagen hatte. Dass es auch nicht half, dass es nichts brachte. Noch peinlicher berührt als zuvor entzog sie Brix ihre Hand und zog den Ärmel ihrer Tunika wieder hinunter, um die Male zu verbergen, so wie sie es schon die ganze Zeit getan hatte. Dina kam und erzählte von Hektor, dass dieser Brix’ Worte bestätigen könnte, wenn er da wäre, und dann kam der Aurelier noch dazu, der auch in der Nacht da gewesen war. Siv sah ihn kurz an und wusste nicht recht, was sie von seinen Worten halten sollte. Versuchte er nun Fhionn zu helfen oder nicht? Irgendwie wollte ihr das nicht so ganz klar werden, aber Corvinus’ Antwort weckte in ihr schon wieder den Wunsch, etwas zu sagen, sich und die anderen zu verteidigen, warum nie jemand etwas gesagt hatte – manche hatten Angst gehabt vor Matho, ihr selbst war es einfach zu peinlich gewesen. Sie hatte sich geschämt, zu sehr, um jemandem davon zu erzählen, und sie hätte sich noch mehr geschämt, hätte jemand davon erfahren und dann dafür gesorgt, dass Matho aufhörte. Sie hatte sich eingeredet, sie müsse selbst damit fertig werden. Ganz davon abgesehen hätte Corvinus ihr ohnehin nicht zugehört. Aber Siv kam noch nicht einmal dazu, wirklich dazu anzusetzen etwas zu sagen. Brix legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte leicht zu, und auch wenn es ihr nicht gefiel, sie verstand, was er damit sagen wollte – und schwieg. Was auch gut so war, denn nun wandte sich Corvinus noch einmal an Fhionn. Es war letztlich egal, was er sie fragte, er sprach mit ihr, er gab ihr Gelegenheit zu antworten, sich noch einmal zu rechtfertigen, und Siv flehte Hel darum an, dass die Keltin die richtigen Worte finden möge.

  • Der Kampf um ihr Leben, der ausgebrochen war, hatten Fhionns Sinne nur gestreift. Ihr Blick schien noch immer ins Leere zu gehen. Doch er hatte sich an einer Abbildung an der Wand festgemacht. Sie besah sich das Bild genau. Es war die Abbildung einer nackten Frauengestalt in einer seltsamen Haltung, deren Bedeutung sie nicht verstand. Sie versuchte, in der Zeit, die ihr noch blieb, zu ergründen, was es mit der Frau auf sich hatte. Aber das Bild und auch die anderen, die diesem Bild folgten, gaben ihr nur Rätsel auf. Doch sie waren schön anzusehen. So erfreute sie sich einfach an dem Bild und ließ ihre Gedanken schweifen um sich eine eigene Erklärung von der Darstellung zu machen.
    Daß sich nun auch der andere Aurelier zu Wort meldete, registrierte sie nicht. Sie war in die Welt der nackten Schönen vertieft und es bedurfte einiges mehr, um sie von dort abzubringen. Auch als Corvinus selbst zu sprechen begann, berührte sie das nicht. Nein, ihr Augenmerk galt der Geheimnisvollen. Warum nur war sie nackt? Und weswegen stand sie da so? Tanzte sie? Sie hielt seltsame Gegenstände in ihren empor gestreckten Händen.


    In der Ferne hörte sie plötzlich das Rufen ihres Namens. Etwas zog sie zurück, weg von der Schönen, hin zur bitteren Realität ins Atrium. Dorthin wo sie stand und auf den Tod wartete. Alle starrten sie an. Warteten auf ihre Antwort. Was macht man in deiner Heimat mit Fremden, die auf diese niederträchtige Art und Weise das Vertrauen des Hausherrn missbrauchen? Sie war sich erst gar nicht bewußt gewesen, was Corvinus sie gefragt hatte. Doch sie kam rasch wieder zu sich und fand auch bald eine Antwort. Die Antwort war sonnenklar! Die Druiden! Zwar verfolgten die Römer die weisen Männer in ihrer Heimat. Doch sie wirkten weiter im Verborgenen. Ihnen führte man solche Verbrecher zu.
    "Sie geopfert werden, für Götter," antwortete sie ruhig. "Man sie sticht mit Messer in Brust und reißen Herz heraus. Ich nicht heraugerissen Herz. Ich nicht können. " Genau das war die Strafe für jene, die das Vertrauen ihres Herrn missbraucht hatten, so wie Matho.

  • Fhionn schien mich gar nicht zu hören. Irritiert blickte ich zu Brix, der nur die Brauen kurz anhob, dann zu Orestes, der seltsam still war. Dina hatte derweil wieder begonnen, sich leise mit niemandem zu unterhalten, Siv schien nur angespannt zu sein, sonst nichts. Da endlich sprach Fhionn. Ihr Blick war nun wieder klar, sie sah mich direkt an. Und sie wagte es, sarkastisch zu sein. Ich sog die Luft ein und hielt sie an. Wenn ich sofort reagierte, würde ich sie ob dieser Dreistigkeit schlagen, das wusste ich. Also zügelte ich meine Emotionen, soweit es mir möglich war. Diese Frau hatte noch nicht einmal das Spektakel verdient, das man um eine Kreuzigung machte. Ich sollte sie im dreckigen Verschlag eines Schweinestalls erstechen lassen. Eine Kreuzigung würde viel zu viel Aufsehen um sie herum erregen, und damit auch das Augenmerl auf das lenken, was sie getan hatte. Damit wären wir in aller Munde. Durfte ich das zulassen?


    Ich stieß den angehaltenen Atem aus. "Ich habe meine Meinung geändert", sagte ich gepresst. Das hier war ein Alptraum. Mein Alptraum. Gleich würde ich schweißgebadet erwachen, ganz gewiss. So verzwickt konnte die Realität nicht sein. "Fhionn wird nicht gekreuzigt. Brix. Du bringst sie hinaus. Nimm den Dolch aus meinem Arbeitszimmer. Ich habe die längste Zeit diese falsche Schlange an meiner Brust genährt. Es ist jetzt ein für alle Mal vorbei damit!" blaffte ich und machte eine unwirsche Bewegung mit der Rechten.


    Brix indes hatte sich versteift. Alle Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen. Er hatte gerade den Befehl bekommen einen der Seinen zu richten. Zu töten, obwohl er das nicht wollte. Der Germane war kein Mann, der nicht töten konnte, doch das hier... Das war etwas anderes. Er Schluckte, doch seine rauhe Kehle besserte sich nicht. "dominus, ich..." begann er schwankend, dann straffte er sich. "Ich werde das nicht tun", sagte er mit vollster Überzeugung. Ich blickte ihn an. "Du wirst tun, was ich dir sage." "Ich war stets treu, Herr, und habe alle Aufgaben nach bestem Gewissen erfüllt, die du mir angetragen hast. Aber wie könnte ich Fhionn töten für dich, wo du mich erst vor wenigen Stunden zum maiordomus gemacht hast? Ich kann dir nicht widersprechen, dominus, wenn du über sie entscheidest, denn sie ist genauso Sklave wie ich es bin. Aber ich werde nicht ihr Blut an meinen Fingern haben, weil du es so wünscht. Du musst es selbst tun, Herr." Brix trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er wusste, dass er damit viel gewagt hatte. Ich starrte ihn vollkommen perplex an.

  • Sie wurde von aufgeregtem Geflüster und Getuschel wach. Tilla sah sich verwundert um, entdeckte einige leere Betten und zuckte mit den Schultern. Da waren einige Frauen früher aufgestanden als sie. Das stumme Mädchen wollte sich schon wieder umdrehen, als sie aus dem Geflüster heraushörte, dass etwas im atrium los war. Es betraf angeblich Fhionn.. und Matho! Hm, komisch, ihre Neugier regte sich. Mit verstrubbelten Haaren, im Nachthemd gekleidet und barfuß lief sie den anderen flink hinterher, drängelte sich nach vorne.


    Es schienen beinahe alle Sklaven versammelt zu sein.. außerdem noch dominus Marcus. Da war Siv, Brix und Dina! Was war denn nun mit Matho? Ihn entdeckte sie nirgendwo. Fhionn stand leichenblass vor Marcus, schein etwas schwerwiegendes angestellt zu haben. Still stand Tilla inmitten der anderen auf ihrem Platz und lauschte den Worten die da gesagt wurden. "Fhionn wird nicht gekreuzigt. Brix. Du bringst sie hinaus. Nimm den Dolch aus meinem Arbeitszimmer. Ich habe die längste Zeit diese falsche Schlange an meiner Brust genährt. Es ist jetzt ein für alle Mal vorbei damit!" Ihre Hand flog vor ihren Mund, um den stummen Aufschrei, der ihre Kehle hinauf wollte, zu unterdrücken.


    Mit flinken Füßen, drängelte sie sich kopfschüttelnd an den anderen vorbei zu einer Säule und versteckte sich dahinter. Irgendwie war sie jetzt in die Nähe ihres Herrn sowie der von Orestes angelangt. Nein.. nicht so... gebärdete sie für sich aber auch für Fhionn, fühlte sich an früher erinnert. Sie fühlte, wie bereits die Tränen über ihre Wangen rollten, kauerte sich nieder und blickte furchtsam und lauschend zugleich durch die Beine der anderen Umstehenden zum Ort des Geschehens hinüber. Nach Brix Worten durchdrang ihr leises Schluchzen die vorherrschende Stille. Tilla schämte sich nicht ihrer Gefühle der Angst. Nein.. nicht so... wiederholten ihre Hände lautlos.

  • Fhionn hatte ihren Blick wieder ins Nichts abschweifen lassen nachdem sie Corvinus geantwortet hatte. Sie war sich sicher, ihre Antwort würde ihn nicht umstimmen. Wie sollte er auch jemals ihr Handeln verstehen! Er hatte seinen ehemaligen maiordomus nicht wirklich gekannt. Wahrscheinlich hätte er ihn auch nicht aufgehalten, hätte er ihn gekannt.


    Das Geräusch der ausgepreßten Luft und dann seine Ankündigung, er habe seine Meinung geändert, ließ sie wieder aufschauen. Ein kurzer Anflug von Hoffnung schien sich auf ihrem Gesicht abzuzeichnen. Dieser erlosch allerdings so schnell, wie er gekommen war. Erdolchen nicht kreuzigen. lautete sein neues Urteil. Nein, sie hatte sich keine Hoffnungen gemacht. Sie würde nicht mit dem Leben davon kommen. Wenigstens würde es schnell gehen. Das war jetzt noch ihr einziger Trost. Was sie aber besonders schmerzte, war seine Wahl des Vollstreckers. Brix sollte es tun. Wie konnte er nur so etwas von ihm verlangen? Sie hatte Brix als einen loyalen Sklaven kennengelernt, der gut zu seinesgleichen war und treu seinem Herrn ergeben war. Als er sich jedoch nun gegen das Wort seines Herrn stellte, wegen ihr, kehrte wieder das Leben in Fhionn zurück. Nein, das konnte sie nicht zulassen! Er durfte sich wegen ihr nicht auch noch ins Unglück stürzen! Sie sah erneut zu Corvinus, wollte schon dazu ansetzten, etwas zu sagen, als ihr Blick abgelenkt wurde. Tilla war es, die ihre Aufmerksamkeit errungen hatte. Die junge Sklavin versuchte ihr etwas mitzuteilen. Angestrengt versuchte sie zu erschließen, was das Mädchen gebärdete. Nein.. nicht so!


    Brix, Tilla, Siv und all die anderen, die sich für sie eingesetzt hatten, für sie alle lohnte es sich zu kämpfen! Sie nahm all ihren Mut zusammen und schrie Corvinus das entgegen, was sie ihm auch schon am Abend sagen wollte. "Ich Matho getötet, weil Matho war böse! Sehr böse! Hat Siv an Kette gelegt auf Reise heim, er mich hat gedroht, er tun schlimmes mit mir. Er dich hat betrügen! Er nicht ehrlich! Wir töten Menschen, die sind nicht ehrlich, die betrügen! Wenn du mich müssen töten, dann mir geben Messer und ich töten selber mich!"

  • "Genug!" brüllte ich und die Sehnen an meinem Hals traten deutlich dabei hervor. Die Ader an meiner Schläfe war ebenso deutlich sichtbar, wie sie im rasanten Takt der Wut pulsierte. Mein Ausbruch tat mir augenblicklich wieder leid, nicht etwa, weil Dina erschrocken zusammenzuckte oder weil Sofia ängstlich zu Tilla hinter eine Säule gehüpft war, sondern weil sich mein Kopf anfühlte, als hätte ich ihn mit dem scharfen Wort entzweigespalten. Ich presste unnützerweise eine Hand an den Kopf, knirschte mit den Zähnen und atmete flach. Es war mir alles zu viel, zu plötzlich, zu...unerwartet. Ich sah mich der beinahe vollzähligen Sklavenschaft gegenüber, die scheinbar ausnahmslos dafür einstanden, dass Matho tatsächlich ein Tyrann gewesen war. Ja konnte ich denn tatsächlich so blind gewesen sein? Orestes tat nichts weiter, woran ich vermutlich selbst Schuld war, und der Barbier war längst verschwunden. Der Wunsch, Fhionn zu schlagen, war schier übermächtig. Ich ballte die Hände zu Fäusten und ging zu Brix hin. Siv stand neben ihm. Ich piekte ihm meinen Zeigefinger in die Brust. "Du wirst sie einsperren. Nimm dir ein leeres Zimmer, es ist mir gleich welches. Sorg dafür, dass sie nicht heraus kommt." Dann wandte ich mich an die übrigen. "Und ihr anderen verteilt euch auf die übrigen Räume und redet kein Wort miteinander, habe ich mich klar ausgedrückt? Ich will mit jedem von euch reden. Und dann entscheide ich, was ich mit Fhionn mache." Ich wandte mich schwungvoll um, warf Orestes einen Blick zu. Weder wollte ich mit ihm reden noch mit irgendwem sonst, doch während ersteres recht gut machbar war, erschien mir letzteres unumgänglich. Ich wollte diejenigen, die mit in Germanien gewesen waren, zuerst befragen. Fhionn fiel weg, übrig blieben Alexandros, Siv, Hektor und Merit-Amun. Letztere beiden konnte ich nicht entdecken, auf ein Gespräch mit Siv hatte ich gerade noch weniger Lust als auf eine Unterredung mit Fhionn selbst.


    "Alexandros!" fauchte ich, ohne im Gehen innezuhalten. Irgendwo hinter mir klapperte etwas - sein Kamm war zu Boden gefallen, so sehr hatte er sich erschrocken - dann eilte er mir hinterher. Brix für seinen Teil blieb stehen, wo er war, bis ich nicht mehr in Sicht war. Dann sackte er merklich zusammen und fuhr sich über das bärtige Gesicht. "Ihr habt es gehört, Leute. Tun wir einfach, was er sagt. Fhionn...?" sagte er müde und sah danach Fhionn an. Er brachte sie kurz darauf in eines der Gästezimmer im ersten Stock. Hier war es schwieriger, davonzulaufen. "Es tut mir leid", sagte er zu ihr und schüttelte bedauernd den Kopf. Schon wollte er abschließen...

  • Innerlich noch so sehr aufgewühlt, von dem, was sie soeben gewagt hatte, zitterte sie am ganzen Leib. Das Zittern verstärkte sich noch, nachdem Corvinus seine Stimme erhoben hatte. Kein einziger Laut war im Atrium mehr zu vernehmen. Alles starrte erschrocken und zugleich gespannt auf den Herrn und seine Sklavin.
    Fhionn hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was nun geschah. In Corvinus Kopf musste ein Schalter umgelegt worden sein, denn allmählich begann sein Bild von Matho zu bröckeln, so hatte es jedenfalls den Anschein. Hätte er sonst angeordnet, mit jedem sprechen zu wollen? Fhionn wagte nicht zu hoffen, mit einem blauen Auge aus der Sache herauszukommen. Sie wusste, die Römer versprachen viel, hielten aber nur wenig davon ein.
    Als sich Corvinus schließlich von ihnen abwandte und Alexandros zu sich rief, fiel eine große Last von Fhionns Schultern. Auch bei Brix konnte sie ähnliches erkennen. Er hatte, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben, die Stimme gegen seinen Herrn erhoben. Ihm musste das außerordentlich viel Kraft gekostet haben.


    Fhionn folgte ihm still, so wie es Corvinus angeordnet hatte. Er brachte sie in eines der Gästezimmer und wollte sie schon einschließen. Doch bevor er die Tür zuzog, sah sie zu ihm auf. "Bitte! Du noch bleiben…. Ich sagen wolle, du sehr stark. Danke für das!"

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