Die letzte Nacht vor dem großen Ereignis! Oder: Ein Römer und ein Parther machen die Stadt unsicher?

  • Noch stand die Sonne mehrere Handbreit über dem Himmel von Rom, noch neigte sie sich nicht den sieben Hügeln entgegen, um dort farbenprächtig unterzugehen, meist unbeachtet von den vielen Menschen, die wie Tausende Ameisen in einem Ameisenhaufen, namens Roma, umherwuselten. Für viele der Menschen, ob peregrini, Sklave oder Römer, war jener Tag wohl einer wie jeder Andere, für Marcus indes nicht. Schon am nächsten Tag sollte ein weiteres Band in seinem Leben geknüpft werden, was einschneidend und tief wohl seine Lebensgewohnheiten verändern würde. Er würde am nächsten Tag Epicharis heiraten, in den Gärten, in denen er – auf Betreiben seiner Mutter – der jungen Claudierin einen Antrag gemacht hatte. Doch noch lag ein Abend und eine ganze Nacht vor jenen Augenblick. Und Marcus hatte nicht vor, die letzten Stunden seines Junggesellendaseins in monotoner Ödnis zu verbringen. Einen Moment hatte er überlegt, seinen Vetter Manius oder Caius zu fragen, ob sie ihn in die Stadt begleiteten, es jedoch verworfen; warum? Vielleicht, weil Caius stets so beschäftigt zu sein schien mit seinem Amt und weil Manius kaum noch das Haus verließ, seiner Krankheit wegen, gleichwohl Marcus hin und wieder die wahrscheinlich zu dezenten Versuche unternahm, seinen Vetter wieder in das Leben mit zu entführen. Bis dato war es jedoch gescheitert, auch jene lockende Idee, die Gracchus noch so freudestrahlend und verschwörerisch in der taberna verkündet hatte, war noch nicht in die Tat umgesetzt worden.


    In eine schlichte Tunika, in einem braunrot gehalten, hatte sich Marcus heute Abend gekleidet, dazu trug er die bequemen Stiefel, die bis zur Mitte seiner Waden gingen und immer wieder mit Lücken unterbrochen waren, damit es nicht an diesem Sommerabend zu heiß wurde mit dem Schuhwerk. Einen Mantel nahm er nicht mit, warum auch? Der Abend versprach genauso warm zu werden wie in den letzten Tagen. Gut gelaunt, es sich an diesem Abend mal wieder richtig gut gehen zu laßen, marschierte Marcus so durch die villa Flavia und hinaus, wo er den Sklaven erwartete, der ihn an dem Abend begleiten sollte – der Parther, der sich um seine Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, kümmern sollte. Warum ausgerechnet jener Sklave? Vielleicht war es Neugier oder einfach ein spontane Eingebung von Marcus gewesen, zudem wollte er wißen, wie weit Cassim denn schon mit jenen Vogel, der angeblich wie ein Jagdhund Beute schlagen konnte, gekommen war. Marcus nickte dem Sklaven knapp zu.
    „Cassim!“
    Marcus klemmte den Beutel zwischen tunica und schwarzem Ledergürtel, in dem das Geld für den Abend eingepackt war.
    „Wir gehen zuerst zu einem Tempel und dann auf die Tiberinsel. Kennst Du Dich mittlerweile in Rom etwas aus?“

  • Der Falke machte langsam Fortschritte. Cassims unermüdliches Bestreben, mit dem Tier zu arbeiten, es zu formen und schließlich zur Jagd vorzubereiten, fruchtete. Er war zufrieden mit dem Falken und mit seiner Arbeit. Bis zum Sonnenuntergang hielt er sich oft bei der neuerrichteten Falkenvoliere auf. Hier hatte er seinen Platz gefunden, an dem er sich wohlfühlte. Dieser Abend jedoch war es anders. Schon frühzeitig hatte der Parther seine Arbeit beendet, den Falken mit Fressen versorgt und war dann im balneum servorum, dem Bad der Sklaven verschwunden. Dort hatte er sich einer intensiven Reinigung unterzogen, zu der auch eine makellose Rasur zählte. Statt nun in lässiger Kleidung seiner Freizeit zu frönen, griff er nach einer frischen sandfarbenen Tunika, die er sich überstreifte und in seine Sandalen schlüpfte. Er begab sich zum vereinbarten Treffpunkt und wartete.
    Während er so da stand, fragte er sich, warum er es war, den der Römer für diesen Abend auserkoren hatte, ihn zu begleiten. Ihm war bewusst, welchem Zweck dieser letzte Abend vor dem großen Ereignis diente. Umso mehr wunderte er sich. Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen konnte er sich dem Gefühl nicht erwehren, dass der Römer den Parther nicht sonderlich mochte und ihn nur deshalb gekauft hatte, um sich nachhaltig an seinem Volk zu rächen für das, was er im Krieg erlebt hatte. Allerdings beruhte die vermeintliche Antipathie auf beiden Seiten. Cassim hatte nur Verachtung übrig, für alles was römisch war. Seinem Schicksal hatte er sich längst noch nicht gefügt und wenn es nach ihm ging würde er dies auch niemals tun. Womöglich bot sich ja an solch einem Abend die Gelegenheit, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Im Grunde wartete der Parther nur auf die passende Gelegenheit und mit einer römischen Geisel an der Hand, konnte sein Unterfangen sogar gelingen. Jedoch gab es so etwas wie Ehrgefühl, welches in Cassims Brust schlummerte. Dies gebot dem Parther nichts zu unternehmen, was den letzten Abend vor der Hochzeit eines Mannes stören konnte, auch dann wenn dieser Mann einer seiner Feinde war. Gegen diesen Codex konnte er nichts ausrichten, wenn er nicht sein Gesicht verlieren wollte. So war er in seinen eigenen Konventionen gefangen.


    Die Arme vor seine Brust verschränkt, lehnte er mit einer Schulter an der Wand und wartete, eine Melodie pfeifend. Die nahenden Schritte kündeten von der Ankunft des Römers. Cassim verstummte und nahm wieder eine gerade Haltung an und erwiderte das knappe Nicken des Römers. Ein Nicken war es schließlich auch, womit er die Worte des Römers quittierte. "Ein wenig. Es gab bisher nur wenig Gelegenheit dazu. Auf dieser Tiberinsel war ich allerdings noch nicht."

  • Nachdem auch der kleine, lederne Geldbeutel verstaut war, konnte es los gehen; daß Cassim die Stadt noch nicht so gut kannte, war letztendlich auch nicht wichtig, Marcus kannte sich gut genug aus, um alle Wege zu finden, selbst so manch einen Schleichpfad war ihm bekannt, hatte er solche doch in früheren Jahren nutzen müßen, wenn er mit seiner Mutter in Rom zu Besuch war und er die Attraktionen der Stadt unbemerkt erforschen wollte. Somit stand dem Finden des kleinen Tempels, den er heute Abend aufzusuchen gedachte, nichts im Wege. Äußerlich gelaßen – wenngleich ihn die Anspannung wegen dem folgenden Tag immer mehr ergriff – machte sich Marcus auf und schlug sich auf die Straßen Roms. Zielsicher strebte er auf eine der nächsten größeren Straßen der Hauptstadt, um am Rande der Straße entlang zu gehen - Unrat und den Abfällen der Tiere auszuweichend, die in der Nacht die Wägen durch die Stadt gezogen hatten.
    „Um genau zu sein, werden wir sogar auf der Tiberinsel den Tempel besuchen.“
    , meinte Marcus schließlich; er war schon immer mehr ein redseliger Mensch gewesen und mochte es nicht, wenn zu lange Schweigen vorherrschte. Welchen Tempel, damit wollte Marcus jedoch noch nicht heraus rücken, das würde Cassim dann schon sehen. Für den Gott, dem er zu opfern gedachte, mußte jedoch auch noch auf der Tiberinsel – bei einen der Stände dort – das nötige Opferzeug gekauft werden, aber genug an Sesterzen hatte er ja dabei.


    Auch andere Römer und Bewohner der Stadt nutzten die gut ausgebauten Straßen von Rom, so daß es immer wieder zu Gedrängel kam, man größeren Gruppen ausweichen mußte – wie einem Zug von orientalisch anmutenden Gestalten, die kahlgeschorene Köpfe hatten, dunkle lange Gewänder trugen und in einer für Marcus unverständlichen Sprache vor sich her sangen und Kräuter in kleinen Messingschalen verbrannten. Doch dem schenkte er ebenso wenig Beachtung, wie einigen keifenden Frauen, dem Gebell eines Hundes, den unflätigen Worten einiger Männer oder dem Geschrei von einer Kinderbande, die sich rauften - das war die alltägliche Kulisse von der lebenden Hauptstadt. Schon erschien das breite Band des Tibers, der sich durch die Stadt hindurch wälzte, an manchen Stellen mit einer Böschung versehen, an Anderer wiederum fest bebaut. Einige Kähne trieben auf dem Fluß entlang und zudem war schon die pons cestius zu sehen, der Marcus entgegen strebte und auch überquerte. Auf der anderen Seite blieb er neben einem Maulbeerbaum stehen, der ihm etwas Schatten spendete. Er deutete auf einige der Stände, die dort aufgebaut waren im Schatten des großen Aeskulaptempels.
    „Kennst Du den Gott Faunus? Bei den Griechen auch als Pan bekannt?“
    Marcus wartete nicht auf eine Antwort, wenn Cassim ihn nicht kannte, würde er noch genug heute heraus finden.
    „Geh' zu dem Händler dort und kaufe die nötigen Dinge für ein Opfer! Und warte dann dort, ich komme gleich nach!“
    Aus dem kleinen Lederbeutel zählte Marcus einige Münzen ab, die er als angemeßen erachtete, und reichte sie an Cassim weiter. Schon strebte Marcus davon und in eine Seitengaße. Es war ein breit gebauter, groß gewachsener und etwas grobschlächtiger Händler, der an dem angewiesenen Verkaufstand wartete und scheinbar schon einen potentiellen Verkäufer witterte; er sah zumindest ungefähr in die Richtung des Parthers.

  • Wortlos folgte der Parther dem Römer, wo immer es auch hingehen mochte. Noch war er ein Fremder in dieser Stadt, die so anders war, als das, was er bisher gekannt hatte. Doch einiges war eben auch so, wie es allerorts sein mochte. Unter dem Strich überwog aber das Ungewohnte. Neugierig sog er alles auf, was auf ihn einwirkte.
    Nach einer Weile präzisierte der Römer sein Ziel. Er sprach von einem Tempel auf der Tiberinsel. Cassim wusste nicht sonderlich viel über die Religion der Römer. Er hatte zwar Kenntnis von der Vielgötterei dieses Volkes und einige Namen ihrer Götter waren ihm auch bekannt. Doch die genauen Zusammenhänge, geschweige denn, welcher Ritus damit verbunden war, waren ihm unbekannt.


    Im Gedränge auf den Straßen hatte der Parther Mühe, dem zielstrebigen Gang des Römers zu folgen. Mittlerweile hatte er völlig die Orientierung verloren. Hätte er hier den Anschluss an den Flavier verloren, dann wäre er zweifelsfrei verloren gewesen. Vor ihnen tat sich schon der Fluss auf. Offenbar musste es gar nicht mehr weit sein. Zielsicher steuerte der Römer eine Brücke über den Fluss an. Auf der anderen Uferseite blieb er abrupt stehen und deutete auf einige Stände. Seine Frage konnte er nur unzureichend beantworten. "Von Pan habe ich schon gehört, ja." War das nicht ein Gott, der vor allem von Hirten angebetet wurde? Noch ehe er genauer darüber nachdenken konnte. Drückte ihm der Römer einige Münzen in die Hand und erteilte ihm den Auftrag alle nötigen Dinge für ein Opfer zu erstehen. "Was..? Wie..?" Cassim wusste nicht, wie ihm geschah. Sein hilfloser Ausdruck und auch sein Gestammel blieben unbeachtet. Schon war der Römer in einer Seitenstraße verschwunden.
    Auf sich selbst gestellt, besah er sich die Münzen in seiner Hand und seufzte. Dann wandte sich sein Blick wieder dem Stand zu. Der Händler, der dort auf Kundschaft zu warten schien, hatte ihn offenbar schon ins Visier genommen. Einen besonders feinfühligen Eindruck machte er nicht gerade. Cassim jedoch blieb keine Wahl. Entschlossen näherte er sich dem Stand und mit fester Stimme sprach er den Mann an. "Salve, ich benötige alles, was man für ein Opfer an Faunus braucht!" Soweit war es nun schon mit ihm gekommen, dass er nun Opfergaben für einen fremden Götzen erstehen musste, dachte Cassim. Man musste ihm seine Abneigung dagegen förmlich ansehen können. Wahrscheinlich wäre es jetzt sinnvoller gewesen, einfach davonzulaufen. Sein Memento hing aber wie ein Damoklesschwert über ihm. So bleib er und hoffte darauf, der Händler könne ihm behilflich sein.

  • Einige Kinder in braunen oder beigen Tuniken streunerten an den Ständen vorbei, mißtrauisch beäugt von den Händlern, die in den Kindern potentielle Diebe sahen, vielleicht hatten sie auch nicht Unrecht, denn einer der Jungen mit dichten schwarzen Locken und einer schorfigen Wunde an der Wange streckte in einem – scheinbar! - unbemerkten Augenblick die Hand aus und ließ eine kleine Statuette unter seiner Tunika verschwinden. Auch an dem Händler, zu dem Cassim treten sollte, kamen sie vorbei, derdie Kinder argwöhnisch taxierte und dann einen der Jungen zurück stieß, der sich näher an seine Waren heran machen wollte; so trabten die Kinder noch ein Stück weiter. Geschäftswitternd sah der Mann gleich zu Cassim und ein nichtssagendes, professionelles Lächeln trat auf sein Gesicht, das von der Sonne tief gebräunt war und worin sich schon einige Falten wie Täler zwischen Schluchten eingegragen hatten. Braune Augen blitzten gierig auf und der Händler vernahm mit Freude, dass Cassim tatsächlich bei ihm einzukaufen gedachte.
    Salve, salve!“
    , grüßte er.
    „Ein Opfer? An Faunus? Dann bist Du ganz genau an der richtigen Adresse bei mir! Um welche Art des Opfers handelt es sich denn? Soll es dem Segen der Erde entsprechen? Soll das Vieh sich wie die Kanikel vermehren? Oder ist es gar Deine...“
    Der Händler zwinkerte verschwörerisch.
    „...Deine Frau, die um den Segen der Fruchtbarkeit bittet? Vielleicht Du selber, der der Lustbarkeit frönen möchte? Wobei wir schon bei dem Dilemma um solche Dinge sind...“


    Der Händler drehte sich etwas zur Seite und deutete auf seine Auslagen.
    „...solltest Du auch gleich bei Aeskulap ein Opfer darbringen wollen, ich habe die schönsten Votivgaben weit und breit, der Segen des Gottes ist gleich gewiß. Plagt Dich ein Zipperlein? Macht das Kreuz nicht mehr mit...oder gar die Manneskraft? Für alles habe ich die paßende Gabe, damit der Gott der Heilkunst auch gleich Dein richtiges Wehwechen erkennt!“
    Einladend hob der Mann eine Votivgabe – aus Stein gemeisselt – die eindeutig phallusartige Formen aufwies.
    „Und teuer bin ich überhaupt nicht!“
    Ein weiteres Mal zwinkerte der Händler verschwörerisch und scheinbar vertraulich.
    „Und ich mache Dir...und nur Dir...ich muß sagen, Du wirkst auf Anhieb wie ein freundlicher Geselle...also nur Dir mache ich ein besonderes Angebot. Nimmst Du das Opfer für Faunus – wobei Du mir da noch sagen solltest, für welch einen Opferzweck - und diese Votivbeigabe, dann bekommst Du die Dinkelkekse heute umsonst. Na? Ist das nicht etwas?“

  • Eines hatte der barsch wirkende Kerl mit seinen parthischen Kollegen gemein. Er war ungemein geschäftstüchtig und übergoss Cassim mit einem Redeschwall. Einen solch redseligen Eindruck hatte er von weitem gar nicht gemacht. Der Parther ließ es aber über sich ergehen und lauschte dem, was alles über die Lippen des Händlers kam. Cassims Stirn runzelte sich, bei dem, was er zu hören bekam.Einfältiges Volk, wertete er im Stillen für sich die Ausführungen des Händlers. Doch langsam dämmerte es ihm, was der Römer mit seinem Opfer bezwecken wollte. Ein Grund mehr, ihn zu verachten, dachte er sich. Die Vermutung, alle Römer seien Schwächlinge, bestätigte sich für ihn, in diesem Augenblick ein weiteres Mal.
    Bei der Vermutung des Händlers, es könne sich um ihn handeln, der ein solches Opfer nötig hatte, stieg Zornesröte in Cassims Gesicht. "He, glaubst du etwa, ich hätte so etwas nötig? Sehe ich wirklich so aus, he?" Wenn es um seine Manneskraft ging, die dann auch noch, in seinen Augen, auf solch infame Weise in Frage gestellt wurde, konnte er sich nur schwerlich zurück halten. Jedoch bemerkte er die Blicke der Passanten, die an ihm haften geblieben waren, als sich seine Stimme erhob. Dann kam alsbald auch die Erinnerung zurück und so mäßigte er sich wieder. Nach einem kurzen Räuspern, wandte er sich dann wieder dem Händler zu. "Nein, nein ... ähm, nicht ich bringe das Opfer dar, sondern, ähm .. mein ähm .. mein Freund. Der arme Kerl heiratet morgen und jetzt ist er mächtig aufgeregt. Wahrscheinlich hat er einfach Angst, zu versagen. Deshalb hat er mich gebeten, alles für die Opferung zu besorgen, verstehst du? Er ist halt sehr schüchtern." Der Parther lachte gekünstelt und hoffte, nicht noch weiter nach dem Sinn und Zweck der Opferung ausgefragt zu werden. Wobei er dann doch noch ins grübeln kam, was der Handler ihm anbot. Ein zusätzliches Opfer für diesen Aeskulap war sicher auch nicht verkehrt, dachte sich Cassim. Das Bein des Römers musste ihm doch gelegentlich noch Probleme bereiten. Er besah sich nachdenklich die Votivgaben, auch die phallusartige, auf die ihn der Händler aufmerksam gemacht hatte. Mit seinem Grinsen konnte er sich nicht zurückhalten.
    Der Händler zwinkerte ihm abermals geheimtuerisch zu und Cassim trat noch etwas näher, damit ihm das Angebot, welches er ihm unterbreitete, auch ja nicht entging.
    Das hörte sich ja tatsächlich verlockend an, dachte Cassim bei sich, wobei er freilich nicht die geringste Ahnung hatte, ob es das auch tatsächlich war. Sein Daumen und der Zeigefinger spielten mit seiner Unterlippe, während er darüber nachdachte, wie er sich entscheiden sollte. Mit der zusätzlichen Votivgabe konnte er doch eigentlich gar nichts falsch machen und dann gab es ja auch noch die Kekse umsonst dazu. Die konnte man zur Not auch selbst verspeisen. "Das Angebot klingt gut! Und der Opferzweck, na ja, wie ich schon sagte, mein Freund heiratet morgen und danach will er doch sicher seinen Mann stehen," antwortete Cassim grinsend.
    Als der Parther sich aber dann dabei erwischte, welchen Gedankengang er da gerade eingeschlagen hatte, konnte er sich nur noch über sich selbst wundern.

  • Eine kleine Schar von Tauben ließ sich vor einer alten Frau nieder, die auf einem Mauervorsprung saß und die Vögel mit Körnern aus einem linnen Sack fütterte. Ihre getrübten Augen glitten immer mal wieder über die Menge von Menschen, die auf die Tiberinsel eilten und ihren Geschäften oder Beschäftigungen nach gingen. Eine Katze trollte sich an den Ständen vorbei und sträubte ihren Schwanz als ein Händler ihr einen Tritt verpassen wollte. Laute Stimmen von einigen der Votivhändler tönten über den Platz und versuchten die Römer und Ausländer, Sklaven und sonstige Kaufkräftige anzulocken. Eilig und entschuldigend hob der Händler – der schließlich seine Ware an den Mann bringen wollte – seine beiden Hände beschwichtigend in die Höhe. „Neeein, nein, nein...wie käme ich nur auf diesen aaabwegigen Gedanken?“, setzte der Händler eilig nach. Schließlich wollte der Mann keinen potentiellen Kunden verlieren, da reichte schon ein falsches Wort und die Konkurrenz schnappte ihm den Mann weg, wie die Hyänen, die sich auf die Beute eines Löwen stürzten. „Ah so ist das...natürlich, Dein Freund...ich verstehe!“ Der Händler zwinkerte verschwörerisch. Gleich darauf klatschte er in seine Hände. „Ah, ein Hochzeit, welch ein freudiges Ereignis!“ Aalglatt und etwas schmierig lächelte der Händler und nickte zufrieden, na, den Fisch hatte er doch an der Angel, denn das Angebot lockte ihn eindeutig.


    „Wunderbar, einem aufgeregten Bräutigam mache ich doch mit großer Freude ein solches Angebot, auch wenn es mich einiges an Gewinn kostet...“ Was glatt gelogen war. „Dann denke ich, folgendes wäre von Vorteil für den Zweck von Di...ähm...Deines Freundes...ein Opfer an Faunus, für die Fruchtbarkeit und Manneskraft mit diesem Votiv hier!“ Er deutet auf den Phallus. „Dann für Faunus noch die Kekse und einige Körner als weiteres Symbol der Fruchtbarkeit. Für Aeskulap kann Dein Freund natürlich noch mal ein ähnliches Opfer darbringen oder für ein anderes Wehwechen den Segen der Götter erbitten.“ Bei Feiern und Festivitäten war in seiner Branche immer viel heraus zu schlagen, darum rieb sich der Händler schon innerlich die Hände. „Zudem...für die Hochzeit, hat Dein Freund schon ein Opfer? Ich hab einen Vetter, der hat die besten und reinsten Opfertiere der Stadt, eine litatio ist somit so gut wie garantiert.“ Was auch immer ein wenig an den Priestern lag, welcher Priester wollte sich schon die Spende verderben und eine Hochzeit ruinieren. „Und wenn ihr sagt, dass ich euch geschickt habe, dann wird mit Sicherheit ein guter Preis für ein Lämmchen oder eine kleine Sau heraus springen.“ Und eine Provision für ihn selber.

  • Es bereitete Cassim schon einige Bauchschmerzen, den Römer als Freund bezeichnen zu müssen. Missmutig sah er sich um, wo er hier gelandet war. An allen Ecken gab es Stände wie diesen, an denen ähnliche Kultgegenstände veräußert wurden. Ein Händler wollte den andreren übertreffen, indem er lauthals seine Waren anpries.
    Nicht genug, dass er für den angeblichen "Freund" Opfergaben für einen fremden Kult besorgen sollte, nein auch der Händler machte auf ihn den Eindruck, als wollte er ihm seine kleine Geschichte nicht ganz abkaufen. Wahrscheinlich merkte man ihm die Aversion gegen den Römer an. Im eigentlichen Sinne war es ja nichts persönliches. Es waren die Römer an sich, die er nicht mochte und die er noch immer als seine Feinde ansah. So musste er sich fragen, was er nur verbrochen hatte, dass ihm so geschah! Innerlich seufzend lauschte er weiter dem kriecherischen Gesäusel des Händlers. "Ja, mein Freund," wiederholte der Parther mit versteinerter Miene. Aufgeschreckt durch das Händeklatschen des Händlers, griff Cassim instinktiv zu der Stelle, wo er einst seine Waffe getragen hatte. Zusehends wurde er nervöser.
    Der Händler begann erneut auf ihn einzureden und bekräftigte noch einmal sein Angebot. Der Phallus war vermutlich das passendste Votiv. Gleichwohl hatte Cassim davon keine Ahnung. Er musste sich notgedrungen auf die Empfehlungen des Händlers verlassen. Im Grunde genommen, konnte es ihm aber gleich sein, wie gut oder schlecht das Angebot war. Es war nicht sein Geld, das er dafür ausgab. "Ja gut, äh dann pack mir das zusammen! Ja und gib mir für Aeskulap auch gleich etwas mit." Doppelt genäht, hält besser, dachte er sich, nicht ohne einen spöttischen Hintergedanken dabei zu haben. Außerdem wollte er von hier fort, bevor der Händler noch auf andere Ideen kam. Er fragte sich sowieso, ob er den Römer in diesem Gewusel jemals wieder finden würde. Wenn das nicht der Fall war, konnte er getrost die Flucht antreten. Dann hielt ihn nichts mehr zurück, wodurch er sein Gesicht verlieren konnte.
    Offenbar witterte der Händler aber in Cassim ein bereitwilliges Opfer, dem man so ziemlich alles andrehen konnte. Erneut setzte er an und begann ihn über die Opfergaben für die Hochzeit an sich auszuquetschen.
    "Opfertiere? Bei Ahu.. ähm ja, was denn noch alles!" Die Vorstellung, den Rest des Abends mit einem Lamm oder einem Schwein im Schlepptau durch Rom zu laufen, gefiel ihm gar nicht. Denn er würde es sein, dem diese Aufgabe zufallen würde. "Ja, also ich weiß nicht. Ich werde ihn da zuerst einmal fragen müssen. Dann nehmen wir später gerne deinem Angebot an." Der Parther verzog sein Gesicht zu einem Lächeln und sah sich schon einmal nach dem Römer um.

  • Strahlend und gut gelaunt fing der Händler an, die gewünschten Dinge einzupacken, die eben für ein Opfer notwendig waren, die Votivgaben, die Dinkelkekse, das Räucherwerk, etc., alles wurde in einen hellen Korb aus Weidenzweigen hinein verstaut, der mit Stroh gepolstert war; selbst wenn der Händler eigentlich mehr zu der geizigen Sorte gehörte, so wußte er, daß nur zufriedene Kunden wieder kamen und erneut ihre Geldmünzen bei ihm ließen, darum versuchte er natürlich die Kunden auch bei der Stange zu halten. Das ihm vielleicht doch die Provision von seinem Verwandten durch die Lappen gehen könnte, störte den Händler nicht wirklich, höchstens marginal, er hatte schon einen guten Verdienst bei jenem Kunden gemacht und ganz abgeschlagen hatte Cassim es ja nicht, so bestand für den Mann durchaus noch Hoffnung auf ein paar dupondii mehr. Schließlich war alles verpackt und oben drauf legte der Händler noch ein dünnes Tuch aus Leinen.
    „Das macht dann 20 denarii, mein Herr!“
    Noch hielt der Händler den Korb fest umgriffen, ehe er keine Münzen in seine Hände klimpern sah, würde er die Ware auch nicht rausrücken.


    „Ksch...“
    , zischte der Händler direkt neben Cassim.
    „Verschwinde und laß' den Herrn in Ruhe!“
    , fügte er fauchend an. Ein Mädchen, das gerade ihre Hände dezent ausstrecken wollte, vielleicht um zu stehlen oder aber nur um ihre Hand zum Betteln zu erheben, machte einen Schritt zurück. Ihre Augen funkelten wütend und sie spuckte genau zwischen Cassim und den Händler, ehe sie herum wirbelte und davon lief.
    „Gesocks!“
    , murmelte der Händler und schüttelte den Kopf.
    „Diebe, Gesinde und Gesocks...Rom wird noch untergehen, wenn die mal groß sind! Pah! Wo waren wir stehen geblieben...? Ach ja, 20 denarii!“


    Augenblicklich drängte sich Marcus wieder durch die Menge von Menschen, die wohl den Tempel des Heilgottes als Ziel gewählt hatten, und kam direkt neben Cassim zu stehen. Seine Augen streiften den Korb, den Händler und den Stand.
    „Schon fertig, Cassim? Gut!“
    Der Händler beäugte erst Marcus, dann Cassim, ehe sich seine Miene aufhellte und er gekünstelt lachte.
    „Ahhhh, dann wird das wohl Dein Freund sein...“
    Man sah dem Händler deutlich die Überraschung an, hatte er wohl Cassim bis dahin kein Wort geglaubt.
    „Alles Gute für Deine Hochzeit morgen!“
    Eifrig nickte der Händler und hielt immer noch seine Hand ausgestreckt, um das Geld einzukassieren. Marcus sah mit gerunzelter Stirn vom Händler zu Cassim, während ganz langsam eine Augenbraue hoch wanderte und das in sehr flavischer Manier.

  • Cassim sah zufrieden zu, wie der Händler damit begann, die Opferwaren, die er zu kaufen gedachte, einzupacken. Das war ja wirklich nicht schwer gewesen, dachte er bei sich. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein zuversichtliches Lächeln wider und er begann in dem Geldbeutel nach einigen passenden Münzen zu kramen. Er war beinahe schon etwas stolz auf sich, seine Aufgabe doch so gut gemeistert zu haben.
    Endlich hatte er die 20 denarii beisammen, als er durch einen Zischlaut des Händlers abgelenkt wurde. Er blickte auf und erkannte ein kleines Mädchen. Eine kleine Diebin vielleicht, oder doch eher eine Bettlerin. Er wusste es nicht und es war ihm auch gleich. Er wollte nur noch das Geschäft zum Abschluss bringen und sich dann nach dem Römer sehen. Das Mädchen hatte ihre Hand ausgestreckt und wurde barsch von dem Händler zurückgewiesen. Noch ehe Cassim sie sich richtig betrachten konnte, war sich auch schon wieder entschwunden. Der Parther musste grinsen, bei dem Gedanken, Rom könne durch solche bemitleidenswerten Kreaturen untergehen. "Kann schon möglich sein! Äh, ja 20 denarii. Warte ich hab sie hier." Er streckte seine Hand mit den Münzen darin, aus und wollte sie dem Händler übergeben.
    Wie aus dem Nichts kommend, vernahm er die Stimme des Römers, der ohne Vorwarnung plötzlich neben ihm stand. "Ähm, ja! Fast. Ich muss nur noch zahlen." Es war Cassim sichtlich unangenehm, den Römer jetzt so nahe bei sich zu haben, angesichts dessen, was er dem Händler schon alles anvertraut hatte. Hätte er nicht noch etwas länger fort bleiben können? Am Gesichtdes Händlers war dann auch sofort zu erkennen, was in seinem Kopf vorgehen musste. Dieses Grinsen! Im war jetzt ganz und gar nicht mehr zum grinsen zumute! Ahhhh, dann wird das wohl Dein Freund sein… Der Parther ließ die Bemerkung des Händlers unbeantwortet. Stattdessen errötete er hinsichtlich der peinlichen Lage. Der Römer war nicht sein Freund und er würde es auch nie sein. Auch dann nicht, wenn er noch jahrzehntelang sein Sklave sein müsste.
    Nachdem der Händler dem Flavier schließlich auch noch zu seiner bevorstehenden Hochzeit gratulierte, konnte er ganz deutlich die Blicke des Römers auf sich spüren. Er sah zu ihm hinüber und ihre Blicke trafen sich. Er erkannte das seltsame Spiel seiner Augen und erwiderte dies mit einem mehr als verlegenen Grinsen.
    Das war der schwärzeste Moment des Abends, jedenfalls für Cassim. Schlimmer konnte es doch nicht mehr kommen.

  • Münzen klimperten, sehr zur Freude des Händlers, der die abgezählten denarii gleich entgegen nahm, noch mal mit Argus Augen überprüfte und sogar hinein biß, ehe die runden und wertvollen Scheiben den Weg in die Dunkelheit seiner Geldkiste fanden; schließlich rückte er auch den Korb heraus, mit den Waren für das oder die Opfer.
    „Mögen die Götter euer Opfer annehmen! Und sonst einen schönen Tag noch und alles Gute! Valete!“
    , sprach der Händler zum Abschied und lächelte wieder jenes geschäftstüchtige, aber etwas ölige Lächeln, ehe er zufrieden die Geldtruhe weg packte, um sie vor Dieben und sonstigem Gesindel zu schützen. Marcus, der wartete, bis Cassim den Korb an sich genommen hatte, wandte sich von dem Stand ab, schweigend und mit reservierter Miene. Langsam drängte er sich durch eine Gruppe von Menschen, die staunend den Tempel ansahen und ging – leicht hinkend – auf den Platz vor dem Tempel zu. Seine Augen machten schon den Eingang zu den Nebentempeln aus, die sein eigentliches Ziel waren, schließlich wollte er Faunus an jenem Abend opfern. Einige Schritte von den nächsten Menschen – die unliebsame Zuhörer gewesen wären – entfernt, sah Marcus das erste Mal seit dem Stand wieder zu seinem parthischen Sklaven.
    „Cassim, ich bin nicht Dein Freund. Ich dulde es nicht, wenn meine Sklaven in der Öffentlichkeit solche Behauptungen aufstellen.“
    Selbst bei Hannibal würde Marcus da keine Ausnahme machen.
    „Bei dem Händler war das jetzt nicht sonderlich wichtig, aber merke Dir das für die Zukunft.“


    Ungnädig war Marcus in dem Augenblick, bereute seine barschen – wenn auch leise – ausgesprochenen Worte schon ein bißchen, aber selbst wenn er doch mehr ein gutmütiger Mensch war, so gab es Grenzen, die ein Sklave bei ihm nicht zu überschreiten hatte, und solche Vertraulichkeiten gehörten dazu. Nur noch einen schnellen Seitenblick warf er Cassim zu ehe er auf den Eingang der Nebentempel schritt, vorbei an dem großen Hauptstrom von Kranken und Gebrechlichen, die all ihre Hoffnung auf den Gott der Heilkunst setzten, wie schon damals die Römer bei dem Ausbruch der Pest. Ein schummriges Dämmerlicht schlug ihm entgegen, der Geruch nach Weihrauch und muffigen, alten Wänden, aus den Kohlebecken am Rand glomm es dunkelrot und rußig rauchende Öllampen erhellten den Raum nur schwach, der keine Fenster aufwies. Am Ende des Raumes war die Statue des Gottes Faunus zu erkennen, dessen Haupt von dichten Steinlocken bedeckt war, durch die nur zwei Steinhörner brachen, sein Gesicht war ebenso bärtig wie sein Kopf mit Haaren bedeckt. Halb Mensch, halb Bock schien sich der Gott der Fruchtbarkeit ein wenig nach vorne zu beugen und den Gläubigen entgegen zu starren. Der Tempel wiederum war vollkommen still, bis auf das Knistern der brennenden Kohle, aber weder Römer, noch ein Priester vollführten hier gerade ein Opfer. Ohne Zaudern trat Marcus an den Altar heran. Schalen, die für die Opfer gedacht waren, standen vor dem Altarbild bereit. Marcus drehte sich halb zu Cassim herum und winkte ihm, näher zu kommen.
    „Warst Du schon einmal bei einem römischen Opfer dabei, Cassim?“

  • Der Händler nahm die Münzen entgegen. Cassim beobachtete ihn etwas befremdlich dabei und wunderte sich über die Prozedur wie er die Münzen auf ihre Echtheit überprüfte. Im Gegenzug überreichte er schließlich dem Parther den Korb mit den Opfergaben. Cassim war froh, endlich dem schmieren Kerl entkommen zu können. Er mochten den Mann nicht und er mochte es nicht, was er hier tat. Noch weniger mochte er es, dass der Flavier davon erfahren hatte, wie er ihn als seinen Freund bezeichnet hatte.
    Cassim deutete ein Nicken zum Abschied an und wandte sich von dem Stand ab. Der Römer und er bahnten sich ihren Weg durch die Menge, bis sie den Vorplatz des Tempels erreicht hatten. Cassim sah sich neugierig um. Das, was sich vor im aufbaute, war nicht nur ein Tempel gewesen. Nein, vielmehr waren es mehrere Tempel gewesen. Wahrscheinlich für die verschiedensten Götzen. Einer davon musste der für diesen Faunus sein, dem der Römer opfern wollte.
    Cassim bemerkte den Blick des Römers auf sich. Er lenkte den seinen auf ihn. Der Flavier machte einen leicht säuerlichen Eindruck auf ihn und das, was er ihm anschließend sagte, ließ keinen Zweifel mehr aufkommen. "Ist schon klar! Ich bin auch nicht dein Freund! Niemals! Nur dieser schmierige Kerl hatte geglaubt, dieses ganze Zeug da, wäre für mich bestimmt." Cassim deutete auf den Inhalt des Korbes und wunderte sich über sich sich selbst, nachdem er dies ausgesprochen hatte. Wieso begann er nun schon, sich gegenüber dem Römer zu verteidigen? So etwas hatte er doch gar nicht nötig.


    Er folgte schließlich dem Römer zu einem der Nebentempel. Der große Tempel, der im Vordergrund stand, musste diesem Aeskulap geweiht sein. Das schloss er aus der endlos scheinenden Reihe der Gebrechlichen und der Kranken, an denen sie vorbei schritten. Dann war das Portal des Tempels erreicht. Auch wenn Cassim die Römer für ihre unzähligen Götzen verachtete, sah er dem Betreten des Tempels erwartungsvoll entgegen. Der schwere Duft aus einem Gemisch von Weihrauch, dem Duft brennender Öllampen und dem Mief eines in die Jahre gekommenen alten Gemäuers stieg ihm bereits in die Nase. Im Schummerlicht des Tempels fiel sein Blick als erstes auf das Becken mit der rotglühenden Kohle darin. Dann sah er auf und erblickte die Statue des Gottes, dem dieser Tempel geweiht war. Faunus, eine Gestalt, halb Mensch, halb Bock.
    Der Römer trat einige Schritte zum Altar vor, während Cassim von dem Anblick des Götzen gefangen war und vorerst noch verharrte. Erst als der Römer ihn zu sich winkte, trat auch er näher. Seine Frage konnte er ohne Umschweife beantworten. "Nein, das war ich nicht."

  • Weiße zarte Rauchschwaden zogen gen Decke des kleinen und – da aus alter Zeit stammend – niedrig gebauten Tempels des Faunus, schon viele Generationen zuvor hatten den Tempel genutzt und das sah man an den rußgeschwärzten Wänden und der Decke, manch eine der alten – und etwas archaisch anmutenden – Malereien an den Wänden war schon längst unter der Schicht von Ruß, verbrannten Kräutern und dem Zahn der Zeit verschwunden. Doch an manchen Stellen sah man noch die bunten Bilder, die vor vielen Generationen, vor Jahrhunderten, von römischen und womöglich auch etruskischen – zudem sklavischen – Händen an die Wände gemalt worden waren, Bilder von Tier, Mensch und Natur. Marcus atmete den Weihrauchduft tief ein und suchte danach den verbißenen Ausdruck aus seinem Gesicht zu vertreiben, den er immer noch wegen der Worte von Cassim vor dem Tempel trug, daß dieser zudem nicht einem römischen Opfer beigewohnt hatte, störte Marcus hinwieder gar nicht. Sklaven, und besonders Sklaven, die erst so kurz in Rom waren, kamen nicht oft dazu, während es Marcus von Kindesbeinen an begleitet hatte, es ihm schon in die Wiege gelegt worden war. Wie es wohl umgekehrt bei Cassim auch war, eben mit dessen Glauben.


    „Das macht nichts, bitte halte die Sachen, während ich anfange, so schwer ist der Ablauf eines Opfers nicht, mit der Zeit wirst Du es kennen lernen und mir vielleicht mehr zur Hand gehen können.“
    Selbst wenn Marcus die kultischen Handlungen immer selber übernehmen würde und auch mußte, schließlich wollte er nicht die Götter verärgern. Marcus kniete sich vor dem niedrigen Schrein des Altars nieder und spürte den rauen Boden unter seinen Knien, der in der Mitte eine Senke aufwies, dort, wo schon viele Menschen vor ihm gekniet hatten. Marcus zog den Umhang über seine Schultern und auch über seinen Kopf, um sein Haupt zu bedecken, wie es sich nun mal vor dem Angesicht von Göttern bei einem Opfer auch gehörte. Marcus holte tief Luft und fing an, alles auszublenden und sich nur auf das Jetzt und Hier zu konzentrieren, nach einer Weile, drehte er sich um und nahm den Beutel mit dem Weihrauch heraus, öffnete das Leder und entnahm die groben und dunklen Körner, die er in die glühende Schale vor ihm streute, abermals zogen weiße Rauchschwaden hoch.


    „O Faunus, Wolfsgestalt, Gott der dem Land, den Tieren und den Menschen den Segen von Kraft und Fruchtbarkeit gewährst, Beschützer unserer Tiere und unserer Äcker, ich erbitte Dich heute um Deine Gunst. O Faunus, Sohn von Picus, schenke mir Deinen Segen, auf daß es meiner Familie an nichts mangelt, auf daß sie wächst und gedeiht.“


    Ohne die Augen von dem schlichten Altarbild zu nehmen, griff Marcus nach den Dinkelkeksen und legte sie einen nach den Anderen in die Schale, die eigens für solche Zwecke bereit stand.


    „O Faunus, Gott für Mensch und Tier, segne meine Ehe mit Deinem Wohlwollen, schenke uns noch viele Kinder und Nachkommen, ich erbitte Dich um die Kraft hierfür!“


    Ja, Iuno sollte man sicherlich auch für so etwas opfern, aber das würde schon am nächsten Tag kommen, daran zweifelte Marcus nicht, aber so ein Gott wie Faunus durfte dabei natürlich nicht vergeßen werden. Zudem konnte es ja nicht schaden, auf Nummer sicher zu gehen.
    „Und Faunus, ganz besonders erbitte ich Dich für Deinen Segen morgen Nacht!“
    Der erste Eindruck war ja schließlich der Wichtigste und er wollte Epicharis nicht zu sehr enttäuschen, diesbezüglich war Marcus schon seit einigen Tagen besorgt, man wurde ja nicht jünger, sehr zu seinem Leidwesen. Der letzte Keks zerbröselte auf der Schale und Marcus legte – zufrieden mit der Auswahl, die Cassim getroffen hatte – auch jene Votivgabe hinzu, dem Phallus, der Faunus angemeßen war. Weihrauch sollte die Worte nach oben tragen, damit der Gott sie auch hören würde. Nach einigen Momenten des Schweigens räusperte sich Marcus schließlich und zog den Umhang von seinem Kopf herunter und erhob sich selber wieder. Er nickte Cassim zu, ihm zu folgen und trat dann hinaus aus dem Tempel und an die klare und frische – für städtische Verhältnisse – Luft.


    „Wozu ist der Rest?“
    , fragte Marcus mit Blick auf den noch nicht ganz geleerten Korb.

  • Der Parther schien von dem Götzenbild gefangen zu sein. Die weihrauchgeschwängerte Luft tat ihr übriges, um Cassims Sinne, für das Interieur des Tempels, und die herrschende Stille darin, zu sensibilisieren. Immer wieder fing sein Blick das Steinbildnis des Faunus ein, während seine Augen über die rußgeschwärzten Wände glitten. Unter der dicken Rußschicht verbargen sich alte Wandmalereien, die mancherorts noch gut sichtbar waren. Der Tempel musste schon seit Jahrhunderten Anlaufpunkt für unzählige Gläubige gewesen sein. Generationen um Generationen hatten hier schon ihren Gott angerufen, um ihm ihre Anliegen in Dingen der Fruchtbarkeit und des Wohlstandes zu unterbreiten. Inwieweit Faunus diesen Bitten immer nachkam, war nur zu erahnen. Die Fülle an Votivgaben ließen aber darauf schließen, dass er den Gebeten seiner Gläubigen nicht immer abgeneigt war.
    Alles in diesem Tempel war so fremd für Cassim, außer dem Weihrauch. Der Duft des verbrannten Harzes war ihm wohlvertraut. Seine Aufmerksamkeit fiel wieder auf den Römer zurück, der sich nun anschickte, mit seiner Opferhandlung zu beginnen.
    Cassim hielt den Korb mit dem Opfergaben, während sich der Römer vor den Schrein des Gottes kniete. Skeptisch beäugte der Parther jeden einzelnen seiner Handgriffe. Er hatte bereits verstanden, weshalb der Römer das tat und was er sich davon versprach. Er hatte sogar etwas Verständnis dafür, auch wenn Cassim sich zu solchen Kulthandlungen für fremde Götzen niemals hinreißen lassen würde.
    Der Römer griff nach dem Beutel mit dem Weihrauch und streute ihn in eine glühende Schale, woraus dann sofort neue Rauchschwaden entstanden. Dann wandte er sich an seinen Gott und sprach seine Bitten aus.
    Für Cassim war der Gebrauch von Weihrauch bei religiösen Zeremonien nichts ungewöhnlich. Mit dem kostbaren Harz ehrten viele Völker ihren Gott oder ihre Götter.
    Schließlich fand Cassim auch den Sinn und Zweck der Dinkelkekse heraus. Es war schon sehr aufschlussreich, den Römer bei seinen Handlungen zu beobachten. Bei der letzten, seiner Bitte musste Cassim unwillkürlich grinsen. Dem Römer musste es außerordentlich wichtig sein, in der Nacht nach seiner Hochzeit nicht zu versagen. Wer konnte ihm das verdenken? Die Natur trieb gelegentlich seltsame Blüten mit der Kraft eines Mannes.


    Schließlich beendete er seine Opferung und erhob such wieder. Cassim folgte ihm aus dem Tempel hinaus. Draußen angekommen, atmete er erst einmal tief durch.
    Die Frage des Römers nach dem Rest, was sich noch im Korb befand, verwirrte Cassim und machte ihn auch auf eine Art verlegen. Hatte er sich doch zu viel von dem Kerl aufschwatzen lassen? Woher hätte er das wissen sollen? Er hatte letztendlich dem Händler vertraut und gehofft, er würde ihn nicht über den Tisch ziehen. Cassim zuckte mit den Schultern.
    "Das ist für diesen anderen Gott, äh Aeskulap. Der Händler meinte, das bräuchte man auch. Dann habe ich es sicherheitshalber auch genommen."
    Cassim vermied es, das Bein des Römers anzusprechen. Deswegen hatte er sich ja eigenlich dazu überreden lassen, auch die Opfergaben für den Gott der Heilkunst, zu erstehen.

  • Karminrot bestrahlte die junge Abendsonne die wenigen Wolken am Himmel, perlmutt verfärbte sich der am Tag so strahlend blaue Himmel; und die Häuser, Menschen und Tiere auf dem Platz warfen lange Schatten. Selbst Marcus' Schatten sah in der herauf brechenden Abenddämmerung weniger stattlich aus – oder füllig, wie auch immer – sondern er schien einem dünnen Riesen zu gleichen, ähnlich wie bei all den anderen Menschen. Der, der jedoch diesen Schatten warf, bedachte das lebendige Abbild von Cassims Schattenriss mit einem nachdenklichen Blick. Ob er damit etwas sagen will?, dachte sich Marcus. Vielleicht ein Bedauern über die Kriegsverletzung, die ihm einer von Cassims Landesmänner beigebracht hatte. Oder war kein Hintergedanke dabei gewesen?, grübelte Marcus weiter. Ganz schlüßig wurde sich Marcus nicht, nur, daß er bislang den Eindruck von Cassim gewonnen hatte, daß der Parther ein Mann war, der sich über viele Dinge gründlich Gedanken machte. Marcus nickte langsam.
    „So ein Opfer kann gewiß nicht verkehrt sein, aber ein anderes Mal. Ein Opfer am Tag reicht mir!“Tatsächlich trat so etwas wie ein zögerliches Lächeln auf Marcus' Lippen, einige Herzschläge lang.


    Dunkle Schemen von den akrobatischen Schwalben jagten über die Dächer der Stadt hinweg. Marcus ließ seine Augen über den sich immer intensiver verfärbenden Himmel wandern.
    „Nun, ein wenig göttlichen Beistand habe ich hoffentlich jetzt, nun laß' uns zum vergnüglicheren Teil übergehen!“


    Er deutete mit seinem Kinn in die Richtung der Tiberbrücke und begann schon darauf zu zu schlendern, Nervosität – des folgenden Tages wegen – aber auch die Vorfreude – einen hoffentlich angenehmen Abend zu haben – mischte sich mit dem Hauch von Melancholie – denn womöglich würde es in nächster Zeit nicht einfach werden, solchen Lastern wie heute nachzugehen.
    „Hast Du schon Hunger?“
    , fragte Marcus mit einem Seitenblick auf Cassim. Warum auch immer – wahrscheinlich weil Marcus doch gute Hintergedanken bei dem Opfer an Aeskulap wähnte- Marcus hatte nicht vor, Cassim heute hinter sich stehen zu laßen, während er sich vergnügte, zumal es doch eindeutig weniger vergnüglich war, wenn ein finsterer Blick auf den eigenen Nacken gerichtet war. Zielstrebig lenkte Marcus seine Schritte auf der anderen Tiberseite in Richtung der wohl verruchtesten Viertels der Hauptstadt, die sündige Gegend, die die meisten tabernae, cauponae und stabula, samt lupanare aufwies. Genau auf die subura hielt Marcus zu. Die Straßen wurden verwinkelter, die Häuser noch dichter gebaut und die Straßen schmutziger, als sie es ohnehin an vielen Stellen Roms waren. Aber auch die Dichte der Menschen schien noch mal etwas zu zu nehmen, samt der tiefen Schattenschluchten, die sich zwischen den sich dicht aneinander drängenden Häusern dahin zogen. Das war ein Ort, wo man am Besten Augen am Hinterkopf hatte.
    „Warst Du schon einmal in der subura, Cassim?“

  • Natürlich hätte Cassim niemals zugegeben, was ihn dazu bewogen hatte, die übrig geblieben Opfergaben zu erstehen. Er selbst wusste, was es hieß, eine Kriegsverletzung mit sich herum zu tragen. Sie erinnerte daran, was man vergessen wollte. Sie war ein Zeichen des eigenen Unvermögens und sie war auf Dauer hinderlich oder sogar schmerzhaft. Wirkliche Sympathie empfand er für den Römer nicht. Achtung vielleicht. Allerdings nicht als sein Sklave. Es war die Achtung, die ein Soldat dem anderen entgegenbrachte, auch wenn dieser zur gegnerischen Armee gehörte.
    Was in dem Römer vorging, als dieser ihn so nachdenklich begutachtete, konnte er nicht ergründen. Doch bei ihrer ersten Begegnung hatte er es Cassim in aller Deutlichkeit gesagt. Er sah in ihm nicht den Kriegsgefangen. Er war sein Sklave. Trotz allem war Cassim aufgefallen, der Römer ließ ihm gegenüber oftmals Nachsicht walten. Hätte er ihm sonst die Aufgabe, einen Falken abzurichten, überlassen oder ihn am heutigen Abend mitgenommen? Eigentlich wäre diese Aufgabe Hannibal zugefallen, nicht ihm.
    Was auch immer ihn dazu bewogen hatte, Cassim auszuwählen, der Parther war in gewisser Weise froh darum gewesen, endlich einmal den Mauern der Villa entrinnen zu können. Dies war eine neue Erfahrung für ihn, denn bisher hatte er nur das Treiben auf den Märkten kennengelernt. Rom bei Nacht hingegen, war ihm völlig unbekannt.


    Cassim schlenderte neben dem Römer her, als sie sich wieder in Richtung der Tiberbrücke begaben.
    Hunger hatte er schon! Er hätte einen Bären verspeisen können! Die Arbeit an der frischen Luft macht hungrig. Aber dies gegenüber dem Römer zugeben zu wollen, mochte er nicht. "Nein, ich habe keinen Hunger" log er. Sein Magen machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung, denn der war mit dieser Antwort nicht zufrieden gewesen. Ein recht lautes Magengeräusch war die Folge davon gewesen. "Ja gut, ich habe Hunger," gab er schließlich zu. Nicht einmal auf den eigenen Körper war mehr Verlass.
    Die Brücke war schnell überquert und vor ihnen lag ein, für Cassim bis dahin, unbekanntes Terrain. Das Viertel, wie auch die hier anzutreffenden Menschen, hatten nicht mehr viel gemein, mit dem Viertel, in dem die Villa zu finden war. Nein, hier war er noch nie gewesen!
    "Nein, hier bin ich heute zum ersten Mal!"

  • Und nun verschwand die Sonne hinter den Hügeln von Rom, ein letztes Mal leuchtete sie purpur und strahlend auf, färbte den Himmel mit einem dunkelroten Streifen ehe die Nacht nach dem Licht gierte und nur von den klaren und glänzenden Sternen unterbrochen wurde. Die Schatten eroberten sich die Gaßen, die Dunkelheit legte sich wie ein dunkler und dicker Mantel über die Stadt. Und die subura war ganz gewiß kein Viertel, in dem das Licht in der Nacht Einzug hielt, nein, hier brannten wenige Lichter aus den Häusern, deren Fensterläden oft verschloßen waren, keine Sklavenzüge mit Fackeln durchquerten die Straße, die einen wichtigen Senator oder Ritter zu einer cena hin und zurück geleiteten. Doch Marcus' Ziel lag nicht mehr weit, er durchquerte nur noch die Gaße und strebte auf ein Haus zu, an deßem Eingang zwei Öllampen in einer Nische flackerten. Die Fensterläden waren vernagelt, die Haustür aus dickem Holz und die ockerfarbene bis schmutzig graue Fassade – in der Nacht so erscheinend – verriet nichts von dem Inneren des Hauses. Doch Marcus hob die Hand und klopfte drei Mal.
    „Ein ungemütliches Viertel und sehr gefährlich, aber es gibt hier bestimmte Häuser, die sonst kein Viertel von Rom aufweist!“
    , erklärte Marcus, während er wartete, und grinste mit Vorfreude auf das, was sie im Inneren erwartete.


    Schon öffnete sich ein kleines Fenster in der Tür und ein dunkelhäutiges Gesicht mit zwei daraus hervor leuchtenden Augäpfeln starrte ihnen entgegen.
    „Ja?“
    Marcus kramte in seiner Tasche und holte ein paar Münzen hervor, die er durch die Öffnung in der Tür reichte.
    „Man sagt, daß man sich hier gut vergnügen kann, für ein paar bare Münzen!“
    Eine dunkle Pranke griff nach den Münzen und dann wurde nicht nur Marcus, sondern auch Cassim scharf gemustert.
    „Sagt man das? Vielleicht ist dem so! Waffen bleiben draußen! Wer ärger macht, der fliegt hochkantig, verstanden?“
    Marcus nickte knapp und wartete, während der Dunkelhäutige die Tür aufschloß und ihnen den Weg frei machte. Marcus reichte den Dolch in die ausgestreckte Hand des Mannes und trat auf Treppen, die hinab führten.


    Einen großen Kellerraum betrat Marcus, der von viereckigen Säulen getragen wurde, in den Nischen standen Öllampen, die den Raum diffus erleuchteten; alte Klinen, einstmal wohl aus edlen Häusern doch mittlerweile von der Zeit mitgenommen und wohl billig aufgekauft, standen in dem Raum, rote und grüne, blaue und ehemals goldene Stoffe wetteiferten miteinander und verloren doch alle, waren sie durch die Zeit doch mittlerweile verblaßt und nur noch ein Schatten von ihrer früheren Leuchtkraft. Fadenscheinige Stoffe, die so manch ein Loch aufwiesen, schirmten manche der Klinen ab, so daß man die Gäste dahinter schemenhaft nur noch sah. Marcus ging – wie immer hinkend und dadurch etwas langsamer - an einigen vorbei und zu einer hinteren Ecke, wo eine Öllampe in Form einer Venusgestalt Licht spendete. Gut gelaunt ließ sich Marcus auf der Kline herunter sinken, die bedrohlich unter seinem Gewicht ächzte -auch das Holz war nun mal schon der Zeit verfallen – und ließ seinen Blick herum schweifen und zu einer Flötenspielerin, die auf einem Kissen in der Mitte des Raumes war und ihre Flöte aus einem Holzkästchen auspackte. Mit einer Gestik deutete er auch Cassim, daß er auf der anderen Kline Platz nehmen konnte und sollte und sah sich suchend nach jemanden um, um etwas Speise und Trank zu bestellen – was er auch tat und das nicht zu knapp. Lachen, Stimmengewirr und auch andere, weniger keusche Laute drangen durch das Gewölbe und mischten sich schließlich mit den hellen und syrisch angehauchten Tönen der Flötenspielerin. Marcus ließ seine Augen auf der Frau ruhen, die schwarze Haare hatte, ein rundes Gesicht und mehr von üppiger Gestalt war. Als der Wein den Beiden gebracht wurde, griff Marcus danach und nahm einen tiefen Schluck.
    „Sag' mal, Cassim, warst Du eigentlich schon mal verheiratet?“
    , fragte er den Parther ohne den Blick von der Frau abzuwenden.

  • Der Parther fühlte sich etwas unwohl, bei dem Gedanken, sich völlig unbewaffnet durch eine solche verruchte Gegend zu streifen. Deswegen war er übervorsichtig, versuchte überall seine Augen zu haben und verfolgte jedes Geräusch mit seinen Blicken. Hätte er doch nur ein Messer eingesteckt! Hätte er nur, doch dafür war es jetzt reichlich spät. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auf der Hut zu sein und dicht hinter dem Römer zu bleiben. Auch wenn es ihm schwer fiel, dies sich einzugestehen, der Römer und er zusammen hatten bessere Chancen, einen Angriff abzuwehren, als einer alleine. Nicht etwa, dass er Angst gehabt hätte. So etwas hätte sich Cassim niemals eingestanden! Doch dieses ihm unbekannte Viertel in der Nacht zu durchqueren, bereitete ihm Bauchschmerzen. Aber hier in den verdreckten Gassen mit den heruntergekommenen Häusern, musste es etwas geben, was es sonstwo nicht gab, meinte der Römer grinsend, als sie ihr Ziel erreicht hatten und er an die Tür eines unscheinbaren Hauses klopfte. Das Einzige, was Cassim auffiel, waren die vernagelten Fensterläden. Aber er dachte sich nichts dabei. Er wartete hinter dem Römer und beobachtete, was nun geschah, als sich das kleine Fensterchen in der Tür plötzlich öffnete. Er lauschte dem Wortwechsel zwischen dem Türsteher und dem Römer und als man sich schließlich einig wurde, betrat er nach dem Römer das Haus. Bevor Cassim jedoch dem Flavier die Treppe hinunter folgen konnte, wurde auch er wegen etwaiger Waffen angehalten. Cassim jedoch schüttelte verneinend den Kopf und stieg dann ebenfalls die Stufen hinunter in den Kellerraum.
    Was ihn dort unten erwartete, überraschte ihn nicht im Geringsten. So schäbig der Eindruck des Hauses von außen war, so setzte er sich nun auch im Inneren fort. Seine Blicke glitten über das Interieur jenes Etablissements, dessen Sinn und Zweck sich leicht erraten ließ, lauschte man nur den Stimmen und Lauten, die aus dem mit Stoffbahnen abgetrennten Raum an sein Ohr drangen. Cassim fand nichts Verwerfliches daran, sich in einem römischen Freudenhaus aufzuhalten. Es gab nun mal gewisse männliche Bedürfnisse, die von Zeit zu Zeit gestillt werden mussten. Zu Hause in Parthia stand ihm eine Auswahl an hübschen Frauen zur Verfügung, teils Freie, teils Sklavinnen. Es bestand also nicht wirklich die Notwendigkeit, für den Besuch eines solchen Etablissements und doch hatte er in der Vergangenheit solche Häuser auch aufgesucht. Er war ein Mann, der die Abwechslung liebte und da er sich diese auch leisten konnte, so nahm er sie auch gerne in Anspruch. Dabei legte er natürlich auch einen gewissen Wert auf Komfort und auf das Erscheinungsbild dieser Häuser. Auch außerhalb wollte er auf Luxus nicht verzichten. So fiel seine Auswahl stets auf die besten Häuser dieses Gewerbes.
    Dieses Haus jedoch, hätte seinem Geschmack nicht zugesagt. Es hatte sicher schon bessere Tage gesehen, was die Einrichtung vermuten ließ. Der Eindruck den es auf Cassim machte, war ein verruchter. Dieses lupanar, was es ja mit Sicherheit war, wollte so gar nicht zu dem Römer passen. Aber vielleicht war es ja auch gerade die Verruchtheit,was den Römer anzog. Und da er die Engtscheidungsgewalt inne hatte, blieb Cassim nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. War nur zu hoffen, dass die angebotenen Dienstleistungen, das schmuddelige Interieur übertrumpften.

    Cassim tat es dem Römer gleich und ließ sich auf der zweiten Kline nieder und nahm auch einen Schluck Wein, als der serviert wurde. Er schenkte nun weniger der Einrichtung, als dem Flötenspiel der Schwarzhaarigen seine Aufmerksamkeit. Die Klänge, die sein Ohr erreichten, klangen vertraut und als er nun die Augen geschlossen hatte, wähnte er sich zu Hause in Dura Europos. Die Flötenspielerin war seine Yasmina, die ihn des Öfteren am Abend mit ihren Künsten betört hatte und die es nun wieder tat. Später am Abend wollte er sie wieder… Jäh wurde er durch die Frage des Römers aus seinen Vorstellungen gerissen. "Mmh? Verheiratet? Ja, ich bin verheiratet und das nicht nur einmal," antwortete er beiläufig, während seine Sinne immer noch durch den Klang der Flöte wie benebelt waren.

  • Den Wein an seiner Kehle hinab rinnend, den Geschmack von einer Olive auf der Zunge und die Klänge der Flötenspielerin streiften für den Moment die Anspannung von Marcus, die er schon seit einigen Tagen verspürte und die ihm wie ein Ungetier im Nacken saß. Schwerelos schwebten die Klänge der Flöte an sein Ohr, fremdartig und doch vertraut, für einen Augenblick wähnte er sich – mit geschloßenen Augen – wieder in Syrien, wie damals, als er seine große Reise unternommen hatte, ein Reise, die seinem Vergnügen und seiner Abenteuerlust gedient hatte – Abenteuer, die nicht mit Mord und Todschlag endeten, wo der Nervenkitzel in der Jagd lag oder dem Erforschen des Nachtlebens einer fremden Stadt. Marcus lehnte sich etwas in die alten und abgewetzten Kissen zurück und genoß das Gefühl, immer noch die Augen geschloßen. So konnte der Abend gut anfangen und würde hoffentlich genauso angenehm weiter gehen. Erst die Antwort von Cassim riß ihn aus dieser seligen Wolke, Marcus blinzelte und öffnete dabei verblüfft die Augen. Nicht nur einmal verheiratet? Ist noch verheiratet?
    „Wie? Was meinst Du mit: nicht nur einmal?“
    Vielleicht im Kindbett gestorben wie bei seiner ersten Frau?
    „Wie oft denn?“


    Langsam begann es jedoch bei Marcus zu dämmern, war da nicht was bei den Parthern gewesen, und nicht nur bei deren Kaiser, also dem Shah? Ja, doch...doch.
    „Aber doch nicht zu selben Zeit, hm?
    Himmel, herrje! Das wäre für Marcus zu viel des Guten, eine Ehefrau war ihm schon zuviel, die Vorstellung an mehrere Ehefrauen gleichzeitig, die sich rivalisierten oder - noch schlimmer! - am Ende gegen ihn verbündeteten, ließ ihm einen kalten Schauder über den Rücken jagen. Marcus sah einem Sklaven entgegen, der noch ein paar mehr an Speisen auftrug – das, was Marcus auch vorher bestellt hatte. Marcus griff sofort nach einem Stück von dem Fleisch und ließ es sich munden ehe seine Augen wieder auf die Flötenspielerin wanderte, die ganz versonnen auf ihrem Instrument zu spielen schien.
    „Mußtest Du oder wolltest Du mehrmals heiraten?“

  • Er hatte inzwischen auch von den Speisen genommen, die aufgetragen worden waren und kostete mehrmals von dem süffigen Wein. Das Spiel der Flöte ließ ihn zurück in seine Erinnerungen abschweifen, die so lebendig in ihm wurden, als er wieder die Augen schloss und Yasmina bei sich wähnte. Ihr zarter Körper und der süße Duft, der von ihm ausging. So gerne hätte er sie berührt und… wieder wurde sie ihm durch die Frage des Römers entrissen. Seufzend öffnete er abermals die Augen und sah zu ihm hinüber. Offenbar hatte er mit seiner letzten Bemerkung die Aufmerksamkeit des Römers geweckt. Was für ihn selbstverständlich war, musste auf den Römer fremd und womöglich auch exotisch wirken.
    "Ich meine es so, wie ich es sagte. Ich habe mehrere Frauen. Drei, um genau zu sein und noch mehrere Sklavinnen - Konkubinen!" Cassim fragte sich, wie sinnvoll es war, den Römer mit familiären Dingen zu konfrontieren. Nie zuvor hatte er mit einem Fremden über solche persönliche Angelegenheiten gesprochen, schon gar nicht mit einem Feind. Und doch spürte er plötzlich das Verlangen in sich, über die zu sprechen, die er zurück gelassen hatte und die immer noch auf ihn warteten, so glaubte er jedenfalls. "Meine erste Frau, Bahar, stammt aus einer der angesehensten Familien des Landes. Die Ehe mit ihr wurde von meinem und ihrem Vater arrangiert, als wir noch Kinder waren. Bereits kurz nach ihrer Geburt wurde sie mir versprochen. Ich war damals drei Jahre. Zehn Jahre später hat man uns dann verheiratet. Sie bedeutet mir nicht viel. Sie hat ihr Soll erfüllt und mir einen Sohn geschenkt. Lale, meine zweite Frau ist die Tochter eines guten Geschäftspartners meiner Familie. Sie habe ich geheiratet, um mit ihrem Vater ein wichtiges Geschäft zu besiegeln. Nun ja, sie ist ganz liebreizend und tut was sie kann, um mir zu gefallen. Sie hat mir zwei Mädchen geboren. Meral, meine dritte Frau, habe ich mir selbst erwählt, weil ich sie liebe. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen. Doch sie ist neben Yasmina, für mich das Wichtigste. Sie hat mir bereits drei Kinder geschenkt, zwei Söhne und eine Tochter.“ Der Glanz in Cassims Augen, als er von Meral und Yasmina sprach, war nicht zu übersehen. Alleine für diese beiden Frauen lohnte sich eine Flucht, bei der sogar die Gefahr bestand sein Leben lassen zu müssen.
    Für den Römer musste das mehr als befremdlich klingen, sonst hätte er nicht so ungläubig nachgefragt. Cassim musste deswegen schmunzeln. "Aber ja, gleichzeitig! Es ist keine Frage des Wollens oder des Nichtwollens. Es ist so Tradition. Ein Mann von Ehre und Ansehen hat mehrere Frauen. Er zeigt damit, wie wohlhabend er ist und was seine Stellung in der Gesellschaft ist. Mein Vater zum Beispiel, hatte sieben Frauen und etliche Konkubinen."
    Allmählich hegte der Parther den Verdacht, dem Römer war selbst seine eigene bevorstehende Ehe unbehaglich. Er kämpfte mit sich, ob er ihn darauf ansprechen sollte. Eigentlich hatte es ihn ja nichts anzugehen. Doch er hatte soeben so viel von sich preisgegeben. Da sah er es nur als gerecht an, auch einmal eine Frage zu stellen.
    "Was ist mit dir? Freust du dich schon?"

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