hortus | Der Haifisch, der hat Zähne... oder: Von Rosen und Dornen

  • Der Weg zum Garten dauerte nicht wirklich lange, und Siv öffnete die Flügeltüren, die auf den lichtüberfluteten Xystus führten, auf dem sie noch vor kurzem mit Corvinus gesprochen hatte. Der war noch nicht da, und kurz überlegte Siv, ob sie der Römerin etwas anbieten sollte – sie wusste, dass sie das eigentlich musste, dass es ihre Aufgabe war, wie bei jedem Besuch, den sie in Empfang nahm. Sie hätte eigentlich schon im Atrium nach ihren Wünschen fragen müssen. Aber sie stand nur da und sah die Römerin schweigend an.

  • Das Sonnenlicht blendete mich etwas, als die Sklavin die beiden Flügeltüren zum Garten hin öffnete.
    Ylva und die beiden Sklaven waren hinter mit zum stehen gekommen. Dort sollten sie warten, bis das mein Gastgeber in Erscheinung getreten war.
    Ich trat an der Sklavin vorbei, hinaus in den Xystus, der ohne Zweifel mit allerhand Hingabe und Phantasie gestaltet worden war. Von hier aus konnte man bereits schon die dahinterliegende, weitläufige Gartenanlage erahnen. Der Duft der verschiedensten Blumen, die hier erblühten und deren Namen ich gar nicht alle kannte, verzauberte mich auf Anhieb. Mit großem Interesse sah ich mich um, betrachtete die verschiedenen Pflanzenarten und roch an den Blüten, um deren süßen Duft einzufangen.
    Die Sklavin indes hatte ich völlig außer Acht gelassen. Sie war wieder zu dem geworden, was sie ursprünglich sein sollte- nebensächlich. Hätte ich mehr auf sie ein Auge gehabt, wäre mir nicht entgangen, wie sie da stand und mich anstarrte. Doch das, was ich sah, überwältigte mich vollends und ich dürstete bereits nach mehr. Apropos dürsten… man hatte mir noch gar nichts angeboten!
    Ich sah kurz auf und blickte zu der Sklavin hinüber, die mich unvermindert anstarrte. "Gibt es für die Gäste dieses Hauses keine Erfrischungen?"

  • Auf dem Weg von meinem cubiculum hierher war ich zweimal stehen geblieben, um mich zu sammeln. Gedanklich war einfach zu durcheinander gewesen, um ich selbst sein zu können. Nun aber, da alles Unerwünschte verdrängt war, betrat ich den Garten und sog kurz die Luft ein. Celerinas letzten Satz hörte ich gerade noch. Schwungvoll kam ich auf sie zu, lächelte sie an und nahm Siv die Antwort auf die Frage kurzerhand ab. "Du wirst hier alles bekommen, was du wünschst, Flavia", sagte ich und blieb bei ihr stehen. "Sei willkommen in der villa Aurelia, Flavia Celerina. Es freut mich sehr, dass du meine Einladung angenommen hast und einen Besuch so schnell einrichten konntest. Ich brenne darauf, dir etwas zu zeigen. Aber später." Schmunzelnd wandte mich um, zu Siv, die in der Nähe zweier mir fremder Sklaven stand, die etwas - was auch immer - trugen. Mein Blick war die pure Aufforderung, Worte waren nicht nötig, befand ich.


    "Möchtest du den Garten jetzt gleich sehen oder erst eine klene Stärkung zu dir nehmen?" wandte ich mich dann wieder Celerina zu. Früh am Morgen hatte ich höchstpersönlich Niki die Anweisung gegeben, einen keinen Imbiss parat zu halten. Was auch immer Frauen gerne für zwischendurch mochten, sollte angerichtet werden. Mein Blick ruhte erwartungsvoll auf Celerina, und erst jetzt fiel mir ihre Gewandung auf, und ich betrachtete sie zwar eingehender, doch nicht unverschämt. "Wenn du mir die Bemerkung gestattest: Deine Erscheinung gleicht jener einer Nymphe eines klaren Bergsees in der Morgenröte." Teils höflich, teils jedoch auch tatsächlich meine Meinung, denn Celerina sah in ihrem raffinierten, blauen Kleid wirklich atemberaubend aus.

  • Die Römerin schien fasziniert zu sein von dem Garten. Siv wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Auf der einen Seite war das durchaus ein Zug an ihr, der sie ihr etwas sympathischer werden ließ – auf der anderen Seite wusste sie, dass die meisten Römer, die Pflanzen etwas abgewinnen konnten, ein anders geartetes Interesse hatten als sie. Sie liebten nicht die Natur um ihrer Selbst willen, einfach weil sie war, oder waren schlicht begeistert von der Vielfalt und Schönheit und Wildheit, die sie bot, sondern… Siv konnte es nicht ausdrücken. Sie vermochte es nicht wirklich in Worte zu fassen, weil ihr diese Sichtweise so fremd war. Vielleicht liebten Römer, die meisten zumindest, auch nur andere Aspekte an der Natur als sie – die gezähmte Seite, so wie Straton es ausgedrückt hatte, das, was Nutzen brachte, oder wenigstens in eine Form gebracht worden war, die ihrem Schönheitssinn entsprach. Vielleicht spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass ein Garten wie dieser vortäuschte, dass die Natur beherrschbar war, dass sie sie sich ebenso gefügig machen konnten wie so viele Teile der Welt. Die Germanin konnte es nicht sagen, genauso wenig wie sie sagen konnte, welcher Art das Interesse der Römerin war. Fest stand nur, dass der aurelische Garten inzwischen deutlich ihre Handschrift trug. Sie hatte nicht nur in mühevoller Kleinarbeit und mit viel Liebe Gewächse zum Gedeihen gebracht, die dem hiesigen Klima fremd und vorher verkümmert waren. Sie hatte auch Pflanzen so angeordnet, wie es ihrem subjektiven Schönheitsgefühl entsprach, jedoch nicht unbedingt striktem Ordnungsempfinden. Sie hatte Ecken des Garten dem vorbehalten, was andere als Unkraut sahen. Und wo immer es ging, hatte sie der Natur die Freiheit gelassen, sich so zu entfalten, wie es ihr entsprach, und nicht wie Menschen sie sehen wollten. Was Corvinus davon hielt, wusste sie nicht – ihre Arbeit im Garten hatte früh Früchte getragen, aber so deutlich war das Ergebnis erst zu sehen, seit es wirklich Frühling geworden war, und genau zu dieser Zeit war sie in Germanien gewesen.


    Schweigend beobachtete Siv die Römerin und wartete einfach ab, was als nächstes kommen würde, und tatsächlich wandte sich diese bald um – sagte wieder etwas in einem Tonfall, der in Siv erneut Widerwillen aufkeimen ließ. Sie öffnete den Mund, um eine patzige Antwort zu geben, als in diesem Moment Corvinus heraustrat, und sein plötzliches Erscheinen führte zu zwei Dingen: zum einen fehlten ihr plötzlich die Worte. Zum anderen begann in ihr wieder ein Wirbelsturm an unterschiedlichsten Emotionen zu toben, der gerade erst angefangen hatte sich zu legen – von Leidenschaft über Verwirrung bis hin zu Zorn. Dass er sie keines Blickes würdigte, half ihrem Gemütszustand ebenso wenig wie die Tatsache, dass er völlig normal erschien, unbeteiligt was sie betraf, so als wäre nichts passiert, eben in seinem Cubiculum. Nun war er es, den sie anstarrte, fassungslos und ungläubig, dass er sich so unberührt geben konnte – oder es gar tatsächlich war. Letzter Gedanke versetzte ihr einen Stich, aber bevor sie ihm weiter nachgehen konnte, wandte Corvinus sich – nach der Begrüßung der Römerin, die offenbar eine Flavierin war – doch ihr zu, mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht, das eindeutig nicht ihr galt, da es erlosch, als sein Blick sie traf. Und er sagte auch nichts zu ihr, und sah sie nur auffordernd an. Sivs Lippen wurden schmaler, als sie sie aufeinander presste. Der Blick war, vor allem in Kombination mit der zuvor gestellten Frage, mehr als deutlich. Und Siv verstand die Aufforderung, die darin lag. Aber es wehrte sich alles in ihr dagegen, jetzt so zu tun, als sei nichts gewesen, Corvinus und seine Besucherin – deren Art sie nicht ausstehen konnte – nun zu bedienen, als sei sie eine willenlose Sklavin. Aber was für eine Wahl hatte sie schon? Wieder erinnerte sie sich der Worte, die Corvinus gesagt hatte, als sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit mit ihm alleine hier gewesen war. Du solltest dich benehmen. In ohnmächtiger Wut schloss sie für einen Moment die Augen, dann wandte sie sich ruckartig ab, trat ins kühle Innere des Hauses und zu einem der Tische, auf denen in dieser Jahreszeit stets Wasserkrüge und Becher bereitstanden. Ihr war klar, dass sie Wein hätte holen müssen, zumindest um ihn anbieten zu können, aber das war zuviel des Guten für sie. Eine Erfrischung hatte die Römerin gewollt, also musste Wasser reichen. Mit fahrigen Bewegungen schenkte Siv zwei der Becher voll, während sie sich vorstellte, der Römerin das Wasser über den Kopf zu gießen – oder noch besser, Corvinus. Dann trat sie wieder auf den Xystus, gerade als Corvinus etwas faselte von einer Nymphe, einem See und Morgenröte. Siv sah die prachtvolle Tunika der Römerin und wusste auf Anhieb, was er gemeint hatte. Sie hatte sich noch nie gewünscht, etwas derartiges zu tragen, aber zu sehen, wie Corvinus die Römerin ansah, ließ in ihr zum ersten Mal den Wunsch danach aufkeimen. Nicht um so etwas zu haben, auch nicht um es wenigstens einmal zu tragen. Nein. Um wenigstens einmal auf diese Art von ihm angesehen zu werden. Sivs Hände krampften sich um das Tablett, und für einen winzigen Augenblick nahm das Gefühlswirrwarr in ihr überhand und übertrug sich auf ihren Körper, der erzitterte. Wasser schwappte über, nässte das Tablett und tropfte auf den Boden. Dann hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff, und ohne ein Wort zu sagen, ohne einen der beiden anzusehen, trat sie vor und hielt ihnen die Becher hin.

  • Zu meiner großen Überraschung erschien endlich mein Gastgeber. Ich dachte schon, er wolle mich mit dieser unfähigen Sklavin versauern lassen. Überaus freundlich und zuvorkommend war seine Begrüßung und längst hatte ich die Unverschämtheiten jener Sklavin vergessen. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite! Ich bin glücklich, hier sein zu dürfen, Nochmals vielen Dank für die freundliche Einladung!" Jetzt lächelte ich wieder über das ganze Gesicht und konnte mich wieder auf das freuen, weswegen ich eigentlich hergekommen war. Natürlich war ich auch schrecklich neugierig, auf das, was er mir zeigen wollte. Wenn er schon darauf brannte, es mir zu zeigen, dann loderte ich bereits. Doch ich musste mich noch ein wenig gedulden. In Anbetracht dieses wundervollen Gartens, wäre das zu schaffen, dachte ich, denn ich war mir gewiß, die Besichtigung des Gartens würde noch so manche Überraschung zu Tage fördern.
    "Oh, eine Stärkung klingt gut," erwiderte ich freundlich. Außerdem war ich ja noch immer durstig. An solch heißen Tagen, wie es der heutige war, musste man einfach viel trinken, damit man sich auch weiterhin wohl fühlte.
    Aber das Kompliment, welches er mir dann machte, war einfach entzückend. Der Vergleich, den er zog ehrte mich. "Du bist so überaus charmant!" Währendessen gab ich den beiden Sklaven, die mich begleitet hatten, ein Zeichen, damit sie vortraten. Immer noch trugen die beiden das Geschenk, welches ich dem Aurelier zu übergeben gedachte.
    "Ich habe mir erlaubt, dir als Zeichen meiner Dankbarkeit, ein kleines Geschenk mitzubringen. Ich hoffe, es gefällt dir!" Genau in diesem Augenblick, stellten die Sklaven das Geschenk vor Corvinus ab. Natürlich verbarg sich unter dem Tuch eine Pflanze, die in einem großen schweren Kübel eingepflanzt war. Einer der Sklaven entfernte das Tuch und zum Vorschein kam ein weißblühender nerium oleander.
    Vom Verschwinden der blonden Sklavin hatte ich nichts bemerkt.Sie war wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, so wie es sich für jemanden ihres Standes gebührte. Als sie dann doch plötzlich neben mir stand und mir einen Becher andbot, nahm ich diesen, ohne sie zu beachten. Ich nahm einen Schluck und war doch sehr überrascht, nur Wasser erhalten zu haben. Doch ich sagte nichts, noch nichts. Corvinus hatte sie auch einen Becher geben, wahrscheinlich mit dem gleichen Inhalt. Ich war gespannt auf seine Reaktion!

  • Erfreut neigte ich den Kopf ob ihres Danks für die Einladung. Ich hatte mir für diesen Tag die ein oder andere Frage zurecht gelegt, die ich Celerina unbedingt stellen musste, doch jetzt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, erschien mir unangebracht und gleichsam war es nicht meine Art. "Ich sage nur die Wahrheit", erwiderte ich schmunzelnd und wies auf die kleine Sitzgruppe hier auf der Terrasse. Celerina würde zwischen Korbsesseln in Sonne oder Schatten wählen oder sich auch für eine der Liegen entscheiden können. Angesichts ihres makellos elfenbeinfarbenen Teints vermutete ich, dass sie den Schatten der Sonne vorziehen würde.


    Doch ehe sie sich setzte, kündigte sie ein Geschenk an und deutete auf die beiden nun vortretenden Sklaven. Bereits jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen, da das kleine Arrangement, welches ich meinerseits getroffen hatte, noch nicht in Rom angelangt war. "Ah, aber das wäre doch gar nicht nötig gewesen" wehrte ich ab und staunte dann nicht schlecht, als die Sklaven einen weißen Oleander zu Tage förderten. Überrascht trat ich näher heran, berührte eine der vollen Blüten mit den Fingern und lächelte. "Eine wunderschöne Pflanze", kommentierte ich anerkennend. Dennoch fragte sich ein Teil von mir, ob Celerina diese giftige Pflanze vielleicht als Warnung ausgesucht hatte. Ob Blatt, Blüte oder Knospe, der Oleander war hochgiftig und konnte nicht nur Tieren, sondern auch Menschen gefährlich werden. Und hatte sie selbst nicht gesagt, dass sie ihre Kosmetika selbst herstellte?


    Den leichten Zweifel ob dieser möglichen Anspielung schob ich beiseite. "Sie wird einen Ehrenplatz hier auf dem xystus bekommen. Vielen Dank, Flavia", drückte ich meinen Dank aus und deutete erneut auf die Sitzgruppe. "Nimm doch bitte Platz." Ich wartete, bis sie sich einen erwählt hatte und ließ mich selbst dann auf einem Sessel nieder. In diesem Moment erschien Siv wieder - ich hatte sie die Terrasse nicht verlassen sehen - und reichte uns beiden einen Becher. Ich ergriff den Meinen, vergoss einen Schluck für die Götter und bemerkte irritiert, dass die Flüssigkeit klar war und nicht rot. Ein kurzer Blick zu Celerina folgte, die mich erwartungsvoll ansah, dann blickte ich zu Siv und runzelte missbilligend die Stirn. Strafen würde ich sie nicht können, nicht vor einem Gast, und schon gar nicht vor Celerina, ohne mein Gesicht zu verlieren. "Entschuldige die Unwissenheit meiner Sklavin, Flavia", sagte ich daher entschuldigend zu Celerina, während ich Siv weiterhin durchdringend ansah. "Scheinbar hat sie sich vergriffen. Doch sie wird das Missgeschick umgehend bereinigen." Ich lächelte nun Celerina an und trug Siv kurz darauf folgendes auf: "Niki hat eine Platte vorbereitet. Und bring diesmal Wein und auch Fruchtsaft mit - den guten Wein." Selbstredend sprach ich von den älteren Amphoren des Falerners aus Kampanien. Nachdem dies gesagt war, wandte ich mich wieder Celerina zu, auch wenn die Gedanken darum kreisten, warum Siv mich hier scheinbar bloßstellen wollte. Auf Eifersucht kam ich in dem Moment nicht. Erneut schob ich alles Siv Betreffende beiseite und konzentrierte mich gänzlich auf Celerina.


    "Ich stelle immer wieder fest, dass es sehr erfrischend ist, jemanden mit den gleichen Interessen zu kennen", sagte ich. "Auch, wenn ich nun ein wenig beschämt mit leeren Händen vor dir stehe." Warum dauerte es auch so lange, bis es nach Rom gebracht wurde? Bedauernd die Brauen zusammenziehend, blinzelte ich in die Sonne. Celerina wirkte zwischen den herrlich glitzernden Strahlen noch eine Spur mystischer. Geheimnisumwoben. "Ich hoffe, du langweilst dich nicht in Rom?" fragte ich. Dann fiel mir etwas ein. "Ah, der Schneider, den du mir genannt hast, ist wahrhaftig ein Meister seiner Kunst. Meine Nichten sind hellauf begeistert."

  • Während Siv noch mit sich kämpfte, nachdem sie Corvinus’ Kompliment für die Tunika der Flavierin gehört hatte, ließ diese ihre Sklaven vortreten, die abstellten und enthüllten, was sie die ganze Zeit getragen hatten. Die prachtvoll blühende Pflanze erhielt von ihr nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätte, da Siv mit anderen Dingen beschäftigt war im Moment – zum Beispiel ihr aufgewühltes Inneres im Zaum zu halten –, aber dennoch streifte den Oleander ein bewundernder, wenn auch etwas abwesender Blick. Erst als sie sich gefangen hatte, konnte sie die Schönheit mehr in sich aufnehmen, aber nun fehlte ihr die Zeit, musste sie doch bedienen. Noch ein Blick auf die Pflanze, die sie wie so viele erst kennen gelernt hatte, als sie hierher gekommen war, dann reichte sie den beiden Römern die Becher – und erhielt prompt die Quittung dafür, dass sie nur Wasser mitgebracht hatte, weil sie irgendwie ihrem Trotz, ihrem Widerwillen gegen diese ganze Situation ein Ventil verschaffen musste, und sei es noch so klein. Die Römerin schien für einen Augenblick zu erstarren, blickte aber nur Corvinus an, der wiederum sie ansah – mit einem deutlich tadelnden Gesichtsausdruck. Und Siv suchte, suchte in seinem Gesicht, in seinen Augen nach etwas, irgendetwas, das ihr zeigte, dass er ebenfalls wenigstens ansatzweise verstört war über das, was vorhin passiert war, oder zumindest etwas das ihr zeigte, dass überhaupt etwas passiert war, nach all diesen Wochen der Ignoranz und Abweisung und Kälte, die von ihm ausgegangen war. Aber da schien nichts zu sein. Nur Missbilligung darüber, dass sich in seinem Becher kein Wein fand. Und Siv verzweifelte beinahe. An ihm, an ihr, an dieser Situation, aus der es für sie genauso wenig einen Ausweg zu geben schien wie aus ihren tobenden Emotionen. Für einen winzigen Moment hatte sie das Gefühl, zu zerbrechen an dem Druck, der sich in ihrem Inneren stetig aufbaute – aber dann fand sie doch in sich den Willen, nicht nachzugeben. Nicht zu zeigen, wie es in ihr aussah. Ihm nicht die Genugtuung zu verschaffen zu sehen, dass sie dieser Situation nicht gewachsen war.


    Trotz dieses Vorsatzes konnte die Germanin nicht verhindern, dass in ihren Augen, die auf ihn gerichtet waren, der Sturm zu sehen war, der in ihr wütete. Die Rechte, die das Tablett locker an ihrer Seite hielt, schloss sich fest um den Griff, als Corvinus sie weiterhin ansah, während er das Wort an die Flavia richtete – und von ihr, Siv, betont als Sklavin sprach. Ihr Kopf zuckte kurz zur Seite, als dieses Wort fiel, das sie umso mehr traf, da Corvinus sie so selten hatte spüren lassen bisher, was sie letztlich war. Unverwandt erwiderte sie seinen Blick, nun auch noch verletzten Stolz spürend – der Schmerz, der die ganze Zeit da war, schlicht erstickt unter der Fülle an anderen Emotionen. Aber sie stand einfach da, ohne etwas zu sagen, ohne sich zu rühren. Hätte sie den Mund aufgemacht, hätte sie ihn angebrüllt, und hätte sie sich bewegt, hätte sie ihm das Tablett um die Ohren geschlagen. Wie nahe sie in diesem Moment vor einem weiteren Ausbruch stand, musste für ihn, der sie inzwischen so gut kannte, deutlich zu sehen sein – an ihrer steifen Haltung, den verkrampften Händen, den schmalen Lippen, dem Lodern in ihren Augen und nicht zuletzt der Tatsache, dass sie kein einziges Wort für ihn übrig hatte, noch nicht einmal ein einfaches Ja, geschweige denn irgendwelche angedeuteten Widerworte. Als er fertig war mit seiner Anweisung, blieb sie nur noch einen Augenblick stehen, um sicher zu gehen, dass sie tatsächlich gehen würde und nicht etwa doch die Beherrschung verlor, dann verschwand sie ohne ein weiteres Wort.

  • Erwartungsvoll versuchte ich aus seinem Gesicht zu lesen. Hatte ich das richtige Geschenk mitgebracht? Der Oleander hatte mich schon immer fasziniert. Es gab ihn in verschieden Blütenfarben. Doch weiß erschien mir die schönste zu sein. Es lag so viel Reinheit darin, die durch die toxische Wirkung der Blätter und Blüten unterstützt wurde.
    Seine Reaktion ließ keinen Zweifel übrig. Ich hatte die richtige Wahl getroffen, da war ich mir nun ganz sicher! "Oh, ich liebe es, anderen eine Freude zu machen. Es freut mich, daß dir der Oleander gefällt. Er gehört zu meinen persönlichen Lieblingen. Ich denke, der xystus ist der perfekte Platz dafür. Dort wird er sich sicher wohl fühlen."
    Ich nahm in einem der Korbstühle Platz, der etwas im Schatten stand. Zuviel Sonne war auf die Dauer nicht gut für meinen Teint. Corvinus tat es mir gleich und ergriff den Becher. Bereits bevor er davon gekostet hatte, war ihm aufgefallen, welche Art von Flüssigkeit sich darin befand. Wie ich bereits erwartet hatte, war er nicht sonderlich erfreut dewegen. Ich bemerkte diesen Anflug von Schamgefühl und Zorn in seinem Antlitz. Die Art, wie er anschließend seine Sklavin anschaute, war Genugtuung für mich. Sogleich gab er ihr präzise Anweisungen, was sie zu tun hatte. "Heutzutage ist es so schwer geworden, an qualifiziertes Personal zu kommen," antwortete ich mitfühlend und mein Blick schweifte dabei zu der Sklavin hinüber, die wie es schien, erst unentschlossen war, ob sie den Anweisungen ihres Herrn Folge leisten sollte. Letztendlich setzte sie sich doch in Bewegung und verschwand wortlos.


    Endlich war Zeit, sich näher zu unterhalten. Unser letztes Zusammentreffen lag schon einige Tage zurück. Gerne erinnerte ich mich noch an den lauen Sommerabend zurück, da Corvinus mich nach Hause begleitet hatte. Der Spaziergang durch die horti Menenniae, hatte diesen Abend für mich unvergeßlich gemacht. Danach hatte ich auf den Tag gefiebert, an dem sich unsere Wege wieder kreuzen würden. Nun war ich hier und es gab nichts, was mir die Freude an meinem Besuch hätte verderben können. Selbst nicht eine kleine dumme Sklavin, die vergessen zu haben schien, wo ihr Platz war.
    "Mir geht es genauso! Ich danke den Göttern, daß sie uns zueinander geführt haben. Mein Geschenk kam von Herzen. Deine Einladung ist auch wie ein Geschenk für mich. Also sorge dich nicht!" Sanft lächelte ich. Was hätte ich auch andere tun können. Alleine seine Anwesenheit verzauberte mich. Ja, in diesem Moment war ich glücklich.
    "Oh, nein! Rom ist alles andere als langweilig! Es gibt noch so vieles, was bislang noch unentdeckt geblieben ist." Zum Beispiel hatte ich noch nicht alle öffentliche Gärten gesehen. So manches hatte mir ja mein Bruder schon gezeigt, doch bei weitem nicht alles.
    "Das freut mich zu hören! Dieser Mann ist wirklich ein Glücksgriff! Er hat übrigens auch diese Tunika entworfen und geschneidert. Es ist einfach beruhigend zu wissen, daß es exklusive Maßanfertigungen sind, die man am Körper trägt. Nichts ist schlimmer, finde ich, als bei einer öffentlichen Veranstaltung jemandem zu begegnen, der das Gleiche trägt." Schon immer hegte ich eine Abneigung gegen Mode von der Stange. Es war genau die Exklusivität meiner Garderobe, die mir stets wichtig war. Nur so konnte man sich seine Originalität bewahren. "Wie geht es eigentlich Aurelia Minervina?" Es waren schon einige Wochen vergangen, seit ich die Aurelia, mit der ich mich angefreundet hatte, das letzte Mal getroffen hatte.

  • Ich fühlte mich wie ein Seiltänzer, stets des Abgrunds bewusst, an welchem ich mich entlang hangelte. Während Siv mich wohl am liebsten mit ihren Blicken aufgespießt hätte, schien Celerina sich komplett gegensätzlich zu verhalten. Da war es natürlich keine Frage, wem ich in diesem Moment meine Aufmerksamkeit lieber schenkte, zumal die Flavierin derzeit nicht nur die eindeutig besseren Karten parat hielt, sondern auch Möglichkeiten barg, mit denen Siv einfach nicht aufwarten konnte. Ich gab mir die allergrößte Mühe, nicht weiter auf Sivs Verhalten einzugehen, und es gelang mir auch. Dennoch war ich erleichtert, als sie sich abrupt abwandte, um das zu tun, was ich ihr aufgetragen hatte. Zumindest für eine Weile konnte ich mich nun gänzlich meiner Besucherin widmen, und dies tat ich wirklich gern.


    Sie schien förmlich zu sprühen vor Freude, was mich in nicht geringem Maße erstaunte, mochten die meisten Frauen es doch viel lieber, Geschenke zu erhalten statt sie zu verteilen. Allerdings, die Lieferung, die eigentlich schon längst in Rom hätte ankommen müssen, würde sicher in den nächsten Tagen eintreffen. Und auch, wenn Celerina dann denken musste, dass ich ihr es nur zukommen ließ, um es ihr gleich zu tun und nicht mit leeren Händen vor ihr stehen zu müssen, so schienen wir auch diese Eigenschaft zu teilen: auch ich machte anderen gern Geschenke. Bedauerlicherweise würde ich nicht dabei sein, wenn sie den Korb öffnete…


    Auf ihre Bemerkung hin, wie selten man gutes Personal erstehen konnte, erwiderte ich nichts weiter, sondern nickte nur zustimmend. Ohnehin blieb nicht viel Zeit für eine Reaktion, denn Celerina machte gleich mehrere Anspielungen, bei denen ich meine ganze Konzentration darauf verwenden musste, nicht allzu überrumpelt auszusehen. Ihr Geschenk kam von Herzen? Sie dankte den Göttern, dass sie uns zueinander geführt hatten? Eindeutiger hätte sie ihre Worte wohl kaum formulieren können, und mich erwischte sie damit ein wenig auf falschem Fuß. Diese Worte, gepaart mit ihrem unmissverständlichen Lächeln, ließen mich schlagartig alle Dinge vergessen, die ich eben noch im Sinn gehabt hatte. Wie leer gefegt saß ich in meinem Sessel. Und sie setzte mir damit sozusagen den Speer an die Brust. Die Möglichkeit wäre allerdings wahrhaftig vertan, wenn ich diesen Moment nun ungenutzt verstreichen ließ. Doch wie sollte ich es formulieren? Und war es jetzt schon überhaupt angebracht? “Eine bescheidene Einladung neben diesem prächtigen Oleander ist wohl kaum vergleichbar. Dennoch… Ich bin mir sicher, dass die Zukunft auch die ein oder andere Überraschung für dich bereit hält“, erwiderte ich vorerst recht harmlos. Es passte einfach nicht, sie jetzt gleich zu fragen, was ich zu fragen gedachte. Zu meiner Erleichterung glitt das Gespräch nun wieder in weniger prekäre Gefilde. Celerina schien großen Wert auf Einzigartigkeit zu legen, stellte ich fest. Und dieser Gedankenblitz wollte sogleich genutzt werden. Dass das Kompliment ein wenig zu schmeichlerisch sein konnte, fiel mir weder auf, noch machte ich mir Gedanken darüber. „Dann macht sie die Trägerin mit ihrer Einzigartigkeit umso einzigartiger.“ Verwundert darüber, dass mir solche Schmeicheleien, die ich bei anderen stets kritisch betrachtete, derart leicht über die Zunge rollten, betrachtete ich Celerina, bis sie mich nach Minervina fragte. „Sie ist wohlauf. Ihr Bruder ist inzwischen wohlbehalten wieder nach Hause gekehrt. Er war für ein Jahr in Germanien, um dort sein Tribunat zu absolvieren. Vielleicht hast du von ihm gehört, Titus Ursus“, erwiderte ich. Und da war er, der passende Moment. „Leben deine Verwandten eigentlich alle in Rom?“ fragte ich mit der Absicht, in Erfahrung zu bringen, wo ihr Vater lebte. Auch, wenn sie frei war und ihm nicht mehr unterstand, so gebot es doch die Höflichkeit, ihn oder ihren nächsten Verwandten über meine Absichten in Kenntnis zu setzen – und jene Absichten hatten sich in den letzten Tagen mehr als manifestiert.

  • Der Spruch der Flavia hätte das Fass beinahe zum Überlaufen gebracht. Qualifiziertes Personal… Es brodelte in ihr, es brodelte gewaltig. Was dachte diese Römerin eigentlich? Dass Siv zum Spaß hier war, weil sie es genoss, zu bedienen, zu gehorchen, keine Wahl zu haben, Sklavin zu sein? Auf dem Weg zu den Flügeltüren krampften sich nun beide Hände um das kleine Tablett, und als sie erst im Haus war, beschleunigte sich ihr Schritt noch mehr, bis sie rannte. Sie dachte in diesem Moment nicht daran, dass sie nur umso schneller wieder zu den beiden hinaus musste, je mehr sie sich jetzt beeilte. Sie konnte einfach nicht ruhig gehen, sie hielt es nicht aus. Stürmisch flog die Tür zur Küche auf, als sie sie endlich erreichte – und mit einem Scheppern landete das Tablett auf einem der Tische. Erschrocken drehte Niki sich um, als sie den Lärm hörte. "Bist du von allen guten Geistern verlassen???" fuhr sie die Germanin an, aber die achtete kaum auf sie. Mit einem Wutschrei schlug Siv die Tür hinter sich zu, und mit einem weiteren sowie diversen, schillernden Flüchen griff sie blindlings um sich und schnappte sich das erste, was ihr zwischen die Finger kam – was einer der leeren Weinkrüge war, die neben der Tür abgestellt wurden, um in den Keller gebracht zu werden. Mit einem Klirren traf der Krug gleich darauf ebenfalls auf den Tisch und zerbarst. Scherben prasselten auf die Bank und auf den Boden, und während Siv zornbebend einen Schritt nach vorne machte, immer noch eine unbändige Zerstörungslust in ihren Adern, kam Niki ihr ebenso wutschnaubend entgegen – und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. "Was ist denn in dich gefahren?!"


    Der scharfe Schmerz, der sie durchzuckte, brachte Siv wieder zu Besinnung. Mit einer seltsamen Mischung aus Schockiertheit und Genugtuung betrachtete sie das Chaos, das sie angerichtet hatte, dann sah sie Niki an, während langsam das hochstieg, was der Zorn nur überdeckt hatte – Hilflosigkeit und maßlose Verwirrung. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Corvinus hatte kein Anzeichen gegeben, kein noch so kleines. Nichts. Wenn es nach seinem Verhalten ging, war nichts passiert. Nie. Sie biss sich auf die Unterlippe, um die plötzlich aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, während der Rest in ihrem Inneren einen wilden Reigen zu tanzen schien, immer weiter, immer schneller, ohne aufhören zu können, ein wahnwitziger Tanz. Niki musste sie schließlich schütteln, um ihre Aufmerksamkeit zu erringen. "Hör mal, solltest du heute nicht mit dem Dominus den Garten vorzeigen?" Als immer noch keine Antwort kam, meinte sie: " Er hat mir gesagt, ich soll was vorbereiten. Sollst du das jetzt holen?" Endlich riss Siv ihren Blick von den Scherben los und nickte. "Ja." Schon drang der Zorn wieder durch, war dieses Gefühl derzeit doch das einzige, woran sie sich klammern konnte, was ihr Halt gab. Aber er war zumindest im Moment nicht mehr so heißlodernd wie noch Augenblicke zuvor. "Ja." Niki musterte sie einen Moment lang, schien zu überlegen, ob sie sie so tatsächlich wieder hinaus schicken konnte – dann drückte sie ihr ein großes Tablett in die Hand mit Häppchen verschiedenster Art, deren Duft Siv sofort in die Nase drang – aber anstatt ihr das Wasser im Mund zusammen laufen zu lassen, ihre Wut nur noch mehr anstachelte. Bedienen. Sie musste das hinaus bringen, zu Corvinus, und zu dieser Römerin. Starr stand sie da, während Niki ihr noch einen Krug mit Wasser, einen mit Saft sowie eine Amphore mit Wein darauf stellte – dem guten Wein, glücklicherweise dachte sie selbst daran, Siv hätte es bestimmt nicht getan –, drehte sie dann an den Schultern um und schob sie hinaus aus der Küche. "Dann geh jetzt wieder. Na los, sie warten sicher! Aber glaub ja nicht, dass deine Aktion hier ohne Folgen bleibt!" Siv murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann machte sie sich wieder auf den Rückweg. Sie wollte nicht hinaus. Sie wollte nicht… aber sie hatte keine Wahl. Es dauerte nicht lange, und die Terrasse lag vor ihr, und mit ihr der Mensch, der sie so unglaublich aufwühlte. Zusammen mit der Römerin, deren Verhalten Siv selbst in besten Zeiten zur Weißglut gebracht hätte. Wieder ohne ein Wort zu sagen, betrat sie die Terrasse, trat zu den beiden hin, die sich angeregt zu unterhalten schienen, und setzte das Tablett auf dem Tisch zwischen ihren Sesseln ab, ein wenig härter als nötig gewesen wäre, wovon das leise Klirren der Gegenstände darauf zeugte. "Das ist in Ordnung?" Nur leicht war der beißende Spott, geboren aus ohnmächtiger Wut und Hilflosigkeit ob der übrigen Gefühle in ihr, aus ihrer Stimme herauszuhören. Dafür war er umso deutlicher in ihrem Blick zu sehen, mit sie kurz Corvinus streifte, bevor sie sich aufrichtete. "Was ihr wollt? Wasser? Wein? Saft?"

  • Das klang ja äußerst verheißungsvoll. Ich war schon immer ein Freund von Überraschungen, natürlich nur, wenn es angenehme Überraschungen waren. Wenn sich ein anderer Mensch Gedanken machte, sich bemühte, etwas zu arrangieren, was dann liebevoll auf den zu Überraschenden abgestimmt war, dann war das in meinen Augen ein Zeichen größter Zuneigung. "Ich bin, was die Zukunft angeht, äußerst zuversichtlich, und ja, ich liebe Überraschungen." Was nicht zuletzt meiner positiven Grundeinstellung, der Zukunft betreffend, zu verdanken war. Die dunkeln Jahre hatte ich hinter mir gelassen. Das war endgültig vorbei. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. So war alles, was vor mir lag, positiv. Außerdem hatte ich keinen Grund zur Sorge. Alles lief doch hervorragend in meinem Leben. Ich hatte ein Heim, in dem ich als das, was ich war, akzeptiert wurde und in dem ich mich wohlfühlen konnte. Mit meinen Finanzen war ich auch zufrieden. Wenigstens das hatte mein verstorbener Ehemann für mich getan. Außerdem saß ich jetzt hier und genau das war es doch, was ich wollte, nicht mehr und nicht weniger. Natürlich würde ich alles tun, was notwendig war, um das zu erreichen, was ich wollte. Aber lag nicht genau darin der Reiz, am Ende des Tages zu sehen, was man geerntet hatte?
    Da er mich nun mit Komplimenten überschüttete bewies er mir nur wieder, daß der Weg, den ich eingeschlagen hatte, der richtige war! Ich quittierte das Kompliment mit einem Lächeln. "Ich danke dir für diese liebenswürdigen Worte." Es war so wohltuend in seiner Nähe zu sein. Nach derartigem hatte ich mich all die Jahre gesehnt und wie er mich ansah. Vielleicht war dies der Zeitpunkt, da ich innerlich spürte, nein da eine Stimme in mir laut wurde, die sagte ja, er ist es, den du gesucht hast. Den Mut, dies laut auszusprechen, hatte ich beileibe nicht. Ich lebte in der Hoffnung, ich würde die gleiche Wirkung auf ihn haben.
    Selbstverständlich war es schön, zu hören, daß es Minervina gut ging. Auch erfuhr ich, daß ihr Bruder nach Hause zurückgekehrt war. Doch wieso nur erschien mir diese Information plötzlich so nebensächlich? Er nutze seine Antwort, um sich nach meiner Familie zu erkundigen. Daß er damit bei mir auf einen dunklen Fleck in meiner Vergangenheit gestoßen war, konnte er natürlich nicht einmal ansatzweise ahnen. "Wie bitte?... Meine Verwandten?" Der Stich, der mich mit dieser Frage in mein Innerstes getroffen hatte, war heftig. Alte Wunden, die eigentlich hätten langst verheilt sein sollen, brachen wieder auf. "Mein Bruder ist der einzige nähere Verwandte, der mir geblieben ist und mein Onkel natürlich, Flavius Aquilius. Wir drei sind sozusagen die letzten Vertreter der hispanischen Linie." Ich hatte es mit Absicht vermieden, den Mann, der mein leiblicher Vater gewesen war, zu erwähnen. Er war für mich wie ein rotes Tuch und außerdem war er tot, weswegen ich nicht sonderlich betrübt war.
    Dann, ich hatte eigentlich schon gar nicht mehr damit gerechnet, geschweige denn hatte ich sie vermißt, kehrte die Sklavin wieder zurück. Diesmal war sie bepackt mit einem großen Tablett, auf dem sich allerlei Leckereien befanden und auch die ersehnten Getränke. Die 'Ärmste' mußte völlig überfordert sein, sonst hatte sie das Tablett sicher etwas sanfter abgestellt. Das Klirren des Geschirrs klang beängstigend und völlig irritiert sah ich zu ihr auf. Ich verkniff mir jeden Kommentar, da ich Corvinus nicht bloß stellen wollte. Solch eine Sklavin taugte bestenfalls zur Feldarbeit, ein wahrer Bauerntrampel! "Für mich bitte Saft und Wasser gemischt," antwortete ich bedächtig auf das, was wohl als Frage gemeint war.

  • Zuversichtlich? Celerina verwirrte mich mehr und mehr, doch zeigen durfte ich ihr das nicht. Wenigstens mochte sie Überraschungen, da war ich also auf der sicheren Seite. Eines jedenfalls war gewiss - Siv würde ich nicht schicken, um den es zu überbringen. Das Klirren der vibrierenden Dinge auf dem Tablett, das Siv nun abstellte, rief eine steile Falte auf meine Stirn. So konnte es nicht weitergehen. Sie würde noch alles verderben, und das, wo Celerina gerade so warm lächelte, dass ich die Temperaturveränderung beinahe spüren konnte, selbst über die Entfernung hinweg.


    Zuerst vermutete ich, dass Sivs Benehmen Celerinas Stimmung getrübt hatte, dann jedoch, als sie so kurzbündig war, ging mir auf, dass es meine Worte gewesen sein mussten. Ein Themenwechsel musste her, und Celerina ebnete den Weg hierfür, indem sie Aquilius erwähnte. Sie hatte mir schon erzählt, dass er ihr Onkel war. Für mich dann also die Anlaufstelle. "Dein Bruder ist Cnaeus Lucanus, nicht? Wie geht es ihm? Er hat den Termin zur Opferprüfung versäumt. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes, was ihn davon abhielt", sagte ich und erinnerte mich des elanvollen jungen Mannes, der urplötzlich von der Bühne Roms verschwunden war, als Siv mich beinahe mit ihrem barschen Tonfall unterbrach, so gezielt feuerte sie ihn ab. Nun deutlich verärgert, erhob ich mich und ergriff die Saftkanne, ehe Siv danach greifen konnte. "Es scheint heute nicht dein Tag zu sein. Vielleicht gehst du besser hinein und schickst mir Sofia an deiner statt. Ich bin mir sicher, sie weiß besser, wie sie sich zu verhalten hat", sagte ich zu Siv und schenkte Celerinas Becher zur Hälfte voll. Gerade die Anspielung auf Sofia, das Schusselchen, sollte Siv klar machen, dass ihr Verhalten hart an der Grenze war. Ich würde mir von ihr weder den Tag noch die Laune verderben lassen. Die Kanne stellte ich ab, schenkte den Becher dann mit Wasser voll und reichte ihn Celerina. Mir machte es nur wenig aus, ihr selbst einzuschenken, und Gedanken darüber, wie es bei ihr ankommen mochte, machte ich mir nicht. Mit einem gefüllten Weinbecher in der Hand setzte ich mich wieder und deutete nun auf die Silberplatte mit Häppchen und die Schale in Form einer Galeere, die Obst mit sich führte. "Bitte, fühle dich ganz wie zu Hause." Ein kleines Gebäckteilchen mit Käsefüllung fand den Weg in meinen Mund. Eine Weile betrachtete ich Celerina, leicht ratlos ob des weiteren Vorgehens. Nicht noch einmal wollte ich mich so zum Narren machen, wie es seinerzeit bei Deandra geschehen war. Doch wie fand man heraus, wie eine im Grunde fremde Frau einer potentiell gemeinsamen Zukunft entgegen stand? "Du sprachst vorhin von der Zukunft. Strebst du etwas Bestimmtes an? Eine Frau wie du hat gewiss alle Hände voll zu tun, um unliebsame Verehrer in ihre Schranken zu verweisen", lenkte ich das Gespräch auf das wohl naheliegendste Thema dieses Tages, sowohl bei ihr, als auch bei mir.

  • Dass das leise Klirren der Gegenstände auf dem Tablett derartige Reaktionen hervorrufen würde in Form von irritierten Blicken, die sie trafen, und einer tiefen, unheilverkündenden Falte auf Corvinus’ Stirn, hätte Siv nicht erwartet. Aber letztlich war ihr das ziemlich egal in diesem Moment. Sie hatte genug mit sich und ihrer Fassung zu tun, und wenn Corvinus und die Römerin auch nur geahnt hätten, wie es in ihr gerade aussah, hätten sie sie bewundern müssen für das Maß an Selbstbeherrschung, die die Germanin tatsächlich vor ihnen aufbrachte. Zumindest von Corvinus erwartete Siv aber, dass er wusste, wie aufgewühlt sie gerade war – ihn schien es nicht weiter zu stören, er schien nicht einmal an das zu denken, was gerade passiert war, aber er wusste, was gewesen war, und es musste ihm doch einfach klar sein, dass sie das nicht unberührt ließ, dass sie es nicht verdrängen konnte, dass ihr Verhalten daher rührte… Aber was Corvinus erwartete, war deutlich – eine Sklavin, deren Benehmen vorbildlich war. Und damit konnte und wollte Siv im Moment nicht dienen. Wäre ihr Zusammentreffen zuvor anders ausgegangen, befriedigender für sie, oder zumindest nicht mit einem derart abrupten Ende, ohne auch nur ein weiteres Wort zu wechseln, wäre Sivs innere Gefühlswelt nun nicht ganz so stark in Aufruhr, trotz der vergangenen Wochen – und sie wäre in der Lage gewesen und vielleicht sogar gewillt, sowohl die Römerin als auch Corvinus, wie er sich gerade gab, zu ertragen und ein tadelloses Verhalten an den Tag zu legen, wozu sie im Allgemeinen durchaus fähig war. Aber so, wie dieser Tag bisher verlaufen war, balancierte sie stets am Abgrund entlang. Der Ausbruch in der Küche hatte etwas Erleichterung gebracht, aber mit Corvinus’ nächsten Taten und Worten war diese beinahe zur Gänze wieder dahin. Verblüfft und verärgert sah sie ihn an, während sich ihre Brauen zusammen und ihre Augen eine deutliche Sprache sprachen. Du weißt, warum das nicht mein Tag ist! So deutlich, als ob sie ihn laut gesagt hätte, stand dieser Satz auf einmal in ihrem Kopf und beherrschte für Momente alles andere. Immerhin ist das deine Schuld! Sofia wollte er haben. Ausgerechnet das Soffchen, der Tollpatsch, der selten eine Aufgabe hinbekam, ohne dass ihr dabei ein Malheur passierte. Der Hinweis war deutlich, und Siv war sich auch ziemlich sicher, dass Corvinus’ Aufforderung nicht wirklich ernst gemeint war – wenn ihm dieser Besuch so wichtig war, konnte er nicht wirklich Sofia um sich haben wollen, es sei denn, er wünschte musikalische Untermalung, und wenn er der Flavia den Garten zeigen wollte, brauchte er auch nicht irgendwen, sondern Siv. Aber sie war nicht gewillt, derart rhetorische Feinheiten im Moment zu beachten. Zu sehr hatte sie sich, seit sie Corvinus’ Cubiculum verlassen hatte, gewünscht, einfach ihre Ruhe zu haben. Sie musterte ihn noch einen Moment, wie er zunächst der Römerin und anschließend sich selbst eingoss, dann glitt ein süffisantes Lächeln über ihre Züge. Sie meinte zu wissen, dass er seine Worte nur als Warnung gemeint hatte und nicht als tatsächliche Aufforderung. Aber sie war eine Sklavin – wer war sie schon zu bleiben, wo ihr Herr ihr doch so deutlich zu verstehen gab zu gehen? Zumal sie ohnehin nicht bleiben wollte. "Ich sicher bin, Sofia weiß besser zu tun." Ihre Augenbrauen zuckten minimal in die Höhe, während sie leicht den Kopf neigte, sich zum ersten Mal tatsächlich leichter fühlend. Danach wandte sie sich um, um zu gehen.

  • Die Frage nach dem Befinden meines Bruders bereitete mir ein wenig Unbehagen. In den letzten Wochen und Monaten hatte er etwas gekränkelt. Die Ärzte hatten versichert, es wäre nichts Ernstes. Doch bereitete er mir dennoch Sorgen. Seitdem war er so antriebslos gewesen und nur wenig konnte ihm wirklich Freude bereiten. "Nun, mein Bruder hatte in der letzten Zeit mit einigem zu kämpfen gehabt. Aber ich glaube, sagen zu können, er befindet sich wieder auf dem Wege der Besserung!" Darauf hoffte ich einfach, auch wenn mir niemand versichern konnte, daß es jemals wieder so werden würde, wie früher.
    Immer noch betroffen, vom derzeitigen Zustand meines Bruders, lauschte ich der Zurechtweisung dieser unfähigen Sklavin. Ich beobachtete sie und wollte sehen, was sie tat. Was ich sah, war bodenloser Zorn, der in ihren Augen loderte. Zu guter letzt antwortete sie auch noch. Ich fragte mich, wie Corvinus solche Arroganz einer Sklavin durchgehen lassen konnte. Doch das war nicht meine Sorge. Der Aurelier indes, schickte sich an und goß mir dem Becher mit Saft und Wasser ein. Anschließend bot er mir die schön angerichteten Häppchen an. "Ich danke dir! Das sieht ja unglaublich verführerisch aus!" Der Einfallsreichtum des aurelischen Koches mußte in der Tat famos sein. Sogleich nahm ich mir eine Kirsche und führe sie zu meinem Mund. Schnell breitete sich die Süße der Frucht in meinem Mund aus. Während ich mir noch eine weitere Kirsche angelte, traf mich seine direkte Frage sehr überraschend. Was sollte ich ihm antworten? Das was ich tatsachlich meinte oder das was einfach nur schicklich gewesen wäre? Was würde er von mir denken, wenn ich hier und jetzt vor ihm meine geheimsten Wünsche ausbreiten würde? Nein, das konnte ich einfach nicht, auch wenn ich gewollt hätte.
    "Streben wir nicht alle nach Glück und Zufriedenheit?" begann ich unverfänglich mit einer Gegenfrage. "Genau das ist es, was ich mir für die Zukunft wünsche, glücklich und zufrieden zu sein. Den richtigen Mann an meiner Seite zu haben wäre natürlich das größte Glück überhaupt. Mein Onkel wollte mich diesbezüglich unterstützen." Er wollte seine guten Kontakte dazu nutzen, um einen geeigneten Kandidaten zu finden. Ich baute da einfach auf seinen guten Geschmack, wobei ich insgeheim hoffte, seine Wahl würde Corvinus mit einbeziehen.

  • Das stumme Gefecht, das Siv mit ihrem Blick begann, umging ich nicht. Mit wachsendem und deutlichem Missfallen erwiderte ich ihren Blick, eine Braue leicht hebend, als sie unerwartet zustimmte. Ich war mir sicher, dass sie bemerkte, wie ich meinen Ärger von der Zunge schluckte, damit ich sie nicht an Ort und Stelle zurechtwies - das konnte ich nicht vor Celerina, oder aber, ich würde vollends mein Gesicht verlieren. Ich war mir sicher, dass sie nur eingewilligt hatte, um mich bloßzustellen. Wir wussten schließlich beide, dass Sofia grüner Daumen eher ein Kohlestumpf war. Sie konnte mit Mühe einen Rosenbusch von einer Fichte unterscheiden, überspitzt ausgedrückt. Finster war mein Blick, als ich ihr kurz nachsah, wie sie abzog. Doch durfte ich mein Ziel für heute nicht aus den Augen verlieren, und so wandte ich mich wieder der Flavierin zu.


    Auf ihren Bruder ging ich nicht weiter ein, ich war mir sicher, dass er sonst recht zuverlässig war und sich wieder melden würde. Mit einem Schmunzeln nahm ich derweil ihre Verzückung bezüglich der Happen wahr. "Ja, unsere Köchin überrascht auch uns immer wieder", gab ich zur Antwort. Die Kirschen schienen es ihr ganz besonders angetan zu haben, wie ich feststellte. Sie ließ sich einen Moment Zeit mit ihrer Antwort, und als sie dann sprach, konnte ich nicht umhin, ob ihrer Gewandtheit zu schmunzeln. Interessant war, dass Aquilius sie unterstützen wollte. Gewiss berücksichtigte er dabei auch meine Wenigkeit? Ich konnte es nur hoffen und ihn nötigenfalls darum bitten. "Die Wahl des richtigen Partners ist bisweilen schwierig", erwiderte ich ernst und dachte kurz an meine vorangegangene Verlobung. "Du sagst, du suchst den 'richtigen Mann'. Welche Eigenschaften sollte er haben?" fragte ich sie aus, während ich mich vorbeugte und mireinen weiteren Happen nahm.



    Drinnen
    Brix wandte sich um, als die Küchentür sich öffnete und Siv eintrat. Er ließ sich gerade von Niki die Essensplanung für die kommende Woche geben, damit er jemanden mit genügend Geld die entsprechenden Einkäufe erledigen lassen konnte. Sofort bemerkte er Sivs Gesichtsausdruck, legte den Griffel fort und sah sie an. "Was ist denn mit dir los?" Nikis Blick zeigte indes deutlich, was sie davon hielt.

  • Corvinus zeigte doch Anzeichen, dass ihm nicht alles egal war, was sie tat; allerdings reagierte er nur auf ihre – für eine Sklavin mehr oder minder offene – Provokation, und sie hatte das Gefühl, dass ihn dies nicht verärgerte, weil es ihm um sie ging, sondern wegen der Römerin, die anwesend war. Am liebsten hätte sie das Tablett mit Schwung auf den Boden geworfen, oder noch besser, auf Corvinus, aber sie wusste, dass sie damit zu weit gehen würde, endgültig und unwiderruflich. Also beherrschte sie sich, auch wenn Corvinus’ Blick – ebenso wie der der Flavia, den Siv aus dem Augenwinkel bemerkte – ihr Inneres wieder zum Brodeln brachte, kaum dass es abgeflaut war aufgrund der Tatsache, dass sie tatsächlich gehen konnte. Corvinus’ Ärger war ihr allerdings egal, mehr noch, in ihrem eigenen Ärger und dem dahinter lauernden schmerzhaften Gefühl, ihm nichts mehr zu bedeuten, verschaffte es ihr Genugtuung zu sehen, dass sie ihn noch treffen konnte, wenn auch nur über Umwege. Sollte Sofia die beiden doch bedienen. Am besten sagte sie ihr, wie wichtig Corvinus dieser Besuch war – dann würde die schusselige Griechin aufgeregt werden, und wenn sie das war, erhöhte sich ihr Fehlerpotential noch einmal um wenigstens die Hälfte. Wenn Siv ihr einschärfte, nur ja keinen Fehler zu machen, weil sie für Corvinus dann etwas Wichtiges verdarb und er mit Sicherheit ausflippen würde… passierten ihr mindestens fünf, davon zwei oder drei gravierendere.


    Vertieft in die Vorstellung, was das Soffchen alles anstellen könnte, fiel Siv nicht auf, wie gehässig und rachsüchtig ihre Gedanken in diesem Moment waren – und dass sie mit diesem Vorhaben nicht nur Corvinus schadete, der es aus ihrer Sicht zu einem gewissen Teil verdient hatte, sondern auch Sofia, die völlig unschuldig war. Während die Germanin sich also vorstellte, wie Corvinus von Sofia bloßgestellt wurde, und gleichzeitig die Wut in ihr selbst wuchs und sichtbar in ihren Augen loderte, lenkten ihre Schritte sie in die Küche, um dort zu fragen, wo Sofia steckte. Beinahe ebenso schwungvoll wie zuvor öffnete sie die Tür und trat ein, in den Fingern schon wieder ein Jucken, den nächstbesten Gegenstand zu zertrümmern, als sie Brix bei Niki stehen sah. Sie blieb stehen und zögerte für einen Moment, war der hochgewachsene Germane doch einer der wenigen im Haus, denen sie wirklich Respekt zollte, weil er ihn schlicht verdiente. "Mit mir?" Sie machte eine vage Handbewegung, die viel zu heftig ausfiel, und war drauf und dran, nichts zu antworten, als sie Nikis Blick auffing und sich daran erinnerte, was sie zuvor hier drin angerichtet hatte. Wütend zuckte sie mit den Achseln. "Nichts besonderes", antwortete sie schließlich, wohlweislich auf Germanisch – ihr Tonfall jedoch das genaue Gegenteil aussagend. "Corvinus sein, ist außen in Garten. Wo ist Sofia? Er sie braucht, will für Besuch."

  • Ich sah der Sklavin noch kurz nach, als sie endlich den Platz räumte. Nun konnte Corvinus sich wieder voll und ganz mir widmen. Selbstredend war mir seine Verärgerung nicht entgangen, auch wenn er es geschickt vor mir verbergen wollte. Doch nun gut! Keinen einzigen Gedanken wollte ich mehr an dieses Ding verschwenden.
    Stattdessen griff ich nun auch einmal zu diesem Käsegebäck, welches er bereits gekostet hatte. Alles sah sehr appetitlich aus und entsprach auch voll meinen Vorlieben. Am Nachmittag waren es eher die leichten Dinge, denen ich den Vorzug gab. "Mhhm! Das Käsegebäck ist einfach vorzüglich! Ich stimme dir voll und ganz zu! Deine Köchin ist eine Meisterin ihres Faches!" Wobei der flavische Koch auch nicht zu verachten war!
    Allmählich hatte ich den Eindruck, unser Gespräch folgte einer besonderen Richtung, nämlich der der Partnerwahl. Seine Fragen wurden eindeutiger und ich konnte mich nicht mehr länger einer klaren Antwort entziehen. "Du sagst es! Nun ich will ganz ehrlich sein. Ja, ich strebe eine erneute Ehe an, obwohl mir die vorherige ein Greul gewesen ist. Auch wenn ich ein gebranntes Kind bin, suche ich vielleicht genau deswegen wieder das Feuer! Doch diesmal möchte ich nicht in eine Ehe hineingedrängt werden, in der ich am Ende nur unglücklich bin." Forschend sah ich in sein Gesicht. Ich wollte jede seiner Regungen genau erkennen können. Womöglich machte ich mich hier gerade zum Gespött von ganz Rom. Frauen, die Ansprüche stellen, waren nicht so breit gesäht, in dieser Stadt.
    "Nun, ich erwarte von meinem Mann, daß er ähnlichen Interessen nachgeht, wie ich es tue, so daß diese Ehe nicht nur eine Zweckgemeinschaft bleibt, sondern auch mehr daraus erwachsen kann. Er sollte mich nicht nur als Statussymbol sehen. Vielmehr sollte er in mir das erkennen, was ich wirklich bin!"
    Ich hoffte, ich hatte ihn damit nicht zu sehr verschreckt. Anderenfalls hätte ich mich dann wirklich fragen müssen, ob er der Richtige war!

  • Drinnen
    Brix' Augenbrauen hoben sich in vielsagender Weise, als er Sivs Handbewegung mit dem Blick folgte. Niki schüttelte in Unverständnis den Lockenkopf und wandte sich ab, um verbissen einen Teig zu walken. Mit Sivs gegenwärtigem Verhalten konnte sie nichts anfangen, und langsam argwöhnte sie auch den wahren Kern in den Erzählungen der anderen Haussklaven. So wie sich Siv derzeit verhielt, war es für Niki nicht mehr schwer zu glauben, dass sie tatsächlich abgehauen war und eine Strafe verdient hatte.


    Brix ignorierte die Frage nach Sofia geflissentlich - Niki knetete, die reagierte gar nicht - und deutete auf einen der kleinen Schemel, die hier in der Küche standen. "Setz dich erstmal. Und dann sagst du mir, was los ist. Du bist ja schon länger nicht gut drauf, aber heute scheint es mir noch schlimmer als sonst zu sein. Also lass uns darüber reden, ehe noch mehr zu Bruch geht als ein Krug und ein paar Becher." Seine Mundwinkel zuckten amüsiert durch den Bart, obwohl er sich große Mühe gab, ernst zu sein. Seine neue Aufgabe erforderte das nun einmal, auch wenn er niemals so werden würde wie Matho. Er würde nicht vergessen, wo er herkam, das hatte er sich fest vorgenommen. Brix seufzte, lehnte sich mit locker überkreuzten Beinen an den Tisch und stützte sich mit einer Hand ab. Er hatte absichtlich die germanische Sprache gewählt, da Niki diese Sprache nicht verstand und Siv sich so weitaus besser ausdrücken konnte.



    Im Garten
    Ihr erneutes Kompliment quittierte ich diesmal nur mit einem Lächeln. Niki hatte schon für meine Eltern gekocht, mein Vater hatte sie damals gekauft, in Ostia glaubte ich. Während sie nach Gusto Häppchen herauspickte, betrachtete ich sie. Hässlich war sie nicht, doch um sie als makellos zu bezeichnen, war mir ihre Nase ein wenig zu breit. Hübscher als Deandra indes war sie. Doch Äußerlichkeiten waren mir weniger wichtig als das eigentliche Gebaren, die 'inneren Werte', wie man allgemeinhin sagte. Sie wollte also erneut heiraten, wie sie offenbarte. Kein Wort von Zwang. Jedoch, wenn ich es mir recht überlegte, hätte ich auch nicht zugegeben, nur aus gesellschaftlichen Gründen heiraten zu wollen. Zu müssen. Ich stützte den Ellbogen auf die Sessellehne und legte die Hand ans Kinn. Ein Nicken folgte. Ich sah es ähnlich wie sie, allerdings spielte bei mir noch der Wunsch nach einem gewissen Niveau hinein. Ich konnte mit einer Frau fürs Leben nichts anfangen, wenn ich mich nicht angeregt mit ihr unterhalten konnte. Bei einer Bettgeschichte indes war es gleich. Bei ihrer Erwähnung des Statussymbols befiel mich ein ganz seichtes schlechtes Gewissen. Schließlich hatte ich mich überhaupt erst wieder auf die Suche begeben, eben weil ich vermutlich bald in den Senat berufen wurde. Und man sah nun einmal verheiratete Senatoren lieber in im Senat sitzen als unvermählte. Eine Pause dehnte sich, und ich nickte. "Da sind wir der gleichen Meinung. Ich für meinen Teil lege zudem wert darauf, mich gut unterhalten zu können. Und die, nun, Persönlichkeit muss einfach stimmen. Ich könnte, so glaube ich, nicht mit einer Frau an meiner Seite leben, die beispielsweise dauerhaft kichert oder lediglich die Finger an ihren Händen zählen kann." Eine Amsel ließ sich in einem nahen Busch nieder und begann mit ihren melodischen Rufen. Allmählich begann ich, die friedvolle Stimmung zu genießen, seitdem Siv davongerauscht war.

  • Drinnen
    Siv knirschte mit den Zähnen, als sie Nikis Reaktion sah, und ihre Hände ballten sich kurzfristig zu Fäusten, aber sie beherrschte sich. Mühsam. Ich muss raus hier. Der Gedanke war plötzlich in ihrem Kopf. Sie dachte nicht an eine Flucht, aber sie sehnte sich danach, auf dem Rücken eines Pferdes durch einen Wald zu rasen, am liebsten Idolum, der ihr seit der Reise nach Germanien das liebste von den Tieren im aurelischen Stall war. Oder… irgendetwas, wobei sie sich abreagieren, wo sie ihre aufgestaute Energie und Wut loswerden konnte. Der Zusammenstoss mit Corvinus hatte für sie definitiv nicht diesen Effekt gehabt, im Gegenteil. Mit gerunzelter Stirn sah sie Brix an, und sie für einen Moment war sie drauf und dran, dem Schemel einen Tritt mit dem Fuß zu verpassen und sich selbst auf die Suche nach Sofia zu machen, um dann endlich irgendwohin zu gehen, wo sie ihre Ruhe hatte – und sich in Ruhe austoben konnte. Drei Dinge allerdings hielten sie davon ab. Zum einen sprach Brix auf Germanisch, und Siv wusste durchaus zu schätzen, dass er dadurch verhinderte, sie vor Niki – und möglichen weiteren Sklaven, die zwischendurch in die Küche kommen konnten – bloßzustellen. Dann war da der Punkt, dass er überhaupt fragte, was los war. Im Grunde sehnte sie sich danach, dieses Interesse von Corvinus zu bekommen, gerade jetzt, aber Brix war ein Anfang, und im Gegensatz zu beispielsweise Merit oder Fhionn, mit denen sie sich auch verstand, standen bei ihm die Chancen gut, dass sie tatsächlich mit der Sprache herausrückte. Dass er Germanisch gewählt hatte zeugte zusätzlich davon, dass er wirklich wissen wollte, was los war. Und nicht zuletzt bemerkte sie, trotz ihrer momentanen Verfassung, das Schmunzeln, das an seinen Mundwinkeln zupfte.


    Einen Moment blieb Siv noch stehen, dann bewegte sie sich zögernd vorwärts, ging an Brix vorbei, der sich inzwischen locker an den Tisch gelehnt hatte, und setzte sich auf den Schemel, auf den er gedeutet hatte. "Du weißt von dem Krug?" Jetzt, wo sie langsam etwas ruhiger wurde, rührte sich schlechtes Gewissen in ihr. "Ich… Was soll ich sagen, ich…" Sie machte erneut eine unbestimmte Handbewegung, sprang dann auf, unfähig, ruhig sitzen zu bleiben, ging ein paar Schritte und lehnte sich schließlich neben Brix an den Tisch, beide Hände an der Kante aufgestützt, den Vorteil dieser Position nutzend, dass sie ihn so nicht ansehen musste. Was sollte sie ihm sagen? Obwohl Siv generell eher zu den Menschen gehörte, die ungern zugaben Hilfe zu benötigen, war sie doch niemand, der sie rundheraus ablehnte. Nur war ihr Problem in ihrer Situation, dass sie sich selbst nicht mal sicher war, warum sie manchmal so extrem reagierte auf Corvinus. Warum er und wie er sich ihr gegenüber verhielt sie so sehr beeinflusste. Sie hatte schlicht keine Erfahrung mit so etwas. Sie hatte nur das Gefühl, dass es persönlich war, sehr persönlich – und darüber hinaus wusste sie nicht, wie viel sie tatsächlich von dem erzählen konnte, was sie für den Mann empfand, der ihr Besitzer war. Sie seufzte und fühlte sich auf einmal ausgelaugt, als die starken Gefühle von zuvor für den Augenblick abflauten. "Corvinus… Er hat mit mir heut geredet. Zum ersten Mal wirklich, seit… du weißt schon. Seit ich aus Germanien wieder gekommen bin. Und…" Sie zuckte die Achseln, unsicher, was sie noch sagen sollte. Ob sie erzählen sollte, was passiert war. Der Streit. Ihre Ohrfeige. Das kurze Intermezzo an der Tür… Sie war Sklavin, dass sie ihrem Herrn auch körperlich zur Verfügung zu stehen hatte, war eigentlich nichts, was zur Diskussion stand – oder sie derart aufwühlen sollte. Auf der anderen Seite hätte sie nichts an Corvinus derart aufwühlen sollen. Wieder hob ein Seufzer ihre Brust.

  • [Blockierte Grafik: http://img70.imageshack.us/img70/2005/sklave9vv4.jpg]


    Brix, der keinesfalls ein Dummkopf war, hatte schon vor der Reise nach Germanien mitbekommen, dass Siv eine andere Beziehung zu ihrem Herren hatte, als sie andere glauben machen wollte. Das vage Lächeln um den Mund, das verhaltene Glitzern in den Augen wenn sie von ihm sprach, hatte sie verraten. Dennoch maßte er sich nicht an, darüber zu urteilen, ob es gut oder schlecht war. Es war vielleicht ein wenig naiv, aber das mochte in Sivs Ermessen liegen und nicht in seinem. Er hielt sich da raus, es ging nichts an, oder neuerdings nur dann, wenn Siv ihre Arbeit vernachlässigte. Da sie dies nicht tat, sondern sich seit der Wiederkehr umso bereitwilligender in ermattende Arbeit stürzte, und da ihr im Bezug auf den Garten ohnehin keiner das Wasser reichen konnte, hatte er nichts weiter gesagt. So lächelte er lediglich wissend und ging vorerst nur auf das zerstörte Steingut ein. "So einen Krug zerdeppert man nicht gerade leise, und als ich in die Küche kam, hat Niki gerade deine Scherben aufgefegt", sagte er, und als Niki ihren Namen hörte, sah sie Brix kurz grimmig an. Sie mochte es nicht, wenn sie nichts verstand.


    Kurz darauf sprang Siv schon wieder auf und strahlte eine Unruhe aus, die Brix deutlich spüren konnte. Das, was sie bewegte, war keine Kleinigkeit. Er ahnte schon, worauf es hinauslaufen würde. Ihr Verhältnis zu dem Hausherren und der Umstand, dass jener soben eine hohe Dame zu Besuch hatte, wwaren für den Germanen eigentlich aufschlussreich genug. Er hörte ihr dennoch ruhig zu. "...und? Du meinst, und jetzt hat er Besuch dort draußen auf der Terrasse sitzen und schert sich nicht weiter um dich?" fragte er rhetorisch und sprach gleich weiter. "Ist das der Grund für deine Wut?" In diesem Moment flog die Tür auf. Wehende blonde Haare wirbelten hinein. "Habt ihr sie gesehen?" Sofia blickte von einem zum anderen. Niki schürzte nur die Lippen und hackte inzwischen mit einer Inbrunst Gemüse, die jeden Schlächter in den Schatten gestellt hätte. "Eine wie jede andere", kommentierte sie. "Oh, wir sollten es uns nicht mit ihr verscherzen, Niki! Du hast nicht gesehen, wie er sie anschaut. Ich bin ganz sicher, das wird unsere neue Herrin werden. Ach, ich muss das gleich Alexandros erzählen...der wird ganz aus dem Häuschen sein!" Sofia wandte sich um, wobei sie mit ihrem Schwung das Mehlfässchen zum Schwanken brachte. Doch sie merkte es nicht und rauschte wieder fort aus der Küche, ohne dass sie irgendwer hätte zurückhalten können. Brix warf Siv einen Seitenblick zu. Das war nun gewiss das letzte gewesen, was sie gebraucht hatte.

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