hortus | Der Haifisch, der hat Zähne... oder: Von Rosen und Dornen

  • Dass andere an ihrem Verhalten schon längst gemerkt haben könnten, was Siv für Corvinus empfand, war ihr nicht im Mindesten klar. Sie hatte es ja selbst nicht geahnt, oder eher: sie hatte, zumeist erfolgreich, keinen Gedanken daran zugelassen. Er hatte sie zwar verwirrt, und darüber hatte sie durchaus gegrübelt, aber alles, was eine tiefere Erklärung hätte bieten können, hatte sie von vornherein so strikt abgelehnt, dass es ihr gar nicht bewusst wurde. Und in den übrigen Momenten hatte sie einfach genossen, was sich da, unbemerkt von ihr, zu entwickeln begann. Hätte Brix ihr nun gesagt, dass er schon längst wusste, was los war, noch bevor es ihr selbst klar geworden war, hätte sie ihn mit großen Augen angestarrt und wäre vermutlich im ersten Augenblick zumindest versucht gewesen ihn zu bezichtigen, sie aufziehen zu wollen. So aber starrte sie nur vor sich hin und bemerkte weder Brix’ wissenden Blick noch Nikis grimmigen. Ihr Kopf ruckte allerdings hoch, als der Germane neben ihr ihren Satz vervollständigte. Das war es nicht, woran sie gedacht hatte, aber es traf trotzdem ziemlich genau, was sie gerade empfand. Die Römerin war überhaupt erst der Anlass gewesen, dass Corvinus Siv gerufen hatte, aber nach dem, was passiert war, wusste sie nicht, ob sie dafür dankbar sein sollte. Sie wusste aber sehr genau, dass sie nicht ausstehen konnte, wie sich die Römerin verhielt – oder Corvinus in ihrer Gegenwart.


    Sie hatte sich gerade wieder abgestoßen vom Tisch, tigerte herum und setzte zu einer heftigen Antwort an, als die Tür erneut aufflog und Sofia hereinstürmte. Siv wirbelte herum und starrte die Griechin an, die sofort lossprudelte. Und starrte. Und starrte immer noch, als Sofia bereits wieder herumfuhr. Nur langsam sickerten die Worte ein, wurde ihr die Bedeutung klar, die sie hatten. In Wirklichkeit vergingen nur Bruchteile von Augenblicken, denn das Mehlfässchen war immer noch am Wanken, als Siv aus ihrer Starre auftauchte, aber für sie selbst schienen sich die Sekunden zu Ewigkeiten zu dehnen. "Was?" murmelte sie. Bei allem, was sie draußen gesehen hatte, hatte sie doch nicht gedacht, der Besuch könnte aus diesem Grund für Corvinus wichtig sein. Und was meinte Sofia überhaupt damit, wie er diese Flavia ansah? War sie draußen gewesen? Hatte Corvinus nach Sofia rufen lassen, hatte er also ernst gemeint, dass er lieber sie als Siv um sich haben wollte, selbst wenn es um den Garten ging? Sivs Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und ein leiser, gequälter Laut drang über ihre Lippen, während sie immer noch auf die Stelle starrte, an der gerade eben noch Sofia gewesen war und gleichzeitig das Mehlfässchen einen grotesken, verzerrten Tanz aufzuführen schien, in einer verlangsamten Zeit unendlich langsam nach hinten sich beugte, auf dem äußersten Punkt seiner Bahn winzige Ewigkeiten verharrte, nur um dann ebenso langsam wieder zurück zu schwenken. Sivs Blick wurde wie von Götterhand gelenkt davon angezogen, wanderte Stück um Stück dem Mehlfässchen entgegen, während ihre Brust so eng wurde, dass sie nicht mehr atmen konnte. Neue Herrin. Ein Schluchzen sammelte sich in ihrer Kehle. Das Mehlfässchen wanderte weiter auf seiner elliptischen Bahn. Neue Herrin. Auf dem oberen Rand des Fässchens sah Siv plötzlich Corvinus, und mit ihm die Römerin, beide in einem innigen Kuss verbunden. Sie lösten sich, und Corvinus hob die Hand, legte sie ihr an die Wange und fuhr ihr über die Lippen, in der vertrauten Geste, die er bei Siv immer benutzt hatte. Das Mehlfässchen näherte sich dem gegenüberliegenden Scheitelpunkt der Bahn und überschritt ihn. Und irgendetwas in Siv schlug um. Es war wie eine Welle, die sich langsam im Meer aufgebaut hatte und nun auf Grund traf, sich tosend auftürmte und schließlich brach. Die Zeit schnellte zurück, und mit einem Aufschrei, der vielmehr Verzweiflung beinhaltete denn Wut, trat Siv gegen das Mehlfässchen und brachte es endgültig um seinen ohnehin schon wackeligen Stand. "Bei Hels finstersten Kreaturen! Er hat mit mir geschlafen, gerade eben noch, und jetzt bringt er es fertig und sitzt da draußen und macht IHR schöne Augen?"

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    Brix' Blick war auf Siv gerichtet, als Sofia die Küche verlassen hatte. Er ahnte, dass diese Situation dank ihres Auftretens keine gute Wendung nehmen würde. Doch er schien sich geirrt zu haben, denn statt erneut aufzubegehren und sich wie eine Wilde aufzuführen, wirkte sie nur verwundert und fassungslos. Ihr Blick irrte langsam im Raum umher und blieb an dem wankenden Fässchen hängen. Niki murmelte etwas, das Brix besser nicht verstand, und werkelte kopfschüttelnd und mit sich selbst redend weiter. Gerade, als Brix sich aufmachen wollte, um dem schwankenden Mehlbehältnis wieder sicheren Stand zu bescheren, kam eine Art Knurren über Sivs Lippen, dicht gefplgt von einem dramatischen Aufschrei - und einem Tritt. Brix verhielt in der Bewegung, seufzte und sah der Mehlwolke zu, wie sie sich langsam lichtete. Da fiel ihm auf, dass etwas fehlte. Er hob den Blick, und in dem Moment, in dem es passiert, wusste er auch, was fehlte: Nikis rhytmisches Schneiden auf der Holzplatte war verstummte.


    Zeitgleich verpasste die schmale Köchin Siv eine schallende Ohrfeige. "Ich glaub wohl, du hast sie nicht alle! Wenn du was kaputt machen willst, geh gefälligst irgendwo anders hin, aber komm nicht in MEINE KÜCHE!" brüllte sie Siv an, und Brix stand daneben wie versteinert. Er hatte Siv zwar gehört, doch was sollte er sagen? Niki schüttelte derweil die Hand, mit der sie Siv geschlagen hatte. Ihre Augen sprühten vor Zorn und ihr Gesicht war krebsrot. Ein, zwei Atemzüge lang stand sie noch heftig atmend vor der Germanin, dann wandte sie sich so abrupt um, dass erneut ein wenig Mehl aufwirbelte, und rammte das große Fleischermesser in einen halb abgezogenen Hasen. Brix seufzte und kratzte sich mit einem Blick auf das Malheur die Stirn. "Tja.", sagte er ratlos. Niki fuhr herum und wedelte nun mit dem kleinen Gemüsemesser. "Jetzt nimm du sie nicht auch noch in Schutz, Brix! Sie kann sich hier nicht aufführen, als würde sich alles immer nur um sie drehen! So ist das nicht, das muss sie lernen! Und diesmal kann sie ihre Schweinerei selbst aufräumen, ich muss das Essen für heute Abend vorbereiten!" Schnaufend schnibbelte Niki weiter. Brix sah zerknirscht von ihr zu Siv und hob die Schultern. "Ja, also... Ich kann mir vorstellen, wie das für dich ist, aber... Sie ist eine Römerin, das ist der Punkt. Und er muss langsam mal heiraten..." Brix hob die Schultern. Was sollte er groß dazu sagen? Siv wusste sicher selbst, dass Corvinus tun und lassen konnte, was er wollte. Und dass sie das Bürgerrecht nicht besaß, die Flavierin aber schon, und noch dazu war sie aus gutem Hause. "Du solltest wieder hinaus gehen. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer für dich sein muss, aber davonzulaufen ist auch keine Lösung", versuchte er es weiter, während er den Besen hinter der Tür hervor kramte.

  • Eine Mehlwolke erhob sich und breitete sich aus, noch während Siv lauthals fluchte – aber sie wurde abrupt unterbrochen von Niki, die einer Walküre gleich wutschnaubend auf sie zustürmte und ihr zum zweiten Mal an diesem Tag eine Ohrfeige verpasste, diesmal so heftig, dass Siv zwei Schritte zurücktaumelte. Die Worte prasselten auf sie ein, aber sie verstand sie nicht wirklich, da es in ihrem Kopf zu klingeln schien und die Welt sich kurzzeitig drehte wie das Mehlfässchen zuvor, nur wesentlich schneller, und darüber hinaus ihre Wange brannte wie Feuer. Wieder stand sie da wie erstarrt, regte sich nicht, und ein Teil von ihr sehnte sich nach einer weiteren Ohrfeige, hätte sie willkommen geheißen als Ablenkung von dem, was Sofia gerade verkündet hatte – was durch Schmerz und Schwindel kurzzeitig ausgeschaltet gewesen war und nun wieder vordrängte. Langsam, unendlich langsam, begann ihre Brust sich zu heben und zu senken. Mühsam sog sie Luft in die Lungen, tat jeden einzelnen Atemzug wie eine Erstickende, ebenso qualvoll und ebenso hörbar. Gleichzeitig hörte sie wieder Niki schimpfen, und diesmal verstand sie sie. Dann ruckte ihr Kopf herum, als Brix auf sie einredete. "Vorstellen?" echote sie, ungläubig und mit einem vagen Schmerz in der Stimme. "Du kannst es dir vorstellen? Ach wirklich? Du kannst dir vorstellen, wie es ist, einen Fehler zu machen der alles kaputt gemacht hat? Du kannst dir vorstellen, wie es ist, wenn ein Mensch, der dir so wichtig ist, dir keine Gelegenheit gibt dich zu rechtfertigen, nicht einmal zulässt zu sagen, dass es dir leid tut, im Gegenteil, wochenlang kein Wort für dich übrig hat, nicht einmal einen Blick! Und dann kommt so was wie heute!"


    Siv machte ein paar wankende Schritte rückwärts, bis sie an die Wand stieß, und schlug sich die Hände vors Gesicht, nur um sich gleich darauf durch die Haare zu fahren. "Oh ihr Götter, was soll ich denn bloß tun?" Sie wusste, dass sie keine Römerin war. Sie wusste, dass es keine Zukunft für sie gab mit Corvinus, keine andere als die, zumindest offiziell seine Sklavin zu sein, und sie hatte sich auch nie etwas vorgemacht, was das betraf. Aber sie hatte auch nie darüber nachgedacht, dass Corvinus eines Tages möglicherweise heiraten würde. Dass eine andere Frau an seiner Seite war. Sie wusste, dass er schon einmal verlobt gewesen war, aber irgendwie hatte die Möglichkeit einer weiteren Verlobung in ihren Gedanken keinen Bestand gehabt. Was, wenn sie, Siv, ihm tatsächlich nichts mehr bedeutete? Was, wenn er sie tatsächlich nicht mehr um sich haben wollte? Tränen traten in ihre Augen, während ihre Kehle eng wurde. "Ich will doch gar nicht, dass sich alles um mich dreht. Ich will nicht ständig so aufgewühlt sein, so verwirrt, so wütend, und alles zur gleichen Zeit, dass ich manchmal denk ich platz gleich!" Ihre Schultern bebten genau wie ihre Stimme, und das Schluchzen war deutlich zu sehen und zu hören, aber sie hielt die Tränen zurück, bis auf eine, die ihr die Wange hinunterrann und die sie beinahe trotzig fortwischte. "Hinausgehen? Was, zu ihnen? Er will mich doch gar nicht da haben, er hat doch nach Sofia gefragt, und die war ja offenbar schon da!" Dann sah sie auf, sah Brix mit dem Besen hantieren, sah Niki, immer noch zornrot, auf das Gemüse einhacken. "Mir tut leid, Niki. Wirklich."

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    Der Germane entgegnete nichts auf Sivs vorwurfsvolle Worte. Das war besser so. Er hatte er sagen wollen, dass er wisse, wie sie sich fühlen musste, doch das wusste er eben nicht. Vorstellen konnte er es sich allerdings durchaus. Statt also etwas zu sagen, kehrte er mit langsamen Bewegungen, damit das Mehl sich nicht noch weiter verteilte, selbiges zusammen. Als die Verzweiflung in Sivs Stimme laut wurde, sah Brix auf und hielt inne. Wie sie dort unter dem Regal an der Wand stand und sich grämte, tat sie ihm leid. Er wechselte den Besenstiel von der Rechten in die Linke und seufzte. "Siv. Zuerst beruhige dich. Komm mal her." Brix breitete einen Arm ein wenig aus und bot Siv damit Anlehnfläche. "Pah. Geh in deinen Garten!" grollte Niki derweil, wenn auch nicht mehr ganz so sauer wie noch vor Augenblicken.


    Es dauerte zwar ein wenig, aber letztendlich kam sie. Und Brix versuchte, sie zu trösten. Er hatte Siv noch nie weinen sehen, daher glaubte er, dass ihr die ganze Sache doch ziemlich nahe gehen musste. Eine Weile ließ er ihr einfach Zeit, dann klopfte er ihr behutsam auf den Rücken. "Du bist eine sehr liebenswerte Frau. Corvinus wäre blind, wenn er das nicht sieht. Das mal dazu. Aber jetzt schau dich mal an, so verbittert und voller Wut wie du bist. Da sieht man die liebenswerte Siv gar nicht, under dem ganzen Zorn. Denkst du denn, so mag er dich?" Brix schob Siv eine Armeslänge weit von sich und betrachtete sie. Die Träne hatte eine feuchte Spur auf ihrer Wange hinterlassen. "Jetzt schau nicht so. Selbst ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, wenn du Nikis Küche demolierst und solche Blicke verschießt. Und der Römerin da draußen machst du es auch leicht, indem du dich einfach verdrückst. Nach allem, was ich gehört habe, teilt sie die Leidenschaft unseres Herrn für Pflanzen. Wer könnte sie sonst in den Schatten stellen mit dem Wissen diesbezüglich, wenn nicht du? Also los, du kleiner Waldgeist, hinaus mit dir. Ich kümmere mich um das Mehl." Brix lächelte Siv aufmunternd zu, fragte sich aber zugleich, ob es eine gute Idee war, sie zur Konkurrenz mit der Römerin anzustacheln.

  • Siv spürte schon wieder, wie sich eine Welle in ihr aufzutürmen begann, diesmal aus Verzweiflung. Sie lehnte an der Wand und wusste nicht mehr, was sie tun sollte, um aus dieser Situation irgendwie heraus zu kommen. Alles was sie tat, alles was geschah, schien sie nur immer tiefer hinein zu bringen, immer tiefer. Sie presste eine Hand auf die Stirn und bemühte sich angestrengt, die Tränen zurückzuhalten, blinzelte zu Brix hinüber, gerade als dieser den Arm ausstreckte. Sie rang nach Atem, sehnte sich danach, in den Arm genommen zu werden, und zögerte gleichzeitig doch, Brix’ Angebot anzunehmen. Kurz huschte ihr Blick zu Niki, als diese antwortete, immer noch grummelnd, aber wenigstens nicht mehr ganz so in Rage wie noch zuvor. Dann sah sie wieder zu Brix, und der Wunsch in ihr nach Trost nahm überhand. Mit wenigen, aber langsamen Schritten überbrückte sie die Distanz, und als sie endlich bei ihm war, lehnte sie sich zögernd an ihn. Mit einem Schluchzen schloss sie die Augen und presste ihr Gesicht an seine Brust, und jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Brix’ Arm um sie gab ihr die Geborgenheit, die die letzte Mauer ihrer Abwehr und damit auch ihrer Selbstbeherrschung einriss. Ihre Schultern bebten, während sie nahezu lautlos in die Tunika des neuen Maiordomus weinte.


    Erst nach einer Weile spürte sie, wie Brix sich regte, spürte seine Hand, die sacht ihren Rücken tätschelte. Mit immer noch nassen Augen, aus denen aber keine Tränen mehr rannen, sah sie zu ihm auf, während Brix zu sprechen anfing. Der Ausdruck in ihren Augen wurde zweifelnd. "Ich und liebenswert? Und das meinst du?" Sie starrte kurz auf den Boden. Corvinus wäre blind, wenn er das nicht sieht. Und dann die nächsten Worte. Siv sah wieder hoch und wiederholte, was sie schon gesagt hatte. "Ich will doch gar nicht so sein… Aber ich weiß einfach nicht… Es macht mich wahnsinnig, wenn er so abweisend ist. Da geh ich ihm lieber aus dem Weg und seh ihn gar nicht, weißt du? Ich meine…" Mutlos zuckte sie die Achseln. "Er mag mich doch sowieso nicht. Nicht mehr. Ich bin nur eine Sklavin." Dann war auf einmal der Hauch eines, wenn auch sehr schiefen, Lächelns zu sehen auf ihrem Gesicht, als Brix über ihren Wutanfall sprach, dann wurde sie wieder ernst – und dann sah sie überrascht drein. "Wie, was… Du meinst, ich kann ihr das Wasser reichen? Und… ach selbst wenn, es bleibt doch dabei, dass er mich nicht da haben will." Aber war das denn tatsächlich so? Hätte er sie dann heute überhaupt erst gerufen? Auf der anderen Seite hatte er aber betont, am liebsten jemand anderen da zu haben. Sie schniefte kurz, immer noch unschlüssig, ob sie tatsächlich gehen sollte. "Meinst du wirklich, es macht Sinn, wenn ich geh? Was soll ich denn sagen? Ich mein du weißt ja nicht, wie er mich angesehen hat, und was er gesagt hat…"

  • Erleichtert hatte ich aufgeatmet. Mein Schuß war nicht nach hinten losgegangen. Ein gelöstes Lächeln spiegelte sich auf meinen Lippen wieder. "Das ist schön, zu hören. Ich dachte schon… ach nichts. Dann decken sich ja unsere Auswahlkriterien und ich kann dich beruhigen, ich glaube ich war elf oder zwölf, als ich das letzte mal gekichert habe," scherzte ich.
    Ich fühlte mich mit einem Mal so befreit, so beschwingt, als wäre eine schwere Last von mir genommen worden. Zufrieden ließ ich mich in meinen Sessel zurück fallen und genoß die schöne Umgebung, in der ich mich befand. Der schöngestaltete Außenbereich der Villa hatte mir von Anfang an gefallen. Ich fragte mich, wie schön denn der Garten erst sein mußte. Welche Überraschungen dort noch auf mich warten würden? Der flavische Garten hatte es mir bereits angetan. Besonders an Felix´ Rosenzucht konnte ich mich nicht genug sattsehen. Der Duft dieser Blumen verführte mich stets zum Träumen. Ob der aurelische Garten auch mit einem Meer aus Rosen aufwarten konnte? Meine Vorfreude stieg ins unermeßliche, doch ich vermied es, Corvinus darauf anzusprechen. Ich wollte warten und zu gegebener Zeit würde uns unser Weg auch in den Garten führen.


    Zwischenzeitlich war keine andere Sklavin mehr erschienen. So schenkte ich mir meinen Becher selbst wieder voll, nachdem ich ihn leer getrunken hatte. Dies war eine Erfahrung, die ich bisher nur selten in meinem Leben gemacht hatte. :D Für meinen Geschmack war es so wesentlich angenehmer, völlig ungestört zu sein. Auch Corvinus machte nun einen wesentlich entspannteren Eindruck.

  • Drinnen


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    "Genau das meine ich, ja. Ich denke, dass du weißt, dass in den seltensten Fällen etwas anderes aus einer Sklave-Herr-Geschichte erwächst als Unglück. Da brauche ich dir also nichts zu zu sagen, das musst du für dich ganz allein entscheiden. Ob du damit leben kannst, wenn er dir nichts zurückgibt oder im besten Fall zum Schein eine Frau heiratet, weißt nur du allein, da kann dir niemand helfen." Brix sah Siv aufmerksam an. "Du musst das für dich entscheiden, unabhängig davon, was die anderen davon halten. Und dann handle danach. Das ist wie... Wie wenn man ein Rebhuhn jagt. Da muss man auch wissen, was man tut, sonst fliegt es fort und man muss hungern. Wenn man aber ganz und gar bei der Sache ist, kann man ein Festmahl halten." Ein Weilchen lächelte Brix in Erinnerung vor sich hin, dann schubste er Siv sachte an. "So, jetzt hinaus mit dir." Von Niki erntete er ein beifälliges Nicken.




    Draußen
    Wie Celerina wohl aussehen mochte, wenn sie kicherte? Das war ein seltsamer Gedanke, nach dem was ich eben gesagt hatte. Oder wie sie wirkte, wenn sie die Nase krauszog...? Ich widmete mich wieder dem Wein, rätselte kurz darüber, was Celerina hatte ansprechen wollen, unterdrückte aber den Impuls, sie danach zu fragen. Gewiss hatte sie es mit gutem Grund im letzten Moment unterdrückt, also war es unhöflich, wenn ich nun fragte.


    Stattdessen begann ich es zu bedauern, dass ich Siv hatte wegschicken müssen. Selbst in ihrem gebrochenen Latein würde sie die Eigenheiten der Pflanzen teilweise besser erklären können als ich, schlicht und ergreifend deswegen, weil sie um die Pflege der einzelnen Exemplare wusste und ich nicht. Dennoch deutete ich nun in den Garten hinein. "Wenn du möchtest, können wir uns dem hortus zuwenden", schlug ich vor. "Stell dir einmal vor, ich habe vor einer Woche ein recht mäkeliges Exemplar einer orchidacea erhalten. Sie sieht noch recht traurig aus und hat ihre einzige Blüte zwar nach dem Einsetzen abgeworfen, aber bei guter Pflege wird sie sicher noch angehen. Nun - wollen wir?"


  • Drinnen
    Siv hörte sich zweifelnd Brix’ Worte an. "Da ist keine Sklave-Herr-Geschichte! Da ist…" Dann verstummte sie wieder, als ihr klar wurde wie lächerlich es jetzt wirkte, wenn sie abstritt, dass zumindest sie Gefühle für Corvinus hatte. Und dass ihr Nervenkostüm deshalb so dünn und überspannt war, weil das Gefühl, sie könnte ihm egal sein, die Angst, es wäre nichts Besonderes zwischen ihnen, wie sie eine Zeitlang geglaubt hatte, an ihr zerrte wie der Herbststurm am letzten Blatt, das ein Baum noch besaß. Worüber sie nicht nachdenken musste, oder ihr zumindest in diesem Moment sonnenklar war, war die Antwort auf die Frage, die Brix ihr bewusst nicht stellte: sie könnte damit leben. In diesem Augenblick war sie fest davon überzeugt, dass sie damit leben konnte, nicht mehr zu sein als seine Sklavin, niemals mehr zu sein – wenn sie nur wusste, dass er für sie dasselbe empfand. Nur: im Moment deutete nichts darauf hin, dass es so war. Er ging ihr doch bewusst aus dem Weg. Er benahm sich, als ob sie ihm bestenfalls egal wäre, eine Sklavin eben, die sich mehr als einmal Patzer erlaubte und darüber hinaus auch noch versucht hatte zu fliehen. Eine Sklavin, die er nur um des Gartens willen behielt, das waren seine Worte gewesen… Und Siv wusste nicht, ob sie das aushalten würde. Dabei spielte es gar nicht einmal so sehr eine Rolle, ob es die Wahrheit war – es wirkte so auf sie, und je länger dieser Zustand andauerte, desto schwieriger wurde es für sie. Sie biss sich auf die Lippen und starrte einen Moment vor sich hin, und nicht einmal Brix’ Vergleich konnte ihr ein Lächeln entlocken. Erst als er sie anstupste, sah sie wieder hoch. Sie wollte nicht hinaus. Sie wollte sich nicht schon wieder dem aussetzen, was da auf sie wartete – noch dazu jetzt, wo sie wusste, warum dieser Besuch für Corvinus wichtig war. Sie meinte jetzt schon zu spüren, wie es wieder in ihr zu toben begann, wenn sie nur an die Blicke dachte, die die beiden für sie übrig hatten – die abfälligen der Römerin und die missbilligenden von Corvinus. Aber Brix sah nicht so aus, als würde er mit sich diskutieren lassen, was ihre Anwesenheit im Garten anging, also nickte sie schließlich. "In Ordnung. " Sie wandte sich ab und ging zur Tür, aber bevor sie endgültig die Küche verließ, drehte sie sich noch einmal um und sah den Germanen an. "Brix… danke."


    Draußen
    Siv ließ sich Zeit auf dem Weg in den Garten, wollte sie doch eigentlich nicht dorthin, aber auch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Schritte sie schließlich durch die Flügeltüren auf die Terrasse hinaus lenkten, wo Corvinus und die Flavia nach wie vor saßen, allerdings offenbar gerade Anstalten machten, sich zu erheben. Einen Moment zögerte sie, unschlüssig, ob sie hinzutreten sollte, ob sie etwas sagen sollte, ob sie überhaupt auf sich aufmerksam machen sollte. Dann gab sie sich einen Ruck. Einen Moment streiften ihre Augen die von Corvinus, und ihr Blick war so überladen mit den unterschiedlichsten Empfindungen, dass er allein dadurch beinahe undeutbar wurde. Dann wich sie seinem Blick aus, ignorierte die Römerin und ließ ihren herumgleiten, von dem Busch hinter den beiden Römern zum Tisch, zum Boden, und zwischendurch kurz wieder zu Corvinus, bemüht, unbeteiligt zu wirken, aber unsicher, ob ihr das wirklich gelang. "Sofia kann nicht." Für einen Moment lag ihr auf der Zunge, sie könnte gern jemand anderen holen, wenn er das wollte, aber sie verkniff sich diesen Kommentar im letzten Moment.

  • Lächelnd begrüßte ich Corvinus´ Vorschlag, sich nun dem Garten und all seinen Attraktionen zuzuwenden. Ich konnte es kaum noch abwarten und als er seinen Neuzugang erwähnte, war ich im Grunde nicht mehr zu halten! Eine orchidacea! Wie interessant! Ich wußte um die Schwierigkeit, eine solche Pflanze im eigenen Garten aufzuziehen. Sie bedurfte einer besonderen Pflege und was noch wichtiger war, der richtige Standort war maßgeblich!
    "Das ist ein exzellenter Vorschlag! Laß uns ein wenig durch den Garten spazieren. Und die orchidacea möchte ich natürlich auch noch sehen!" Ich erhob mich sogleich und glättete meine Tunika. Bereits von hier aus hatte man einen verlockenden Blick auf den Garten. "Nun, es ist nicht ungewöhnlich, wenn man eine orchidacea an einem neuen Platz einpflanzt. Sie ist in diesen Dingen sehr empfindlich und leider auch sehr nachtragend. Aber laß uns einfach einmal einen Blick darauf werfen!"
    In meinem Inneren jauchzte ich. Nun, da wir ja völlig ungestört waren und jeglicher inkompetenter Sklave außer Sicht war, konnte ich den gemeinsamen Nachmittag mit Corvinus umfassend genießen. Es würde sicher wunderbar werden und das gemeinsame Interesse der Botanik würde keine Langeweile aufkommen lassen. Jedoch war die Vorfreude nur von kurzer Dauer. Beim Klang dieser Stimme und dem gebrochenen Latein, welches mir zu Ohren kam, war es, als mussten sämtliche meiner Gesichtsmuskeln versteinern. Diese Sklavin war es wieder, die sich auf ungehobelte Weise wieder zurückmeldete! Sie würdigte mich keines Blickes und auch ich ignorierte sie, so konnte man jedenfalls meinen. Tief in mir drinnen, brodelte es jedoch. Ich hoffte auf Corvinus, der sie wünschenswerterweise postwendend wieder zurück schicken würde.

  • Ein wenig musste ich ob der gar stürmischen Zustimmung der Flavierin schmunzeln. Sie erschien mir in so vielerlei Hinsicht wie ein frischer Wirbelwind und erinnerte mich kurioserweise bisweilen an meine Mutter, die so gegensätzlich gewesen war. Still und grave, sich stets der verursachenden Wirkung von Wort und Geste bewusst gewesen, hätte es ihr mit Sicherheit missfallen, was ich zu tun gedachte, das die Flavia betraf. Doch sie ruhte bei den Ahnen, und meinem Vater hätte die sprunghaft-frische Art Celerinas gewiss gefallen.


    Celerina stand bereits, da erhob auch ich mich und folgte ihrem neugierig spähenden Blick in den Garten. Ihr Fachwissen schätzte ich sehr, vielleicht hatte sie gar den ein oder anderen Tipp für mich, wie man seltene Exoten besser kultivieren konnte. Allerdings, so fürchtete ich, würde ich mir mitnichten merken und umsetzen können, was Celerina möglicherweise wusste. Meine Gedanken flackerten hin zu Siv, die in dieser Hinsicht um so vieles kundiger war als ich. "Sehr gern", erwiderte ich und bot ihr meinen Arm, als ich neben sie getreten war.


    Ich hatte sie gerade von den Steinplatten der Terrasse auf den kiesbestreuten Weg geführt, da nahm ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr und wandte den Kopf. Es war Siv. Ihr Blick changierte in den unterschiedlichsten Empfindungen. Was in ihr vorgehen mochte? Ratlos betrachtete ich sie, kurz nur, dann erwähnte sie Sofia und ich runzelte die Stirn. Im Grunde konnte ich von Glück sagen, dass die ungeschickte Sklavin verschollen schien. Kurz wandte ich mich Celerina zu, ergründete den Ausdruck auf ihrem Gesicht und wandte mich erst danach Siv wieder zu, wobei ich auf eine Stelle hinter Celerina und mir wies. "Du kannst uns begleiten", sagte ich schlicht und hoffte gleichsam, dass sie nicht wieder eine Szene machen würde. Ein Mundwinkel hob sich um eine Winzigkeit, dann setzte ich mich mit der Flavia an meiner Seite in Bewegung und strebte dem Grün entgegen. "Ich hoffe, dass dir der Garten gefällt", suchte ich abzulenken von dem Missfallen der Begleitung wegen, dass ich zu erkennen glaubte bei Celerina. Ohne weiteres hätte ich erwähnen können, dass Siv die gute Seele dieses Gartens war, doch wäre diese Bemerkung wohl unpassend gewesen, da es wenig glaubhaft erschien nach ihrem Auftritt zuvor. Und außerdem wollte ich nicht wieder über sie reden, sondern mich lieber der Illusion hingeben, dass alles seine Richtigkeit hatte und alles unbeschwert war.

  • Siv bemühte sich, die Römerin so gut es ging zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln meinte sie wahrzunehmen, wie die Flavierin sie hochnäsig überging, sie nicht einmal für wert hielt, sie anzusehen. Siv biss die Zähne aufeinander und zwang sich, die Römerin auszublenden. Sie wusste nicht, ob Brix Recht hatte – im Grunde glaubte sie nicht so recht daran. Aber nun war sie hier, und sie war – noch – etwas ruhiger als zuvor, und das bedeutete, dass Überlegungen über mögliche Konsequenzen ihres Verhaltens auch eine Rolle spielten. Und sie wusste, wenn sie es wieder auf die Spitze trieb, wenn sie wieder fortgeschickt wurde, würde sie wirklich Ärger bekommen. Selbst jetzt konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob sie es nicht schon zu weit getrieben hatte, um um eine Strafe noch herum zu kommen, vor allem wenn Corvinus erfuhr, was in der Küche vorgefallen war. Bei Brix standen die Chancen gut, dass er nichts sagte, immerhin hatte sich ja alles gelöst – und er kannte sie, er wusste, dass so etwas die Ausnahme war. Aber bei Niki war sie sich nicht so sicher.


    Die Germanin schaffte es, die Flavierin weit genug zu ignorieren, dass sie sich nicht über sie aufregte, aber bei Corvinus wollte ihr das einfach nicht gelingen. Sein Stirnrunzeln versetzte ihr Inneres erneut in Aufruhr, zeigte es doch in ihren Augen nur zu deutlich, was er von ihrer abermaligen Anwesenheit hielt. Diesmal traten ihre Wangenknochen hervor, und ihre Kiefer begannen zu schmerzen, so fest presste sie die Zähne aufeinander. Du kannst uns begleiten. Als ob sie das wollte, als ob sie sich darum riss, mitzukommen! Sie verstand ihn nicht, verstand nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt und warum. In diesem Moment hätte sie einiges gegeben, um zu wissen, was er dachte, und für einen Augenblick sah sie ihn forschend an, suchte in seinem Blick, in seinem Gesicht nach etwas, irgendetwas. Aber alles, was sie sah, schien eine Mauer zu sein, ohne Tür, ohne Fenster, und ohne eine Möglichkeit, hinüber zu gelang. Sie atmete hörbar ein, schnappte fast nach Luft, sah kurz zur Seite, als sie spürte, dass erneut Tränen aufsteigen wollten. Sie biss sich auf die Zunge, um sie zu unterdrücken, schalt sich selbst in Gedanken einen Narren und dass sie in der Küche wahrlich genug geweint hatte, genug für Wochen, Monate, wenn sie daran dachte, wie selten sie bisher Tränen vergossen hatte. Ruckartig wandte sie den Kopf wieder zurück, aber diesmal wich sie seinem Blick aus und starrte an ihm vorbei in den Garten, ohne jedoch das Grün wirklich zu sehen. "Ja", antwortete sie, darauf hoffend, dass ihre Stimme nicht zu sehr zitterte, sondern einigermaßen sicher klang. Eine ihrer Hände schloss sich, ballte sich unwillkürlich zur Faust, und ihre Fingernägel gruben sich in die Handflächen, ohne dass sie es bewusst merkte. Sie wusste nicht, wie lange sie es in seiner Gegenwart aushalten würde, bevor der Druck, den der Wirbelsturm an verschiedenen Gefühlen in ihr auslöste, erneut zu viel wurde. Starr sah sie auf den Garten hinaus, dann, als die beiden sich – Arm in Arm, was ihr einen tiefen Stich versetzte – in Bewegung setzten, folgte sie ihnen, ohne ein Wort zu sagen.

  • "Oh, danke!" Ich zögerte keinen Augenblick und hakte mich bei ihm ein. Auf diese Weise war es natürlich noch angenehmer, den Garten zu erkunden. Daran konnte nun auch nichts mehr die erneute Anwesenheit der Sklavin ändern. Indem ich sie gänzlich ignorierte, konnte ich ihre Gegenwart annähernd ertragen. Auch als Corvinus sie nicht fortschickte und ihr sogar gebot, uns zu begleiten, tangierte dies mich nicht mehr sonderlich. Lediglich ein kaum hörbarer Seufzer war es, der diesen Entschluß quittierte. Innerlich aber hoffte ich auf ihre Vernunft, auf das sie es nicht der orchidacea gleichtat und aufgrund der Geschehnisse nachtragend war. Es war nicht gerade sehr einträglich, daß es von einer Sklavin abhängig war, die über den positiven Verlauf des gemeinsamen Nachmittags entschied und so auch letztlich auf meinen Erfolg Einfluß hatte. Ich hatte aber für mich den Entschluß gefasst, kein Wort mehr darüber zu verlieren. Letztlich würde ich so Corvinus´ Entscheidung in Frage stellen. Dies allerdings lag mir fern. Es mußte für ihn schon ausreichend peinlich gewesen sein, in welcher ungebührlichen Weise sich die Sklavin verhalten hatte. Für mich war die Sklavin einfach nicht mehr existent. Damit konnte ich leben.
    Stattdessen fieberte ich dem Grün entgegen, dem wir uns nun schrittweise näherten. Endlich konnte ich den Garten mit eigenen allen Sinnen begutachten und feststellen, inwieweit das Haben mit dem Soll übereinstimmte. Besonders freute ich mich auf die vielbeschworenen Exoten, die sich darin befinden sollten. Ein süßlicher Duft einer Blume lag bereits in der Luft, jedoch konnte ich nicht genau erkennen, worum es sich dabei handelte. Ohne Zweifel würde sie mir sogleich ins Auge fallen. Womöglich würde auch der Aurelier mich über den anregenden Duft aufklären.
    "Daran habe ich keinen Zweifel! Ich schätze alle Arten von Gärten. Doch seltene Pflanzen und wohlduftende Blüten verleihen einen Garten noch viel mehr Charme. Er verführt dann förmlich, ihn zu durchschreiten und an den schönsten Fleckchen für einige Zeit zu verweilen. Ein idealer Platz, um einen grandiosen Nachmittag in deiner Begleitung erleben zu dürfen!"

  • Ich versuchte, Siv einfach auszublenden. Das war allerdings leichter vorgenommen als getan. Doch mit jedem weiteren Schritt in den Garten hinein, merkte ich, wie die Anspannung mehr und mehr von mir abfiel. Das war schon immer so gewesen, solange ich zurückdenken konnte. Vermutlich war der Garten deswegen der mir liebste Ort am ganzen Haus, und vermutlich hatte ich deswegen die Passion entwickelt, die mir zu eigen war. Ich musterte verstohlen die Anmut an meiner Seite, sie schien glücklich zu sein, dass sie hier war.


    Ob ihres indirekten Kompliments musste ich schmunzeln. "Dann will ich mal sehen, was ich dir bieten kann", erwiderte ich verschmitzt und führte sie weiter den Weg entlang. Einige Schritte später blieb ich stehen und deutete an Celerina vorbei nach rechts auf ein grün-orangenes Feuerwerk. "Das ist ein leonotis leonurus. Allerdings ein kleineres Exemplar. Ich musste es vorletztes Jahr stutzen lassen, sonst hätte es das leucospermum cordifolium erdrückt. Beide Pflanzen stammen aus Afrika, das Löwenohr war mein erstes Sammlerstück", erzählte ich. "Wart einmal." Ich löste mich kurz von Celerina, reckte mich nach einem elastischen Zweig des Löwenohrs und brach jenen dicht unter der orangefarbenen Blütentraube. Mit dem Stengel in der Hand wandte ich mich zu Celerina um. "Schließ die Augen", forderte ich sie auf, dann führte ich die pelzigen Blüten über ihre Wange. Flüchtig warf ich einen Blick auf Siv, während die pfirsichzarten Blüten Celerinas Haut schmeichelten. "Mit dem Saft der Blüten kann man angeblich Mückenstichen Abhilfe schaffen", fuhr ich fort und lächelte die Flavierin an, als sie mich wieder ansah. Den Stengel gab ich ihr hernach. Die Blüten dufteten herrlich, beinahe ein wenig zu schwer, und um den gesamten Strauch schwirrte und summte eine Wolke Bienen herum. Schmetterlinge waren ebenso vertreten, auch wenn es nur eine Handvoll waren. "Den flavischen Garten dominieren Rosen", erinnerte ich mich. "Senator Felix hat ein Händchen dafür, nicht wahr? Welches ist eigentlich deine Lieblingsfarbe, Celerina?" fragte ich ganz schlicht und deutete weiter in den Garten hinein. Ob ihr aufgefallen war, dass ich sie ganz bewusst Celerina genannt hatte?

  • Ich musste nicht lange warten, bis mir schon die erste bunte Blütenbracht ins Auge fiel. Es waren zwei wunderschöne Exemplare von exotischen Pflanzen, die, wie er mir sagte, aus Africa stammten. Ich bewunderte die ungewöhnliche Blütenform des leonotis leonurus. Diese Art hatte ich bislang noch nicht gekannt. Corvinus löste sich von mit und schritt auf die Pflanze zu, um eine der Blüten abzubrechen.
    Ich tat, wie er sagte und schloß meine Augen. Ich wußte, ich hatte nichts Schlimmes zu erwarten, fühlte ich mich doch in seiner Gegenwart mehr als geborgen. Plötzlich fühlte ich die wollige Blüte an meiner Wange. Darüber verwundert, öffnete ich meine Augen wieder und wollte die Blüte nun selbst einmal in Händen halten. In der Tat, auf der Blüte fand sich ein pelziger Überzug, gleich der Haut eines Pfirsichs. "Das ist ja hochinteressant! Das sollte man sich merken! Ach, die Pflanzen sind wunderschön!" Nun besah ich mir auch das leucospermum cordifolium, deren Blütenform eigentlich gar nicht herzförmig war. Ein herrlicher Duft ging von den Blüten aus. Ich konnte mich gar nicht an den Pflanzen satt sehen. Ein wahres Idyll, nicht nur für die fleißigen Bienen und die farbenfrohen Schmetterlinge, die um die schönen Blüten herum summten oder flatterten.
    Lächelnd nickte ich ihm zu, um seine Frage nach dem flavischen Garten zu bejahen. "Nun, die flavischen Rosen machen ihrem Ruf alle Ehren. Momentan erblühen sie in allen erdenklichen Farben. Es gibt nur einige wenige Sklaven, denen esgestattet ist, sich ihnen zu nähern und sie zu pflegen." Gleich nach meiner Ankunft in der villa, hatte ich mir sagen lassen, daß Felix es nicht gerne sah, wenn man sich an seinen Rosen vergriff. Das galt selbstverständlich auch während seiner Abwesenheit.
    Oh, er hatte mich bei meinem Namen genannt! War das nur ein Zufall oder Absicht? Ich versuchte mir nicht anmerken zulassen. Innerlich wollte mein Herz vor Begeisterung fast zerspringen.
    "Meine Lieblingsfarbe? Oh, ich neige sehr zu violett oder auch orange. Doch am meisten mag ich blau in Kombination mit gold. So wie der Lapislazuli, der beide Farben miteinander verbindet." Ich liebte diesen Stein, auch wenn ich ihm heute einen Aquamarin vorzog. "Wie steht es mit dir, Marcus?", fügte ich lächelnd an.

  • Während Corvinus mit der Flavierin vorausging in den Garten, musste Siv mit sich kämpfen. Zu sehen, wie er ihr den Arm bot, wie sie sich einhängte, wie sie gemeinsam losgingen und dabei unübersehbar turtelten, war fast zuviel für die Germanin. Und sie fragte sich, was sie übersehen hatte, was geschehen war, in der Zeit als sie in der Küche war, oder ob ihr dieses Verhalten zuvor einfach nicht aufgefallen war, in ihrer Wut, ihrer Verwirrung über das, was zuvor geschehen war – möglicherweise nahm sie die Zeichen, die schon da gewesen waren, jetzt auch einfach nur bewusst wahr, seit Sofia aufgeregt in der Küche herumgeplärrt hatte… Siv hatte das Bedürfnis, irgendjemandem den Hals umzudrehen, und gleichzeitig war ihre Kehle so eng, dass sie im Moment keinen Ton hervorgebracht hätte, ohne dabei fürchten zu müssen in Tränen auszubrechen. Wortlos folgte sie den beiden auf dem gewundenen Weg, der in den Garten hineinführte, bemühte sich angestrengt zu überhören, was sie sagten – und verstand es doch, weil sie Latein inzwischen schlicht zu gut konnte. Sie kannte derlei Geplänkel, bei dem der Tonfall so viel mehr sagte als die eigentlichen Worte. Wie oft hatte sie sich früher lustig gemacht über ihre Brüder, wenn sie Mädchen umworben hatten, hatte gemeint, ihr würde schlecht werden, wenn sie so etwas zu hören bekam? Sie zwang sich daran zu denken, konnte damit aber nicht einmal sich selbst täuschen, dass sie sich jetzt wünschte, Corvinus würde ihr diese Aufmerksamkeit schenken.


    Und es kam noch schlimmer. Sie hielten schließlich, bei zwei Pflanzen, die aus dem Süden kamen – beide überladen mit Blüten, die leuchtend orangerot waren. Siv wusste, dass die beiden aus noch südlicheren Gegenden stammten, wusste, dass eine der beiden Corvinus’ besonderer Liebling war, weil sie den Beginn seiner Pflanzensammlung bildete, wusste welche Pflege sie brauchten, wie bei inzwischen allen Pflanzen hier, auch bei denen, die sie vor ihrer Ankunft in der Villa Aurelia noch nie gesehen hatte. Sie blieb stehen, knapp zwei Schrittlängen entfernt von Corvinus – und erstarrte, als er auf einmal eine Blüte abbrach und der Flavierin damit über das Gesicht fuhr. Ihr Körper spannte sich auf einmal an, so stark, dass sie das Gefühl hatte ihr Hals würde brechen, wenn sie jetzt den Kopf drehte, und für Momente hörte sie auf zu atmen. Sie bemerkte den Blick nicht, den er ihr zuwarf, sie starrte einfach auf die Szenerie, die sich ihr bot, unfähig, den Blick abzuwenden, bis sie ihn schließlich gewaltsam losriss und zur Seite sah, in einen anderen Teil des Gartens. Es tat so unglaublich weh, Corvinus so zu sehen, und gleichzeitig hasste sie es, hasste sie sie, hasste sie ihn dafür – und nicht zuletzt sich selbst, weil es sie so traf, weil sie nicht fähig, darüber zu stehen. Wut brodelte wieder hoch, ohnmächtige Wut, über die Situation, in der sie sich befand, über Brix, der sie wieder hinausgeschickt hatte, obwohl er genauso wie sie es hätte besser wissen müssen, und über Corvinus, der sie zwang hier zu sein und sich das anzutun. Wie in einer Zwangshandlung öffnete und schloss sich ihre linke Hand ein paar Mal, bevor sie sich darüber klar wurde und sie ihre Hände auf den Rücken führte, um sie dort ineinander zu verschlingen – als ob sie sich an sich selbst festhalten wollte.


    Als das Geturtel dann die nächste Stufe zu erreichen schien, hatte sie das Gefühl, losschreien zu müssen. Hätte sie jetzt etwas in Reichweite gehabt, dass sie hätte werfen können, es hätte sich vermutlich postwendend in der Luft befunden und nur Augenblicke später Corvinus und die Flavierin getroffen. So aber grub sie nur die Fingernägel in ihre Haut, um sich dann abrupt abzuwenden. Sie machte einen Schritt zur Seite, auf einen Busch zu, drehte ihnen den Rücken zu und presste, eine über der anderen, beide Hände auf den Mund, während sie in den Handrücken ihrer Rechten biss, um den Schrei zu unterdrücken, der aus ihrer Kehle kommen wollte.

  • "Dann habe ich seinerzeit wohl Glück gehabt, dass Felix nicht in der Nähe war, als ich deinen Verwandten Aquilius besucht habe", erwiderte ich schakhaft. Wir waren damals nicht gerade zimperlich mit einem kleinen Tisch verfahren, wie ich mir in Erinnerung rief. Auch die Rosen hatten damals ihren Teil abbekommen, doch weiter schwieg ich darüber, denn das Thema war eines, von dem Celerina besser nichts weiter wusste. Ich musterte Celerina von der Seite. "Vielleicht ist es mir gestattet, irgendwann den flavischen Garten noch einmal unter professioneller Aufsicht zu erkunden?" Amüsiert hob ich eine Braue, lugte seitlich zu Celerina - und erstarrte innerlich.


    Beinahe hätte ich vergessen, mir die Antwort ihrer Frage zu merken. Hatte sie mich eben tatsächlich Marcus genannt? Wieder überkam mich dieses Unwohlsein - das ging hier alles viel zu rapide. Sollte nicht ich derjenige sein, der in die Vollen ging? Nicht zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass nicht ich es war, der den Takt vorgab. Doch wenn nur etwas Gutes daraus entstand, sollte es mir recht sein. Dennoch dehnte sich das Schweigen eine Nuance zu lange für meinen Geschmack, und ich räusperte mich, um die Stille zu durchbrechen. Ein Lächeln folgte ganz automatisch. Ich durfte sie nicht merken lassen, wie seltsam mir zumute war, ich konnte es ja nicht einmal beschreiben! "Blau", wiederholte ich recht einfallsreich, suchte dies jedoch mit einer nachdenklichen Miene zu übertünchen. Dass Siv zur Seite trat, bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus, doch ich widerstand dem Drang, ganz hinzusehen. "Lapislazuli also. Da wären wir ja wieder in Ägypten, dort gibt es, soweit ich weiß, einige Minen, in denen man Lapislazuli und Türkis abbaut."


    Erst jetzt riskierte ich einen Blick zu Siv, die nunmehr mit dem Rücken zu uns stand. Ich konnte nicht sehen, was sie da tat, aber widersinnigerweise keimte das schlechte Gewissen in mir. Ob sie sich ausgeschlossen fühlte? Ich sah wieder zu Celerina. "Nun, wenn du Blau gern hast, sollten wir vielleicht hier entlang gehen..." Ich wies vom Weg hinunter zur Linken und setzte mich in Bewegung. An einigen gepflegten, aber weniger spektakulären Rabatten mit Blumen und Büschen, wie sie hier allerorts zu finden waren, führte ich Celerina vorbei, tiefer in den Garten hinein. Direkt vor uns kam dann ein kreisrundes Beet in Sicht, mit einem noch kleinen Exemplar einer ravenala madagascariensis. Am Boden unschmeichelten viele kleine blaue Blüten den Stamm des Baumes, der später einmal sehr groß werden würde. Dort hielt ich inne und wandte mich, mit Blick auf das Bäumchen, an meine Sklavin. "Siv?" Ich sah über meine Schulter. "Wie hast du es geschafft, dass er in der kurzen Zeit so sehr gewachsen ist?" erkundigte ich mich und fuhr dann zu Celerina gewandt fort: "Siv ist für den Garten verantwortlich, musst du wissen. Ich habe lange gesucht, bis ich jemanden wie sie gefunden habe. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber seitdem sie sich um die Pflanzen kümmert, ist kein Neuzugang mehr eingegangen. Die Orchidee stellt, so glaube ich, bisher ihre härteste Prüfung dar."

  • "Ach ja? Ich habe mir auch sagen lassen, Felix macht auch vor Besuchern nicht halt, die seinen Rosen etwas Böses antun wollen," gab ich ebenso schalkhaft zurück. Nur gut, daß mich niemand dabei beobachtet hatte, wie ich kürzlich eine der roten, wohlduftenden Rosen abgebrochen hatte und sie zwischen einigen Schriftrollen in mein cubiculum geschmuggelt hatte. Nun ja, ich konnte nicht anders. Sie war doch ein Symbol dessen, wie ich mich fühlte und was ich fühlte.
    "Aber natürlich! Mein Onkel Aquilius wird sich über deinen Besuch auch sehr freuen. Dann wirst du die Gelegenheit haben, Felix´ Rosen, wenn auch aus sicherer Entfernung, aber unter fachkundiger Führung versteht sich, besichtigen dürfen!" Mich amüsierte diese Vorstellung und ich hoffte inständig, daß nicht allzu viel Zeit vergehen mußte, bis ich ihm die flavischen Rosen zeigen konnte. 8)
    Offensichtlich war auch er davon angetan, als ich ihn mit seinem Pränomen angesprochen hatte. Oder löste es sogar mehr aus, als ich zu hoffen gewagt hatte? Ich hielt es für angemessen, denn ich glaubte zu wissen, daß uns nun schon mehr verband, als nur die Liebe zum Garten.
    "Ja, blau," wiederholte ich schmunzelnd und nickte auch als er treffend bemerkte, daß wir wieder in Ägypten angekommen waren. Es war einfach so! Etwas geheimnisvolles verband mich mit diesem Land, doch ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was es war. Ich hatte von einem seltsamen Jenseitsglauben einzelner Völker unseres Reiches gehört. Demnach sollte es so etwas, wie Wiedergeburt geben. Vielleicht war ich ja in einem früheren Leben mit Ägypten eng verbunden? Wer wußte das schon?
    Ich folgte ihm zu der Pflanze, die er als nächstes ansteuerte und sah die schönen blauen Büten, die zu ihren Füßen wuchsen. Eigentlich wollte ich mich nach dem Namen der Blumen erkundigen, doch mir blieb das Wort im Halse stecken, als ich sehen musste, wie er sich plötzlich der Sklavin zuwandte, die uns gefolgt war und seine Verwunderung über das rasche Wachstum der Pflanze verlautbaren ließ. Jetzt war sie auf einmal wieder da. Ihre Präsenz war unübersehbar. Er lobte sie in den größten Tönen.
    Ich vermied es, meine wahren Gefühle zu zeigen. Doch ich drehte mich langsam zu ihr um und begutachtete sie nochmals auf abfällige Art und Weise. Kaum zu glauben, war mein erster Gedanke. Doch für irgendetwas mußte sie ja gut sein! "Orchideen gleichen anspruchsvollen Menschen. Man muß dazu geboren sein, um einigermaßen in der Lage zu sein, ihnen das zu geben, was sie brauchen!"

  • Siv gelang es, den Schrei zu unterdrücken. Nicht einmal ein verdächtiger Laut kam über ihre Lippen – dafür war der Abdruck ihrer Zähne auf ihrem Handrücken deutlich zu sehen, als sie – mit der Hoffnung, sich nun wieder unter Kontrolle zu haben – ihre Arme wieder sinken ließ. Sie starrte darauf und presste die Kiefer aufeinander, dann wandte sie sich ruckartig um, hielt ihre Rechte so, dass der Abdruck nicht zu sehen war, und sah wieder zu Corvinus und seiner Besucherin, die sich gerade in Bewegung setzten. Immerhin schienen die beiden nichts gemerkt zu haben – Siv wagte zu bezweifeln, dass sie in der Lage gewesen wäre so zu tun, als ob sie sich gerade dem Busch widmete, weil sie vorgeblich ein trockenes Blatt oder ähnliches entdeckt hatte. Sie folgte ihnen, nach wie vor schweigend, hin bis zur nächsten Vorzeige-Pflanze. Siv war sich im Klaren darüber, warum er die Römerin zu welchen Pflanzen führte, welche er noch zeigen würde. Natürlich waren die seltenen, die nicht in Italien Heimischen, diejenigen, die sich am besten eigneten um bewundert zu werden. Und das waren auch die, die am meisten ihrer Aufmerksamkeit bedurften und ihr selbst am meisten am Herzen lagen, hatte sie doch nicht wenig Mühe investiert in gerade diese Pflanzen – und nicht zuletzt war sie auch stolz darauf, was sie geleistet hatte. Trotzdem störte es sie, dass die anderen so wenig Beachtung fanden. Immerhin kümmerte sie sich auch um diese – und sie gediehen ebenso gut. Als Corvinus dann aber zu ihr sah, sich positiv überrascht zeigte, sie sogar lobte, war für diesen einen Moment sowohl der Ärger als auch die Verwirrung vergessen. Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf ihrem Gesicht, und der innere Aufruhr legte sich vorübergehend. Sie bemerkte nicht, wie die Flavierin erstarrte, es machte ihr in diesem Moment nicht einmal etwas aus, dass Corvinus sich, noch bevor sie antworten konnte, schon wieder an die Römerin wandte.


    Lange dauerte der Moment allerdings nicht an. Ein vages Gefühl der Erleichterung blieb nach wie vor, aber schon bald musste sie wieder daran denken, wie Corvinus sich verhalten hatte, gerade an diesem Tag, und das Unverständnis dafür war wieder da. Zusätzlich ergriff jetzt die Flavierin das Wort – und man musste Latein nicht fließend beherrschen, um ihren Kommentar zu verstehen. Der Ton und wie sie sie dabei ansah, sagte deutlich genug, was sie von Siv hielt – dass sie in ihren Augen weder ein anspruchsvoller Mensch war, noch dass sie einem anspruchsvollen Menschen geben konnte, was er brauchte. Mühsam schluckte Siv ihren Ärger hinunter. Sie war Sklavin, sie wusste es, und dass die Frau vor ihr zu den Römern gehörte, die Sklaven auf gleiche Stufe stellten mit Tieren, die mal nützlich waren, mal lästig, und dass sie Siv in die Kategorie 'Ungeziefer' gesteckt hatte, war der Germanin auch klar. Sie konnte sich nicht verteidigen dagegen. Corvinus würde es nicht zulassen. Und selbst wenn er unter anderen Umständen, gegenüber einem anderen Römer, verhalten angemahnt hätte, dass keiner das Recht hatte, so mit seiner Sklavin zu reden – wovon Siv bei weitem nicht überzeugt war, dass er das überhaupt tun würde –, so wie er sich gegenüber der Besucherin verhielt, würde ihm das bei ihr nicht einmal im Traum einfallen. Sie presste die Lippen aufeinander, atmete tief ein – und verkniff sich diverse germanischen Flüche und Beschimpfungen, die ebenso schillerten wie die Blütenpracht um sie herum. Es lohnte sich nicht. Nicht gerade jetzt, wo sich zu bewahrheiten schien, was Brix ihr gesagt hatte, nämlich dass Corvinus nach wie vor zu schätzen wusste, was sie im Garten leistete. Selbst wenn er sie tatsächlich nur deswegen behalten hatte, wie er gesagt hatte. Nicht verhindern konnte sie, dass ihre Augen blitzten und ihre Stimme nicht ganz so zurückhaltend klang, wie sie vorgehabt hatte. "Pflanzen brauchen Zuwenden, Aufmerksamkeit. Wie Tiere. Oder Menschen", fügte sie noch an. "Die Ravenala habe ich getan in Erde, mit gemischt von… aus Stall. Mit Mist. Und Wärme ist gut, das ist weil sie da steht. So ist die Sonne fast den, den ganzen Tag da, scheint da." Für den Winter würde sie sich etwas überlegen müssen. Die Temperaturen waren kein Vergleich zu denen in Germanien, aber es konnte auch sehr kühl werden, und Siv wollte nicht herausfinden, wie viel die Ravenala aushielt.


    Sie sah kurz zu dem vergleichsweise noch kleinen Baum hinüber, der erst seit kurzem hier war, aber schon sichtbar an Höhe gewonnen hatte. Siv verriet nicht, dass sie momentan noch an ihrer eigenen Körpergröße alle paar Tage maß, wie viel die Ravenala gewachsen war, auch wenn sie wusste, dass es sinnlos war. Sie war nicht bei allen Neuzugängen derartig aufgeregt, aber wenn der Händler schon sagte, dass die Chancen auf ein gutes Gedeihen eher gering waren, fühlte sie sich bei ihrem Stolz gepackt. Noch schlimmer war es bei der Orchidee, die ebenfalls zur Sprache kam. Sie hatte noch keine Ahnung, wie diese Pflanze aussehen würde, wenn sie erst mal erblühen würde, aber Sklavenjunge, der sie vom Markt hergebracht hatte, hatte ihr glaubhaft versichert, sie würde traumhaft aussehen. Siv sah täglich nach der Orchidee, die einen allzu kläglichen Eindruck gemacht hatte, als sie sie bekommen hatte, und das obwohl sie angeblich das beste Exemplar gewesen war, das der Händler zur Verfügung gehabt hatte. Orchideen seien furchtbar empfindlich, so der Junge, während des Transports seien etliche eingegangen. Eine Weile hatten sie im Garten gestanden und gefachsimpelt, bevor der Junge sich wieder auf den Weg hatte machen müssen, und Siv hatte anschließend nach einem Plätzchen gesucht für die Orchidee, ihre Orchidee. Bei dieser Pflanze war es nicht nur ihr Stolz, der sie trieb, und auch nicht nur ihre Liebe zu Pflanzen. Sie fühlte sich auf seltsame Art verbunden mit ihr, gerade mit diesem Exemplar, das einer so empfindlichen Pflanzenart entstammte und doch sämtliche Strapazen überstanden hatte, nicht gewillt war aufzugeben, obwohl sie ihrer Heimat entrissen und weite Wege transportiert worden war, nur um in Rom verkauft zu werden. Siv wollte ihr um jeden Preis hier, in diesem Garten, ein neues Zuhause bieten, ein echtes Zuhause. Und es schien, als ob ihr das gelang – die Blätter gewannen an Kraft und Farbe, und erst gestern, als sie abends noch einmal in den Garten gegangen war, hatte sie einen neuen Trieb gesehen. Es war keine neue Wurzel, die teils in der lockeren Erde waren, teils in der Luft hingen, so wie der Junge es ihr geraten hatte. Es war auch kein neues Blatt, da war sie sich sicher. Es war etwas anderes, und was konnte es anderes sein, als der Austrieb einer neuen Blüte? Sie hatte eine halbe Stunde vor der Pflanze gesessen und ihr gut zugeredet, sie gelobt, sie angetrieben. Sie war viel zu aufgeregt gewesen, um darüber nachzudenken, wie sie dabei auf andere hätte wirken können.


    "Die Orchidee ist Pflanze, die will viel, viel Aufmerksamkeit, mehr als andere Pflanzen. Sie ist dort", Siv wies auf eine Stelle nicht weit entfernt und setzte sich, nach einem kurzen Blick zu Corvinus, in Bewegung. Wollte sie der Flavierin überhaupt die Orchidee zeigen, oder ihr erzählen, wie sehr sie sich um diese Blume bemühte? Nein, wollte sie nicht. Aber die Römerin würde ohnehin den gesamten Garten zu Gesicht kriegen, wenn sie das wollte, dafür würde Corvinus schon sorgen. "Es geht ihr gut." Nun hatte ihre Stimme unterschwellig sowohl einen stolzen wie auch leicht herausfordernden Tonfall. Als sie angekommen waren, überließ sie es aber Corvinus, den neuen Trieb zu entdecken, falls er ihn nicht schon gesehen hatte.

  • Kurz erwägte ich, ob ich ein wenig enttäuscht fragen sollte, ob sich nur Aquilius über einen Besuch freuen würde, doch ich verwarf den Gedanken beinahe so schnell, wie er gekommen war. Solcherlei Kommentare grenzten an Schamlosigkeit, und ebendiese lag mir nicht besonders - oder eher bei exorbitantem Weinkonsum, der gegenwärtig nicht gegeben war.


    Die Brisanz, die sich schlagartig entwickelte, als Celerina wieder auf Siv aufmerksam wurde, ließ mich die Situation mit noch mehr Aufmerksamkeit betrachten. Ich hatte seit dem Beginn unserer kleinen Expedition argwöhnt, dass Celerina lieber allein mit mir den Garten besichtigt hätte... Und auch bei ihrem Kommentar wurde - wenn man darauf achtete - deutlich, dass sie Siv nicht gerade zu mögen schien. Allerdings, wer hätte ihr dies verübeln können, nach dem Auftritt der Germanin? Das würde ohnehin noch ein Nachspiel haben, Siv musste das so klar sein wie mir selbst, auch wenn ich dem nicht gerade begeistert entgegensah. Doch wenn ich verhindern wollte, dass Sivs Verhalten nochmals entgleiste, und dieses Verhalten womöglich abermals dicht daran entlangschlitterte, wie meine Zukunft verlaufen mochte, so musste dieses Gespräch später sein.


    Celerinas Kommentar wollte ich irgendwie auf amüsante Weise überspielen, damit wir wieder zur eigentlichen Intention hinter diesem Gartenrundgang zurückkommen konnten, da antwortete Siv ihr bereits, und ich gab mir die größte Mühe, nicht zu schmunzeln. Celerina kannte Siv nicht, wusste nicht, dass sie mit ihrer Bemerkung einen wunden Punkt getroffen und sie damit zum Kontern veranlasst hatte. Nebenbei stellte ich fest, dass sich ihr Latein deutlich gebessert hatte, seit sie bei dem flavischen Lehrer Stunden nahm. Ich fragte mich, ob sie der Flavierin absichtlich erzählte, mit welch primitiven Mitteln sie die exotischsten Pflanzen zum Gedeihen brachte. Doch damit nicht genug, sie fuhr fort, sprach von der derzeitigen Königin dieses Gartens und wies sogar zu ihrem Standort. Eigentlich hatte ich mir dieses Schmankerl für später aufheben wollen. Siv brachte damit also meine ganze vorgeplante Führung durcheinander. Was tun? Ich konnte mir doch unmöglich von einer Sklavin das Zepter aus der Hand nehmen lassen. Andererseits hatte ich wohl auch kaum eine Chance, Celerina von dieser Sehenswürdigkeit abzuhalten, und so lächelte ich zerknirscht. "Ahje. Eigentlich wollte ich mir die Orchidee bis zuletzt aufheben", sagte ich zu Celerina. "Um dich richtig auf die Folter zu spannen. Aber ich bin mir sicher, dass du jetzt nicht nein sagen kannst, wo du weißt, wo sie steht." Ich wies also einladend hinter Siv her, folgte jener dann mit Celerina am Arm. "Wenn sie ersteinmal blüht, wird sie die Zierde des Gartens sein." Kaum dort angelangt, musterte ich das zarte Pflänzchen. Bildete ich es mir nur ein oder war es tatsächlich gewachsen? Ich studierte es jedoch nicht weiter, sondern hatte erst einmal nur Augen für meine Begleitung. Diese Orchidee hatte ich vor Wochen eigens aus Asia bringen lassen. Sie war vermutlich die einzige ihrer Art in ganz Italien, und vermutlich hatte sie deswegen auch ein kleines Vermögen gekostet. "Gefällt sie dir?" fragte ich Celerina, obwohl die Pflanze bisher aus kaum mehr als aus Blättern und Wurzelwerk bestand.

  • Nun, meinem Wissen um die Pflege der Pflanze war ein theoretisches. Während ich mein Wissen aus Büchern hatte und mich der Theorie hingab, waren es stets Sklaven gewesen, die sich um die Umsetzung der Theorie, also der Praxis, zu widmen hatten. Wie sie das machten und welche Tricks sie dabei anwendeten, war mir herzlich egal gewesen. Für mich zählte lediglich das Resultat.
    In Lutetia hatten wir ein ganzes Heer von Sklaven, die sich alleine für den Garten und die darin befindlichen Objekte zu kümmern hatten. Mein Gemahl hielt dies zuerst für eine meiner Marotten und ließ sie schließlich zu, als sich einige seiner Geschäftsfreunde beeindruckt zeigten, nachdem sie meinen Garten gesehen hatten.


    Für einen kurzen Moment hörte ich mir die leidenschaftliche Rede der Sklavin an, die so kämpferisch begann und einen derartigen banalen Abschluß fand. "Mist!" stellte ich erstaunt fest. "So, so. Dann ist dies ja die richtige Aufgabe für dich! Ist es nicht wundervoll, wenn sich für jede Aufgabe, der richtige Sklave aus einer Vielfalt von Sklaven findet?" Von der Sklavin belustigt sah ich zu Corvinus hinüber. Eigentlich wollte ich sie wieder der Bedeutungslosigkeit übergeben. Ihm dürfte wohl meine Abneigung, der Sklavin gegenüber nicht verborgen geblieben sein. Es lag mir fern, ihn deswegen zu kompromittieren.
    Allerdings überraschte sie mich mit einer weiteren Äußerung, die mich dazu veranlasste, ihr wieder meine Aufmerksamkeit zu schenken.
    "Eine Orchidee?" Fragend sah ich nun zu Corvinus. Hatte ich richtig gehört? Er hatte sich eine Orchidee kommen lassen? Er hatte also unser gemeinsames Gespräch nicht vergessen, an jenem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet waren und er mich nach Hause begleitet hatte. Nicht nur das, er hatte danach gehandelt und sich ein solches Gewächs, was seine Einzigartigkeit hatte, kommen lassen. Sie mußte Unsummen gekostet haben, denn wenn es sich tatsächlich um eine Orchidee handelte, dann hatte sie einen langen, sehr langen beschwerlichen Weg hinter sich. Ich konnte es kaum glauben, als er meine Frage schließlich doch bejahte. Mein Herz ging auf.
    Seiner Antwort entnahm ich, er wollte sich eigentlich den Höhepunkt seines Gartens für mich bis zum Schluß aufheben, um mir die seltene Pflanze sozusagen als Sahnehäubchen präsentieren. Sehr bedauerlich, daß seine Sklavin diese Strategie zunichte gemacht hatte. Offenbar wollte sie mich so schnell als möglich wieder los werden. Doch ich gedachte, ihrem Wunsch so schnell nicht nachzukommen. Ganz im Gegenteil!
    "Selbstverständlich möchte ich sie sehen, am liebsten sofort!" Ich kannte diese Pflanze nur aus Büchern. Eine halb verblasste Zeichnung besaß ich von ihr, Mehr nicht. Nun sollte es mit vergönnt sein, ein wahrhaftiges Exemplar jener orchis aus Asia zu sehen.
    Die Sklavin hatte ich gedanklich längst wieder beiseite geschoben. Überwätigt von ihrem Anblick trat ich näher und besah mir das zarte Pflänzchen. Wie schade! Sie blühte noch nicht. Aber gab dies nicht den Anlaß dazu, Corvinus einen weiteren Besuch abzustatten, wenn es soweit war?
    "Oh ja! Sie ist wunderschön! Und wenn sie erst einmal blüht, dann wird sie vollkommen sein!"

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