ZitatOriginal von Lucius Petronius Crispus
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Crispus kam von einem Treffen mit einem Geschäftsfreund nach Hause. Vorerst bemerkte er nichts von Crispinas Fehlen, denn er hatte sich praktisch daran gewöhnt, dass man sie nicht sah (da sie ja eingesperrt gewesen war). Erst nachdem er eine Siesta im Garten gemacht hatte, kam ihm der Gedanke, mit Crispina zu reden: Ein Opfer an Mercurius war zu organisieren! Außerdem musste sie ja eine neue Statue kaufen! So ging er zu Gunda und fragte dort nach.
"Crispina ist in der Stadt gewesen...aber eigentlich müsste sie schon wieder zu Hause sein. Aber Lucius hat gefragt! Vielleicht macht sie 'was mit ihm?"
Crispus zuckte mit den Schultern. Lucius sollte lieber Lesen üben! Nun war er schon so lange in der Schule, würde bald zum Grammaticus kommen - dennoch tat er sich noch immer schwer mit dem Lesen! Und dann beraubte er damit auch noch Gunda ihrer Küchenhilfe!
Als er in Lucius' Zimmer trat, war er erstaunt: Sein Sohn lag auf dem Bett, das Gesicht verschwollen und die Augen gerötet, als habe er geweint! Was brachte so einen großen Jungen zum Heulen? Ein Römer weinte doch nicht!
"Lucius, was ist hier los? Und warum heulst du?"
Unwillig blickte der Junge auf und sah seinen Vater an. Dann deutete er wortlos auf ein zusammengeknülltes Stück Papyrus, das in einer Ecke lag. Das gute Papyrus! Crispus zahlte ein halbes Vermögen für das Schreibmaterial aus dem fernen Aegyptus! Und Lucius knüllte es achtlos zusammen, obwohl man es doch oft noch abschaben konnte! Hatte er wohl wieder einmal schlechte Neuigkeiten von seinem Lehrer erhalten?
"Was ist los?"
fuhr Crispus seinen Sohn noch einmal an, doch dieser hatte sich wieder seinem Kissen zugewandt. Lächerlich! Doch vorerst siegte die Neugier, also bückte er sich ächzend und hob das Knäuel auf. Vorsichtig entfaltete er es, erst dann konnte er erkennen, dass es die Schrift von Crispina trug.
Langsam begann er zu lesen...wie redete sie denn mit Lucius? So gesäuselt hatte er ja nicht einmal mit Heila! Hatte sie den Jungen doch verzogen, wie er es befürchtet hatte...und belogen hatte sie ihn? Beinahe wäre er sofort davongesprungen um dem Mädchen den Hals umzudrehen! Doch es kam noch schlimmer: Sie war davongelaufen! Zu irgendeiner Liebschaft wahrscheinlich - hatte sie denn gar keinen Anstand im Leib? Noch einmal überflog er den Brief um zu erkennen, dass er sich nicht verlesen hatte - doch es stimmte!
Sein Kopf war inzwischen wieder hochrot, als Crispus das Schreiben fallenließ und sich auf seinen Sohn stürzte. Er riss ihn herum und hielt ihn fest. Wenn sie so vertraut mit ihm war, musste Lucius wissen, wer ihr Liebhaber war! Und er hatte ihnen vertraut!
"Wer ist es? Wer f***t verdammt noch mal meine Nichte?"
brüllte er ihn in seinem grenzenlosen Zorn an. Wenn er das Bürschchen finden würde, dann würde er ihm den Hals umdrehen - und zwar eine ganze Umdrehung! Doch Lucius blickte ihn mit angstvoll geweiteten, panisch leuchtenden Augen an.
"Wer?"
brüllte Crispus nochmal und griff nach dem Hals des Jungen. Dann - ganz plötzlich - durchfuhr ihn jedoch ein stechender Schmerz, als hätte eine glühende Lanze sein Herz durchbohrt. Zuerst war der alte Petronier überrascht, dann jedoch verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz und seine Hand fuhr zur Brust. Sein Herz raste! Beinahe wäre er auf seinen Sohn gestürzt, denn seine freie Hand drohte ihm den Dienst zu versagen. Doch es gelang ihm sich aufzurichten, ehe er vor Schmerz zusammensank und in der Ecke zwischen Wand und Bett sitzen blieb. Er zwang sich, langsamer und ruhiger zu atmen, doch vor seinen Augen tanzten Sterne und jeder Atemzug fühlte sich an, als atme er flüssiges Metall.
Als er wieder zu sich kam, hockte sein Sohn vor ihm. Er hatte sich die Tränen abgewischt, blickte ihn hart und verschlossen an, geradezu trotzig.
"Crispina ist weg, Papa. Sie hat uns verlassen."
Er streckte den Arm aus und half seinem Vater auf die Füße zu kommen. Vorsichtig klopfte er den Dreck von dessen Tunica, dann meinte er
"Du musst dich ausruhen!"
Crispus war ein wenig verdattert und noch immer leicht benommen. Was war denn mit Lucius los? Offenbar war er mindestens genauso wütend wie er selbst, dass sie das Weite gesucht hatte. Irgendwie war er auch zufrieden, dass sein Sohn es nun doch so männlich sah.
"Wir...wir müssen Crispina finden!"
meinte er, doch er spürte, dass er dafür nicht genügend Kraft hatte. Langsam erinnerte er sich, dass sie etwas von jemandem erwähnt hatte, der sie liebte...oder so ähnlich. Und musste Lucius das nicht wissen? Doch er schüttelte den Kopf.
"Sie ist weg, Papa. Weg aus dem Haus, weg aus Mogontiacum. Ich weiß es. Glaube mir!"
Der Junge sagte dies mit einer Bestimmtheit, als würden die Götter selbst aus ihm sprechen. Einerseits ängstigte es den Alten, doch andererseits konnte er den Worten nicht widersprechen. So ging er langsam vorwärts, verließ das Zimmer seines Sohnes und ging zu seinem eigenen Schlafgemach, um sich auszuruhen.
Crispina war fort und nur die Götter wussten, wo sie sich herumtreiben würde.